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Zweites Kapitel.
Die Briefe über die ästhetische Erziehung des Menschen.

Eintritt ins Jahr 1792. – Philosophische Studien. – »Ueber Anmuth und Würde.« – Ausflug nach Dresden. – Liebe Besuche. – Verhalten deutscher Größen zu der französischen Revolution. – Forster. – Klopstock. – Wieland. – Herder. – Göthe. – Schiller will als Anwalt Ludwig's des Sechszehnten auftreten. – Er bricht mit der Revolution. – Aus Paris. – Le sieur Gille citoyen français. – Einrichtung einer eigenen »Menage«. – »Der Schwabe regt sich.« – Der Heimat zu! – In Heilbronn. – In Ludwigsburg. – Lotte's »Campagne« und Schiller's erste Vaterfreude. – Tod des Herzogs Karl. – Ein Triumph. – In Stuttgart. – Dannecker. – Der Freiheitsbaum zu Tübingen. – Schelling, Hegel, Hölderlin. – Eine Weissagung. – Rückkehr nach Jena. – Die ästhetische Erziehung des Menschen.


Heiteren Muthes schritt der Dichter in das Jahr 1792 hinüber. Am 1. Tage desselben schrieb er seinem Körner: »Ich beginne das neue Jahr mit den besten Hoffnungen. Bin ich auch noch nicht gesund, so hat mein Kopf doch seine ganze Freiheit und an meiner Thätigkeit werde ich durch meine Krankheit wenig gehindert. Indeß werde ich jetzt noch einen entscheidenden Schritt zu meiner Wiederherstellung thun, da meine ökonomischen Umstände es zulassen und die Rücksicht auf meine Gesundheit für jetzt die dringendste ist. Wir haben ausgemacht, wenigstens für dieses Jahr eigene Pferde zu halten, daß ich alle Tage in der Regel zwei Stunden ausfahren kann.« Diese heitere Stimmung wurde freilich Anfangs Februars durch einen neuen Krankheitsanfall gestört, indem der Winterfrost die Unterleibskrämpfe, an denen Schiller oft Nacht für Nacht litt, in verstärktem Maße wiederbrachte. Auch der großartige Equipageplan wurde bedeutend ermäßigt, indem der Dichter am 15. März dem Freunde meldete, er habe sich Behufs einer »Motionscur« einstweilen ein Reitpferd angeschafft. Die Kant'sche Philosophie war jetzt der Hauptgegenstand seiner geistigen Thätigkeit. »Mein Entschluß – schrieb er – ist unwiderruflich gefaßt, sie nicht eher zu verlassen, bis ich sie ergründet habe, wenn mich dieses auch drei Jahre kosten könnte.« Er führte diesen Vorsatz redlich durch.

Göthe hat freilich, wie bekannt, die Ansicht geäußert, daß Schiller's »philosophische Richtung seiner Poesie geschadet habe.« Er sagte dieses am 14. November 1823 zu Eckermann und fügte hinzu: »Es ist betrübend, wenn man sieht, wie ein so außerordentlich begabter Mensch sich mit philosophischen Denkweisen herumquälte, die ihm Nichts helfen konnten.« Aber fast in demselben Athem gab Göthe die beste Kritik dieser seiner Ansicht, indem er fortfuhr: »Es war nicht Schiller's Sache, mit einer gewissen Bewußtlosigkeit und gleichsam instinktmäßig zu verfahren; vielmehr mußte er über Jedes, was er that, reflectiren.« Da haben wir es! Der Unterschied ist: Göthe war ein naiver Dichter, Schiller ein bewußter. Der Zug der Göthe'schen Poesie ging auf die Natur, während die Schiller'sche auf die Freiheit gerichtet war. Es war keine Zufälligkeit, keine Willkür, daß Schiller's Genius am Feuer philosophischer Erkenntniß zur poetischen Meisterschaft sich hinaufbildete. Freiheit ist eine Sache des Bewußtseins, die sittliche so gut wie die künstlerische und politische: nur der bewußte Mensch kann ein freier sein. Und errungen will die Freiheit sein, sie fliegt Einem nicht an, wird Einem nicht im Schlafe gegeben. Der bewußt freie Künstler ist der wahrhaft idealische Mensch. So faßte auch Schiller den Dichter, als er noch 1790 seine Rezension von Bürger's Gedichten schrieb, welche im folgenden Jahr in der Allgemeinen Literaturzeitung erschien und dem Schöpfer der Lenore freilich Unrecht that, weil der Maßstab, den Schiller an ihn legte, ein zu hoher war. Aber sie ist höchst merkwürdig, insofern Schiller hier der Welt und sich selber das Bild des Dichters, wie er sein soll, vorzeichnete. »Es ist nicht genug – sagt er – Empfindung mit erhöhten Farben zu schildern; man muß auch erhöht empfinden. Begeisterung allein ist nicht genug; man fordert die Begeisterung eines gebildeten Geistes. Alles, was der Dichter uns geben kann, ist seine Individualität. Diese muß es also werth sein, vor Welt und Nachwelt ausgestellt zu werden. Diese seine Individualität so sehr als möglich zu veredeln, zur reinsten, herrlichsten Menschheit hinaufzuläutern, ist sein erstes und wichtigstes Geschäft, ehe er es unternehmen darf, die Vortrefflichen zu rühren. Vom Aesthetischen gilt eben das, was vom Sittlichen: wie es hier der moralisch vortreffliche Charakter eines Menschen allein ist, der einer seiner einzelnen Handlungen den Stempel moralischer Güte aufdrücken kann, so ist es dort nur der reife, der vollkommene Geist, von dem das Reife, das Vollkommene ausfließt.« Von diesem hohen Standpunkt der Kritik herab ermaß Schiller die Wegstrecke, welche ihn selber noch von seinem Ideal eines Dichters trennte, und ging rüstig daran, diesen Zwischenraum zu verringern. Zunächst theoretisch, philosophirend. So las er, durch Kant's Theorie des Schönen und Erhabenen angeregt, im Winter 1792-93 ein Privatissimum über Aesthetik und schrieb dann im Frühling für die Neue Thalia die schöne Abhandlung: »Ueber Anmuth und Würde« in den »guten Intervallen«, wo ihm das »alte Uebel« bei dem unbeständigen Wetter Ruhe ließ Sch. Briefw. mit K. III, 105.. Diese Abhandlung, von welcher Kant urtheilte, daß sie »mit Meisterhand verfaßt sei«, ließ an Ideenfülle alles Philosophische, was unser Dichter bisher geschrieben, weit hinter sich und diese Ideenfülle war in eine Form gegossen, welche die Gesetze der Schönheit »schon im Geben erfüllte« Unter den Richtern der Form bist du der Erste, der Einz'ge,
Der das Gesetz, das er gibt, schon im Geben erfüllt.
Hebbel: Schiller als Aesthetiker.
. Schiller ist in dieser Schrift bereits dem Zenith seiner Weltanschauung nahe: mit dem Freiheitsprinzip hat er das Humanitätsprinzip verbunden. Würde und Anmuth sind die Erscheinungsformen dieser Prinzipien. Auf dem harmonischen Wechselspiel der sinnlichen und der sittlichen Kräfte des Menschen beruht die Schönheit der Seele, deren unwillkürlicher Ausdruck in der Erscheinung die Anmuth ist. Aber nicht immer verhalten sich die sinnlichen und die sittlichen Kräfte harmonisch oder, mit anderen Worten, nicht immer stimmen Natur und Vernunft überein. Wenn nun der Mensch in diesem Conflict die Natur der Vernunft, seine Neigung der Pflicht unterwirft, handelt er erhaben und die Erscheinungsform dieser sittlichen Kraft ist die Würde. Man sieht, der Dichterphilosoph ging darauf aus, der Freiheit die Humanität, der Würde die Anmuth, der Sittlichkeit die Schönheit zu gesellen. Doch ist der moralische Gesichtspunkt noch vorwiegend, denn Schiller will das Schöne moralisch gerechtfertigt und begründet wissen. Damit hatte er freilich weder einem Kant noch einem Göthe genug gethan. Jenem erschien das Ideal, welches in der Abhandlung über Anmuth und Würde aufgestellt war, zu sinnlich, diesem zu sittlich: Kant meinte, Schiller räume der Natur zu viel ein, Göthe, er abstrahire viel zu sehr von ihr. Den letzten Schritt in die Region, wo ihm das moralische Ideal völlig im ästhetischen aufging und Natur und Geist, Neigung und Pflicht, Anmuth und Erhabenheit harmonisch im Schönen zusammenfloß, that unser Dichter unlange darauf in seinen Briefen über die ästhetische Erziehung des Menschen. Er dachte schon im Mai 1792 daran, sie zu schreiben, und aus einer damals gegen Körner gethanen Aeußerung ersehen wir recht klar, daß Schiller bei seinen philosophischen Arbeiten als Ziel stets und bewußt seine Künstlerschaft im Auge hielt. »Eigentlich – schrieb er am 25. Mai - ist es doch nur die Kunst selbst, wo ich meine Kräfte fühle, in der Theorie muß ich mich immer mit Prinzipien plagen; da bin ich bloß ein Dilettant. Aber um der Ausübung selbst willen philosophire ich gern über die Theorie. Die Kritik muß mir jetzt selbst den Schaden ersetzen, den sie mir zugefügt hat, und geschadet hat sie mir in der That; denn die Kühnheit, die lebendige Glut, die ich hatte, ehe mir noch eine Regel bekannt war, vermisse ich schon seit mehreren Jahren. Ich sehe mich jetzt erschaffen und bilden, ich beobachte das Spiel der Begeisterung und meine Einbildungskraft beträgt sich mit minderer Freiheit, seitdem sie sich nicht mehr ohne Zeugen weiß. Bin ich aber erst soweit, daß mir Kunstmäßigkeit zur Natur wird, wie einem wohlgesitteten Menschen die Erziehung, so erhält auch die Phantasie ihre vorige Freiheit zurück und setzt sich keine anderen als freiwillige Schranken.« Hierin liegt eine scheinbare Bestätigung einer oben angezogenen Aeußerung Göthe's, aber eben nur eine scheinbare; denn wenn Schiller's philosophische Studien ihn der naturalistischen Unmittelbarkeit seiner dichterischen Erstlingsperiode beraubten, so haben sie ihm dafür die Kunstmäßigkeit zur Natur gemacht.

Zwischen dem 7. April und dem 14. Mai war der Dichter mit seiner Frau für mehrere Wochen bei seinem Herzensfreund in Dresden zu Besuch Nicht im Juni, wie Hoffmeister (II, 285) angibt. Vgl. Sch. Briefw. mit K. II, 305.. Heimgekehrt, wurde er durch den Besuch eines liebsten Jugendgenossen überrascht. Conz, der als Knabe mit ihm unter der Klosterlinde von Lorch gespielt und später als angehender Vikar den rebellischen Regimentsmedicus in der Räuberhöhle auf dem »Kleinen Graben« in Stuttgart besucht hatte, kam nach Jena, weil er, jetzt wohlbestallter und schon ziemlich fetter Repetent, aus welchem später ein fabelhaft fetter Professor wurde, doch mal mit eigenen Augen sehen wollte, was der Landsmann mache, dessen Ruf auch daheim in Schwaben so laut erscholl. Der dicke Repetent und Poet hatte alle Ursache, mit dem Jugendfreunde zufrieden zu sein. »Schiller – erzählte er dreißig Jahre später In seinen Erinnerungen an Schiller in der Zeitung für die eleg. Welt 1823, Nr. 3-7. – lebte und webte damals ganz in Kant's Schriften. Auch bildete diese Philosophie den Hauptgegenstand der geselligen Unterhaltungen, welchen Schiller oft das größte Interesse zu geben wußte. Im Uebrigen war er die Humanität selbst, so wie seine treffliche Gattin ein Muster edler Gefälligkeit und Bescheidenheit. Sie führten damals keine eigene Haushaltung, sondern ließen sich von einem älteren Frauenzimmer des Hauses, das sie bewohnten, die Kost reichen. Die einfache Tafel, welche Niethammer, Göritz und dessen Zögling theilten, gewann durch Schiller's sokratischen Ernst und Scherz die beste Würze. Er sprach nicht viel, aber, was er sprach, gediegen, mit Würde, mit Anmuth; er liebte den gemäßigten Scherz. Ein Feind des Leeren, gleichförmig und heiter, wie er war, wenn ihn Anfälle seiner Kränklichkeit nicht verstimmten, hörte man nur selten einen Ausdruck von ihm, der an den glühenden brausenden Schiller von ehemals erinnert hätte. Einmal nur konnte er, über die niederträchtige That eines damals in Jena angesehenen Mannes, die während des Essens erzählt ward, lebhaft entrüstet, sich nicht enthalten, wenn auch mit edler Haltung und selbst lächelnd zu sagen: Es ist zu verwundern, daß solche Menschen im Gefühl ihrer Nichtswürdigkeit nicht augenblicklich verwesen!« Zu Anfang Septembers wurde dem Dichter von daheim, von der Solitude aus eine große Freude angekündigt, der bevorstehende Besuch seiner Mutter, und wirklich kam einige Wochen später Frau Elisabeth Dorothea, begleitet von ihrer jüngsten Tochter Nane. »Meine Mutter – schrieb Schiller unterm 21. September an Körner – hat mich zwei Tage früher überrascht als ich erwarten konnte. Die große Reise, schlechte Witterung und Wege haben ihr Nichts angehabt. Sie hat sich zwar verändert gegen das, was sie vor zehn Jahren war; aber nach so viel ausgestandenen Schmerzen sieht sie sehr gesund aus. Es freut mich sehr, daß es sich so gefügt hat, daß ich sie bei mir habe und ihr Freude machen kann. Meine jüngste Schwester, die fünfzehn Jahre alt ist, hat sie begleitet. Diese ist gut und es scheint, daß Etwas aus ihr werden könnte.« Schiller und Lotte führten die Mutter und Schwester am 23. September nach Rudolstadt, wo die Familie zehn behagliche Tage verlebte. In der frohen Stimmung, in welche das Wiedersehen der geliebten Mutter ihn versetzt hatte, beschäftigte sich der Dichter mit dem schon in Dresden mit Körner durchgesprochenen Plan zu einem »großen Journal«, so daß der Gedanke, welcher nachmals in den Horen verwirklicht wurde, schon in den Sommer von 1792 gehört.

Gegen den Winter zu drängten sich die revolutionären Ereignisse, welche am Rheine spielten, der Betrachtung Schiller's auf, welcher bis dahin so zu sagen gar keine Notiz davon genommen hatte. Johannes von Müller kam auf seiner Reise von Mainz nach Wien im November durch Jena und erzählte im dortigen Professorenclubb viel von den Vorgängen in der alten Moguntia, wo bald darauf unter französischer Aegide das Zerrbild einer Republik etablirt wurde. Schon hatte die kurzsichtige Cabinetspolitik der deutschen Höfe gegenüber der französischen Revolution für unser Land bittere Früchte zu tragen angefangen. Der dynastische Interventionsversuch von deutscher Seite, welcher im eigentlichen Sinne des Wortes im Koth der Champagne erstickt war, wurde Seitens der Franzosen mit einem Einfall in das Reich vergolten, dessen Wehrlosigkeit jetzt schmachvoll zu Tage kam. Der Krieg war wie der Kampf zwischen einer Mumie und einem Berauschten. Ende Oktobers machte der Befehlshaber der Invasionsarmee, General Cüstine, »im Namen der französischen Republik« einen Aufruf »an die gedrückte Menschheit in Deutschland« bekannt, hinter dessen bombastischen Freiheits-Phrasen bekanntlich nur eine gemeine Eroberungs- und Raubsucht sich versteckte. Und doch, so in ihren Tiefen aufgewühlt war die Zeit, so allgemein die Erwartung, daß von Paris das Heil der Welt ausgehen werde, so weltbürgerlich die Stimmung, daß selbst redlichste und gebildetste deutsche Männer den Rheinübergang der Franzosen als eine Garantie einer anbrechenden neueren und besseren Zeit enthusiastisch begrüßten. So Georg Forster, der den 13. Januar 1793, wo er unter dem Schutze französischer Bajonnette den ersten Freiheitsbaum in Mainz pflanzen half, als den schönsten Tag seines Lebens pries. Forster war aber auch einer der wenigen, der sehr wenigen Deutschen, welche die Idee der Revolution erkannten, welche erkannten, daß es sich hier nicht um etwas willkürlich Gemachtes, sondern um eine weltgeschichtliche Nothwendigkeit handle, nicht bloß um eine politische Rebellion, sondern vielmehr um eine soziale Umwälzung, und noch auf dem Pariser Schmerzenslager, auf welchem den unglücklichen Mann am 12. Januar 1794 der Tod antrat, hielt er, unbeirrt von den Gräueln des Terrorismus, standhaft den Glauben an diese Idee fest. Von solcher äußersten Consequenz waren andere Deutsche in ihrem Verhalten zur französischen Revolution weit entfernt. Klopstock hatte alles Feuer seines Alters in einer Ode zur Begrüßung der ersten Thaten der Revolution gesammelt und hatte nur beklagt, daß nicht Deutschland es war, »das der Freiheit Gipfel erstieg« Ach, du warst es nicht, mein Vaterland, das der Freiheit
Gipfel erstieg, Beispiel stralte den Völkern umher:
Frankreich war's! Du labtest dich nicht an der frohsten der Ehren,
Brachest den heiligen Zweig dieser Unsterblichkeit nicht!
; bald aber schlug sein Ton um und er verwünschte aufs Heftigste die »mörderische Freiheit der Neufranken.« Wieland trat bis gegen 1794 hin in seinem Merkur, und zwar in Form einer Reihe von politischen Gesprächen, als begeisterter Apologet der constitutionellen Grundsätze auf, welche die französische Nationalversammlung bekannt und verkündigt hatte; als jedoch in Paris der Jakobinismus herrschend geworden, wurde Papa Wieland wieder ein eifriger Monarchist und seine politischen Auslassungen im Merkur nahmen eine so reactionäre Färbung an, daß seine Freunde Herder und Knebel mit äußerstem Mißfallen darauf blickten und ihn von der Fortführung der Gespräche abzubringen suchten Hierauf bezieht sich die Aeußerung in Göthe's Brief an Schiller vom 2. Mai 1798: »Wielanden ist durch ein heimlich demokratisches Gericht verboten worden, die Fortsetzung seiner Gespräche im Merkur drucken zu lassen. Der arme Verfasser des goldenen Spiegels und des Agathon, der zu seiner Zeit Königen und Herren die wundersamsten Wahrheiten sagte, der sich auf Verfassungen so trefflich verstand, als es noch keine gab, der edle Vorläufer des neuen Reiches muß nun, in den Zeiten der Freiheit, die Schooßkinder seines Alters, die Producte einer Silberhochzeit, gleich namenlosen Liebeskindern verheimlichen.«. Knebel nämlich und Herder blieben im Ganzen ihrer anfänglichen Sympathie für die Grundsätze der Revolution getreu. Der Letztere hatte sogar geradezu einen Zug demokratischer Verbissenheit an sich, welchen er nicht selten wahrhaft sanscülottisch-grobianisch gewähren ließ, und zwar auch in den Hofkreisen »Bei der Tafel der Herzogin sprach Herder vom Hof und von Hofleuten und nannte den Hof einen Grindkopf und die Hofleute die Läuse, die sich darauf herumtummeln.« Sch. Briefw. mit K. II, 123.. Was Göthe betrifft, so hat er bekanntlich gar kein Verhältniß zur Revolution gewinnen können, ausgenommen ein entschieden abweisendes oder ein kleinlich ironisches, wie es die seines Genius so unwürdigen Tendenzdramen »der Bürgergeneral« und »die Aufgeregten« darlegten. Bei seinem Mangel an geschichtlichem Sinn verstand er die Revolution so wenig, als er die nationale Erhebung Deutschlands im Jahre 1813 verstand. Die Revolution war ihm zuwider, wie ihm auch die Reformation zuwider war, weil beide, wie er sagte, den Entwicklungsgang »ruhiger Bildung« störten Franzthum drängt in diesen verworrenen Tagen, wie vormals
Lutherthum es gethan, ruhige Bildung zurück.
.

Schiller's Interesse an dem Verlauf der Revolution wurde im Spätherbst 1792 lebhafter als bis dahin erregt und er hatte damals, wie wir aus einem Briefe Wilhelm's von Humboldt vom 7. Dezember an ihn ersehen, große Lust zu einer Reise nach Paris. Die Lectüre des Moniteur führte ihn, wie er unterm 26. November an Körner schrieb, mehr in die Ereignisse hinein und erhöhte für eine Weile seine Erwartungen von den Franzosen. Als der Convent sich anschickte, den Prozeß des Königs vorzunehmen, fühlte unser Dichter sich sogar gedrungen, als Mithandelnder in der großen Tragödie aufzutreten. »Weißt du mir Niemand – schrieb er am 21. Dezember dem Freunde – der gut ins Französische übersetzte, wenn ich etwa in den Fall käme, ihn zu brauchen? Kaum kann ich der Versuchung widerstehen, mich in die Streitsache wegen des Königs einzumischen und ein Memoire darüber zu schreiben. Mir scheint diese Unternehmung wichtig genug, um die Feder eines Vernünftigen zu beschäftigen, und ein deutscher Schriftsteller, der sich mit Freiheit und Beredtsamkeit über diese Streitfrage erklärt, dürfte wahrscheinlich auf diese richtungslosen Köpfe einigen Eindruck machen. Wenn ein Einzelner aus einer ganzen Nation ein öffentliches Urtheil sagt, so ist man wenigstens auf den ersten Eindruck geneigt, ihn als den Wortführer seiner Classe, wo nicht seiner Nation anzusehen, und ich glaube, daß die Franzosen gerade in dieser Sache gegen fremdes Urtheil nicht ganz unempfindlich sind. Außerdem ist gerade dieser Stoff sehr geschickt dazu, eine solche Vertheidigung der guten Sache zuzulassen, die keinem Mißbrauch ausgesetzt ist. Der Schriftsteller, der für die Sache des Königs öffentlich streitet, darf bei dieser Gelegenheit schon einige wichtige Wahrheiten mehr sagen als ein anderer und hat auch schon etwas mehr Credit. Vielleicht räthst du mir, zu schweigen, aber ich glaube, daß man bei solchen Anlässen nicht indolent und unthätig bleiben darf. Hätte jeder freigesinnte Kopf geschwiegen, so wäre nie ein Schritt zu unserer Verbesserung geschehen. Es gibt Zeiten, wo man öffentlich sprechen muß, weil Empfänglichkeit dafür da ist, und eine solche Zeit scheint mir die jetzige zu sein.« Armer sechszehnter Ludwig, der du den Irrthum der Geburt, welcher dich zu einem König machte, während die Natur dich zu einem fleißigen Schlossermeister und gutmüthigen Familienvater bestimmt hatte, mit dem Kopfe bezahlen mußtest, vielleicht hätte es dir in der trauervollen Kerkereinsamkeit des Temple eine Stunde des Trostes verschafft, wenn du gewußt, daß im fernen Deutschland ein Dichter der Freiheit den Entschluß gefaßt, für dein Leben in die Schranken zu treten. Es war eine Illusion, welcher sich Schiller hingab, aber eine Illusion, die ein schönstes Blatt in seinen Ruhmeskranz flicht. Er sollte bald erfahren, wie sein Doppelgänger Posa es erfahren hatte, daß das Jahrhundert für sein Ideal der Freiheit und Humanität nicht reif sei. Als er vernommen, was am 21. Januar 1793 auf dem Revolutionsplatz in Paris geschehen war, schrieb er unterm 8. Februar erschüttert und gramvoll an Körner: »Ich habe wirklich eine Schrift für den König schon angefangen gehabt, aber es wurde mir nicht wohl darüber und da liegt sie mir nun noch da. Ich kann seit vierzehn Tagen keine französische Zeitung mehr lesen, so ekeln diese elenden Schinderknechte mich an.«

Seltsam, während der Dichter, eine damals freilich noch nicht erfundene Redensart zu gebrauchen, mit der Revolution brach, mußte er, freilich ohne Wissen und Willen, das Feuer derselben schüren helfen. Wilhelm von Wolzogen, welcher sich im Jahre 1793 als Geschäftsträger des Herzogs von Würtemberg in Paris befand, schrieb damals in sein Tagebuch: »Man hat die Räuber von Schiller übersetzt und spielt sie unter dem Namen Robert, chef des brigands, auf dem Theater des Marais. Es ist jedoch in Wahrheit keine Uebersetzung, sondern vielmehr ein elender Versuch, die Grundsätze, welche im Schiller'schen Drama herrschen, auf die jetzige Revolution anzuwenden. Im Ganzen falsch verstanden, die einzelnen Szenen aus ihrem Zusammenhange herausgerissen und so verstümmelt dargestellt, erregt das Stück Abscheu und Schauder, nur Pariser finden dafür Entschuldigung und Lob. Es ist die Büste des Brutus, die man zu ehren glaubt, wenn man die großen Züge seiner Physionomie mit recht grellen und blutigen Farben anstreicht. Die Rolle des Franz ist ganz verändert und eigentlich in den Hintergrund gedrängt, wahrscheinlich, weil man sonst darin Anspielungen auf gewisse merkwürdige Personen, die jetzt in Frankreich herrschen, gefunden haben würde. Im Gang des Stückes sind merkliche Veränderungen angebracht. So erhält z. B. Karl Moor für sich und seine Bande am Ende kaiserlichen Pardon und kehrt in die Arme seiner Amalia zurück. Die übrigen Veränderungen beziehen sich hauptsächlich auf Klarlegung des Prinzips, daß Tyrannen bestraft und auch in » brigands« die Menschenwürde erkannt werden müsse. Wie sie sich fühlten, die guten Pariser, und wie sie das Lob beklatschten, das Robert seinen Spießgesellen ertheilt! »Man nennt euch Brigands,« sagt er, »aber ihr seid ehrliche Leute; man verurtheilt euch zu Galgen und Rad, aber ihr verdient Lorbeerkronen.« Das Stück gleicht dem Rumpf eines Kolosses, dem man Kopf, Arme und Beine eines gewöhnlichen Menschen angesetzt hat, daß er nicht mehr stehen und gehen kann. Der Eindruck ist empörend. Nicht nur unsern Armeen kündigt diese Nation den Krieg an, sie raubt, plündert und mordet auch die Producte unserer Literatur, indem sie dieselben in den Geist ihrer Revolution übersetzt« Mitgeth. durch A. v. Wolzogen, Deutsches Museum, 1857, S. 364.. Wenn wir uns vorstellen, daß es vielleicht dieselben Hände waren, welche den Tag über auf dem Revolutionsplatz den monotonen Schlägen der Guillotine und Abends im Theater des Marais den gefälschten Gestalten und Worten Schiller's Beifall klatschten, so ersteht vor unseren Augen die ganze Schreckenszeit mit ihren grellen Gegensätzen und Widersprüchen, mit ihren Rousseau'schen Illusionen, ihrem todverachtenden Enthusiasmus, ihrem Weltbürgerthum in Phrasen und Welträuberthum in Thaten, ihrer blutgierigen Philanthropie und ihrem echtfranzösischen Leichtsinn, welcher letztere selbst vorragende Mitspieler der täglich neu in Szene gehenden Tragödie Abends an Pfänderspiel und Plumpsack sich erholen ließ »Gestern – schrieb Forster unterm 2. Dezember 1793 aus Paris an seine Frau – habe ich Merlin von Thionville seit Mainz zum ersten Mal wiedergesehen. Ich war zu Mittag bei ihm; Rewbell, Hausman und Dorsch's Frau waren auch da und noch ein Deputirter, der ehrliche Lecointre aus Versailles. Wir gingen gegen 5 Uhr zu Tisch und erst nach elf Uhr auseinander. Ich habe noch eine geschwollene Hand vom Plumpsack, denn die großen Kinder haben sich am Pfänderspiel erholt.« J. G. Forster's Briefwechsel, herausg. von Therese Huber, II, 631. … Unser Dichter also brach, wie wir sahen, schon zu Anfang des Jahres 1793 entschieden mit den Franzosen und ihrer Revolution. Wunderlicher Weise war er, als er dies that, seit vier Monaten – Citoyen Français. Es wäre von Interesse, zu erfahren, wer der Mann gewesen, welcher am 26. August 1792, als die Nationalversammlung beschlossen hatte, an Washington, Kosciusko, Wilberforce, Klopstock, Pestalozzi und Andere das französische Bürgerrecht zu verleihen, sich erhob und beantragte, daß diese Verleihung auch auf » le sieur Gille, publiciste allemand«, ausgedehnt werde. Der Mann meinte es gut, aber mit echtfranzösischer Oberflächlichkeit scheint er nicht einmal den eigentlichen Namen Schiller's gekannt zu haben. Sein Antrag ward angenommen, das Bürgerdiplom ward von Clavière ausgefertigt, von Danton contrasignirt und durch Roland, als Minister des Innern, mit einem Begleitschreiben an unsern Dichter übermacht. Aber erst im März 1798 gelangten diese merkwürdigen Documente durch Campe in seine Hände und zwar, wie er nach Empfang der Papiere an Körner schrieb, »ganz aus dem Reich der Todten,« da inzwischen Clavière, Roland, Danton und Cüstine, welcher letztere auf seinem deutschen Feldzug das Bürgerdiplom an Schiller hätte besorgen sollen, vom Strudel der Revolution verschlungen worden waren.

 

Die beiden Documente lauten so:
Paris, le 10. Oct. 1792, l'an premier de la République Française.
J'ai l'honneur de Vous adresser ci-joint, Monsieur, un imprimé revêtu du sceau de l'État, de la loi du 26. Août dernier, qui confère le titre de Citoyen Français à plusieurs Étrangers. Vous y lirez que la Nation Vous a placé au nombre des amis de l'humanité et de la société, auxquels Elle a déféré ce titre.
L'Assemblée Nationale, par un Décret du 9. Septembre, a chargé le Pouvoir exécutif de Vous adresser cette Loi; j'y obéis, en Vous priant d'être convaincu de la satisfaction que j'éprouve d'être, dans cette circonstance, le Ministre de la Nation, et de pouvoir joindre mes sentiments particuliers à ceux que vous témoigne un grand Peuple dans l'enthousiasme des premiers jours de sa liberté.
Je Vous prie, de m'accuser la réception de ma lettre, afin que la Nation soit assurée que la Loi Vous est parvenue, et que Vous comptez également les Français parmi vos Frères.
Le ministre de l'intérieur de la République Française. Roland.
A M. Gille, Publiciste allemand.
Loi
Qui confère le titre de Citoyen Français à plusieurs Étrangers.
Du 26. Août 1792, l'an quatrième de la liberté.
L'Assemblée Nationale, considérant que les hommes qui, par leurs écrits et par leur courage, ont servi la cause de la liberté, et préparé l'affranchissement des peuples, ne peuvent être regardés comme étrangers par une Nation que ses lumières et son courage ont rendue libre;
Considérant que, si cinq ans de domicile en France suffisent pour obtenir à un étranger le titre de Citoyen Français, ce titre est bien plus justement dû à ceux qui, quelque soit le sol qu'ils habitent, ont consacré leurs bras et leurs veilles à défendre la cause des peuples contre le despotisme des rois, à bannir les préjugés de la terre, et à réculer les bornes des connaissances humaines;
Considérant que, s'il n'est pas permis d'espérer que les hommes ne forment un jour devant la loi, comme devant la nature, qu'une seule famille, une seule association, les amis de la liberté, de la fraternité universelle, n'en doivent pas être moins chers à une Nation qui a proclamé sa renonciation à toutes conquêtes, et son désir de fraterniser avec tous les peuples;
Considérant enfin qu'au moment où une convention nationale va fixer les destinées de la France et préparer peut-être celle du genre humain, il appartient à un peuple généreux et libre, d'appeler toutes les lumières et de déférer le droit de concourir à ce grand acte de raison, à des hommes qui par leurs sentimens, leurs écrits et leur courage s'en sont montrés si éminemment dignes;
Déclare déférer le titre de Citoyen Français au docteur Joseph Priestly, à Thomas Payne, à Jérémie Bentham, à William Wilberforce, à Thomas Clarkson, à Jacques Mackintosh, à David Williams, à N. Gorani, à Anacharsis Cloots, à Corneille Pauw, à Joachim Henri Campe, à N. Pestalozzi, à Georges Washington, à Jean Hamilton, à N. Madison, à Fr. Klopstock, et à Thadée Kosciusko.
Du même jour.
Un membre demande que le sieur Gille, publiciste allemand, soit compris dans la liste de ceux à qui l'Assemblée vient d'accorder le titre de Citoyen Français; cette demande est adoptée.
Au nom de la nation, le Conseil exécutif provisoire mande et ordonne à tous les Corps administratifs et Tribunaux, que les présentes ils fassent consigner dans leurs régistres, lire, publier et afficher dans leurs départements et ressorts respectifs, et exécuter comme loi. En foi de quoi nous avons signé ces présentes, auxquelles nous avons fait apposer le sceau de l'État. A Paris, le sixième jour du mois de septembre mil sept cent quatre-vingt-douze, l'an quatrième de la liberté.
Signé: Clavière. Contresigné: Danton. Et scellées du sceau de l'État.
Certifié conforme à l'original.
Danton.
L. S.
A Paris
de l'imprimerie nationale exécutive du Louvre.
1792.

Endnote aus technischen Gründen im Text wiedergegeben. Re

 

Im Sommer 1793 wohnte Schiller mit seiner Frau in einem Gartenhause, das aber nicht mit der später von ihm erworbenen Gartenwohnung verwechselt werden darf. Am 7. April schon meldete er dem Freunde den Umzug und fügte bei: »Wir haben jetzt eine eigene Menage angefangen: meine Gesundheit vertrug sich mit der Kost nicht länger, die wir bei unseren Mamsells hatten.« Seine Hauptbeschäftigung den Sommer über waren Vorstudien für seine ästhetischen Briefe, welche er dankbar an den Prinzen von Augustenburg richten wollte. Daneben war er reiselustig. Die Besuche aus Schwaben hatten ihm die alte Heimat wieder recht lebhaft im Gedächtniß aufgefrischt. Er wollte sie auch seiner Lotte zeigen und hoffte für ihre und seine Gesundheit viel von der Luft des schönen Schwabenlandes. Der kränkelnde Herr Johann Kaspar daheim auf der Solitude verlangte sehnsüchtig, seinen Fritz noch einmal zu sehen, und wie eine dringende Einladung langte von dorther das Bild der Frau Elisabeth an, gemalt von der Jugendfreundin des Dichters, Ludovike Reichenbach, welche sich inzwischen mit einem würtembergischen Offizier, Simanowiz, verheiratet hatte Daß Frau Simanowiz um jene Zeit dem Dichter das von ihr gemalte Portrait seiner Mutter zum Geschenk gemacht, erhellt aus seinem vom 24. Juni 1793 datirten, dem Schillers-Album im Facsimile beigehefteten Danksagungsschreiben an die Künstlerin, welche er seine »bewunderte und verehrungswürdige Landsmännin« nennt.. Dazu kam noch, daß auch Karoline damals in Schwaben weilte. Ihre Scheidung von Beulwitz war jetzt eingeleitet und gelangte dann im folgenden Jahre friedlich zur Erledigung. Im Sommer von 1793 gebrauchte sie das Cannstadter Bad und lebte meist zurückgezogen in der ländlichen Stille von Gaisburg, einem an der alten Straße von Stuttgart nach Eßlingen an der Halde des Neckarthales anmuthig gelegener Dorfe. Hier schrieb sie den größten Theil ihres Romans »Agnes von Lilien«, in dessen Heldin sie unwillkürlich ihr eigenes Wesen und Sein gelegt hat. Ihr Schicksal entschied sich bald darauf, denn die Freigewordene reichte am 27. September 1794 ihrem aus Paris zurückgekehrten Vetter Wilhelm von Wolzogen, der seit vielen Jahren so unveränderlich treu um sie geworben, in der Kirche von Bauerbach die Hand zu einem Bunde, welcher, obschon von ihrer Seite ohne leidenschaftliche Neigung eingegangen, ein sehr glücklicher wurde. Am 1. Juli 1793 schrieb unser Dichter an Körner: »Meine schwäbische Reise kann ich und darf ich nicht aufgeben, denn die ganze Hoffnung meines Vaters beruht darauf und ich bin ihm diese Liebe schuldig« – und am 17. Juli: »Meine Abreise wird wahrscheinlich gleich mit Anfang August's vor sich gehen. Die Liebe zum Vaterlande ist sehr lebhaft in mir geworden und der Schwabe, den ich ganz abgelegt zu haben glaubte, regt sich mächtig. Ich bin aber auch elf Jahre davon getrennt gewesen und Thüringen ist das Land nicht, worin man Schwaben vergessen kann. Den Herzog von Würtemberg sehe ich schwerlich denn mein Aufenthalt ist in Heilbronn und Stuttgart werde ich nicht besuchen.« Auf sein an den Herzog Karl August gerichtetes Urlaubsgesuch erhielt er von dem Fürsten, welcher sich damals mit Göthe in dem Lager vor Mainz befand, diese vom 23. Juli datirte Antwort: »Die guten Wünsche aller Deutschen haben unsern Waffen Glück gebracht: das Elend, welches Mainz erlitte, hat gestern sein Ende erreicht, die Garnison capitulirte, in etlichen Tagen zieht sie aus. Die Wiederherstellung Ihrer Gesundheit ist eins meiner lebhaftesten Anliegen; möge Ihre vaterländische Luft Ihrer und meiner Hoffnung entsprechen. Ihrer Gemahlin bitte ich meine besten Empfehlungen abzustatten und ihr Glück zu ihrer bevorstehenden Campagne zu wünschen.« Lotte erröthete sicherlich allerliebst über diesen Glückswunsch und ihr Gatte hatte gewiß ein zärtliches Lächeln für dieses Erröthen. Der Fürst aber hatte guten Grund zu seiner schelmischen Anspielung: der jungen Frau stand wirklich eine »Campagne« bevor, eine schwere zwar, aber doch glückliche.

In den ersten Tagen des August fuhr der Dichter mit seiner Frau der Heimat zu. Die Reiseroute ist nicht mit Bestimmtheit auszumitteln, aber unterm 27. August meldete er an Körner, daß er nach einer »zwar beschwerlichen, doch von allen übeln Zufällen freien Reise« am achten in Heilbronn angelangt sei. Diese alte Stadt, damals noch im Besitze ihrer Reichsfreiheit, ist an der Gränze von Altwürtemberg im offenen Neckarthal freundlich gelegen, reich an historischen Erinnerungen, überragt von dem rebengrünen Wartberg, von wo herab der Blick weit über das Land schweift, welches einem Garten gleicht. Zu jener Zeit erfreute sich Heilbronn noch behaglichst seines reichsstädtischen Wohlstands, welcher bald darauf bei der Einbuße der Reichsfreiheit für lange einen herben Stoß erleiden sollte. Bei seiner Ankunft im Gasthaus zur Sonne abgestiegen, welches Quartier er bald mit einer Privatwohnung im Hause des Kaufmanns Rueff am Sulmerthor vertauschte, benachrichtigte der Dichter den Magistrat von seiner Absicht, längere Zeit am Orte zu verweilen, und empfahl sich dem »landesherrlichen Schutz« der Behörde. Der Magistrat ordnete darauf einen Senator an den Gast ab und ließ ihm »vergnügten Aufenthalt« wünschen. Der begrüßende Senator, Herr Schübler Dieser Name wird durch einen im »Morgenblatt« 1856, Nr. 32 mitgetheilten, vom 20. Januar 1794 aus Ludwigsburg datirten Brief Lotte's an den Senator festgestellt. Diese Mittheilung und der Aufsatz: »Schiller in der Reichsstadt Heilbronn« im Morgenblatt für 1834, Nr. 45 geben wesentliche Ergänzungen und Berichtigungen der bisher bekannten Nachrichten über des Dichters Aufenthalt in jener Stadt., war ein gebildeter Mann, der sich viel mit Naturwissenschaften abgab, besonders mit der Astronomie, und Schiller kam rasch in freundschaftlichen Verkehr mit ihm, sowie mit dem Arzt Gmelin, den er als einen »fidelen Patron« bezeichnete und der seiner magnetischen Curen wegen berufen war. Der Dichter hatte halb und halb beabsichtigt, für sein Uebel die Heilkraft des Magnetismus zu versuchen, aber er unterließ es, weil er dem »Wunderbaren« in der Sache nicht traute. Die Eltern Schiller's sowie seine Schwestern Luise und Nane eilten von der Solitude, Schwägerin Karoline kam von Gaisburg herab, den sehnsüchtig erwarteten Sohn, Bruder und Schwager auf der Schwelle zur Heimat zu begrüßen. Frohgestimmt durch dieses Wiedersehen, schrieb er dem Freund in Dresden: »Meine Frau befindet sich sehr wohl. Mit mir ist es immer das Alte. Die Meinigen fand ich wohlauf und, wie du dir denken kannst, sehr vergnügt über unsere Wiedervereinigung. Mein Vater ist in seinem siebzigsten Jahre das Bild eines gesunden Alters; wer sein Alter nicht weiß, wird ihm nicht sechzig Jahre geben. Er ist in ewiger Thätigkeit und diese ist es, was ihn gesund und jugendlich erhält. Meine Mutter ist auch von ihren Zufällen frei geblieben und wird wahrscheinlich ein hohes Alter erreichen. Meine jüngste Schwester ist ein hübsches Mädchen geworden und zeigt viel Talent; die zweite Schwester versteht die Wirthschaft sehr gut und führt jetzt in Heilbronn meine Oekonomie.«

Aber der Dichter sah die Seinigen schon im August nicht nur auf der Schwelle zur Heimat, sondern in dieser selbst. Denn in dem eben angezogenen Briefe vom 27. August sagt er: »Ich war in Ludwigsburg und auf der Solitude, ohne bei dem Schwabenkönig anzufragen.« Dies scheint der von Karoline von Wolzogen gegebenen Notiz zu widersprechen, daß Schiller von Heilbronn aus »im Sinne eines dankbaren ehemaligen Zöglings, den widrige Verhältnisse aus seinem Vaterland entfernt,« an den Herzog von Würtemberg geschrieben und daß er zwar auf diese Zuschrift keinen Bescheid erhalten, aber durch seine Freunde erfahren habe, daß der Herzog öffentlich geäußert, »Schiller würde nach Stuttgart kommen und von ihm ignorirt werden.« Der Widerspruch würde sich heben, wenn wir annähmen, der Dichter habe, wohl mehr seinen Eltern zu Gefallen als aus eigenem Antrieb, nach dem 27. August wirklich an Herzog Karl geschrieben, und in diesem Falle dürfte man auch glauben, daß die Zuschrift dem Fürsten trotz Alledem wohlgethan habe. Es lag doch auch für ihn eine Genugthuung darin, daß ein Zögling seiner Akademie ruhmgekrönt und von den Besten seiner Zeit hochgeachtet in die Heimat zurückkehrte. Herzog Karl hätte müssen kein Schwabe sein, wenn er sich nicht innerlichst darüber gefreut hätte. Er war jedoch jetzt ein verbitterter Greis und, schon von den Schatten des nahenden Todes umdüstert, droben in Hohenheim durch die Gicht auf seinen Stuhl gebannt, um welchen her noch dazu die schwersten politischen Sorgen und Befürchtungen lagerten. Unter solchen Umständen könnte es erlaubt sein, in dem Worte des Fürsten, er werde den heimgekehrten Dichter ignoriren, d. h. demselben Nichts in den Weg legen, den Sinn zu finden, daß er ihm verziehen habe. Freilich, im Grunde steht diese gemüthliche Hypothese doch auf schwachen Füßen. Denn es ist gar zu auffallend, daß Schiller gegen Körner keine Sylbe von einer Zuschrift an den Herzog äußerte, sondern in seinen sonst ziemlich ausführlichen Berichten sich darauf beschränkte, dem Freunde einmal zu sagen: »Der Herzog, scheint es, will mich ignoriren und das ist mir gerade recht« – und ein andermal: »Der Herzog sucht Etwas darin, mich zu ignoriren; er legt mir aber gar Nichts in den Weg.« Alles zusammengehalten, mochte es dem Fürsten jetzt, im Jahre 1793, sicherlich noch viel unräthlicher erscheinen, als es ihm schon 1782, unmittelbar nach Schiller's Flucht, erschienen war, das vor Zeiten an Schubart geübte Verfahren an Schiller zu wiederholen; aber der einzige sichere Beweis, daß seine Stimmung gegen unsern Dichter wieder versöhnlich und wohlwollend geworden, liegt doch nur in dem Umstand, daß Karl ohne Weiteres den Urlaub bewilligte, welchen Schiller's Vater ausdrücklich zu dem Zwecke, seinen in Heilbronn eingetroffenen Sohn zu besuchen, nachgesucht hatte.

Der Senator Schübler hat über seine Begegnungen mit Schiller während dessen Anwesenheit in Heilbronn ein Tagebuch geführt, welches vom 1. bis zum 7. September reicht. Am ersteren Tage, erzählt Schübler, »Nachmittags drei Uhr kam Hofrath Schiller unvermuthet zu mir in einem schönen verzierten seidenen Kleide. Er bat mich, mit ihm zum Amtsbürgermeister von Wachs zu gehen. Er hätte schon lange ihm aufwarten sollen und könne es nicht länger anstehen lassen. Ich hatte eben meine Spiegel im Zimmer, mit welchen ich das Bild der Sonne auffing, als Vorbereitung zu der nächsten Sonnenfinsterniß. Schiller gab sich sogleich viel mit den Spiegeln ab und bemühte sich, das Sonnenbild im dritten und vierten Spiegel zu finden. Alsdann ergötzte er sich sehr an meinem Glasconus, mit dem ich ihm einen Regenbogen im Zimmer darstellte, und betrachtete die schönen Regenbogenfarben mit besonderem Interesse. Wir gingen nach vier Uhr zum Amtsbürgermeister, welchen die Bekanntschaft Schiller's sehr freute. Es wurde viel über Reichsstädte gesprochen, hierauf auch von Frankreich, von Mainz, den Emigranten – (welche letzteren, beiläufig gesagt, damals zum Dank für ihnen erwiesene Gastfreundschaft mit ihrer bis ins Unglaubliche gehenden Sittenlosigkeit die rheinischen Städte verpesteten). Schiller sprach sich über diese Ereignisse sehr vorsichtig aus. Wir gingen nach fünf Uhr weg. Schiller wollte noch einige Besuche machen; aber während wir über die Straße gingen, empfand er Frost und eilte nach Hause, um sich wärmer anzukleiden. Als ich wieder zu ihm kam, war er im Hauskleid. Er ließ mich nicht mehr fort und ich mußte mit ihm und den Seinigen Thee trinken. Er war sehr heiter und sprach viel. Als wir von den Sternen redeten, fiel ihm eine Stelle aus der Odyssee ein, welche er nach Voß's Uebersetzung recitirte. Sie handelt von Odysseus, der einsam in seinem Schiffe fahrend nach dem Wagen und dem Orion sieht« Freudig spannt' im Wind die schwellenden Segel Odysseus;
Selbst dann saß er am Ruder und steuerte kunstverständig
Ueber die Flut. Nie deckte der Schlaf ihm die wachsamen Augen,
Auf die Plejaden gewandt und den spät gesenkten Bootes,
Auch die Bärin, die sonst der Himmelswagen genannt wird,
Welche sich dort umdreht und stets den Orion bemerket
Und sie allein niemals in Okeanos Bad sich hinabtaucht.
Odyss. V, 269.
. Der Senator beschäftigte sich viel mit Astronomie und war nicht abgeneigt zu glauben, daß auch die Astrologie einen Kern von Wahrheit haben könnte. Schiller's Gespräche mit ihm drehten sich oft um dieses Thema und der Dichter hat für die astrologischen Vorkommnisse im Wallenstein hier wohl manche Anregung empfangen. Auch über literarische Verhältnisse verbreiteten sich die Unterhaltungen des Dichters mit dem reichsstädtischen Würdeträger und dieser hat in seinem Tagebuch angemerkt, daß Schiller in einer dieser Unterredungen mißfällig über Kotzebue's »windige Aufgeblasenheit« sich ausgelassen habe Morgenblatt 1854, Nr. 45; Morgenbl. 1856, Nr. 32.. Am 7. September entschloß sich der Dichter, seinen Aufenthalt nach Ludwigsburg zu verlegen, weil er dort der Solitude und Stuttgart bedeutend näher sei und auch mehr häusliche Bequemlichkeit zu erwarten habe. Der Senator widerrieth zwar den Umzug entschieden, da Schiller gar keine Garantie hätte, daß ihn der Herzog unangefochten lassen würde; allein der Dichter hegte keine Besorgniß, denn er führte den beschlossenen Umzug am 8. September wirklich aus und sah auch kein bedrohliches Omen darin, daß er, von Besigheim auf das Neckarplateau heraufgekommen, am Fuße des Hohenaspergs vorbeimußte.

Kaum war er mit seiner Frau in Ludwigsburg eingewohnt, als Lotte's »Campagne« anging. Am 14. September war das Haupttreffen und Tags darauf schrieb Schiller an Körner: »Wünsche mir Glück, – ein kleiner Sohn ist da. Die Mutter ist wohlauf, der Junge groß und stark und Alles ist glücklich abgelaufen. Nicht sechs Tage waren wir hier angelangt, so ging es los.« Der Freund entgegnete: »Wohl dir und deinem Weibchen, daß ihr nun auch in unserem Orden seid. Es ist ein eigener Genuß, ein solches kleines Wesen um sich zu sehen, das Einem so nahe angehört. Wer diesen Genuß entbehrt, lernt den Werth des Lebens nie vollständig kennen.« Conz, welcher den Jugendfreund in Ludwigsburg besuchte, erzählt als Augenzeuge von der zärtlichen Vaterfreude, womit der Dichter seinen Erstgeborenen betrachtete. Er gab dem Kinde den Namen Karl, vielleicht ein Zug von Pietät gegen den Herzog. In Ludwigsburg sammelten sich von allen Seiten her die Jugendgenossen, welche noch im Lande waren, um den Dichter. Er war aber nicht eben von allen erbaut, wie er denn am 4. Oktober an Körner schrieb: »Von meinen alten Bekannten sehe ich viele, aber nur die wenigsten interessiren mich. Manche, die ich als helle aufstrebende Köpfe gekannt, sind ganz materiell geworden und verbauert.« Schiller legte wohl auch hier wieder einen zu hohen Maßstab an. Er selbst jedoch übertraf die Erwartungen seiner Jugendfreunde. Hoven, mit dem unser Dichter von seinem dreizehnten bis einundzwanzigsten Jahre »alle Epochen des Geistes gemeinschaftlich durchwandert hatte« und der jetzt als vielbeschäftigter Arzt in Ludwigsburg lebte, fand, wie er erzählt, nach einer Trennung von zehn Jahren in Schiller »einen ganz andern Mann. Sein jugendliches Feuer war gemildert, er hatte weit mehr Anstand in seinem Betragen; an die Stelle seiner vormaligen Nachlässigkeit im Anzuge war eine anständige Eleganz getreten und seine hagere Gestalt, sein blasses Aussehen vollendete das Interessante seines Anblicks bei mir und Allen, die ihn früher gekannt hatten. Leider war der Genuß seines Umgangs häufig, fast täglich, durch seine Krankheitsanfälle gestört; aber in den Stunden des Besserbefindens – in welcher Fülle ergoß sich da der Reichthum seines Geistes! wie liebevoll zeigte sich sein weiches, theilnehmendes Herz! wie sichtbar drückte sich in allen seinen Reden und Handlungen sein edler Charakter aus! wie anständig war jetzt seine sonst etwas ausgelassene Jovialität! wie würdig waren selbst seine Scherze! Kurz, er war ein vollendeter Mann geworden.« In Ludwigsburg trat ihm unter vielen alten Bekannten auch ein neuer nahe, der Landschaftsdichter Matthisson, dessen Gedichte er in der bekannten Rezension so schön, aber vielleicht etwas zu sehr gerühmt hat. Sonst beschäftigten in guten Stunden, d. h. wenn er von Uebelbefinden frei war, den Dichter seine Briefe über die ästhetische Erziehung des Menschen und der Wallenstein, von welchem damals Szene um Szene langsam entworfen wurde, zunächst in Prosa Karoline v. Wolzogen, Sch. L. II, 105. Noch im Dezember 1796 schrieb Schiller an Göthe (Briefw. 2. A. I, 261), daß er nach reifer Ueberlegung für den Wallenstein »bei der lieben Prosa« geblieben sei, welche diesem Stoff auch viel mehr zusage.. Seine Lectüre waren Kant und Homer. »Es ist mir – äußerte er am 8. November gegen seinen Vater – immer himmlisch wohl, wenn ich beschäftigt bin und meine Arbeit mir gedeiht.« Mit liebenswürdiger Pietät müssigte er seiner Kränklichkeit und seinen Arbeiten so viel Zeit ab, um für seinen alten Präzeptor Jahn, dessen Baculus die lateinische Schule der Stadt noch immer beherrschte, obgleich er alt und schwach geworden, dann und wann eine Lehrstunde in der Logik, Rhetorik und Geschichte zu übernehmen, und die Schüler haben sich dieser Lehrstunden stets mit Begeisterung erinnert.

Während unser Dichter so, auf der Ludwigsburger Schulbank sitzend, die Erinnerungen seiner Knabenjahre wieder in sich wachrief, ging droben in Hohenheim ein vielbewegtes Dasein zu Ende. Nach langem Leiden trat am 21. Oktober die Gicht dem Herzog Karl ans Herz und in Gegenwart seines Bruders und Nachfolgers Ludwig Eugen und seines Neffen Friedrich, des nachmaligen ersten Königs von Würtemberg, starb er in den Armen seines »Franzele«. Einige Tage darauf wurde der todte Herzog nächtlicher Weile bei Fackelschein von Hohenheim herab und nach Ludwigsburg hinübergeführt, wo er in der Gruft der Schloßkirche beigesetzt ward. Im Angesichte dieser Gruft soll der Dichter, wie Hoven und auf dessen Autorität hin die Biographen Schiller's angeben, dem hingegangenen Fürsten Worte der Versöhnung und des Dankes nachgerufen haben. Unmöglich ist das gerade nicht, aber doch gibt uns der Dichter selbst einen starken Zweifel an die Hand, indem er gegen Körner in Betreff von Herzog Karl's Tod keine andere Aeußerung that, als (unterm 10. Dezember) diese: »Der Tod des alten Herodes hat weder auf mich noch auf meine Familie Einfluß, außer daß es allen Menschen, die unmittelbar mit dem Herrn zu thun hatten, wie mein Vater, sehr wohl ist, jetzt einen Menschen vor sich zu haben. Das ist der neue Herzog in jeder guten und auch in jeder schlimmen Bedeutung des Wortes.« Man sieht, Schiller hat auch am Grabe des Herzogs nie jener furchtbaren Stunde vergessen, welche er im Sommer 1782 in Hohenheim hatte erdulden müssen (vergl. B. I, K. 7), und wie hätte er auch derselben vergessen können! Es gibt Kränkungen, die, was auch auf der Kanzel darüber phantasirt werden mag, ein rechter Mensch nie verzeiht, nie verzeihen kann.

siehe Bildunterschrift

25. Schiller in dem großen Saale der Karlsschule von den Karlsschülern huldigend begrüßt.
Originalzeichnung von Th. v. Oer. Geschnitten von H. Bürkner

Nachdem der Dichter seinen vierunddreißigsten Geburtstag im Kreise seiner Familie zu Ludwigsburg gefeiert hatte S. das Einladungsschreiben Schiller's zu diesem Familienfest an Frau Simanowiz vom 8. November 1793, mitgeth. in »Ludovike, ein Lebensbild«, S. 389., brachte der Winter trübe Tage, Tage der Krankheit, des Mißmuths und Verzagens Der Brief Schiller's an Körner vom 10. Dezember 1793 gibt davon Kunde.. Doch richtete sich Schiller aus diesen Verdüsterungen immer wieder zur Arbeit an seinen ästhetischen Briefen auf, in welchen »die reichhaltigsten Ideen aus den Künstlern philosophisch ausgeführt wurden.« Um diese Zeit widerfuhr ihm auch eine öffentliche Huldigung, die schon in Anbetracht des Ortes, wo sie statthatte, seinem Herzen wohlthun mußte. Er hatte es trotz seiner anfänglichen Absicht, Stuttgart nicht zu betreten, nicht unterlassen können, seine Freunde in dieser Stadt zu besuchen, und dieser Besuch muß, wie das Folgende zeigt, nach dem Tode des Herzogs Karl stattgefunden haben. Ein damaliger Karlsschüler, der nachmalige reußische Landesdirector J. Chr. Fr. Mayer, hat nämlich als siebzigjähriger Greis erzählt, des Dichters Andenken sei in den Räumen der berühmten Akademie in Ehren gehalten worden. Man habe dort Schiller's Bett gezeigt und das Beet im Garten, welches vormals dem Dichter zugewiesen war, habe den Namen »Schillergarten« geführt. »Als nun Schiller 1793 die Akademie besuchte – fährt unser Gewährsmann fort – war ich Zeuge von dem Enthusiasmus, mit dem er im großen Speisesaal von den 400 Zöglingen begrüßt wurde. Vor jeder Tafel, mit 50 Gedecken jede, unter Begleitung des Intendanten der Akademie und seiner Offiziere anhaltend, empfing er mit Huld und sichtbarer Rührung unser lautes klingendes Hoch« Diese bisher noch von keinem Biographen Schiller's benützte Mittheilung steht in dem »Schiller-Album«, welches in des Dichters Arbeitszimmer im Schillerhause in Weimar aufgelegt ist. Vgl. Rank, Schillerhäuser, S. 172.. Das war doch wohl eine Genugthuung für die Sklaverei, welche er unter dem Dache erduldet hatte, zu dessen Wölbung jetzt der Jubelruf einer von seinen Schöpfungen entzündeten Jugend emporschlug, und es war auch ein Trost für die Erinnerung, daß er einst bei Nacht und Nebel aus Stuttgart hatte entweichen müssen, um zu werden, was er geworden. Zugleich ist Schiller's Ehrentag in der Akademie der letzte Glanztag dieser Anstalt gewesen. Denn der Herzog Ludwig Eugen beeilte sich, das Lieblingswerk seines Bruders zu zerstören. Die Hohe Karlsschule, an welche unvergängliche Erinnerungen der deutschen Kulturgeschichte sich knüpfen, wurde im Februar 1794 aufgehoben. Bald darauf, im März, finden wir den Dichter in Stuttgart in einem Gartenhause wohnend, wo er, wie er am 23. April an Körner schrieb, bei »beispiellos angenehmer Witterung« unter blühenden Bäumen den »ganzen Einfluß des wiederauflebenden Jahres genoß.« Er war mit Frau und Kind von Ludwigsburg herübergezogen, hauptsächlich, um sich des Umgangs mit seinen Genossen von der Akademie her, Dannecker und Zumsteeg, mehr erfreuen zu können. Während hier der Entwurf des Wallenstein vorschritt, malte die Freundin, Ludovike Simanowiz, die Portraits Schiller's und Lotte's und modellirte Dannecker jene unvergleichliche Büste des Dichters, welche, nachmals von dem Künstler kolossal in Marmor ausgeführt, jetzt die großherzogliche Bibliothek in Weimar ziert. Als der edle Meister die letzte Hand an die Büste gelegt hatte und zu Karoline, welche bei der Schwester war, ins Nebenzimmer trat, standen ihm Thränen in den Augen und er sagte: »Ach, es ist doch nicht ganz, was ich gewollt habe« Ludovike, S. 390. Karol, v. Wolzogen, Sch. L. II, 114..

Von Stuttgart aus besuchte Schiller seinen früheren Lehrer Abel in Tübingen und hier machte er die für sein späteres Leben und für die Zukunft seiner Familie so wichtige Bekanntschaft des ausgezeichneten Buchhändlers Johann Friedrich Cotta, mit welchem er in Geschäftsverbindung trat und die Herausgabe einer Zeitschrift in größerem Style, als bisher in Deutschland üblich gewesen, verabredete. Damals rumorte in der alten Universitätsstadt der französische Freiheitsgeist oder hatte wenigstens das Jahr zuvor daselbst gewaltig rumort. Selbst die Zionsmauern des theologischen »Stiftes«, aus welchem unzählige schwäbische Magister in die Welt ausgegangen sind, waren für den revolutionären Sturm und Drang nicht hoch und unzugänglich genug gewesen. In diesem Capitol des altwürtembergischen Lutherthums waren damals Schelling, Hegel und Hölderlin Stubengenossen, welche weniger die symbolischen Bücher als vielmehr Kant, Spinoza, Platon und die griechischen Dichter studirten. Diese Jünglinge glaubten in Folge einer verzeihlichen Täuschung, die Republik des Perikles oder die des Brutus sei in Paris wieder auferstanden. Sie waren mit dabei, als bei Gelegenheit der ersten Jahresfeier der Gründung der französischen Republik auf dem Marktplatz zu Tübingen von der Studentenschaft feierlich ein Freiheitsbaum aufgerichtet wurde. Die Tradition will, daß Hölderlin und Hegel – welcher Letztere für einen derben Jakobiner galt – den bacchantischen Reigen angeführt hätten, welcher um diesen übrigens historisch festgestellten Freiheitsbaum her getanzt wurde. Einer zweiten Ueberlieferung zufolge wären Schelling und Hegel eines schönen Tages aus dem Stift ausgezogen, um auf eigene Hand auf dem Wörth, einer Wiese am Neckar, einen Freiheitsbaum zu pflanzen Vgl. Hölderlin's Leben von Chr. Th. Schwab (Hölderlin's sämmtl. Werke, II, 279) und Haym, Hegel und seine Zeit, S. 33. Die Tradition von Hegel's und Hölderlin's Tanz um den Tübinger Freiheitsbaum hat eine sehr schöne poetische Bearbeitung erfahren durch J. G. Fischer, Gedichte, 2. A. 181.. In Schiller's Sinn wäre das nicht gewesen. Ihm, der für wahre Freiheit mehr, unendlich viel mehr gethan hat als irgend ein anderer Dichter und Denker, ihm, der später in einem der schönsten Werke, welche der Menschengeist ersonnen, ein sich befreiendes Volk zu seinem Helden erwählte, während ein Göthe, während sogar ein Shakspeare von keinem Volk, sondern nur von einem Pöbel weiß, ihm war sein anfängliches Mißtrauen gegen das französische Freiheitswesen, wie wir bereits gesehen, zu entschiedenem Widerwillen geworden. Er erblickte in der französischen Revolution ein Werk der Leidenschaften, nicht der Weisheit, welche allein Dauerndes zu schaffen vermag. Er gab zu, daß viele wichtige Ideen, welche zuvor nur in Büchern oder in den Köpfen aufgeklärter Menschen vorhanden waren, durch die Revolution in Umlauf gesetzt und zu einer öffentlichen Angelegenheit geworden seien. Aber indem er auf die vor ihm liegende Kritik der Vernunft von Kant wies, setzte er, wie uns Karoline erzählt, hinzu: »Die eigentlichen Prinzipien, die einer wahrhaft glücklichen bürgerlichen Verfassung zu Grunde gelegt werden müssen, sind noch nicht so gemein unter den Menschen; sie sind noch nirgends als hier.« Karoline hat uns aus dieser Zeit auch eine prophetische Aeußerung Schiller's überliefert, welche Zukünftiges so genau vorhersagte, daß wir versucht wären, zu meinen, die Schwägerin des Dichters hätte seine Worte erst später den Ereignissen angepaßt, falls Schiller's Seherblick nicht über allen Zweifel erhaben wäre. Wenn man erwägt, welcher Geist echter Prophetie im Wallenstein, in der Jungfrau von Orleans und im Tell weht, so wird man nicht überrascht sein, zu hören, daß unser Dichter zu Anfang des Jahres 1794 weissagte: »Die französische Republik wird eben so schnell aufhören als sie entstanden ist; die republikanische Verfassung wird in einen Zustand der Anarchie übergehen und früher oder später wird ein geistvoller kräftiger Mann erscheinen, er mag kommen, woher er will, der sich nicht nur zum Herrn von Frankreich, sondern vielleicht auch von einem großen Theile von Europa machen wird.« Zehn Jahre später war Bonaparte unumschränkter Herr von Frankreich und begann seine erobernden »Tigersprünge«, die bis zur Donau, bis zum Golf von Neapel, bis zum Guadalquivir und Tajo, bis zur Weichsel und bis zur Moskwa reichten.

Der 5. Mai 1794, wo Schiller von der Solitude herab sein in Frühlingsblüthenpracht stehendes Heimatland noch einmal überschaute, war ein Tag schmerzlichen Abschiednehmens. Denn am 6. Mai verließ er die Heimat, welche er nicht wieder sehen sollte, und traf nach einer neuntägigen Reise am 15. Mai mit Frau und Kind wohlbehalten wieder in Jena ein Das Datum der Abreise Schiller's aus Schwaben und das seiner Ankunft in Jena ergibt sich aus seinem Brief an Körner vom 18. Mai, wo er sagt, daß er vor drei Tagen angelangt sei und daß die Reise neun Tage gewährt habe.. Als beste geistige Ausbeute dieser Fahrt ins alte Schwabenland brachte er seine in der Hauptsache vollendeten »Briefe über die ästhetische Erziehung des Menschen« mit zurück. Sie enthalten die Darstellung von Schiller's Philosophie als eines Ganzen; was er später noch Philosophisches geschrieben hat, ist nur die weitere Ausführung einzelner Partieen dieses Ganzen. Wer die ästhetischen Briefe aufmerksam liest, wird mitansehen, wie in denselben der arbeitende Gedanke von Vorstellung zu Vorstellung, von Begriff zu Begriff aufsteigt, bis er durch eine Stufenreihe von Entwickelungen hindurch, welchen man mit Recht einen »dramatischen« Charakter zugeschrieben hat Dies that Kuno Fischer in seiner meisterlichen Abhandlung »Schiller als Philosoph« (1858), welche ihr Thema zum ersten Mal allseitig faßt und durchführt. Verdienstlich ist auch das den kunstphilosophischen Schriften Schiller's gewidmete Kapitel in Rob. Zimmermann's »Geschichte der Aesthetik«, S. 483 fg., auf der Höhe anlangt, wo die Verwandlung des moralischen Ideals, von welchem der philosophirende Dichter ausgegangen, in das ästhetische eine vollendete ist. Im Eingang entschuldigt sich der Dichter, daß er zu einer Zeit, »wo der Nutzen das große Ideal, dem alle Kräfte frohnen und alle Talente huldigen sollen« – (ach, das gilt in noch ganz anderem Maße vom 19. Jahrhundert als es vom 18. galt) – »zu einer Zeit, wo die Blicke des Philosophen wie des Weltmanns auf den politischen Schauplatz geheftet sind, auf welchem, wie man glaubt, das große Schicksal der Menschheit verhandelt wird,« vom Schönen, von der Kunst zu reden unternehme. Aber er hofft seinen Leser zu überzeugen und überzeugt ihn wirklich, »daß man, um das politische Problem zu lösen, durch das ästhetische den Weg nehmen muß, weil es die Schönheit ist, durch welche man zu der Freiheit wandert.« Grundgedanke der Schrift ist also, vermittelst der ästhetischen Erziehung der Völker, d. h. vermittelst Heranbildung derselben zum Gefühl und Verständniß des Schönen, in welchem das Ideal, das Absolute, die göttliche Idee zur Verwirklichung kommt, die Möglichkeit der Umwandlung des »Staats der Noth« in den »Staat der Freiheit, der Vernunft« herbeizuführen. Veredelt die Einbildungskraft der Menschen, füllt sie mit Schönheit an und ihr werdet dadurch auch ihr Herz veredeln. Die Grundkräfte des Menschen, Vernunft und Sinnlichkeit, und seine diesen Grundkräften entsprechenden Grundtriebe, der Formtrieb und der Stofftrieb, sollen durch die Kultur harmonisch entwickelt und endlich in der Schönheit völlig ausgeglichen werden. Dann entsteht die vollendete, die schöne Humanität und diese schafft den ästhetischen Staat, wo »die ungesellige Begierde ihrer Selbstsucht entsagt und das Angenehme, welches sonst nur die Sinne lockt, das Netz der Anmuth auch über die Geister auswirft; wo der Nothwendigkeit strenge Stimme, die Pflicht, ihre vorwerfende Formel verändert und die willige Natur durch ein edleres Zutrauen ehrt; wo aus den Mysterien der Wissenschaft der Geschmack die Erkenntniß unter den offenen Himmel des Gemeinsinns herausführt und das Eigenthum der Schulen in ein Gemeingut der ganzen menschlichen Gesellschaft verwandelt; wo die Kraft sich binden läßt durch die Huldgöttinnen und der trotzige Löwe dem Zaum eines Amors gehorcht; wo auch das dienende Werkzeug ein freier Bürger ist und der Verstand, der die duldende Masse unter seine Zwecke beugt, sie um ihre Beistimmung fragen muß.« Der Dichter verbirgt es sich nicht, daß die Anbahnung solcher Zustände eine Aufgabe für mehr als ein Jahrhundert sei. Er gab sich in Betreff der Verwirklichung seines Ideals keiner sanguinischen Täuschung hin und, fürwahr, es war sehr überflüssig, vorhin für die Prophetengabe Schiller's zu plaidiren, wenn wir beherzigen, mit welcher wunderbaren Schärfe er in den ästhetischen Briefen voraussagte, was die Geschichte der europäischen Umwälzungen von 1789 an bis auf den heutigen Tag buchstäblich bestätigt hat: – »Von der Freiheit erschreckt, die in ihren ersten Versuchen sich immer als Feindin ankündigt, wird man dort einer bequemen Knechtschaft sich in die Arme werfen und hier, von einer pedantischen Curatel zur Verzweiflung gebracht, in die wilde Ungebundenheit des Naturstands entspringen. Die Usurpation wird sich auf die Schwachheit der menschlichen Natur, die Insurrection auf die Würde derselben berufen, bis endlich die blinde Stärke dazwischen tritt und den Streit der Prinzipien wie einen gemeinen Faustkampf entscheidet« … Und wie soll sich in und zu dem großen Läuterungsprozeß der Menschheit, durch welche diese dem Reich der Schönheit, d. i. der Freiheit und Humanität, zugeführt werden soll, der Künstler, der Träger des Ideals, der Normalmensch, in dessen »reinem Gemüth sich die Welt, die ewige, spiegelt Ihm gaben die Götter das reine Gemüth,
Wo die Welt sich, die ewige, spiegelt;
Er hat Alles geseh'n, was auf Erden geschieht
Und was uns die Zukunft versiegelt;
Er saß in der Götter urältestem Rath
Und behorchte der Dinge geheimste Saat.
(Werke, I, 241.)
, verhalten? Schiller hat es gesagt, und zwar in Worten, die mit zu den schönsten gehören, welche je von Menschenlippen kamen: – »Der Künstler ist zwar der Sohn seiner Zeit, aber schlimm für ihn, wenn er zugleich ihr Zögling oder gar noch ihr Günstling ist. Eine wohlthätige Gottheit reiße den Säugling von seiner Mutter Brust, nähre ihn mit der Milch eines besseren Alters und lasse ihn unter fernem griechischen Himmel zur Mündigkeit reifen. Wenn er dann Mann geworden, so kehre er in sein Jahrhundert zurück, aber nicht, um es mit seiner Erscheinung zu erfreuen, sondern furchtbar wie Agamemnon's Sohn, um es zu reinigen. Den Stoff zwar wird er von der Gegenwart nehmen, aber die Form von einer edleren Zeit, ja, jenseits aller Zeit, von der absoluten, unwandelbaren Einheit seines Wesens entlehnen. Hier, aus dem reinen Aether seiner dämonischen Natur, rinnt die Quelle der Schönheit herab, unangesteckt von der Verderbniß der Geschlechter und Zeiten, welche tief unter ihr in trüben Strudeln sich wälzen. Er blicke aufwärts nach seiner Würde und dem Gesetze, nicht niederwärts nach dem Glück und nach dem Bedürfniß. Gleich frei von der eiteln Geschäftigkeit, die in den flüchtigen Augenblick gern ihre Spur drücken möchte, und von dem ungeduldigen Schwärmergeist, der auf die dürftige Geburt der Zeit den Maßstab des Unbedingten anwendet, überlasse er dem Verstande, der hier heimisch ist, die Sphäre des Wirklichen; er aber strebe, aus dem Bunde des Möglichen mit dem Nothwendigen das Ideal zu erzeugen. Dieses präge er aus in Täuschung und Wahrheit, präge es in die Spiele seiner Einbildungskraft und in den Ernst seiner Thaten, präge es aus in allen sinnlichen und geistigen Formen und werfe es schweigend in die unendliche Zeit. Gib, werde ich dem jungen Freunde der Wahrheit und Schönheit, der von mir wissen will, wie er dem edlen Trieb in seiner Brust bei allem Widerstande des Jahrhunderts Genüge zu thun habe, zur Antwort geben, – gib der Welt, auf die du wirkst, die Richtung zum Guten, so wird der ruhige Rhythmus der Zeit die Entwicklung bringen« … Dies war Schiller's Credo, als er auf der Höhe seiner philosophischen Erkenntniß angelangt, dies seine Ansicht von der Bestimmung des Künstlers, und er hat sie nicht nur mit Worten, sondern auch mit Thaten, er hat sie durch sein eigenes Beispiel herrlich verkündigt.


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