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VII

Die Ausdrucksfähigkeit des menschlichen Bauches ist unbegrenzt, zumal da, wo er in Freiheit auftritt, beim Manne. Es versteht sich, daß dazu auch die Art gehört, wie der Bauch getragen wird.

Laßt einen beleibten Mann, vom Kopf bis unter die Brust vermummt, vorbeigehn, und ihr werdet seine Art mit einer Deutlichkeit erkennen, die hernach die Enthüllung dessen, was sich über dem Magen befindet, durch unwesentliche Allgemeinheiten nur verwischen kann.

Dann ist es auch rührend anzusehn, wie treu die Hose, an sich doch ein gleichgültiges Stück Tuch, das Wesen ihres Inhalts annimmt, in schlaffen Falten verschämt um Nachsicht bittet oder aber herrische Gesichter schneidet, deren Anmaßung sich bis an die Stiefelabsätze fortsetzt. Sie schiebt sich breit und voll selbstzufriedener Gutmütigkeit vorwärts, schleicht mißtrauisch um die Hüften herum, lauert, gespannt vor Bosheit und Heimtücke, zwischen den Beinen, die sie wie mit Gummi zusammenhält vor lauter Angst, man könnte sie dort aus ihrem Versteck ziehn und sie zu einem konventionellen Lächeln zwingen, das doch nur – sie fühlt es schon wie Vitriol über ihr Gesicht laufen – zu einem Grinsen würde.

Wieviel Geschichten ließen sich erzählen von Bäuchen in ihren Hosen, und dabei dürfte auch die des Märtyrers nicht fehlen, des widerwillig geduldeten, gehaßten, gedemütigten und deshalb charakterlosen Bauches, den sein Besitzer zugleich im Rücken und in der Front angreifen läßt, um ihn zwischen Schenkeln und Brust aufzureiben. Gewöhnlich weiß er sich dank seiner übernatürlichen Zähigkeit zu behaupten, aber er lebt nur, um zu leiden.

Benkal des Älteren Leib führt die gemessene, aber sichere Sprache eines mittelländischen Zahnfabrikanten, dem viele, darunter hervorragende Bürger der Königstadt zu Dank verpflichtet waren. Er gab sich artig und zurückhaltend, wie man mit reichen, gepflegten Kundinnen sein soll. Zugleich heimelte er auch den Bauersmann und kleinen Gewerbetreibenden an, die den großen Sack mit dem Kleingeld füllten. Man sah ihm an, daß er die Universität besucht hatte und daß die geistigen wie materiellen Lücken, die in seiner Jugend nur zu sehr aufgefallen waren, sich, gewiß zum Vorteil der Gesamtentwicklung, nur langsam gefüllt hatten. Ja, man sah ihm sogar an, daß er Benkals, des richtigen Benkal, Benkals des Jüngeren Bruder war.

Man erkannte es an dem Schimmer von Langmut, Sanftmut, Uneigennützigkeit, dessentwillen alle Welt ihm Vertrauen schenkte. Von der leidenschaftlichen Liebe zum Weibe hätte er irgendeinen heftigeren, unruhigeren Zug erhalten, Elternliebe hätte ihn unterwürfiger gemacht. So liebt nur ein Bruder, und Benkal der Jüngere war eben nicht von der Art, wie es viele Brüder gab, er war besonders, und das spiegelte sich natürlich in der Liebe des Älteren und gar, wenn er vor dem Sofa saß und zuhörte, was der Kleine ihm wieder von sich zu erzählen wußte.

Benkal lag zusammengerollt in der Ecke des Sofas und nahm ein Seelenbad in dem wohltuenden Anblick des Bruders. Er hatte schwere Zeiten hinter sich. Hahna, die nicht hatte warten können, war ihm untreu geworden ...

Sie liebte seinen Freund Trule, und sie liebte ihn nicht so, wie es hätte sein sollen. Statt Trule zu nehmen, wie er war, verkleidete sie ihn in einen Benkal, der schlankere Beine und einen goldklaren Schnurrbart bekommen hatte. Zwar glaubte Benkal nicht sicher zu sein, ob er Hahna nach dem verzückten Zusammenleben mit ihrem Bild im Gefängnis noch hätte lieben können ... Er konnte es nicht sagen, denn, bevor er sie wiedergesehn hatte, war Trule zu ihm gekommen, um mit ihm zu sprechen ... Sein Bruder allerdings, den er an dem geschäftsfreien Nachmittag zur Bearbeitung des Problems zugezogen hatte, versicherte mit Festigkeit, daß Benkal die Frau nicht mehr hätte lieben können, und wenn sie noch so groß und noch so kostbar gekleidet sei. Denn die schönste Wirklichkeit könne, wie uralte Erfahrung lehre, nicht standhalten vor dem Traum. Überdies war er der Meinung, daß die Dame, die Benkal ihm nicht näher bezeichnet hatte, die er aber für die Frau irgendeines Kriegers hielt, durch ihre Untreue das Anrecht auf Mitgefühl verscherzt habe; es tat ihm leid, denn sicher war sie von feiner Art, aber ein Mann mußte gegebenenfalls auch grausam sein können.

Schwerer als Hahnas Untreue drückte Benkal ein Gefühl der Verantwortung, das ihn auch noch quälte, als er Hahnas neue Liebe bereits mit Freundlichkeit betrachtete. Irgendwie fühlte er sich für Hahnas Wohlergehn verantwortlich ... verantwortlich vor dem Weltgeist, der Liebe, der Liebe aller Menschen. Denn schon ächzte Trule unter den Benkal wohlbekannten, Trule aber vollkommen unverständlichen Äußerungen Hahnas, daß sie nur ihren Mann wirklich liebe und nie, nie die Geliebte eines andern sein könne ...

Wenn sie einen solchen Anfall von schlechtem Gewissen bekam, hatte Benkal sie gestreichelt und ihr zugestimmt, wie man ein ängstliches Kind tröstet. Trule war ein Schwärmer und Tyrann, war nicht dazu geschaffen, auf die Dauer die seltsamen Beschwörungen eines so offenbar ungefährlichen Nebenbuhlers zu ertragen. Er rüstete zu einer Machtprobe, aus der Hahna in jedem Fall gebrochen hervorginge. Entweder es gelänge ihm, ihr eine innere Befriedigung, die sie brauchte, einen wesentlichen Halt ihres kleinbürgerlichen Gemütslebens zu nehmen, oder sie würde in die Arme ihres Gatten zurückgeworfen, wo alle Demütigungen, vielleicht Schläge, aber sicher keine Nachsicht sie erwarteten. Denn Hahnas Mann war auch ein Tyrann, aber kein Schwärmer. Hahna würde schlecht. Letzten Endes durch seine Schuld ... Die größte, die einzige Sünde war, Liebe zu verderben ...

Ja, es war eine sehr wichtige Angelegenheit für Benkal ... Und er wollte sie aufsuchen. Morgen. Ihr sagen: Hahna liebt nur ihren Mann. Sie ist ihm untreu geworden, weil sie einsam und verbittert war. Sie wäre es nie geworden, wenn er sich ein wenig mehr um sie gekümmert hätte. Sie würde es nie wieder, sie trennte sich auf der Stelle von Trule, wenn sie sähe, daß ihr Mann ihretwegen litte ... Das wissen wir, Hahna, und ich vermute, Trule weiß es im Grunde auch. Aber wirf es ihm nicht immer ins Gesicht. Du willst ihn doch nicht vor sich und dir verächtlich machen? Betrachte es wie ein stillschweigendes Übereinkommen, und wenn Trule um deine ganze Liebe schreit, so sage doch ja zu dem, was du ihm sowieso gibst ...

Benkal der Ältere saß vor dem Sofa und versuchte zu erraten, was der Kleine plötzlich Seltsames zu träumen hatte. Der Kleine hielt die Augen geschlossen, aber sein Körper arbeitete, die Adern an den Schläfen schwollen auf und ab, und manchmal stöhnte er mitten aus einem zittrigen Lächeln.

Als er die Augen aufschlug, ließ er sie dankbar auf dem Bruder ruhn, dann sagte er: »Die Arbeit befreit. Sie stellt alles wieder an seinen Platz, sie ordnet die Welt, als wäre es zum erstenmal ... Ich will an meine Mütter gehn.«

Er bildete Hahna noch einmal. Sie stand verstört über ihren Kindern, aller Glanz war von ihrem armen Leibe gewichen, der fassungslos zusammensank in die ewige Nacht der Hüften. Nur auf den Schultern ruhte noch immer der bräutliche Schmelz, wert, daß gütige Arme sich darauf niederließen.

 

Gegen Abend fuhren die Brüder oft an die Peripherie der Stadt, wo Parkanlagen sich weithin ausbreiteten und in Wälder und Kornfelder übergingen. Benkal lag am Boden und sah den Bäuerinnen bei der Arbeit zu.

Es waren starke Frauen mit tierhaft gesundem Leib, denen der Rock lose an den Hüften hing. Ihre Brüste bewegten sich in den Kattunblusen wie strotzende Euter. Wenn sie die Augen hoben, flog der Blick gleich über die Felder dem Horizont zu ... Mit der beschattenden Hand über den Augen standen sie feierlich in der Natur, die plötzlich für einen Augenblick verstummte, als folgte sie lauschend ihrem Blick.

Am liebsten saß er auf einer Bank der Anlagen, wohin bei sinkender Nacht müde, schweigsame Arbeiterfrauen kamen. Sie hatten die Kinder schlafen gelegt und lustwandelten jetzt am Arm ihres Mannes, mit dem sie nicht recht Schritt hielten; sie blieben immer ein wenig zurück. Weilten ihre Gedanken anderswo und folgte der Körper nur widerwillig der Richtung, die der Mann angab? Aber obwohl er, die Hände in den Hosentaschen, den Arm der Frau eingeklemmt, mit vorgestrecktem Kopfe zog, schien auch er zu träumen und sich treiben zu lassen. Nur, daß es bei ihm aussah, als ob etwas vor ihm, in der Ferne, ihn anzöge, während eine andere Macht die Frau zurückhielt. Trotzdem lagen ihre Gesichter still und zufrieden wie der dunkelnde Park, durch den sie trieben.

Benkal wußte nicht, warum der Anblick der wenigen Paare, die so an ihm vorbeigingen, ihn mehr schmerzte als die Verlassenheit der vielen Frauen, deren Männer im Kriege waren! Sie kamen, die Arme eingehängt, in Gruppen von vier und fünf, sie ließen, alle auf einmal, einen großen Blick auf die Brüder fallen, einen Blick, der nichts verriet, der nicht kalt war und auch nicht warm, weder leicht noch schwer, einen Blick, der in der Schwebe über dem Leben hing, und wenn sie vorbei waren, fühlte Benkal, wie sich eine Leere hinter ihnen schloß, wie die Strömung hinter einem Nachen. Sie tauchten auf und verschwanden in der Dämmerung und blieben bis tief in die Nacht. Zuletzt konnte Benkal nicht mehr unterscheiden, ob sie noch da waren oder ob nur die Bäume und Sträucher sich im Dunkel bewegten. Das einzige Wort, das er von den Frauen gehört hatte, immer dasselbe, war: Der Krieg. Der Krieg ... Dort hinten in der Nacht lag die Bestie geduckt am Boden, und die Nacht voll klopfender Frauenherzen hielt, halb ohnmächtig, den Atem an in Erwartung ihres Sprunges ...

»Hast du schon eine Katze mit ihren Jungen gesehn?« fragte Benkal einmal auf der Heimfahrt ... »Wenn man ihr zu nahe kommt, scharrt sie die Jungen unter sich und versucht sie mit ihrem Leib zuzudecken ... So müssen die Mütter da draußen nachts über ihren Kindern liegen.«

Der Ältere sah lange an sich hinunter und antwortete, plötzlich überwältigt: »Ich möchte auch Kinder haben.«


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