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XVI

Als Benkal sie traf, war Ij eine große Tänzerin, ein weißes Tier mit einer Feuermähne, voll kalter Wildheit und zugleich zitternd vor einem heftigen Trieb für alles, was sie schöner machte. Ihre graublauen Augen, in denen plötzlich rote Funken regnen konnten, hielten immer stand, ihre spitzen Brüste rührten sich nicht. Sie hatte knappe starke Bewegungen, die gewohnt waren zu beherrschen, ohne dabei jemals in den Fehler halber Naturen zu verfallen, die es sich bequem machen und den Widerstand hastig umgehn, statt die volle, schöne Kraft auf seine Überwindung zu verwenden. Selbst wenn sie sich unterwarf, bewahrte ihre gleitende Hingabe die runde, satte Gesundheit einer großen Schlange, die tief umklammert oder sich ganz hängen läßt. Wie ihre Bewegungen, so war auch ihre Sprache, die rasch, aber in alle Lichter ihrer Laune getaucht, Zugriff, sie hatte eine tiefe Stimme, die hellen Schaum warf, wenn sie lachte.

Ij lebte in Benkals Atelier. Sie trug bunte Schlafröcke, wie sie sie liebte, große Tuchstücke in reinen heftigen Farben, die sie in zwei Truhen aufstapelte. Zumal das Rot war in allen Arten vertreten, vom tiefsten Karmin und dem moirierten Purpur bis zum Rot der Aprikosenblüte. Hier, dicht vor dem Rosa, hatte Ij haltgemacht, und schon das Aprikosenrot hatte vor ihren nach Heftigkeit dürstenden Augen nur Gnade gefunden, weil es mit schweren, lehmgelben Punkten versetzt war. Die Truhen waren voll, aber Ij hörte nicht auf zu sammeln. Sie ging von einem Schlafrock in den andern, damit verbrachte sie so recht ihre Tage.

Wenn Benkal nicht arbeitete, spielte sie wohl auch auf der Orgel, welche Kunst sie ebenso schnell erfaßt hatte wie früher, als Kind, das Klavierspiel, zu dessen gewissenhafter Erlernung sie jedoch zu ungeduldig gewesen war. Sie übertrug ihre ungeordneten Kenntnisse auf die Orgel.

Allerdings erkannte sie bald, daß ihre Lieblingsstücke, blendende, eilige Tänze, dem feierlichen Ernst des Instruments in keiner Weise gewachsen waren. Sie sah sich erdrückt und mußte, Takt um Takt, nachgeben; schließlich wich sie, um sich trotzdem zu behaupten, so weit zurück, daß Benkal sie im letzten Augenblick und mit Mühe vor der Schande bewahrte, als ein paar armselige, halbzerquetschte Entenfüße in den gewaltigen Leib eines Psalmes hineinzuwachsen.

Statt dessen sannen sie eine neue Art von Tänzen aus, Tänze, die sich eben auf der Orgel spielen ließen. Der Erfolg ihrer Bemühungen erschien ihnen selbst erstaunlich. Sie fanden Rhythmen von einer burlesken, riesenhaften Lustigkeit. Es gab Familienbälle, wo sich alle großen Tiere der Schöpfung begegneten. Die Schleifen eines Elefantenwalzers gingen ins Großartige, und die Strauße trippelten eine phantastische Polka, aus der sie plötzlich mit Windeseile ausbrachen, um nach kurzem Lauf die Flügel zu breiten und majestätisch gen Himmel zu schweben.

Hier ließen sich dann die ›englischen Stimmen‹ des Registers vorzüglich anbringen.

Noch nie hatte Ij sich so frei und froh gefühlt. Zu Hause in ihrer Wohnung saßen die Dienstboten und warteten auf den Augenblick, wo Ij hereinstürzte, schnell einige Gegenstände verlangte, deren Nützlichkeit sie in ihrem neuen Wirkungskreis entdeckt hatte, und, ohne irgendeine Aufklärung zu geben, ohne einen Bescheid zu hinterlassen, ebenso unvermittelt davoneilte, wie sie gekommen war. Der Hausmeister stand hinter ihr in der offenen Tür und hatte den Mund noch nicht geschlossen, da war Ij schon verschwunden.

 

Jede Mitternacht tanzte Ij in der Grenzfestung. Benkal fuhr im Automobil mit ihr hin, sie brauchten nie mehr als zweieinhalb Stunden, um die zweihundert Kilometer zurückzulegen. Es waren rasende Fahrten durch mondhelle Nächte, wo die Dörfer, ein Räuberhaufen, sich ihnen entgegenwarfen; nach einem Zusammenprall, der das Herz mit kalten Schauern überrann, stoben die Häuser auseinander ...

Der Wagen stieg weiße Landstraßen empor, immer schneller, immer höher, bis sie selbst stillzustehn und die Straße unter ihnen mit Musik in den Himmel zu laufen schien.

Die sparsamen Bewegungen des Chauffeurs waren das einzige menschliche Leben in der Welt, und auch das berührte sie traumhaft! Ij drückte sich an Benkal ... Du hast mich! ... Du trägst mich fort! ... Sie hielt ihn mit beiden Armen umschlungen, den Kopf unbeweglich zu ihm gehoben. Oh, wie bin ich glücklich, dachte sie, fort ... fort ... fort ... Wie sind wir allein, untrennbar allein! Fort, fort ... Wie sind wir aneinander gepackt, ins Leere geschleudert – gehoben! Oh, manchmal schwindelt mir, wenn wir so lange steil in die Höhe fahren, ich habe Angst vor dem Tod; aber dann ... dann fürchte ich ihn nicht ... Ich werfe mich, so eng ich schon an dir bin, Benkal, werfe ich mich noch zu dir, ich springe in dich. Gib deinen Mund, den eisigen! Und Benkal griff sie wie eine Beute, hob sie zu sich, hielt sie da ...

Von drohenden Schatten umringt, die sich an den Wagen hingen, fielen sie in die Abgründe dunkler Wälder, die um das gespenstische Loch, das der Scheinwerfer grub, ins Maßlose wuchsen. Die Bäume, an deren erleuchteten Rändern sie entlangsausten, waren unnatürlich grün wie aus Glas, und sie hörten auch, wie sie klirrend hinter ihnen zersprangen.

Sie flogen geduckt, mit allen Fibern ineinander verwachsen, auf und ab, schrankenlos mitbebend in der großen Gewalt ...

»Ij!«

Benkal riß sie auf den Boden des Wagens, er mußte sie umarmen, ihre Wärme fühlen, sie küßten einander, zu einem Knäuel verstrickt, mit kurzen zehrenden Bissen ...

Die sausende Leere über dem Kopf weitete sich, während die Scheinwerfer ihr magisches Loch wieder gleichmütig vor sich her trugen über Sand und Gras und Steine, und auf einmal waren wieder die Sterne da, hoch, hoch oben.

In Regennächten kämpfte der Wagen wie ein Dampfer im Sturm. Der Wogengang schleuderte ihn vorwärts, hob ihn senkrecht in die Höhe und ließ ihn krachend niederfallen. Der Wagen schlingerte und stampfte, er zitterte zerreißend, wie ein Schiff, dessen Schraube aus dem Wasser gehoben wird. Die Gesichter wurden zu ehernen Masken, die sich trotzig jeder Gefahr darboten, sicher, den Widerstand zu zerfetzen, in jähem Anlauf ihn zu überspringen, ihn mit weitgespannten Stahlmuskeln glattzubügeln oder selbst zu zerschmettern ...

Sie kamen an, Ij taumelte auf die Bühne, Benkal in den Saal.

Im Hintergrund stehend, barhäuptig, mit geöffneten Kleidern, atmete er die überhitzte Luft ... es galt, ein Schwindelgefühl zu überwinden, aber dann war es köstlich, in dieser Menge zu schmelzen, zuerst an der Stirn, an den Händen und Füßen, bis allmählich die ganze Gestalt wie in einen feinen Schweiß gehüllt war, und dabei das Gefühl zu haben, als flögen die Haare im Wind! Bunte Bilder rührten, fast zärtlich, an das von Vergewaltigungen vergrößerte Auge, die unmenschliche Größe ihrer Vision zersetzte sich prickelnd in der Unruhe all dieser nahen Gesichter. Aber die Freiheit blieb, die herrliche Freiheit des Fliegers, der für eine kurze Weile in der behaglichen Atmosphäre der gern gefesselten Kreatur ausruht.

Nach dem Tanz gingen sie in ein Hotel essen, oft in Gesellschaft, und Ij, die Beglückerin, in der Mitte, Ij, die dann sprühte, als habe sie die künstlichen Feuer der Bühne mitgebracht, und doch hing die ganze Wildheit der Fahrt noch wie Schatten um ihre Augen, flatterte in ihrem Gesicht. Wenn sie lächelte, verzog sich ihr Mund zu einer kleinen Grimasse, die Benkal ins Fleisch schnitt.

Sie schliefen eine halbe Stunde und fuhren zurück.

 

»Ich muß zu meinem Mann«, sagte Kru, »willst du mich begleiten?« Benkal sah sie an und schüttelte den Kopf. Du wunderbare Gefährtin, dachte er, du Heldin.

Kru schwieg. Ihr Wink ging über ihn hinweg zur blendenden Mänade, die sich mit schmalen Hüften aus dem Marmorblock befreite. »Kannst du mir helfen, daß ich bis hin komme? Nur helfen, Benkal.«

Sie sprach über ihn hinweg. Ihre Stimme zitterte ein wenig, die weitgeöffneten Augen wurden feucht.

Benkal schüttelte den Kopf. Leb wohl, Kru, dachte er, indem er sie unverwandt ansah. Auch du kommst nicht zurück ... Und du bist eine so tapfere Frau ... Leb wohl, Kru.

Da trat Ij herein, und nun sah Benkal Ij an, und Kru verließ ihn, fast, ohne daß er es bemerkte.


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