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Drittes Kapitel

Die Sonne schien hell und warm herein, als Florentin erwachte. Er schickte sich sogleich an, zur Gesellschaft zu gehen, die er im Garten vermutete. Vorher ging er durch einige Prachtzimmer des alten Schlosses, das ihn mit seinen Türmen, Gängen und hohen gewölbten Sälen lebhaft in die Zeiten des Rittertums versetzte, von denen er schon als Kind am liebsten erzählen hörte, und die noch jetzt seine Phantasie hinreißen konnten. Hier in diesen Sälen malte er sich nun die mannichfachen Szenen aus, die darin gespielt wurden; wie sich alle die Mitspielenden für ihre Rolle interessierten, als sollte sie niemals endigen. – »Und nun«, sagte er, »wo sind sie hin? Hier beweinte vielleicht eine Schöne ihren Geliebten, oder seine Untreue, oder ein hartes Schicksal, das sich ihrem Glück entgegenstellte; tränenvoll schlug sie das fromme Auge aufwärts, und die Engelchen, die Heiligen, die so künstlich in der Stukkatur an der Decke geformt sind, waren Zeugen ihrer Leiden. Hier, an dieses hohe Fenster gelehnt, drückte der Jüngling, zärtlich und schüchtern, die errötende Jungfrau an sein Herz, und vernahm mit Entzücken das Geständnis ihrer Gegenliebe. Um diesen geräumigen Lehnstuhl hingen Kinder und Enkel, und horchten auf die schauerlichen Gespenstergeschichten, die der Großvater erzählte, und auf die weise Lehre. Mit dem begünstigten Jagdhund an dem Boden wurde dann die Belohnung für ihre Aufmerksamkeit friedfertig geteilt. An diesem künstlich verzierten Tisch saßen Eltern, gedachten mit freudiger Rührung der ersten Tage ihrer Liebe und der nie verletzten Treue; hatten auch wohl manchen Kummer, manche sorgenvolle Stunden um den entfernten Sohn, der ausgezogen war, voll Kraft und mutiger Ehrbegierde sich zu versuchen, und die Fehde für seinen Vater zu fechten. ›Ob er sich gut halten wird? ob die Knechte wacker sind? ob kein feindliches Geschoß ihn getroffen? Er wählte sich das größte Schwert; war es seinem Arm nur nicht zu schwer? Zwar ist er stark und rüstig, und Gott wird den Edlen schützen!‹ Und eh sie es ausdenken, öffnet sich jene Tür, der Jüngling tritt ein! Er war allein vorangeeilt, um den Eltern diese Überraschung zu bereiten; segnend empfangen sie ihn, er hat gesiegt, vertilgt ist der Feind, und neuer Ruhm und Glanz kommt von ihm über das Haus! ... Sonne, Sterne, Luft und Erde, alles was sie umgab, schien ihnen mit ihrem Leben so innig verwebt; aber Sonne und Sterne gehen auf, gehen unter, die Jahreszeiten wechseln; doch ihr Glück und ihre Leiden, Schmerz und Fröhlichkeit sind vorbeigezogen wie Schatten der Wolken, die vor der Sonne vorüberfliehen, keine Spur mehr auf der Erde davon. Was ihnen im Leben heilig war, hat mit dem Leben geendet; der Ehre allein, unter allem dieser allein, verdanken die Helden das Andenken ihrer Nachkommen; sie leben in den künftigen Zeitaltern fort, da Millionen neben ihnen untergehen ... Nun so ist es auch billig, daß sie dem selbstgeschaffenen Götzen vor allen Göttern Opfer bringen; dieser macht sie unsterblich, da alles, was die Natur in ihre Brust gepflanzt, mit ihnen untergeht!«

Eduard trat zu ihm. »Sie sind schon auf, Florentin! ich wollte Sie eben abholen, die andern sind wahrscheinlich schon im Gartensaal.« – »Ich habe mich etwas zu lange in den Zimmern und Gängen verweilt, um sie zu betrachten. Dieses Schloß ist ein vortreffliches Monument seines Jahrhunderts; mich freut es, daß es so wohl erhalten ist, und so ganz ohne modernen Zusatz. Es wundert mich um so mehr, da die übrige Einrichtung im ganzen nach dem jetzigen Geschmack mehr elegant und zierlich, als nach jenem reich und kostbar ist!« – »Weil diese mehr der Gräfin überlassen bleibt; und da sie die Eigenheit des Grafen schont, der gerne, was das Altertum seiner Familie bezeugt, in der ursprünglichen Gestalt zu erhalten wünscht, auch nichts von der Stelle gerückt, und keiner Sache eine andere Gestalt gibt, die noch als Überrest der alten Zeit sich erhalten hat, so läßt sich der Graf mit eben der Gefälligkeit ihre übrigen Einrichtungen gefallen. Sie sehen selbst, wie klug und gewandt sie beides zu vereinigen weiß. Sie erhält das Alte mit Achtung, und fügt hinzu, was die neuern Erfindungen Angenehmes verschaffen.

Die das Innere hier nicht zu kennen Gelegenheit haben, finden es sonderbar, und erlauben sich manchen Spott über das Gemisch von veraltetem und modernen Geschmack. Auch sieht es befremdend genug aus, wenn an den alten gewirkten Tapeten eine neue Flötenuhr, große Spiegel mit schweren künstlichen Verzierungen und neue kristallne Kronleuchter, schwerfällige Sessel und einladende Sofas friedlich neben einander bestehen; eben so werden Sie es im Garten, im Park, kurz überall finden. Wer aber die Menschen kennt, die hier wohnen, der wird bald das Übereinstimmende in diesen anscheinenden Ungleichheiten finden. Die Gräfin ist eine vortreffliche Frau; mit wahrer Religiosität ehrt sie das Gemüt ihres Gemahls und alles, was ihm heilig ist. Darf man ihr wohl keinen Sinn für das Schöne zutrauen, weil sie nicht wie die Kinder alles gewohnte Spielzeug zerstört, immer nach neuem greift, und das letzte jedesmal für das Schönste hält?« – »Was ich sie über Werke der Kunst habe sprechen hören, verriet gewiß keinen gemeinen Sinn«, sagte Florentin. – »Sie hat große Reisen gemacht und viele der vorzüglichsten Kunstwerke selbst zu sehen Gelegenheit gehabt. Doch kommen Sie jetzt, man wird uns erwarten; ich will vorher zusehen, ob der Graf nicht in seiner Bibliothek ist, ich habe ihn heute noch nicht gesehen, vielleicht geht er dann mit uns hinunter.« – »Ich begleite Sie.« –

Sie traten in das Kabinett des Grafen, er war nicht mehr darin. Ein großes Gemälde zog Florentins Aufmerksamkeit auf sich. – »Einen Augenblick noch, Eduard! Die heilige Anna, die das Kind Maria unterrichtet.« – »Wie finden Sie das Gemälde?« – »Es scheinen Porträte zu sein; in dem Kinde erkenne ich Julianen wieder.« – »Sie ist es auch in der Tat.« – »Es ist nicht übel gemalt; ganz vorzüglich ist aber das Charakteristische in den Köpfen sowohl, wie in der ganzen Anordnung des Gemäldes. Die horchende Aufmerksamkeit, die Begierde nach dem Unterricht, und der Glaube in dem Kinde, wie der Hals, der Kopf, mit dem Blick zugleich, sich vorwärts und in die Höhe richtet, der halbgeöffnete Mund, als fürchtete sie etwas zu verhören, und als wollte sie die Lehren durch alle Sinne in sich auffassen. Dabei die Hingebung, das Vergessen ihrer selbst in der kleinen Figur, die halb liegend sich dem Schoß der Anna anschmiegt; es ist schön, und zart gefühlt. Und diese Anna, gewiß eine Heilige! Diese Hoheit, dieser milde Ernst in den verklärten Augen! mit welcher Liebe sich ihr Haupt zu dem Liebling hinneigt, sich ihre Tugend lehrenden Lippen öffnen! Ruhe und Würde in der ganzen Gestalt, und wie erhaben diese Hand, die gegen den Himmel zeigt! Ist auch diese Anna ein Porträt?« – »Es ist eine Schwester des Grafen, die er vorzüglich liebt; Gräfin Clementina; Sie haben uns schon von ihr sprechen hören, sie wird von uns gewöhnlich die Tante genannt. Juliane hat ihre erste Erziehung bei dieser Tante erhalten; die Mutter hatte sie ihr, da sie ihre Jugendfreundin ist, und ihres ganzen Zutrauens genießt, bald nach ihrer Geburt überlassen, weil sie damals ihrem Gemahl nachreisen mußte, der gefährlich verwundet war, und den sie keiner fremden Pflege überlassen wollte. Sie verließ ihn nun nicht wieder, begleitete ihn sowohl auf seinen Feldzügen, als auf seinen Reisen, da er an verschiedenen Höfen als Gesandter stand. Unterdessen erreichte Juliane beinahe ihr vierzehntes Jahr bei der Tante, und verehrt sie als Mutter.« – »Doch muß die Gräfin Clementina dem Bilde nach noch sehr jung sein, obgleich der Idee und dem Kostüme zufolge, sie älter sein müßte.« – »Sie haben recht, doch ist sie in der Tat nicht mehr jung, sie ist älter als die Gräfin Eleonora, dieses Bild aber ist eigentlich die Kopie eines Gemäldes, das in ihrer Jugend ist gemacht worden. Sie ward damals als heilige Cäcilia gemalt; sowohl dieses Bild, das sie dem Grafen auf sein Bitten malen zu lassen erlaubte, um ein Denkmal der Zeit zu stiften, in der sie Julianens Lehrerin war, als das, welches unter den andern Familiengemälden in der Galerie hängt, und auch das Miniatur-Bild, das Juliane an ihrer Brust trägt, sind Kopien nach dieser Cäcilia, welche von einem schon verstorbenen fremden Künstler gemalt ward; seinen Namen weiß ich nicht. Die Tante war nie dazu zu bewegen noch einmal einem Maler zu sitzen. Merkwürdig ist es, wie diese Bilder alle noch der Gräfin Clementina ähnlich sind, obgleich es schon vielleicht dreißig Jahre her sein mag, daß sie gemalt ward, und ein tiefer Gram in ihren Gesichtszügen gewütet hat.« – »Gut, daß mich Ihre gütige Ausführlichkeit warnte«, rief Florentin lachend; »war ich doch in Gefahr mich in diese heilige Anna, und das in meinem Leben zum ersten Male ernstlich zu verlieben. Bald wäre ich ausgezogen, nach echter Rittersitte, das Original zu meinem Gemälde zu finden, und hätte es dann auch wirklich gefunden ... in einer ehrwürdigen Matrone.« – »Haben Sie wirklich noch nie ernstlich geliebt, so verdienen Sie ein solches Schicksal. Ich werde Sie bei den Frauen für diesen Frevel hart anklagen.« – »Wagen Sie es nicht, Sie könnten sich selbst eine Strafe für Ihre Verräterei zuziehen.« – »Ich wage nichts, man wird es Ihnen nie verzeihen, sich von einem Gemälde haben hinreißen zu lassen, da Sie die Gegenwart der schönen Frauen selbst so ruhig läßt.« – »Nun auch dafür müssen Sie nicht gut sagen; doch im Ernst, das Gemälde hat mich bewegt, und ich stehe mit wahrer Andacht davor. Guter Eduard! ich hoffe Sie fühlen es, wie glücklich Sie sind, und wie wenigen es vergönnt wird, eine solche Jugend zu haben!« – Eduard schien bewegt, und sie gingen beide schweigend hinunter zur Gesellschaft.


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