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XV

Was soll Kru tun?

In der Stadt herrscht dumpfrote Hitze. Tagsüber sind die Läden der Häuser geschlossen, und man sieht niemand auf der Straße. Die Nächte sind voll von Lärm und Tanz und Musik. Sie tanzen halbnackt an den Straßenecken, ganz junge, deren Haare wie Fahnen fliegen, wenn sie sich drehn, und alte, die sich zwischen zwei Sprüngen nach ihren falschen Zöpfen bücken, die zu Boden gefallen sind.

Wenn Kru sich über das Geländer beugt, sieht sie lange bunte Schlangen auf dem Grund der Straßen. Sie verknäueln sich mit andern, die ihnen begegnen, sie werden länger und dicker und kriechen weiter. Es sind die Prozessionen der heiligen Frauen, die, Musik an der Spitze, Papierfackeln schwingend, durch die Stadt ziehn und sich anbieten, Männern und Frauen. Wenn eine von ihnen in ein Haus geht, aus dem man ihr gewinkt hat, steckt sie die Fackel an die Tür und legt ihre Kleider daneben ... Es kommt auch vor, daß sie sich auf der Straße hingeben. Dann schließen die andern einen Kreis um das Paar, die nächsten neigen ihre Fackeln wie Zweige darüber, und die übrigen drehn sich schreiend im Tanz.

Sie nennen das den Blütenhag. Aber nur die ›reifen Schwestern‹ dürfen sich so hingeben.

Kru schläft im kleinen Dachgarten. Sie hat Matratze und Decken hinaufgeschafft und liegt unter den Sternen. Sie unterhält sich mit ihrem Mann, der vor den Bergen im Osten liegt, und aus der Verabredung, allabendlich die Augen zur Venus zu erheben und an den andern zu denken, ist mehr als ein Stelldichein geworden, mehr als eine innige Begegnung der Gedanken ... ein Leben.

Wenn die Venus heraufsteigt, ist Kru schon da.

Zuerst saugte sich ihr Blick an dem Stern fest, es war, als ob sie sich in einer ungeheuern Umarmung zu ihm emporhebe. Diese Flitterwochen sind vorüber. Die Liebe ist ruhiger geworden. Wenn der Abendstern kommt, ist Kru da. Sie schläft erst ein, wenn der Himmel erblaßt und der kalte Frühwind über die Dächer streicht. Dazwischen gehören ihr alle Stunden, alle Gedanken, alle Sterne. Sie ist tief ruhig, wie in der Zeit, als sie ihr Kind trug.

Nacht um Nacht überlegt sie, was sie tun soll, um zu ihrem Mann zu kommen. Sie kann nicht in dieser Stadt des Jammers und der Tollheit bleiben. Sie kann nirgendwo hin, wo nicht seine Augen sie ansehn oder wo sie ihn nicht im Schlafe atmen hört, so ist es, und in jeder andern Stadt wäre es noch schlimmer. Denn diese Stadt schreit wenigstens, sie schreit so wild, daß sie, Kru, darüber still und vernünftig geworden ist ...

Benkal hat versucht, ihren Mann zurückrufen zu lassen, die Königin wollte helfen. Die arme Königin ... Eines Tages ist sie nach Osten gebracht worden, wo sie alle verrückt sein sollen vor Eifersucht, und es heißt, daß der König sie erwürgt habe.

Als Benkal sagte, daß er nun nichts mehr für sie tun könne, nickte sie.

»Da muß ich halt allein fertig werden«, murmelte sie. Sie nickte, sooft er kam, und versuchte, sie unter allerhand Vorwänden zu zerstreuen. Dieses Nicken war, als ob sie einen erwarteten Widerstand erkannte, ihr entschlossenes Gesicht zeigte an, daß nichts sie hindern werde, ihn aus dem Wege zu räumen. Kru war nicht umsonst eine großgewachsene Frau! Und wirklich, von welcher Kraft war schon der plötzliche, volle Blick aus den sonst so dunkel sanften Augen ...

Als sie bemerkte, daß Benkal sich von ihren Kirchhofsgängen irgendeine Beruhigung versprach, weshalb er sie oft dazu abholte, stellte sie auch die Besuche am Grabe des Jungen ein und blieb fortan fast immer allein. So war es ihr recht. Denn Ij beunruhigte sie. Sie war ihr zu glänzend. Kru hielt sie für den Teufel der Treulosigkeit, sie fühlte selbst und sie sah an Benkal die Macht ihrer Versuchungen.

So hat Kru im verdunkelten Zimmer, unter dem Sternenhimmel reichlich Zeit zum Nachdenken. Sie fühlt den Entschluß in sich wachsen. Sie wartet. Es dauert nicht mehr lange, dann weiß sie, was sie tun soll ...


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