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Zweites Kapitel
Unter den sächsischen und fränkischen Kaisern

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Geistliche und weltliche Frauen im 12. Jahrhundert
Zeichnungen aus Herrad von Landspergs Hortus deliciarum

Die Völkerwanderung hatte die Nationalitäten Europas so durcheinandergeworfen und gewürfelt, daß ihre Wiedersonderung und Klärung nur langsam sich vollziehen konnte. Die Staatsidee Karls des Großen, Einheit der abendländischen Christenheit unter römisch-germanischem Kaiserszepter, hatte freilich über widerhaarige Völkerelemente nur solange einen zwingenden Bann geübt, als sie von einer übermächtigen Persönlichkeit getragen wurde. In dem nämlichen Augenblick, wo der gewaltige Fürst die Augen schloß, begann sein stolzer, aber widernatürlicher Reichsbau zu zerfallen; denn unter dem schlaffen Regiment seines Nachfolgers hatten die Nationalitäten Zeit und Gelegenheit, sich auf sich selbst zu besinnen und auf sich selbst zu stellen. Der Vertrag von Verdun (843) schien die naturgemäße Scheidung der Völker von Mittel-, West- und Südeuropa in germanische und romanische Nationen zu vollziehen. Allein schon war, zum unberechenbaren Unglück unseres Vaterlandes, die Idee eines »Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation« zu einer fixen geworden. Wie hätte sonst selbst ein Karl der Dicke ihrer Verwirklichung sich unterfangen dürfen? Es wäre jedoch ein einseitiges Verfahren, wollte man die Verfolgung des abendländischen Kaisergedankens nur dem Ehrgeiz deutscher Herrscher auf Rechnung schreiben. Ein mindestens ebenso wirksames, wenn nicht noch wirksameres Motiv war die Politik der römischen Bischöfe, die im Interesse der Aufrechterhaltung und Ausbreitung der Kirche die Illusion der Fortdauer des römischen Cäsarismus pflegten und förderten. Noch stand das Heidentum drohend und häufig angriffslustig im Osten und Norden des Erdteils, und der Römische Stuhl erkannte unschwer, daß nur die deutsche Nation, die allein wie ungemischt so auch ungeschwächt sich erhalten hatte, das Banner der Christenheit zu führen vermöchte. Daß die Kurie schon frühzeitig auf das Ziel hinarbeitete, mittels des deutschen Kaisertums die Welt zu beherrschen, ist sicher. Aber vorerst mußte sie es geraten finden, den römisch-deutschen Kaiser als ihren Beschützer anzuerkennen und den Papalismus dem Cäsarentum unterzuordnen. Erst nach ausreichender Erstarkung der Hierarchie, erst zur Zeit Gregors des Siebenten begann der Römische Stuhl das Verhältnis umzukehren und wollte dann in dem Kaiser nur noch den ersten Vasallen der päpstlichen Tiara sehen.

Die Reichsverfassung Karls des Großen hatte keine Fürsten im Sinne selbständiger Territorialherren gekannt, sondern nur Reichs-, Hof- und Gaubeamte. Aber als unter seinen Nachfolgern die Reichseinheit in Trümmer gegangen, hatte sich die altgermanische Adelsrepublik, wenn auch nicht mehr in den früheren Formen, in Deutschland wiederhergestellt. Aus dieser Adelsrepublik oder besser Adelsanarchie, deren Spitzen die Herzöge waren, ging nach dem Aussterben der deutschen Karlinger das deutsche Wahlkönigtum hervor. Was dieses unter günstigen Umständen für unser Land zu leisten vermochte, zeigte sich sofort, als es durch die Erwählung Herzog Heinrichs des Ersten, berühmt unter dem Namen des Voglers oder Finklers, im Jahre 919 an das kraftvolle und mächtige sächsische Fürstenhaus gekommen war. Damit schien nach innen und außen eine gedeihliche Entwicklung Deutschlands auf monarchischer Grundlage gesichert; denn es ließ sich alles dazu an, das deutsche Wahlreich in ein Erbreich umzuwandeln. Leider hat unser Unstern es gewollt, daß gerade die trefflichsten unserer königlichen Dynastien nicht von Dauer waren und daß demzufolge die Adelsanarchie immer wieder Gelegenheit fand, in das naturgemäße Wachstum des deutschen Königtums störend einzugreifen. Hierzu kam das dreimal unselige Phantom der Kaiserkrone, das gerade unsere begabtesten, tatkräftigesten und ruhmreichsten deutschen Könige ihre Hauptaufgabe nicht innerhalb, sondern außerhalb Deutschlands suchen machte und sie ihre und der Nation beste Kräfte, statt diese dem Ausbau eines festgefügten nationalen Königtums zuzuwenden, an einen für die Dauer doch stets chimärischen Weltreichsbau verschwenden ließ.

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Schellen- und Zatteltracht
Wollteppich etwa 1360 – 1420, Schloß in Sigmaringen

Seltsam! Die Deutschen verachteten die Römer unsäglich und dennoch gierten die deutschen Könige, die, wenn sie nur hätten solche sein wollen, imstande gewesen wären, Europa Gesetze vorzuschreiben, nach dem Luftgebilde der römischen Krone, an die bloß ein Schein von Macht, aber der wirkliche Haß der fremden Völker geheftet war, ein Haß, der bis auf unsere Tage herab fortgewirkt hat. Als der Gesandte Kaiser Ottos I., Bischof Liutprand, vor dem griechischen Kaiser Nikephoros stand und ihm dieser verwies, daß er die Untertanen seines Herrn Römer genannt habe, welchen erlauchten Namen sie nicht ansprechen könnten, brach der Bischof los: »Wir Deutsche verachten die Römer so sehr, daß wir unsere Gegner Römer schelten, maßen wir mit diesem einen Worte alle Schmach, Niederträchtigkeit, Feigheit, Unzucht, Lüge, Habsucht, kurz alles Laster bezeichneten. Aus Liutprands Werken. Übersetzt von K. v. d. Osten-Sacken, 2. Aufl. Leipzig 1890, 12. Kap. (D. Verf.)« Und dennoch widerstand ein Mann wie Otto I. der Lockung nicht, sich im Jahre 962 in Rom vom Papste zum römischen Kaiser krönen zu lassen und damit seinen Nachfolgern das Beispiel jener »Romzüge« zu geben, die den Boden Italiens mit Strömen deutschen Blutes gedüngt haben. Zunächst allerdings schien sich unter der Weihe jener Krone die Obmacht der Deutschen über Europa festzustellen. Das Zeitalter der Ottonen, eine Glanzperiode, vielleicht die hellste Glanzperiode unserer politischen Geschichte, schien den Traum eines germanischen Cäsarismus auf die Dauer verwirklicht zu haben, und die Täuschung währte um so länger, als im 11. Jahrhundert, nachdem die sächsische Dynastie mit dem Frömmler Heinrich II. erloschen und mit Konrad II. das herzogliche Haus der Salfranken zum deutschen Königtum gelangt war, in der herrlichen Heldengestalt Heinrichs III. der Christenheit ein Kaiser entstand, der seine Mission im höchsten Sinne faßte und mit genialer Energie durchführte. Allein er ward in der Blüte seiner Mannheit dahingerafft und hinterließ einen unmündigen Knaben, Heinrich IV., unter dessen Regierung nochmals alle Früchte der Anstrengungen, die die sächsischen und fränkischen Herrscher gemacht, verlorengingen. Die deutsche Adelsanarchie erhob unter diesem Kaiser, der nicht nach den einseitigen Berichten seiner zeitgenössischen pfäffischen Gegner beurteilt werden darf, wieder keck ihr Haupt, und wie immer folgte dieser Erhebung das Verderben. Damals ein um so tieferes, weitgreifenderes, greuelvolleres, als die Rebellion der deutschen Aristokratie gegen die königliche Gewalt an dem päpstlichen Stuhl einen Rückhalt gefunden hatte, der es ihr ermöglichte, ihre gemeinen Instinkte gewissenloser Selbstsucht ganz nackt und schamlos walten zu lassen, so zwar, daß vielleicht zu keiner anderen Zeit deutsche Ehre und Treue so sehr zum Spott der Welt geworden sind. Die Pläne der Kurie waren inzwischen gereift. Rom nahm jetzt seine Rache dafür, daß Gothen, Langobarden, Franken und Sachsen nacheinander mit Siegerschritten über den kapitolinischen Hügel gegangen, indem Gregor der Siebente, der Priester mit dem düstern, aber weltumfassenden Geist und dem eisernen Willen, die Idee der weltbeherrschenden Roma, womit das schutzbedürftige Papsttum den Deutschen geschmeichelt hatte, von dem Kaiserdiadem hinweg auf die Tiara des sogenannten Statthalters Christi übertrug. Wie die Könige der Christenheit, so sollte auch der Kaiser nur ein vollziehendes Organ des großen römischen Theokraten sein, der sich mit einer Ironie, die an Kühnheit ohnegleichen in der Weltgeschichte dasteht, den »Knecht der Knechte Gottes« betitelte. Der Traum eines weltgebietenden germanischen Kaisertums war zerflossen, oder wenigstens hatten alle die ungeheuren Anstrengungen, ihn fortzuräumen, die später von den Hohenstaufen gemacht wurden, nur sehr vorübergehender Erfolge sich zu erfreuen.

Und doch ist, wenn man recht erwägt, der große Zwiespalt zwischen Kaisertum und Papsttum, wie er im 11. Jahrhundert ausgebrochen, für uns mehr ein nationales Glück als ein Unglück gewesen. Der dadurch zu einem weltgeschichtlichen Motiv gewordene Gegensatz zwischen Germanismus und Romanismus hat unsere Nationalität gerettet, hat unsere Sprache zu einer Kultursprache erhoben, hat dem deutschen Geiste eine selbständige Entfaltung gesichert. Denn daß diese gerade in dem Zeitalter der Ottonen höchlich bedroht war, soll der vaterländisch gesinnte Historiker nicht übersehen und verschweigen, wenn er mit Stolz auf die politische Machtstellung Deutschlands in jener Periode zurückblickt. In Wahrheit, das deutsche Wesen war gerade damals in augenscheinlicher Gefahr, vom romanischen völlig überwuchert zu werden. Der König der Deutschen trug die römische Kaiserkrone und war demzufolge auch höchster Beschützer römischer Bildung, die sich alle schmeichelnden Erinnerungen des klassischen Altertums dienstbar zu machen wußte, um, wie mit Taufwasser und Chrisam die Leiber der germanischen »Barbaren«, so mit den Lockungen geistiger Genüsse ihre Seelen zu fangen, zu verweichlichen und zu beherrschen. Die Blicke der Priester waren nach Rom gerichtet und sie empfingen von dorther die Ermunterung, alle Verführungen des antiken Heidentums aufzubieten, um die Nachklänge des germanischen aus den Gemütern zu tilgen. Die kosmopolitische Theokratie Roms mußte ja überall darauf ausgehen, die Wurzeln der Nationalitäten zu durchschneiden, und so bekämpfte sie auch in Deutschland die nationalen Überlieferungen, die alten Heldensagen und Göttermythen, die Muttersprache und den heimischen Volksgesang. Rom fühlte wohl, daß die deutsche Eiche aus dem Boden gehoben und ganz römisch zugehauen werden müßte, wenn sie für die Zukunft einen verläßlichen Pfeiler der Kirche abgeben sollte. Die Ottonen, berauscht vom Taumelkelch des Cäsarismus, gingen darauf ein. Sie taten manches, vieles sogar für die Kultur Deutschlands; aber was sie taten, geschah ganz im Sinne der römisch-kirchlichen Bildung. Im 9. Jahrhundert hatte es bereits Anfänge, und zwar nicht gemeine Anfänge einer deutschen Nationalliteratur gegeben. Der Sänger des »Heliand« und der Evangelienharmonist Otfried durften sich neben jedem Dichter sehen lassen, den das erste Jahrtausend christlicher Weltanschauung hervorgebracht hat, oder vielmehr die beiden Deutschen waren die ersten christlichen Dichter, die diesen Namen überhaupt verdienten. Aber die ottonische Periode hat diese national-literarischen Anfänge nicht weitergeführt. Die deutsche Literaturgeschichte des 10. Jahrhunderts ist ein leeres Blatt.

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Kartenspieler
Deutscher Meister des Amsterdamer Kabinetts

Alles, was während der Regierung der drei Ottonen Bildung hieß, beruhte auf blinder Nachahmung römischen Wesens. Man hat von einer in dieser Epoche vor sich gegangenen Verschmelzung des heidnisch-germanischen, des antik-klassischen und des christlichen Kulturelementes gesprochen; ich kann aber eine solche Verschmelzung überall nicht sehen. Im Gegenteil, das nationale Element trat so sehr in den Hintergrund, daß es ganz verschwunden zu sein schien, und die einseitigste Latinität beherrschte alles. Betrachten wir, was damals in deutschen Landen in der Baukunst, Bildnerei und Malerei geschaffen wurde, belauschen wir den gelehrten Mönch oder die gebildete Nonne, wie sie in der Stille ihrer Zellen die Geschichte der Zeit aufzeichnen oder den stumpfen Kiel zur Nachbildung antiker Versmaße zwingen, überall sehen wir, daß nach römischen Mustern gebaut, gemeißelt und gemalt, geschrieben und geverselt wurde. Nirgends ein selbständiges Streben, nirgends ein nationaler Ton und Klang. Latein war die Sprache der Kirche, des Hofes, der Gebildeten überhaupt, und innerhalb dieser Kreise der lateinischen Kultur gingen das griechisch-römische Heidentum und das jüdische Christentum wunderlichste Verbindungen ein. Von einer harmonischen Gestaltung des Lebens war nirgends die Rede: die roheste Barbarei stand unvermittelt neben mönchisch-gelehrter Tiftelei. Die sittliche Umbildung der Germanen durch das Christentum hatte nur erst begonnen und noch immer wirkte die Verwilderung der Gemüter von der Völkerwanderungszeit her in allen Ständen nach. Man lese nur die Schilderungen, die ein deutscher Mönch des 10. Jahrhunderts, Rather, nachmals Bischof von Verona, von dem Gebaren der Geistlichkeit in Italien entwirft, und man wird sich leicht vorstellen können, wie es auch diesseits der Alpen in diesen Kreisen, die immerhin noch die gebildetsten waren, damals hergegangen. Von Bischöfen und Prälaten sprechend sagte er: »Sie beschäftigen sich beständig mit weltlichen Spielen, mit Jagen und Vogelstellen. Sie pflegen nach deutscher Sitte Wurfspieße zu schwingen und entwöhnen sich der heiligen Schriften. Sie haben sich Gottes entkleidet, haben die Welt angezogen und scheuen sich nicht, Laienkleider zu tragen. Sie spielen Kreisel und meiden auch das Würfelspiel nicht. Sie gehen fleißig mit dem Spielbrette anstatt mit der Schrift, mit der Wurfscheibe anstatt mit dem Buche um. Sie haben Schauspieler lieber als Priester, Lustigmacher lieber als Geistliche, Läufer lieber als Philosophen. Sie gieren nach griechischem Schmucke, babylonischer Pracht, ausländischem Putz. Sie lassen sich goldene Becher, silberne Schalen, Kannen von großer Kostbarkeit, Krüge, ja Trinkhörner von bedeutendem Gewicht und von einer jedem Zeitalter verhaßten Größe machen. Sie bemalen den am Boden ruhenden Weinkrug, während die nahe Basilika von Ruß erfüllt ist. Nach dem Mahle besteigen sie Wagen, setzen sich auf schäumende Rosse, aufgeputzt mit goldenen Zügeln, silbernen Kettengehängen, deutschen Zäumen, sächsischen Sätteln, und eilen zu allerhand Zeitvertreib, den ihnen der Rausch eingegeben hat.« Vogel, Ratherino von Verona, I. (D. Verf.)

Es ist wohltuend, die Augen von solchem Männertreiben hinweg und auf jene deutschen Frauen hinzuwenden, die wie Lichtbilder von dem dunkeln Hintergrunde des 10. und 11. Jahrhunderts sich abheben. Sie erscheinen als Trägerinnen der besseren Sitte, der feineren Bildung und einer aufrichtigen, wenn auch mitunter in Mitteln und Zwecken gänzlich fehlgreifenden Frömmigkeit. Gleich beim Aufgange des Glanzes der sächsischen Dynastie tritt uns als eine anziehende Gestalt die Schwester des Herzogs Otto des Erlauchten entgegen, Hadumod, die Gründerin und erste Äbtissin des berühmten Stifters Gandersheim, der unter ihr und ihren Nachfolgerinnen Geberga und Christiana ein Mittelpunkt gelehrter Studien und Versuche war. Hier, in Gandersheim, lebte in der zweiten Hälfte des 10. Jahrhunderts auch jene Nonne Hrotsuith (Roswitha Die Dramen der Roswitha von Gandersheim. Übersetzt und gewürdigt von Ottomar Piltz, Leipzig, Reclam. (D. Hrsg.)), die die Reihe der deutschen Schriftstellerinnen eröffnet, obgleich sie nicht in die deutsche Nationalliteratur gehört, da ihre Werke in lateinischer Sprache geschrieben sind. Eine eigentümliche Erscheinung, diese Klosterschwester, etwas von einem Poeten, etwas von einem Blaustrumpf. Sie ist sehr fleißig gewesen. In vielen Hunderten von Versen hat sie Heiligenlegenden erzählt, die Taten Ottos I. besungen, die Gründung ihres Klosters geschildert. Aber ein bleibenderes Andenken hat sie sich mittels ihrer sechs Komödien gestiftet, die, in einem zwischen Prosa und Rhythmus schwankenden Stile verfaßt, die Anfänge der dramatischen Dichtung in Deutschland ausmachen. Ihre Absicht dabei war nicht so fast eine künstlerische als vielmehr eine moralische. Sie hat das in der Vorrede zu ihren Dramen so ausgesprochen: – »Selbst unter den Katholiken lassen gar manche sich blicken (kann auch mich selber nicht befrein von jenem Vorwurf als gänzlich rein), die der gebildeten Sprache wegen der heidnischen Schriften Eitelkeit vor der Heiligen Schrift Nützlichkeit den Vorzug zu geben pflegen. Daneben man wieder andere trifft, die halten fest an der Heiligen Schrift, verschmähen das übrige Heidenwesen, während sie doch des Terentius Komödien immer und immer wieder lesen und durch des Inhalts Gemeinheit die Seele entweihen, indem sie an der Sprache Reinheit und Feinheit sich erfreuen. Daher für mich der Drang und Grund, als Gandersheims heller Klang und Mund Clamor validus Gandersheimensis, so nannte sich Roswitha selbst, später auch der erste Herausgeber ihrer Werke, 1501, der kaiserlich gekrönte Poet Konrad Celtis. Versuche, Roswithas Verdienst um die mittelalterliche Literatur zu schmälern, ja ihre Autorschaft ganz in Frage zu stellen, blieben ohne jeden Erfolg. (D. Verf.), nicht dem Begehren zu wehren, dem nachzuahmen in Red' und Wort, den andere durch Lesen ehren, auf daß in ähnlicher Redeweise, in welcher geschildert ist wollüstiger Weiber Liebe, auch heiliger Jungfrauen keusche Triebe geschildert würden zu ihrem Preise.« Als den bedenklichen Wirkungen der allerdings eine laszive Gesellschaft unverblümt genug darstellenden Komödien eines Terenz wollte Hrotsuith durch Dramen entgegenarbeiten, die vom christlichen Standpunkt ausgingen.

Die Inhaltsangabe der am meisten charakteristischen Stücke der guten Nonne mag zeigen, wie sie ihre Aufgabe nahm und durchführte. Im »Dulcitius« dringt der so geheißene Statthalter in die Wohnung von drei heiligen Jungfrauen, Agape, Chionia und Irene, um an ihnen sein Gelüste zu befriedigen; aber, plötzlich von Geistesverwirrung befallen, umarmt er statt der Mädchen Töpfe und Pfannen, wodurch er sich garstig besudelt. Im Ärger über diese seinem Statthalter widerfahrene Schmach läßt der Kaiser Diokletian die Jungfrauen dem Grafen Sisinnius zur Bestrafung übergeben und sie erleiden den Märtyrertod. Eine andere Passionsgeschichte spielt sich in der »Sapientia« ab, wo die drei Schwestern Fides, Spes und Charitas auf Befehl des Kaisers Hadrian ausführlich gemartert werden, während ihre Mutter Sapientia dabei steht und sie zur Ausdauer ermahnt. Im »Abraham« ist der Fall und die Bekehrung der Maria dargestellt, einer Nichte des genannten Einsiedlers, die, nachdem sie zwanzig Jahre in der Einsamkeit gelebt hat, verführt wird, in die Welt zurückkehrt und die Laufbahn einer öffentlichen Buhlerin betritt. Abraham sucht sie unter der Maske eines Liebhabers auf und weiß sie dahin zu bringen, daß die Gerührte ihrem schmachvollen Wandel entsagt und ihre noch übrige Lebenszeit der Buße und Kasteiung widmet. Ganz ähnlichen Inhalts ist der »Paphnutius«, worin die Bekehrung der Buhlerin Thais vorgeführt wird. Man sieht, Hrotsuiths Dramen sind keine »Komödien«, sondern dramatisierte Heiligenlegenden, worin von Anfang an auf einen erbaulichen Schluß hingearbeitet wird. Der Inhalt spiegelt den ausschweifenden Wunderglauben einer Zeit wieder, wo man das Wesen des Christentums in eine Phantasterei setzte, die an das Absurde glaubte, nicht obgleich, sondern weil es absurd war. Die Form dieser dramatischen Versuche angehend, so ist sie holzschnittartig trocken und marionettenhaft unbelebt; aber wir finden hier im ganzen schon dieselbe Technik wie in den Weihnachts- und Osterspielen, den »Mysterien« des späteren Mittelalters. Ob auf diese die dramatischen Holzschnitte der »Hellautenden« von Gandersheim eingewirkt haben, steht dahin. Besitzen wir doch keinen Anhaltspunkt, zu bestimmen, ob Hrotsuiths Komödien zur szenischen Darstellung gelangt seien oder nicht. So ganz unwahrscheinlich ist es jedoch nicht, daß sich die Insassinnen eines Stiftes, wo die lateinische Sprache allen geläufig sein mochte, die Langweile bleierner Winterabende dadurch gekürzt und erleichtert haben, daß sie die noch dazu ad majorem dei gloriam geschriebenen Dramen ihrer frommen und gelehrten Mitschwester in Christo zur Aufführung brachten. Die armen Nonnen sind, wie bekannt, damals und später mitunter auf Zeitvertreibe verfallen, die viel weniger erbaulich waren als die Darstellung so einer Hrotsuithschen Komödie.

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Liebespaar
Meister des Hausbuches Gotha, Museum.

Allerdings könnte man etwas stutzig werden über den Umstand, daß unsere Gandersheimer Nonne die jungfräulichen Gefühle ihrer Mitschwestern nicht ebensehr schonte. Bewegt sie sich doch, wie wir gesehen, mit einer gewissen Vorliebe in verfänglichen Situationen. Ob daran ihr Vorbild Terenz allein schuld war? Oder hatte sie in jungen Jahren der Liebe Lust und Leid selbst erfahren und blickte nun mit einem aus heimlichen Wohlgefallen und altjüngferlicher Seelensäure gemischten Gefühl auf jene Erfahrungen zurück? Es könnte manchmal fast so scheinen. Gerade da aber, wo die menschliche und weibliche Regung durch die erbauliche Schablone hindurchschlägt, ist die Gandersheimer »Wohlklingende« am liebenswürdigsten. Da streift sie wenigstens mitunter an Poesie. Wo sie aber den köstlichen Blaustrumpf in gespreizten Stellungen sehen läßt, d. h. wo sie, wie in der Sapientia und im Paphnutius geschieht, in den subtilen und sublimen Grübeleien und Tifteleien sich ergeht, die man im 10. Jahrhundert und noch lange nachher für Philosophie ansah, da ist die »Volltönende« nur noch eine schrille Schelle, deren gelehrtes Gebimmel sich sehr unangenehm macht.

Zur nämlichen Zeit, als droben am Harz in einer Zelle des Gandersheimer Stiftes Hrotsuith ihre frommen Komödien schrieb oder sie den staunenden Schwestern im Kapitelsaal vorlas oder gar, vielleicht in Anwesenheit Kaiser Ottos II. und seiner griechischen Gemahlin Theophano, die Darstellung eines dieser Stücke durch die Klosterschwesternschaft mit kundiger Hand leitete – zur nämlichen Zeit saß drunten in Schwaben auf dem Klingsteinfels Hohentwiel eine zweite große Gelehrte von damals, Hadawig Die Urquelle für die Geschichte Hadawigas und Ekkeharts ist in Ekkeharts IV. Casus Sancti Galli. Übersetzt von G. Meyer von Knonau; in dem 38. Band der Geschichtsschreiber der deutschen Vorzeit, Leipzig 1898, das 10. Kapitel. Auch Scheffels »Ekkehart« ist auf die dort gegebenen Überlieferungen aufgebaut. (D. Hrsg.), des Schwabenherzogs Purchard Witwe, und hieß sich von dem Mönch Ekkehard dem Zweiten, den sie sich drüben in St. Gallen von seinem Abt zum Lehrer ausgebeten, den Ovidius und Vergilius erklären. Oder sie lasen auch und studierten zusammen die alten Poeten; aber immer in Gegenwart einer Dienerin und bei offenen Türen, um jeden niedrigen Verdacht fernzuhalten. Denn Frau Hedwig war ebenso stolz wie schön – man muß sie sich mit dem Anflug eines starken Schattens von Bärtchen auf der gebieterisch aufgeworfenen Oberlippe denken und, da ihr die von ihr als Fünf- oder Sechzehnjährige mit dem beträchtlich älteren Purchard eingegangene Ehe keine Kinder gegeben, mit einem scharfen Zuge der Verbitterung über verfehlte Bestimmung um die Mundwinkel. Sie war eine ernste Dame, Land und Leuten eine gestrenge und, wie unsere Quelle sagt, sogar schreckliche Herrin. Als Kind dem griechischen Kaiser Konstantin VI. zur Frau bestimmt, hatte sie von einem zu diesem Zwecke aus Byzanz gesandten Eunuchen Griechisch gelernt, aber die Grazien waren ihr ferngeblieben. Wenn sie im Zorne schwur: »Bei Hadawigs Leben!« hatte man sich vor ihr zu hüten. Auch ihr armer Präzeptor Ekkehart, zubenannt »Palatinus«, weil er auf Verwenden der Herzogin nachmals Kaplan am deutschen Königshofe wurde, hatte unter den Launen der gelehrten Virago zu leiden, und es mochte ihn unter seiner Kutte frösteln, als die Herzogin eines Tages befahl, einem hörigen Diener, der sich ein unfreiwilliges, ja befohlenes Versehen gegen den Mönch hatte zu schulden kommen lassen, »Haut und Haar abzuschlagen«, d. h. ihm eine erkleckliche Anzahl von Rutenstreichen zu geben und die Haupthaare mit einer hölzernen Kluppe auszuraufen. Noch schlimmer, die Schülerin ließ sogar eines Tages den Lehrer selber durchpeitschen. Man sieht, die Sentimentalität machte diesen Aristokratinnen des 10. Jahrhunderts wenig zu schaffen, und an Nervenschwäche scheinen sie auch nicht gelitten zu haben. Die »schreckliche Herrin« Hadawig ist hochbetagt im Jahre 994 gestorben und im Kloster Reichenau begraben worden.

Das Familienleben der vornehmen Kreise dieser Zeit bietet manche schöne, aber auch manche ärgerliche Seite. Auf kirchliche Gebote und Verbote haben damals die Leidenschaften deutscher Edelinge wenig geachtet, und mancher hat seinem Liebchen den Nonnenschleier abgestreift, um den Brautkranz an dessen Stelle zu setzen. So auch Heinrich der Finkler, der gewaltige Bezwinger der Ungarn, der zwar nicht, wie es in den Schulbüchern heißt, die deutschen Städte gegründet, wohl aber deren Emporkommen wesentlich gefördert hat. In jugendlicher Liebe zu der verwitweten Tochter des Grafen Erwin von Merseburg, der schönen Hadburg, entbrannt, die als Nonne in einem Kloster lebte, trotzte er, sie zu besitzen, dem Kirchenbann und vermählte sich mit ihr. Aber ein Jahr später, als ihm seine Frau einen Sohn geboren, fiel ihm ein, daß diese Ehe denn doch eine unerlaubte wäre, und so sandte er die arme Hadburg ins Kloster zurück. Die Ursache dieses Gewissensskrupels war eine sehr schöne, nämlich die jungfräuliche Mathildis, dem Stamme des alten Sachsenherzogs Witukund entsprossen, Tochter des reichen Grafen Dietrich von Ringelheim, die von ihrer Großmutter im Kloster Herford erzogen wurde. Auf dieses Mädchen, das noch dazu eine reiche Erbin, war Heinrichs Auge gefallen, und er begab sich als Freiwerber nach Herford. Der alte Lebensbeschreiber der Königin Mathildis hat dem Vergil die Farben entlehnt, womit er Heinrichs Werbung und Verlöbnis malt. Zuerst, erzählt er, betrat Heinrich nur mit wenig Begleitern und unter dem Scheine geringer Leute das Bethaus, und so betrachteten sie im Tempel selbst das sittsam und stattlich geartete Mädchen. Darauf verließen sie die Stadt, schmückten sich mit königlichen Gewändern, kehrten von einer großen Menge begleitet zurück, suchten die großmütterliche Äbtissin auf und drangen in sie, daß die Jungfrau, um derentwillen sie gekommen, ihnen vorgestellt würde. Da trat Mathildis hervor, auf den schneeigen Wangen mit der Flammen Röte übergössen, als wären glänzende Lilien gemischt mit roten Rosen, solche Farben bot ihr Antlitz. Als Heinrich sie erblickte und ihre Erscheinung frisch empfand, heftete er sein Auge auf die Jungfrau, so sehr von Liebe zu ihr entzündet, daß das Verlöbnis keinen Aufschub erlitt. Mit alleiniger Billigung der Großmutter, ohne Wissen der Eltern, ward sie mit Anbruch des nächsten Tages von dort mit allen Ehren nach der Sachsen Heimat geleitet, bis das Hochzeitsmahl, ganz wie es angesehnen und dereinst königlichen Personen ziemte, in Wahlhausen gefeiert wurde. (Von einer kirchlichen Trauung ist also auch hier noch gar keine Rede.) Hier endlich pflegten sie gestatteter Liebe, und als Morgengabe verlieh er ihr die nämliche Stadt mit allem Zubehör. Das Leben der Königin Mathilde. Übersetzt von Ph. Jaffé. 2. Aufl. Leipzig 1891. S. 7. (D. Hrsg.)

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Törichte Jungfrauen
Münster in Straßburg

Mathildis, Mutter Ottos des Großen, Stifterin der berühmten Frauenabtei Quedlinburg und nach ihrem Tode heilig gesprochen, hat in fraulich-mildem Sinne auf ihren mitunter herben und harten Gemahl eingewirkt und erscheint durchaus im Licht einer züchtigen, sanften und klugen Hausfrau und Fürstin.

Die berühmte Chronik des Bischofs Thietmar von Merseburg (geb. 976, gest. 1019) enthält aus dem Leben dieser Königin einen Zug, der mir charakteristisch scheint, weil er einen Wink gibt, wie die Geistlichkeit es anstellte, um die Leidenschaften der Großen von damals unter die kirchlichen Satzungen zu beugen.

An hohen Festtagen, zur Fastenzeit und besonders in der Charwoche war der eheliche Umgang kirchlich untersagt. Als nun einmal am grünen Donnerstag König Heinrich sich stark berauscht und seine »heftig widerstrebende« Gemahlin zur Leistung der ehelichen Pflicht gezwungen hatte, wurde die fromme Frau nicht wenig durch die Vorstellung geängstigt, sie hätte einen Sohn empfangen, der ohne Zweifel dem Satan gehörte. Zum Glück ward ihr darauf der Trost gegeben, das Taufwasser würde das Kind reinwaschen. Die Chronik des Thietmar vom Merseburg. Übersetzt von M. Laurent, 2. Aufl. von J. Strebitzki, Leipzig 1892,1. Buch, 14. Kapitel. (D. Verf.)

Otto I. hatte zur ersten Gemahlin eine engelländische Prinzessin Editha, auf deren Antrieb er den Bau der Stadt Magadaburg (Magdeburg) unternahm. Sie gebar ihm eine Tochter, Liutgard, die dem Herzog Konrad von Ostfranken vermählt wurde. Ein gewisser Kono beschuldigte die keusche Frau der Unzucht, aus Rache, weil sie seine Anträge nicht erhört hatte. Sie verlangte mittels eines Gottesgerichtskampfes sich von der schnöden Verleumdung zu reinigen. Ein Graf Purchard stellte sich als ihr Kämpfer und überwand den Gegner. Nach ihrem Tode wurde zum Gedächtnis ihrer hausmütterlichen Tugenden eine silberne Spindel über ihrem Grab in der Albanikirche zu Mainz aufgehangen. Thietmar 2. Buch 24. (D. Verf.) Nach Edithas Tod heiratete der Kaiser die Witwe des Königs Lothar von Italien, Adalheid, Tochter des Grafen Rudolf von Burgund, an Geist, Willenskraft und Herrschertalent wie an edler Weiblichkeit wohl die erste Frau ihrer Zeit, vielgeprüft vor und nach ihrer Vermählung mit Otto, aber diese Prüfungen so bestehend, daß die Heiligsprechung selten einer Würdigeren als ihr widerfahren ist, in das Reichsregiment bei Gelegenheit, namentlich nach dem Tode des großen Kaisers, mit weisem Sinn und fester Hand eingreifend. Das Leben der Kaiserin Adelheid von Odilo von Cluny. Übersetzt von H. Hüffer, 2. Aufl. Leipzig 1891, S. 19. (D. Verf.) Ihr Zeitgenosse und Biograph, der Abt Odilo von Cluny, hat nur die Wahrheit geredet, wenn er der erlauchten Fürstin würdevollen Ernst und gelassene Freundlichkeit im Benehmen nachrühmte, wenn er ihre überströmende Freigebigkeit, ihre unermüdliche Barmherzigkeit gegen Arme und Leidende, ihre Demut im Glück, ihre Geduld im Unglück, ihre Selbstbeherrschung und Einfachheit pries und sein Lob in dem schönen Ausspruch zusammenfaßte, die Kaiserin sei allzeit und überall von der Mutter aller Tugenden begleitet gewesen, von der Mäßigung.

Adalheids Sohn, Otto II., führte im Jahre 972 die griechische Prinzessin Theophano heim. Die kluge Byzantinerin wußte sich leidlich in die deutschen Verhältnisse zu schicken, obgleich sie ihr fremdartig genug vorkommen mußten und sie ihres Spottes über die germanische Ungeschlachtheit kein Hehl hatte. Sie begünstigte die klassischen Studien höchlich, erwies sich auch als eine feine Politikerin, hatte aber den Vorwurf auf sich gezogen, die Modetorheiten von Byzanz in Deutschland zur Geltung gebracht und durch ihr Beispiel die deutschen Frauen zu allerlei üppigen Ausschreitungen im Anzug und zu bedenklichen Putzkünsten verleitet zu haben. Zur Zeit Kaiser Heinrichs II. mußte es damit schon weit gekommen sein, denn Thietmar von Merseburg fand an seinen Zeitgenossinnen zu tadeln, daß sie, einzelne Teile ihres Körpers auf unanständige Weise entblößend, allen Liebhabern ganz offen zeigten, was an ihnen feil wäre, und ohne alle Scham allem Volke zur Schau einherwandelten. Thietmar a. a. O. IV. 41. (D. Verf.)

Es scheint, daß gerade unter der Regierung des genannten frömmelnden Kaisers in der vornehmen deutschen Frauenwelt zur Seite einer überstiegenen, ja ekelhaften Askese – Thietmar führt als Musterbild solcher Frömmigkeit eine Einsiedlerin namens Sisu auf, die »das Ungeziefer, von dem sie fortwährend geplagt wurde, nicht wegwarf, sondern das zufällig abgefallene sich wieder ansetzte« – eine sehr gesteigerte Sittenlosigkeit im Schwange gewesen. »In unseren Tagen«, sagt der gute Bischof von Merseburg, »treiben außer der Menge der verführten Mädchen noch gar manche verheiratete Frauen, denen geile Lust den verderblichen Kitzel anreizt, Unzucht, und zwar noch zu Lebzeiten ihrer Männer. Und damit nicht einmal zufrieden, überliefert manche noch, indem sie ihren Buhlen heimlich dazu antreibt, ihren Ehemann der Hand des Mörders, den sie darauf öffentlich zu sich nimmt und mit ihm nach vollem Belieben buhlt.« Thietmar VIII. 26. (D. Verf.)

Heinrichs II. Gemahlin Kunigunde erscheint bei Thietmar als eine ehrbare und verständige Fürstin, die auch in Staatssachen mit sicherem Takte das Rechte zu treffen wußte. In der Legende dagegen ist sie zur Heiligen hinaufphantasiert, die ihre jungfräuliche Keuschheit auch in der Ehe bewahrte und den Teufel zu Kirchenbauten kommandierte, aber dennoch der Verleumdung nicht entging. Des unzüchtigen Umgangs mit einem Hofherrn beschuldigt, unterzog sie sich einem Gottesurteil, wie vormals Karls des Dicken Gemahlin Richardis, und trat bloßen Fußes unverletzt sieben glühende Pflugscharen.

Der sehr beträchtliche Einfluß, der unter dem Reichsregiment der sächsischen Dynastie den königlichen Frauen zugestanden wurde, und der dem Reiche keineswegs zum Schaden gereichte, ging auch auf die Frauen des salisch-fränkischen Hauses über. So war Gisela, Konrads II. Gemahlin, eine wohltätige Ordnerin, besonders kirchlicher Angelegenheiten, und was die Frau ihres großen Sohnes Heinrichs III., Agnes, angeht, so war es ein schweres Unglück für Deutschland, daß die verräterische Selbstsucht der Fürstin den unmündigen Knaben, der nachmals Heinrich IV. wurde, der Vormundschaft einer solchen Mutter viel zu früh entriß. Eine »Frau von männlichem Geiste« nennt sie der ungenannte Biograph und Apologet Heinrichs IV. Der Sechzehnjährige vermählte sich im Jahr 1066 mit Bertha von Savoyen, deren Geschichte eine Leidensgeschichte war. Denn Heinrich faßte unmittelbar nach der Hochzeit einen heftigen Widerwillen gegen seine junge Frau und ging mehrere Jahre lang mit dem Vorsatz um, sie zu verstoßen, wie denn die deutschen Großen von damals der Heiligkeit der Ehe gar häufig in zügellose Leichtfertigkeit verkehrten. Wird doch von dem Gegenkönig Rudolf von Schwaben gemeldet, daß er zur gleichen Zeit nicht weniger als drei »rechtmäßige« Ehefrauen gehabt. Berthas Geduld und Treue überwand zwar nach und nach den Widerwillen ihres Gemahls, aber ihr Los war kein rosiges. Sie hat alle die Bitterkeit, wovon Heinrichs IV. Leben voll war, redlich mit durchgekostet, stets in Angst um den verratenen und bedrängten Gatten, oft auf der Flucht, oft in abgelegenen Verstecken, in Sorgen um eine sichere Stätte, wo sie ihre Kinder gebären könnte. Auch auf jener kläglichen Bußfahrt durch die winterliche Wildnis der Alpen nach Canossa hat die treue Frau ihren Gemahl begleitet. Ihre Zeitgenossen haben sie als eine »außerordentliche« und »unvergleichliche« Frau gerühmt. Ihre einzige Tochter Agnes, schon als Kind dem Ritter Friedrich von Hohenstaufen verlobt, war bestimmt, die Ahnmutter einer neuen Reihe von Kaisern zu werden.

Alles zusammengehalten, erkennen wir, daß die sächsische und salfränkische Kaiserzeit nicht arm an Frauen gewesen, die ihr Geschlecht wirklich zierten. Ebenso andererseits, daß die rohe Sinnlichkeit und Habsucht, die die Männer nur allzuhäufig schrankenlos walten ließen, ihre unausbleiblichen Wirkungen auf die Frauenwelt übten. Die Angaben und Klagen zeitgenössischer Berichterstatter über die unter Mädchen und Frauen gangbare Putzsucht und Unkeuschheit sind zu bestimmt, um übersehen zu werden. Das von oben herab gegebene Beispiel leichtsinniger Lockerung der Familienbande verdarb auch die unteren Stände. Doch sind uns dagegen auch wieder schöne Züge von treuem Familiensinn und ehrbarem Familienleben überliefert, diesen beiden Grund- und Eckpfeilern, an denen unser Volk aus zeitweiliger Versunkenheit immer wieder sich aufgerichtet hat. Wie jede Zeit hatte auch das 11. Jahrhundert nicht nur sein Ideal von fraulicher Art und Tugend, sondern konnte auch dessen Verwirklichungen aufzeigen. Darüber hat Sohnesliebe ein schönes Zeugnis abgelegt in der Grabschrift, die der gelehrte Reichenauer Mönch Herimann der Verwachsene, ein Sohn des Grafen Wolfrad zu Altshausen in Oberschwaben, im Jahre 1052 seiner Mutter Hiltrud widmete.

»Hiltrud, Dürftiger Mutter, der Ihren Hoffnung und Hilfe,
Gibt was der Erde gebührt, hier in dem Hügel zurück;
Welche die hochgebietenden Eltern edelen Stammes
Adelnd, sie durch den Glanz leuchtenden Strebens erhob.
Keusch schloß nur einmal sie ein heiliges Bündnis der Ehe,
Lebte dem göttlichen Dienst widmend den Sinn und das Herz.
Und sie strebte nach dem bescheidenen Teile der Marta,
Blieb der Lehre, die sie gab, in dem Leben getreu.
Reich und fromm erfreuete sie die Armen mit Kleidung,
Speise, Fürwort und Gang, wo nur es heischte die Not.
Doch vor allem erquickte mit Glauben sie gläubige Freunde,
Allen zeigte sie sich immer willfährig und mild.
Auch sanftmütig und duldsam und nimmer zum Streite geneiget,
Aller Welt sie gefiel und, wie wir hoffen, dem Herrn.« Die Chronik Herimanns von Reichenau. Übersetzt von K. Nobbe. 2. Aufl. Leipzig 1893, S. 51. (D. Verf.)

Es ist leicht erklärlich, aber sehr bezeichnend, daß die päpstliche Kurie den Frauen der salfränkischen Dynastie gegenüber mit Austeilung von Heiligenscheinen keineswegs mehr so freigebig war, wie sie denen der sächsischen gegenüber gewesen. Das Papsttum vermochte jetzt auf eigenen Füßen zu stehen, bedurfte der Stütze des Kaisertums nicht mehr und schritt zur Verwirklichung seiner theokratischen Weltherrschaftsidee. Ein Hauptmittel hierzu war natürlich die Organisation eines Heeres, das, wenn auch schwertlos, dennoch sehr streitbar sein sollte und wirklich war. Dieses Heer, die Geistlichkeit, sollte völlig vom Staate losgelöst und dadurch dem päpstlichen Stuhl unbedingt zugewandt und gehorsam gemacht werden. Zu diesem Zwecke wurde das Verbot der Priesterehe durchgesetzt. Der tausend Bande ledig, womit das Familienleben den Menschen mit den staatlichen Interessen verknüpft, sollte die Gesitlichkeit nur noch ein willenloses Organ der päpstlichen Politik sein. Indessen war es ratsam, das politische Motiv der »ungeheuerlichen Verordnung« wider die Priesterehe – decretum enorme nennt es ein Annalist vom Jahre 1075 – hinter ein religiöses zu verstecken. Man ging auf das Vorbild Christi zurück, der ehelos gelebt hätte, betonte unaufhörlich die wegwerfende, abscheulich zotige Manier, womit manche Kirchenväter von den Frauen als untergeordneten, unreinen Geschöpfen gesprochen, und folgerte daraus, daß es dem Priester, dessen geweihte Hände die Sakramente verwalten, unziemlich wäre, durch die eheliche Gemeinschaft mit dem Weibe, diesem »Gefäße der Sünde«, sich zu verunreinigen. Wie mächtig die Durchführung dieses naturwidrigen Grundsatzes in das soziale Leben der Christenheit eingreifen mußte, liegt am Tage. Wir wollen nicht einmal von der greuelhaften, dadurch notwendig hervorgerufenen Sittenlosigkeit der Geistlichen reden; wir sagen nur, daß ein Stand, der sich von einem heiligsten Grundgesetze der Gesellschaft lossagte, notwendig deren Feind werden mußte. Man macht nicht ungestraft den Versuch, sich über die Natur zu erheben.

Ungeachtet der Apostel Petrus selbst eine Frau gehabt hatte, war im Sprengel des römischen Bischofs die Ehelosigkeit der Priester schon früh geltend gemacht worden. Wenigstens vom Subdiakon aufwärts sollten sie unverheiratet sein. Seit der Mitte des 11. Jahrhunderts wurde von Rom aus systematisch daran gearbeitet, den Zölibat zu einem allgemeingültigen Kirchengesetze zu erheben. Man scheute nicht vor der ungeheuren Lächerlichkeit zurück, als Grund dafür anzugeben, daß der Priester, der »täglich Gott schaffe«, bei der Weihung der Hostie und des Weines in der Messe ganz lauter und rein sein müsse.

Wie dann in der Wirklichkeit diese zölibatärische Reinheit und Lauterkeit beschaffen war, kann, abgesehen von zahllosen anderen Zeugnissen, eine Stelle aus einem Chronisten des 13. Jahrhunderts zeigen. Papst Innocenz IV. hielt von 1245-51 zu Lyon Hof. Als er die Stadt verließ, sagte der Kardinal Hugo de St. Oaro zu den Bürgern: »Freunde, ihr seid uns großen Dank schuldig. Wir sind euch nützlich gewesen. Denn als wir hierher kamen, fanden wir nur drei oder vier Bordelle vor. Jetzt aber, bei unserem Weggehen, lassen wir nur ein einziges zurück, welches von dem östlichen Tore der Stadt bis zum westlichen reicht.« In der Mitte des 16. Jahrhunderts erklärten die Gesandten Bayerns auf dem Konzil von Trient, bei ihnen daheim würden unter hundert Priestern kaum drei oder vier gefunden, die nicht in wilder Ehe lebten. Freilich hatte es das Zölibatgesetz nicht so fest auf die wilde als vielmehr auf die rechtmäßige Ehe abgesehen; denn nur diese sichert einen festen Familienverband und knüpft also auch den Priester an sein Vaterland, dem der Zölibat ihn entfremdet. Ein echter Priester darf und kann kein Patriot sein.

In Wahrheit war es die Politik Gregors VII., die die Durchsetzung des Zölibats gebieterisch forderte; denn nur eine ehelose Priesterschaft war ein willenloses Werkzeug bei Ausführung seines theokratischen Riesenplanes. Daß gerade der Stand, der vermöge seiner Bildung und seines unermeßlichen Einflusses den übrigen an Sittlichkeit verleuchten sollte, durch Zerstörung seines Familienlebens mit aller Gewalt in die Unsittlichkeit hineingetrieben wurde, kümmerte den finsteren Mönch auf dem päpstlichen Stuhle sehr wenig. Es gereichte aber dem sittlichen Gefühle der deutschen Geistlichkeit zu nicht geringer Ehre, daß weitaus ihre Mehrzahl energischen Widerstand gegen das römische Eheverbot erhob. Dem Bischof Otto von Konstanz geben seine Feinde sogar das ehrenvolle Zeugnis, daß er öffentlich gegen diese Naturwidrigkeit gepredigt habe. Ein Priester der Diözese Passau ließ um 1077 eine Streitschrift gegen das Zölibatgesetz ausgehen, worin mit der ganzen Empörung germanischen Sitten- und Rechtssinnes gegen die Arglist, Heuchelei und Sittenlosigkeit der neuen päpstlichen Satzung geeifert wurde. Der wackere Mann rief dem Papst ins Gedächtnis, daß der Apostel Paulus in der bekannten Epistel an Timotheus den Bischöfen und Diakonen die Ehe nicht nur nicht verboten, sondern vielmehr geradezu geboten habe, und daß die alten Konzilien gegenüber den zölibatärischen Ereiferungen mönchischer Halb- oder Ganznarren den Priestern freigestellt hatten, zu heiraten oder ehelos zu leben. Er bezeichnete das Eheverbot als einen Wahnsinn und prophezeite: »Die Priester werden gleich den Urhebern dieser Ketzerei infolge des Zölibats Hurer, Ehebrecher und Sklaven der schmutzigsten Laster sein.« Aber das Unheil war einmal im Zug, und als der Papst wahrnahm, daß die meisten deutschen Bischöfe nur mit Widerstreben an die Durchführung des Eheverbots in ihren Sprengeln gingen, anempfahl er die Angelegenheit den mit ihm gegen die kaiserliche Macht verbündeten deutschen Fürsten. Sie mußten ihm wohl zu Willen sein, weil sonst ihre Rebellion des päpstlichen Rückhaltes entbehrt hätte. Auch hetzte die Kurie mittels der Mönche den adeligen und bäuerlichen Pöbel zu Gewalttätigkeiten gegen die verheirateten Pfarrer auf. Demzufolge zwang vieler Orten das Volk die Geistlichen tumultuarisch zur Entlassung ihrer rechtmäßigen Ehefrauen. Doch waren in norddeutschen Sprengeln im 12. Jahrhundert noch die meisten Pfarrer verheiratet, und noch im 13. Jahrhundert gab es in einigen Gegenden Deutschlands, wie z. B. in Schlesien, verheiratete Bischöfe, Domherren und Pfarrer. Erst von da ab verschwand bei uns die Priesterehe völlig, um einem Treiben Platz zu machen, dessen Zuchtlosigkeit zahllose Pfaffenschwänke des Mittelalters grell genug widerspiegeln. Das Volk merkte zu spät, welcher Pest es seine Häuser geöffnet, indem es den Zölibat durchsetzen geholfen, und im 14. und 15. Jahrhundert war unter unseren Bauern die Forderung gang und gäbe, daß ein neu aufziehender Pfarrherr auch gleich seine Kebse oder, wie sie sich bäuerisch ausdrückten, daß ein neuer »Seelenhirt« seine »Seelenkuh« mitbringen müßte. Sie wußten wohl warum.


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