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IX

Florian Geyer

Seit dem Tiberiusdrama hatte sich Gerhart Hauptmann in der Wahl dramatischer Stoffe nicht wieder aus seinem Land und seiner Zeit entfernt. Denn die drei Stücke, die in der östlichen Umgebung Berlins spielen (Das Friedensfest, Einsame Menschen, Der Biberpelz) stehen noch unter schlesischem Einfluß, und das »Schauspiel aus den vierziger Jahren« führte in eine Zeit, die noch nicht hinter lebender Menschen Gedenken lag. Jetzt erst wagte der Dichter wieder einen Sprung in andere Zeit und anderes Land. Bei seiner Beschäftigung mit den sozialpolitischen Bewegungen der Gegenwart und jüngsten Vergangenheit war ihm ein Buch in die Hände gefallen, das den großen deutschen Bauernkrieg behandelt, und dessen Verfasser ein alter vormärzlicher Demokrat, der schwäbische Pfarrer Dr. Wilhelm Zimmermann, ist. In seinem wissenschaftlichen Wert wird dies Buch von der Geschichtsforschung für abgetan erklärt. Aber es ist mit populärem Schwung geschrieben. Ein freiheitlicher Geist, Liebe für die Unterdrückten, Haß gegen Bedrücker geht durch seine Zeilen. Deshalb entschloß sich Wilhelm Blos, von dem alten Buch eine neue, billige, gut ausgestattete illustrierte Ausgabe zu besorgen. Sie ist 1891 (bei Dietz in Stuttgart) erschienen, berichtigt manche Irrtümer Zimmermanns im einzelnen, hält aber im ganzen an der demokratischen Tendenz des seligen Pfarrers fest und hat in Arbeiterkreisen ziemliche Verbreitung gefunden. Als Hauptmann dieses Buch las, steckte ihn der Enthusiasmus an, womit Zimmermann die Gestalt des ritterlichen Bauernführers Florian Geyer hervorhebt. Und noch unter dem Eindruck sozialpolitischer Weberstimmung, noch bevor er an den »Biberpelz« und »Hannele« ging, entschloß er sich, Florian Geyer zum Helden eines historischen Dramas zu wählen.

Während des Sommers 1894 war er von einem mehrmonatigen Aufenthalt in New-York und Umgegend, wo er Gattin und Söhne bei alten Freunden aufgesucht hatte, eben heimgekehrt. Nun hielt er sich längere Zeit in Rotenburg ob der Tauber auf, kam auch nach Würzburg und Schweinfurt, und in Nürnberg ergriff ihn aufs tiefste die alte, starke, deutsche Kunstgewalt der Adam Kraft, Veit Stoß und Peter Vischer. Dann ging er nach Schreiberhau zurück, um seine Arbeit vorläufig abzuschließen. Während des Frühlings 1895 brachte: er seinem Freund Brahm, der inzwischen das Deutsche Theater gepachtet und sein erstes Direktionsjahr durch den Erfolg der »Weber« geborgen hatte, ein starkes Manuskript nach Berlin. Auch dies Werk las er uns vor, erklärte aber gleich anfangs, es eigne sich von allen seinen Stücken am wenigsten zur Vorlesung, weil es sich von allen seinen Stücken am meisten fürs Theater eigne. Die Vorlesung gab kein klares Bild und auch keine rechte Hoffnung auf Gelingen der Bühnenaufführung. Aber der Dichter selbst blieb seiner Sache so sicher, daß er im Herbst 1895 daran dachte, mit Felix Hollaender zusammen das Theater des Westens in Charlottenburg zu übernehmen und hier zunächst ganz nach seinen eigensten Intentionen den »Florian Geyer« aufzuführen. Er ging dabei vom richtigen Gefühl aus, daß ein Bühnenwerk nicht im Buche schon fertig sei, sondern erst wenn der Vorhang über den letzten Akt fällt, und daß der Verfasser bis zu diesem letzten Punkt die Oberhand im Spiel haben müsse. Alte Ideale poetisch-plastischer Schauspielkunst wurden wieder lebendig, aber hart im Raume stießen sich auch diesmal die Sachen. Eine Weile wurde mit dem Baumeister Sehring wegen des Charlottenburger Schauspielhauses unterhandelt, aber für diesmal scheiterte der Plan. Am 5. Januar 1896 kam »Florian Geyer« in Berlin aufs Deutsche Theater. Das weitschichtige Werk, nicht zum Besten dargestellt, erfuhr eine sehr stürmische Aufführung, der dann nur wenige Vorstellungen folgten. In dem Sturm jener ersten Aufführung kam es zu drolligen Szenen. So rief ein werter Mann, der sich mehr auf Witz als auf Wissenschaft versteht: »Das ist doch nicht der Florian Geyer, den wir alle kennen und lieben!« Der Brave hatte keine Ahnung, wie wenig auch die gelehrtesten Kenner des Bauernkrieges von Florian Geyer wissen.

Kein kritischer Forscher hat es bisher der Mühe für wert gehalten, das Bild des Mannes biographisch zu erhellen. Aus den Chroniken und Urkunden seiner Zeit müssen wir einzelne Züge herauslesen, und immer wieder entweicht dieser schwarze Ritter im bunten Gewimmel leibhaftigerer Gestalten. Wir kennen weder Tag noch Jahr seiner Geburt, aber wir dürfen ihn uns als Altersgenossen Franzens von Sickingen und Ulrichs von Hutten denken. Daß er Franke war, ist sicher. Seine Burg Giebelstatt ragte unweit des Würzburger Bischofssitzes in dieses schöne Land hinein. Er war aus altem Rittergeschlecht. Sein Vater und mehrere Brüder überlebten ihn. Zum Weibe ward ihm ein Fräulein von Grumbach angetraut, deren Sippe ganz in der Nachbarschaft auf Schloß Rimpar saß. Durch diese Ehe bekam er zum Schwager den glänzend begabten Abenteurer Wilhelm von Grumbach, der nach einem Leben voll kühner Eroberungsgelüste und wilder Händel endlich 1567 in Gotha hingerichtet wurde. Die Sage geht, zu den vielen Gewalttaten dieses Herrn gehöre auch die hinterlistige Ermordung seines eigenen Schwagers Florian Geyer. Soviel ist gewiß, daß die beiden Schwäger Todfeinde waren, als Florian Geyer 1525 fiel. Sein früher Tod nach einem ritterlichen Leben, von dem auch bauernfeindliche Chroniken und Volkslieder nichts Nachteiliges zu melden wissen, läßt seine Gestalt in einem reineren Lichte erscheinen, als jenen Götz von Berlichingen, dessen treuloses, räuberisches Verhalten weder die ahnenstolze Pietät später Enkel noch die dichterische Verklärung durch Goethe vor dem Richterspruche historischer Forschung retten durfte. Nicht so erkenntlich den Augen des Historikers steht mit seiner dunklen Schar Florian Geyer. Desto mehr muß es dichterische Phantasie reizen, von ihm ein deutlicheres Bild aus dem Grunde des Zeitalters aufsteigen zu lassen.

Gerhart Hauptmanns Drama teilt sich in ein Vorspiel und fünf Akte. Die Zeit der Handlung liegt zwischen Ostern und Pfingsten 1525. Würzburg, Rotenburg, Schweinfurt sind die drei Hauptorte der Handlung. Das Vorspiel beginnt vor der Schlacht bei Weinsberg auf dem Würzburger Bischofsschloß. Wir sehen die bedrängten Umstände der bauernfeindlichen Ritterschaft. Der fränkische Adel ist versammelt und erwartet den Bescheid seines bischöflichen Herzogs. Das Vorspiel scheidet sich in zwei Teile. Im ersten Teile werden durch ein Schreiberseelchen des Ritters die »Zwölf Artikel« bäuerlicher Ansprüche vorgelesen, die hier teils empörend, teils beängstigend wirken, wie das Weberlied in Fabrikantenkreisen. Im zweiten Teile spricht der Bischof-Herzog zu den Rittern. Dem Bischof-Herzog ist es auf seinem Schlosse nicht mehr geheuer; er will sich vor den heranziehenden Bauern nach Heidelberg zum rheinpfälzischen Kurfürsten verkriechen, vorgeblich um dessen Beistand anzurufen; der ebenso kluge wie feige Kirchenfürst trägt, wie sein Zeitgenosse Eck sich ausdrücken würde, »einen Hasen im Busen«, aber er weiß dieses Hasenpanier so diplomatisch und wohlrednerisch zu drapieren, daß die große Mehrheit der Ritter nichts merkt, und die Zurückbleibenden dem entweichenden Herrn Hab und Haus hüten werden. Unter den Rittern, den »festen Junkern«, die in den aufgestandenen Bauern nur Gesindel, in der Bauernbewegung nur den Umsturz von Recht, Sitte, Ordnung sehen, heben sich mit kleinen, feinen Zügen, anfangs nicht leicht zu sondern, dann sehr unterschiedlich, Typen ab, wie sie auch in den politischen Kämpfen unserer Gegenwart wiederkehren: der stockkonservative, vierschrötige, im bösen wie im bessern Sinn einfältige, unerschrockene Haudegen (Graf Wolff von Kastell); der kleine, großmäulige, schneidigtuerische Emporkömmling, der durch überheizte Gesinnungstüchtigkeit seine Bauernherkunft verdecken will (Kunz von der Mühlen); der geistliche Fanatiker (Domherr Hans von Lichtenstein); der geschmeidige, redegewandte, wetterwendisch-staatsmännische Höfling (Sebastian von Rotenhan); daneben ein abtrünniger Sohn Ulrichs von Hutten und etliche Kavaliere, die ohne besondere Merkmale mithalten und allerlei über feindliche Vorgänge der letzten Zeit zu melden wissen. Aber dieser Schar fehlt auch der Opponent nicht: der freigesinnte Edelmann, der offen und kühn die gerechten Beschwerden des Bauernstandes anerkennt und aus seiner Abneigung gegen Junker und Pfaffen kein Hehl macht (Wolf von Hanstein); er ist der geistige Nachfahr Ulrichs von Hutten und Franzens von Sickingen. Er ist in dieser Ritterrunde der Stellvertreter und Sachwalter Florian Geyers. Um seine Übereinstimmung mit diesem ritterlichen Bauernhelden noch klarer zu machen, steht neben dem Geistesfreunde Florian Geyers, in verdeckterer Haltung, ein leiblicher Bruder, der an Florians Person und Ehre brüderlich hängt, aber der Sache Florians ehrlich feind ist. Als der Bischof Würzburg verließ, hatte sich Florian Geyer schon zu tief in die Sache der Bauern eingemischt, um noch bei Hofe möglich zu sein. Er hatte bereits Weinsberg erobert und Kitzingen für sich gewonnen und war schon auf dem Wege gen Würzburg. Er gilt diesem Junker- und Pfaffenkreis als die Seele aller Feindseligkeit. Sein Geist geht schreckhaft und gehaßt durch die Versammlung. Körperlich muß ihn daher ein anderer vertreten. Dieser andere leitet unser Interesse am Helden aus dem parlamentarisch gehaltenen Vorspiel ins Drama selbst über. Hier werden wir diesen Wolf von Hanstein nicht wiederfinden, sondern den echten und rechten Florian Geyer.

Bei der ersten Aufführung hinterließ dieses Vorspiel, von mäßigen Schauspielern dargestellt, nur den betäubenden Eindruck eines wüsten Durcheinander schreiender Lungen und rasselnder Rüstungen und schwächte von vornherein die Gesamtwirkung des Dramas so ab, daß man es an den nächsten Abenden weg ließ und die Aufführung gleich mit dem ersten Akte begann.

Der erste Akt hält uns noch in Würzburg auf. Aber nicht mehr jenseits des Maines auf der Bischofsburg, sondern unten in der Stadt selbst. Wir sind in der Kapitelstube der Neumünsterkirche. Nebenan ist Dankgottesdienst. Die Kirche ist dicht voll. Die Kapitelstube schmückt sich mit grünen Reisern. Unter Führung Florian Geyers haben die Bäurischen Würzburg in Besitz genommen. Der Siegestaumel ist gewaltig. »Das Glück schneiet mit großen Flocken,« jubelt im Übermut Florian Geyers Feldschreiber Lorenz Löffelholz. Aber bald darauf muß derselbe Lorenz Löffelholz klagen: »Bös Ahnen nestelt sich an mich.« Die Bauernpartei erlebt einen großartigen Triumph. Die stolzen Ritter vom Bischofssitz müssen unten in der Kapitelstube antreten, um mit der bäuerischen Übermacht zu unterhandeln. Die kecken Spötter und Schimpfer aus dem Vorspiel finden sich murrend bereit, jene »Zwölf Artikel«, die sie so feindlich glossierten, für Recht und Gesetz anzuerkennen. Die Bäurischen lassen es dabei ihrerseits an hochfahrender Schadenfreude nicht fehlen; ihre Begehrlichkeit steigt. Die mannigfaltigsten Interessen der einzelnen geraten in Wirrwarr. Den Siegern gebricht es an Eintracht. Quot capita, tot sententiae! könnte der humane und humanistische, gegen die Scholastik aufgebrachte Rektor Besenmeyer, der freudig zu Florian Geyer steht, in seinem Heidenlatein sagen. Die Bauernpartei, wie sie hier in der Kapitelstube zum Ratschlag über zwei wichtige Dinge, über die Angebote der Bischöflichen und über die Wahl eines Führers, versammelt ist, bildet sich aus den verschiedensten Ständen. Das bäurische Element selbst tritt fast zurück hinter all den Rittern und Bürgern, Geistlichen und Gelehrten, Schreibern und Kriegsknechten, die irgendein wirklicher oder eingebildeter Vorteil der eigenen Person auf diese Seite geschlagen hat. Es hallt wider von Worten wie Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, aber jeder legt in diese Worte seinen besonderen Sinn. Äußerlich entwickelt sich ein farbiges bewegtes Bild. Noch ehe die Einzelnen in das ehrwürdige Kirchengemach eintreten, sehen wir mit den begierigen Augen derer, die zum Bogenfenster auf die Straße hinabschauen, das Getriebe draußen vor dem Dome. Da hebt sich schwer von seinem Rößlein der volle Wanst des Odenwälder Bauernhäuptlings Jakob Kohl. Dann reitet auf seiner Schindmähre Götz von Berlichingen heran; er hat mit Goethes biederm Helden kaum mehr als den Namen, die eiserne Hand und etliche Schicksale gemein; sonst ist er ein kurzes »Nußknackerlein«, voller Unfried und Tücke. Wir sehen Florian Geyers Schwager in die Tür treten, den äußerlich glänzenden, innerlich rohen Ritter Wilhelm von Grumbach, der im Trüben dieser Händel nach bischöflichem Gut fischen möchte. Endlich tönt Jubel die Gassen herauf. Sie grüßen draußen den Helden des Tages, den Einzug Florian Geyers in Würzburg. Nun sitzt er ab, nun tritt er ins Gotteshaus, nun erscheint trunken von Wonne und Wein sein treuer verwilderter und verwelschter Kriegsgesell Tellermann, und endlich, nach Predigt, Gebet und Segen, ist er selbst im Zimmer, der schwarzgeharnischte Sieger.

Gleich seinen ersten Worten merkt man's an, daß ihn zuvor Rektor Besenmeyer richtig beurteilt hat: »Ein brennendes Recht fließt durch sein Herz.« Auch der bürgerlich gewordene Ritter von Menzingen, der Schultheiß Bezold, der junge Diakonus im Dom und vor allen Tellermann und Löffelholz hangen an diesem Helden. Aber schon mußte Löffelholz sorgend bekennen: »Sie denken nit alle so wie wir«; und je dichter sich die Stube füllt, desto bedenklicher zeigt sichs, daß Florian Geyer über diese buntscheckige Siegerschar »in keinem Weg« die unbestrittene Herrschaft hat. Der eifersüchtige, von altersher grollende Raubritter Berlichingen fühlt sich in seinen eigenen Strauchdiebzwecken durch ihn beeinträchtigt. Der hetzende Bauernpriester Bubenleben aus Mergentheim will so wenig einen Junker zum Feldherrn haben, wie der Soldat Tellermann einen Pfaffen leiden kann, und schlägt den feisten, faulen, weinschwelgenden Bürger Jakob Kohl zum Führer vor. Der radikale Anarchist Flammenbecker, einer von den »Weinsberger Blutbuben«, für die Götz und Geyer nur den Galgen haben, will gar keinen Hauptmann. Der glatte Schreiber Sartorius, in Schwager Grumbachs Dienst, schlängelt sich zwischen diesen widerhaarigen Köpfen hin und her. Leis abwartend, auf welche Seite der günstigere Vorteil fallen werde, hält sich im Hintergrunde sein Herr. Es beginnt unter Florian Geyers Vorsitz die Beratung. Damit treten wir aus der breiten Darlegung des historischen Standes der Dinge in die Aktion ein, von der wir nun wünschten, daß sie rascher fortschreite.

Konnte sich diese Ratsversammlung schon mit den bischöflichen Unterhändlern über das Maß von Geben und Nehmen nicht einigen, nahm sie schließlich nach alter deutscher Sitte gar nichts, weil ihr nicht alles geboten ward, so entsteht bei der Wahl des Führers noch wirrsäligere Zwietracht. Aller Dank und alle Freude sind hin. In diesem Durcheinander von Wünschen und Meinungen hebt am ruhmvollsten Tage seines Lebens der Held schon den Fuß auf zum Schritt ins tragische Verhängnis. Ein feiner Diplomat, ein weiser Staatsmann, ein gewalttätiger Tyrann hätte dieser zügellosen Schar den Herrn gezeigt, mit dem überwundenen Feind paktiert und sich die Führerschaft erzwungen. Denn je verrannter der Haufe, desto günstigere Zeit für die Despoten. Von alledem aber lag in Florian Geyers Natur zu wenig, und alles Tragische ist entweder ein Zuviel oder ein Zuwenig; meist ist es beides. Er ist, modern gesprochen, kein Realpolitiker, sondern ein Idealist. Florian Geyer, ein ganzer Mann, ist doch nur einen halben Weg gegangen. Den verbündeten Rittern galt er als Bauer, den Bauern blieb er trotz der Lockenschur ein Ritter, und die Geistlichkeit sah in ihm den Ketzer. Er hat nach eigenem Rechtsgefühl gehandelt, aber schon wuchs aus seiner Saat etwas hervor, was seinen Willen überwucherte. Draußen in der Stadt tobt noch der Siegesjubel. Das Volk schlägt aus. Man will an den Überwundenen sein Mütchen kühlen. Weinsbergs böses Beispiel wirkt nach. Die Unterhändler des Bischofs finden nicht das freie Geleite durch die Stadt, das Geyer ihnen zugesichert hat. Weiber möchten zu Hyänen werden, und alle diese Rechtswidrigkeiten geschehen unter dem Feldgeschrei: »Vivat Florian Geyer!« Es fallen Schüsse. Der Knall der Schüsse wirkt auf die Ratsversammlung ungefähr so, wie 1848 die Schüsse vor dem Schloß Friedrich Wilhelms des Vierten auf die Berliner Bevölkerung. Die Empörung bricht los. Geyer aber handelt nun nicht, sondern redet. Er wirft sich nicht zum alleinigen Herrn der Situation auf, sondern plädiert für einen vielköpfigen Kriegsrat. In ehrlichem Pathos leitet er die Wut in eine symbolische Handlung ab, zu der sich nun die Getrennten vereinigen. Ein Stoß des Messers in die Kirchentür bedeutet für sie einen Stoß »mitten ins Herz« des Feindes. So findet jeder, der Soldat wie der Pfaff, der Anarchist wie der Bürger, der Bauer wie der Gelehrte, der Feste wie der Schwankende irgendein Herz, in das er ohne Blutvergießen mitten hinein stechen kann. Und die meisten Stiche ins Holz gelten dem Truchsess von Waldburg. Diese körperliche Übung, die einen Akt Schlußeffekt macht, lenkt das Blut aus den Gemütern ab. Zwei aber haben ihr Messer nicht gestoßen: die beiden Mitbewerber ums Hauptmannsamt, Kohl und Berlichingen. Und doch ist Geyer ihren Wünschen nicht mehr gefährlich. Er, der Mann des Rechts und der Rechtsdoktrin, hat freiwillig auf die Wahl verzichtet. Statt des festen einen Herrenwillens waltet ein Vielerlei.

Zwischen dem ersten und zweiten Akt liegt die strategische Situation so: Das Würzburger Bischofsschloß soll von der Stadt aus beschossen werden. Das kann ohne den Beistand der Rotenburger Stadtgeschütze nicht geschehen. Diese zu heischen und zu holen, wird Florian Geyer von Würzburg nach Rotenburg verschickt. Die Zurückbleibenden geloben, etwas Feindliches gegen das Schloß nicht früher zu unternehmen, als bis Geyer mit den Geschützen wieder da ist. Dieses feierliche Versprechen wird nicht gehalten. Während Geyer in Rotenburg ist, beschießen seine wortbrüchigen Brüder in Würzburg das Schloß, und da sie mit Geschützen nicht genügend versorgt sind, so erleiden sie eine schmachvolle Niederlage, die zusammen mit dem gleichzeitigen Böblinger Siege des Truchsess die bäurische Sache an den Rand des Abgrundes bringt.

Der zweite Akt spielt in Rotenburg. Geyer ist in der Stadt. Wenn im Vorspiel die äußere Handlung in zwei Teile, Verlesung der Artikel und Ansprache des Bischofs, zerfällt, wenn im ersten Akt die Stimmung von der Siegesfreude zu heißer Zwietracht umschlägt, so sind auch im zweiten Akt zwei Teile zu unterscheiden. Der erste ist wieder zuständlicher Art. Der zweite bringt die tragische Wendung. Dieser Akt erinnert, nicht nur durch anschauliche, breite, den Fortgang der Aktion hemmende Schilderung von Zuständen, sondern auch durch die Szenerie zunächst an den dritten Akt der »Weber«. Auch hier sind wir in einer Schenkstube: am Markt platz von Rotenburg beim Gastwirt Kratzer, der zur Bauernpartei gehört und ihr stiller Vertrauensmann ist. Bei Kratzer finden sich von auswärts und aus der Stadt die »Brüder« ein, um unter dem Vorwand eines guten Trunks, einer Erholung hinter dem Krug, über die Lage zu schwätzen und Neuigkeiten zu hören. Die erste Hälfte des Akts ist der Besprechung der Lage gewidmet, die zweite den neusten Nachrichten vom Kriegsschauplatz. Der Verkehr in diesem Wirtshause schafft wieder ein lebendiges Bild. Weinselige Bürger plärren die großen Schlagworte der Zeit her wie Bundschuh und Evangelium. Es wird weidlich auf Pfaffen und Klöster geschimpft, und an einigen verlaufenen Mönchen wird die Verwahrlosung des Klosterlebens offenbar. Die Reformationsstimmung ist so stark, daß sie sich schon zu Spott und Hohn entschließt. Der schmucke Bürgermeistersohn, der mit den Geschützen gen Würzburg ziehen soll, wird in seiner kecken Großjungenhaftigkeit von den zechenden Philistern als Hoffnung künftiger Zeiten beliebäugelt. Ein antipapistischer Hausierer ruft die neuesten Flugschriften aus, und in dieser Marktschreierei vergegenwärtigen sich alle Gewalten des Zeitlaufs: Ablaßkram und päpstliche Weltherrschaft, der Opfertod von Hus und Savonarola, Huttens letzte Tage und Thomas Münzers Streit mit Luther. In glücklichster Weise dient die Episode zur Charakteristik der Zeit, der Zeitstimmung wie der Lage des Augenblicks. Unter diesen bunten Gestalten, die nur als episodische Merkmale der Zeit erscheinen, begegnet so mancher Bekannte aus der Würzburger Kapitelstube. So der eingebürgerte Ritter von Menzingen und der Schultheiß Bezold von Ochsenfurt, der den Geyer nach Rotenburg begleitet hatte; beide gut bäuerisch, hegen aber im Nachhall der Würzburger Zänkereien über die zweifelhafte Haltung des Markgrafen Casimir von Anspach sehr verschiedene Meinung und gerieten hart aneinander, wenn nicht dem Schultheißen, der ein fester Zecher ist, noch rechtzeitig die friedenstiftende Kraft des Tauberweins einfiele.

Auch sonst ist unter den bäurischen Brüdern viel Uneinigkeit. Weder Karlstadts Bilderstürmerei noch sein Lutherhaß werden von andern gebilligt, und wo sich zwei in einer Sache einig sind, geschiehts aus verschiedenen Gründen; auf Karlstadts Bildersturm erwidert Geyer das feine Kulturwort: »Gott grüß die Kunst!«, während Geyers Todfeind, der Schäferhans, dieselbe Bilderstürmerei um seines alten katholischen Volksglaubens willen haßt.

Auch Rektor Besenmeyer, der Humanist, ist dabei. Wir sehen ihn gleich bei Beginn des Akts in Kratzers Wirtsstube wieder und sind Zeugen seiner Humanität; er hat unterwegs eine totmüde, zigeunerhafte Dirne aufgegriffen und schafft ihr barmherzig bei Kratzer Unterschlupf. Der Dichter wurde auf die unheimliche, heimatlose Gestalt der »schwarzen Marei« durch die schwarze Hofmännin aus Böckingen bei Heilbronn geführt. Diese Petroleuse des Bauernkriegs war mannhafter als alle Männer. Ihre Zaubersprüche hatten fortreißende Macht. Ihr Segen, der ein Fluch war, tat das Seinige, um die Bauern durch jene Weinsberger Greueltaten ins sittliche Unrecht zu setzen. Gerhart Hauptmanns schwarze Marei ist freilich nur ein Schatten dieser Gestalt. Sie ist zahmer und scheuer. Der Dichter hat die Böckingerin dem Käthchen von Heilbronn angenähert. Wie das Käthchen in hündischer Treue ihrem Ritter folgt, so die schwarze Marei dem Florian Geyer. Wie sich das Käthchen mit dringlicher Kunde den Atem ausläuft, so kommt über Nacht die schwarze Marei mit Hiobsposten von Würzburg nach Rotenburg gerannt. Am Ziel sinkt sie übermüdet in todesähnlichen Schlaf, und während beim Kratzer an den verschiedenen Wirtstischen die »Läufte« beredet werden, während durch wimmelnde Gestalten die damalige Welt im Kleinen erscheint, liegt hinten, unbemerkt und ungestört, wie sein schlafendes, schwarzes Verhängnis, Florian Geyers schwarze Marei.

Aber die schwarze, treue Marei ist nur das äußere Scheinbild seines Schicksals. Leibhaftig verkörpert sich dieses Schicksal in einer Männergestalt. Gleichfalls in Kratzers Wirtshaus zu Rotenburg tritt er zur selben Stunde ihm entgegen. Wie den Wallenstein sein Buttler umkreist, so umkreist den Florian Geyer sein Schäferhans. Der Schäferhans, ein einfältig frumber Landsknecht, der sich gegen seine bäurischen Brüder nicht will brauchen lassen, aber ein in der Soldateska verrüdeter Rauf- und Saufbold, wollte in der Glut des Branntweins dem verhaßten Bilderstürmer Karlstadt, der ebenfalls bei Kratzer untergekrochen ist, ans Leben, wird aber von dessen Mut der Demut abergläubisch gebannt, dann jedoch durch Lärm und Spottlied gegen den eingetretenen Florian Geyer, mit dem er schon vor Pavia Händel hatte, so aus der Maßen frech, daß dieser ihn mit einem Faustschlag ins Gesicht niederwirft.

Florian Geyer trifft mit diesem sinnbildlichen Faustschlag die ganze Wildnis und Wüstheit des Zeitalters und beweist, daß sein Herz dem niedern Volk, aber nicht dem verrotteten Pöbel gehört. Zwar liegt der Schäferhans jetzt bewußtlos am Boden. Aber es kommt ein Tag, da er den Florian Geyer zum zweitenmal treffen wird. Jetzt hat Florian nur seinen verräterischen Schwager Wilhelm von Grumbach zur Seite, und hinten im Dunkeln auf der Bank schläft noch immer, durch keinen Schäferhans zu erwecken, und auch nicht zu erwecken, als das Volk seinen Helden umjauchzt, und der Held zu seinem Volke spricht, die schwarze Marei. Man hatte ihrer und ihrer Hiobsposten lange vergessen. Nun aber wird sie doch geweckt, und sie bringt stockend, unbeholfen, maulfaul vor Müdigkeit, mürrisch aus Ohnmacht, mühsam hervor, was sie weiß, und was ihr mitgegeben ist. Auf einen Ruck sind wir damit in die seit Würzburg fortgeschrittene Aktion hineingerissen. Wir erfahren mit Florian Geyer und den andern, wie sich seit jenem Siegestag alles gewendet hat, wie verzweifelt es um die bäurische Sache steht. In der Böblinger Schlacht fielen gegen den Truchseß von Waldburg zwanzigtausend Bauern. Aber auch in Würzburg selbst steht es schlimm. Während sich Florian Geyer unheilvollerweise hierher nach Rotenburg »verschicken« ließ, wurde dort gegen seinen Willen und wider Versprechen beschlossen, die bischöfliche Burg anzugreifen. Nur Tellermann hatte sich widersetzt. Er wurde für diese Treue zum Herrn ins Eisen gelegt. Die andern samt Geyers schwarzem Haufen wagten den Angriff und wurden schmählich niedergemetzelt. Als Geyer diese Nachrichten von der schwarzen Marei empfängt, verläßt ihn sein Vertrauen zur Sache. Solange er nur von der Übermacht des Feindes bei Böblingen hörte, erscholl immer wieder sein ermunternder Ruf: »Gen Würzburg«. Als er aber vom Wortbruch der Freunde hört, verstummt sein Ruf; anstatt die Rotenburger Geschütze zu fordern, legt er selbst Stück für Stück seine eigenen Waffen ab. Er denkt ans Kloster. Dieser Akt, in allen Tonarten spielend, endigt mit einem elegischen Akkord. In der entscheidenden Stunde, vom Orte der Entscheidung weit entfernt, hält sich Geyer damit auf, einem einzelnen Mann die Faust ins Gesicht zu schlagen und zum Fenster hinaus eine schöne Volksrede zu halten. Ist das sein Charakter oder sein Schicksal? Statt frischer Tat Sinnbild und Worte!

Der dritte Akt führt nach Schweinfurt. Die tiefe Niedergeschlagenheit, in der wir Florian Geyer verließen, hat inzwischen alle Beteiligten ergriffen. Die Lage ist für die Bauern schlimmer geworden. Markgraf Casimir von Anspach, der die letzte Hoffnung blieb, hat sich zu Ungunsten der Bäuerischen entschieden und die Stadt Kitzingen, mit furchtbarer Grausamkeit gegen die wehrhaften Bewohner, genommen. Scheinliberale Edelleute sind eilends abgefallen. Der Truchseß von Waldburg, den sie jetzt den Bauernjörg nennen, ist nach der Böblinger Metzelei weitergezogen und hat die Stadt Weinsberg, diese Wahlstatt der schlimmsten Greueltaten empörter Bauern, niedergesengt. Ein Bauernausschuß, der in Heilbronn kommunistisch-reichseinheitlich-liberale Verfassungsentwürfe beraten wollte, stob vor dem unbarmherzigen Truchseß auseinander. Jetzt, da es zu spät ist, geschieht, was Geyer schon in der Würzburger Kapitelstube gewollt hatte, jetzt, da der rechte Augenblick bereits verpaßt ist, hat der bäurische Kriegsrat einen Landtag aller Genossen nach Schweinfurt berufen. Aber alle Schwachen und Schwanken sagen ab, und der Festen bleiben nur wenige. Wir sehen unsre alten Bekannten aus der bäurischen Gruppe nacheinander in die Schweinfurter Ratsstube treten. Ein umherziehender reicher alter Handelsjude, Jöslein, dient, ähnlich wie zuvor in Rotenburg der Hausierer, als Verkünder der neusten Begebenheiten. Zunächst sitzen die beiden von der Kapitelstube her bekannten Feldschreiber da, der Geyerische Biedermann Löffelholz und der Grumbachische Gleißner Sartorius; jener sterbenskrank an Leib und Seele, wie die Sache, der er und sein Herr dienen, dieser ängstlich fragend, mit wem es sein Herr nun hält, wo ihm selbst der Ausschlupf sein wird. Dann kommt der Würzburger Demagog Link, der Mordbrenner Flammenbecker, der finstere soziale Pastor Bubenleben, der gute alte Rektor Besenmeyer, der eingebürgerte Ritter von Menzingen, der Hauptblamierte vom Würzburger Schloßberg Jakob Kohl. Jeder weiß was Neues, keiner was Tröstliches. Einer gibt dem andern die Schuld am Unglück. Aus allen diesen Vorwürfen, dieser eigensinnigen Borniertheit, diesem Schimpf und Groll und Zank entrollt sich eins der trübsten Gemälde deutscher Vergangenheit, deutscher Zerklüftung und Zerfahrenheit: im Dienst für eine Sache das vielspältigste Wesen. So verläuft vom dritten Akt der erste Teil.

Den zweiten Teil beherrscht Geyer selbst. Er tritt in derselben Stimmung auf, in der wir ihn beim Rotenburger Weinschenken gesehen hatten: still gefaßt und ohne Vertrauen, ein Besiegter in der Größe des Siegers. Er ist gütig gegen seine Getreuen, nimmt für seine Gleichheitsbestrebungen gelassen den naiven Dank des Juden hin, zerschneidet mit einem kurzen, messerscharfen Wort das Tischtuch zwischen sich und seinem Schwager Grumbach und ignoriert verächtlich jenen Jakob Kohl, der bei Würzburg den Hauptkarren verfahren hatte. In dieses wartende Rumpfparlament bricht eine gräßliche Szene ein, die auch Geyers Blut wild aufrührt. Ein altes Weib führt ihren zu Kitzingen beim Einzug der Markgräflichen mit zahllosen andern Bürgern geblendeten Sohn herein. Im Irrsinn ist sie bekehrt zum ältesten Glauben; alle Menschen, besonders aber den Luther und den Geyer verflucht sie; Gott und allen Heiligen singt sie Lob. Der Wut und dem Wahn ihres Wehs begegnet Geyer sanft, ergeben und mildtätig. Dann aber feuert es, wie aus einem langverhaltenen Krater, flammenspeiend hervor, und sehr verschieden von den Hadereien, Nörgeleien und Ärgereien der andern, hält er ein Strafgericht über alle die Halben, Ungetreuen, Unverträglichen, Habgierigen, Eigenmächtigen, Eitlen, die ihm seine Sache verdorben haben, »eine Sache, die Gott einmal in eure Hand gegeben hat und vielleicht nimmer.« Es ist wieder bloß in Worten ein Strafgericht, aber die ganze derbe Ausdruckskraft des lutherischen Zeitgeistes steht diesem ritterlichen Helden zu Gebot, und auch das welterschütternde Hohngelächter, in das Goethe seinen Götz vor den Heilbrunner Ratsperrücken ausbrechen läßt.

Geyer, der Held der unerschrockensten Tat, der mannsmutigste von allen, muß wieder in Scheltreden seine Brust erleichtern und, wenn er das Schwert zieht, kann er nur seine Verbündeten herausfordern. Die Macht seiner Persönlichkeit wirkt durch diesen emphatisch ausgeschrienen Seelenschmerz stärker als bisher. Er beugt sie alle nieder. Am erschütterndsten wirkt er auf den armen dicken Jakob Kohl, der nun ganz zerknirscht ist. Und doch! So hoch Geyer über den andern steht, so bestätigt und bestärkt sich der erste, aus der Würzburger Kapitelstube geholte Eindruck: Geyer ist nicht der Mann, diese tobenden Zeiten zu führen.

Ziele, wie Karl der Große, wie Luther, wie Bismarck, kann er sich setzen, aber er wird sie nicht erreichen. Der idealistische Doktrinär ist in ihm größer als der durchgreifende Realpolitiker. Weil er für Recht und Freiheit ist, gibt er in der Stunde seines höchsten Triumphes seinen eigenen Willen auf und läßt einer unsichern, uneinigen Vielheit die Macht. Und in entscheidender Stunde der Gefahr läßt er sich zu minderwertigem Geschäft beiseite schaffen, damit die andern, die Vielen, gegen seinen Willen ihr Stück durchsetzen. Hätte ein Geyer vor fünfzig Jahren mit dem preußischen Abgeordnetenhause im Militärkonflikt gelegen, so hätte der treue und gewissenhafte Rechtsfreund die Verfassung nicht gebrochen. Er hätte keiner Indemnität bedurft, aber auch kein Königgrätz, Sedan und Versailles erreicht. Bei Geyer denkt man an einen andern Mitbegründer des neuen Deutschen Reichs, der, um Napoleons gehässiges Wort auf die Deutschen hier anzuwenden, ein Ideolog war und doch ein Held des Krieges. Wie wenig eins das andere ausschließt, hat der moderne Dichter an Geyer mit psychologischer Schärfe dargestellt. Denn auch die lange, derbdeutsche Strafpredigt auf dem gescheiterten Landtag in Schweinfurt endigt mit einem heldenmütigen, tatkräftigen, nur schon zu späten Entschluß. In Rotenburg hatte Geyer die Waffen abgelegt, weil nichts mehr zu hoffen schien. Jetzt ist noch weniger zu hoffen, und doch ergreift er mit seinem alten Feldruf »Gen Würzburg« wieder das Schwert zum letzten Verzweiflungskampf um Leben und Tod. Noch eh' er, begleitet von den Treugebliebenen und einem wieder Treugewordenen, dem reuigen, rührend lächerlichen Jakob Kohl, davon schreitet, umfaucht ihn sichtbar schon ein Hauch des Todes. Er läßt seinen Löffelholz im Sterben zurück. Er rückt in ein Feld, wo er eines Feldschreibers nicht mehr bedürfen wird.

Während des vierten Aktes sind wir wieder in Kratzers Herberge am Markt zu Rotenburg. Der Ort ist derselbe, aber wie anders die Stimmung! Ringsher brennen die Dörfer. Der Glutschein steigt über die nächtlichen Dächer der Stadt. Es ist schwül und verzagt. Unter den Bürgern Rotenburgs herrscht eine reaktionäre Strömung. Die kleinen selbstischen Interessen kommen zum Vorschein. Man will Fried im Land und sich ducken. Der Harnischweber Kilian, der zuvor hübsch bäurisch war, überlegt jetzt, wem er denn noch Harnische weben soll, wenn es keine Ritter mehr gäbe. Man petitioniert um Wiedereinführung der alten Kirchenbräuche. Das heimliche Treiben in Kratzers Wirtshaus wird von der Gegenpartei argwöhnisch beobachtet. Kratzer selbst ist überaus ängstlich geworden. Er verteidigt sich mit dem echten Geldverdienerwort: »Ein Wirt ist allweg ein Freund seiner Gäste. So bin ich des Karlstadts Freund gewest.« Kunden, denen er nicht recht traut, gönnt er seinem Konkurrenten. Ein klägliches, feiges Pfahlbürgertum macht sich breit. Nur eine Minderheit vertraut noch auf den Götz und den Geyer und läßt sich von herumziehenden Spielleuten die neuen Volkslieder auf diese Helden vorbänkeln. Die Gegenpartei antwortet mit Spottliedern auf Thomas Münzer und Martin Luther.

Der Standhaftgebliebenen Hoffen richtet sich auf den Schweinfurter Landtag. Als Geyer von Rotenburg nach Schweinfurt geritten war, scheint die schwarze Marei in der Herberge zurückgeblieben zu sein. Während Gevatter Schuster und Schneider sich »kleines Lauts« zur Ruhe trollen, liegt sie wieder hinten auf ihrer alten Bank und schläft. Aber ihre Träume stehen in der Feldschlacht bei Geyer und seinem Tellermann. Sie ist nicht das einzig Unheimliche in der jetzt so unwirtlichen Herberge. Wie aus der Nachtluft gebildet, steht plötzlich vor dem erschreckten Wirt sein gefährlichster Gast, Andreas Karlstadt, der Bilderstürmer. Eine ganz gescheiterte Existenz! Mutlos und unwillkommen kehrt er von Würzburg zurück, das sichtbare Gespenst einer verlorenen Sache. Er spricht jetzt das Wort aus, worin sich die ganze Tragödie spiegelt: »Hat ein Aussehen gehabt, als sollte der Frühling hervorkeimen, allenthalben, ist aber alles wiederum verfaulet in Finsternis!« Karlstadt ist nicht der einzige, der in dieser düstern Nacht die Herberge des armen Kratzer heimsucht. Von Marei sofort aus dem Schlafe heraus von weitem erkannt, kommt Geyer mit anderen Abgeordneten, darunter Menzingen und Rektor Besenmeyer, vom Schweinfurter Landtag zurück. Unverrichteter Sache! Gegen Würzburg, wo nach Karlstadts Äußerung die Hölle ist, Leute anzuwerben, um seinen schwarzen Haufen wieder herzustellen, ist auch vergebliche Mühe gewesen.

Still in sich gekehrt, sitzt er wieder an Kratzers Tisch, auf den seine verlorene Hand Kreidefiguren hinmalt, während seine Gedanken um das deutsche Schicksal kreisen. Wir kennen diese Situation schon, aber wir sehen jetzt tiefer in sein Inneres. Sein Lebenszweck schwindet. Sein Traum verschäumt: »Der heimliche Kaiser muß weiterschlafen, die Raben sammeln sich wieder zu Haufen.« Und doch ist noch ein Strohhalm, nach dem dieser Bestmeinende greift. Einer steht noch im Feld wider den Truchseß, freilich der Unberechenbarste von allen. Der Berlichinger. Aber doch lebt an diesem Gedanken aus seiner stillen Schwermut etwas auf wie Galgenhumor und Ironie. Tändelnd scherzt er mit seiner hundstreuen Dirne, deren lange Strähnen dem Ketzer lieber sind als das Haar der allerseligsten Jungfrau. Er lächelt über die Verdächtigungen seiner Feinde, die ihn für einen Anhänger der Franzosen ausschreien. Sein weit und frei gebliebener Blick, der mir manchmal das Nächste nicht sah, sucht über den großen Wassern das neu entdeckte Land, und während sich die Propheten um ihn her, der Humanist und der Bilderstürmer, durch gelehrte Disputationen über das Seinsollende die ängstliche Zeit vertreiben, erwacht in ihm das Weltkind. Er begehrt Musik und Tanz. Da plötzlich unterbricht ein anderer Ton dieses ganze müßige Brüten über ein gesuchtes und nicht gefundenes Glück. Der schwerverwundete, sterbende Tellermann, den Stumpf einer schwarzen Fahne in der Hand, stürzt taumelnd im irren Fieberwahn herein. Bei Königshofen ging wieder eine Schlacht verloren. Götz hat Verrat geübt. Dieser Todeskampf Tellermanns mitten unter denen, mit denen er zusammenhielt, ist die mächtigste Szene im Drama. Es ist, als müsse nun jeder einzelne in sein Grab steigen. Der Herbergswirt verbrennt alle kompromittierenden Schriftstücke. Karlstadt betet inbrünstig zum Gott seiner Auslegung. Der Rektor Besenmeyer fühlt sich einen alten Mann geworden. Menzingen sieht den langen Todeszug der Brüder. Wir werden keinem von ihnen mehr begegnen. Nur Geyer nimmt noch einmal den stummen Dienst seiner Dirne in Anspruch. Er läßt sich noch einmal den schwarzen Harnisch umlegen und trägt sein Letztes in den letzten Kampf. Jetzt, da er einer göttlichen Sache gedient hat, will er keinem König mehr dienen. Er ist schon dem Grab vertrauter als dem Diesseits. »Wo ist man die erste Nacht nach dem Tode?« fragt er. »Bei Sankt Gertrauden,« antwortet Marei. »Wo ist man die zweite Nacht nach dem Tode?« fragt er wieder. »Bei Sankt Michel,« antwortet Marei. »So will ich übermorgen Sankt Gertrauden und über drei Tagen Sankt Michel von euch grüßen.«

Vom alten Bänkelsänger läßt er sich eins der Volkslieder, die über ihn durchs Land zogen, als Nänie singen. Er weint. »Ihr Herren, ich schäme mich nit vor euch. Ich habe nit um mich geweint!« Er lächelt bitter seines Ruhms, seines Segens für Deutschland: »Ich hab gedacht, ich wollt Wandel schaffen. Wer bin ich, daß ichs gewagt.« Er selbst fällt in den Ton der Lieder, die das Volk von ihm singt. Er denkt huldigend der Großen, die ihm vorangegangen sind, des Sickingen und des Hutten. Sein Feuer flackert noch einmal auf. »Lustig Brüder! Warum sollen wir nit lustig sein? Die heilige Agathe ging zum Märtyrertod als wie zum Tanz. Das heilige Mädchen Anastasia verachtete den Tod, und wir sind Mannskerle.« Mit so grimmem Humor nimmt er Abschied von den Brüdern. Er nimmt Abschied vom toten Tellermann, der noch immer den Fahnenstumpf fest umklammert hält: »Willst sie nit hergeben? Ei, Bruder, gib dich zufrieden. Auf Bauernehr, Bruder! Ich will ihr so treu sein wie du.« Wie zu Schweinfurt mit seinem Löffelholz, so ist jetzt mit seinem Tellermann ein Stück des eigenen Selbst von ihm abgestorben. Löffelholz war freilich nur sein Federkiel. Tellermann ist der Griff seines Schwertes gewesen. Von Geyers schwarzem Haufen, seinen »Dunkelknaben« bleibt nur noch Geyer selbst übrig.

Im fünften Akt sind wir im Schloß zu Rimpar, unweit Würzburgs, auf dem Herrnsitz Wilhelms von Grumbach. Die Grumbachischen sind in großer Ängstlichkeit. Mit den Bauern und Florian Geyer ist es aus, und der Schloßherr hat sich in seiner Gier, vom besiegten Bischof Land und Leute zu erschnappen, so weit blosgestellt, daß nun vom Zorn der Sieger Übles zu befürchten steht, und die Annäherung an den Schwäbischen Bund, die Versöhnung mit dem gegen Würzburg ziehenden Truchseß Schwierigkeiten macht. Frau Anna von Grumbach, die harte und doch feige Huttentochter, ein Kind ihrer wilden Zeit, leidet an bösen Träumen, und ein altes Weib vermag ihr mit seinem Aberglauben nur wenig Trost zu schaffen. Der Schreiber Sartorius wird höchst übel aufgenommen, und wie bedenklich jetzt die Verschwägerung mit dem berüchtigten Geyer ist, tritt der Schloßfrau in unheimlicher Körperlichkeit vor Augen.

Die schwarze Marei sollte der uns unbekannt gebliebenen Gemahlin Geyers eine letzte Botschaft bringen. Sie sucht diese ängstliche Dame, eine Schwester Grumbachs, vergeblich im Schloß ihres Bruders und steht nun trotzig, doppelt trotzig, weil sie von ihr mißhandelt wurde, vor Anna von Grumbach. Wieder ist Marei der schwarze Schatten, der dem Schicksal ihres Helden voranzieht. Denn hier auf Grumbachs Schloß wird sich das Schicksal Geyers erfüllen. In nächster Nähe, beim Dörfchen Ingolstadt, haben die Bäuerischen ihre letzte Schlacht verloren. Geyer war dabei gewesen. Ist er gefallen oder lebt er? Ein hoher Preis steht auf seinen Kopf. Ins Schloß des Schwagers stürmt ein Rudel Ritter, ihn zu suchen. Es sind jene Ritter, die wir in ganz anderer Stimmung zu Würzburg beim Bischof und dann in der Kapitelstube kennen gelernt haben. Sie mißtrauen ihrem Freunde Grumbach und kehren bei ihm zu einer regelrechten Haussuchung ein. Unter ihnen befindet sich der Schloßherrin Bruder, Lorenz von Hutten, der verwandtschaftlich warnt und doch auch sucht. Aber stärker als jener kriminalpolizeiliche Trieb ist die Gier der Ritter, ihren Siegesrausch schwelgen zu lassen. Durch Speise und Trank setzt sich Grumbach bei seinen Standesgenossen wieder in besseren Kredit.

Rasch, für so geübte Frühstücker zu rasch, herrscht allgemeine Bezechtheit, und sie treiben mit dem armen, gefangenen, aufs ärgste mißhandelten Bauernvolk ein so schnödes Spiel, daß die Zuschauer im Deutschen Theater diese grausame Szene nicht ertrugen. Während nebenan bis zur Bewußtlosigkeit gebechert wird, schleicht auf heimlichen Wegen, zu Tod ermattet, allein, Geyer herauf. Wie er gerade hierherkommt, wo ihn am allerehesten das Verderben treffen kann, weiß er selbst nicht. Er ist nun auch so weit, wie vor ihm sein Löffelholz und dann sein Tellermann. Er hält sich schon für tot. Auf der Stelle, die ihm zum Sterben bestimmt ist, trifft ihn sein Schatten, die schwarze Marei. Derselbe Wein, der nebenan seine Todfeinde aus den Siegesbechern berauscht, erlabt ihm noch einmal die ausatmende Seele. Vom entsetzten Schwager, der nun doch den Vogelfreien herbergt, erbittet er nichts anders als »ein Stündlein Schlafes«. Es ist der letzte Lebenswunsch dessen, der sich selbst schon für tot gehalten hat. Grumbach kann diese Bitte nicht weigern: er versteckt ihn, aber er duldet, daß ihn sein Weib, die entartete Huttentochter, den Rittern verrät. Und nun erhebt sich ein tragisches Possenspiel, eine Szene von weltgeschichtlicher Diabolik. Nur schwer ernüchtert die betrunkenen Ritter der Anblick des einen, dem sie den Tod geschworen haben. Und der sterbende Mann schreckt sie noch ebenso wie ehedem. Seine Dirne, die Marei, in ihre gezückten Schwerter fallen zu lassen, war im Nu getan. Aber gegen des einen eignes Schwert die Klingen zu heben, wagt keiner dieser Kavaliere. Statt gegen ihn loszuschlagen, redet man ihm gut zu, sich zu ergeben. Man erweist ihm unfreiwillig mit dieser Scheu die größte Ehre, die er je erfahren hat. Nun fühlt er noch einmal die Lebenskraft in sich: Einer gegen viele, die ihn fürchten. Kein Ritter kann ihn mehr verraten, kein Bauer kann ihn mehr verlassen. Sein Tellermann, seine Marei sind tot. Er steht allein, und sie fürchten ihn. Noch einmal reicht sein Atem aus zu jenem Goethe-Götzischen Hohngelächter. Noch einmal stößt ihm aus der Brust das donnernde Feldgeschrei seines verwehten schwarzen Haufens, der Heerruf, den auch die Ritter verstehen, der Heerruf »Her!« Die Ritter, die sich kurz zuvor über ein zusammengelesenes, schlotterndes Häuflein eingefangnen Bauerngesindels so mutig, so tierquälerisch belustigt hatten, denen das Niederstechen eines wehrlosen Weibsbildes gar nichts gewesen war, stecken die Köpfe zusammen, und Florian Geyer müßte wohl am eignen Kummer sterben, wäre nicht der Schäferhans da, jener frumbe Landsknecht, der jetzt im Solde Grumbachs steht. Er hat die Stunde von Rotenburg nicht vergessen und läßt sich das verhaßte Haupt seines Züchtigers gern bezahlen. So fliegt über die ratlosen Schädel der Ritter hinweg, geräuschlos, unverhofft, in die Brust des Gefürchteten der Mordpfeil eines gemeinen Söldlings, der sich diesen Meisterschuß mit Gold bezahlen läßt. Und während die Ritter noch der erlegte Löwe ängstigt, macht sich Schäferhans wie ein Schlächtergesell, der sein Handwerk versteht, über den Toten her. Den opferwilligsten Freund des Volks hat ein Pöbelknecht umgebracht. Und nun geht ein Aufschrei der Befriedigung durch die ritterliche Runde. Nun schachert man um das Schwert des Ermordeten. Und der die frohe Botschaft: Florian Geyer (der Bauer gewordene Ritter) ist tot, am frühesten und lautesten in die Weite schrie, ist jener lächerliche Kunz von der Mühlen (der Ritter gewordene Bauer).

Hier ist die Stelle, an den großen Menschengestalter zu denken, der seit dem Jägermoritz seinem oberschlesischen Landsfreunde Gerhart Hauptmann immer die besten Dienste geleistet hat. Vor vielen Jahren haben wir den Amerikaner Edwin Booth bewundert, wie er es verstand, in einundderselben gewaltigen Szene heute als Jago das Gift der Verleumdung zu spenden, morgen als Othello es zu empfangen. So hat in dieser großen Szene des Geyerdramas während jener ersten Vorstellungen Rudolf Rittner den mordenden Schäferhans verkörpert und zehn Jahre später, als Otto Brahm wieder einen Versuch mit diesem Stück machte, dem gemordeten Florian Geyer selbst Blut und Leben, Geist und Herz und Seele gegeben. Als Schäferhans hatte Rittner den Florian Geyer getötet, später hat er ihn lebendig gemacht. Wer diesen Florian Geyer mit dem Schwert in der Faust, eine Heldenkraft im Letzten, sah und hörte, wird es nie vergessen. Wer es nicht sah, bekommt eine Ahnung davon aus dem Gemälde Lovis Corinths.

Mit seinem Helden endet der Bauernkrieg. Wie groß dieser Held war, sagen am deutlichsten seine Todfeinde: »Wo aber der Geyer sich aus dem Handel schleift, so haben wir den Bundschuh zum andernmal, bevor ein Jahr ins Land gehet.« Der Krieg aber war doch größer als sein Held. Es ist nicht so unrichtig, wenn ihm sein Schwager Grumbach zuletzt sagt: er habe sich vermessen, den Fürsten und Pfaffen aufzuspielen, daß sie sollten das Tanzen lernen; aber er kunnt nit recht spielen und so schlug man ihm die Laute am Kopfe entzwei. Darin liegt in Geyers Leben die Tragik. Aber auch woran es ihm fehlte, führt ihn uns nah. Jene Zeit bedurfte eines Bismarck, und Florian Geyer war eine Kaiser-Friedrich-Natur, wenigstens wie sie in der liberalen Legende fortlebt.

Die Zeit hat sich ohne Geyer weiter entwickelt. Es konnten über das erste Viertel des 16. Jahrhunderts gründliche, gediegene und gerechte Geschichtswerke verfaßt werden, ohne daß Geyers Name darin genannt wurde. Das Drama Gerhart Hauptmanns straft diesen historischen Standpunkt nicht Lügen. Denn wohin Florian Geyer seine Hand auch strecken mag, überall findet er einen Stärkeren gegen sich. Als Kaiser Max, das romantische Vorbild seiner Schwärmerei, gestorben war und ein neuer Kaiser über die Welt kommen sollte, stand Geyers Herz bei einem landesflüchtigen Schwabenherzog, aber die Krone erhielt der spanische Karl. Im Felde steht gegen ihn kein Edlerer, aber ein Rücksichtsloserer, kein Kühnerer, aber ein Mächtigerer: der blutige Truchseß an der Spitze des Schwäbischen Bundes. Geyers Ehrlichkeit führt ihn zu falschen Entschlüssen, und gegen ihn stehen Verräter auf, wie der Markgraf Casimir, der Berlichinger, der Grumbacher, die recht behalten. Aus seinem Adelsstande treibt ihn die Roheit des Raubrittertums, und als er sein Herz dem unterdrückten Volke preisgibt, befleckt sein reines Edelmannskleid der Pöbelschmutz der Bauern. Im Kampfe für die religiöse Freiheit steht ihm zur Seite der kunst- und kulturfeindliche Eifererwahn eines Karlstadt, während Martin Luther seine eigne Bauernfaust gegen die Sache hebt, der sich Florian Geyer zugeschworen hat. Luther wollte überwucherndes Unkraut ausrotten, und unter das Unkraut fiel, von seiner derben Hand gebrochen, ein Edelgewächs. Das Drama deutet auf einen jener dämonischen Helden hin, an denen die Menschheitsgeschichte reich ist. Jeder Sieg gegen die Bäurischen gewinnt in den Städten dem Katholizismus neue Renegaten. Aber auf den Ritterburgen, die Geyer aus Gleichheitsprinzip alle zerstören wollte, berufen sich seine Feinde, die Herren von Hütten und von der Mühlen, auf den Reformator Martin Luther und seinen Bauernbrief. Luthers Wort ist schließlich das Mächtigste, das aufsteht gegen den Freund des Evangeliums, gegen den Freund der leidenden Menschheit, der in seinem Gerechtigkeitsgefühl nicht stark genug durchgriff und doch auch weiter ging, als die gerechte Sache es vertrug. Was er wollte, die Vollstreckung der »Zwölf Artikel«, hat sich später erfüllt. Die Zeit des Faustrechts war diesem Ideale noch nicht reif. Und in die Zeit der eigenmächtigen Ritterfaust fiel das Wünschen Geyers, der doch auch andererseits ein Kind jener Zeit war, wo die Köpfe so locker auf den Schultern saßen, und Englands Herrscher eine Schöne nach der anderen zuerst in sein Ehebett und dann aufs Schaffott steigen ließ. Geyers Blut floß dahin, aber es half den Boden der Zukunft tränken.

So steht die Gestalt im Drama vor uns. Aber wie der historische Florian Geyer im Dunkeln bleibt, so tritt auch im Drama seine Gestalt nie ganz in den Vordergrund. Wir sind nie ganz allein mit ihm; Gerhart Hauptmann haßt im realistischen Drama die Monologe und hat ein anderes Ausdrucksmittel für das, was im »einsamen« Menschen vorgeht, noch nicht gefunden. Aber er zeigt seinen Helden auch nicht einmal im vertraulichen Zwiegespräch. Der Held steht immer vereinzelt unter vielen; er soll immer im Umrisse seiner Zeit erblickt werden, und es ist kaum zu bezweifeln, daß seinen Dichter die Zeit mehr interessierte, als der Held selber. Auf sein Weberdrama ließ er sein Bauerndrama folgen. Wie dort, so geht auch hier durch das ganze Stück der große Zug des sozialen Mitleids. Soziales Mitleid erweckt man nur durch Wahrhaftigkeit in der Darstellung mitleidswürdiger Zustände. Auch im historischen Drama ist Gerhart Hauptmann seinem konsequenten Realismus treu geblieben, und hier mehr als je hat er bewiesen, wie unendlich reich der konsequente Realismus sein kann, und daß er auch ein so romantisches Wesen wie die schwarze Marei in sich begreift. Gerade in ein so insubstanzielles Wesen kann sich der konsequente Realist verlieben. Im historischen Drama ist der konsequente Realismus nichts anderes als historische Treue, und wenn man gegenüber modernen Naturalisten zwischen niederer Wirklichkeit und höherer Wahrheit einen Unterschied zu machen beliebte, so hat Hauptmann hier bewiesen, daß dieser Unterschied nicht stofflich, sondern formal zu verstehen ist. Die niedere Wirklichkeit beschränkt sich auf das, was wirklich geschehen ist, auf die zufällige Tatsächlichkeit. Die höhere Wahrheit aber greift in die weite Fülle von Möglichkeiten hinein und stellt sich nur selbst die prüfende Frage, ob dieses und das so und so hätte geschehen können. Die exakte, pragmatische Geschichtsforschung muß sich in diesem Sinne mit der niedrigen Wirklichkeit begnügen. Den Dichter hindert sein konsequenter Realismus nicht, in jenem Sinne die höhere Wahrheit zu suchen. Neben historische Wirklichkeiten, wie den Bischof von Würzburg, Grumbach, Götz, Karlstadt stellt er andere, deren Namen er zwar in Chroniken fand, denen er aber das Fleisch und Blut selber geben muß, wie Tellermann, Kratzer, Anna von Grumbach, Jakob Kohl und zum großen Teil auch Florian Geyer. Was sich seiner Beobachtung entzieht, gestaltet er frei im Sinne dieser Beobachtung. Was er findet, verwendet er, und wo er nichts findet, erfindet er im Sinne des Gefundenen.

Über den historischen Götz gibt es einen Gelehrtenstreit: Zoepfl verteidigte ihn, Wegele griff ihn an. Durch eignes Studium ist Hauptmann zu der Überzeugung gelangt, daß Götz nicht die Gestalt war, die Goethe aus seiner Selbstbiographie herausempfunden hat. Der moderne Dichter hält sich daher für verpflichtet, Götz so zu zeichnen, wie ihn sein historischer Blick erkannt hat. So darf der Dichter über Historiker, die ihm nachweisen, daß sich die Situationen nie begeben haben, daß die und die Worte nie gefallen sind, die und die Leute nie existiert haben, lächeln und an ihrer Unpoesie vorbeigehen. Aber er wird ernsthaft aufhorchen, wenn ein tieferer Kenner jener Zeit ihm sagen sollte, die und die Situationen hätten sich damals nie begeben, die und die Worte nie fallen, die und die Leute nie existieren können. Liegt für diesen Vorwurf kein Grund da, so hat er auch künstlerisch gewonnenes Spiel. Denn was er wollte, hat er dann erlangt, und wir hätten wieder ein Beispiel dafür, wie reich und frei die dichterische Phantasie auch innerhalb der realen Möglichkeiten walten und wirken kann.

Bauern, Bürger, Ritter, Mönche, Landsknechte, fahrende Leute – es gibt ein Getümmel und ein Gewimmel, und zunächst geht, wie bei einem richtigen Volksauflauf, alles wirr durcheinander. Wer aber näher hinsieht, unterscheidet immer deutlicher die einzelnen Gesichter. Aus jedem Gesicht schaut ein Wesen heraus. Der anfangs so mühsame Gang durch diese sechs Räume des Dramas belohnt mit der Bekanntschaft von einem halben Hundert lebendiger Menschen.

Mit der Menschengestaltung aber begnügte sich der Dichter nicht. Er hat auch den unsichtbaren Geist der Zeit getroffen, in die sich sein Interesse versenkte, die Luft der Zeit. Dazu braucht er allerdings eine sehr breite Ausmalung, ein liebevolles Arbeiten ins einzelne, die ganze Buntheit einer nicht nur äußerlich, sondern auch im tiefsten Wesen bewegten Welt, welche Schicksale und Menschenleben durcheinander wirft, ohne viel zu fragen, was ihnen der nächste Augenblick bringen wird. So scharf der Dichter den einzelnen ins Auge faßt, so leicht läßt er ihn laufen, weil ihm das Ganze mehr gilt als der einzelne. Das Individualisierungsbedürfnis Gerhart Hauptmanns ist hier zu einer typischen Kunst zurückgekehrt, die schon in den »Webern« vorhanden war. Aber dadurch, daß wir an die Webertypen näher herangeführt wurden, mehrten sich dort die individuellen Züge, und wir hatten mit den Personen ein intimeres Mitgefühl. Die Mehrzahl der Vierundsechzig um oder gegen Florian Geyer wird uns nur durch das Ganze, zu dem sie gehören, interessant. Schauspieler, auch gute Schauspieler, können nicht allzuviel damit beginnen, und auf solcher Höhe steht unsere Schauspielkunst nicht, daß sie aus sechzig bis siebzig Atmungsorganen die Temperatur und den Dunst einer bestimmten Welt sichtlich, hörbar, greifbar darstellte. Deshalb mußte auch der zweite Bühnenversuch trotz Rudolf Rittner scheitern. Aus den Zeilen des gelesenen Buchs strömt das alles zu; mit einer wahren Entdeckerfreude begrüßt man immer neue Eindrücke. Die außerordentlich mühevolle, mit größtem Apparat arbeitende Bühnenvorstellung hat zwar einzelne lebendige Vorgänge gewiesen, aber von dem Hauch über den Dingen, von einer Übersinnlichkeit aus Sinnlichem konnte man wenig spüren.

Die wechselnde Stimmung des Dramas läßt sich in Worte des Rektor Besenmeyer fassen: »Wie fing sich der Handel so glücklich an und wie fast gewaltig, und wie gehet es gar so kläglich aus.« Der langsame Niedergang der bäurischen Sache von einem Scheintriumph ins tiefste Elend stellt sich stückweise dar. Wir erleben nicht die entscheidenden Ereignisse, sondern wir belauschen den Eindruck, den die Meldung dieser Ereignisse auf Beteiligte macht. Wir sehen nicht handeln, sondern wir sehen leiden, Freud und Schmerz erleiden. Wir haben Entschlüsse vor der Tat und Stimmungen nach der Tat. Im Buch wirkt das alles wie das Leben selbst. Denn große Ereignisse tragen sich nicht bloß zu, sondern sie haben auch ihre Voraussetzungen und Folgen. Die Bühne aber verhält sich gegen diese Art der Darstellung spröd, und es ist dem Dichter hier nicht gelungen, die Spröde zu gewinnen. Er wollte sie nicht durch einen festen Griff um die Hüfte, sondern gleichsam durch Überredung zwingen. Es ist ein parlamentarischer Grundzug in diesem »Florian Geyer«. Eine Debatte löst die andere ab. Wirtshausgespräche, Disputationen, Landtagsverhandlungen erörtern immer dasselbe Thema: die schwere Not der Zeit. Botenberichte melden, was geschehen ist oder was geschehen wird. Das Wichtigste und Entscheidendste erfahren wir nicht durchs Auge, sondern durchs Ohr. Diese Tragödie ist ein Drama des Hörensagens, und darin liegt künstlerischer Widerspruch, denn fürs Ohr ist das Epos, das Drama im Schauspielhaus ist fürs Auge. Es ist fein zu lesen, aber schwer auf der Bühne herauszumerken, wie jeder seine Sondermeinung hegt und bald mit diesem, bald mit jenem »Bruder« in Zwist gerät. In jedem der sechs Akte wird gewissermaßen von neuem eine Sitzung eröffnet: bald zu Würzburg, bald zu Rotenburg, bald zu Schweinfurt und zuletzt, im handlungsreichsten Schlußakt, wo so viel Entsetzliches geschieht, und der doch auch mit Hin- und Herreden beginnt und im Momente höchster dramatischer Spannung noch lange Erzählungen vollzogener Geschehnisse einflicht, auf Schloß Rimpar, der Schädelstätte Florian Geyers. Vorwürfe, Klagen und Fragen, Schmähworte sind der Grundton dieser Diskussionen. Aber was im Buch durch die Überfülle der abwechslungsreichsten Details frisch und lebendig wirkt, wirkt auf der Bühne durch die Entfernung der bühnenwidrigen Details monoton.

Ein anderer Übelstand ist, daß wir gerade den Hauptakteurs am fernsten bleiben. Wie Geyer selbst im Vorspiel durch einen gleichgültigeren Gesinnungsgenossen vertreten wird, wie er in allen fünf Akten mit auffallender Regelmäßigkeit immer erst in der zweiten Akthälfte erscheint und dann immer entweder vor oder nach der fälligen Tat steht, so treten seine mächtigsten Widersacher, der Truchseß von Waldburg, der Bundeskanzler Eck, später Martin Luther überhaupt nicht auf. Auch Götz bleibt bloß in einer einzigen Szene auf der Bühne und spricht hier als einer unter vielen nur wenige Worte; dann hört man auch von ihm und seinen Sünden immer nur sagen. Auch damit man die episodische Figur Karlstadts, damit man Lorenz Huttens Haß gegen den ebenfalls unsichtbar bleibenden Ulrich von Württemberg, den Geyer zum deutschen Volkskaiser machen wollte, ganz verstehe, genügt das Drama nicht allein, sondern man muß, ein schwerer künstlerischer Einwand, seine eigenen Geschichtskenntnisse zu Hilfe nehmen.

Wie in den »Webern«, so treten auch hier in jedem Akt neue Leute auf. Andere, die Interesse erregt haben, wie der Würzburger Bischof und sein Hofmeister, verschwinden auf Nimmerwiedersehen.

Zweimal werden wichtige Vorgänge dem Publikum erst durchs Fenster vermittelt. In der Würzburger Kapitelstube sieht man durchs Fenster den Eintritt Geyers in die Stadt, und in Rotenburg redet Geyer durchs Fenster der Wirtsstube zum Volk, das unsichtbar auf der Straße steht. Das ist auch für das Verhältnis des Publikums zu diesem Drama charakteristisch. Die dramatischen Vorgänge selbst tragen sich auf der Straße zu, das Publikum sieht nur in eine Stube hinein und soll den Leuten, die durchs Fenster gucken, alles aufs Wort glauben. Dieses dramatische Grundgebrechen zu heilen, wird die Fülle lebensvoller, tief menschlicher Details vielleicht erst fähig sein, wenn des Dichters Name literarhistorisch gebucht ist.


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