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Viertes Kapitel
Die Hexen

siehe Bildunterschrift

J. Francken. In der Hexenküche
Staatliche Gemäldegalerie, Wien

Der Verfasser gibt zu diesem Abschnitt eine halbe Seite Schriften an, denen er den Stoff zu seinen Ausführungen entnommen hat. Außer seiner eigenen Sittengeschichte dürfte wohl kein einziges der dort aufgeführten Werke dem Laien erhältlich sein. Leider ist dies aber auch bei dem einzigen großen Werk über den Hexenprozeß der Fall, das Soldan-Heppes, das ich vor Jahren im Verlage von Georg Müller in München neu bearbeitet erscheinen ließ. Auch dieses Buch ist völlig vergriffen. (D. Hrsg.)

Das Buch der Geschichte trieft von Tränen, und Schmerzlichstes muß es merkwürdigerweise immer da erzählen, wo es von den Entwicklungen der religiösen Idee handelt. Kein anderes Motiv hat jederzeit die Menschen zu wahnsinnigerer Wut entflammt als der Zwist und Streit um ihre Götter. Hier haben sich mit der höchsten Begeisterung, die das Menschenherz schwellen kann, die gemeinsten Triebe, die schrecklichsten Leidenschaften gemischt, und in einem Ozean von Blut ist der Purpurmantel der Religion gefärbt worden. Was aber immer menschlicher Wahn und menschlicher Fanatismus unbewußt oder bewußt gesündigt, das Greuelhafteste haben sie doch im Hexenglauben und im Hexenprozeß zuwege gebracht. Blödsinn und Wahnwitz, Afterglaube und Angst, feige Tücke und rasende Mordlust verbanden sie da zu einem Tun, dessen Resultate das düsterste Kapitel der Weltgeschichte füllen. Betrachtet man dieses höllische Bild und stellt die abergläubischen Tendenzen und Praktiken unserer eigenen Zeit daneben, die somnambulistischen und magnetischen Gaukeleien, die Geistersehereien und Gesundbetereien, die Muttergotteserscheinungen und Wunderquellensprudelungen, die Umkehr der »Wissenschaft« zum mittelalterlichen Köhlerglauben, die ganze von so vielen Kanzeln und Kathedern gepredigte Dämonologie der Unvernunft, so ist man stark versucht, in das trostlos-pessimistische Kredo einzustimmen, daß die Geschichte nur eines lehre, nämlich, daß sie nichts lehre. Und doch sind wir seit hundert Jahren unleugbar vorgeschritten: man verbrennt wenigstens keine Hexen mehr. Auch wird sicherlich eine Zeit kommen, wo die Umkehrprofessoren, Umkehrkonsistorialräte, Umkehrzeitungsschreiber unserer Tage als gewesen und fürder unmöglich der Kulturgeschichte ebenso verfallen sein werden, wie die Hexenrichter von damals heutzutage es sind. Nur wird man dann die modernen Inquisitoren nicht mit dem Gefühle des Grauens, das die alten einflößen, betrachten, sondern mit dem der Ergötzung. Denn mögen sich die Apostel und Familiaren des Köhlerevangeliums noch so ernsthaft und grimmig gebärden, sie sind und bleiben lächerliche Gesellen, und die Maske à la Torquemada oder Calvin steht ihnen so komisch zu Gesicht, daß wir bereits das unauslöschliche Gelächter zu vernehmen glauben, das in künftigen Tagen darüber erschallen wird. Freilich, der schwarze Faden des Wahns wird nie aus dem Gewebe menschheitlicher Entwicklung verschwinden, und demnach gibt es, wie heutzutage, wohl auch künftig immer eine Spezies von Ketzerrichtern und Hexenbrennern, über die man nicht lachen wird. Denn zu allen Zeiten liebten und lieben es die Menschen, die Torheit der Vorfahren lächerlich, ihre eigene aber ehrwürdig zu finden.

siehe Bildunterschrift

Hexentreiben
Holzschnitte aus dem 16. Jahrhundert

Doch unsere Aufgabe ist nicht, über die Gegenwart zu moralisieren oder Zukunftsträume zu spinnen, sondern nur, von der Vergangenheit zu erzählen. So wollen wir denn vom Hexenwesen reden, dem brennendsten Unrecht, der tiefsten Schmach, dem furchtbarsten Leid, die dem weiblichen Geschlechte jemals angetan worden sind. Es ist traurig zu sagen, aber es muß um der Wahrheit willen gesagt werden, daß sich unser Vaterland vor allen übrigen Ländern darin ausgezeichnet hat, den grausamen Wahnsinn des Hexenprozesses recht methodisch, recht umfassend, recht beharrlich zu treiben. So sehr war durch den Einfluß des Teufelsglaubens die altgermanische Frauenverehrung, die im Weibe etwas Heiliges gesehen hatte, getrübt worden, daß unsere Altvorderen etliche Jahrhunderte hindurch es für möglich, ja für wirklich hielten, deutsche Mädchen und Frauen gäben Sitte und Scham, alles Hohe und Heilige, was der Mensch besitzen kann, für die widerliche Umarmung eines scheußlichen Bockes hin. Es dürfte doch schwer sein, auf dem ganzen Gebiete menschlicher Narrheit etwas aufzufinden, was an blödsinniger Gemeinheit dieser christlich-theologischen Phantasie nur halbwegs gleichkäme.

siehe Bildunterschrift

Stallknecht und Hexe
Hans Baldung, genannt Grien

Der Glaube an Zauber und Hexerei war ein notwendiges Zubehör mittelalterlichen Christentums. Es war ja dieser Glaube eine logische Folge des Glaubens an einen Gegengott, an den Teufel. Gut und Böse, Schöpfung und Zerstörung, Tugend und Sünde, Wahrheit und Lüge, Geist und Materie, Licht und Finsternis, Ormuzd und Ahriman, Gott und Satan, – das sind bekanntlich die beiden Pole, um die sich die religiöse Idee dreht und die auf die Entwicklung der meisten Religionssysteme bestimmend eingewirkt haben. Um sich sein eigenes zweispältiges Wesen gegenständlich zu machen, mußte sich der Mensch überall wie einen Gott, so auch einen Teufel schaffen, obzwar dieser Gegensatz z. B. in der Religion der Hellenen, die den Zwiespalt von Natur und Geist nicht anerkannte, nicht so schroff sich herausgebildet hat. Auch der Mosaismus wußte ursprünglich nichts von einem Satan, nahm dann aber diese Verpersönlichung des negativen, des bösen Prinzips aus der zoroastrisch-persischen Dogmatik herüber und überlieferte ihn später dem Christentum. Bei den Evangelisten Matthäus und Lukas tritt – in der Versuchungsgeschichte Jesu – der Teufel bereits fertig auf, als Widersacher Gottes, Aftergott, Gegengott. Im Verlauf der Siege des Christentums über das Heidentum wurden ihm hierauf noch weitere Züge angebildet, indem die christliche Priesterschaft bemüht war, die alten Götter, deren Andenken sie nicht aus dem Volksgemüt zu verbannen vermochte, zu bösen Geistern, zu Teufeln herabzulästern. Zu dem Bilde des Gesamtrepräsentanten der teuflischen Eigenschaften, zu dem Bilde des Oberteufels haben die orientalischen Religionen, wie auch die hellenisch-römische, die germanische und keltische Religion, Einzelstriche geliefert; doch handelten die christlichen Theologen in ihrem Sinne folgerichtig, wenn sie, die ja die Natur als sündhaft verwarfen und das Diesseits dem Jenseits gegenüber als nichtig und unberechtigt erklärten, die Vorstellung, die sich das klassische Altertum von dem großen Naturgott gebildet hatte, auf Satan übertrugen und also – allerdings mit häßlicher Übertreibung und Verzerrung – aus dem großen Pan den großen Bock machten.

Die ganze mittelalterliche Weltanschauung war durch den Gegensatz von Gott und Teufel bedingt und bestimmt. Im Mittelpunkt des Weltalls schwebt, nach der Ansicht von damals, die Erde, um die sich in sieben übereinander gebauten Himmeln die Sonne, der Mond und die fünf Planeten mit verschiedener Geschwindigkeit im Kreise bewegen. Über den sieben Himmeln wölbt sich eine achte Sphäre. In ihr hängen die übrigen Gestirne körperlos und ohne Schwere frei, oder sie sind an sie geheftet. Über der achten steigt eine neunte Sphäre auf, der kristallinische Himmel, und über dieser eine zehnte, die Feuersphäre, das Empyreum, allwo Gott und sein Sohn mit den Seligsten der Seligen thronen, während die übrigen nach den verschiedenen Graden ihrer Vollkommenheit in den neun anderen Himmeln verteilt sind. Entgegengesetzt dieser Wohnung der Götter, der Engel und der Seligen ist die Hölle. Sie befindet sich im Mittelpunkt der Erde und dient dem Satan und den übrigen gefallenen Engeln sowie den verdammten Seelen zum Aufenthaltsorte. Gott hat das Universum, Erde, Himmel und Hölle aus Nichts geschaffen. Er regiert sie willkürlich von seinem himmlischen Sitze aus. Er ist ein außerweltlicher Gott. Er steht als Geist der Natur gegenüber, die nicht etwa in ihr selbst liegenden unabänderlichen Gesetzen gehorcht, sondern in jedem Augenblick dem Einwirken Gottes und seiner Geister unterworfen ist. Das eben ist die göttliche Allmacht. Nun steht aber dem Reiche Gottes und seiner Engel und Seligen das Reich des Teufels und seiner Dämonen und Verdammten feindlich entgegen. Wie verträgt sich das mit der göttlichen Allmacht? Ganz gut, denn das Reich des Teufels existiert nur durch »Zulassung Gottes«. Warum aber ließ Gott das Böse zu? Warum gab er dem Teufel Spielraum? Weil es nun einmal so sein ewiger Ratschluß ist. Dieser Grund muß dem Glauben genügen, und er genügt ihm auch wirklich.

Infolge der Vorstellung, daß dem Himmel die Hölle, dem Gott der Teufel entgegenstehe, nahm der Glaube an die Verteufelung der Welt immer größere Dimensionen an. Fand doch alles Böse, was auf Erden geschah, jedes physische und moralische Übel seine Erklärung in der Ansicht, daß der Teufel, zugleich Gottes Widersacher und Affe, stets eifrig darauf aus sei, durch Mehrung des eigenen Reiches das Reich Gottes zu mindern. Ein Resultat dieser Mehrung des Teufelsstaates war zunächst das Besessensein von Menschen durch den Teufel, beziehungsweise durch höllische Dämonen, wovon die Evangelisten so vieles zu erzählen wissen Matthäus 8, 28-32. Markus 5, 1-20; Lukas 8, 26-39. (D. Verf.), d. h. viele Krankheiten der Seele und des Leibes, die die Unwissenheit der Menschen und eine stümperhafte Arzneikunst weder zu erklären noch zu heilen verstanden, wurden für eine Wirkung teuflischer Bosheit gehalten. In Nachahmung der Austreibung von Dämonen aus Besessenen durch Jesus bildete die Kirche kraft des auf ihre Diener ausgegossenen heiligen Geistes eine förmliche Kunst des Exorzismus aus, die dem Teufel entgegenarbeiten sollte. Gott inspiriert seine Anhänger, der Teufel besitzt sie. Aus dem Gegensatz von Gottesreich und Teufelsreich ergibt sich ferner der Unterschied von Wunderwirkung und Zauberei. Gott und der Teufel greifen gleichermaßen nach Willkür in die Gesetze der Natur ein und ändern diese nach Belieben. Aber jener ist der legitime, dieser bloß ein »zugelassener« illegitimer Herr der Natur und daher die teuflische Zauberei nur eine Travestie der göttlichen Wunderwirkung. Dieser Unterschied findet auch statt, wenn Gott und der Teufel ihre Gewalt über die Naturgesetze ihren Anhängern unter den Menschen übertragen: die Gotteslieblinge, die Heiligen, wundern, die Teufelslieblinge, die Hexenmeister und Hexen, zaubern. Ich gebrauche dieses Wort im tätigen Sinne nach dem Vorgang von Grimm Deutsche Mythologie, S. 983. (D. Verf.): »Wundern heißt übernatürliche Kräfte heilsam, zaubern sie schädlich oder unbefugt wirken lassen; das Wunder ist göttlich, der Zauber teuflisch.« Das Wundern ist legitim und verdienstlich, das Zaubern sündhaft und strafbar, denn: »Die Zauberinnen sollst du nicht leben lassen!« hatte schon das mosaische Gesetz geboten (Mose 2, 22, 18). Der Teufel, in seinem beständigen Kriege gegen das Reich Gottes der Parteigänger bedürftig, verleiht seine Zaubermacht an Menschen, natürlich gegen entsprechendes Äquivalent. Die Zauberer und Zauberinnen müssen Gott absagen und dem Fürsten der Hölle ihre Seele verpfänden. Auf diesem Verhältnis beruhte die ganze »schwarze Magie«, jener mittelalterliche Glaube an den Bund des Menschen mit dem Teufel, der in unserer Faustsage eine so hochpoetische, durch den Genius Goethes zur modernen Universaldichtung umgeschaffene Gestaltung gewonnen hat. Zum Hausrat der schwarzen Magie aber gehörten alle die bunten, tollen, wunderlichen und ekelhaften Meinungen und Praktiken vom Verzaubern und Verwandeln, vom Geisterbeschwören und Geistererlösen, vom Wind- und Wettermachen, vom Krank- und Lahmsprechen, vom Schatzheben, Nestelknüpfen, Schloßschießen, Vernageln, Treffschießen, Festmachen und Diebstahlweisen, von der Milchentziehung, von Alraunen, vom Glücks- oder Galgenmännlein, »Spiritus familiaris Eine sehr geist- und phantasievolle dichterische Behandlung dieses Volksglaubens gibt »Der spiritus familiaris des Roßtäuscherg« von Annette von Droste-Hülshoff, Gedichte, Reclam. (D. Verf.)«, von Liebeszauberbildern und Liebestränken Der Glaube an die Wirkung der Liebestränke (Liebgifte, die philtra der Griechen und Römer) war noch im 3. Dezennium des 18. Jahrhunderts sehr verbreitet. So sagt Kräutermann in seinem 1726 erschienenen »Kuriosen und vernünftigen Zauberarzt« ganz ernsthaft: »Zu den magischen oder teufelischen Liebesmitteln gebrauchen Zauberer und Zauberinnen teils allerhand Worte, Zeichen, Murmelungen, Wachsbilder, teils die abgeschnittenen Nägel, ein Stückchen von der Kleidung oder sonst etwas von der Person. Huren und dergleichen Gesindel bedienen sich ihres Menstrui, des seminis virilis, Nachgeburten, Milch, Schweiß, Urin, Speichel, Haar und dergleichen mehr.« Die nachstehende Geschichte von der Wirkung eines Liebeszaubers könnte man für ein Produkt des Volkswitzes halten, falls sie unser Gewährsmann (Harsdörfer im »Schauplatz lust- und lehrreicher Geschichten«, 1653) nicht mit der ernsthaftesten Miene der Gläubigkeit erzählte (*er entnahm sie dem Diarium des Andreas Ratisponensis, wo sie dem Priester im Jahre 1524 zugestoßen sein sollte): »In der obern Pfalz hat sich wie landkundig zugetragen, daß ein Pfaff sich in eine ehrliche Bürgersfrau verliebt, und da sie in dem Kindbett gelegen, von ihrer Magd, der er etliche Dukaten geschenkt, etlich Tropfen von der Frauenmilch begehrt. Die gab ihm aber Geißenmilch. Was er damit getan, ist unbewußt, das aber hat er erfahren, daß ihm die Geiß in die Kirch vor den Altar und bis auf den Predigtstuhl nachgelaufen, was die Frau zweifelsohne hätte tun müssen, so er ihre Milch zuwegen gebracht. Er konnte des Tiers nicht ledig werden, bis er es kauft und schlachten ließ.« (D. Verf.) – alle die Ausgeburten der Phantasie, die noch heute unter dem Volke umgehen und noch immer mehr oder weniger Glauben finden Auch Grimmelshausen hat den Spiritus familiaris wiederholt in seinen Schriften erwähnt. So im 18. Kapitel der Landstörtzerin Courage, dann in der Abhandlung »Simplicissimi Galgenmännlein«. (D. Verf.). Denn der Mensch lebt nicht allein vom Brote, sondern auch von Illusionen, und überdies hat die Einbildungskraft des Volkes zu allen Zeiten mehr der dunkeln als der hellen Seite der Natur sich zugewendet. Die Kirche entwickelte schon sehr frühzeitig eine verfolgende und strafende Tätigkeit gegen das Zauberwesen. Sie ging dabei von der auf ihrem Standpunkte ganz richtigen Ansicht aus: Zauberer und Zauberinnen schließen einen Bund mit dem Teufel, folglich brechen sie ihr Taufgelübde, also sind sie Ketzer, folglich des Todes schuldig und auszutilgen, d. h. zu verbrennen, weil »die Kirche nicht nach Blut dürstet (ecclesia non sitit sanguinem)«. Wie sehr in hierarchischen Augen Ketzerei und Zauberei zusammenfielen, zeigt deutlich der Umstand, daß man den Waldensern und Stedingern schuld gab, bei ihren religiösen Zusammenkünften den in Gestalt einer Katze, einer Kröte oder eines Bockes erscheinenden Teufel anzubeten und sich fleischlich mit ihm zu vermischen. Dieses päpstliche Phantasiestück aus dem Anfang des 13. Jahrhunderts gab das Vorbild des im 15., 16. und 17. Jahrhundert immer üppiger ausgemalten Hexensabbats oder der Synagoga diabolica ab, des Glanzpunkts des Teufeldienstes.

siehe Bildunterschrift

Die eifersüchtige Landsknechtfrau
Nürnberger Holzschnitt aus dem 16. Jahrhundert

Warum zu Trägern dieses Kultus vornehmlich die Frauen erlesen wurden, erklärt sich keineswegs daraus, daß die Hexenrichter mit dem schwächeren Geschlecht leichter fertigzuwerden glaubten als mit dem stärkeren. Das Motiv war ein ganz anderes und tieferes. War doch schon im Altertum, lange bevor es Hexenrichter und einen Hexenprozeß gegeben, der Glaube an das Dasein von Zauberinnen und an ihre magischen Künste allgemein gewesen. Freilich verraten die antiken Auslassungen über Zauberinnen deutlich genug, daß im antiken Hexenwesen die Bereitung von und der Handel mit Stimulantien und Giften eine große Rolle gespielt haben, was mitunter auch im modernen der Fall gewesen sein mag. Von ältester Zeit her hielt man die Frauen zu derartigen Praktiken für tauglicher als die Männer, wie ebenso zu der Zauberei, weil in dieser etwas Heimliches, Stilles, Verstecktes, die vorwiegende Phantasie und größere Nervenreizbarkeit des weiblichen Geschlechtes Anlockendes und Stachelndes läge. Sodann kam in Betracht, daß der jüdisch-christlichen Theologie zufolge das Weib, durch das ja die »Sünde« überhaupt in die Welt gekommen, als von Natur ein »Gefäß der Unreinigkeit« – nach kirchenväterlicher Ansicht – teuflischen Einflüssen leichter zugänglich wäre als der Mann. Bei den germanischen Nationen endlich dürfte die Erinnerung an die Walküren oder Wunschmädchen der germanisch-heidnischen Religion, deren Vorstellung später in dem Glauben an die »wîsiu wîp«, die Völen oder Walen vermenschlicht erscheint, ebenfalls auf die Gestaltung des Hexenwesens mit eingewirkt haben Karl Simrock, Handbuch der deutschen Mythologie, 6. Aufl. Bonn 1887 S. 470: »Noch heißen die Hexen in niederdeutschen Gegenden Walriderske, was sie deutlich als Walküren bezeichnet.« (D. Verf.). Von den heidnischen Walen her mögen Formeln und Bräuche der Wahrsage- und Heilkunst auf die christliche Zeit sich vererbt haben, und da diese an die alten Götter erinnerten, die ja jetzt zu Teufeln herabgewürdigt waren, so konnte es nicht ausbleiben, daß die »weisen Weiber«, die von solchen Formeln und Bräuchen wußten, in den Verdacht höllischer Verbindung kamen und für Hexen galten.

siehe Bildunterschrift

[Ohne Unterschrift]

Die althochdeutsche Form des Wortes Hexe war Hazusa oder Hazasa. Die mittelhochdeutsche Form Hexse oder Hegxse oder Hekse ist selten, denn bis zum 16. und 17. Jahrhundert war für Hexe der stehende Ausdruck »Unholde« (Unholdin), in welchem Wort sich vielleicht eine getrübte Erinnerung an die altdeutsche Göttin Holda barg. Fischart gebraucht das Wort Hexe auch in männlicher Form, indem er in seiner Übersetzung des Bodinus vom Hex und von der Hexin spricht. Der genannte Bodin, der mit stupender und mehr noch stupider Gelahrtheit das Zauber- und Hexenwesen behandelt hat, beginnt seine Untersuchung mit folgender Begriffbestimmung: »Ein Zauberer, Hex (oder Hexin) ist, wer fürsätzlich und wissentlich durch teuflische Mittel sich bemühet und unterstehet, sein Fürnehmen hinaus zu bringen oder zu etwas dadurch zu kommen oder zu gelangen.« Zur Erlangung der teufelischen Mittel, d. h. der Zauberkraft, führt das Bündnis mit dem Teufel. Es wird in verschiedener Form mündlich oder schriftlich abgeschlossen. Gewöhnlich machen schon Eingeweihte die Vermittler. Die Zeremonie an sich ist einfach: Die Kandidatin, je nachdem sie eine Katholikin oder eine Protestantin ist, verleugnet »Marien und Gott« oder »unsern Herrgott und seine zehn Gebot'«. Aber zum Abschlusse des Bündnisses mit dem Bösen kommt noch ein bedeutsamer Umstand: die teuflische Buhlschaft, worüber Theologen und Juristen soviel gelehrten Blödsinn haben ausgehen lassen. Der Teufel sucht die Bekanntschaft der Mädchen und Frauen, die er zu Opfern seines Buhltriebes und demnach zu Hexen machen will, zuerst immer in Gestalt eines anständigen Mannes, in der Maske eines Junkers, Jägers, Reiters und unter den Namen Voland, Hämmerlein, Federhanns, Peterlein, Federlein, Papperlen, Klaus, Gräßle, Grünhütl oder ähnlichen. Allerdings kann einem bei Lesung der protokollarischen »Geständnisse« der Hexen unmöglich entgehen, daß in sehr vielen Fällen die »teufelische Bestrickung«, der Mädchen, namentlich sehr junge, unterlegen zu sein glaubten, in Wahrheit nur Veranstaltungen einer ruchlosen Kuppelei gewesen.

Nachdem der Satan die Auserwählten verführt und sie seiner Umarmung – in den »Geständnissen« der Hexen durchweg als »unlieblich«, »kalt« und »widerlich« bezeichnet – genossen haben, drückt er ihnen an irgendeinem Leibesteil das »Hexenmal«, das stigma diabolicum, auf, wodurch sie zum Eigentum der Hölle gestempelt werden. Der Teufel zeugt zuweilen mit den Hexen Kinder, die sogenannten Wechselbälge oder Kilkröpfe. »Wechselbelge und Kilekröpfe legt der Satan an der rechten Kinder statt, damit die Leute geplagt werden. Etliche Megde (Mädchen) reisset er oftmals ins Wasser, schwengert sie und behelt sie bey ihm, bis sie des Kindes genesen. Und legt darnach dieselben Kinder in die Wiegen, nimpt die rechten Kinder drauss und führet sie weg Martin Luther, Tischreden Fo. 220 b; ebenda, Fol. 213 b, wird die »Historia von einem Wechselkind zu Dessau« erzählt, das der gegebenen Schilderung zufolge ein armer Kretin war. Luther, als er das Kind gesehen, riet, es ohne weiteres zu ersäufen. Allein der Fürst von Anhalt, menschlicher als der teufelsgläubige Reformator, verweigerte es. (D. Verf.).« Später ging die Meinung im Schwange, aus der Vermischung der Hexen mit dem Teufel gehe nur allerhand Ungeziefer hervor, Schlangen, Kröten, Gewürm. Dies war bis zum Ende des 16. Jahrhunderts allgemeiner Glaube, dem auch Luther ausdrücklich seine Bestätigung gab.

Nachdem die Hexe Gott verleugnet hat und die Buhlin des Teufels geworden ist, wird sie beim nächsten Hexensabbat feierlich in die Gemeinschaft der satanischen Kirche aufgenommen.

Jedes Land hat für diese großen Hexenversammlungen seine eigenen Stätten, Deutschland aber in Blocksberg, Heuberg, Hörselberg, Fellerberg usw. die zahlreichsten. Die Hexensabbate finden das ganze Jahr hindurch in bestimmten Nächten der Woche statt, die große Generalversammlung aber, das höchste Fest der Hexenreligion, fällt in die erste Mainacht, die Walpurgisnacht, und zwar in sehr deutlicher Anlehnung an das germanische Heidentum, das ja zu dieser Zeit sein großes Frühlingsopferfest gefeiert hatte. Es ist klar, daß die christliche Kirche das Gefühl der Pietät, womit die neubekehrten Deutschen auf die »heilige Nacht« zurückblicken mochten, in Abscheu zu verkehren suchte, indem sie gerade in dieser Nacht die Feier des großen Hexensabbats stattfinden ließ.

Die Hexen kommen zu dem Sabbat auf Böcken, Schweinen, Strohwischen, Besenstielen und Ofengabeln durch die Luft geritten. Zu diesem Ritte befähigen sie sich durch Salbung des Körpers mit der »Hexensalbe« und durch das Aussprechen einer Geheimformel. Satan erscheint bei diesen Zusammenkünften mitunter in der Gestalt eines bunt ausstaffierten Tänzers, gewöhnlich aber in finster-majestätischer Haltung, auf einem mit Gold ausgelegten Thron von Ebenholz. Halb Mensch, halb Bock, hat er am Kinn einen Ziegenbart und am Hintern einen langen Schwanz. Seine Füße gleichen Gänsefüßen. An seinen Fingern sitzen lange Krallen. Eine Anzahl von kleinen Hörnern verflicht sich auf seinem Haupte zu einer Krone; außerdem sitzt auf seiner Stirn ein langes Horn, von dessen Spitze ein Licht ausgeht, heller als der Mond. Seine großen runden Augen, die Eulenaugen gleichen, strahlen in schrecklichem Glanz. Die Zeremonien des Sabbats, der gewöhnlich um neun Uhr abends beginnt und um Mitternacht endigt, heben damit an, daß die versammelten Dämonen, Hexenmeister und Hexen, vor dem Teufel sich in den Staub werfen, ihn unter Verleugnung Gottes und seiner Heiligen Herr und Meister nennen und ihm die linke Hand, den linken Fuß, die linke Seite, die Genitalien und den Hintern küssen. Hierauf folgt, da der Hexensabbat durchaus eine Travestie der christkatholischen Kultakte sein soll, eine Art Beichte, indem die Zauberer und Hexen dem Teufel ihre Sünden bekennen, d. h. daß sie zu wenig Böses getan oder Gotteshäuser besucht und den Gottesdienst mitgemacht hätten. Satan absolviert sie und legt ihnen je nach den Umständen Bußübungen auf. Sodann feiert er in eigener Person die Teufelsmesse, worein er eine Art von Predigt verflicht, die seinen Anbetern ein Paradies in Aussicht stellt, wie sie es sich nur immer wünschen mögen. Zum Beschluß der Messe teilt er an die Versammelten das Abendmahl in beiderlei Gestalt aus, allein die höllische Hostie ist schwarz und zähe wie eine Schuhsohle und schmeckt fade wie faules Holz, und der höllische Kelch bietet nur einen bittern und widerlichen Trank. Nun geht es zum Bankett, aber alle Speisen und Getränke sind von schlechtem oder geradezu ekelhaftem Aussehen und Geschmack. Bekanntlich lohnt der Teufel seine Anhänger überhaupt sehr schlecht. Als »Vater der Lüge« belügt und betrügt er sie auch. Das Geld, das er ihnen verschafft, verwandelt sich über Nacht in Späne, Kohlen oder Kot. Dann schickt sich alles zum Ringeltanz, wobei Tänzer und Tänzerinnen sich die Hände reichen und die Gesichter nach der Außenseite des Kreises kehren. Während geschmaust und getanzt wird, buhlt der Teufel mit allen Anwesenden, indem er den Männern als Succubus und den Weibern als Incubus beiwohnt. »Der Teuffel wird ein Incubus oder Succubus, d. i. er nimmet Mannes- oder Weibs-gestalt an sich. Ist es nun sach, dass er sich zu einem Weibe verstellet und Mannen beywohnet, so bläset er sich auf als sey er ein schwanger Frauw und zur zeit der Geburt legt er ein gestohlen Kind neben sich als sey es von jm geboren. Ist er aber ein Incubus, so wohnet er Weibern bey und verblendet sie dermassen, dass sie selbst meynen, sie gehen schwanger, und wenn die Geburtsstund da ist, legt er ein gestohlen Kind dahin Theatrum diabolorum, Fol. 191 b. (D. Verf.)

Nachdem er schließlich die Versammelten ermahnt hat, nach Möglichkeit Böses zu tun, brennt der große Bock sich selber zu Asche, von der die Hexen mitnehmen, um damit zu zaubern.

Es bedarf als feststehende Tatsache keines besonderen Nachweises, daß der Glaube an Hexen und Hexerei nur eine logische Folge des Glaubens an den Teufel gewesen ist. Der Hexenprozeß gehört daher, wenigstens in seinen Anfängen, notwendig mit zur Signatur einer Zeit, die sich verpflichtet glaubte, mit Mord und Brand für das Reich Gottes gegen das Reich des Satans zu streiten. Was unser Dichterkaiser Goethe vom Aberglauben überhaupt sagt, gilt ganz besonders vom Hexenglauben. Diese und andere »heilige Dummheit«, kraft der das Christentum, die bekannte »Religion der Liebe«, es glücklich dahin brachte, seine edelste Heldin, die schöne, keusche, fromme und begeisterte Jeanne d'Arc, als Zauberin und Teufelsbuhlin zu verbrennen, – sie hat übrigens noch heutzutage eine unendlich viel größere Gemeinde als die Vernunft, und ganz gewiß haben die Hexenbrenner nur im Sinn und Geist ihrer Zeit gehandelt, als sie zur größeren Ehre Gottes ihr frommes Geschäft begannen. Im Verlaufe der Jahre freilich hat dann die ursprüngliche Lauterkeit dieses Fanatismus zweifelsohne etwelche Trübungen erfahren. Denn zu dem mörderischen Glaubenseifer gesellte sich eine nicht minder mörderische Habsucht. Der Umstand, daß das Vermögen der Eingeäscherten eingezogen wurde und zu zwei Dritteln den Grundherren, zu einem Drittel den Richtern, Geistlichen, Angebern und Henkern zufiel, hat ohne Frage unzählige Hexenbrände angefacht. Wenn ein so schrecklicher Gegenstand einen leichtfertigen Ton vertrüge, würden wir sagen, daß die Menschen auch im Hexenprozeß das Nützliche mit dem Angenehmen zu verbinden suchten. Dem frommen Wahn gesellte sich die kaltblütige Berechnung: Was trägt die Sache ein? Die religiöse Phantasie des Volkes hatte den Webstuhl gezimmert, auf dem das ungeheuerliche Gewebe des Hexenprozesses gewirkt werden sollte. Die christliche Theologie gab den Zettel her, die christliche Juristerei den Einschlag. Nachdem die zahlreichen »Malefizgerichte« einmal bestellt waren und das vielfältige Personal, das dazu gehörte, das Fett der Sporteln geschmeckt hatte, lag es gleichermaßen in den Zeitverhältnissen wie in der menschlichen Natur, die Hexenprozeduren möglichst in Schwung zu bringen, und mit welchem Erfolg dies gelang, veranschaulicht die Tatsache, daß zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges, während alles in Deutschland bitterlich verarmte, der Hexenprozeß ein sehr einträgliches Geschäft war.

Das ganze Mittelalter hindurch waren mit anderen Ketzern auch einzelne Zauberer und Hexen von den Ketzergerichten auf die Scheiterhaufen befördert worden. Indessen hatte, wie wir erwähnten, das fromme Institut der Inquisition in Deutschland keinen rechten Boden finden können. Für diese Einbuße nun sollte der Hexenprozeß, am Ausgang des 15. Jahrhunderts infolge methodischer Entwicklung zu einem theologisch-juristischen Unternehmen ersten Ranges erhoben, unser Land in übervollem Maß entschädigen. Zu Ende des Jahres 1484 erwirkten die beiden vom Papste zu Ketzerrichtern in Oberdeutschland bestellten Professoren der Theologie, Jakob Sprenger und Heinrich Institoris, eine päpstliche Bulle, die in dem Bullenregister unter dem Titel »Summis desiderantes« – die päpstlichen Bullen werden bekanntlich nach ihren Anfangsworten betitelt – berüchtigt und ihres Urhebers, des wollüstigen und grausamen Innozenz VIII. durchaus würdig ist. In diesem merkwürdigen Aktenstück wird ein erschreckliches Gemälde von den teuflischen, Menschen, Vieh und Feldfrüchten in mannigfachster Weise schädlichen Verrichtungen der Zauberer und Hexen in deutschen Landen entworfen und schließlich werden die genannten Inquisitoren bevollmächtigt, mit allen Waffen der Kirche gegen den Hexengreuel einzuschreiten, sowie nötigenfalls den »weltlichen Arm« gegen die Schuldigen anzurufen. In Deutschland bedarf aber selbst der Blödsinn, will er gelten und wirken, der »wissenschaftlichen« Systematisierung, und so schrieb Sprenger mit Beihilfe Gleichgesinnter den »Hexenhammer Der Hexenhammer. Zum ersten Male ins Deutsche übertragen und eingeleitet von J. W. R. Schmidt, 3 Teile. Berlin 1906. (D. Hrsg.)« (Malleus maleficarum), ein Buch, in dem der fromme Wahnsinn und die fanatische Grausamkeit gipfeln. Hauber, ein Theologe der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts, sagte über den Hexenhammer: »Alles, was man von einem Inquisitore der Ketzerey und von den damaligen Zeiten, da das Reich der Finsternis und Bosheit auf das Höchste gestiegen war, sich nur vorstellen kann, das findet sich in diesem Buche miteinander verbunden: Bosheit, Tumheit, Unbarmherzigkeit, Heucheley, Arglistigkeit, Unreinigkeit, Fabelhaftigkeit, leeres Geschwätze.« Hinsichtlich der märchenhaften Unfläterei, womit der Hexenhammer die Einzelheiten der teuflischen Buhlschaft erörtert, fügt er hinzu: »Der Autor schreibt wie ein Kerl, der etliche bordels ausgehuret hat.« Der Hexenhammer, im Jahre 1489 zum erstenmal gedruckt, wurde bald das allseitig anerkannte theologische und juristische Handbuch der Hexenrichter, demzufolge die Hexerei das »schwerste, ungeheuerste und abscheulichste« Verbrechen ist und zugleich ein »außerordentliches«, crimen exceptum, bei dessen Verfolgung und Bestrafung man sich demnach auch außerordentlicher Mittel bedienen dürfe und müsse. Auch sollte die Angeberei in jeder Weise ermuntert werden. Weil aber die Kirche nicht nach Blut dürstet, d. h. weil sie ihre wirklichen oder angeblichen Gegner nicht eigenhändig hinrichtet, wurde die Hexerei als ein vor den geistlichen und weltlichen Richtern zugleich gehörendes Verbrechen (crimen fori mixti) bestimmt, weil jener über Verletzung des Glaubens, dieser über an Menschen und Dingen verübte Frevel zu richten habe. Mit andern Worten: Theologie und Juristerei verbanden sich zum hexenbrennerischen Geschäftsbetrieb.

Die Theorie, so vorsorglich und umfassend sie war, wurde durch die Praxis bald noch sehr bedeutend erweitert. Das Register der Anzeichen (indica) der Hexerei schwoll zu einem unendlichen an, denn wie leicht mußte es der hexenrichterlichen Weisheit werden, in der ver- und durchteufelten Welt überall den Teufel und demnach auch Hexen zu sehen, zu hören, zu riechen, zu schmecken! In Wahrheit, Ernstestes und Lächerlichstes, Erhabenes und Komisches, Größtes und Kleinstes, Vorzüge und Gebrechen, Tugend und Laster, Schönheit und Häßlichkeit, Reichtum und Armut, Frömmigkeit und Gleichgültigkeit, Gesundheit und Krankheit, Klugheit und Einfalt, guter und schlechter Ruf, Wort und Gebärde – alles und jedes war unter Umständen ausreichend, den Verdacht der Hexerei zu erregen. Es klingt abenteuerlich und ist doch nur zu wahr, mehr als anderthalb Jahrhunderte lang – von 1500 bis 1675 – war kein Mädchen und keine Frau, aber auch gar keines und gar keine in Deutschland auch nur eine Stunde sicher, in der nächsten nicht als Hexe angegeben, angeklagt und prozessiert zu werden. Eine Anklage war aber in neunundneunzig Fällen von hundert zugleich eine Verurteilung.

Diesem Ziele strebte das ganze Verfahren mit zynischer Offenheit zu. Die als Hexe Verhaftete wurde zuerst in fast scherzhafter Weise »ausgeförschelt«, damit sie sich fangen, d. h. zu irgendeinem Geständnis verleiten ließe, das das Fundament einer weiteren Prozedur abgeben könnte. Die gewöhnlichste Vorfrage dabei war, ob sie an Hexen glaubte. Verneinte die Beschuldigte diese Frage, so war sie eine Ketzerin und also des Todes schuldig; bejahte sie diese, so war damit ein »Indicium« gegeben, daß sie mehr von der Sache wüßte. Zunächst sollte die Angeklagte mürbe gemacht werden durch das Gefängnis. Was für Arten von Gefängnissen aber die »Hexentürme« waren, ist bekannt; Orte voll Pein und Grauen, wo die »Hexen jeder Brutalität der Verhörrichter und Büttel preisgegeben waren, Orte, wo man an armen Angeklagten, selbst an unmannbaren Mädchen gewaltsam verübte Schändungen dem Teufel bequem auf Rechnung setzen konnte und wirklich gesetzt hat. Unzählige Opfer des Hexenglaubens mögen alles bekannt haben, was immer man bekannt haben wollte, um nur aus der Kerkerpein loszukommen, die schlimmer war als der Tod. Blieb aber die Hexe fest, so wurde sie der zu den Ordalien gehörenden Hexenprobe unterworfen. Fiel diese zu ihren Gunsten aus, so wurde sie freigelassen, falls nämlich keine beschwerende Zeugenaussage gegen sie vorlag. War aber dies der Fall, so wurde die Hexe ins Gefängnis zurückgebracht und das Verfahren hatte seinen Fortgang, zunächst auf »gütlichem« Wege, d. h. man quälte die Gefangene durch Hunger, Durst und Schlafentziehung, um sie »in Güte« gestehen zu machen. Tat sie es dennoch nicht, was sehr häufig vorkam, denn der Duldmut der Frauen ist stärker als der der Männer, so verschritt man zur »Nadelprobe«, d. h. man entkleidete die Angeklagte, schor ihr die Haare am ganzen Leibe und suchte an ihm das »Hexenmal«. Fand sich ein Leberfleck, ein Muttermal, eine Warze, so stieß man eine Nadel darein. Blutete das Mal nicht, so war der Beweis der Hexerei fertig; blutete es, so machte es wohl nur der Teufel bluten, um seine Buhlin zu retten. Fand sich durchaus nichts zu einem Hexenmal Qualifizierbares vor, so hatte es der Teufel ausgelöscht. Jetzt erst, falls nämlich die Angeklagte unter allen diesen physischen und moralischen Qualen die Standhaftigkeit der Unschuld bewahrt hatte, unterwarf man sie der »peinlichen Frage«, der eigentlichen Folter, die oft mit der amtlichen Formel begann: »Du sollst so dünn gefoltert werden, daß die Sonne durch dich scheint!« Das war keine leere Drohung. Die Feder sträubt sich, das Entsetzliche nachzuschreiben, was mittels brennenden Spiritus und Schwefels, vermittels der »Daumenschraube«, der »spanischen Stiefeln«, der »Leiter«, des »gespickten Hasen« und anderer Marterinstrumente an unzähligen der Hexerei Beschuldigten, ja sogar an schwangeren Frauen verübt wurde. Gesetzlich sollte die Folter nur eine Viertelstunde dauern, gesetzlich sollte sie an jenen, die sie siegreich bestanden hatten, nicht wiederholt werden dürfen; allein die Richter wußten sich nach Anweisung des Hexenhammers über dergleichen kleinliche Bedenken leicht hinwegzusetzen. Man fuhr demnach mit der Folter solange fort, bis das gewünschte Geständnis erfolgte, bis die Hexe im Wahnsinn der Pein oder in halber Bewußtlosigkeit die ganze Litanei des Blödsinns herstammelte, die in diesen Geständnissen mit unwesentlichen Abweichungen sich immerfort wiederholt. Die teuflische Buhlschaft spielte dabei die Hauptrolle, weil auf diese gar zu leicht inquiriert werden konnte.

Ein Beispiel:

Zu Ende des 16. Jahrhunderts wütete der Hexenprozeß im kurmainzischen Odenwald und löste auch hier, wie anderwärts, die heiligsten Bande der Natur. Wolf Roßmann, ein Bauer in Amorbach, gab seine eigene Mutter als Hexe an. Die Unglückliche wurde eingezogen und der peinlichen Frage unterworfen. Das Folterprotokoll lautet so: – Frage: Wie lang sie es getrieben habe? Antwort: Mit 13 Jahren habe ich zu Schreiberg bei einer Frau gedient. Diese hat gesagt, ich soll auf den Hausboden gehn und Eier zusammenzukehren. Da erschien mir ein junger Gesell auf dem Boden im grünen Kleid und sprach, wenn ich ihn wolle, wolle er mir Eier genug geben; ich sprach ja. Fr. Was ihr teuflischer Buhle ihr an Geld gegeben? A. Er hat mir ein Stück Geld geben, so sich aber nach drei Tagen in einen Hafenscherben verwandelt. Fr. Wo ihr teuflischer Buhle Hochzeit mit ihr gemacht? A. In Amorsbrunn hat er mich mit Wasser begossen und getauft und der Buhlengeist hat das Grünhütl geheissen. Fr. In was Gestalt er ihr erschienen? A. Als ein Jäger mit grünem Kleide und spitzig Bart. Fr. Wie er teuflische Buhlschaft mit ihr verbracht? A. Er hat die teuflische Buhlschaft mit ihr getrieben wie ein Mann, aber er ist in Gestalt und Natur nit gewest wie ein anderer Mann, ganz kalt und haarig. Fr. Was sie bei des Teufels Tanzplatz tentiert hat? A. Ich habe den Tanzplatz kehren müssen und mit vielen andern dort getanzt; die Margaretha Oswald hat der Teufel auf Händ und Füss gestellt« usw. Hexen bekannten auf der Folter, Personen, die unter den Augen der Richter lebendig umhergingen, mittels zauberischer Mittel getötet zu haben! Zwölf- und zehnjährige, ja acht- und siebenjährige Mädchen, als Hexen verhaftet und gefoltert, gestanden, mit dem Teufel gebuhlt, mehrmals von ihm empfangen und ihm Kinder geboren zu haben! Ob aber das Geständnis Mögliches oder Unmögliches enthielt, gleichviel, es hatte das Urteil auf »Einäscherung« zur Folge, wie in der barbarischen Amtssprache des Hexenprozesses die Hinrichtungsweise der Opfer hieß. Man hatte ja den bereits erwähnten Ausspruch des mosaischen Gesetzes für sich, ferner mußten die Hexen schon als in Ketzerei Gefallene von kanonischen Rechtes wegen den Tod erleiden und endlich setzte auch die »Peinliche Gerichtsordnung« § 89, § 474, auf die Zauberei die Todesstrafe, unter Bestimmungen, die jeder Hexenrichter, der sein Handwerk kannte, unendlich dehnbar zu machen verstand. Bußfertige Hexen wurden, bevor man sie auf den Scheiterhaufen brachte, enthauptet oder erdrosselt, unbußfertige dagegen lebendig verbrannt, ein Umstand, der schreiend genug erklärt, warum nicht viele Hexen das ihnen durch die Folter ausgepreßte Geständnis vor ihrem Tode widerriefen; sie wollten nach all dem Entsetzlichen, das sie erlitten, wenigstens der minder qualvollen Todesart genießen. Die wenigen Angeschuldigten, die, sei es durch außerordentliche Körper- und Seelenstärke, sei es durch eine Verkettung glücklicher Umstände, den Klauen der Malefizgerichte entgingen, kamen doch nur als Krüppel an Leib und Seele aus den Kerkergrüften hervor. Viele der Eingezogenen und Gefolterten haben sich aus Verzweiflung selbst entleibt, andere dagegen haben einen glorreichen Heldenmut bewährt, eine fast übermenschliche Kraft. So, um nur ein Beispiel anzuführen, ein junges Mädchen aus Nördlingen, das 1593 als Hexe verhaftet, zweiundzwanzig sich steigernde Grade der Folter aushielt, ohne die Behauptung ihrer Schuldlosigkeit aufzugeben. Die viehischen Richter brachen aber mittels des dreiundzwanzigsten Martergrades wie die Glieder, so auch die Seelenstärke des armen Kindes.

Der achte Innozenz hatte in seiner Unfehlbarkeit mittels der erwähnten Bulle festgestellt und sogleich zu glauben befohlen, daß die deutschen Hexen »ihres Seelenheils uneingedenk und vom katholischen Glauben abfallend, mit Dämonen, die sich als Incubi mit ihnen vermischen, Unzucht treiben, mittels Anrufungen, Liedern und Beschwörungen, allerhand abscheulichen Zauberformeln, Verbrechen und Lastern die Leibesfrüchte der Weiber und der Tiere, ferner die Feldfrüchte und das Obst, die Weinberge, Wiesen, Gärten und Getreidefelder verderben, ersticken und vernichten im weiteren sogar die Menschen selbst, Männer und Frauen, ebenso Vieh aller Arten mit grimmigen, innerlichen sowohl als äußerlichen Schmerzen behaften und peinigen und die Männer verhindern, zu zeugen, und die Weiber, zu empfangen, und die Männer, daß sie ihren Gattinnen, und die Frauen, daß sie ihren Gatten die ehelichen Werke leisten; daß sie, die Hexen, außerdem den mittels der Taufe empfangenen Glauben mit gotteslästerlichem Munde verleugnen und auf Anstiftung des Teufels zahllose Laster, Greuel und Frevel begehen zur Gefahr ihrer Seelen, zur Beleidigung göttlicher Majestät und zum Ärgernis und verderblichen Beispiel für viele.« Unter so bewandten Umständen durften Sprenger und Konsorten nicht zögern, mit allem Eifer an die Ausrottung dieser deutschen Landeskalamität zu gehen, und so wurden denn schon in den Jahren 1484-1489 nicht weniger als neunundachtzig Hexenbrände veranstaltet. Trotzdem schien es mit der Sache nicht recht vorangehen zu wollen und schien der Hexenprozeß in Deutschland ebenso unpopulär zu sein, wie es die Inquisition gewesen war. Verständige Geistliche predigten sogar geradezu gegen das Hexenbrennen. Allein diesmal siegte, wie ja zumeist geschieht, der Unsinn, besonders nachdem es gelungen, die geistlichen Fürsten vom hierarchischen, und eine Menge grösserer und kleinerer Dynasten vom ökonomischen Gesichtspunkt aus für den Hexenprozeß zu gewinnen. Namentlich während des Dreißigjährigen Krieges wurden die Hexerprozeduren für manchen heruntergekommenen Landedelmann, wie nicht weniger für finanziell bedrängte Bischöfe, Äbte und städtische Ratskollegien eine eifrigst ausgebeutete Einnahmequelle. Konnte doch schon früher, noch im 16. Jahrhundert, einer der Gegner des Hexenprozesses, Kornelius Loos, mit vollem Recht sagen, das ganze Verfahren sei nur »eine neuerfundene Alchymisterie, um aus Menschenblut Gold zu machen.«

Die Reformation minderte den Glauben an Hexerei und Hexen nicht, löschte auch keineswegs die Hexenbrände, im Gegenteil! Waren doch die Reformatoren selbst sehr standhafte Teufelsgläubige, ist doch Luther insbesondere ein wahrer Fanatiker des Glaubens an den Satan gewesen. Für ihn war die Welt im wörtlichsten Sinne »voll Teufel«, die er allerdings nicht fürchtete, die ihm aber doch genug zu schaffen machten. Am meisten dann, wann ihm Hämorrhoidalleiden und Hypochondrie persönliche Begegnungen mit dem Satan bereiteten. Besonders während Luthers Aufenthalt auf der Wartburg hatte es bekanntlich der Teufel auf ihn abgesehen. Luther wird mitunter, freilich ohne Wissen und Willen, geradezu komisch, wenn er in einer seiner Tischreden gravitätisch von den Neckereien erzählt, die der Böse ihm antat. So z. B.: »Als ich Anno 1521 von Wormbs abreisete und bey Eisenach gefangen ward und auff dem Schloss Wartburg sass, da war ich ferne von Leuten in einer Stuben und kondte niemands zu mir kommen denn zween Edele Knaben, so mir des Tags zweymal essen und trinken brachten. Nun hatten sie mir einen Sack mit Haselnüssen gekauft, die ich zu Zeiten ass, und hatte denselbigen in einen Kasten verschlossen. Als ich des Nachts zu Bette gieng, zog ich mich in der Stuben auss, thet das Licht auch auss und gieng in die Kammer, legte mich ins Bette, da kompt mirs über die Haselnüsse, hebt an und quitzt eine nach der andern an die Balcken mechtig hart, rumpelt mir am Bette, aber ich fragte nichts darnach; wie ich nun ein wenig entschlieff, da hebts an der Treppen ein solch gepolter an, als würffe man ein schock Fesser die Treppe hinab.« Luther erzählt dann weiter, wie er aufgestanden und den rumorenden Satan im Namen Christi beschworen und vertrieben habe.

Bei der Ansicht der Reformatoren vom Teufel und seinem Wirken auf Erden war es ganz in der Ordnung, daß in Ländern, die dem Protestantismus sich zugewandt, die Hexenverfolgungen nicht minder eifrig betrieben wurden wie in den katholisch gebliebenen. Zwar schien um die Zeit des Augsburger Religionsfriedens hüben und drüben der Eifer etwas erkalten zu wollen, allein er wurde namentlich durch die Jesuiten wieder angefacht, die, wo immer sie in Deutschland Eingang gefunden hatten, die Anhänger der Reformation unter dem Titel von Hexenmeistern und Hexen auf den Scheiterhaufen zu befördern wußten. Die Protestanten ihrerseits wollten in der Arbeit für das Reich Gottes hinter den Katholiken nicht zurückbleiben, und so begann jetzt über ganz Deutschland hin die Hexenbrennerei im größten Stil. Katholiken und Protestanten, Fürsten, Prälaten, reichsfreie Bürgermeister und reichsfreie Krautjunker wüteten um die Wette, »die Unholden mit Stumpf und Stil auszurotten«, wie der wohlweise Bürgermeister Pheringer von Nördlingen sich ausdrückte, in welchem winzigen Reichsstädtchen nur in dem Zeitraum von 1590-1594 zweiunddreißig Hexenbrände stattfanden. Solche Einäscherungen in Masse hoben in Deutschland, wo infolge der politischen Zersplitterung und des konfessionellen Wetteifers »ad majorem Dei gloriam« der Hexenprozeß gründlicher und methodischer betrieben wurde als in irgendeinem anderen Lande, etwa mit dem Jahre 1580 an und währten so ziemlich gerade ein Jahrhundert lang; denn 1678 veranstaltete der Erzbischof von Salzburg den letzten, nicht weniger als 97 Personen verzehrenden Hexenbrand großen Stils. Sehr oft schwoll, gerade wie in diesem Falle, eine unbedeutende Hexenprozedur zu einem Riesenprozeß an, der Hunderte von Personen jeden Alters, Geschlechtes und Standes, Geistliche und Laien, Edeldamen und hörige Mägde, Domherren und leibeigene Knechte, Künstler und Handwerker, Gelehrte und Bauern, Greisinnen, Matronen, Jungfrauen und Kinder zugleich ins Verderben riß. So z. B. ließ der Bischof von Würzburg, Philipp Adolf von Ehrenberg, in dem kurzen Zeitraum von 1627-1629 in seinem Stifte 900 »Hexenleute« hinrichten, wovon 219 Opfer auf die Stadt Würzburg kamen. Erwägt man, daß in der Grafschaft Neiße allein von 1640-1651 an 1000 Hexen verbrannt worden sind; ferner, wie in der Stadt Braunschweig von 1590-1600 der Hexenprozeß so grassierte, daß die Brandpfähle vor den Toren »dicht wie ein Wald« standen; bedenkt man endlich, daß jede Stadt, jeder Flecken, jede Prälatur, jeder Edelsitz – ein Herr von Rantzow ließ auf einem seiner Güter in Holstein an einem Tage 18 Hexen verbrennen – Hexenbrände haben wollten, so ist es keine übertriebene, sondern eine sehr mäßige Angabe, der Hexenprozeß habe in deutschen Landen unmittelbar 100 000 Opfer gemordet.

Wie immer in Zeiten allgemeiner Verdunkelung der Geister und Gemüter flüchtete sich die geächtete Vernunft auch zur Zeit der Raserei des Hexenglaubens in die Herzen von einigen wenigen edlen Menschen, um von dort aus gegen den triumphierenden Unsinn zu protestieren. Schon der Hexenhammer mußte, wenn auch mit Unwillen, zugeben, daß »einige zu behaupten wagten, die Hexerei existiere nur in dem Wahne von Menschen, die natürliche Wirkungen, deren Ursachen sie nicht kennen, auf Zauberei zurückführen. Ulrich Molitor machte in seinem Gespräch von den Unholden bereits 1489 einen, wenn auch nur schüchternen Versuch, das ganze Hexenwesen als Phantasterei und Einbildung zu kennzeichnen. In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts sodann traten der Arzt Weier und der Priester Loos publizistisch gegen Hexenglauben und Hexenprozeduren auf, konnten aber nicht durchdringen und hatten schwere Verfolgungen zu bestehen. Auch Lercheimers »Christlich Bedenken von Zauberei« (1593), worin besonders die Annahme der teuflischen Buhlschaft bekämpft wurde, ging unbeachtet vorüber. Ein ruhmreicher Gegner aber erstand dem Hexenprozeß in dem Grafen Friedrich von Spee, Mitglied des Jesuitenordens – »auch aus Nazareth kann Gutes kommen«. Dieser wahrhaft große und gute Mensch – geboren in Kaiserswerth 1591 und gestorben in Trier 1635 als Opfer einer Seuche, deren Gift er als unermüdlicher Krankenpfleger eingeatmet hatte – dieser große und gute Mensch, der auch als Poet in der deutschen Literaturgeschichte eine bleibende Stellung gewonnen Trutz Nachtigall, 1649, Ausgabe Reclam. (D. Verf.), ließ 1631 seine berühmte Streitschrift »Cautio criminalis« gegen den Hexenprozeß ausgehen, eine Tat wahrhaft heroischer Humanität und zugleich eine der besten Taten verständiger Kritik von allen, die jemals getan wurden. Spee hatte als Beichtiger eine Menge von Hexen zum Tode vorbereiten und zum Scheiterhaufen begleiten müssen. Was er da gesehen und gehört, hatte ihm in noch jungen Jahren das Haar ergrauen gemacht. Es ließ ihm keine Ruhe, er mußte ein Zeugnis ablegen für die Opfer und gegen die Henker. So schrieb er sein Buch, in dem er mit richtigem Takte die Betonung auf die Darstellung des Verfahrens gegen die Hexen legte, indem er darauf ausging, zu zeigen, daß dieses Verfahren alle Angeklagten, auch die schuldlosesten, auf den Scheiterhaufen bringen müßte. Der Beweis hierfür wurde von Spee in seiner meisterhaft psychologischen Darlegung der »Summa des Prozesses im Zauberei-Laster« geliefert. Zunächst freilich vergebens, um so mehr, als die juristische Autorität jener Tage, Benedikt Carpzow, in seiner 1635 erschienenen »Kriminalpraktik« das ganze Gewicht seiner blödsinnigen Gelehrsamkeit zugunsten des Hexenprozesses in die Wagschale legte. Erst mit dem Einfluß, den des Niederländers Balthasar Becker berühmtes Buch »De betooverde weereld« (1691) gewann, brach sich die Vernunft allmählich in weiteren Kreisen Bahn und legte sich, wenn auch nicht der Hexenwahn, so doch die Hexenbrandwut nach und nach. Als dann unser großer Aufklärer Christian Thomasius auf der Grenzscheide des 17. und 18. Jahrhunderts seine ruhmvolle Laufbahn begonnen hatte, war es nicht das kleinste seiner großen Verdienste, daß er dem Hexenglauben so energisch zu Leibe ging. Wie mögen Tausende und wieder Tausende von Frauen aufgeatmet haben, als es infolge von Thomasius' Bemühungen doch nicht mehr für so ganz selbstverständlich galt, daß, wer nicht an Hexen und an die Verdienstlichkeit der Hexenbrände glaube, selber eine Hexe sei.

Trotz alledem schleppte sich die Tätigkeit der Malefizgerichte noch soweit ins 18. Jahrhundert hinein fort, daß der letzte Hexenbrand, der im Deutschen Reiche stattgefunden hat, nämlich 1749 in Würzburg, keineswegs so anachronistisch ist, wie man zu meinen pflegt. Das Opfer dieses Justizmordes war eine siebzigjährige Nonne, Maria Renata Singer von Mossau Scherr nannte diese »Hexe« Sänger von Mohan. Sehr interessant schildert das Verfahren gegen die arme Nonne auf Grund der Würzburger Akten A. Memminger in seinem Buche »Das verhexte Kloster«, 2. Aufl., Würzburg 1904. (D. Hrsg.), in München geboren und als Neunzehnjährige wider ihren Willen im Kloster Unterzell bei Würzburg »versorgt«. Sie war in Frömmigkeit und Ehren alt geworden und zur Stelle der Subpriorin ihres Klosters emporgestiegen, als der tolle Prozeß gegen sie eingeleitet wurde. Als Grundlage des Beweisverfahrens mußte die Angabe einer Nonne dienen, die auf dem Sterbebette ausgesagt hatte oder ausgesagt haben sollte, Maria Renata wäre eine Hexe. Der ganzen traurigen Geschichte mag eine jener in Nonnenklöstern so häufigen Klatschbasereien oder Altjungferngifteleien zugrunde gelegen haben. Genug, die arme Greisin ward inquiriert, und das Gericht brachte glücklich heraus, daß sie bereits in ihrem siebenten Jahre sich dem Teufel ergeben und seither alle die gang und gäben Praktiken einer Hexe ausgeübt, insbesondere auch ihren klösterlichen Mitschwestern – die armen Nonnen scheinen an hysterischen Krämpfen gelitten zu haben – Dämonen in die Leiber gezaubert habe. Leider gelang es der aus zwei geistlichen Räten des Bischofs und zwei Jesuiten bestehenden Untersuchungskommission nicht, als wichtiges Beweisstück das »Teufelspaktum« zutage zu fördern, doch reichten die »Indizien« aus, die Angeklagte durch das weltliche Gericht zum Feuertode verurteilen zu lassen. Der Bischof »milderte« das Urteil und so wurde die Unglückliche »nur« enthauptet, ihr Leichnam aber verbrannt. An dem Scheiterhaufen hielt der Jesuitenpater Gaar eine Predigt, in der er alle, die nicht an Hexen glaubten, als Atheisten bezeichnete. Er hatte im Sinne der mittelalterlichen Weltanschauung ganz recht. Übrigens war die arme greise Nonne von Unterzell, obzwar die letzte »eingeäscherte«, doch nicht die letzte im Deutschen Reiche gerichtlich gemordete »Hexe«. Denn noch 1756 wurde in Landshut in Bayern ein unglückliches Mädchen von 14, sage vierzehn Jahren, zum Tode verurteilt und enthauptet, »dieweil es mit dem Teufel gewettet hätte«. In Landshut wurde 1754 die dreizehnjährige Bortenmacherstochter Veronika Zerritschin und 1756 die vierzehnjährige Marie Kloßnerin hingerichtet. (D. Hrsg.)

Die Abstellung des Hexenprozesses in den katholischen Ländern Deutschlands verdankte man hauptsächlich dem Vorgange der Kaiserin Maria Theresia, die die Tätigkeit der Malefizgerichte energisch beschränkte. Da und dort beeilte man sich nicht sehr, der verständigen Monarchin nachzuahmen. Wurde doch in Kurbayern 1769 jedem Landgerichte eine amtliche, so ziemlich im Geiste des Hexenhammers gehaltene Anleitung für angehende Untersuchungsrichter in Hexenprozessen zugestellt. Indessen kommt einer mit Protestanten besetzten Richterbank die traurige Ehre zu, auf deutschem Boden das letzte Todesurteil über eine Hexe gesprochen zu haben, über die Anna Göldin, die im Jahre 1782 in Glarus prozessiert, gefoltert, den freundnachbarlichen Abmahnungen der Regierung von Zürich zum Trotz mit dem Schwerte hingerichtet und unter dem Galgen begraben wurde, weil sie dem Kinde ihres Dienstherrn Nägel, Stecknadeln und Steine in den Magen gehext hätte Scherr, Menschliche Tragikomödie, 6. Band, Reclam, Leipzig. (D. Verf.). Seither ist die Tätigkeit der Malefizgerichte verschollen. Nicht so der Hexenwahn, der auch in Deutschland noch manchen Ortes spukt, sogar noch unter Leuten, die es übelnehmen, wollte man sie nicht den »Gebildeten« beizählen. Denn der Hexenglaube steht und fällt mit dem Teufelsglauben: die letzte Hexe wird also erst mit dem Teufel sterben, d. h. nie, maßen die Dummheit währet ewiglich.


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