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Siebentes Kapitel
Die Frauen im Dichtermund

Die Poesie verklärt und bestraft. Sie verklärt, indem sie die Gestalt und die Züge ihrer Zeit, im Feuer des Ideals geläutert, der Nachwelt überliefert; sie bestraft, indem sie der Wirklichkeit das Ideal als einen Medusenschild entgegenhält. Die nüchterne Prüfung wird der Dichtung unschwer nach beiden Seiten hin Übertreibungen nachweisen können, aber im ganzen und großen wird sie doch ihre Wahrhaftigkeit anerkennen müssen. Diese Wahrhaftigkeit der Poesie – von der bloß mechanischen Dichterei sprechen wir natürlich nicht – hegt in ihrem Wesen. Sie muß wahrhaftig sein, sie kann gar nicht anders; denn sie geht von dem ewigen Sittengesetz, von den unwandelbaren Urbildern des Wahren und Schönen aus, von denen geschrieben ist: »Nur die Götter bleiben stet.«

In Anwendung von diesem Satz auf unseren Gegenstand ergibt sich, daß wir die Licht- und Schattenbilder, die unsere mittelalterlichen Dichter von dem deutschen Frauenleben ihrer Zeit entworfen haben, für treue halten müssen. Dichter und Frauen haben von jeher gut zusammengestimmt. Nur dichterische Hellsicht vermag die zarte Besaitung einer Frauenseele ganz zu erkennen, nur ein Dichterohr vermag die Harmonie oder Disharmonie dieses wunderbaren Instrumentes recht zu hören und recht zu verstehen. Das wissen ja auch die Frauen, sie, die statt objektiv zu denken, zumeist nur subjektiv fühlen, und aus angeborener Sympathie bringen sie dem Dichter das feinste Verständnis entgegen. Goethes Gretchen und Schillers Thekla sind hundertfach erklärt worden, aber die Frauen bedürfen dieser Kommentare gar nicht; jede konnte und würde unter Umständen selbst so ein Gretchen, selbst so eine Thekla sein. Die Frauen leben die Poesie; wir Männer begnügen uns, sie zu bewundern; wir lassen uns von dem Dichter läutern, erheben, begeistern; aber die Frauen lieben ihn: denn die ganze Musik der Poesie, nur in Frauenseelen klingt sie wieder.

Unsere mittelalterlichen Dichter haben das wohl gefühlt und haben sich deshalb auch vorzugsweise an die Frauen gewandt. Frauenleben ist Liebeleben, und daher ist die Minne der stets wiederkehrende Grundton der ritterlich-romantischen Dichtung, die ihr Liebesideal nach Möglichkeit selbst in die uralt-nationale Heldensage hineintrug, wie die Nibelungen und die Gudrun in ihrer auf uns gekommenen Gestalt beweisen. Von den beiden größten Schöpfungen der höfischen Kunstepik gesellt die eine, Wolframs Parzival, dem Thema der Frauenminne das der Gottesminne, das heißt den Versuch, die Frage nach des Menschenlebens Sinn und Ziel zu lösen, während die andere, Gottfrieds Tristan, ein Hoheslied der Liebe und Leidenschaft ist. Der Gegenstand der eigentlichen Minnesänger, der mittelhochdeutschen Lyriker, war die Minne und wieder die Minne. Ihr Singen war recht eigentlich ein frauliches. Solche männlich-stolzen Töne, wie die provenzalischen Troubadours sie liebten, sucht man bei ihnen vergebens. Der Kreis ihrer Anschauungen ist ein engbegrenzter, auf Naturfreude und Frauenliebe beschränkter, und darum konnte eine gewisse Eintönigkeit in ihren Liedern nicht ausbleiben. In dieser Hinsicht ist Schillers Urteil, obzwar zu allgemein gehalten und zu herb ausgedrückt, nicht unbegründet. »Wenn die Sperlinge auf dem Dache je auf den Einfall kommen sollten, zu schreiben oder einen Almanach für Liebe und Freundschaft herauszugeben, so läßt sich zehn gegen eins wetten, er würde ungefähr ebenso beschaffen sein (nämlich wie die von Tieck veröffentlichten mittelalterlichen Minnelieder). Welch eine Armut von Ideen, die diesen Minneliedern zugrunde liegt! Ein Garten, ein Baum, eine Hecke, ein Wald und ein Liebchen, das sind ungefähr die Gegenstände alle, die in dem Kopfe eines Sperlings Platz haben. Und die Blumen, die duften, und die Früchte, die reifen, und ein Zweig, worauf ein Vogel im Sonnenschein sitzt und singt, und der Frühling, der kommt, und der Winter, der geht, und nichts was dableibt als – die Langeweile.« Falks Elysium und Tartarus (1806), S. 3. Falk behauptete, die angeführte Äußerung wörtlich aus Schillers Munde zu haben. Weimarisches Jahrbuch II, 225. (D. Verf.) Ein Minnesänger, und zwar der bedeutendste, Walther von der Vogelweide Die Gedichte Walthers v. d. Vogelweide sind übertragen von Karl Simrock, ebenso Wolframs von Eschenbach Parzival und Titurel. Tristan und Isolde wird in der Übertragung von Heinrich Kurz zitiert, die Lieder und Sprüche der Minnesinger in der von Friedrich Rückert. Sonstige Übertragungen sind von Johannes Scherr. (D. Verf.), macht jedoch eine Ausnahme, indem sich in seinen Gedichten zu der Minnelyrik die Äußerungen eines charaktervollen und patriotischen Denkers gesellen. Aber seine innigsten Herzenslaute hat doch auch Walther da gefunden, wo er von Frauen und Liebe redet. Wie hoch und schön hat er sie gepriesen:

»Durchsüßet und geblümet sind die reinen Frauen!
So Wonnigliches gab es niemals anzuschauen
In Lüften noch auf Erden, noch in allen grünen Auen,
Lilien oder Rosen, wenn sie blicken
Im Maien durch betautes Gras, und kleiner Vögel Sang
Sind gegen solche Wonnen farblos, ohne Klang.
Wenn man ein schönes Weib erschaut, das kann den Sinn erquicken!
Und wer an Kummer litt, wird augenblicks gesund,
Wenn lieblich lacht in Lieb' ihr süßer roter Mund,
Ihr glänzend Auge Pfeile schießt, tief in das Mannes Herzensgrund.«

Gott, fährt er fort, hat die Frauen so gehöhet und gehehret, daß aller Erdenfreuden Hort in ihnen liegt; denn, sagt er in einem dritten Liede:

»Was hat die Welt zu geben
Wohl Bessres als ein Weib,
Das eines Herzens Sehnsucht eher könnte stillen?
Was bringt mehr Lust im Leben
Als ihr vielsüßer Leib?«

Aber Treue fordert er von den Frauen, die sei ihre schönste Krone, und mit der Treue verbinde sich züchtiger Frohsinn: dann stehe bei der Lilie die Rose. Ganz richtig bemerkt er auch, daß die Frauen es seien, die in der Gesellschaft den Ton angeben, und daß daher an den Unsitten der Männer die Frauen ganz oder größtenteils schuld. Er läßt da und dort durchblicken, daß das Gebaren der Frauen seiner Zeit keineswegs durchweg so gewesen, wie es hätte sein sollen; aber dagegen bricht er wieder mit starker Bruststimme in das berühmte Lob der deutschen Weiblichkeit aus:

»Lande hab' ich viel gesehn,
Nach den besten blick' ich allerwärts;
Übel möge mir geschehn,
Wenn sich je bereden ließ mein Herz,
Das ihm wohlgefalle
Fremder Lande Brauch.
Wenn ich lügen sollte, lohnte mir es auch?
Deutsche Zucht geht über alle!

Von der Elbe bis zum Rhein
Und zurück bis an der Ungarn Land
Da mögen wohl die besten sein,
Die ich irgend auf der Erde fand.
Weiß ich recht zu schauen
Schönheit, Huld und Zier,
Hilf mir Gott, so schwör ich, sie sind besser hier
Als der andern Länder Frauen.

Züchtig ist der deutsche Mann,
Deutsche Fraun sind engelschön und rein;
Töricht, wer sie schelten kann,
Anders wahrlich mag es nimmer sein:
Zucht und reine Minne,
Wer die sucht und liebt,
Komm in unser Land, wo es noch beide gibt –
Lebt ich lange nur darinne!«

Diese patriotische Huldigung steht auch nicht allein. Die »Höfischkeit« hatte die deutsche Frauentugend, wie wir gesehen, vielfach bemakelt und infolgedessen auch die Reinheit der Ansicht vom Weibe bedenklich getrübt. Aber wo immer gute Sitte sich behauptete, war auch die altgermanische Frauenverehrung noch daheim, wie wir sie in des Tacitus Germania vorgefunden. So läßt der unter dem Namen des Winsbecken bekannte mittelhochdeutsche Lehrdichter den Vater zum Sohne sagen:

»Sohn, willst du zieren deinen Leib,
So daß er sei dem Unfug gram,
So lieb und ehre gute Weib!
Alle Sorgen scheuchen sie tugendsam!
Sie sind der wonnigliche Stamm,
Von dem wir alle sind geboren.
Der hat nicht Zucht noch rechte Scham,
Der solches nicht an ihnen preist;
Er ist zu rechnen zu den Toren,
Und hätt er Salomonis Geist.«

Schamhaftigkeit, Treue und Maß forderten unsere alten Dichter von ihrem Frauenideal. Diese Dreiheit sollte ein Weib besitzen, wollte sie ein gutes heißen. Wolfram hat das im Parzival mit besonderem Nachdruck ausgesprochen:

»Ich stecke dieses Ziel den Frauen:
Die meinem Rate will vertrauen,
Die wisse wohl, wohin sie kehre
Ihren Preis und ihre Ehre
Und welchem Manne sie bereit
Mit ihrer Lieb und Würdigkeit,
Auf daß sie nimmermehr gereue
Ihre Keuschheit, ihre Treue.
Von Gott erfleh ich gutem Weibe,
Daß sie dem Maß getreu verbleibe.
Scham ist ein Schloß vor alter Sitte:
Dies Heil ists, das ich ihr erbitte.
Die Falsche lohnt nur falscher Preis.
Wie lange währt ein dünnes Eis,
Wenn des Augustmonds Sonne schien?
So fährt auch bald ihr Lob dahin.«

An einer anderen Stelle sagt er: »Weibheit, dein Brauch ist Treue!« – sieht sich aber veranlaßt, dabei zu bemerken, es betrübe ihm die Seele, daß so manche Weib heiße, die es nicht verdiene; denn viele seien zur Falschheit geneigt und bereit. Auch Wolfram kannte als keusch nicht alle Frauen, und ihre Begehrlichkeit und Heuchelei entlockte ihm das strafende Wort:

»Daß sie doch an Lüsternheit
Zucht und Sitte so verlieren
Und sich gleichwohl gerne zieren!
Sie zeigen Gästen keusche Sitte,
Doch wohnt in ihres Herzens Mitte
Das Widerspiel der Gebärde.
Dem Freunde heimliche Beschwerde
Schaffet ihre Zärtlichkeit.«

Es ist sehr beachtenswert, daß auch Wolframs großer Widerpart Gottfried von Straßburg, der welt- und lebensfreudige Meister, da, wo er sein Frauenideal aufstellt, vor allem das Maß (»die maze«) betont. In Lust und Leid, wie immer das Los der Frauen falle, mit aller Anstrengung sollen sie nach dieser Tugend streben und sollen

»Ans goldne Maß ihr Leben
Befehlen und ergeben,
Die Sinne damit regieren
Und Leib und Sitte zieren;
Denn Maß, das goldne, hehre,
Das hehret Leib und Ehre.
Von allen Dingen auf dieser Welt,
Die je der Sonne Licht erhellt,
Ist keines so selig wie das Weib,
Das stets ihr Leben und ihren Leib
Und ihre Sitten dem Maß ergibt.«

Maß ist aber im Sinne dieser Dichter nicht nur die Mäßigung, das Maßhalten; es ist die harmonische Entfaltung edler Weiblichkeit, das Ebenmaß der Physis und der Psyche, die Harmonie in sich selbst wie die Harmonie mit der Welt. Eine Frau dieser Art soll die Welt preisen und ehren, denn wohin sie tritt, verbreitet sie Frieden und Freude, und selig der Mann, dem ihre Liebe zuteil wird:

»Zu wem sie sich mag neigen,
Wem sie gar wird zu eigen
Mit Leib und Herz und Sinne,
Mit Liebe und mit Minne,
Der ward zum Heil geboren,
Ja, der ist auserkoren
Zu lebendem Heil je mehr und mehr!
Das lebende Paradies hat der
In seinem Herzen begraben!
Der darf keine Sorge haben,
Daß ihn der Hagbusch fange,
So er nach Blumen lange,
Daß ihn der Dorn je steche,
So er die Rosen breche.
Da ist kein Hagbusch und kein Dorn,
Da ist dem Kind der Distel, Zorn,
Kein Leben zubeschieden;
Da hat der rosige Frieden
Alles, was Herbe und Zorn bedeutet,
Dorn, Distel, Hagbusch ausgereutet.
In diesem Paradiese
Ist nichts, was giftig sprieße;
Da grünt noch wächst kein ander Kraut
Als was das Auge gerne schaut.
Es steht gar in der Blüte
Weiblicher Huld und Güte,
Das ist kein Obst darinne
Als Treue nur und Minne.«

Man muß gestehen, rein, schön und hoch haben unsere alten Dichter die weibliche Vollkommenheit hingestellt. Und die Sonne der romantischen Weltanschauung, die Liebe, wie lauter leuchtet sie im Minnegesang, wo dieser seinen höchsten Flug nimmt! Walther hat gesungen:

»Die Minn ist weder Mann noch Weib,
Sie hat nicht Seele, hat nicht Leib,
Irdisch Bildnis ward ihr nicht beschieden;
Ihr Nam' ist kund, sie selber fremd hienieden,
Und es kann doch niemand ohne sie
Des Himmels Gnad und Gunst gewinnen –
Vertraue denen, die da minnen! –
In falsche Herzen kam sie nie.«

Hier scheint die Liebe als das göttliche Feuer, das das Irdische verklärt und verzehrt, ganz ähnlich wie bei unserem herrlichen Friedrich Rückert, der gesagt hat: »Da, wo die Lieb erwachet, stirbt das Ich, der finstere Despot.« Die Allgewalt echter Liebe, die von Zweifel und Unstäte nichts weiß, kennzeichnete Wolfram in einer Strophe, die wie triumphierendes Glockengeläute tönt:

»Der Minne Macht bewältigt die Nähe wie die Weite;
Minne hat auf Erden Haus, in den Himmel gibt sie gut Geleite.
Minn' ist all wärts, außer in der Hölle.
Der starken Minne lahmt die Kraft, wird Wankelmut und Zweifel ihr Geselle.«

In der »Eneit« des Heinrich von Veldecke fragt Lavinia ihre Mutter: »Um Gott, was ist Minne?« und die Gefragte antwortet: »Sie hatte vom Anbeginn Gewalt über das Weltall und wird, obschon man sie weder hört noch sieht, bis zum Jüngsten Tage so gewaltig sein, daß niemand ihr zu widerstehen vermag.« Wunderbar zart und wahr hat Wolfram in den Fragmenten seines Titurel das erste Erwachen der Liebe in jungen Herzen geschildert. »Herrin, ich suche Gnade bei dir«, sagt der junge Schionatulander zu seiner Gespielin Sigune. »Ich weiß wohl, daß Land und Leute dir gehorchen, ihrer Gebieterin. Doch das alles begehr ich nicht; aber laß dein Herz durch deine Augen auf mich schauen, damit deiner Minne Flut mir die Seele nicht ertränke.« – »Süßer Freund, was ist Minne? Ist sie ein Er? Ist sie ein Sie? Fliegt sie uns auf die Hand? Ist sie zahm oder wild?« – »Herrin, von Frauen und Männern hört' ich, Minne wisse auf jung und alt den Bogen so meisterlich zu spannen, daß sie mit Gedanken tödlich treffe. Ich kannte bisher Minne nur aus Mären, nun aber erfahr' ich sie an mir selber.« »Schionatulander, auch mich zwingen Gedanken. Kommst du mir aus den Augen, so bin ich traurig, bis ich dich wieder erblicke.« – »Dann brauchst du, süße Magd, mich nicht nach Minne zu fragen, denn an dir selber erfährst du ihre Wonne und ihr Weh.« Solange die Erde sich um die Sonne schwingt, ward Herzigeres nicht gedichtet als die Stelle, wo Sigune, nachdem Schionatulander in den Krieg gezogen, ihre Sehnsucht nach dem fernen Geliebten gegen ihre mütterliche Pflegerin, die Königin Herzeleide, ergießt:

»Nach dem lieben Freunde ist all mein Schauen
Aus den Fenstern auf die Straße, über Heid' und nach den lichten Auen
Vergebens, ich erspäh ihn allzu selten.
Drum müssen meine Augen des Freundes Minne weinend teuer entgelten.
So geh' ich von dem Fenster hinauf an die Zinnen
Und schaue ostwärts, westwärts, ob ich sein nicht Kunde mag gewinnen,
Der mein Herz schon lange hat bezwungen;
Man mag mich zu den alten Liebenden zählen, nicht zu den jungen.
Wenn ich dann auf wilder Flut im Nachen gleite,
So spähen meine Blicke wohl über dreißig Meilen in die Weite,
Ob ich solche Kunde möge finden,
Die des Leids um meinen jungen klaren Freund mich könnt entbinden.
Wo blieb meine Freude? Warum ist geschieden
Aus meinem Herzen hoher Mut? Ach und Weh vertrieb unsern Frieden.
Ich wollt' es gern allein für ihn leiden,
Doch weiß ich, daß auch ihn zu mir Verlangen zieht, muß er gleich mich meiden.
Weh mir! wie könnt er kommen? Zu fern ist mein Getreuer!
Um den ich bald erkalte, bald lodre wie im knisternden Feuer.
So erglüht mich Schionatulander,
Seine Minne gibt mir Hitze wie Agremontin dem Wurm Salamander.

Mit derselben Innigkeit, womit die mittelhochdeutschen Dichter das Weh der Sehnsucht schildern, malen sie auch die Wonne der Erfüllung. Wie schwelgt Walther in einem seiner schönsten Lieder in der Erinnerung an die Schäferstunde, die er »unter der Linden, an der Heide« mit der Geliebten gefeiert! Aber zugleich ist doch ein Schleier keuscher Grazie über die Situation gebreitet. Auch Wolfram hat da, wo er von echter Liebe redet, das geschlechtliche Verhältnis mit züchtigem Zartsinn, wenn auch nicht prüde behandelt. So sagt er von der Hochzeit Parzivals mit Kondwiramur:

»Sie waren beieinander so
In unschuldiger Liebe froh,
Zwei Tage bis zur dritten Nacht.
Ans Umfangen hatt er oft gedacht,
Zumal es seine Mutter riet;
Gurnemans ihn auch beschied,
Daß Mann und Frau untrennbar sein:
Sie verflochten Arm und Bein.
Wenn ich auch berichten soll,
Ihm gefiel die Nähe wohl:
Den alten, immer neuen Brauch
Übten da die beiden auch.«

Ein Idyll von unvergleichlicher Anmut hat Gottfried von Straßburg gedichtet, wo er, nachdem er die Verweisung Tristans und Isoldes von Markes Hof erzählt hat, das stillbegnügte Mitsammensein der Liebenden in der Wildnis schildert. Wie gern verzeiht man dem schuldigen Paare, wenn man dieses vom frischesten Zauber der Unschuld angehauchte Gemälde betrachtet. Es ist wie ein Traum aus Eden:

»Das Paar, das treue, holde,
Tristan und seine Isolde,
Sie hatten in der Wilde
Zu Wald und zu Gefilde
Ihre Muße und Unmüßigkeit
Gar süß bestellet und bereit:
Sie waren zu allen Zeiten
Einander an der Seiten.
Des Morgens in dem Taue
So schwebten sie zur Aue.
Da Blumen und Gras zuhanden
Vom Tau erkühlet standen.
Der Wiesengrund im Morgenschein
Mußte dann ihr Vergnügen sein.
Da wandelten sie her und hin,
Sprachen zusammen mit holdem Sinn
Und lauschten unterm Gange
Dem süßen Vogelsange.
Und alsdann nahmen sie einen Schwang
Hin, da der kühle Brunne klang,
Und lauschten seinem Klange,
Seinem Gleiten und seinem Gange
Zur Ebene mit stillen Fluten;
Da saßen sie und ruhten
Und lauscheten dem Gießen
Und schauten auf das Fließen
Und das war ihre Wonne ...«

Mit welchen einfachen Mitteln ist hier die Weltvergessenheit beglückter Liebe zur Anschauung gebracht! Aber Gottfrieds Wert beruht nicht allein auf solchen Schildereien von vollendeter Lieblichkeit, sondern auch und in noch höherem Grade auf seiner Kenntnis des menschlichen Herzens und des weiblichen insbesondere. An Umfang und Schärfe der Frauenpsychologie hat ihn nur noch ein deutscher Dichter erreicht, Goethe, aber kaum übertroffen. Man verfolge nur die Zeichnung der beiden Frauengestalten, in deren einer, Isoldes, Gottfried die Naturgewalt weiblicher Leidenschaft, in deren anderer, Brangänes, er den Heroismus weiblicher Resignation zum vollsten Ausdruck gebracht hat, und man wird den divinatorischen Blick dieses Seelenkündigers bewundern lernen.

Wie schade, daß wir von den Lebensumständen des Meisters noch weniger wissen als von denen seiner großen Zeitgenossen Walther und Wolfram, von deren Verhältnissen doch auch nur ein paar dürftige Notizen auf uns gekommen sind. Als feststehend mag nur gelten, daß Gottfried bürgerlichen Standes gewesen und eine für seine Zeit ungewöhnlich vielseitige Bildung besaß. Aus letzterem Umstand, zusammengehalten mit der wiederholten Andeutung von seiten des Dichters, daß er Minnelust nie genossen, hat man gefolgert, daß er ein Geistlicher gewesen. War er ein solcher, so war er jedenfalls kein Asket, der Welt und Weiber floh; denn es ist unmöglich, daß man vom bloßen Hörensagen so welt- und frauenkundig wird, wie Gottfried durchweg sich erweist. Ist doch überhaupt kein großer Dichter aufgestanden, an dessen Entwicklung die Frauen nicht sehr vieles, oft das meiste und beste getan hätten, und wir müssen schlechterdings annehmen, daß auch ein Walther, ein Wolfram und ein Gottfried im Umgange mit edlen Frauen gelernt haben, »was sich ziemt«.

Daß zur Blütezeit des Mittelalters die Frauen ihrerseits für die Poesie eine große Empfänglichkeit betätigten, dafür gibt die ganze Art und Weise des Minnegesangs unter der Ritterepik unwiderlegbares Zeugnis. Es ist auch eine schöne Überlieferung von fraulicher Dankbarkeit gegen Dichter auf uns herabgekommen. Als der Minnesänger von Meißen, genannt Frauenlob, der so viele Lieder zum Preise der Frauen gedichtet, im Jahre 1317 zu Mainz gestorben, ward er in dem Kreuzgange der Hauptkirche ehrenvoll bestattet. Die Mainzer Frauen trugen die Bahre, worauf der hingegangene Sänger lag, unter großem Weinen und Klagen zur Gruft und gossen auf diese eine solche Fülle des Weines, daß er in dem ganzen Umgange der Kirche umherfloß. So erzählt der glaubwürdige Chronist Albert von Straßburg, der die Periode von 1270-1378 teilweise als Zeitgenosse schrieb.

Bei alledem darf nicht verschwiegen werden, daß unsere alten Dichter, wie zu sehen wir häufig genug Gelegenheit hatten, bei den Frauen nicht nur was sich ziemt, sondern auch was sich nicht ziemt lernen konnten. Daher sangen und sagten denn auch nicht alle in dem Ton eines Frauenlob. Die Lehrdichter des 13. Jahrhunderts werfen mitunter sehr mißfällige Blicke auf die Frauenwelt, und schon beim Freidank Freidanks Bescheidenheit. Aus dem Mittelhochdeutschen übersetzt von Karl Pannier, Leipzig, Reclam. (D. Hrsg.) findet sich die bedenkliche Stelle:

»Die Frauen haben langes Haar
Und kurze Sinne, das ist wahr.«

Noch weit Bedenklicheres wissen uns die Novellisten in Versen, die vom 12. bis zum 15. Jahrhundert schrieben, von den Frauen zu erzählen, und das augenscheinliche Behagen, womit sie es tun, verrät sattsam, wie beliebt in vielen Kreisen ihre vorwiegend sehr geringe Meinung von dem schönen Geschlecht gewesen sein muß. Es ist wahr, der Humor spielt in dieser Novellistik und Schwankdichtung eine bedeutende Rolle, aber der Pinsel, womit er seine lustigen oder grotesken Bilder gemalt hat, war ohne Zweifel mehr als wünschbar in den Farbentopf der Wirklichkeit getaucht. In allen diesen Erzählungen kommen die Frauen schlecht weg; sie erscheinen da entweder als einfältig oder als zuchtlos und ehrvergessen. Es ist aber tröstlich, zu sehen, daß dieser an die Stelle der Frauenverehrung leichtfertige Duldsamkeit und mutwilligen Spott setzenden Humoristik doch immer eine edlere und würdigere Auffassung von dem Wesen und der Bestimmung der Frauen zur Seite ging. Zwar hat sogar der ernste Walther das zur Idealität erhobene Verhältnis von Mann und Weib keineswegs immer festgehalten, auch seine Lieder werben nicht selten um vollen Liebesgenuß, und mit Wohlbehagen blickt er auf die Stunde zurück, wo er seine Herrin im Bade belauschte, »dô ich si nakket sach«; aber doch haben er wie andere den Minnegesang vor dem Absinken ins Gemeine energisch zu bewahren gesucht. Wenn die mittelalterlichen Humoristen mit frivolem Lachen erzählen, wie Jungfrauen ihre Ehre preisgeben und den Männern wohl gar noch entgegenkommen, so hat dagegen Reinmar von Zweter den Mädchen mahnend zugerufen:

»Ein ledig Weib soll um den Mann
Nicht werben, es steht ihr nicht an,
Die Liebe wills nicht leiden.
Doch daß sie sich bescheiden
In Tugend kleid, in Zucht und Sitt,
In Huld und Anmut und damit
Des Mannes Herz gewinne,
Das steht wohl an der Minne.«

Wenn der Tanhuser (Tannhäuser), Ulrich von Winterstetten und mehr noch Nithart faunisch schmunzelnd damit prahlen, wie sie da und dort leichtsinnige Dirnen betörten, so hat hinwieder derselbe Reinmar gegenüber solcher Gassenliebe nachdrücklich ausgesprochen, daß das Naturmysterium der Geschlechtsliebe, wenn es mehr sein sollte als Befriedigung eines tierischen Gelüstes, durch geistige Harmonie geadelt sei, daß über Mann und Weib in Umarmung ein Abglanz von Göttlichem schweben müsse:

»Ein Herz, ein Leib, ein Mund, ein Mut,
Und eine Treu und eine Liebe wohlbehut,
Wo Furcht entschleicht und Scham entweicht
Und zwei sind eins geworden ganz,
Wo Lieb mit Lieb ist im Verein:
Da denk ich nicht, daß Silber, Gold und Edelstein
Die Freuden übergolde, die da bietet lichter Augen Glanz.
Da, wo zwei Herzen, die die Minne bindet,
Man unter einer Decke findet,
Und wo sich eins ans andre schließet,
Da mag wohl sein des Glückes Dach.
Wohl ihm, dem je ward solch Gemach!
Ich weiß gewiß, daß Gott das nicht verdrießet.«

Solange die höfisch-ritterliche Bildung nicht allzusehr entartete, wurden inmitten der ausgelassenen Zotenreißerei und des tobenden Gelächters auf Kosten der Frauen immer wieder Stimmen laut wie jene des unter dem Namen »der Marner« bekannten Poeten, der seinen Zeitgenossen zurief:

»Wer will nach meiner Lehre
Erstreben Liebesziel,
Der soll der Frauen Ehre
Nicht haben für ein Spiel.
Von Frauen soll man sagen
Nur Gutes immerdar,
Weil nur bei ihnen gar
Ist Freude zu erjagen.«

Gegen das Ende des 15. Jahrhunderts hin hatten freilich die lachenden Spötter wie die sauerblickenden Moralisten freie Hand und wenig Widerspruch zu besorgen. Es ist nichts davon bekannt, daß Sebastian Brants Klage und Anklage:

»Oh, frauliche Scham, was soll ich sagen,
Daß du jetzt treibst in unsern Tagen!
Auch magdliche Zucht ist ganz dahin –«

eine Widerlegung oder auch nur eine Bestreitung gefunden hätte. Die mittelalterliche Gesellschaft war jetzt in einer Phase der Auflösung angelangt, wo sie weder die Mittel noch auch nur den Willen mehr besaß, den von ihr ausgehenden Fäulnisgeruch zu verbergen.

Es ist, glaube ich, im Verlauf unserer Ausführungen überzeugend nachgewiesen worden, daß, wenn man den Sachen auf den Grund sieht, das höfisch-romantische Liebesideal und die dadurch bedingte idealisierte Stellung des Weibes durchschnittlich in der Wirklichkeit keineswegs vorhielt, und daß der ritterliche Minnedienst, auf Seiten der Werbenden sowohl als der Umworbenen, in der Regel nur ein verfeinerter Egoismus gewesen. Aber bei alledem ist anzuerkennen, daß die Höfischkeit zu ihrer guten Zeit einen gewissen poetischen Schimmer, Ton und Duft über das Dasein hergebreitet hatte. Dieser Nimbus zerriß beim Ausklingen des Mittelalters, und in der klaffenden Spalte erschien mit frecher Gebärde die nackte Gemeinheit, ihre plumpe Flegelei mit dem zotigen Zynismus, die mitsammen in den aus Mummenschanz und Maskensprüchen hervorgegangenen, um 1450 zuerst durch Hans Rosenplüt literarisch gestalteten »Fastnachtsspielen« der Zeit rumorten, in den geselligen Verkehr einführend oder vielmehr mit hausbackenem Realismus aus ihm herausgreifend.

In solchen Zeiten sittlicher Zerrüttung schauen edlere Gemüter und denkende Köpfe nach Mitteln aus, dem kranken Gesellschaftskörper neue Lebenssäfte zuzuführen. In dieser Richtung sehen wir in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts in Deutschland einen Kreis von Männern literarisch tätig, in denen wir die Vorläufer der Humanisten des 16. Jahrhunderts zu erkennen haben. Zu diesem Kreise gehörte ein Niklas von Wyle, ein Steinhövel, ein Albrecht von Eyb und andere. Sie fühlten, daß es mit den romantischen Idealen vorbei, daß damit nichts mehr auszurichten wäre, und wandten sich in die Gedankenwelt des klassischen Altertums zurück, um von dorther die Mittel zu holen, reinigend, klärend und bessernd auf ihre Zeitgenossen zu wirken. In Verbindung mit volkstümlichen Kanzelrednern, die ihr Amt im Sinne eines Geiler von Kaisersberg faßten und führten, richteten diese Literaten ihr Augenmerk besonders auch darauf, die ehelichen Verhältnisse aus ihrem tiefen Verfall wieder aufzurichten und der Ehe, dem Grund- und Eckstein der sozialen Ordnung, ihr geheiligtes Ansehen zurückzugeben, das die Romantik so sehr untergraben hatte.

Diese edle Absicht diktierte dem Albrecht von Eyb sein Ehestandsbuch »Ob einem manne sey ze nemen ein eelich weib oder nit«, das er 1472 dem Rate von Nürnberg als Neujahrsgeschenk überreichte. Der wackere, lebenserfahrene und gelehrte Mann hat darin der Ehe ein ebenso wohlbegründetes wie begeistertes Lob gespendet, das, ins Neuhochdeutsche umgesetzt, also lautet: »Der all mächtige Gott hat das Amt eines rechten Vaters geübt, indem er wollte, daß das menschliche Geschlecht ewig wäre, und er hat zuerst den Mann erschaffen nach seiner göttlichen Bildung, hernach die Frau nach Gestalt des Mannes, damit zwei Geschlechter seien, Männer und Frauen, um Kinder zu zeugen und das Erdreich mit Menschen zu erfüllen. Das sollte geschehen in Form der heiligen Ehe, und Gott der Vater hat die Ehe selbst eingesetzt und geordnet im wonnereichen Paradies und zur Zeit der Unschuld. Hernach hat Gott der Herr, da er in menschlicher Gestalt gewohnt, die Hochzeit persönlich geehrt, gesegnet und gewürdigt mit seinen göttlichen Zeichen, da er dabei das Wasser in Wein gewandelt. Die Ehe wird auch gelobt und gepriesen von der Natur, die den Menschen den Trieb eingegeben, Kinder zu haben, die ihnen gleich seien. Es haben auch die Rechtssatzungen bestimmt, daß die Ehe mit beider, des Mannes und der Frau, freiem Willen soll geschlossen werden, zum Zeichen, daß zwischen ihnen ein ewiger einiger Friede walten soll und getreue Liebe und Freundschaft. So ist die Ehe ein ehrbar Ding, ist die Mutter und Meisterin der Keuschheit, denn mittels ihrer werden vermieden unlautere Begierden und andere schwere Ausschreitungen der Unkeuschheit. Die Ehe ist ein nützlich, heilsam Ding: durch sie werden Häuser, Städte und Länder gebauet, gemehret und im Frieden erhalten, durch sie wird mancher Streit und Krieg gestillet, Sippschaft und gute Freundschaft unter Fremden hergestellt und das ganze Menschengeschlecht geewigt. Die Ehe ist auch ein fröhlich, lustbar und süß Ding. Was mag fröhlicher und süßer sein als der Name des Vaters, der Mutter und der Kinder, so da hangen an der Eltern Hals? Wenn Eheleute die rechte Liebe und den rechten Willen füreinander haben, dann ist ihnen Freud und Leid gemein und genießen sie des Guten desto fröhlicher und tragen sie das Widerwärtige desto leichter ...«

Man hört aus diesen Worten schon den rein menschlichen, vollen, gegen die romantische Minnetüftelei so schön abstechenden Herzenston der Natur, des gesunden Menschenverstandes und der guten Sitte heraus, die im 16. Jahrhundert die Leiter der reformatorischen Bewegung in betreff der Ehe anstimmten, und so sei denn damit das Buch vom Mittelalter beschlossen.


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