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IV

Für den Bruder war Benkal die leibhaftige Kunde und der Abglanz von alldem Bunten, Bewegten, Aufreizenden, das abends, nach Schluß der Geschäfte, unter den schillernden Monden in der großen Stadt aufging und worin er selbst, wenn er je einmal Erholung suchte, sich nur als einen tolpatschigen und stolpernden Onkel vom Land empfand ... das fremde Leben voller Gefahren im Dunkel, das sich auf ein ›Sesam öffne dich!‹ den geborenen Abenteurern erschloß wie vor ihm, dem abgearbeiteten und ein wenig traurigen Zahnfabrikanten, die Türen der Nachtlokale, die er aber, mit allen Enttäuschungen beladen, verließ ...

Benkal wußte, was er dem Älteren schuldig war, und er wandte seine Aufmerksamkeit mehr als bisher den Frauen zu. Da man den geputzten und biegsam geschweiften Mädchen, die in den grell erleuchteten Hauptstraßen Luft schöpften, nicht immer anmerkte, wie leicht zugänglich sie waren, konnte er dem gewerbefleißigen Bruder gelegentlich Geliebte vorstellen, deren artiges und feines Benehmen in Verbindung mit ihrer geschmackvollen Kleidung keinen Zweifel über die Tiefe ihrer romantischen Neigung aufkommen ließ. Weshalb wiederum der Bruder seinen Bekannten, Männern von behäbiger und gewinnbringender Lebensweise, die über das zerzauste Nesthäkchen schadenfrohe Bedenken äußerten, unter feierlichen Schwüren anvertrauen durfte, daß Benkals Geliebte Frauen aus den vornehmsten Familien der Stadt seien.

Daraus wollte er geschlossen haben, daß in dem Jungen ein ungehobener Schatz schlummere, zu dem die Frauen mit ihren feinen Händen wie von Wünschelruten geführt würden.

Benkal der Ältere war bekannt als ein ehrenhafter, aller Lüge und Prahlerei abholder Mann, auf dessen Wort sich bauen ließ. Die eingeweihten Nachbarn nahmen denn auch die allerdings erstaunliche Kunde von Benkals Erfolgen bei hochgestellten Damen in ihren Lebenserfahrungen auf als einen Beweis mehr für die Sittenverderbnis der vornehmen Geschlechter, die, wenn sie nicht gerade – was Gott verhüten sollte – Krieg führten, in Saus und Braus vom Nichtstun lebten und die niederen Stände für sich arbeiten ließen, woraus diese übrigens ihren ganzen Stolz schöpften.

Benkal aber machte seine erste Herzenseroberung im Hause eines dieser Männer, deren Frauen ihn plötzlich mit andern Augen ansahen. In ihren Gedanken folgten sie dem kleinen breitschultrigen Kerl mit scheuer, halb gruseliger, halb vertrauensvoller Neugierde – wohin? Hahna wagte nicht, es sich einzugestehn, als sie schon lange am Ziel angelangt war ... Zugleich erlebte Benkal der Ältere eitel Freude an seinem Bruder, der sich regelmäßig rasieren und die Haare auf dem viereckigen Kopf stutzen ließ, die Fingernägel blank erhielt, sorgfältig ausgewählte farbige Bänder zu duftigen Krawatten schlang und sich einen stattlichen Gang zu eigen machte, dessen Überreste sogar am frühen Morgen zu erkennen waren, wenn der Prophet unter der ungeheuren Last seiner Gedanken nach Hause wankte ...

 

Das mittelländische Bürgertum verabscheute den Krieg, obwohl viele und langwierige Kriege seinen Wohlstand geschaffen hatten. Nachdem die Mittelländer aber einmal die große Ernte in der Scheune hatten, fürchteten sie sich vor Rückschlägen und trauten dem Kriegsglück weniger als ihrem gutangelegten laufenden Geschäft, das keine Störungen vertrug.

Durch lange Friedenszeit an ein immer üppiger gewordenes Wohlleben gewöhnt, vermochten sie die Möglichkeit kriegerischer Strapazen nur mit Unbehagen, wenn nicht mit unverhülltem Haß ins Auge zu fassen, und diese in ihren Lebensgewohnheiten begründete Abneigung, die sich in helleren Köpfen zu einer Philosophie des anständigen, enttierten Menschen umbildete, fand noch eine Stütze in dem Unwillen, mit dem das Bürgertum die Überlegenheit der adeligen Geschlechter im Kriegführen und die daraus gewachsenen Vorrechte der soldatischen Kaste hinnahm. Man hörte laut sagen, an unruhigen Tagen schrie es aus Versammlungssälen bis auf die Straße, daß mit der Abschaffung des Krieges auch diese ganze Kaste überflüssig würde, der es nun schon lange genug gelang, von einem eifersüchtigen Volk Ehrung und Gehorsam zu erzwingen.

Benkal las nach dem Mittagessen Zeitungen, um dann dem Abend entgegenzudämmern, wo seine Seele sich vom Körper erlöste und glorreich die Alleinherrschaft antrat. In diesem Zustand hatte er, von einem nachmitternächtigen Gesicht gebannt, geräuschvoll geflüstert, daß ein blutiger Krieg bevorstünde. »Sie müssen bald Krieg machen, wenn sie oben bleiben wollen«, hatte er ausgerufen und dann mit schmetternder Stimme fortgefahren: »Also gibt es Krieg ... Sie treiben euch zusammen und führen euch vor den Feind ... Ihr müßt ausschlagen, um nicht niedergetreten zu werden, und gehorchen, um eure Kräfte auszunutzen, und so reiten sie euch zu, bis ihr wieder so weit seid, daß ihr die nächsten fünfzig Jahre auf den geringsten Schenkeldruck gehorcht ...

Hört ihr nicht, wie die Schleppsäbel nachts in den Straßen umgehn? Hört ihr nicht die dumpfen Stöße, von denen die Nächte der Städte erzittern wie vom Herzschlag des großen Pan? ... Der große Pan steht draußen vor den Wällen und klopft Gewehrgriffe! Und hört ihr das jetzt? Ja, ihr! Ihr meint, das seien Kanonen ... in irgendeinem Nachtmanöver ... Nein! Mehr! Viel mehr! Das ist der große Pan, der vergnügt in sich hinein lacht. Gute Zeiten kommen für ihn. Er kriegt seine Erde ein wenig aufgemistet – wahrhaftig nicht zu früh ... und dann, er konnte ja kaum noch schnaufen inmitten der vielen Menschen, die sich bei ihm breitgemacht haben. Luft! Luft! Tausend Hektoliter Blut für einen Mundvoll Luft ... An die Gewehre, ihr Sklaven! Stillgestanden! Macht Harakiri! Eins! Zwei! Tausend Hektoliter ... Ich muß sie genau messen ... Ich hab's versprochen ... Ich bitte euch, seid splendid!«

Das war eine der betrunkenen Reden, wie Benkal sie so führte. Aber er fügte unvorsichtigerweise hinzu, daß er den Krieg auch an den Frauen kommen spüre. »Sie sind so wonnig aufgeregt«, flüsterte er gurgelnd, »so schreckhaft und wild! ...«

Unterdessen machten die Friedensfreunde vergebliche Anstrengungen, ihr Ideal des wohllebenden Menschenfreundes gegen die Verdunkelung durch das heraufziehende Gewitter zu bewahren. Eines Tages schrieb ihre Zeitung, daß Benkal der Jüngere, ein Trunkenbold, gewiß, aber einer, der in seltsamer Verbindung mit der vornehmen Gesellschaft lebe, Dokumente in Händen habe, die unwiderleglich bewiesen, daß die soldatische Kaste den Krieg vorbereite mit der Absicht, im Augenblick der völligen Bereitschaft einen Konflikt mit den Nachbarvölkern herauszufordern.

Benkal wurde in seinem Wirtshaus, wo er sich gerade in überschwenglichen Majestätsbeleidigungen wälzte, aufgegriffen und ins Gefängnis geworfen.

»Was wollt ihr denn«, schrie er, »ich habe den König Olep angeschwärmt ... Jawohl, er gefällt mir. Wenn das blonde Kind mit dem Bulldoggengebiß durch die Menge reitet und den eingezogenen Kopf herumgehen läßt, als suchte er einen Feind, mit dem er es auf der Stelle aufnehmen könnte – prachtvoll! ... Schade um diese Spätgeburt des Mittelalters ... Schade, daß er da droben zwischen den Röcken seiner Frauenzimmer steckt ... Genaugenommen ist er sogar ein Kerl in meiner Art! ... Gewiß ... Er hätte eine schöne Zukunft – wenn er zu uns gehörte.«

Er versetzte den Männern, die ihn hielten, einen Stoß: »Tut mir nichts! Ihr gehört doch zu uns. Ihr seid Volk, das empor will ... Au! Ihr Sklaven.«

Benkal wurde verprügelt und behielt zeitlebens einen großen, persönlichen Groll auf alle Uniformen.

Als er anderntags erwachte und seine Lage erkannte, fand er ein tiefsinniges Lächeln, das er lange festhielt, weil er fühlte, wie es eine laue Wärme in seinem Körper verbreitete. Es galt der blamierten Kaste und besagte, daß die Benkal, sowohl der Jüngere wie der Ältere, leichtsinnigerweise für den Kriegsdienst untauglich befunden worden waren ...

Nun konnte es also losgehen.


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