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Eilftes Kapitel

Die Zeichnung war beinahe ganz angelegt, als die Sonne sich auf einmal hinter eine dicke Wolke verbarg, die ein plötzlicher Wind von Abend her am Horizont herauftrieb; es donnerte in der Entfernung. Unsere Wanderer rafften sich auf, um vor dem. nahenden Gewitter noch ein Dorf zu erreichen, von dem sie nicht weit entfernt waren. Das Wetter zog sich aber schneller zusammen, als sie dahin gelangen konnten. Ein Wirbelwind jagte den Staub wie eine dichte Wolke über ihnen empor, der Donner kam näher, die Blitze wurden stärker, einzelne große Regentropfen fielen. Juliane ward ängstlich, sie lief aus allen Kräften, bald versetzte der Sturm ihr den Atem, der Staub verdunkelte, und verletzte ihre Augen. Sie fürchtete ebenso sehr auf freiem Felde zu bleiben, als Schutz unter einem Baume zu suchen. Ihre Füße waren vom Laufen auf den spitzen Steinen wund geworden, und sie stieß allenthalben an.

Ein starker Blitz, dem der Donner gleich nachfolgte, fiel vor ihnen nieder, Julianens Knie wankten, sie fiel halb ohnmächtig zu Boden. Die beiden Freunde nahmen sie abwechselnd in ihre Arme, und trugen sie fort. Das Gewitter war nun ganz nahe, Blitz und Donner wechselten unaufhörlich, der Regen strömte in Güssen herab.

In der Verwirrung verfehlten sie den rechten Weg zum Dorfe, sie irrten, für Julianens Gesundheit besorgt, ängstlich umher; endlich erblickten sie, indem sie an einem Bache hinauf gingen, am jenseitigen Ufer eine Mühle, die einsam im Tale lag, von Bergen umschlossen. Eine Brücke ging nicht hinüber, sie riefen laut; aber der Sturm und das Rauschen des Bachs war lauter als ihre Stimmen. Endlich gelang es ihnen nach vielem Winken und Rufen bemerkt zu werden; einige Müllerburschen kamen mit einem Kahn zu ihnen herüber, nahmen die beiden Freunde und die vor Angst und Müdigkeit halb tote Juliane ein und brachten sie nicht ohne Mühe über den vom Regen angeschwollenen Bach nach der Mühle.

Sie waren vom Müller und von seiner Frau nicht gekannt, wurden aber gastfrei aufgenommen. Eduards erste Sorge war trockne Wäsche und Kleider für Julianen zu verschaffen. Eine neue Verlegenheit entstand. Sie mußten Julianens Geschlecht der Müllerin entdecken, diese war erstaunt und getraute sich nicht, ihnen zu glauben. Nach vielen Bitten und Beteurungen ließ sie sich endlich bewegen, Wäsche und Kleider für Julianen herzugeben, und ihr bei der Umkleidung hülfreich zu sein, denn die Arme war so erschöpft, daß sie kaum zu stehen vermochte. Während sie umgekleidet und zu Bette gebracht ward, war in der daran stoßenden Stube ein Kaminfeuer gemacht worden; Eduard und Florentin waren dabei beschäftigt, ihre Kleider zu trocknen. Die Müllerin trat aus der Kammer, und berichtete ihnen, die Jungfer wäre eingeschlafen! Sie sah die jungen Leute mit mißtrauenden neugierigen Blicken an. Sie konnte sich das Verhältnis auf keine rechtliche Weise erklären, indem diese junge schöne Person, von deren Geschlecht sie nun völlig überzeugt war, mit den beiden Männern stehen müsse. Sie hatte allerlei Vermutungen, schmiedete sich irgend einen Zusammenhang, den sie ihnen in nicht gar feinen Wendungen deutlich zu verstehen gab. Zuletzt sagte sie etwas ängstlich: sie habe zwar ihre Hülfe nicht versagen dürfen, aber weder sie noch ihr Mann würden gern Leute beherbergen, die sich zu verbergen Ursache hätten; und mehr solcher Redensarten die eben keine günstige Meinung von ihren Gästen verrieten.

Die beiden belustigte ihre Besorgnis, und sie vermehrten sie mutwillig durch geheimnisvolle Bitten, sie nicht zu verraten. Florentin trieb tausend kleine Possen um sie her und suchte sie durch Schmeicheleien und artigen Scherz freundlich zu erhalten. Sie schien dafür auch gegen ihn besonders gefällig, und Eduard zog sie deshalb auf. Bald war sie so dreist gemacht, daß sie sich einige zweideutige Späße über Julianen erlaubte, deren Stand sie weit entfernt war zu ahnden. Sie drang immer mehr mit Fragen in sie, die aber nicht ernsthaft beantwortet wurden. Der Müller war unterdessen seinen Geschäften nachgegangen, und hatte seiner Frau die Sorge für die Wanderer überlassen.

Juliane erwachte nach einem kurzen Schlummer und hörte zu ihrer nicht geringen Beschämung die Zweifel und den Argwohn der Müllerin. Sie gab ein Zeichen, daß sie erwacht sei, Eduard eilte zu ihr ans Bett, um sich nach ihrem Befinden zu erkundigen; sie bat ihn, diesen für sie sehr verdrüßlichen Auftritt zu endigen, und die Frau über ihren Irrtum ernsthaft aufzuklären; sie hatte zwar anfangs gewünscht, unbekannt zu bleiben, lieber wollte sie aber diesen Vorsatz aufgeben und ihren Namen entdecken, um den Vermutungen und den Zudringlichkeiten der Frau ein Ende zu machen. Eduard ging sogleich wieder hinaus, und verkündigte ihr nun, wen sie unter ihrem Dache bewirte. Juliane rief sie zu sich, und bestätigte, was Eduard gesagt hatte; aber die Frau wollte ihnen durchaus nicht glauben. Alles was sie zu ihrer Beglaubigung vorbringen mochten, schien eben dem Argwohn der guten, etwas einfältigen Frau nur neue Nahrung zu geben; »das machen Sie mir nicht weis«, rief sie, »daß meine gnädige Herrschaft zu Fuß, ohne Bedienten und verkleidet ausgehen wird!« Florentin lachte ausgelassen über diese tolle Begebenheit, Juliane mußte trotz der Verwirrung auch lachen. Die Müllerin lief hinaus und holte ihren Mann. Dieser sah kaum Julianen etwas genauer an, als er sie gleich erkannte: er hatte sie oft gesehen, wenn er in seinen Geschäften aufs Schloß gekommen war, in der Männertracht aber, blaß und ohnmächtig, mit nassen herunterhängenden Haaren, beim Eintritt nicht wiedererkannt; er bat sie sehr wegen des Verdachts seiner Frau um Verzeihung, suchte diese, so gut als er vermochte, zu entschuldigen, und verließ sogleich das Zimmer wieder.

Die Müllerin war beschämt und verwirrt, sie erbot sich zu allen Diensten mit der größten Bereitwilligkeit, und erkundigte sich nach den Befehlen der jungen Gräfin. Vor allen Dingen bat Juliane, ihr einen Boten zu verschaffen, den sie aufs Schloß schicken könnte, um ihren Wagen heraus zu holen, weil sie gleich nach Hause fahren wolle. Die Nacht war aber unterdessen völlig hereingebrochen, das Gewitter hatte zwar aufgehört, aber der Sturm war noch stark und der Regen strömte gewaltig herab, dabei konnte man in der Finsternis nicht einen Schritt vor sich sehen. Der Müller entschuldigte sich, daß er jetzt niemand über den Bach könne fahren lassen, es wäre beinahe unvermeidliche Lebensgefahr dabei, da er vom Regen sehr angeschwollen sei, und der Sturm den Kahn gegen die Pfähle schleudern möchte. Bis zu Tagesanbruch müßte sie also geduldig warten. Man erkundigte sich, ob nicht noch ein andrer Weg als der über den Bach nach dem Schloß führte? Es ging allerdings noch einer durch das Gebürge, dieser führte aber so weit herum, daß der Bote doch nicht vor dem andern Morgen anlangen würde.

Juliane befand sich in unbeschreiblicher Angst, wegen der Angst ihrer Eltern. Sie zitterte und weinte, ihre Phantasie füllten die schreckhaftesten Vorstellungen. Eduard war bereit, sich selbst über den Bach zu wagen, nur um sie desto eher zu beruhigen; hierin willigte sie aber auf keinen Fall ein. – »Wollen Sie mich hier allein lassen«, rief sie, »und sich selbst in Gefahr geben? das würde ja meine Angst noch vermehren!« Sie versprach endlich, geduldig den Tag abzuwarten. Nun wollte sie versuchen aufzustehen, sie fühlte aber eine solche Mattigkeit und so große Schmerzen an ihren Füßen, daß sie sich entschließen mußte, im Bette zu bleiben.

Die Müllerin hatte ein Abendessen bereitet. Eduard und Florentin setzten sich vor das Bett; auf eine solche Ermüdung fehlte es unsern jungen Wanderern nicht an Eßlust, und wären die Speisen auch nicht so niedlich und sorgfältig zubereitet gewesen, es würde ihnen dennoch gewiß trefflich geschmeckt haben; an diesen hatte aber die Müllerin wirklich ihre ganze Kunst verschwendet, um ihre Gäste nach Würden zu bewirten, die sie anfangs zu ihrer großen Beschämung so verkannt hatte.

Es gelang den beiden Freunden, Julianen auf Augenblicke ihre Unruhe vergessen zu machen, und sie etwas zu erheitern. Sie fanden aufs neue Gelegenheit über ihre Schönheit zu erstaunen. Die Blässe und die Mattigkeit in Blick und Stimme verlieh ihr neue Reize, und kontrastierte auf eine interessante Weise mit der Kleidung, die die Müllerin ihr geliehen hatte, die tüchtig und für das Bedürfnis gemacht, ihren zarten Gliedern nirgend anpassen wollte. Florentin wollte sie durchaus in dieser Umgebung zeichnen, damit sie sich künftig in ihrem höchsten Glänze der Nichtigkeit aller menschlichen Pracht erinnern möge. »Denn«, setzte er hinzu, »wahrscheinlich wird diese Begebenheit doch die anstrengendste und abenteuerlichste sein, die Sie in Ihrem ganzen künftigen Leben erfahren werden.« –

In den Blicken der beiden Liebenden leuchtete die innigste Zärtlichkeit hervor. – Darf er so kühn unser künftiges Leben verspotten? schien Juliane mit ihrem beseelten Blick zu fragen; und in Eduards Augen las sie die Versicherung der ewigen Liebe, des unvergänglichen Glücks. Er hatte seinen Arm um sie geschlungen, sie lehnte das holde Gesicht an seine Schultern; die Seligkeit der Liebe hielt ihre Lippen verschlossen, sie sprachen nicht, und sagten sich doch alles.

Florentin war hinausgegangen und hatte sich an die Haustüre gelehnt. Er hörte auf die Wogen des Bachs, der sich reißend fortwälzte, und sprudelnd und schäumend über die Räder der Mühle hinstürzte; auf das Brausen des Windes im Walde, und das friedliche Klappern innerhalb der Mühle. Es klang ihm wie vernehmliche Töne. Wie ein Wettgesang des tätigen zufriedenen Landmanns und des mutigen, ehrsüchtig drohenden Kriegers tönten Mühle und Waldsturm; der Bach rauschte in immer gleichen Gesängen ununterbrochen dazwischen, wie die ewige Zeit, allem Vergänglichen, allem Irdischen trotzend, und seine Bemühungen verhöhnend.

Er hörte im Wohnzimmer des Müllers laut reden, er schlich sich aus einem Anfall von Neugierde unter das offene Fenster, und hörte ein Gespräch zwischen dem Müller und seiner Frau an, das sie über ihre Gäste führten; diese Erscheinung mochte ihnen wunderlich genug vorkommen. – Der Müller konnte, wie es schien, die Sitte nicht billigen, die die vornehmen Leute einführen, inkognito zu reisen. »Man kennt sie nicht!« rief er, »am Ende werde ich noch in jedem wandernden Gesellen einen verkleideten Prinzen, oder eine Prinzessin vermuten müssen, und mich in acht nehmen, daß ich ihm nicht zu nahe trete.« – Die Müllerin war ganz besänftigt, und wollte ihn mit dieser Sitte aussöhnen: »Sie hören und sehen doch«, sagte sie, »wenn sie so reisen, manches, was sie sonst nimmermehr erfahren würden, und daß die vielen Umstände und Weitläuftigkeiten wegfallen, ist bequemer für sie, und auch für unsereinen.« – »Nun«, sagte der Müller wieder, »manches brauchen sie auch nicht zu erfahren, und dafür, daß wir keine Umstände mit ihnen machen dürfen, machen sie auch wieder mit uns keine.« – »Nun, Vater, du wirst dich noch einmal um den Kopf reden, ich dächte doch, wir hätten nicht zu klagen.« – »Wer spricht davon? ich meinte nur.« – »Ja dir macht man's nimmermehr recht! mit deinem häßlichen Mißtrauen machst du einen auch mit so argwöhnisch; hätte ich mich nicht beinahe ganz erschrecklich gegen die junge gnädige Herrschaft vergangen? und wer war schuld als du?« – »Ich will alles verantworten, was ich spreche, aber das können nicht alle, und darum müssen sie sich wohl in acht nehmen!« – »Ach und es ist doch gewiß eine liebe allerliebste Herrschaft! ich würde mich in meinem Leben nicht zufrieden geben, wenn ich sie beleidigt hätte.« – »Beleidigt hast du sie doch, aber sie hat es dir wieder verziehen!« – »Ja so gütig ist sie, und so herablassend, wie eine Heilige, und dabei so zart und so schön! Vater, wenn du das so gesehen hättest, wie ein Wachsbild, man kann sie doch gar nicht genug ansehen!« – »Und die beiden jungen Herren sind wohl auch so gütig wie die Heiligen? Ja ihr Frauen!« – »Nun, was fällt dir wieder ein? du hast immer ganz besondere Gedanken.« – »Ja vorzüglich der eine, der ist nun vollends lauter Güte! nicht wahr?« – »Welchen meinst du denn, Väterchen?« – »Nun den, du weißt wohl, du hast ihn mir ja so schlau gezeichnet.« – »Ich versteh dich nicht, mein Schatz!« – »Sieh doch nur seine grüne Jacke an, der linke Ärmel ist ja ganz weiß! wo sollte er denn das wohl her haben?« – »Weiß? der linke Ärmel? Wie soll ich's denn wissen? In der Mühle macht man sich leichtlich weiß.« – »Ja besonders, wenn die Müllerin so leicht rot wird!« – »Es muß auch alles zusammentreffen, um dich argwöhnisch zu machen.« – »Behüte, lieber Schatz«, sagte der Müller laut lachend, und küßte sie, »ich bin nicht im geringsten argwöhnisch, wenn ich deutlich alles sehe und höre, wo man mich nicht vermutet.« – »Nun, wenn du alles gesehen hast, so wirst du auch wohl gesehen haben« – »Daß du dich wacker gesträubt hast, als er einen Kuß von dir verlangte. Ja mein Kind, siehst du, daher ist er weiß am Ärmel!« –

Florentin gefiel die leichte gutmütige Art, womit der Müller über die kleine Begebenheit scherzte. Er selbst war gemeint; er hatte sich mit der jungen artigen Müllerin einige Schäkereien erlaubt, um sie bei guter Laune zu erhalten, als ihre Gäste ihr noch unbekannt waren, und er ihr mit immer neuen Forderungen für Julianen viel Mühe machen mußte.

Er trat vom Fenster zurück und pfiff und rief den beiden Hunden, um sich vom Müller bemerken zu lassen. Dieser kam ans Fenster und nötigte ihn, noch ein wenig in die Stube zu kommen. Florentin ging hinein und unterhielt sich mit ihm; der heitre, grade Sinn des Mannes und sein guter Verstand gefielen ihm immer besser. Florentin nahm, während er sprach, mit der größten Unbefangenheit die Bürste vom Nagel, die unter dem Spiegel hing, und bürstete sich ruhig das Mehl vom Ärmel; die Müllerin lief ganz beschämt aus der Stube, aber der Müller lächelte und ließ sich nicht im geringsten aus der Fassung bringen. Er sprach viel von seinem Stande und seinem Geschäft. Seine sparsamen, ruhigen Worte, und die Überzeugung der Wichtigkeit, mit denen er die Sorgen und Freuden davon schilderte, ohne irgend einen andern Stand im Leben unnötig, und mit affektierter Verachtung mit dem seinigen zu vergleichen, gab ihm eine Würde, der Florentin mit Ehrerbietung begegnen mußte. Er gedachte dabei mit einem Gefühl von Beschämung an die Unruhe, mit der er selbst sich umtrieb, um einen Zweck zu finden, der seinem Leben Wert und Bestimmung gäbe.

Der Müller bemerkte endlich, es wäre nun wohl Zeit für ihn, sich zu Bett zu legen; Florentin bot ihm eine gute Nacht, und war im Begriff hinauszugehen, als Eduard hereintrat, und in Julianens Namen den Müller und seine Frau ersuchte, die Nacht mit den beiden Herren durchzuwachen, sie selbst wollte versuchen zu schlafen, sie wäre aber so ängstlich, daß sie gewiß nicht würde schlafen können, wenn nicht alles im Hause wachte. Sie ließ die Frau bitten, bei ihr im Zimmer zu bleiben, und den Müller, ja sobald der Tag anbräche, jemand aufs Schloß zu schicken. Die Müllerin ging sogleich zu ihr, und der brave Mann war ebenso willig, den Befehlen der jungen Gräfin zu gehorchen.

Florentin bemerkte etwas ungewöhnlich Heftiges und Leidenschaftliches an seinem Freunde. Er ließ sich in kein Gespräch mit hineinziehen, gab zerstreute oder gar keine Antwort, und ging hastig, und mit ungleichen Schritten in der Stube auf und ab. Florentin glaubte sogar in seinen Augen Spuren von vergoßnen Tränen wahrzunehmen. Diese Äußerungen waren bei dem sonst sanften stillen Eduard etwas befremdend, doch beunruhigten sie seinen Freund nicht weiter; er hielt es höchstens für Zeichen eines kleinen Zwistes zwischen ihm und Julianen, von denen, welche die Liebe ebenso schnell zernichtet, als sie sie erzeugte. Er redete ihn an und äußerte fein spottend, seine Vermutung; Eduard blieb aber ernst und trübe, und bat ihn kurz darauf, mit ihm hinaus ins Freie zu gehen. Die Nacht war kalt und stürmisch, er bestand aber darauf dennoch hinauszugehen, und Florentin begleitete ihn.

Sie saßen schweigend neben einander auf der Bank vor dem Hause. Florentin unterbrach die Stille zuerst: – »Immer höre ich doch wieder diese Töne des Waldes, des Stroms und der Mühle mit derselben angenehmen, gleichsam anregenden Empfindung. Beinah möcht ich glauben, daß ich eigentlich für das beschränkte häusliche Leben bestimmt bin, weil alles dafür in mir anspricht, nur daß ein feindseliges Geschick wie ein böser Dämon mich immer weit vom Ziele wegschleudert!« – »Glaub mir«, sagte Eduard, »es weiß selten einer, was er soll.« – »Ja wohl«, fiel Florentin ein, »und es dauert lange, bis er weiß, was er will!« – »Es ist auch beinahe alles einerlei, und alles Tun ist das rechte. Nur daß man etwas tue!« – »Ja wohl! und darum will ich eilen. Ich will fort! Vielleicht habe ich schon zu lange verweilt.« –

Eduard antwortete nicht, Florentin hörte ihn seufzen. »Was ist dir, Eduard?« fragte er ihn mit herzlicher Liebe, »du hast Schmerz, warum verhehlst du ihn mir?« – »Nein, ich will ihn dir nicht verhehlen«, rief Eduard aus. »Sieh, Florentin! eine Seele, wie die deinige, einen Freund, wie du bist, suchte ich, seitdem Freundschaft mir ein Bedürfnis ist, und das ist sie, seit ich mich meiner selbst bewußt bin. Unverhofft fand ich dich; ich vermutete gleich in den ersten Stunden, du seist der, den ich suchte, und diese Vermutung fand ich in der Erzählung deiner Schicksale mehr als einmal bestätigt. Und nun soll ich dich, kaum gefunden, wieder verlieren! Halte es nicht eines Mannes unwürdig, wenn ich dir mein Leid darüber gestehe. Ich kann dich nicht wieder lassen, es ist mir in manchen Augenblicken ganz unmöglich zu denken, daß ich dich wieder lassen soll! Ich bin sehr reich, ich weiß es, vielleicht ist es Unrecht, mehr zu verlangen, als ich besitze: aber ich bin in der Freundschaft unersättlich, und an dich fühle ich mich mit unnennbaren Banden geknüpft!« – »Ich begreife dein Gefühl, mein Freund! dies sei dir Bürge, daß ich dessen wert bin; du bist mir teurer, als ich es sagen kann. Daß du bei allen Gütern, die dir nie fehlten, selbst in dem Besitz der Geliebten noch Raum für Freundschaft hast, und dir den Sinn dafür erhieltest, macht dich mir verwandt und ewig wert. Wie kann dich aber eine Trennung so wehmütig ergreifen, die doch eben durch keine besonders unglücklichen Umstände bezeichnet ist? Wie selten dürfen Freunde ihren Lauf bei einander beginnen und vollenden? Ist das Band, das Freunde verknüpft, durch die Trennung gelöst? Muß nicht, in der Welt zerstreut, von ihnen ausgeführt werden, was sie vereint beschlossen? O, daß ich Armer, Einsamer, dich Reichbegleiteten trösten soll! Verzeih meinem Zweifel, ich kann nicht glauben, daß meine Trennung von dir, diesesmal allein die Ursach deiner Traurigkeit ist.« – »Es kann sein; aber wie es auch sei, Florentin, ich mag, ich werde dich nicht lassen! Höre, ich gehe mit dir; ich teile deine Unternehmungen, ich will die Stelle deines Manfredi ersetzen, ich verschmähe jedes andre Schicksal, als das deinige. Was mir fehlt, besitzest du so groß und frei! Du wirst auch in mir manche gute Gabe finden. Vereint, ungetrennt, wollen wir ersinnen und ausführen, fechten, leben und sterben, sterben für die Freiheit! Ich gehe mit dir nach Amerika!« – »Wie ist dir? Wie ist dir? Du schwärmst!« – »Nein, ich lasse dich nicht wieder, ich gehe mit dir!« – »Was kann ich dir anders zurufen, als Juliane! O Eduard, mir ist dieser ganze Auftritt wie ein Traum. Welches Rätsel! du bist durch irgend einen Vorfall aufgebracht, ja gereizt bis zum Wahnsinn. Mit Fragen will ich dich nicht quälen. Aber ich beschwöre dich, sei gefaßt, sei ruhig, und wenn du es vermagst, so entdecke mir, was dich so erschüttern konnte. Erinnere dich, was du so rasch verlassen willst! Mich laß aber ziehen, mir ein Glück zu erringen, für das und mit dem du geboren wardst, erfreue dich dessen, und bleibe in Frieden.« – »So bleibe du bei mir, Florentin! nur noch ein Jahr bleibe bei mir, dann ziehe ich mit dir, wohin du willst!« – »Ach, Eduard! du solltest mich nicht halten wollen!« – »Was du nicht sagen kannst«, fiel Eduard ein, »weiß ich längst, mein Freund! Du liebst Julianen, ich weiß es, aber –« – »Wer? wer darf das sagen?« – »Bleib ruhig, Florentin, es blieb mir nicht unbemerkt.« – »Du hast dennoch falsch gesehen –« – »Kannst du so dein eignes Gefühl verleugnen, und was hast du zu fürchten? Ich fürchte nichts von dir, sei überzeugt! ich kenne dich, dir ist die Freundschaft heilig. Du wirst dich für den Freund aus aller Kraft deiner Seele zu bekämpfen wissen. Auch wird deine Leidenschaft sich bald in das reinste Freundschaftsgefühl auflösen. Und dann, von beiden Freunden geleitet, soll Juliane des schönsten Daseins sich zu erfreuen haben. Keine Lücke bleibe in ihrem Herzen, ihre Liebe bedürfende Seele sei ganz glücklich im Genuß. ...« – »Gemach, mein guter Eduard! gemach! So gelassen wolltest du wirklich drein sehen, wie der Freund seine Tage unter Prüfungen der Selbstüberwindung hinschleichen ließe, sein wärmstes Leben, sein lebendigstes Gefühl ertötete, und mit halbverschloßnem mißtrauenden Herzen keinen fröhlichen Augenblick verlebte? Ich gestehe dir aufrichtig, diese heroische Tugend darf ich nicht zu der meinigen zählen. Wäre der Fall so, wie du ihn wähnst, so wäre, aufs schnellste entfliehen, für mich das Ratsamste, und das, was ich gewiß zuerst tun würde. Aber es ist nichts von dem allen. Wahr ist es, Julianens Schönheit überraschte mich: sie ist ein anmutiges Wesen, mit immer neuen, immer lieblichen Bildern erfüllt ihre holde Gestalt die Phantasie, aber –« – »Ach, wenn du ihre Seele kenntest, so weich! zugleich so voller Kraft und Liebe, ihren Charakter, die herrlichen Anlagen!« – »Ich verkenne Julianen nicht. Wäre sie aber auch für mich bestimmt, ich zweifle, daß ich ganz glücklich sein würde.« – »Freund, wer mit diesem Engel nicht leben könnte, der –« – »Der verdient gar nicht zu leben, willst du sagen. Leicht wahr! ich spüre selbst so etwas! indessen ... versteh mich, mein lieber Freund! Gräfin Juliane, Erbin eines großen Namens, eines großen Reichtums, aus den Händen der höchsten Kultur kommend, im Zirkel der feinen Welt schimmernd, der Anbetung von allen, die sie umgeben, gewohnt, und Florentin, der Arme, Einsame, Ausgestoßne, das Kind des Zufalls.« – »Wilder, seltsamer Mensch! warum nennst du dich so? und warum dünkst du dich noch immer allein? in unsrer Mitte allein?« – »Habe Geduld mit mir, ich darf mich nicht entwöhnen, allein zu sein; muß ich nicht fort?« – »Was treibt dich, ich beschwöre dich? Vertraue dich nicht ohne Not dem eigensinnigen Glück, bleibe bei mir!« – »Ich will's versuchen lieber Freund, aber ich stehe nicht dafür, ich muß, ich muß doch endlich dahin, wo meine Bestimmung mich ruft.« –

Eduard wollte noch etwas sagen, als die Müllerin zu ihnen heraus kam. Juliane ließ ihnen sagen, sie möchten in ihr Zimmer kommen, und ihr Gesellschaft leisten, sie könnte unmöglich schlafen.

Alle, auch der Müller, den sie drum hatte bitten lassen, versammelten sich nun bei ihr; sie war vom Bett aufgestanden, und saß in einem bequemen Stuhl beim Kaminfeuer; die Kleider der Müllerin hatte sie noch an.

In der erhellten Stube sah Florentin nun deutlich die Zerstörung auf Eduards Gesicht, und in seinem Wesen; kaum daß diese sich etwas legte, da Julianens zärtlich beredter Blick sich nicht von ihm wandte und ihn um Verzeihung zu flehen schien. Sie rief ihn zu sich, und sprach leise und beruhigend mit ihm. Florentin war gewiß, daß etwas Ernsthaftes zwischen ihnen vorgegangen sein mußte, während er sie allein gelassen hatte. Es war ihm klar, daß es Eifersucht sei, was das schöne reine Verhältnis der Liebenden zerstöre. Eine ängstigende Unruh drückte sein Herz, da es ihm einfiel, daß er selbst vielleicht, unglücklicher- oder unvorsichtigerweise, Ursach dazu gegeben habe. Er überdachte noch einmal jedes Wort, das ihm Eduard vor der Tür gesagt hatte, er mußte ihn bewundern, daß er, bei einer Leidenschaft, die ihm selbst so fürchterlich und so zerreißend schien, mit so viel Feinheit und Aufopferung fühlte und sich äußerte. Sein Glaube an Eduards schöne edle Seele erhielt eine neue Bestätigung, die ihn mehr als jemals anzog; auf diese Weise fühlte er sich von widersprechenden Gefühlen durchstürmt, und alles, was er in sich beschließen konnte war: bald, sehr bald fortzugehen.

Während daß er in sich gekehrt, und in seine Gedanken verloren da saß, waren die übrigen in einem allgemeinen Gespräch begriffen. Juliane erzählte: das Brausen des Waldes und des Wassers hätten sie entsetzlich zu fürchten gemacht; es wäre ihr nicht möglich gewesen einzuschlafen, obgleich sie die Augen fest verschlossen und sich die Decke über den Kopf gezogen habe, um nichts zu hören. »Als spräche des Waldes und des Wassers Geist drohend zu mir herüber«, sagte sie noch schaudernd, »so war mir; jeden Augenblick fürchtete ich, sie würden mir in sichtbaren Gestalten erscheinen; alle alten Romanzen und Balladen, die ich jemals gelesen habe, sind mir zu meinem Unglück grausend dabei eingefallen. Sie hätten es nur hören sollen, Florentin!« – »O ich habe auch die Geister zusammen sprechen hören, aber mich nicht vor ihnen gefürchtet, mir klang es freundlich und vertraulich; es sind mir freilich keine Balladen und Romanzen dabei eingefallen.« – »Wissen Sie uns keine Geistergeschichte zu erzählen?« fragte sie den Müller, »in Gesellschaft mag ich sie gar gerne hören; der Kreis wird gleich eng und vertraulich dabei.« – »O wir wissen genug«, sagte die Müllerin, da es der Mann ablehnte zu erzählen: »aber sie sind alle gar zu fürchterlich und erschrecklich, so daß ich es nicht wagen möchte, sie der gnädigen Gräfin jetzt zu erzählen –« – »Ich bin der Meinung unsrer guten Frau Wirtin«, fiel Eduard ein; »es möchte Sie zu sehr beunruhigen, da Sie ohnedem bewegt und angegriffen sind.« – »Gut«, sagte Juliane, »wenigstens müssen Sie mir aber erlauben, Ihnen etwas zu erzählen; es fällt mir eben eine Geistergeschichte wieder ein, die weder schreckhaft noch fürchterlich und doch merkwürdig ist.« Sie setzten sich insgesamt um sie her, und versprachen ihr Aufmerksamkeit. Sie erzählte nun folgende Geschichte.


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