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Fünftes Kapitel.
Wallenstein.

Das französische und das deutsche Theater. – Iffland. – Kotzebue. – Versuch einer Reform. – Entstehungsgeschichte des Wallenstein. – Die Wallenstein'sche Trilogie auf der Weimarer Bühne. – Großartiger Eindruck. – Aufführung der Tragödie in Berlin. – Fleck als Wallenstein. – Resultate. – Schiller und die Königin Luise von Preußen. – Ein Antrag aus England. – Charakteristik des Wallenstein. – Die romantische Schule und ihr Verhältniß zu Schiller. – Schelling. – Novalis. – Die beiden Schlegel. – Tieck. – Ein Wort von Rahel Levin.


Die Geschichte des deutschen Theaters, welche wir im Verlauf unserer Darstellung mehrmals zu berühren hatten, ist zwar der Entwicklung der deutschen Kultur ganz analog; aber sie kann, zusammengehalten mit der des französischen, in besonders scharfer Weise den Unterschied zwischen unserem Bildungsgang und dem unserer westlichen Nachbarn veranschaulichen. Bei den Franzosen wird mit der strafferen Centralisation des Staatsmechanismus durch Richelieu auch das Bühnenwesen, wie die ganze höhere Kultur, zur Staatssache. Die französische Akademie beginnt ihre geistige Polizei zu üben und diese erstreckt sich auch auf das Theater. Eine Hofbühne entsteht, nach welcher sich die Provinzialbühnen als nach dem offiziellen Vorbild zu richten haben. Schritt für Schritt entwickelt sich mit der Hofetikette Ludwig's des Vierzehnten auch die theatralische Convenienz. Das tragische Ceremoniel wie die komische Routine, das Costüm, die Mimik, die Sprache, die Declamation, Alles gewinnt typische Formen und die gesetzmäßige Autorität dieser Formen wird um so größer und nachhaltiger, als ihre Monotonie und Geistlosigkeit durch die bedeutenden dichterischen Talente, welche sich ihrer bedienen, vergessen gemacht wird. Aber in der »classischen« Gestalt, welche die Tragöden Corneille, Racine und Voltaire und der Komöde Molière dem französischen Drama gegeben, versteinert es und alle späteren Versuche, dem Steingebild wieder Leben einzuhauchen, mißglücken. Es wurde auch hier der Fluch offenbar, welcher dem Generalisiren anhaftet, der Sucht, Alles unter eine Schablone zu bringen, und als in unseren Tagen die französischen Romantiker gegen die akademische Polizei Sturm liefen und bei Gelegenheit dieser literarischen Emeute auch das erwähnte steinerne Götzenbild umstürzten, da wurde, wie man das ja an den Revolutionen der Franzosen überhaupt gewohnt ist, aus der dramatischen Umwälzung nur eine theatralische Orgie. Aus der classischen Pedanterie fiel man in die romantische Anarchie. Umgekehrt ist unsere deutsche Bühne von einer Anarchie ausgegangen, welche sie allerdings bis auf den heutigen Tag noch lange nicht völlig überwunden hat. Der Mangel an einem Centralhof und an einer tonangebenden Hauptstadt bewahrte unser Theater, wie unsere Literatur, vor einer akademischen Klassik; allein auf der andern Seite hatte die Abwesenheit einer durchgebildeten Convenienz in Theaterdingen eine Menge von Uebelständen zur Folge. Dem deutschen Individualismus war bis zur Maßlosigkeit Raum gegeben. Nirgends ein fester Anhaltspunkt, nirgends ein Achtung gebietendes Gesetz, nirgends allgemein gültige Normen. Mau müßte unsere Wanderbühnen auf ihren Zügen verfolgen, wollte man sich die Entwicklung des deutschen Theaters in ihrer ganzen Buntscheckigkeit vergegenwärtigen. Jeder Kritiker theoretisirte, jeder Poet dramatisirte, jeder Theaterdirector praktizirte ganz auf eigene Hand. Auch Gottsched's gallomanische Maßregelung der deutschen Bühne war nur das Privatunternehmen eines Stubengelehrten. Lessing gab seinem Lande als Kritiker eine Dramaturgie und schuf ihm als Dichter ein Drama. Aber er war weit entfernt an eine durchschlagende Wirkung seiner Riesenarbeit zu glauben; sonst hätte er nicht, als er den Nathan veröffentlichte, in der Vorrede gesagt: »Noch kenne ich keinen Ort in Deutschland, wo dieses Stück schon jetzt aufgeführt werden könnte.« Da und dort tauchten aus dem Schauspielerhaufen Männer auf, welche Leben und Genie an die Verwirklichung ihrer höheren Ansicht von der Schauspielkunst setzten und auch wirklich vereinzelte Erfolge errangen. So ein Ackermann, ein Eckhof, ein Schröder, welche bei allen Concessionen, die sie dem ungebildeten Geschmack des Publicums machen mußten, doch mächtig dazu beigetragen haben, unsere Bühne aus der Sphäre eines rohen Naturalismus allmälig in die der Kunst herüberzurücken. Die Entstehung der »Nationaltheater« in Mannheim, in Wien und anderwärts, in so geringem Maße auch Anfangs ihrem stolzen Namen die Wirksamkeit dieser Anstalten entsprechen mochte, sicherte doch der Schauspielkunst den festen Boden, dessen sie zu ihrem Gedeihen bedarf, und ermöglichte die Bildung von Schauspielerschulen, in welchen allmälig die theatralische Tradition sich reinigen und zu künstlerischen Anschauungen sich hinaufbilden konnte.

Leider war nun aber unsere dramatische Dichtung ihrerseits noch keineswegs zu einer Entwicklungsstufe gelangt, auf welcher sie klar und bestimmend in die Gestaltung des Theaters hätte eingreifen können. Der Widerwille gegen den französischen Regelnzwang hatte zum entgegenstehenden Extrem der Regellosigkeit geführt. Die blinde Nachahmung Shakespeare's stiftete auch mehr Unheil als Gutes. Die dramatischen Erstlinge Göthe's und Schiller's ihrerseits zogen eine ganze Generation von ungeschlachten Ritter- und Räuberstücken hinter sich her und dem nachäffenden Unverstand war es nicht um Poesie, sondern nur um grobe Spectakelei zu thun. Bei der Verwilderung, in welche der Geschmack des Publicums durch solche Monstrositäten zurückgeworfen worden war, begreift es sich, daß Schiller nur mit einer Art Grauen auf die Räuber, auf Fiesco, auf Kabale und Liebe, ja selbst auf Don Carlos zurückblickte »Was ich je im Dramatischen zur Welt gebracht, ist nicht sehr geschickt, mir (zum Wallenstein) Muth zu machen, und ein Machwerk wie der Don Carlos ekelt mich nunmehr an, wie gern ich es auch jener Epoche meines Geistes zu verzeihen geneigt bin.« Schiller an Körner (4. September 1794).. Es war übrigens ganz natürlich, daß bei der langjährigen Abwendung der beiden großen Dichter von der Bühne die Mittelmäßigkeit und Gemeinheit daselbst freien Spielraum zu breitester Entfaltung gewonnen hatte. Man konnte zwar nicht eben viel dagegen einwenden, wenn ein Iffland durch seine »Jäger« dem Wohlgefallen der Deutschen an Familienstücken einen gewissermaßen classischen Ausdruck gegeben hatte; allein diese Richtung war in ihrem ungehemmten Verlaufe zu einer breiherzigen, alle sittlichen und künstlerischen Begriffe verwirrenden Rührseligkeit geworden, die mit der wahren Kunst zugleich auch die wahre Moral von unserer Bühne wegschwemmte. Der Prophet dieser falschen Sentimentalität, der Handhaber einer Dramatik, welche den Familienjammer mit dem spectakelnden Lärm der Ritter-, Räuber- und Staatsactionen-Romantik verquickte, war August Kotzebue, der 1761 zu Weimar geborene Barnum der deutschen Literatur. Dieser Mann war ohne Frage mit einem glänzenden Talent begabt, besonders für das Lustspiel, aber ein Mensch ohne alle sittliche Basis, ohne alles künstlerische Gewissen, hat er es auch als Lustspielschreiber nur zur geschickten Inszenesetzung von Zoten gebracht. Er war, bei dem Einfluß, welchen das Theater damals übte, eine Macht und so mag es gestattet sein, hier episodisch das Bild seiner persönlichen Erscheinung zu geben, wie es zwei sehr verschieden gearteten Zeitgenossen sich darstellte. Im Januar 1798 schrieb Jean Paul aus Leipzig an Otto: »Kotzebue hat mich besucht. Wider meine Erwartung ist seine Rede schlaff, geistlos, ohne Umfassen, wie sein Auge. Auf der andern Seite scheint er weniger boshaft zu sein als fürchterlich schwach; das Gewissen findet in seinem Breiherzen keinen massiven Grund, um einzuhacken.« Im Januar 1813 sah Ernst Moritz Arndt den vielberufenen Mann in Königsberg. »Er machte – schreibt Arndt – einen sehr gemeinen Eindruck, eine der widerlichsten Erscheinungen, die mir in meinem Leben vorgekommen sind. Ich hatte mir ihn ganz anders gedacht, wenigstens als einen feingeschliffenen, etwas höfischen und höfelnden Mann. Aber den Vornehmen und Zierlichen spielte er nicht. Er trat auf mit der Haltung eines Altflickers und mit einer unverschämten Offenheit, die Nichts von der Offenheit der Natur hatte, ja nicht einmal von jener, welche schlaue und gewandte Weltleute gewinnen, und in seinen freundlichen Augen war zugleich etwas schleichend Lauerndes und unverschämt Faunisches« C. M. Arndt, Erinnerungen aus dem äußeren Leben, 3. Aufl. S. 197.. Dieses Bild des Menschen Kotzebue ist zugleich auch das des Schriftstellers.

Erwägt man, daß Göthe und Schiller es unternahmen, der von Kotzebue mit rastloser Betriebsamkeit dem vornehmen und geringen Publicum genehm gemachten Richtung gegenüber, welche in plumpster Weise darauf ausging, die »Stimme der Natur« vernehmen zu lassen, und diesen »Naturlauten« die raffinirteste Unnatur zugesellte, einer Richtung gegenüber, welche in Ernst und Scherz nur an die gemeinen Instincte und Affecte des großen Haufens appellirte und demnach höchst populär war – ich sage, erwägt man, daß die beiden Freunde, seit Göthe die Leitung der Weimarer Bühne übernommen und Schiller dem Drama wieder schöpferisch sich zugewandt hatte, es unternahmen, dieser rohrealistischen Bühne eine ideale entgegenzustellen und von den Brettern derselben herab die Kunstanschauung zu verkündigen, zu welcher sie selbst nur langsam und mühevoll gelangt waren, so wird man diesem Unternehmen Muth und Kühnheit nicht absprechen. Sie vermieden hiebei, wie wir sehen werden, Irrthümer und Mißgriffe keineswegs und waren, bei Gestalt der Sachen, solche auch gar nicht zu vermeiden. Aber wenn man den Beiden vorgeworfen hat, sie hätten bei ihren dramaturgischen Bestrebungen die realen Verhältnisse nicht hinlänglich berücksichtigt, so vergaß man, daß eben der Versuch gemacht werden mußte, mit diesen realen Verhältnissen entschieden zu brechen, wenn man nicht die Bühne überhaupt rettungslos den Kotzebue und Consorten überlassen wollte. Das konnte aber insbesondere Schiller nicht wollen, nachdem er sich endlich fest für die dramatische Poesie entschieden, er, welcher schon als Jüngling mit Begeisterung die Bühne als eine sittliche Anstalt begriffen hatte und, ein gereifter Mann, sie jetzt zur Würde eines nationalen Erziehungsmittels erheben wollte. Die Anfänge des Repertoriums einer idealen Bühne waren gegeben, theilweise in Schiller's Don Carlos, mehr noch in Göthe's Iphigenie und Tasso. Es handelte sich nur darum, vermittelst eines überwältigenden Eindrucks das Publicum für eine Dramatik zu gewinnen, welche dem künstlerischen Schönheitsideal entsprach. Das unternahm Schiller mit seinem Wallenstein, und daß er es nicht ohne Erfolg unternahm, wird Niemand leugnen wollen.

Der Wallenstein, unbestritten die Krone der deutschen tragischen Kunst, ein Werk, so groß, daß, wie Göthe am 23. Juli 1827 zu Eckermann sagte, »in seiner Art zum zweiten Mal nichts Aehnliches vorhanden ist,« – war die Schöpfung vieler Jahre, während welcher die große Arbeit unter vielem Schwanken, unter wechselnden Stimmungen langsam vorrückte und aus dem Anfangs beabsichtigten einen Stück zur Trilogie sich erweiterte. Die Anfänge des Unternehmens sind uns schon früheren Ortes begegnet. Nach der Rückkehr des Dichters aus Schwaben ruhte es ganz, und als Schiller zu Ende des Jahres 1795 wieder die dichterische und dramatische Stimmung gefunden hatte, schien er dem Problem der Malteser, welches bekanntlich Problem geblieben ist, vor dem des Wallenstein den Vorzug geben zu wollen Briefw. zw. Sch. u. H. 229.. Erst vom Frühling 1796 an läßt sich die Entstehungsgeschichte von unseres Dichters größtem Werke wieder mit Bestimmtheit verfolgen. Unterm 21. März schrieb er an Körner, daß er sich nun endlich ernstlich für den Wallenstein bestimmt habe und mit großer Freude und ziemlich viel Muth »an diese neue Art von Leben« gehe. Von seiner alten Art und Kunst könne er freilich dabei wenig brauchen; aber er hoffe, in der neuen schon weit genug zu sein, um es damit zu wagen, und, wenn auch lange nicht das, was er von sich fordere, so doch mehr zu erreichen als er früher in diesem Fache geleistet hätte. Im November bemerkte er gegen Göthe, er habe in der Oekonomie des Stückes einige nicht unbedeutende Fortschritte gewonnen; aber je mehr er seine Ideen über die Form rectifizire, desto ungeheurer erscheine ihm die zu beherrschende Masse und ohne einen gewissen kühnen Glauben an sich selbst würde er schwerlich fortfahren können. Göthe erwiderte ermuthigend, der Glaube des Freundes an die Möglichkeit der Vollendung des Wallenstein sei ihm höchst angenehm; denn »nach dem tollen Wagestück mit den Xenien müssen wir uns großer und würdiger Kunstwerke befleißigen und unsere Proteische Natur zur Beschämung aller Gegner in die Gestalten des Edlen und Guten umwandeln.« Schiller gab dem Freunde unterm 28. November die Beruhigung, daß es mit dem Wallenstein zwar langsam, aber doch vorwärts gehe; indessen schrieb er an demselben Tage an Körner, das »unglückselige Werk liege noch endlos und formlos vor ihm da« und nur seine beharrliche Neigung für die Arbeit lasse ihm die Hoffnung eines günstigen Erfolges. Zugleich hob er eine Hauptschwierigkeit hervor, indem er sagte: »Die Basis, worauf Wallenstein seine Unternehmung gründet, ist die Armee, mithin für mich eine unendliche Fläche, die ich nicht vors Auge und nur mit unsäglicher Kunst vor die Phantasie bringen kann; ich kann also das Object, worauf er ruht, nicht zeigen, und ebensowenig das, wodurch er fällt: das ist ebenfalls die Stimmung der Armee, der Hof, der Kaiser. Auch die Leidenschaften selbst, durch die er bewegt wird, Rachsucht und Ehrbegierde, sind von der kältesten Gattung. Sein Charakter endlich ist niemals edel und darf es nicht sein, und durchaus kann er nur furchtbar, nie eigentlich groß erscheinen. Um ihn nicht zu erdrücken, darf ich ihm nichts Großes gegenüberstellen; er hält mich dadurch nothwendig nieder.« Noch im Dezember 1796 ist er entschlossen, das Werk in Prosa zu schreiben, aus Furcht, »in seine ehemalige rhetorische Manier zu fallen.« Zu Anfang des Jahres 1797 schreibt er, durch Kranksein am Weiterarbeiten verhindert, an Körner: »Wie will ich dem Himmel danken, wenn dieser Wallenstein aus meiner Hand und von meinem Schreibtisch verschwunden ist. Es ist ein Meer auszutrinken und ich sehe manchmal das Ende nicht.« Nachdem er im Herbste den Musenalmanach auf das folgende Jahr hinter sich hatte, konnte er sich wieder mit ganzer Seele der Tragödie zuwenden, deren Prosagewand jetzt mit dem rhythmischen vertauscht wurde. Denn er hatte, wie er unterm 24. November gegen Göthe äußerte, inzwischen die Ueberzeugung gewonnen, wie genau in der Poesie Stoff und Form, selbst die äußere, zusammenhängen. Der Rhythmus leiste bei einer dramatischen Production außerdem noch das Große und Bedeutende, »daß er, indem er alle Charaktere und alle Situationen nach einem Gesetz behandelt und sie trotz ihres inneren Unterschiedes in einer Form ausführt, dadurch den Dichter und seine Leser nöthigt, von allem noch so charakteristisch Verschiedenen etwas Allgemeines, Reinmenschliches zu verlangen. Alles soll sich in dem Geschlechtsbegriff des Poetischen vereinigen und diesem Gesetz dient der Rhythmus sowohl zum Repräsentanten als zum Werkzeug. Er bildet auf diese Weise die Atmosphäre für die poetische Schöpfung, das Gröbere bleibt zurück, nur das Geistige kann von diesem dünnen Element getragen werden.« Uebereinstimmend damit hatte er einige Tage zuvor gegen Körner geäußert, daß es unmöglich sei, ein Gedicht in Prosa zu schreiben, und daß der Wallenstein erst in der neuen (rhythmischen) Gestalt eine Tragödie genannt werden könne. Göthe billigte die mit dem Stücke vorgenommene Veränderung lebhaft und meinte, überhaupt sollte alles Poetische rhythmisch behandelt werden, und wenn man in Deutschland eine sogenannte poetische Prosa eingeführt habe, so sei das gerade, als wenn sich Jemand in seinem Park einen trockenen See bestellte und der Gartenkünstler die Aufgabe durch Anlegung eines Sumpfes zu lösen suchte. Unterm 1. Dezember beklagte sich Schiller gegen Göthe, daß ihm der Wallenstein »fast zu arg anschwelle,« weil die Jamben »eine poetische Gemüthlichkeit unterhalten, die Einen ins Breite treibt« – und hierauf deutete der Freund das Auskunftsmittel an, aus dem einen Stück »einen Cyclus von Stücken zu machen,« worauf unser Dichter bekanntlich eingegangen ist, indem er sein Werk zu einer Trilogie (Wallenstein's Lager – Die Piccolomini – Wallenstein's Tod) organisch gegliedert hat. Vom 8. Dezember existirt eine Aeußerung Schiller's, welche zeigt, mit was für Schmerzen die hohe Vollendung des großen Gedichts erkauft wurde. Er schrieb da an Göthe: »Das pathologische Interesse der Natur an einer solchen Dichterarbeit hat viel Angreifendes für mich. Glücklicher Weise alterirt meine Kränklichkeit nicht meine Stimmung, aber sie macht, daß ein lebhafter Antheil mich schneller erschöpft und in Unordnung bringt. Gewöhnlich muß ich daher einen Tag der glücklichen Stimmung mit fünf oder sechs Tagen des Drucks und des Leidens büßen.«

Gegen das Frühjahr von 1798 hin war das Stück so recht »in Gang gekommen« und zu Anfang des März waren »drei Viertel der ganzen Arbeit absolvirt.« Schiller und Göthe wünschten sehr, daß Schröder zur Uebernahme der Rolle des Wallenstein nach Weimar käme, was sich aber nicht machen lassen wollte. Im Juni kam Göthe auf mehrere Tage zu dem Freunde herüber und es wurde, nach gewohnter Art, zwischen den beiden lebhaft über den Wallenstein verhandelt. Ueberhaupt ist es höchst belehrend, zu erfahren, mit welcher allseitigen Gewissenhaftigkeit unser Dichter bei Schaffung seines großen Werkes verfuhr. Man ersieht aus dem ganzen Gange der Arbeit recht deutlich, daß Kunstwerke nicht nur so »hingeschleudert«, nicht nur so aus dem Nichts hervorgezaubert werden und daß gerade das Genie mit der größten Sorgfalt verfährt. Schiller ließ sich's nicht verdrießen, überall Belehrung zu suchen, wo er solche zu finden hoffen konnte. Als ihn im Juli 1798 der Bruder seines Schwagers, der nachmalige preußische General Ludwig von Wolzogen besuchte, besprach er mit dem Gaste die kriegswissenschaftlichen Momente im Wallenstein. »Er verlangte – erzählt der General – ich sollte ihm ein treues Bild von einer Schlacht im dreißigjährigen Kriege liefern, damit er aus dieser Beschreibung die Grundfarben zur Schilderung des Todes von Max Piccolomini entlehnen könne. Als ich ihm aber mit Karthaunen, Kolubrinen und Bombarden kam, da schlug er die Hände über dem Kopfe zusammen und rief: ›Wie können Sie nur verlangen, daß ich eine Szene, welche den höchsten tragischen Eindruck auf die Zuschauer zu machen berechnet ist, mit so viel Knall und Dampf erfüllen soll? Max kann nicht durch eine Kugel enden; auch muß sein Tod nur erzählt, nicht dargestellt werden, ähnlich wie Theramen in der Phädra Hippolyt's Ende berichtet.‹ Er sann noch lange hin und her, wie er seinen Helden nach diesen Grundsätzen am besten aus der Welt schaffen möchte und jeden Tag brachte ich ein neues Project dazu, das er jedoch als viel zu kriegswissenschaftlich immer wieder verwarf. Endlich hatte er seinen Entschluß gefaßt. ›Ich hab's – sagte er – Max darf nicht durch Feindes Hand, er muß unter dem Hufschlag seiner eigenen Rosse an der Spitze seines Kürassierregiments des Todes Opfer werden!‹ – und so entstand die herrliche Erzählung des schwedischen Hauptmanns, die wir heute Alle mit Bewunderung lesen« Ludw. v. Wolzogen, Memoiren, S. 14.. In der ersten Hälfte des September war Schiller bei Göthe in Weimar und stärkte sich an dem herzlichen Beifall des Freundes zur Vollendung seiner Tragödie. Unmittelbar nach seiner Heimkehr schrieb er den Prolog, an welchem der Freund »eine sehr große Freude« hatte. Zugleich sandte er unserem Dichter den Abraham a Santa Clara, damit dieser alte Humorist ihn »zu der Kapuzinerpredigt begeistere.« Die prächtige Kapuzinade wurde denn auch im Oktober geschrieben und im November ging der Dichter an den »poetisch wichtigsten, bis jetzt immer aufgesparten Theil des Wallenstein,« an die Liebesepisode von Max und Thekla. Wenn er dann unterm 30. November an Göthe meldete, daß er »den Wallenstein zum ersten Mal in die Welt ausfliegen lassen und an Iffland – welcher 1796 als Director des Theaters nach Berlin berufen worden – geschickt habe,« so sind darunter wohl nur Wallenstein's Lager und die Piccolomini zu verstehen. Denn die ganze Tragödie wurde mit »Wallenstein's Tod« erst im Frühling 1799 abgeschlossen Die Hauptmomente der Entstehungsgeschichte des Wallenstein finden sich in Schiller's Briefwechsel mit Körner (III, 167, 330, 394; IV, 7, 60, 67, 133) und in Schiller's Briefwechsel mit Göthe (I, 145, 240, 244, 248, 259, 261, 386, 402, 408, 412; II, 4, 61, 76, 81, 116, 130, 133, 136, 152, 155, 157, 186-88).. Damals, am 19. März, schrieb er an Göthe: »Ich habe mich lange vor dem Augenblick gefürchtet, den ich so sehr wünschte, – meines Werkes los zu sein, und in der That befinde ich mich bei meiner jetzigen Freiheit schlimmer als der bisherigen Sklaverei. Die Masse, die mich bisher anzog und festhielt, ist nun auf einmal weg und mir dünkt, als wenn ich besinnungslos im luftleeren Raume hinge. Zugleich ist mir, als wenn es absolut unmöglich wäre, daß ich wieder Etwas hervorbringen könnte; ich werde nicht eher ruhig sein, bis ich meine Gedanken wieder auf einen bestimmten Stoff mit Hoffnung und Neigung gerichtet sehe.« Der Brief, womit Körner unterm 31. März die wenige Tage zuvor geschehene Zusendung einer Abschrift des Werkes beantwortete, war wohl geeignet, den Dichter von der Möglichkeit, »wieder Etwas hervorbringen zu können,« zu überführen. »Ich hätte dir gewünscht, den Eindruck zu sehen, den dein Werk auf mich gemacht hat – schrieb der Freund. Es ist ein Erfolg, der dir, das weiß ich, nicht gleichgültig ist. Nur soviel laß mich dir sagen, daß ich mich wieder ganz verjüngt und in die schönen Tage unseres ehemaligen Beisammenseins versetzt fühle. Ich erwartete viel Kunst vom Wallenstein, aber fürchtete eben deßhalb eine gewisse Kälte. Destomehr wurde ich durch das jugendlich frische Leben überrascht, das in dem ganzen Werke athmet.«

Noch bevor die ganze Trilogie zum Abschluß gediehen war, hatten die beiden ersten Theile die »Feuerprobe der Lampen« bestanden. Das Weimarer Theatergebäude war unter der Leitung des beim neuen Schloßbau angestellten Stuttgarter Architekten Thouret umgebaut worden und im Herbst 1798 stand es fertig da. Der heitere Saal, mit einem auf Säulen ruhenden Balkon, sollte mit Wallenstein's Lager zum Musendienst eingeweiht werden. Die Hofschauspielertruppe war aus Lauchstädt, wo sie Sommers spielte, zurückgekehrt, und der Dichter aus Jena herübergekommen, um beim Einstudiren der Rollen gegenwärtig zu sein. Gemeinschaftlich mit ihm dirigirte Göthe die Proben. Der Freund, welcher für die äußere Anordnung eines Drama's, für Gruppirung und Szenerie ein mehr künstlerisch geübtes Auge besaß als Schiller, ließ sich mit wahrhaft brüderlicher Theilnahme die Zurüstungen angelegen sein und wir wissen von ihm selbst, wie energisch er bei dieser Gelegenheit hemmende Schauspielerlaunen beseitigte Der Schauspieler Becker hatte sich geweigert, einen Reiter zu spielen. »Da – erzählte Göthe am 26. Februar 1824 Eckermann – ließ ich ihm sagen, wenn er die Rolle nicht spielen wolle, so würde ich selber sie spielen. Das wirkte; denn sie kannten mich beim Theater und wußten, daß ich in solchen Dingen keinen Spaß verstand und daß ich verrückt genug war, mein Wort zu halten und das Tollste zu thun.«. Am Abend des 12. Oktober ging das Lager in Szene. Die Aufführung übertraf alle Erwartungen. Der neue, freundliche, hell beleuchtete Raum war mit Zuschauern angefüllt, die theils aus der Stadt theils aus der Umgegend dem festlichen Spiele zugeeilt waren. Gespannt lauschte die Versammlung dem Prolog, welcher sie auf den richtigen Standpunkt stellte. Vohs sprach denselben in dem Costüm, welches er später als Max Piccolomini trug. Die Darstellung des Stückes selbst ging vortrefflich: sie war ein harmonisch gerundetes Ganzes, wo jeder Schauspieler je nach dem Charakter seiner Rolle verständig hervortrat oder bescheiden sich unterordnete. Genast trug als Kapuziner den Preis davon. Die lebhaft angeregte Spannung des Publicums auf die Fortsetzung des Stückes, – welche Spannung sich dadurch nicht irren ließ, daß Wieland (!) das Lager »unmoralisch« fand, Jean Paul über die Aufführung verdrießlich und der grämliche Herder vor Aerger über »die sittlichen und ästhetischen Fehler« des Stückes gar krank wurde – mußte sich länger als drei Monate gedulden, denn erst am 30. Januar 1799 betraten die Piccolomini die Bretter. Die Vorbereitungen wurden fast mit der Wichtigkeit einer Staatsangelegenheit betrieben, denn auch der Herzog nahm den größten Antheil an dem Gelingen des Werkes und für Schiller und Göthe war es ja alles Ernstes eine Art Staatsaction, da es sich dabei um den Sieg des idealen Drama's handelte. Schiller kam schon am 2. Januar mit seiner ganzen Familie nach Weimar, wo er fünf volle Wochen blieb. Mit unendlicher Geduld und Sorgfalt leiteten die beiden Freunde die Proben und so überwanden sie zuletzt unter anderen Schwierigkeiten auch diese, den des Rhythmus ganz entwöhnten Schauspielern einen richtigen Vortrag der Jamben begreiflich zu machen. Endlich kam der entscheidende Abend. Aus der Nähe und Ferne, zumal aus Jena und Erfurt, waren Zuschauer herbeigeströmt, so viele das Haus nur immer fassen konnte. Als Thekla glänzte Fräulein Jagemann, als Max Vohs und den Wallenstein agirte vortrefflich Graff, welcher sich im Greisenalter mit dankbarer Rührung daran erinnert hat, daß Schiller selbst ihn den Helden spielen gelehrt habe Schiller's Album, S. 88.. Für die ruhigen Beobachter, deren es unter den Zuschauern freilich nur sehr wenige gegeben habe, sei es ein eigener Genuß gewesen, das übervolle Parterre zu überblicken – sagt ein Augenzeuge der Aufführung, dessen Bericht wir hier folgen. »Da saßen ihrer Viele mit freudetrunkenen Augen, die bei den wunderschönen lyrischen Stellen, aus denen das liebende, ahnende Gemüth des Dichters sprach und worin die Großheit seiner Ideen und die üppige Fülle seiner Phantasie so glänzend erschien, nur durch Gebärden ihr Entzücken ausdrücken konnten; das Herz war ihnen zu voll, als daß sie ihren Empfindungen hätten Worte geben können. Dann traf es sich wieder, daß Einige, denen man einen gebildeten Verstand nicht absprechen konnte, kalt blieben oder allerlei Ausstellungen machten, wogegen Andere, die man unter die Ungebildeten zählte, gerade mit am lebhaftesten ergriffen und von der Macht der Poesie, die sie fühlten ohne sie sich deutlich machen zu können, fortgerissen wurden. Schiller selbst war hochvergnügt und in seiner Freude, die er den Schauspielern wiederholt kundgab, fügte er zu dem Mahle im zweiten Act noch einige Flaschen Champagner hinzu, die er selbst unter dem Mantel auf das Theater trug« Erinnerungen eines Augenzeugen über die erste Aufführung des Wallenstein zu Weimar, Weimars Album, S. 135-145.. Ein Vierteljahr später, am 20. April, erschien Wallenstein's Tod auf der Bühne und der Dichter konnte unterm 8. Mai an Körner berichten, die Wirkung sei eine außerordentliche gewesen und habe auch die »Unempfänglichsten« mitfortgerissen. Es sei darüber nur eine Stimme gewesen und in den nächsten acht Tagen sei von Anderem gar nicht gesprochen worden. Könnte Schiller's Wahrhaftigkeit auch nur einem leisesten Zweifel unterliegen, so müßte dieser schwinden bei den Worten, womit eine Augenzeugin, Frau Amalie von Voigt, in ihren Erinnerungen über die Wirkung der großen Dichtung sich ausspricht. Wir Nachgeborenen müssen unsere Phantasie ordentlich anstrengen, um den Enthusiasmus, welchen der Wallenstein hervorrief, in seinem ganzen Umfange zu verstehen. »Nach den ersten Vorstellungen – sagt die genannte Dame – begriff man gar nicht, wie man an etwas Anderes als an das Schicksal von Max und Thekla, dem die heißesten Thränen flossen, denken könne, sogar essen wolle!« Iffland beeilte sich, dem Vorgang Weimars nachzufolgen. Schon am 18. Februar 1799 gingen die Piccolomini, schon am 17. Mai ging Wallenstein's Tod auf dem Berliner Hoftheater in Szene. Fleck machte hier aus der Titelrolle seine vielleicht größte Meisterschöpfung. Mit raschem Griff hatte sich, Tieck's Zeugniß zufolge, der große Mime des ganzen Umfangs der an Gegensätzen so reichen Aufgabe bemächtigt. Der ungestüme dämonische Trieb der Herrschsucht Wallenstein's und die in sich versinkende Grübelei, die soldatische Härte und die zarte Neigung zu dem jungen Freunde äußerten sich durchaus natürlich als Eigenschaften einer geschlossenen Persönlichkeit, welche aber erst in dem unerschütterlichen Glauben an den geheimnißvollen Schutz der Sterne ihren Schwerpunkt fand. Dies Moment habe Fleck auf so eindringliche Weise hervorgehoben, daß die ganze finstere Heroengestalt wie von unsichtbarer Macht getragen, wie von magisch anziehendem Grauen umgeben schien. Im Laufe des Sommers wurde der Wallenstein in Anwesenheit des Königs und der Königin von Preußen zu Weimar wiederum »mit großer Wirkung« aufgeführt. Der Dichter ward bei dieser Gelegenheit dem königlichen Paare vorgestellt und hatte Ursache, die Grazie und das Wohlwollen zu rühmen, womit die schöne Königin ihn empfing, sowie das Gefühl und den Geist, womit sie in den Sinn seiner Werke einging Sch. Briefw. mit K. IV, 146. Karol, v. Wolzogen, Sch. L. II, 182.. Diese Begegnung sollte auch, wie wir sehen werden, nicht ohne weitere günstige Folgen bleiben. Die Herzogin Luise von Weimar ihrerseits, seit lange unserem Dichter wohlgeneigt, ließ ihm zum Zeichen ihres Beifalls ein schwer und reich aus Silber gearbeitetes Kaffeegeräthe – Kaffee war ja das Lieblingsgetränk Schiller's – auf den Schreibtisch stellen. Der Geist des alten Feldherrn führte sich auch als würdiges Gespenst auf, indem er Schätze heben half, wie Schiller unterm 27. August scherzend an Göthe schrieb, den Empfang des Theaterhonorars für den Wallenstein bescheinigend. Er hatte dasselbe, wie ich aus seinem Brief an Göthe vom 18. Dezember 1798 schließe, auf 60 Dukaten festgestellt; da er aber in ersterem Schreiben von einem »schweren Paket« und von einem »Geldstrom« spricht, welchen der Freund »in seine Besitzungen« geleitet habe, so ist anzunehmen, daß die Erwerbung des Wallenstein für die herzoglichen Bühnen in Weimar und Lauchstädt für den Dichter einträglicher gewesen sei. Iffland hatte kein Bedenken getragen, an Schiller für den Wallenstein, und zwar noch bevor der Erfolg des Stückes in Weimar entschieden war, das für jene Zeit ganz außerordentlich hohe Bühnenhonorar von 60 Friedrichsd'or zu bezahlen Devrient, Gesch. d. d. Schauspielk. III, 281.. Im Sommer 1800 kam die Tragödie, in Cotta's Verlag erschienen, gedruckt ins Publicum. Der Erfolg muß als ein bis dahin in Deutschland geradezu unerhörter bezeichnet werden, denn schon im Herbste war die erste Auflage von vierthalbtausend Exemplaren vergriffen. Freund Körner machte deßhalb auch den Dichter darauf aufmerksam, künftig bei Geschäften mit Buchhändlern mehr als bisher auf den eigenen Vortheil bedacht zu sein, und so setzte Schiller gegenüber von Cotta das Honorar für jedes seiner künftigen Stücke auf 300 Dukaten fest. Zur nämlichen Zeit erhielt er Beweise, daß auch in der Fremde sein Ruhm bedeutend gewachsen. Der französische Exminister Narbonne wollte den Wallenstein ins Französische übersetzen und aus England, wo von Fiesco und Kabale und Liebe schon 1795, von Don Carlos 1796 Uebersetzungen erschienen waren, kam ihm der buchhändlerische Antrag, ihm jedes neue Drama mit 60 Pfund zu honoriren, unter der Bedingung, daß die englische Uebersetzung vierzehn Tage früher erscheinen dürfe als das deutsche Original Briefw. zw. Sch. u. K. IV, 147, 158, 192, 242. Briefw. zw. Sch. und G. II, 204..

Wer »unverwirrt durch der Parteien Haß und Gunst,« welche beide dem Wallenstein Schiller's in reichem Maße zu Theil geworden, an das Gedicht herantritt, wird, auch bei dem Gefühl der Mängel desselben, im Ganzen einen durchaus großartigen Eindruck empfangen. Es ist wahr, man hat anscheinend nicht ohne Grund gesagt, der Dichter habe, hierin zu sehr dem Einfluß Humboldt's nachgebend, eine subjective Schicksalsidee in sein Thema »hineingekünstelt«, welche das Stück mehr erdrücke als belebe. Aber es dürfte doch nicht schwer sein, nachzuweisen, daß auch an der historischen Gestalt Wallenstein's ein geheimnißvoll dämonischer Zug haftet, welcher wohl dazu leiten konnte, hier die griechische Vorstellung von der Macht des Schicksals wirksam zu glauben und wirkend zu zeigen. Und so wird sie gezeigt. Denn bei näherem Zusehen erkennt man sofort, daß im Wallenstein das Schicksal keineswegs nur, wie Hoffmeister und Andere meinten, als ein abstractes Ding erscheine, welches hinter den Coulissen sein Wesen treibe. Nein, die Schicksalsidee ist in die Charaktere des Stückes eingegangen und in dem Getriebe ihrer Leidenschaften und Strebungen zu handelnder Realität herausgearbeitet. Was ist überhaupt die Schicksalsidee in ihrer Wahrheit? Doch nichts Anderes als die zum Begriff erhobene Erfahrung, daß der Mensch, wenn er mit selbstsüchtiger Eigenmächtigkeit die Schranken des ewigen Sittengesetzes mißachtet, an denselben zu Grunde geht. Dieser Conflict ist auch das Grundmotiv des Wallenstein. Der Held erhebt sich zum Idealismus, aber seine egoistisch unreinen Mittel setzen sein Handeln zu seinem idealen Wollen in einen Widerspruch, welcher ihn erdrückt. Der Idealismus wird sich selber untreu und deßhalb unterliegt er der gemeinen Wirklichkeit. Hier liegt der tragische Knoten des Stückes und er ist von dem Dichter so kunstvoll geschürzt worden, daß der Wallenstein aller scheinbar subjectiven Schicksalsfärbung ungeachtet in der That das ist, wofür Schiller ihn angesehen wissen wollte, ein großes, objectives Zeit- und Charaktergemälde. Mit Recht hat Ruge auf die plastische Vollendung des sprachlichen Ausdrucks aufmerksam gemacht, welcher nicht nur die ganze Schrecklichkeit des dreißigjährigen Krieges widerspiegelt, sondern auch mit höchst glücklichem Takt am rechten Orte das entartete Deutsch und selbst den Curialstyl jener Zeit wirksam andeutet Ruge: Idealismus und Realismus im Reich des Ideals (Prutz's Deutsches Museum 1858, S. 670).. Die Liebesepisode von Max und Thekla – schon beim Erscheinen der Tragödie und heute noch das Entzücken der Jugend und namentlich der Frauen – bot den Gegnern unseres Dichters den meisten Stoff zum Tadel. Selbst eine Rahel Levin fand, Thekla sei »ganz und gar nur die tragische Gurli« Kotzebue's Machwerk »Die Indianer in England« ist glücklicher Weise jetzt so verschollen, daß es nicht schulmeisterlich klingt, wenn ich daran erinnere, daß die Heldin dieses Rührstücks Gurli hieß.; aber man muß nicht vergessen, daß die hohe Geistesklarheit dieser Frau öfter als billig durch die Voreingenommenheiten ihrer Freunde, der Romantiker, getrübt wurde. Für Schiller war, wie wir sahen, die Episode von Max und Thekla der »poetisch wichtigste« Theil des Stückes. Ich möchte sagen, er habe sich bei Schaffung derselben, wo er ganz dem Drange seines Idealismus folgen konnte, von dem Realismus erholen wollen, welchen ihm der Wallenstein auferlegte. Deßhalb sind denn Max und Thekla – eine schöne, wenn auch halbmystische Definition der Poesie hier anzuwenden – ja, die Beiden sind »sichtbare Bilder von unsichtbaren Naturen« und so, wie sie sind, werden sie für alle Zeit als Verkörperung des deutschen Liebesideals dastehen. Und noch mehr, sie lassen sich auch historisch rechtfertigen, wenn ich recht erwäge. Wer die deutsche Literatur des siebzehnten Jahrhunderts kennt, weiß, daß gerade in der ungeheuren Trübsal des dreißigjährigen Krieges eine idealisch-sehnsüchtige Stimmung in den Gemüthern erwachte, welche in den Liebesgedichten der ersten und mehr noch der zweiten schlesischen Dichterschule eine allerdings vorherrschend lascive, mitunter aber auch eine ganz platonisch-sentimentalische Färbung annahm. Damit ist bewiesen, daß auch zu jener Zeit Liebende so fühlen konnten und wirklich so fühlten wie Max und Thekla, und wenn auch keineswegs behauptet werden soll, Schiller habe diese geschichtlich nachweisbare Stimmung mit Bewußtsein reproduziren wollen, so ist doch gewiß, daß sein poetischer Instinkt auch hier das Richtige weit besser getroffen habe, als die Unkenntniß zugeben wollte. Endlich ist das Prophetische im Wallenstein vom höchsten Belang. In seiner Tragödie entrollte der Dichter eine Zeit, wo »auf des Degens Spitze die Welt ruhte« und, wie auch damals, an des 18. Jahrhunderts »ernstem Ende«, um »der Menschheit große Gegenstände, um Herrschaft und um Freiheit ward gerungen.« Beim Schauen und Lesen des großen Werkes ist uns immer, als erhebe sich hinter der Gestalt Wallenstein's die Napoleon's, welcher, während das Gedicht seiner Vollendung zuschritt, gerade seinen abenteuerlichen Feldzug in Aegypten und Syrien machte, um dann, wenige Monate nach dem Erscheinen des Wallenstein auf der Bühne, durch den Gewaltstreich vom 18. Brumaire sich zum Herrn von Frankreich aufzuschwingen. Der Wallenstein ist im Einzelnen und Ganzen voll von Ahnung dessen, was Europa bevorstand, – eine Zeit voll Kriegstumult, eine Periode der Säbelherrschaft. Ja, den »großen Geschicken« schritten in Schiller's Tragödie »ihre Geister« voraus und mit dem Hellblick des Sehers zeigte der Dichter seinen Zeitgenossen in dem »Heute« schon das »Morgen«.

Der ästhetischen Kritik kommt es zu, ein Werk von der Bedeutung des Wallenstein einläßlicher zu analysiren. Die Biographie kann sich begnügen, an die Hauptgesichtspunkte erinnert zu haben, von welchen die Beurtheilung ausgehen muß. Dagegen liegt ihr ob, die Eindrücke zu verzeichnen, welche die Zeitgenossen des Dichters von seinen Werken empfingen. In Betreff des Wallenstein ist in dieser Richtung oben schon Manches beigebracht worden und dem dort Gesagten füge ich hier bei, daß, wer erfahren will, wie die Tragödie auf Schiller's Freunde wirkte, welche zugleich Kenner waren, die ausführlichen Briefe nachlesen muß, welche Körner unterm 9. April 1798 und unterm 16. Januar 1800 an den Dichter schrieb. Hier ist gehaltvolle Würdigung, ohne eine Spur von Schmeichelei. Aber es fehlte der großartigen Schöpfung auch nicht an Tadlern, welche sich eifrigst bemühten, Fehler zu finden und, wo keine zu finden waren, zu erfinden. Wie schon angedeutet wurde, gingen diese Bemängelungen von der Coterie der Romantiker aus und es ist komisch mitanzusehen, wie sich ein Mitglied derselben, Steffens, in seiner Schilderung von der Wirkung der Tragödie dreht und windet, um der romantischen Losung gemäß möglichst zu vertuschen, daß auch ihm diese Wirkung in ihrer ganzen Größe sich fühlbar gemacht habe Steffens: Was ich erlebte, IV, 103 fg.. Da wir aber einmal auf die romantische Schule zu sprechen gekommen, so ist es nicht nur passend, sondern geboten, näher auf den Gegenstand einzutreten.

Bereits ist, bei Erwähnung Jean Paul's und Fichte's, die Wendung unserer Literatur von der Classik zur Romantik signalisirt worden. Zu den beiden genannten Initiatoren einer neuen Schule gesellte sich als dritter Schelling, welcher in seiner productiven Periode die Grundlinien eines naturphilosophischen Systems gezogen hat. In diesem ging das Ideale aus dem Realen hervor und vergeistigte die Natur sich zum Gedanken: – die Natur ist der sichtbare Geist, der Geist die unsichtbare Natur. Diese Einheit des Geistigen und Körperlichen ist das Absolute, welches sich in dem allumfassenden Leben der Natur als ein durch den Widerstreit entgegengesetzter Kräfte nach einem allgemeinen Gesetze der Polarität sich bildendes Prinzip offenbart, im subjectiven Bewußtsein des Menschen aber zu sich selber kommt, wobei alle Stufen des natürlichen Daseins ebenso viele Sprossen sind, auf welchen der Geist zu seiner Freiheit und zum Wissen von sich emporsteigt. Es ist bekannt, wie anregend die Schelling'sche Philosophie auf die naturwissenschaftlichen Studien eingewirkt, aber auch, wie sehr sie der Phantasterei Thür und Thor geöffnet hat. Es bedurfte nur der frühreifen, hektisch aufgereizten Genialität eines Novalis, um aus der wunderlichen Verquickung der Fichte'schen Lehre vom Ich mit der Schelling'schen Lehre vom Absoluten die seltsamsten Resultate zu gewinnen. Novalis, der eigentliche Prophet der Romantik, d. h., einen Göthe'schen Ausdruck zu gebrauchen, der »altneudeutsch-christlichreligiöspatriotischen« Kunst, setzte alle seine Denkkraft an die Durchführung des Versuchs, Philosophie und Religion zu versöhnen und die Poesie zu verchristlichen. Er fühlte wohl, daß hier die Gefahr nahelag, von der Bahn humaner Selbstbestimmung, welche der deutsche Geist seit Lessing eingeschlagen, ab- und in bedenkliche Richtungen hineingedrängt zu werden, und da er Nichts weniger als ein »Dunkler« aus Absicht war, so rang er gewaltig, eine Einheit zu finden, in welcher Glauben und Wissen, Dichten und Trachten sich begegnen könnten, ohne die Freiheit zu gefährden. Man kann nicht ohne Theilnahme dieses Ringen einer engelhaft reinen Seele mitansehen, wie es sich insbesondere in den fragmentarischen Betrachtungen von Novalis darstellt. Zuletzt führen ihn die Vermittlungsversuche zwischen Spinoza, Fichte, Schelling und Böhm zum Christenthum und zwar zum Christenthum in seiner Erscheinungsform als Katholicismus; denn, sagt er, »der alte Katholicismus war angewandtes, lebendiggewordenes Christenthum, er war die echte Religion, er war es durch seine Allgegenwart im Leben, seine Liebe zur Kunst, seine tiefe Humanität, die Unverbrüchlichkeit seiner Ehen, seine menschenfreundliche Mittheilsamkeit, seine Freude an Armuth, Gehorsam und Treue.« Nachdem sich Novalis einen Katholicismus, an welchen den Prüfstein kirchengeschichtlicher Kritik zu halten reine Zeitverschwendung wäre, zurechtgemacht, prophezeite er, »nur die geistliche Macht desselben könne den streitenden Völkern den Palmenzweig darreichen.« Es werde so lange Blut über Europa strömen, bis »die Nationen ihres fürchterlichen Wahnsinns gewahr werden, der sie im Kreise umhertreibt, und bis sie, von heiliger Musik getroffen und besänftigt, zu ehemaligen Altären in bunter Vermischung treten, Worte des Friedens vernehmen und ein großes Friedensfest auf den rauchenden Wohnstätten mit heißen Thränen gefeiert wird.« Ganz folgerichtig geht dann Novalis bis zur Lobpreisung des Jesuitismus fort, verwirft die Reformation und die Aufklärung des Bestimmtesten, kehrt sich ab von dem »frechen Licht« des Tages, preist in trunkenen Hymnen die »heilige, unaussprechliche, geheimnißvolle Nacht« und feiert in Liedern voll mystischer Innigkeit die Jungfrau Maria als die Kybele oder Isis seines katholisirenden Naturdienstes.

Die Rückkehr zur mittelalterlichen Katholicität, wie sie ja zur gleichen Zeit durch die Bonald und Chateaubriand auch in Frankreich empfohlen wurde, ist also schon von Novalis deutlich als Ziel der Romantik hingestellt. Friedrich Schlegel, der eigentliche Doctringeber der Schule, hat den Novalis'schen Gedanken nur breit, sehr breit getreten. Schlegel hat sich vermittelst seiner Zeitschriften (Athenäum 1798-1800, Europa 1803-4) ein Ansehen als Kritiker zu geben gewußt und sein kritisches Talent war in der That groß genug, um für eine Weile Lärm in der Welt zu machen, worauf es doch vor Allem abgesehen war. Was die negative Seite seiner Kritik betrifft, so war diese insbesondere gegen Kotzebue und Lafontaine, sowie gegen die Nicolaiten, d. i. gegen die Aufklärer gerichtet. Göthe'n wurde gehuldigt, da man ja doch eines Anhaltepunktes bedurfte; Schiller dagegen, dessen sittliches Freiheitsstreben den Romantikern ein Dorn im Auge sein mußte, ward vornehm ignorirt oder hinterrücks befehdet. Mit »göttlicher Grobheit«, wie Friedrich Schlegel sagte, in Wahrheit aber mit jener geckenhaften Frechheit, welche stets das Merkmal unsauberen und ohnmächtigen Wollens ist, trat die neue Kunstkritik auf und sie charakterisirt sich schon dadurch, daß Wieland, der wenigstens im Vergleich mit den Schlegeln ein Poet jeder Zoll war, im Athenäum einer rohen Mißhandlung unterworfen wurde » Citatio edictalis. Nachdem über die Poesie des Hofrath und Comes Palatinus Caesareus Wieland in Weimar, auf Ansuchen der Herren Lucian, Fielding, Sterne, Bayle, Voltaire, Crebillon, Hamilton und vieler anderen Autoren, Concursus Creditorum eröffnet, auch in der Masse mehreres verdächtiges und dem Anschein nach dem Horatius, Ariosto, Cervantes und Shakspeare zustehendes Eigenthum sich vorgefunden, – als wird Jeder, der ähnliche Ansprüche titulo legitimo machen kann, hiedurch vorgeladen, sich binnen sächsischer Frist zu melden, hernachmals aber zu schweigen.« Athenäum, II, 332.. Die Antwort auf die Frage, was denn eigentlich die neue Doctrin wollte, lautete annehmlich genug: – sie wollte die Einheit von Leben und Poesie in der Unmittelbarkeit beider begreifen, die Realität mit dem Idealismus durchdringen, die Wirklichkeit poetisch verklären, hiedurch die Emanzipation der Gesellschaft von der Philisterei aller Art bewirken und die Bildung in eine Sphäre erheben, wo Leben und Kunst in dem Brennpunkt der Religion Eins würde. Um die Theorie praktisch zu veranschaulichen und die Unmittelbarkeit des genialen Ich dichterisch aufzuzeigen, schrieb Friedrich Schlegel seinen Roman »Lucinde« (1799). Daß über dieses allerdings mehr nur langweilige als gefährliche Buch ein Schleiermacher, welcher nachmals, in Wiederaufnahme der Novalis'schen Versuche, zur Vermittlung von Wasser und Feuer die »speculative« Theologie cultivirte, eine Reihe von entzückten Briefen schreiben konnte, beweist eine gänzliche Verkehrung aller sittlichen und ästhetischen Prinzipien, einen totalen Mangel an gesundem Menschenverstand in der romantischen Schule. Wenn auch ohne den geringsten poetischen Werth, ist die Lucinde doch von kulturgeschichtlicher Wichtigkeit, weil das Buch zeigt, wohinaus die romantische Ironie wollte. Sie lehrte nämlich, das menschliche Ich finde, nachdem es die Schranke der Subjectivität vergebens durchbrechen gesucht, seine wahre Fülle und Einheit nicht in der Thätigkeit, sondern umgekehrt in der »gottähnlichen Kunst der Faulheit,« in welcher die Freiheit (d. i. die Frechheit) des genialen Subjects sich selbst genießt. Je göttlicher der Mensch, desto ähnlicher wird er der Pflanze, welche unter allen Formen der Natur die schönste und sittlichste ist. So ist also das höchste und vollendetste Leben Nichts als ein reines Vegetiren und dieses Vegetiren, dieser Zustand des absoluten Nichtsthuns ist – Religion. Nach solchen Prämissen kann es nicht Wunder nehmen, wenn wir den Autor der Lucinde, welche durch ein bekanntes Epigramm vortrefflich kritisirt wurde Der Pedantismus bat die Phantasie
Um einen Kuß; sie schickte ihn zur Sünde.
Frech, ohne Kraft umarmt' er die
Und sie genas von einem todten Kinde,
Genannt Lucinde.
, bald darauf aus dem heiligen Düster des Wiener Stephansdoms hervor verkündigen hören, der Wendepunkt zum Bösen in der Weltgeschichte sei eingetreten mit den Kämpfen der Ghibellinen gegen das Papstthum und habe sich dann mit der Reformation und der Aufklärung vollendet. Die Umkehr zur mittelalterlich-katholischen Weltansicht, welche Kirche und Staat, Volk und Wissenschaft, Leben und Kunst zu einer Einheit zusammengefaßt hätte, sei demnach die unumgängliche Bedingung einer Wiederherstellung und Verjüngung der deutschen und der europäischen Gesellschaft. In der letzten Zeit seines Lebens, wo Friedrich Schlegel wie ein Kapuziner sprach und wie ein Epikuräer lebte, stieß sein apokalyptischer Orakelton, womit er sich und Andere belügen wollte, selbst seine intimsten Freunde ab Als er im Spätherbst 1828 seinen alten Freund Tieck in Dresden besuchte, verkündigte er diesem »Erzromantironicus« die Nähe des jüngsten Tages. Dann würden die Gestirne des Himmels sich gegen einander bewegen und die Gestalt eines Crucifixes bilden. Unwillkürlich brach Tieck bei diesem Orakel in den Ruf aus: »Mensch, sag' einmal, glaubst du denn wirklich das Alles?« Köpke, Erinnerungen aus Tieck's Leben, II, 74.. August Wilhelm Schlegel gab sich willig dazu her, für die romantische Doctrin seines jüngeren Bruders Propaganda zu machen. Das Verhältnis; der beiden Brüder zu einander charakterisirt ganz gut der von dem Dänen Oehlenschläger gemachte Witz:
August sagt: »Mein Bruder und ich!«
»Ich und mein Bruder!« sagt Friederich.
Der eitelste der Menschen, kokettirte er übrigens mehr nur mit der romantischen Mode als daß es ihm wirklicher Ernst damit gewesen wäre. Er adoptirte sie als ein Mittel, Aufsehen zu erregen und sich eine Stellung in der Literatur zu machen. Mit wirklichem Interesse cultivirte er, ein eleganter Sprachkenner, nur die universalistische Seite der Romantik und in dieser Richtung hat er der Herder-Göthe'schen Idee von einer Weltliteratur wesentliche Dienste geleistet, indem er als geschmackvoller Uebersetzer zu der weltliterarischen Theorie von allen Seiten her praktische Belege holte. So schloß er in Verbindung mit seinem Bruder, und zwar nicht wie dieser mit zweideutigen Hintergedanken, dem deutschen Auge die Phantasiewelt der altindischen Dichtung auf, so führte er Dante, Camoens und Calderon in Deutschland ein, so lieferte er seine im Ganzen noch immer unübertroffene Uebertragung Shakspeare'scher Dramen. Seine kritischen Arbeiten erscheinen durch romantische Marotten überall viel weniger getrübt als die seines Bruders und es ist nur gerecht, anzuerkennen, daß die Wissenschaft der Literarhistorik eigentlich erst von ihm datirt. Auch in Betreff der poetischen Production lief er dem Bruder den Rang ab; wenigstens wußte er sich mehr das Ansehen eines Poeten zu geben als jener, dessen dichterische Hohlheit in dem sogenannten Trauerspiel Alarkos zu einer grellbunten Blase des Unsinns aufschwoll. Freilich wetteiferte auch A. W. Schlegel in seinem einzigen größeren dichterischen Versuch, dem Schauspiel Jon, nur ganz unglücklich mit der Göthe'schen Iphigenie. Von jedem der Brüder schleppt sich herkömmlicher Weise ein halb Dutzend Gedichte in den Anthologieen fort, aber es sind kalte, leblose, gemachte Produkte. Die Schlegel wollten den Mangel an Schöpferkraft und die Prosa ihrer Empfindungsweise durch Einführung des Klingklangs südlicher Formen verdecken und durch sie und die übrigen Romantiker kam jene Sonetten-, Canzonen- und Glossenwuth in Deutschland auf, welche der wackere Voß so herb als treffend persiflirt hat. Ueberhaupt ging das Schönthun der romantischen Schule mit der italischen und spanischen Poesie bald so ins Extrem, daß zum großen Nachtheil unserer Literatur eine Zeit lang kaum bezweifelt werden durfte, die crude Phantastik der Calderon'schen Autos sei der Gipfel dichterischer Kunst.

Es würde den Kreis meiner Aufgabe weit überschreiten heißen, wenn ich die Romantik in ihren verschiedenen Richtungen weiter verfolgen wollte. Ich sage daher nur noch, daß keineswegs geleugnet werden soll, die romantische Schule, wenngleich in staatlicher und kirchlicher Beziehung voll unheilvoller Wirkungen, habe auch Ersprießliches und Löbliches angeregt. Ihre schönste Blüthe war die patriotische Richtung, welche zu einer Wiederaufgrabung der Quellen unseres Volksthums antrieb und eine Sprach-, Rechts- und Sittenforschung begründete, deren Ergebnisse dem erwachenden Nationalgeist zu gesunder Nahrung dienten. Diese vaterländische Seite der Romantik, wesentlich aus der herben Enttäuschung über den Kosmopolitismus der französischen Revolution hervorgegangen und nachmals in Großbritannien, durch Walter Scott, zu einer dichterischen Gestaltung gebracht, welche die Runde um die Welt machte, hat unzweifelhaft auch auf Schiller bedeutend eingewirkt. Im Uebrigen wird, denke ich, das Vorstehende genügen, um klar zu machen, daß das gute Verhältniß zwischen unserem Dichter und den Schlegeln, wie es beim Beginn der Horen bestanden hatte, unmöglich von Dauer sein konnte. Die Kluft zwischen diesen Naturen war zu groß, und sowie die romantische Doctrin deutlicher sich hervorwagte, mußte der Bruch erfolgen. Für Schiller war es unleidlich, wenn sich, wie namentlich in den Kritiken von Friedrich Schlegel geschah, die Ohnmacht zur Arroganz aufbauschte, und so waren die Brüder in den Xenien mehrfach satirisch von ihm gestreift worden. Dessenungeachtet blieb er mit August Wilhelm bis 1801 in leidlich guter Beziehung, wogegen er den Friedrich, welcher die aus den Xenien gesogene Galle bei jeder Gelegenheit gegen Schiller auszulassen suchte, schon im Mai 1797 in einem Brief an Göthe einen »Laffen« nannte. Unterm 23. Juli 1798 schrieb er dem Freunde, die »naseweise, entscheidende, schneidende und einseitige Manier,« womit das Schlegel'sche Athenäum verfahre, mache ihm »physisch wehe.« Göthe antwortete nach seiner Weise beschwichtigend und Schiller wollte dann auch den Schlegeln »einen gewissen Ernst, ein tieferes Eindringen in die Sachen« nicht absprechen, obgleich »diese Tugend mit so vielen egoistischen und widerwärtigen Ingredienzien vermischt sei.« Als aber die Lucinde erschien, sprach Schiller in einer Aeußerung gegen Göthe ein ebenso entschiedenes als gerechtes Verdammungsurtheil über das Buch, welches er als den »Gipfel moderner Unform und Unnatur,« als eine »höchst seltsame Paarung des Nebulistischen mit dem Charakteristischen« bezeichnete.

Wenige Tage darauf, Ende Juli's 1799, erhielt er einen Besuch von Ludwig Tieck, in welchem damals gerade die Schlegel den poetischen Messias zu proclamiren begannen, der da thun sollte, was sie selber nicht konnten, d. h. die Formen ihrer Doctrin mit romantischer Substanz füllen. Diese Hoffnung war keine grundlose. Denn wie wenig auch Tieck, weil er seine besten Jahre an ein lebensunfähiges Kunstprinzip vergeudete, im Ganzen und Großen der Nation geworden ist, wie sehr sein ganzes Wirken auf die Kreise romantischer Geistreichigkeit und geistreichthuender Exclusivität beschränkt blieb, ein wirkliches und sogar großes poetisches Talent war er immerhin. Seine literarischen Komödieen sind zugleich mit den Armseligkeiten, gegen welche sie gerichtet waren, verschollen; aber seine Märchen, in welchen er wie kein Zweiter den Zauber der vielberufenen »Waldeinsamkeit« wirken zu lassen und der Natur ihre verschämtesten Geheimnisse abzulauschen verstand, bewahren den reinsten und feinsten Duft der »blauen Blume« der Romantik und werden denselben auch auf die Zukunft bringen. Freilich, wenn man Tieck von vorneherein als ein Genie ausgeposaunt hatte, berufen, das Größte zu schaffen, so wurde der Irrthum allen Verständigen klar, als er 1799 mit seiner Genoveva hervortrat. Diese plan- und einheitslose Apotheose des Mittelalters, in welcher die romantische Muse als eine von falschem Schmuck förmlich klingelnde Kokette erscheint und sich bis zur höchsten Potenz frömmelnder Affectation hinaufklingelt, wurde von der Schule mit schallenden Fanfaren begrüßt und den großen Dichtungen Göthe's und Schiller's nicht nur gleichgestellt, sondern vorgezogen. Wer, außer dem Literarhistoriker, der sich seufzend durch diese »Naturunmittelbarkeit« durcharbeiten muß, kennt das gepriesene Stück heute noch? Niemand. Zuvor hatte Tieck unserem Dichter »gar nicht übel« gefallen und er hatte in ihm, wie er unterm 24. Juli 1799 an Göthe schrieb, »ein angenehmes Talent« gefunden, welches »in seiner Sphäre fruchtbar und gefällig wirken könnte.« Nach dem Erscheinen der Genoveva aber gab er ihn auf und mußte es wohl, da er Tieck's zweite productive Periode, die Novellenzeit, nicht mehr erlebte. »Es ist schade um dieses Talent – schrieb er unterm 27. April 1801 an Körner – das noch so viel an sich zu thun hätte und schon so viel gethan glaubt. Ich erwarte nichts Vollendetes mehr von ihm, denn mir däucht, der Weg zum Vortrefflichen geht nie durch die Leerheit und das Hohle.« Tieck übrigens, zu seiner Ehre sei es gesagt, hat sich, wenn auch unserem Dichter nicht freundlich gesinnt, wenigstens nie zu der bornirten Ungerechtigkeit der Schlegel gegen denselben fortreißen lassen, und wenn er auch bis zuletzt an seiner Meinung festhielt, Schiller's Erstlingswerk, die Räuber, sei sein größtes geblieben Köpke, a. a. O. II, 193., so konnte und wollte er sich doch dem imponirenden Eindruck des Wallenstein nicht entziehen. Er bemühte sich zwar angelegentlich, in der Composition und Ausführung der großen Dichtung Fehler zu finden und aufzuzeigen, aber er setzte seinen Ausstellungen doch das Bekenntniß entgegen, sie werde »immer als die erste unter den deutschen Tragödieen zu nennen sein,« und sprach anderweitig die bekannten warmgefühlten Worte: »Wallenstein's mächtiger Geist trat unter die Tugendgespenster des Tages. Der Deutsche vernahm wieder, was seine herrliche Sprache vermöge, welchen mächtigen Klang, welche Gesinnungen, welche Gestalten ein echter Dichter wieder hervorzurufen habe. Dieses tiefsinnige reiche Werk ist als ein Denkmal für alle Zeiten hingestellt, auf welches Deutschland stolz sein darf, und ein Nationalgefühl, einheimische Gesinnung und großer Sinn stralt uns aus diesem reinen Spiegel entgegen, damit wir wissen, was wir sind und was wir waren.« Im Jahre 1809, als die Geschicke, deren Geister im Wallenstein der Zeit vorausgeschritten waren, sich erfüllt hatten, da griff auch die Tadlerin Rahel Levin wieder nach dem Werke, und als sie es gelesen, rief sie aus: »Wie paßt jetzt jedes Wort in der Tragödie! Wie versteh' ich jetzt Welthändel und Dichter erst!«


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