Johannes Schlaf
In Dingsda
Johannes Schlaf

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Im Wind

Immer dunkler. Immer trüber.

Ein über das andere Mal laß ich das Buch sinken, aus dem ich zu lesen versuche.

Überall feucht und kalt die graue Stille.

Wenn in der Nachbarschaft nur ein Kind schrie, ein Huhn gackelte oder unten im Hause sich etwas regte! Ein Ruf, ein Lachen, das Klappen einer Tür. – Nichts. –

Nur der Wind im Rauchfang, der sich durch alle Halb- und Vierteltöne der Tonleiter hinauf- und hinabquält. Und draußen das Sprühen und Rieseln, das langsam den dicken Straßenstaub in eine schwarzbraune Schmutzschicht zusammenfeuchtet.

Wie mit Stecknadeln bohrt sich's mir in alle Nerven. So gehen die Sekunden, die Minuten. Langsam. Lastend. Bleischwer.

Ewig da drüben, über den Ziegeldächern, dieser dumme, räudige Kalkbrennereischornstein! Ewig diese sanften Hügelchen mit ihren Kirschbäumchen! – Wie mir das über ist! Wie gründlich zuwider! – Wie quälend ich das alles auf einmal in seiner ganzen, stummen, stillzufriedenen Enge empfinde! –

Langeweile, ja! – Nichts als Langeweile! –

Wie Blei liegt's mir in den Adern, der Mund trocken, und die Augen brennen. Ich mußte etwas haben, das mir das Blut rollen ließ. Und so, in einer tollen Anwandlung, macht ich mich hinaus in das Wetter, auf die Berge.

* * *

Eine graue, schaurige Einsamkeit da oben.

Die Wolken rasen über mir hin. In schweren, graublauen Ballen unter einem gelben Dunst. Tief, in schleifenden Fetzen. Fern von unten donnern die Talmühlen aus dem feuchten Nebel herauf, mitten zwischen das Winseln und Knattern des Windes; und durch die Gräserchen und das nasse Kalksteingeröll zu meinen Füßen, die Hänge hin, geht ein feines, scharfes Pfeifen.

Rings verwischt's den Horizont mit dicken Nebeln.

Gegen den stauenden Wind ring ich mich vorwärts. Meine Backen und Hände brennen von den feuchtkühlen Schauern, die mir in kurzen, scharfen Stößen entgegentreiben.

In der weiten, trüben Öde raunt's an mir vorüber wie mit hundert verborgenen Stimmen. Wie eine vieltönige dunkle Weise.

Und sie lockt mich in Gedanken hinein, unruhig, rastlos, schweifend wie der Wind, der herrast aus den grauen Nebeln.

Es ist nichts weiter. Nur, daß es einen durchschauert, wie man nirgends seßhaft werden kann mit beruhigtem, dankbarem Herzen. Nirgends. –

Weiter nichts. Nur, daß das hier alles um mich her so stumm, so wortlos wird, mir nichts, nichts mehr mitteilen kann.

Nein! Gewiß nicht: es ist kein Wunder! So ein enges, kleines, schmutziges Nest mit seinem vorsündflutlichen Menschenvolk!

Und doch: wie viel ist es mir gewesen mit seiner tagefernen Abgeschlossenheit! Diese dumme, kränkliche Schwäche, daß es einen drückt, wenn man nicht dankbar sein kann mit fester, steter, stillwurzelnder Neigung, daß man an sich, zweifelt, weil es einem nirgends rechten Frieden gönnt, weil einen heute engt, was einem gestern noch alles war. –

Ach, ich glaube, es ist immer noch dieser alte, romantische, törichte Trieb in die Ferne.

So suchen wir nach Göttern und Bestimmungen; so verwüsten wir die Welt mit Bedeutungen und Symbolen. So basteln wir am Leben herum und bauen uns Häuser in der Zukunft, in denen wir's uns mit unsern Wünschen und Wollungen wohl sein lassen!

Wind, Wind, alles Wind und eitel! –

Als ob es im Grunde jemals besser werden könnte! ...

* * *

Eine halbe Stunde durch den peitschenden Regen und knatternden Sturm, und mein Blut singt mir andere Lieder, und frei und fröhlich halt ich Widerpart.

Ja, es wird besser werden, und ob auch alles sonst beim alten bliebe! Denn ein Stamm gesunder Kerls wird emporkommen, die sich nicht durch Redensarten und Hirngespinste unterkriegen lassen, und eine Zeit, bei der sie Widerhall finden. Sie werden sein, so wahr sie gewesen sind. Und wenn wir über Triebe und Kräfte reflektieren, weil wir unser selbst ungewiß sind, so werden sie Trieb und Kraft sein. Mitten im Leben werden sie den herrlichen Leichtsinn haben, daß sie lachen können, und in ihrem Lachen wird keine Bitterkeit und versteckte Anklage sein. Mit all seinen wunderlichen Leidenschaften und seinem tollen Durcheinander wird es ihrer Kraft ein Spiel sein. Tändeln werden sie mit ihm, wie die Griechen mit ihm tändelten, und sie werden die alte Sphinxbestie singen machen und ihre tausend wirren Töne zusammenzwingen in eine Harmonie. Dann wird es mit dem Geschwätz von Sittlichkeit und Wahrheit, von Optimismus und Pessimismus endlich mal eine Zeitlang ein Ende haben. Ihr Lachen wird es übertönen. Kein Suchen mehr, denn sie werden gefunden haben, was einzig je zu finden ist: sich selbst. Sie werden sich erlösen vom Leben in Werken, um die es webt von ihrem weltbezwingenden Leichtsinn wie Sonnenschein und rosiges Leuchten.

* * *

Der Sturm saust mir um die Ohren, und sein Tosen wandl ich in ungefüge Rhythmen und laß ihn pfeifen nach meiner Weise, wie ich allein gegen ihn ringe in der rauhen, öden Einsamkeit hier oben. Und er singt mir mehr, als zu sagen und festzuhalten ist. –

Als ich nach Hause kam, hatt ich nasse Stiefel und vielleicht einen tüchtigen Schnupfen im Leibe, aber Courage für lange Tage.


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