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XVII

Der sie den Tag über mit bangem Herzen entgegenspielten, halb wie Verlobte, halb wie Rekonvaleszenten, sie kam wieder, die Nacht, mit den Lichtern der Königstadt, dem Raunen der Straßen und der Menge. Benkal fühlte ihr Blut, das Blut dieses grell getigerten finsteren Wesens, das die Straßen mit dem Atem seiner ächzenden Lunge füllte, in den Häusern lagerte, stumpf oder so im tiefsten belebt, daß ein Abglanz seiner Seele durch die Poren der Häuser drang und selbst scheinbar leblosen Dingen einen ekstatischen Glanz verlieh ... Fühlte das Blut des Riesen, das die großen Städte geschaffen haben, dieses organischen Wesens, der Masse, ihn durchschwemmen, dickflüssig, mit betäubendem Schlag, und wieder ganz leicht und wie fein gekräuselt. Denn so war die Art der ungestümen Seele, die im Goliath träumte, daß sie sich wie ein Unwetter zusammenzog und dann entweder plötzlich ausbrach oder aber, die Riesenlaune, mit kindlichen Gesten zerflatterte ...

In diesem schweren Leib mit den ungewissen Umrissen war Benkal ein sonores Blutkörperchen. Er hielt Zwiesprache mit seinen wimmelnden Nachbarn. Aus entfernten Gegenden des Körpers hörte er sie anrücken, in Schwärmen. Sie wurden aufgehalten und verstummten, noch weit fort. Andre kämpften sich durch, vereinigten sich mit Nebenflüssen und strömten rückweise herbei, daß alle Winkel und Tiefen mitklangen. Sie führten zwischen Kerlchen mit optimistischen Gesichtern, die sich mit kräftigen Beinen durchwateten, allerhand Leichen mit, abgestorbenes oder gewaltsam fortgeschwemmtes Zeug, das gravitätisch auf den Wogen tanzte und alles mit sich geschehn lassen mußte, obwohl sie bei dem vorausgegangenen und zu ihrem Nachteil entschiedenen Disput zweifellos recht gehabt hatten. Aber jetzt erst fanden sie Beifall, wo sie putzig hin und her schlenkerten und auf dem Rücken mitmarschierten. Denn dieser Goliath konnte, so groß er war, ein einziges behäbiges Lachen sein! Weit hinten, wo man schon gar nichts mehr von ihm sah, hörte man ihn noch immer lachen ... Manchmal schlief ihm dies oder jenes Glied ein, er selbst ruhte nie. Irgendwo war immer etwas los. Wenn er recht gefiebert, wenn ein tüchtiger Umsatz an frischer Kraft stattgefunden hatte, da konnte man an der plötzlichen Regelmäßigkeit seines Pulses merken, daß etwas geschehen war. Der königliche Schlag kündete den neuen Herrn an, den er geboren hatte. Und sofort machte er sich daran, ihn zu verdauen.

Wie ein Schiff widerwillig und doch so ungeduldig aus dem farbig bewegten, häuslichen Hafen schaukelt und plötzlich mit geraffter Kraft in die dunkle See taucht, so ließ der Wagen mit Benkal und Ij die Menge hinter sich zurück und stürzte in die Nacht.

Und hier war sie ungebrochen, im Urzustand, die Kraft, deren leise Wellenschläge Benkal in den Straßen der Stadt gespürt hatte. Sie wälzte sich mit ihm in hundert Formen und schleppte wie einen peitschenden Schweif die Wurzeln hinter sich her, mit denen der Luftzug eines elementaren Willens sie aus der Erde gerissen hatte. Das Ungeheuer des Schreckens streifte ihn, drohte ihn zu überrennen, aber Ij, die Beute, im Griff, wurde er gehoben, er ließ sein Herz, seine Nerven fahren, aber er behielt sich, er dachte und stürmte auf dem Rücken des Schreckens dahin. Die Panik der Natur warf ihm Menschen her, deren Augen ihm bis ins Blut sahen. Sie gingen durch ihn hindurch, mit einem Schrei, geschleudert, glatt und kalt und abstürzend. Sie wuchsen vor ihm empor. Sie machten ihn böse, selbst gegen Ij ...

Eiskalt vor Energie, grausam in seinem Mitgefühl, schuf Benkal wie in einem Anfall von Tollheit die Empörten, ein Marmordickicht von kaltem Licht zwischen schmalen Frauengestalten, die sich mörderisch bäumten. Er gab das Werk den ›Unschuldigen‹, die es im Park einer Vorstadt unter großen Buchen aufstellten.

Und schon hatte er es, tief beruhigt, vergessen.

In den nächtlichen Fahrten hielt er Ij.

Sie tanzte, eine Menschenfackel, rot, rot, aus der Nacht und Menge hervor, und er nahm sie und trug sie, dunkel, durch die Nacht zurück ...


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