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VI

Die Weber

Den Mahnruf des Schillerschen Attinghausen hat niemand bisher treuer befolgt als der Dichter der »Weber«. Aber wenn Attinghausen, der Politiker, mahnt: »Ans Vaterland, ans teure, schließ dich an,« so hat sichs unser Dichter in sein eigenes Gefühl umgesetzt. Nicht im Vaterlande, sondern in der Heimat liegen für diesen Dichter die starken Wurzeln seiner Kraft, die ihn vermögen, den ganzen Weltraum zu umfassen.

Gerhart Hauptmann hat an seiner schlesischen Erdscholle festgehalten. Er hat sich seit Jahren wieder in den Bergen der Heimat unter den Dorfbewohnern des Riesengebirges auf eigenem Grund und Boden häuslich niedergelassen. Zuerst in Mittelschreiberhau, wo sich die innigen Beziehungen von Hohenhaus noch fortsetzten, dann mit der zweiten Gemahlin, Margarete geb. Marschalk, und dem goldlockigen, pagenhaften Sohne Benvenuto auf seiner Villa Wiesenstein in Agnetendorf. So weit und so oft ihn der Wandertrieb auch in die Ferne zog, dort in den grünen Tälern ist sein Herd und sein Hof, sein Hort und sein Halt. Dort träumt er sich sein Festspielhaus. So wird er auch als Dichter von manchen Ausflügen in Raum und Zeit immer wieder heimkehren. Im Sonnenaufgangsdrama hat er seine Landsleute nicht glimpflich behandelt. Aber nie ist von einem Dichter der Naturlaut des Heimatvolks treuer erlauscht worden, als von ihm. Uns allen hat er diese rauhen Töne mit ihren dumpf und dunkel ausklingenden Vokalen, ihren gepreßten Konsonanten wert und vertraut gemacht. In beiden Familiendramen reden die Mütter, Mutter Scholz und Mutter Vockerat, in mehr als einem Sinn des Dichters eigene Muttersprache. Bei der Diebin des »Biberpelzes«, bei Hanneles Dorfgenossen, bei Rautendeleins Buschgroßmutter, beim Fuhrmann Henschel und bei Rose Bernd wird sich das gleiche wiederholen. Aber in diesen oft zufälligen, oft sogar eigensinnigen Abweichungen zum schlesischen Dialekt erschöpft sich nicht das Heimatgefühl des Dichters. Ihn ergriff auch die Tragödie seines Stammes. Den Weberenkel ergriff das düsterste Kapitel aus der sozialen Geschichte seiner Provinz.

Zu Ende des achtzehnten Jahrhunderts war sein Urgroßvater als armer Weber aus Böhmen über das Gebirge gekommen und hatte sich in Herischdorf bei Warmbrunn zur Handarbeit festgesetzt. Von den vier Söhnen dieses Alten war auch Gerharts Großvater, Karl Ehrenfried, bis er 1813 in den Krieg zog, Weber gewesen. Als dieser bereits im Wohlstande war, wußte er aus frühen armen Tagen dem eigenen Sohne Robert manches zu erzählen. Und Herr Robert Hauptmann hat dies alles seinen Knaben weitergemeldet. Der jüngste horchte dann achtsam auf. Früh prägte sich seinem Gemüte das Mitleid ein mit diesem hundertjährigen Todeskampf ums tägliche Brot. In der Erinnerung an die alte Familienüberlieferung hat er darum sein Weberdrama dem Vater gewidmet.

Die Zeit dieses Dramas ist weder die gegenwärtige noch die, in der des Dichters Vorfahren hinter dem Webstuhl saßen. Sie liegt zwischen heute und dazumal. Das Drama ist »ein Schauspiel aus den vierziger Jahren«. In den Schankstuben hängt das Bildnis Friedrich Wilhelms des Vierten, und wenn der Dichter es im Öldruck vor sich sieht, so ist das ein ebenso verbesserungsbedürftiger Anachronismus, wie wenn er den biedermeierisch gekleideten Bourgeois auf Gummirädern fahren läßt. Gummiräder und Öldruckbilder gab es damals in schlesischen Weberdörfern noch nicht. Was es aber schon gab, war, die Not ums Brot. Diese Not war damals sogar am höchsten. Und daß Gottes Hilfe am nächsten sei, glaubten unter den armen Webern nur die, die für sich selbst bald den Himmel erhofften, die frommen Alten, zu denen vormals des Dichters Urgroßvater gehört haben mag.

»Die Weber« oder, wie das Werk in der eigentlichen und ursprünglichen, weit vorzuziehenden Dialektausgabe heißt, »De Waber«, sind ein geschichtliches Drama, dessen Stoff mit großer Treue aus historischen Quellen geschöpft ist. Alfred Zimmermann, aus der Schule Schmollers, veröffentlichte 1885 bei Korn in Breslau ein Buch über »Blüte und Verfall des Leinengewerbes in Schlesien«. Es beginnt mit den Anfängen der schlesischen Dorfweberei, die noch vor dem dreißigjährigen Kriege liegen, und führt bis zu den Wirkungen des Zolltarifs von 1885. Schon aus diesen wissenschaftlichen Erörterungen schaut von Zeit zu Zeit immer wieder dasselbe bleiche, spitznäsige, wundäugige, abgezehrte Menschenangesicht hilfesuchend hervor; eine magere, zittrige Menschenhand scheint sich langend auszustrecken. Es ist die Hand und das Angesicht des alten Weberelends. Alle Wandlungen der Zeit, weder das österreichische Regiment noch das preußische, weder günstige noch ungünstige Handelsverhältnisse, weder Zölle noch Verordnungen waren fähig, die Lage der Weber und Spinner anders als vorübergehend zu bessern. Immer wieder stand in den Türen dieser Armen die Not. Sie war das Erbe, das eine Generation der andern zurückließ. Und von den Vätern vererbte sich auf die stets erstaunlich zahlreichen Kinder auch die Geduld, mit der jene Not ertragen wurde. Nur einmal im Verlauf eines Vierteljahrtausends hob sich die Hand der Armut drohend zum Himmel, und auf den Zügen der Not zuckten Haß und Wut. 1844, im Sommer, kam es im Eulengebirge zum Weberaufstand. »D'r Mensch muß doch a ennzichts Mool an Auchablick Luft kriechen«, läßt Gerhart Hauptmann einen alten Weber sprechen, der sich bald im Taumel dem Troß der jungen Aufrührer anschließen wird.

Diesen Augenblick Luft, diesen Weberaufstand hat Zimmermann in seinem Buch ausführlich behandelt. Zimmermanns Schilderung der äußeren Vorgänge beruht zum Teil auf den Berichten, die sich damals die Vossische Zeitung von Dr. Leopold Schweitzer aus dem Eulengebirge nach Berlin schicken ließ.

Über das »Blutgericht«, jenes plötzlich aus unbekanntem, nie erkanntem Ursprung aufgetauchte Weberlied heißt es hier: »Es ist ein offenes Manifest aller der Klagen und Beschwerden, welche bis dahin nur verstohlen und leise von Mund zu Mund wanderten. In seinen größtenteils wohllautenden und regelmäßig gebauten Versen bricht sich eine drohende Verzweiflung, ein wilder Haß und Grimm besonders gegen das vierte, zuerst angegriffene Handlungshaus aus, welches man offenkundig zu immer höherem Reichtum und Glanze neben der steigendsten Not aufblühen sah. Dieses in jeder Beziehung merkwürdige Dokument enthält neben der Schilderung der Trübsal und des Jammers auf der einen, und der Pracht und Üppigkeit auf der andern Seite überraschend verständige Ansichten und Anschauungen ... Das Lied eilte wie ein Aufruf von Haus zu Haus; es fiel als Zündstoff in die gärenden Gemüter.« Wir finden in diesen Berichten auch eine Schilderung, wie man die Wohnhäuser der Fabrikanten plünderte und zerstörte; Gerhart Hauptmann hat sich bei der Demolierungszene im vierten Akt seines Dramas ziemlich treu an diese Schilderung gehalten.

Aber mit einer Wiedergabe der äußeren Vorfälle nach Zeitungsberichten konnte sich der historische Forscher nicht begnügen. Um die Ursachen der Not und des Aufstandes festzustellen, mußte Zimmermann Einblick in amtliche Aktenstücke gewinnen. Die Staatsarchive und statistischen Ämter haben seiner Arbeit zur Verfügung gestanden, und das Ergebnis ist eine scharfe, zuweilen vernichtende Kritik, die Zimmermann nicht nur an den Fabrikanten, sondern noch mehr an den damaligen zuständigen Staatsbehörden übt. Verglichen mit der Darstellung des Historikers kommt im Drama des Dichters sowohl der Fabrikant als auch die Dorfpolizei noch ziemlich gnädig weg. Und in Hauptmanns Drama findet sich kein Zeichen der Not, kein Ausdruck der Klage, kein Zustand des Hungers und auch keine Äußerung der Rebellion, die nicht geschichtlich belegt wären.

Diese Zustände entwickelten sich bis zur Unerträglichkeit, und weil der Bedrängte nirgends Recht finden konnte, so griff er verzweifelt zur Gewalt. Der Aufstand war nichts anderes gewesen als ein Augenblick des Luftschöpfens. In einem knappen, herben Satze stellt der Geschichtsforscher das Ergebnis fest: »Der Mut der Weber war ebenso plötzlich erloschen, als er aufgeflammt war, geduldig fügten sie sich wieder in ihr altes Elend«.

Diese Vorgänge und dieser Ausgang lagen dem Dichter als Rohstoff vor. Ein Volksbefreiungsdrama, wie Schillers »Tell«, konnte er aus diesem Stoff ohne Verletzung der historischen Treue nicht schaffen. Einem Tellschuß, der in dieser besten der Welten alles zum Besten wendet, hätte unter den schlesischen Webern sowohl der Schütze wie das Ziel gemangelt. Die Flinten preußischer Soldaten schössen ein paar armselige Hungerleider aus der Welt; dann blieb alles beim alten. Der Dichter konnte daher den dramatischen Entwicklungsgang nicht in der sozialpolitischen Aktion finden. Er fand ihn im menschlichen Schicksal. Man hat »Die Weber« ein Drama ohne Helden genannt. Man könnte sie dafür ein Schicksalsdrama nennen. Nicht ein romantisches, sondern ein modernes Schicksalsdrama. Dieses Schicksal schreibt nicht aus höherer gespenstischer Willkür dem Einzelnen seine unabänderliche Bahn vor, sondern es bändigt und bricht mit Naturgewalt die freie Willenskraft einer Gesamtheit. Durch diese Gesamtheit geht vielgestaltig und wandelbar ein geisterhafter, tragischer Held: als seien alle diese spitzen, abgemagerten Weberprofile mit dem Blick auf ihre gemeinsame Not nach einunddemselben Ziel gerichtet; als würfen sie auf das Land ihres Jammers gemeinsam einen einzigen Riesenschatten, das große Profil des Webertypus.

Ergriffen von der inwendigen Gewalt des Dramas suchte Friedrich Spielhagen für seine Ergriffenheit nach einem konventionellen Kunstausdruck und rief: ihr sucht einen Helden? Ich habe den Helden! Der Held ist die Not! Aber ein solches Abstractum pro concreto ist doch nur im eigentlichen Sinn ein Notbehelf. Auf jene Frage nach dem Helden antworten wir: der Held ist das Webervolk, das wahrlich wie ein Held leidet, streitet und fällt.

Der dramatische Held im alten ästhetischen Verstand ist eine überragende Persönlichkeit, die durch ihren eigenen Sinn und Willen mächtig auf die Welt wirkt, die Welt mit sich zieht und dann im Übermaß des Wagens entweder siegt oder untergeht, meist im Siegen untergeht. Was soll ein solcher Kraft- und Einzelmensch in einem Herdenvolk, das immer nur durch dieselbe Not des Lebens geleitet ist, und dem sein Arbeitskittel zur Zuchthausjacke ward? Das ist kein Boden, auf dem sich Individualitäten bilden können. Hauptmann wollte nicht einen Einzelnen zeigen und auf ihn als Paradigma für die andern hinweisen, sondern er führt von Hütte zu Hütte. Er zeigt überall dasselbe Elend.

Und doch sieht er in jedem dieser Weber auch das besondere Geschöpf; aus zahllosen kleinen Individuen, die sich auf verschiedene Körper verteilen, setzt sich ihm der Volkstypus, der Weberheld, zusammen. Im Vater Baumert klagt und wimmert, im Vater Hilse betet und arbeitet dieser Weberheld. Im roten Bäcker flucht er und schlägt um sich, im jungen Hilse schwankt er zwischen Pflicht und Selbstbefreiung, im entlassenen Reservemann Moritz Jäger, der sich in der Welt auskennt, steigt die trotzige Wagelust auf. Sein Heldenmut überschlägt sich. Durch die vielgestaltige Seele dieses Leidensheldentums zieht weckend und werbend die Macht jenes Liedes, das sagt, wie groß ihr Leiden ist. Wie eine Flamme springt das Lied von Dach zu Dach, von Hirn zu Hirn, und endlich lodert das ganze Land in der Feuersbrunst. Doch die Flammen des Aufruhrs werden niedergetreten. Am Webstuhl des frommen Greises, der seine Not zum Himmel schrie, aber auf Erden von keiner Blutschuld beladen sein wollte, stirbt betend und arbeitend der Weberheld. Vor dem Erschossenen steht fragend, im bangen, ahnenden Zweifel verzagt aufschluchzend ein unschuldiges Kind. Es verstummt vor der halb verstandenen Größe dieses Ahnenschicksals und zögert, den Weg in die Zukunft, den alten Weberweg, weiterzugehen.

Wenn dieses kleine Mielchen Hilse damals wirklich gelebt hätte und noch heute nicht gestorben wäre, so würde sie jetzt eine Greisin von fünfundsiebzig Jahren sein. Sie müßte sich heute sagen, daß seit Großvaters Zeit in Langenbielau so manches, wenn nicht besser, doch anders geworden ist. Aus den Handwebern sind zumeist Fabrikarbeiter geworden, die in festen Backsteinbauten einkaserniert sind. Wer heute durch die beiden Hauptdörfer wandert, merkt auf den ersten Blick nichts mehr vom Notstand eines bestimmten Gewerbes. Wie zwei meilenlange schmale Zeilen recken sich diese Dörfer, Langenbielau und Peterswaldau, von den Vorhügeln des Eulengebirges unabsehbar in die weite, wald- und bergumsäumte Ebene herunter, aus deren Mitte die schlanken weißen Türme des alten, malerischen Städtchens Reichenbach aufsteigen. Durch beide Riesendörfer fließt ein murmelnder, grünumbuschter Gebirgsbach, der von der Hohen Eule her die Weistritz sucht. Rechts und links von diesem freundlichen Bächlein ist je eine Häuserstraße angebaut, die streckenweise höchst vornehm und großstädtisch wirkt. Prächtige Villen der Fabrikanten und Fabrikdirektoren, mitten in alten, schönen Parkanlagen, davor stolze Blumenbosketts, erinnern an einen eleganten Badeort. Der Kontrast hierzu, die elende Weberhütte, fehlt heute schon fast ganz. Erst wenn man oberhalb Peterswaldau höher ins Gebirge hineinsteigt, und wenn sich hinter einem wildromantischen Waldgrunde der Blick auf die weit und breit über das Hügelland vereinzelten Strohdächer von Kaschbach öffnet, merkt man, daß in diesen verlassenen, öden Sitzen noch die Armut kauert. Hier könnte man wohl noch heute dem Vater Baumert begegnen, dessen ausgehungerter Magen kein gebratenes Hundefleisch mehr vertragen kann, oder seinen abgemagerten Töchtern oder den kleinen Barfüßchen seiner unehelichen Enkel. Aber ob Vater Baumerts Urenkel heute noch Weber sind? Ob sie nicht vielmehr südlich von ihren Heimatbergen im Waldenburger Kreise die Kohle muten? Wer durch jene drei Dörfer wandert, die den Schauplatz des Dramas bilden, durch Peterswaldau, Kaschbach, Langenbielau, hat nicht den Eindruck, dem Weberhelden gehe es jetzt besser, sondern der Weberheld sei ausgestorben.

Dennoch hat man das »Schauspiel aus den vierziger Jahren«, als es erschien, mit der Gegenwart in Beziehung gebracht und ihm vorgeworfen, es predige den Aufruhr, es reize die unbefriedigten Massen zur Empörung gegen Recht und Gesetz, es sei umstürzlerischer Tendenzen voll. Derartige Einwände, die häufig zu polizeilichen Verboten der Theateraufführung verleitet haben und erst durch eine weise Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts vom 2. Oktober 1893 widerlegt werden mußten, sind nur aus dem Stoff heraus begründet worden. Niemals konnten sie einen Anhaltspunkt in der künstlerischen Gestaltung finden. In den »Webern« gibt es kein Wort, das irgendeiner bestehenden Partei das Recht gäbe, den Dichter auf ihre Fahne einzuschwören. Es findet sich auch kein Wort, das aus dem Zwange der Situation herausfiele und von der Person des Dichters gesprochen wäre. Als das Stück auf der Neuen Freien Volksbühne vor einem Berliner Arbeiterpublikum aufgeführt wurde, konnte man beobachten, wie wenig gerade dieses Publikum von den Vorgängen unmittelbar erregt wurde. Erst im dritten Akt bei einigen Bosheiten gegen die Polizei wurde die lange vergeblich erhoffte »Tendenz« unter Heiterkeit begrüßt, und erst die Demolierung am Schluß des vierten Akts tat ihre unmittelbare Schuldigkeit. Aber gerade dieses Publikum schien die zündenden Schlagworte zu vermissen; die Brandreden, deren unverblümte Wörtlichkeit auf die Massen weit stärker wirkt als eine plastische Darstellung menschlicher Vorgänge. Schon im Februar 1892, als das Drama eben beendigt war, hatte es Adolf L'Arronge für das Deutsche Theater in Berlin zur Aufführung angenommen. Aber so lange er am Ruder stand, konnte in Berlin das Polizeiverbot vom 3. März 1892 nicht rückgängig gemacht werden, und so blieb es wieder dem Verein Freie Bühne vorbehalten, am 26. Februar 1893 ein wuchtiges Hauptmannwerk aus der Feuertaufe zu heben. Als dann Otto Brahm die Leitung der Freien Bühne mit der Direktion des Deutschen Theaters vertauschte, konnte er auf selbst gemauertem Grunde weiterbauen. Der große Berliner Erfolg mag dadurch noch verstärkt worden sein, daß das Drama immer wieder zum Gegenstand öffentlicher Streitigkeiten wurde und das »aktuelle« Interesse immer neue Nahrung fand. Bald gab das Stück den Anlaß, daß dem Besitzer des Deutschen Theaters das Abonnement auf die königliche Hofloge gekündigt wurde; bald eiferte im Abgeordnetenhause der Staatsminister v. Köller gegen die Umsturztendenzen des Stücks, ohne daß diesem unliterarischen und kunstfremden Standpunkt einer der damaligen Landboten nach Gebühr entgegengetreten wäre; bald kam aus einer oder der andern Provinzstadt wieder mal die Nachricht von einem neuen Polizeiverbot, das stellenweise zu wilden Beamtenkriegen Anlaß gab.

Aber die Hauptwirkung lag doch im Drama selbst, dessen Kraft nicht versagte, auch als die Aufführung im Deutschen, später im Lessingtheater mit der Zeit immer schlechter wurde. Jetzt, nach zwanzig Jahren, wird es Zeit, die »Weber« von Grund aus neu und nach neuen dramaturgischen Gesichtspunkten in Szene zu setzen, denn dieses Werk darf der Bühne nicht verloren gehen.


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