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Eine denkwürdige Ohrfeige

Lisa gab ihm die Ohrfeige am Pfingstsonntag, gleich nach dem Hochamt.

Es war ein schöner Tag. Die Schwalben flogen hoch, daß es aussah, als tanzten Mücken um die Kreuzblume des Münsters.

Die Ohrfeige blieb denkwürdig, nicht nur, weil sie, wie er annahm, im Hauptbuch, das die Schutzengel über Gewinn und Verlust der ihnen anvertrauten Seelen führen, auf der guten Seite vermerkt stand. Mit goldenen Lettern leuchtete dort bereits Grand'mamans Versündigung. Aber zwischen dem Tag, an dem durch ihren Fehltritt die Ungerechtigkeit in die Welt gekommen war, und dem Vorfall, der Roberts Erfahrung zur Reife bringen sollte, lag eine mehrjährige Inkubationszeit, während deren selbst Ereignisse wie die erste Kommunion nur in einer Art von Dämmerzustand wahrgenommen wurden.

Für die Zwischenzeit, die so viel im Traum und Dunkel der Kindheit versinken ließ, erhielt die Ohrfeige die Bedeutung eines Leuchtfeuers. Sie erhellte, wenigstens in einem gewissen Umkreis, blitzartig die Finsternis. Wenn Robert sich ein ihm ahnungsweise vorschwebendes Ereignis aus jener Zeit vergegenwärtigen wollte, brauchte er nur vom feurigen Schein der Maulschelle auszugehn, und das Gesuchte tauchte ans Licht. Er sah sich dann an der Ecke des Münsterplatzes stehn, ein hübscher, kleiner, rundlicher Junge in einem roten Trikotanzug, um sich herum eine Schar weißgekleideter Mädchen, die ihn um Haupteslänge überragten, und sie alle wiederum ungeheuer beherrscht vom rosig blühenden Münster.

Als Lisas Mutter kurz nach dem Vorfall hinzutrat, sagte sie lachend zu den Kindern, von weitem sähen sie aus wie ein Busch weißer Pfingstrosen – mit einer einzelnen roten als Herz in der Mitte.

»Ja, und du bist auch ein Herz!« hörte er Eva flüstern, und ihm schien, als berühre ein nasser Mund flüchtig die noch von Lisas Ohrfeige brennende Wange.

Wenn die Mutter (ach! sie war wieder fort) plötzlich als junges Mädchen dagestanden und die holden Worte geraunt hätte, es wäre nicht wunderbarer gewesen! Alles ringsum begann ihn anzusehn und zu duften, nicht nur die Mädchen, die einen Geruch von Seife, gestärkter Wäsche und Weihrauch verströmten, auch die Hauswände, die unter der dem Mittag zu steigenden Sonne ihre Nachtkühle verloren, auch der von den Bäumen des südlichen Platzes herwehende Wind ... Er selbst sah die Mädchen durch einen Schleier, hinter dem es von hellen und dunklen Augensternen wimmelte, hingegen erkannte er sehr deutlich die Pflastersteine – sie waren glatt und warm wie Haut und geschwellt, und dies alles berührte ihn mit lichten Händen.

Eine Weile war sein Herz wie tot. Dann ergoß sich ein süßes, fremdes Blut in seine Adern, und das Herz begann ohne sein Mittun zu stammeln.

Aber es war Lisa, die er liebte, Lisa und ihre Kraßheit – nicht Evas duftigen Zauber.

 

Nach dem Hochamt pflegte Schmittlin seinen Sohn durch die Stadt spazierenzuführen.

Scheinbar kümmerten sie sich nicht umeinander. Der Vater ging mit den Erwachsenen, Verwandten und Bekannten, der Sohn mit den Kindern – große Sippe, kleine Sippe, eine jede, wie Götter reisen, in der eigenen, sonntäglichen Wolke. Das war ein Kunstgriff des Alten, um Robert die Dressur nicht merken zu lassen.

Schmittlin und seine Mitbürger waren leidenschaftliche Spaziergänger, solange sie das Pflaster ihrer Stadt unter den Füßen spüren. Heute noch, da sie fast ausnahmslos ein Auto besitzen, sieht man sie mit lustvollem Behagen, darin eine Messerspitze Ironie obenauf schwimmt, ohne ein anderes Ziel als ihr Vergnügen, im langsamen Schritt durch die Straßen und Gäßchen marschieren. Daß sie sich nebenbei über die wichtigeren Ereignisse der Stadt- und Weltgeschichte aussprechen, versteht sich von selbst, und wer an dem Verkehr der hervorragenden, für die Stimmung von Gemeinde und Land maßgebenden Spaziergänger nicht teilhat, wird nie begreifen, was in den ebenso besinnlichen wie unruhigen Geistern vorgeht, die diesen Kreuzpunkt und Marktplatz der Völkerstraßen beleben.

Robert verstand nicht viel davon. Was er von den Gesprächen der Erwachsenen hörte, bestärkte ihn allerdings in dem Glauben, daß sie nur scheinbar hochmögende Riesen seien. Sie zeigten sich dauernd in Kämpfen verstrickt, einer focht gegen den andern und alle zusammen gegen eine Gewalt, die niemals klar beim Namen genannt wurde, gegen die sie jedoch anscheinend machtlos waren, und in ihrem zur Schau getragenen Selbstbewußtsein witterte er die gleiche Angst, wie er sie selbst vor ihnen empfand. Er merkte, daß auch sie in der Hauptsache darauf angewiesen waren, sich mit denselben Mitteln zu schützen, deren die Kinder sich bedienten: Verschlossenheit und List.

Nun gehörten die Schmittlins eigentlich zur Magdalenenpfarrei. Aber da die übrige Familie und die meisten Bekannten der Münsterpfarrei unterstanden, bevorzugten sie aus geselligen Gründen die Hauptkirche. Die Ruhepunkte der bürgerlichen Schwatzprozession, die im Anschluß an das Hochamt stattfand, waren zahlreich. Den ersten Aufenthalt gab es bereits beim Weihwasserbecken im Münster.

Vater Schmittlin ließ es sich nicht nehmen, seiner Schwägerin Hedwig, der Frau des Arztes Dr. Walter, förmlich das Wasser zu reichen, und die sehr stattliche Frau, eine ,Rubens-Schönheit', wie man in der Familie sagte, dankte mit einem Lispeln, das noch halb dem Himmel galt, und einem ebenfalls noch nicht ganz in die Welt zurückgefundenen Lächeln.

Für gewöhnlich erinnerte sie mehr an einen fröhlich lärmenden Streitwagen, der an der Spitze der Familie fuhr und ihr den Weg ins Leben bahnte.

Hinter ihr tauchte eine kleine, von Seide raschelnde Person auf, die, mit der Flinkheit eines Wiesels vor Schmittlin angelangt, schnuppernd haltmachte. Plötzlich hob sie die Augenbrauen wie einen Rolladen, der dem Betrachter die Köstlichkeiten des Schaufensters preisgibt. Auch ihr war Edouard gefällig, ohne freilich der Auslage einen Blick zu schenken. Um so aufmerksamer beobachteten sie die Kinder. Tante Bertha war die mühsam alternde Frau des Kolonialwarenhändlers. Sie hieß Marraine, weil sie sich für die eigene Kinderlosigkeit durch zahllose Patenschaften schadlos hielt, und galt für Großmutters beste Spionin.

Sie berührte den dargebotenen Finger und hielt die Augen weit geöffnet auf Edouard gerichtet. Dann sauste zu Roberts Vergnügen der Rolladen gleichsam mit Kraft herunter. Jeden Sonntag erwartete er mit Spannung, wie ›Tante Bertha den Rolladen hochzog und zu herabgesetzten Preisen verkaufte‹. Er versuchte den Rolladen nachzumachen, wie er hinauf- und hinabging. Leider wurde er durch die Gatten der beiden Damen gestört, die ihn zur Seite schoben. Dafür schossen vier hellgekleidete Mädchen vor, drängten mit ihm als Sturmbock in den Bereich, wo die aus Hoheit und Herablassung gemischte Höflichkeit Vater Schmittlins waltete, und der Sohn übernahm das Amt des Weihwasserspenders. Jedesmal, wenn eines der Mädchen seinen frischgenäßten Finger berührte, knickste es und sah ihm nach dem Vorbild Marraines voll ins Gesicht, dann schlug es langsam die Augen nieder und bekreuzigte sich. Im Nu waren die Kinder im Freien.

Während die Eltern, in standesgemäßem Abstand von der sich zerstreuenden Menge, auf dem Platze verweilten und nur schrittweise der allgemeinen Bewegung folgten, liefen sie gleich bis zur Apotheke an der Ecke der Krämergasse, und dort begann das Spiel. Es bestand aus zwei sehr verschiedenen Teilen. Der erste mißfiel Robert aufs tiefste – leider ließ er sich nicht überspringen, weil der Genuß des zweiten Teiles über das Erdulden des ersten ging wie der Nachtisch über den Spinat.

Es begann damit, daß Lisa ihm die gestrickte Mütze vom Kopfe nahm, unter die er seine braunen Locken versteckte. Sofort fühlte er sich entmannt. Denn daß alle Weiber, mit Ausnahme Grand'mamans, seine ›Lockenpracht‹ bewunderten und ihm verboten, sich dieser Schande zu entledigen, empfand er lediglich als Unterdrückung seiner Männlichkeit. Nachdem er einmal so geschwächt war, fiel es ihm nicht weiter schwer, die vorgeschriebene Begutachtung seines Anzuges durch Eva über sich ergehn zu lassen.

Mit der Zeit hatten sich aus der anfänglichen Anarchie Gebietshoheiten oder Protektorate herausgebildet. Eva Klein, die Tochter des Bürgermeisters, von ihrer Mutter schon im Kinderwagen als Dame hergerichtet und behandelt, hatte sich unter besonderer Berücksichtigung von Rock und Hose über die Eleganz der Gesamterscheinung auszusprechen, Emma Hämmerle, weil bei der Verteilung der auswärtigen Besitzungen nichts andres für sie übrigblieb, über das Schuhwerk. Sie rächte sich, indem sie im Gegensatz zu Eva stets etwas auszusetzen fand.

Aus unbegreiflichen Gründen war auch Lucie Schön, die Tochter eines angesehenen Friseurs (er besaß sowohl die französische wie die deutsche Rettungsmedaille), mit dem ihr unterstehenden Haarschnitt des Jungen stets unzufrieden, ob es sich gleich um eine eigenhändige Schöpfung ihres Vaters handelte. Lucie war ein hartnäckiges Mädchen, je weniger sie mit ihren Ausstellungen durchdrang, um so heftiger bestand sie auf ihrer Wissenschaft. Sie konnte kaum stillhalten, bis sie an die Reihe kam. Robert war noch damit beschäftigt, der zuständigen Behörde die Schuhsohlen vorzuweisen, da stand Lucie schon, mit einem Taschenkamm bewaffnet, neben ihm und bebte vor Ungeduld, ihre empörenden Ketzereien in die Tat umzusetzen. Robert bekam seine schweren Füße, schämte sich in den Boden.

Als letzte Heimsuchung folgte die ärztliche Konsultation durch Lisa. Ihr Haar, das in zwei schweren Zöpfen herabhing, war tiefschwarz, das Licht konnte nicht darin eindringen, es brach sich an der Oberfläche und zerstäubte in Regenbogenfarben. Die schwarzen Augen dagegen atmeten Feuer. Lisa schien überhaupt aus einem feurigen Stoff gemacht, und Lucie Schön behauptete, wenn Robert vor Lisa stehe, schmelze er wie Butter an der Sonne, »er und alles andre Getier«.

Lisa trat vor, hob mit zarten Fingern Roberts Lider und hieß ihn nach allen Seiten hin die Augen rollen. Er mußte die Zunge herausstrecken, und Lisa kratzte mit dem Nagel des Zeigefingers am angeblichen Belag.

Wäre diesmal alles wie sonst verlaufen, so hätte man sich nach Erledigung des weit geöffneten Rachens zum Hausgang der Apotheke begeben. Robert, auf der Steinschwelle sitzend, hätte ein Bein über das andre geschlagen, Lisa, mit Schlägen der flachen Hand, hätte die ›Reflexe geprüft‹, worauf man in den zweiten Teil des Programms eingetreten wäre: die ›Türkei‹.

Die Mädchen hätten sich wieder an der Ecke aufgestellt, um zu sehn, wie Robert nach einer Pause mit vorgestrecktem Bauch und schwerfälligen Bewegungen aus dem Hausgang treten und sich als kauflustiger Pascha auf den Sklavenmarkt begeben würde. Zwar kaufte er nach langem Parlieren und Feilschen doch immer nur die Lisa, aber trotz dieser Erfahrung wäre die Spannung der übrigen zum Kauf gestellten Sklavinnen nicht geringer gewesen. Da sie insgesamt geraubte Prinzessinnen waren, stand es ihnen frei, die wunderbarsten Geschichten zu erzählen, und damit, daß Robert schließlich unweigerlich Lisa wählte, wäre noch lange nicht gesagt gewesen, daß deren Geschichte als die beste, ihre Herkunft als die vornehmste zu gelten habe.

Mißlicherweise trat bei der Untersuchung des Rachens ein Unfall ein. Als Robert den Kopf zurückbog, damit Lisa ihm gründlich in den Schlund hinabgucken konnte (die Zunge hielt sie mit einem silbernen Löffelchen fest, das sie zu diesem Zweck in ihrer Tasche mitführte), kitzelten ihn die senkrecht einfallenden Sonnenstrahlen wie mit goldenen Härchen. Zuerst schüttelte er sich über den ganzen Körper und gurgelte schwach. Gleich darauf nieste er Lisa in das fachmännisch gesammelte Antlitz.

Lisa wischte sich hastig die Augen und Mund, und dann geschah es. Eine Hand flatterte in der Luft und fiel klatschend auf seine Backe zurück.

Die Mädchen, die bereits zum Lachen ansetzten, standen gewaltsam stumm gemacht und abgerissen – den Kopf zurückgeworfen, mit offenem Mund.

Der Junge hatte sich erstaunt an die Backe gegriffen und verharrte nun gleichfalls reglos, von der Betrachtung der Handfläche völlig in Anspruch genommen. Wahrscheinlich wunderte er sich, daß kein Blut daran klebte.

Am erschrockensten von allen war Lisa. Ihre Züge leerten sich stoßweise wie eine Schultafel, die abgewischt wird. Als sie das Löffelchen mit ungeschickten Fingern in der Tasche verwahrte, fiel das Gebetbuch, das sie unter der Achsel festhielt, auf den Boden, und aus Furcht, sich eine Blöße zu geben, hob sie es nicht auf, sondern stellte nur rasch den Fuß drauf. Genau betrachtet, erinnerte sie so an das Denkmal einer halberwachsenen Amazone, die sich zu weit in die Wildnis gewagt hat und plötzlich einem reißenden Tier gegenübersteht – einem mittelgroßen Büffel von einer Art, die mit Vorliebe Gebetbücher frißt.

Tatsächlich sah der breitschultrige Kerl vor ihr gefährlich genug aus. Er hielt den Nacken eingezogen, und sein Gesicht war eine einzige wogende Glut. Man konnte die getroffene Backe nicht mehr von der andern unterscheiden – nur das eine Ohr, das flammte als zusätzliches Fanal. Der Eindruck war bezwingend. Die vier Mädchen kreisten gewissermaßen mit den drohenden Mächten, die sie in Robert arbeiten fühlten.

Er indes hatte alle Mühe, einen hochgestauten Tränenstrom aufzuhalten, der gleichzeitig aus Hals, Nase und Augen brechen wollte. Deshalb betrachtete er auch so angestrengt seine Hand, und der eingezogene Nacken, so unheilschwanger er aussah, spielte lediglich die Rolle eines Staudammes.

Eva fand als erste die Sprache wieder.

»Was guckst du denn so auf deine Hand?« fragte sie ärgerlich.

Da holte er tief Atem und sagte, ohne die Augen zu heben: »Was soll ich tun? Ich kann doch nicht ein Mädchen hauen!«

Sofort gerieten die Mädchen außer Lisa in Bewegung.

»Doch«, rief Lucie. »Du kannst sie hauen! Sie ist ja deine Kusine.«

»Hau sie! Selbstverständlich kannst du sie hauen«, hetzten die beiden andern. »Sie hat angefangen. Hau sie!«

Lisa erblaßte. Es war die durchscheinende Blässe der Braunhäutigen, besonders erschreckend, weil das Blut selbst unter der dunkel bleibenden Haut zu erbleichen scheint. Sie wurde bleich bis in das Weiß der Augen, das auf einmal viel mehr Raum einnahm und die schwarze Pupille zur Seite drängte. Robert sah dergleichen zum erstenmal, und er bemerkte auch, daß sie schielte. Eine Zeitlang vergaß er alles andere, beobachtete nur das Schielen der seltsam veränderten Augen. Und dann dämmerte ihm, daß es die Angst war, die sie schielen machte. Lisa hatte Angst! Lisa schielte vor Angst! ›Schlagt ihr sie‹, wollte er den Mädchen zurufen – aber es war zu spät . . .

Er hatte nie daran gedacht, daß die Mädchen auch nur um eine Handbreit von ihrer Führerin abfallen könnten. Sie hatten ihr bisher blind gehorcht in einer Verbundenheit, die keiner Worte bedurfte. Sie waren ein lebendiger Teil von ihr gewesen, wie auch er, und in den seltenen Fällen, in denen er sich aus Eifersucht oder Gekränktheit freizumachen suchte, hatte er ihnen wie einer geschlossenen Macht gegenübergestanden – zu der er merkwürdigerweise auch dann noch mit seinem tiefen Gefühl, mit seinem Gewissen gehörte. Und nun war der Block auf einmal auseinandergebrochen. Die Mädchen ließen die Angebetete im Stich. Sie schenkten sie ihm, eine verruchte Sklavin, mit der er umgehn konnte, wie ihm beliebte. Gleichzeitig fühlte er sich frei von ihr und zu jeder Willkür befähigt.

Langsam, schloß er die Hand zur Faust. Etwas, was ihm gehörte, war zu ihm zurückgekehrt – sein freier Wille, sein Gewissen ... Er war stärker als Lisa, er spürte es von den Sohlen bis in die Haarwurzeln. Er strotzte vor Gewalt über Lisa, die von der Welt verlassen dastand und schielend ihre Strafe erwartete. Und nun kam es ihm auch vor, als hätten sie alle schon immer auf die Gelegenheit gewartet, Lisa für ihre langjährige Gewaltherrschaft büßen zu lassen . . . Kaum aber hatte er die Lage erfaßt, als sich in seinem Innern ein großartiger Wandel vollzog.

Eben noch beschämt bis zur Ratlosigkeit und hauptsächlich aus Ratlosigkeit halb entschlossen, Lisa den Fäusten und Nägeln der Freundinnen auszuliefern, fühlte er sich unversehens von einem reinigenden Luftstrom durchdrungen, langsam um sich selbst gedreht und aufgehoben. Er wog nicht schwerer als ein Wölkchen, das einem Gewitter eilig über den Himmel nachläuft, in der Ferne murmelte ein leiser Donner, der nickte freundlich zum Abschied, die Fenster der Häuser leuchteten klar, und die Erde duftete von Milde. Dies geschah in ihm tief innen. Außen war noch immer der gleiche, strahlend blaue Tag, und der hatte nichts gemein mit dem andern. Unverändert zeigte Robert ein böses, erhitztes Gesicht. Er hielt den Kopf geduckt. Die Mädchen zischelten.

»Hau mal, wenn du Courage hast!« sagte da Lisa, der das Warten zu lang wurde, sie trat dicht an ihn heran.

In seiner Faust lag sein Leben beschlossen und rührte sich mit langen, weichen Schlägen. Mit ihnen ging der Atem auf und ab und pumpte lauter Wonne. Nie hatte er sich so wenig imstand gefühlt, jemand weh zu tun einer Katze, einem Hund. Niemand.

In diesem Augenblick, der schon erhaben genug schien und keiner Steigerung fähig, in diesem Augenblick war es, daß Lisas Mutter zu ihnen trat und ausrief: »Kinder, von weitem seht ihr aus wie ein Busch weißer Pfingstrosen – mit einer einzelnen roten als Herz in der Mitte.« Er vernahm Evas leise Zauberworte: »Ja, und du bist auch ein Herz«, und spürte die feuchte Berührung ihres Mundes auf der Backe.

Es war zuviel.

Er machte kehrt, rief außer sich: »Tante!«, und noch einmal »Tante!« und flog Lisas Mutter an den Hals.


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