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XXVI

Die wiederholte Zerstörung von Bildwerken des großen Künstlers Benkal, die der Staat zur Erbauung der Mit- und Nachwelt in seinen Museen aufgestellt hatte, veranlaßte uns, gestern den Künstler in seiner Wohnung aufzusuchen.

Unsre Leser werden mit Freude vernehmen, daß es, als einzigem, dem Vertreter ihres Blattes, der sich durch die bisherigen und, wie es schien, unwiderruflichen Abweisungen der Berichterstatter nicht hatte abschrecken lassen, gelungen ist, sich einige Zeit im Atelier des Meisters aufzuhalten. Man wird weiter unten sehn, daß seine Ausdauer reichlich belohnt wurde ...

Der Meister hatte seine Freunde zu einem Fest in das Atelier eingeladen, das geschickte Hände zu diesem Zweck in ein Treibhaus umgewandelt hatten. Man sah kein Bild, keine Statue, nur Blumen und Schlingpflanzen. Sie waren so dicht, daß man in einem lauschigen Dickicht zu sitzen schien. Die zahllosen elektrischen Glühbirnen waren zwischen Blättern versteckt, so daß der ganze Raum in einem grün angehauchten Glanz schwamm. An der Tafel, die sich unter den gewaltigen Aufbauten von Obst und Blumen zu biegen schien, bemerkten wir viele bekannte Persönlichkeiten aus dem Gebiet der Kunst und der Politik sowie namhafte Vertreter der Gesellschaft.

Keine Frauen ...

Einer von Benkals nächsten Freunden hatte die Liebenswürdigkeit, uns mitzuteilen, daß der Meister ein Jubiläum feiere. Er kam unsrer Frage zuvor, indem er schnell hinzufügte: »Ein ganz persönliches, das die Öffentlichkeit nichts angeht.«

Wir vermuteten – und dürfen es wohl auch aussprechen –, daß dieses Jubiläum mit den bekannten Beziehungen des Meisters zu unsrer großen, tragisch verschollenen Ij zusammenhinge. Da wir lächelten, ergriff der Freund unsern Arm und flüsterte uns ins Ohr: »Sie sehn ja, wir sind lauter Männer. Die Konkurrenz ist ausgeschlossen ... sogar die aus Marmor.«

Dabei warf er einen vielsagenden Blick unter die Festtafel. Wir folgten dem Blick und bemerkten eine Menge Marmorstücke in verschiedener Größe, die in der Länge der Tafel auf dem Boden verstreut lagen.

»Die Mänade«, flüsterte unser Freund.

»Sind die Barbaren auch hier eingebrochen? Hat ihre Zerstörungswut sie bis in das Heiligtum der Kunst selbst getrieben?«

In diesem Augenblick hörten wir den Direktor eines unsrer Museen ausrufen: »Wahrhaftig, er hat Schmiß! Man schlägt ihm sein schönstes Werk zuschanden, und er feiert ein Fest, um über den Trümmern seiner Kunst auf das Leben zu trinken.«

Während unser Freund zustimmend nickte, sah er uns mit einem langen, vielsagenden Blick von der Seite an, und in Gedanken verloren über das Rätsel dieses Blickes, verließen wir den eigenartigen Festsaal, wo die Gäste, offenbar ahnungslos und in fröhlichster Laune, an der zauberhaften Tafel Platz nahmen ...

 

Das Atelier war geräumt und abgeschlossen worden.

Benkal hatte seine letzte Arbeit beendet, und die brauchte keine Unterkunft. Er trug sie bei sich, auf seinem großen Herzen.

Es schmerzte und quälte ihn täglich mehr, aber jetzt, wo er der reißenden Sehnsucht Gestalt verliehen hatte, schien es sich beruhigen zu wollen. Es drängte nicht mehr so. Es stand da und blickte mit großen, wilden Augen in die Welt.

Sein Herz war eine Pantherkatze, und weil es hinter den Rippen rüttelte und ausbrechen wollte, hatte Benkal beschlossen, seinem Drang nachzugeben und der Geburtshelfer der erbarmungslosen Vision zu sein. Langsam erschloß er die Nacht, in der es sich lichtfordernd wälzte. Und nun war es da, unter seiner linken Brust. Hinter kleinen Punkten, die sich zu Gittern fügten, blickte es mit zwei starren Augen hervor.

Die Tätowierung bestand aus kaum hundert Stichen, und doch war mehr als ein Monat nötig gewesen, um sie zu vollenden. Benkal hatte hohes Fieber und fühlte sich zwischen Tod und Leben. Mit jedem Stich fürchtete er, zu viel zu tun. Denn er glaubte, daß sein Herz, wenn der Kopf oder nur eine Tatze stärker würden als das Gitter, die allzu große Freiheit benützen würde, um ihn niederzuwerfen und zu zerreißen.


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