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Viertes Kapitel.
Das Lied von der Glocke.

Hölderlin in Jena. – Schiller in Weimar. – Iffland's Gastspiel. – Göthe und Körner in Jena. – Trübe Nachrichten von daheim. – Dem Dichter wird ein zweiter Sohn geboren. – Die Wendung in unserer Literatur von der Classik zur Romantik. – Jean Paul und der Humor. – Jean Paul'sche Abenteuer in Weimar und Berlin. – Fürstliche Titanomanie. – Hingang des Vaters und Klage des Sohnes. – Schwager Wilhelm und Schwägerin Karoline. – Wilhelm von Humboldt. – Verhältniß zum Publicum. – »So schmilzt man bei seinen eigenen Kohlen.« – Schiller im Besitze von Haus und Garten. – Poetische Absichten und Probleme. – Der ästhetische Gewissensrath. – Die Balladenzeit. – Kulturhistorische Lyrik. – Fichte verläßt Jena. – Verkehr mit Göthe.


Während der xenialische Feldzug vorbereitet und der Krieg geführt wurde, welcher, wie ein Genoß der Xenienzeit erzählt, vom November 1796 bis Ostern 1797 »alles andere Literarische überwältigte und verschlang« Franz Horn, Dichtercharaktere, S. 57., – war die stille Häuslichkeit unseres Dichters wieder um manches Erlebniß reicher geworden, und zwar in Freud' und Leid. Zu den wohlthuenden Erfahrungen Schiller's in dieser Periode gehörte die Bekanntschaft mit seinem jungen Landsmann Friedrich Hölderlin, der sich von Schwaben aus vertrauensvoll an ihn gewandt hatte und den er in jeder Weise zu fördern suchte. Als Hölderlin, von dessen Gedichten Schiller einige in die Thalia eingerückt, seine akademischen Studien im Tübinger Stift beendigt hatte, verschaffte ihm sein Landsmann, wie schon früheren Ortes berührt worden, die Hofmeisterstelle im Hause der Frau von Kalb zu Waltershausen. Hier arbeitete er an seinem »Hyperion« und Frau von Kalb bemühte sich, ihn mit den Notabilitäten von Jena und Weimar in Verbindung zu bringen. Bei Schiller machte er im November 1794 auch die Bekanntschaft Göthe's, aber bei seiner Schüchternheit »nicht eben mit Glück,« und zu Anfang des folgenden Jahres übersiedelte er, nachdem er sich von seiner Hofmeisterstelle losgemacht, nach Jena, um die Vorlesungen Fichte's zu hören. Hegel schrieb im Januar 1795 über den gemeinschaftlichen Freund und Studiengenossen an Schelling: »Er hört Fichte und spricht mit Begeisterung von ihm als einem Titanen, der für die Menschheit kämpfe und dessen Wirkungskreis gewiß nicht innerhalb der Wände des Auditoriums bleiben werde.« Sicher wäre es für den armen Hölderlin ein Glück gewesen, wenn ihm seine dürftigen Verhältnisse gestattet hätten, länger in Jena zu verweilen. Besonders der Einfluß Schiller's, welcher den Landsmann freundlich-vertraulich »seinen liebsten Schwaben« nannte, wirkte augenscheinlich höchst wohlthätig auf den jungen Poeten, welchen später sein tragisches Schicksal erst nach Frankfurt in die Nähe der von ihm vergötterten »Diotima« und dann im fernen Bordeaux in die Nacht des Wahnsinns führte, aus welcher ihn der Tod erst 1843 befreite. So schon im zweiunddreißigsten Lebensjahre für die Kunst verloren, gehört Hölderlin dennoch zu den eigenthümlichsten Erscheinungen unserer classischen Literaturperiode. Denn wenn feststeht, daß Göthe und Schiller den Gipfel ihrer Wirkung erreichten im modernen Griechenthum, d. h. dadurch, daß sie die classisch edle Form mit romantisch vertieftem Seelenleben füllten, so darf gesagt werden, Hölderlin stelle sich mit seiner Lyrik nicht ganz unebenbürtig ihnen zur Seite. Mit plastischer Anmuth hat er die antiken Rhythmen gehandhabt und ihr Geäder mit deutschem Herzblut geschwellt. Aber nicht nur sein persönliches Geschick, sondern auch das dämonisch Ergreifende in seinen Gedichten, aus welchen uns überall »des Dichters Aug', in schönem Wahnsinn rollend,« anblickt, zeigt warnend, wohin der Zwiespalt zwischen dem subjectiven Idealismus und der objectiven Wirklichkeit führte, wenn ihm die Aufhebung in einer höheren Einheit gebrach, wie sie eben nur Göthe und Schiller erreichten.

Im März 1796 gab unser Dichter einen Besuch zurück, welchen ihm Göthe kurz zuvor abgestattet hatte, und war bis weit in den April hinein der Gast des Freundes, welcher Alles that, ihm den Aufenthalt in Weimar angenehm zu machen. »Ich habe mich – schrieb Schiller unterm 10. April an Körner – in den neunzehn Tagen, die ich jetzt hier bin, ziemlich wohl befunden und die beträchtliche Veränderung in meiner Lebensart gut ausgehalten. Ich gehe zwar nirgends hin als in die Komödie und gehe auch dahin nicht zu Fuß; aber ich kann doch ohne große Beschwerlichkeit die Gesellschaft besuchen, die hier im Hause sich versammelt, schlafe wieder die Nächte und bin bei heiterem Humor. Im Komödienhause, das keine Logen hat, hat Göthe mir eine besonders machen lassen, wo ich ungestört sein kann und, wenn ich mich auch nicht ganz wohl fühle, wenigstens den Vortheil habe, mich vor Niemand zwingen zu dürfen.« Iffland gab damals in Weimar eine Reihe von Gastrollen und spielte am 16. April den Franz Moor in Schiller's Räubern. Zum Schlusse dieses für die junge Weimarer Bühne mehrfach fördernden Gastspiels des berühmten Mimen agirte derselbe die Titelrolle in Göthe's Egmont, welchen Schiller im Einverständniß mit dem Freunde für das Theater bearbeitet hatte Schiller an Körner (10. April 1796): »Wenn du deine Reise um fünf oder sechs Tage früher antreten könntest, so kommst du gerade noch recht zu der letzten Vorstellung von Iffland und zwar zur Vorstellung des Egmont, den ich für das Theater bearbeitet habe und der (jetzt) gewissermaßen Göthe's und mein gemeinschaftliches Werk ist. Ich mußte verschiedene neue Szenen darin machen und mit den alten mir manche Freiheit herausnehmen.« Göthe sagt in seinen Annalen (1796): »Zu dem Zwecke – (nämlich den Grund eines dauerhaften Repertoriums zu legen und das Wünschenswerthe näher kennen zu lernen) – redigirte Schiller, der an dem Vorhandenen immer festhielt, den Egmont, welcher zum Schlusse der Iffland'schen Gastrollen gegeben ward, ungefähr wie er noch auf deutschen Bühnen vorgestellt wird.«. Körner sah, wie er am 15. April gegen Schiller äußerte, »eine Möglichkeit, wie Ihr (Schiller und Göthe) zusammen ein dramatisches Werk hervorbringen könntet – und was würde das werden!« Die Beiden hatten an ihrem Zusammensein so großes Gefallen gefunden, daß Göthe den Freund nach Jena zurückgeleitete und hier fand sich am 27. April auch Körner zu ihnen. So verbrachten die Drei in regstem Gedankenaustausch – es war schon stehender Brauch, daß Göthe, wenn er in Jena sich aufhielt, mit Schiller vom frühen Abend bis 12 oder 1 Uhr Nachts im Gespräche saß Briefw. zw. Sch. und Humboldt, S. 287. – einige Wochen mitsammen. In begeisterter Rückerinnerung schrieb Körner am 18. Mai aus Leipzig: »Ein paar schöne Wochen sind vorbei, aber der bleibende Nachhall hat auch seinen Werth. Ich bin mit den glänzendsten Hoffnungen von dir abgereist. So wie ich dich gefunden habe, kann ich die Ausführung der Pläne, von denen wir gesprochen haben, mit der größten Wahrscheinlichkeit von dir erwarten.«

Göthe und Körner erfuhren erst später, welche Selbstüberwindung es den Freund gekostet haben mußte, ihnen ein heiteres Gesicht zu zeigen, da ihn gerade zu dieser Zeit heimliche Besorgniß und Trauer quälten. Von daheim aus Schwaben waren beängstigende Nachrichten eingegangen. In dem Feldzug zwischen den Oestreichern und Franzosen im südwestlichen Deutschland war auf der Solitude ein östreichisches Lazareth errichtet worden und mit dem Lazareth auch das Lazarethfieber dahin gekommen. Schiller's zwei jüngere Schwestern Luise und Nanette wurden von der Epidemie ergriffen, während die Gicht auch zugleich den Vater aufs Krankenbett legte. Da war nun Frau Elisabeth's Noth groß und es ist aus den Briefen Schiller's an die Seinigen – Karoline von Wolzogen hat sie in ihrer Lebensgeschichte des Schwagers mitgetheilt – zu ersehen, wie er sich voll kindlicher Angst und Sorge in die Situation der Mutter mithineinversetzte. Bloß die leider allzu gegründete Furcht, nur als Kranker zu Kranken zu kommen und so die mütterlichen Sorgen zu mehren statt zu mindern, hielt ihn ab, nach Schwaben zu reisen. Was er selbst nicht thun konnte, dazu vermochte er wenigstens seine älteste Schwester Christophine, welcher er die Mittel zur Disposition stellte, von Meiningen nach der Solitude zu eilen. Christophine kam freilich in ein Trauerhaus, denn Schwester Nanette war am 23. März der Epidemie erlegen. Die letzten Tage des schönen und talentvollen Mädchens waren durch die Gewißheit erheitert worden, daß ihr großer Bruder nach reiflicher Erwägung den glühenden Wunsch ihrer Seele billige, auf der Bühne die Trägerin seiner tragischen Frauencharaktere zu werden. Unterm 9. Mai schrieb der Dichter an Christophine: »Es gereicht mir zu großem Trost in diesen traurigen Umständen, dich, liebe Schwester, den Unsrigen zur Stütze dort zu wissen. Der letzte Brief meiner lieben guten Mutter hat mich herzlich betrübt. Ach, wie viel hat die Gute ausgestanden und mit welcher Geduld und Stärke hat sie es ertragen! Wie rührte mich's, daß sie ihr Herz mir öffnete, und wie wehe that mir's, sie nicht unmittelbar trösten und beruhigen zu können! Wär'st du nicht hingereist, ich hätte nicht hier bleiben können. Die Lage der lieben Unsrigen war doch erschrecklich. Ich darf nicht daran denken. Was hat unsere gute Mutter nicht an unseren Großeltern gethan und wie sehr hat sie ein Gleiches von uns verdient! Du wirst sie trösten und wirst mich herzlich bereit finden zu Allem, wozu du mich auffordern wirst. Meine Lotte grüßt dich herzlich und nimmt den innigsten Antheil an euren Leiden. Sie ist seit einiger Zeit selbst nicht wohl und erst heute haben wir Gewißheit, daß sie sich in anderen Umständen befindet. Karl ist gesund und fröhlich. Täglich macht das liebe Kind uns mehr Freude. Was gäbe ich darum, wenn ich ihn unserer lieben Mutter nur auf einen Tag bringen könnte! Grüße die Eltern aufs Herzlichste und sag' ihnen, daß ihr Sohn ihre Leiden fühlt.« Bei dem innigen Mitgefühl, welches aus diesen Zeilen spricht, kann man sich unschwer vorstellen, daß Schiller wieder leichter aufathmete, als von daheim die Nachricht kam, daß der Zustand des Vaters sich gebessert habe und Schwester Luise völlig genesen sei. Eine große Freude erlebte er bald darauf. Am 11. Juli, in der Mittagsstunde, gab Lotte ihrem Gatten den zweiten Sohn, welcher die Namen Ernst Friedrich Wilhelm erhielt. Froh erregt, meldete er das Ereigniß sogleich an Göthe und Körner, fast mit denselben Worten: – »Vor zwei Stunden erfolgte die Niederkunft der kleinen Frau über Erwarten geschwind und ging unter Starke's Beistand leicht und glücklich vorüber. Meine Wünsche sind in jeder Rücksicht erfüllt, denn es ist ein Junge, frisch und stark.« Tags darauf schrieb er an Göthe: »Donnerstags wird die Taufe sein. Frau Charlotte wird das Kind heben; es ist ihr eine große Angelegenheit und sie verwunderte sich, daß sie es nicht in Ihrer Gesellschaft sollte.« Ich irre wohl nicht, wenn ich vermuthe, daß unter »Frau Charlotte« Charlotte von Kalb zu verstehen sei, mit welcher ja unser Dichter seit einigen Jahren wieder in freundliche Beziehung getreten war, und dieser Annahme widerstreitet der Umstand nicht, daß Schiller's Brief an Körner vom 23. Juli zufolge die Frau des Letzteren als zweite Pathin ins Kirchenbuch eingetragen wurde. Göthe wünschte zu dem neuen Ankömmling von Herzen Glück und grüßte »die liebe Frau und die Frau Gevatterin;« aber zur Taufe kam er doch nicht, weil ihn – schrieb er am 13. Juli – »diese Ceremonieen gar zu sehr verstimmten.«

Zu dieser abwechselnd leidvoll und freudvoll bewegten Zeit geschah es auch, daß Jean Paul, dessen Dichterruf damals meteorgleich »erstaunend« am literarischen Himmel aufstieg, persönlich in den Lebenskreis Göthe's und Schiller's trat. Aber wir müssen hier etwas weiter ausholen, denn Jean Paul's Erscheinung bezeichnet ohne Frage eine anhebende bedeutsame Wendung in der Geschichte unserer classischen Kulturperiode … Wie die französische Revolution durch den thatsächlichen Sturz des Feudalismus das gealterte Europa zu verjüngen unternahm, so hatte seinerseits der Gedanke der Humanität, propagirt durch Wieland, Lessing, Herder, Göthe und Schiller, alle Räume des geistigen Lebens der Deutschen zu durchdringen angefangen. Unsere Wissenschaft und unsere Nationalliteratur hatten in innigem Bunde das erreicht, was bei der politischen Mißgestaltung unseres Landes und auf der damaligen Bildungsstufe unseres Volkes überhaupt zu erreichen war: die Freiheit und Selbstbestimmung der Kunst, die Freiheit und Selbstbestimmung der wissenschaftlichen Forschung und in beiden und durch beide die Befreiung des Individuums, die Autonomie der Persönlichkeit. Sodann war die weltbürgerliche Idee, zu deren Realisirung jenseits des Rheines ein freilich nur sehr kurzer praktischer Anlauf genommen wurde, diesseits desselben zu theoretischer Durchbildung gelangt oder wenigstens in derselben begriffen. Aber schon stand ein großer Rückschlag bevor, im politischen Leben Frankreichs durch den in Napoleon verkörperten eroberungssüchtigen Despotismus, im literarischen Leben Deutschlands durch die Wirksamkeit der romantischen Schule. Hüben wie drüben trat an die Stelle der Freiheit die Willkür und aus dieser fiel man drüben wie hüben naturgemäß in die Unfreiheit zurück. Ein Philosoph und ein Humorist, Fichte und Jean Paul, stellen in ihren Werken die beginnende Wendung von unserer Classik zur Romantik dar. Denn das souveraine Fichte'sche »Ich« ist so recht die Seele der Humoristik Jean Paul's, so wenig dieser, der ja sogar gegen Fichte polemisirte, es hätte Wort haben wollen. Der Humor, dessen unbedingt größter Träger in Deutschland Jean Paul gewesen ist, setzt das menschliche Ich als Mittelpunkt der Welt, nicht etwa im Sinne des gemeinen Egoismus, sondern um mit diesem absolut souverainen Maßstab alle Erscheinungen zu messen und sie durch den Contrast mit der Idee zu vernichten. Dem Paradiesvogel gleich schläft der Humor fliegend und »auf den ausgebreiteten Schwingen verschlummert er blind in seiner Höhe die unteren Erdstöße und Brandungen des Lebens im seligen schönen Traum von seinem idealischen Mutterlande.« Der Humor anerkennt nur ein Gesetz, die Willkür seines Selbstgefühls, in welchem sich wie in einem Hohlspiegel die gegenständliche Welt zur Caricatur verzerrt. Weil aber diese humoristische Willkür nirgends wirkliche Befriedigung gewährt, gesellt sie sich als Ergänzung die schwermüthige Sehnsucht nach dem Idealischen, die Sentimentalität. Jede Seite in Jean Paul's Werken kann das angedeutete zweiseitige Auseinanderfallen des Lebens und der Poesie bestätigen, welches sich nirgends zu künstlerischer Einheit und Gestaltungskraft zusammenschließen will. Daß der große Humorist dessenungeachtet einen ganz außerordentlichen, zwar nicht sehr dauernden, aber desto unbedingteren Erfolg hatte, namentlich bei den Frauen, das verdankte er dem Adel seiner Gesinnung und der gränzenlosen Liebe und Milde seines Gemüths, welche hinter allen den Launen und Grillen seiner humoristischen Willkür immer wieder siegreich und schön hervorblühten.

siehe Bildunterschrift

27. Portrait: Jean Paul.
Originalzeichnung von A. Neumann. Geschnitten von Adé

In einer ärmlichen Pfarre zu Wunsiedel im Fichtelgebirge am 21. März 1763 geboren, hat Johann Paul Friedrich Richter seine gedrückte Jugendzeit mit Grund als eine wahre »Passionszeit und Hungerperiode« bezeichnet. Aber trotzdem »wogte ihm noch in alten Tagen das Herzblut,« so oft er »das Kuhglockenspiel der hohen fernen Kindheitsalpen« wieder vernahm. Kein Wunder, denn er ist all sein Lebenlang ein »ernsthaft spielend Kind« geblieben, selbst da, wo er sich, wie beim Beginn seiner Autorlaufbahn, in satirischer Richtung (Grönländische Prozesse 1783, Teufelspapiere 1788) an dem Titanismus der Sturm- und Drangperiode betheiligte. Mit der unsichtbaren Loge (1793) bezeichnet Jean Paul seinen Austritt aus der »Essigfabrik der Satire.« Dieser pädagogisirende Roman, insbesondere die darin enthaltene Episode vom vergnügten Schulmeisterlein Wuz, enthält die ganze nachmalige Dichtung Jean Paul's im Keime. Wuz ist der Mikrokosmos des Jean-Paulismus, wie der Titan sein Makrokosmos ist. Der Hesperus (1795), welcher die Popularität seines Verfassers feststellte und die deutsche Frauenwelt entzückte, dann Quintus Fixlein (1796), Siebenkäs (1796) und der Jubelsenior (1797) sind nur als Vorstudien zum Titan (1800-2) zu betrachten, welchen der große Humorist als seinen »Haupt- und Universalroman« angesehen wissen wollte. Es sollte darin sein bestes Herzblut pulsiren und er wollte in diesem Werke »Rheinfälle, spanische Donnerwetter, tragische Orkane voll Tropen und Wasserhosen anbringen, wollte der Hekla sein und das Eis seines Klima's und sich dazu auseinandersprengen und sich Nichts daraus machen, wenn es sein letztes wäre.« Das war nun allerdings der Titan nicht, wohl aber das umfassendste. Hier breitet der humoristische Genius seine Schwingen über den ganzen Horizont des menschlichen Fühlens und Denkens, Schauens und Wissens aus, fliegt in den Himmel hinein und behält doch die Erde mit ihren kleinsten Freuden und Leiden im Auge. Aber dieser ganze Flug und all dieses Schauen ist nachtwandlerisch, traumbefangen. Die Absicht des Werkes ist, ganz ähnlich wie im Wilhelm Meister, die Darstellung der Entwicklungsgeschichte einer durch Anlagen, Erziehung und Verhältnisse harmonisch vollendeten Persönlichkeit von frühester Kindheit an bis zu allseitig gereifter Befähigung, das Leben in seinen höchsten Forderungen zu erfassen und zu führen. Diese Absicht wird auch erreicht, aber so, daß wir keine reine Wirkung davon empfinden, weil die ganze Zauberwelt, welche der Humor vor uns aufthut, haltlos in der blauen Luft schwebt und verschwebt. Es ist unmöglich, daß wir heimisch werden in diesem anarchischen Durcheinander, welches vom Hundertsten ins Tausendste geräth, in labyrinthischen Einschachtelungen sich gefällt, uns athemlos durch blasse Mondscheinlandschaften fortreißt, uns in Blüthenstaubwolken einhüllt und mit Blumenthränen überschüttet, ohne uns doch jemals recht über die nüchterne Empfindung wegzuheben, daß das Alles nur ein Spiel der Willkür sei, welche bacchantischen Taumel erkünstle. Mit den Flegeljahren (1803) begann Jean Paul seinen Rückzug aus der hochidealischen Welt des Titan in die der Wuz'schen Idyllik und Kleinlebigkeit, in welcher Schmelzle (1808), Katzenberger (1809) und Fibel (1812) daheim sind. In seinem letzten Roman, der Komet (1820), wollte er den Deutschen einen Don Quixote schaffen, aber die Ermattung der Phantasie ließ das Wollen nicht recht zum Thun werden … Die Werke des großen Humoristen haben ihre Wirkung gehabt. Ihr Vorzug bestand darin, daß sie die Freiheit des Fühlens ihrem ganzen Umfange nach forderten und erkämpften, ihr Nachtheil darin, daß sie die Willkür der Genialität als höchstes Gesetz der Kunst proclamirten und daneben durch Verherrlichung der Misère des Lebens eine thatlos sentimentale Schwärmerei pflanzten, welches Letztere freilich Jean Paul durchaus nicht wollte. Denn bei aller Fühlseligkeit war in diesem Humoristen auch eine starke Ader energischer Freiheitsliebe und durch ihre mit dem männlichsten Freimuth vorgetragenen Aeußerungen stellt er sich als Kosmopolit zu Schiller, als Patriot zu Fichte. Einem aufmerksamen Leser kann es nicht entgehen, daß überall in Jean Paul etwas Krankhaftes ist, jene Krankheit des »Weltschmerzes«, welche seither in der Literatur so großen Rumor gemacht hat. Was seine Form angeht, so ist sie nur Formlosigkeit. Das innerste Heiligthum der Kunst, jene »heitern Regionen, wo die reinen Formen wohnen,« hat er nie betreten. Die Materialien, wie eine unendlich reiche Phantasie und ein ungeheures, aber diffuses Wissen sie in feiner humoristischen Werkstatt anhäufte, liegen chaotisch durcheinander. Nirgends fester Plan und Boden, scharfumrissene, plastisch geformte Gestalten, nirgends sichere, auf die strengen Linien der Schönheit sich beschränkende Bildnerkraft und daher brachte es denn der geniale Mann gerade in seinen größten Anläufen, gerade da, wo er »Generalsalven seines Kopfes geben« und »Allerseelenfeste seiner Gedanken feiern« wollte, nur zu lyrischen Versäuselungen, zu einer aus Dämmerlicht und Blumenduft gewobenen Welt, durch welche Mondscheinfiguren hingleiten, das Roth der Hektik auf den Wangen.

So, wie er einmal war, mußte er auf Göthe und Schiller, welche es sich so viel Mühe hatten kosten lassen, zur Erkenntniß und Erfassung der reinen Formen des hellenisch-germanischen Schönheitsideals zu gelangen, eher abstoßend als anziehend wirken. Was Schiller angeht, so hätte er sich, falls er noch nicht unter dem Einfluß von Göthe gestanden, vielleicht eher mit Jean Paul befreunden können, der ja das Freiheitsprinzip mit ihm gemein hatte. Was aber Göthe betrifft, so war dieser, wenn auch ohne es zu sagen, von der Art und Weise, wie der Humorist der deutschen Kleinstaaterei unter dem Bilde des Reiches und Hofes von »Flachsenfingen« satirisch zu Leibe ging, sicherlich wenig erbaut. Göthe war doch immerhin ein kleinstaatlicher Minister und es ist auch von größten Menschen zu viel verlangt, daß sie über alle kleinen Menschlichkeiten immer erhaben sein sollten. Sodann kam in die Beziehungen Jean Paul's zu den beiden Freunden von vorneherein ein Mißklang auch durch den Umstand, daß, seit Göthe und Schiller ihren Bund geschlossen, Herder mit Wieland, dem er früher sehr abgeneigt gewesen war, sich zu einer Art Opposition zusammengethan hatte und daß gerade von dem Wieland-Herder'schen Kreise der Cultus des neuaufgestiegenen humoristischen Gestirns ausging. Jedenfalls ist hierauf, scheint mir, mehr Gewicht zu legen als auf die wunderliche Behauptung, der Schöpfer des Mephisto und der Dichter von Wallenstein's Lager hätten gar kein Organ für den Humor gehabt. Genug, unterm 10. Juni 1795 übersandte Göthe den ersten Band des Hesperus, welchen ihm Jean Paul zugeschickt hatte, an Schiller mit der lakonischen Bemerkung: »Hier ein Tragelaph – (Bockhirsch, d. i. Mißbildung) – von der ersten Sorte.« Schiller erwiderte unterm 12. Juni: »Das ist ein prächtiger Patron, der Hesperus. Er gehört ganz zum Tragelaphen-Geschlecht, ist aber dabei gar nicht ohne Imagination und Laune und hat manchmal einen recht tollen Einfall, so daß er eine lustige Lectüre für die langen Nächte ist.« Worauf wieder Göthe am 18. Juni: »Es ist mir angenehm, daß Ihnen der neue Tragelaph nicht ganz zuwider ist; es ist wirklich Schade für den Menschen, er scheint sehr isolirt zu leben und kann deßwegen bei manchen guten Partieen seiner Individualität nicht zur Reinigung seines Geschmacks kommen. Es scheint leider, daß er selbst die beste Gesellschaft ist, mit der er umgeht.«

Gerade ein Jahr später eilte Jean Paul sehnsuchtsvoll Weimar zu, der »heiligen Stadt Gottes – wie er enthusiastisch an Wieland schrieb – nach welcher er von Jugend auf wie nach einer Keblah seine Augen gerichtet.« Jetzt begann seine Bekanntschaft mit den Größen von Weimar und Jena und seine Liebesgeschichte mit Charlotte von Kalb. Aus seinen Briefen, die er in dieser Zeit an seinen Herzensfreund Otto sandte, blitzen ganz eigenthümliche Streiflichter auf und über die Weimarer Gesellschaft hin. Am 12. Juni 1796 schrieb er: »Ach, hier sind Weiber! Auch habe ich sie alle zu Freunden; der ganze Hof bis zum Herzog hinauf lieset mich. Um 3 Uhr kam ich wieder zur Kalb, Knebel kam auch. Er ist ein Hofmann im Aeußeren, aber so viel Wärme und Kenntnisse, so einfach! Du findest hier Nichts vom jämmerlichen Gezierten, von der jämmerlichen Sorge und Mode.« Dann eine schwärmerische Schilderung der unter Umarmungen und Thränen gemachten Bekanntschaft mit Herder und seiner Frau und: »Abends aßen wir Alle bei der Kalb. Sie haben Alle die liberalste Denkart. Male dir den unter Wein, Ernst, Spott, Witz und Laune verschwelgten Abend und die Vormitternacht! Aber ein bitterster Tropfen schwimmt in meinem Freudenbecher – was Jean Paul gewann, das verliert die Menschheit in seinen Augen. Ach, meine Ideale von größeren Menschen!« Am 18. Juni: »Schon am zweiten Tage warf ich hier mein dummes Vorurtheil für große Autoren ab, als wären es andere Leute. Hier weiß Jeder, daß sie wie die Erde sind, die von Weitem im Himmel als ein leuchtender Mond dahinzieht und die, wenn man die Ferse auf ihr hat, aus boue de Paris besteht und einigem Grün. Gleichwohl kam ich mit Scheu zu Göthe. Die Kalb und Jeder malte ihn ganz kalt für alle Menschen und Sachen auf der Erde. Die Kalb sagte, er bewundere Nichts mehr, nicht einmal sich; jedes Wort sei Eis, zumal gegen Fremde, die er selten vorlasse; er habe etwas Steifes, reichsstädtisch Stolzes; bloß Kunstsachen wärmen noch seine Herznerven an. Ich ging ohne Wärme, bloß aus Neugierde. Sein Haus frappirt; es ist das einzige Weimars im italischen Geschmack, mit solchen Treppen – ein Pantheon voll Bilder und Statuen; eine Kühle der Angst presset die Brust. Endlich tritt der Gott her, kalt, einsylbig, ohne Accent. Sagt Knebel: Die Franzosen ziehen in Rom ein. Hm! sagt der Gott. Seine Gestalt ist markig, sein Auge ein Licht. Aber endlich schürete ihn nicht bloß der Champagner, sondern die Gespräche über Kunst, Publicum u. s. w. an und – man war bei Göthe. Er spricht nicht so blühend und strömend wie Herder, aber scharfbestimmt und ruhig. Zuletzt las er uns, d. h. spielte er uns – sein Vorlesen ist ein tieferes Donnern, vermischt mit dem leisesten Regengelispel; es gibt nichts Aehnliches – ein ungedrucktes herrliches Gedicht vor, wodurch sein Herz durch die Eiskrusten Flammen trieb, so daß er dem enthusiastischen Paul die Hand drückte. Beim Abschiede that er es wieder und hieß mich wiederkommen … Ich kann hier, wenn ich will, an allen Tafeln essen. Im Clubb stritt man, ob Flachsenfingen ein Abriß von Wien oder Mannheim wäre, wegen des Localen. Wieland war des höhnischen Dafürhaltens, Flachsenfingen liege – in Deutschland sehr zerstreut.« Am 19. Juni: »Sogar in Paris soll nicht so viel Freiheit von gêne sein als hier. Du führst Niemand, du küssest keine Hand (du müßtest denn dabei nicht aufhören wollen), du machst bloß eine stumme Verbeugung, du sagst vor und nach dem Essen Nichts. Das ist der Ton der hiesigen Welt; der des Bürgers soll wie meine Halsbinde gesteift und gestärkt sein. Worüber man hier klagt, ist geschminkter Egoismus und ungeschminkter Unglaube« … Charlotte von Kalb schrieb unterm 19. Juni aus Jena an Jean Paul: »Ich ging zu Schiller. In einem Monat erwartet seine Frau ihre Entbindung; sie leidet durch Krämpfe, er auch, wohl sind sie Beide nicht. Man fragte mich nach Weimar, ich sagte, Richter sei da. Er hat Sie in Ihren Schriften nicht erkannt und sie kann es nicht – das wußt' ich schon, im Tone merkt' ich's wieder.« – (Man sieht, Charlotte von Kalb konnte es der guten Lolo doch nie ganz verzeihen, daß Schiller diese ihr vorgezogen, und welche Frau könnte so Etwas auch?) – »Ich sagte mit einem herausfordernden Blick und einem gepreßten Ton: er ist sehr, sehr interessant! Ja, sagte Schiller, ich verlange auch, ihn kennen zu lernen.« Unterm 22. Juni äußerte Göthe gegen Schiller: »Richter ist ein so complizirtes Wesen, daß ich mir die Zeit nicht nehmen kann, Ihnen meine Meinung über ihn zu sagen. Sie müssen und werden ihn sehen und wir werden uns gern über ihn unterhalten. Hier scheint es ihm übrigens wie seinen Schriften zu gehen; man schätzt ihn bald zu hoch, bald zu tief und Niemand weiß das wunderliche Wesen recht anzufassen.« Jean Paul meldete unterm 26. Juni aus Jena an Otto: »Ich trat gestern vor den felsigten Schiller, an dem, wie an einer Klippe, alle Fremden zurückspringen. Er erwartete mich aber, nach einem Brief von Göthe. Seine Gestalt ist verworren, hartkräftig, voll Edelsteine, voll scharfer schneidender Kräfte – aber ohne Liebe. Er spricht beinahe so vortrefflich als er schreibt. Er war ungewöhnlich gefällig und setzte mich durch seinen Antrag auf der Stelle zu einem Collaborator der Horen um.« Schiller seinerseits bemerkte über diese Zusammenkunft am 28. Juni gegen Göthe: »Ich habe ihn ziemlich gefunden, wie ich ihn erwartete: fremd, wie Einer, der aus dem Mond gefallen ist, voll guten Willens und herzlich geneigt, die Dinge außer sich zu sehen, nur nicht mit dem Organ, womit man sieht.« Wir verstehen leicht, daß unserem Schiller, welcher ja den Menschen, den wirklichen Menschen zum Idealismus herangebildet wissen wollte, Jean Paul so fremde vorkommen mußte, Jean Paul, der Himmelssehnsüchtling, dem das Ideal ewig ein Jenseitiges blieb und dem Phantasie und Poesie nur dazu da waren, »versteinerte Blüthen eines Klima's auszugraben, das auf dieser Erde nicht ist.« Unterm 29. Juni schrieb Göthe an Schiller zurück: »Es ist mir doch lieb, daß Sie Richter gesehen haben; seine Wahrheitsliebe und sein Wunsch, Etwas in sich aufzunehmen, hat mich auch für ihn eingenommen. Doch der gesellige Mensch ist eine Art von theoretischem Menschen, und wenn ich es recht bedenke, so zweifle ich, ob Richter im praktischen Sinne sich jemals uns nähern wird, ob er gleich im Theoretischen viele Anmuthung zu uns zu haben scheint.« Trotz dieser gewundenen Ausdrucksweise Göthe's war er, wie auch Schiller, nach gemachter persönlicher Bekanntschaft mit Jean Paul im Ganzen nicht ungünstig gegen diesen gestimmt. Aber eine literarische Klatscherei verdarb Alles. Schiller hatte nämlich in den Horen Göthe'n gelegentlich den deutschen Properz genannt und in Beziehung darauf schrieb der von Weimar nach Hof heimgekehrte Jean Paul an Knebel, daß man »in so stürmischen Zeiten eher eines Tyrtäus als eines Propertius bedürfe.« Das kam Göthe'n brühwarm zu Ohren und er rächte sich für »diese arrogante Aeußerung des Herrn Richter,« indem er das auf Jean Paul gehende stachelige Epigramm »der Chinese in Rom« zur Aufnahme in den Xenienalmanach an Schiller sandte, der dann, in dem Freunde mitverletzt, dem großen Humoristen auch ein Xenion widmete, wenn auch ein ziemlich gutmüthiges Hieltest du deinen Reichthum nur halb so zu Rathe, wie Jener (Manso)
Seine Armuth, du wärst unsrer Bewunderung werth.
. Von nun an war an eine engere Verbindung Jean Paul's mit Göthe und Schiller nicht mehr zu denken. Aber die Abenteuer des Humoristen in Weimar waren noch nicht zu Ende. Im Spätherbst 1798 kam er zum zweiten Mal in die Musenstadt an der Ilm und verweilte daselbst bis zum Frühjahr 1800. Sein Roman mit Charlotte von Kalb, die noch immer schön, genial und liebebedürftig war, fing jetzt erst recht an. Unterm 28. Dezember 1798 schrieb er an Otto: »Durch meinen Nachsommer wehen jetzt die Leidenschaften. Jene Frau, die ich dir bei meinem ersten Hiersein als eine Titanide malte und mit der ich einmal eine Szene hatte, wo ich im Pulvermagazin Tabak rauchte, diese ist seit einigen Wochen vom Lande zurück und will mich heiraten. Kurz nach einem Souper bei Herder und einem bei ihr, wo er bei ihr war – er achtet sie tief und küßte sie sogar im Feuer neben seiner Frau – und als der Widerschein dieser Altarsflamme auf mich fiel, sagte sie mir es geradezu.« Das Heiratsproject wurde ganz ernsthaft betrieben, wenigstens, wenn man Jean Paul glauben darf, von Charlotte's Seite. Sie that Schritte wegen der Scheidung und bei dieser Gelegenheit schreibt Jean Paul dem Freunde: »Hier sind Sitten im Spiel, die ich dir nur mündlich malen kann« – was er später so commentirt: »Hier ist Alles revolutionär kühn und Gattinnen gelten Nichts. Wieland nimmt im Frühling seine frühere Geliebte, die La Roche, ins Haus, um aufzuleben, und die Kalb stellt seiner Frau den Nutzen vor … So viel ist gewiß, eine geistige und größere Revolution als die politische und nur eben so mörderisch wie diese schlägt im Herzen der Welt.« Die Titanide wurde aber dem weichherzigen Jean Paul doch bald zu titanisch und er verzichtete auf das sehr problematische Glück einer Heirat mit ihr, wie früher Schiller darauf verzichtet hatte. Nach erfolgtem Bruch mit der Geliebten folgte der Humorist den enthusiastischen Einladungen, welche ihn nach Berlin riefen. Von da schrieb er am 13. Juni 1800 an Otto: »Himmel, welche Einfachheit, Bildung und Schönheit! Der gelehrte Zöllner und achtzig Menschen in der Yorksloge zusammen meinetwegen, Männer, Frauen und Töchter des Gelehrtenkreises. Viele Haare erbeutete ich und viele gab mein eigener Scheitel her, so daß ich ebensowohl von dem leben wollte, wenn ich's verhandelte, was auf meiner Hirnschale wächst, als was unter ihr. Fleck, ein höherer Tragiker als Iffland, und die Unzelmann spielten vor mir göttlich. Die herrliche Königin lud mich brieflich nach Sanssouci ein, ich aß bei ihr, sie zeigte mir Alles. Der Ton an der Hoftafel war leicht und gut und bei dem höchstgebildeten Minister von Alvensleben sprach man so frei wie auf diesem Blatt. Nur in Berlin ist Freiheit und Gesetz, bei Gott!« Eine Dame, welche damals in der Berliner Gesellschaft einen großen Stand hatte, die schöne und geistreiche Henriette Herz, macht es uns begreiflich, daß der gute Jean Paul von der preußischen Hauptstadt und namentlich von der dortigen Damenwelt entzückt sein mußte. Sie sagt in ihren Denkwürdigkeiten, es sei kaum zu beschreiben, wie viel Aufmerksamkeit ihm von den Frauen, selbst von denen der höchsten Stände, erwiesen wurde. Sie hätten es ihm Dank gewußt, daß er sich in seinen Werken so angelegentlich mit ihnen beschäftigte und bis in die geheimsten Falten ihres Sinnes und Gemüthes zu dringen gesucht hatte; hauptsächlich aber hätten es ihm die vornehmen gedankt, »daß er sie so viel bedeutender und idealer darstellte als sie in der That waren.« Dies hatte, meint Henriette Herz, seinen Grund darin, daß, »als er zuerst Frauen der höheren Stände schilderte, er in Wirklichkeit noch gar keine solche kannte und einer reichen und wohlwollenden Phantasie hinsichtlich ihrer freien Spielraum ließ; diejenigen aus diesen Classen jedoch, welche er später kennen lernte, Alles anwendeten, um die ihnen schmeichelhafte Täuschung in ihm zu erhalten und ihm möglichst ideal zu erscheinen.« Dem Könige wurde zuletzt des Enthusiasmus für unseren Humoristen zu viel. Eine durch und durch prosaische Natur, deren ästhetisches Bedürfniß eigentlich nie über die Romane von Lafontaine hinausging, hielt es Friedrich Wilhelm III. nicht für passend, dem Humoristen eine von diesem auf Betrieb seiner vornehmen Verehrerinnen erbetene Präbende zu bewilligen, und er äußerte bei dieser Gelegenheit: »Höre denn doch zu viel diesen Jean Paul herausstreichen. Mag ganz gute Romane geschrieben haben – für den Liebhaber, denn mir war das, was mir davon zu Handen gekommen ist, ein Bißchen gar zu kraus – aber dies ist doch ein Verdienst, das sich noch halten läßt. Wie will man erst von einem großen Staatsmann sprechen oder von einem Helden, der das Vaterland gerettet hat? Die Damen verstehen immer das Maßhalten nicht« Fürst: Henriette Herz, ihr Leben u. ihre Erinnerungen, 2. Aufl. S. 178, 181.. Im Uebrigen endigten Jean Paul's romantische Dichterfahrten mit seiner Heirat mit Karoline Meier, einer liebenswürdigen Berlinerin, die er im Frühjahr 1801 heimführte. Das Absonderlichste, was nachmals in seinem Lebenslauf vorkam, war seine freundschaftliche Verbindung mit dem Herzog Emil August von Sachsen-Gotha. Dieser barockste Sonderling, der je einen Fürstenhut getragen, ist auch als Autor aufgetreten, indem er den Roman »Kyllenion« schrieb, in welchem er das griechische Leben »abgegriechet« haben wollte. Der Fürst war vielleicht die seltsamste Figur einer an seltsamen Figuren überreichen Epoche. Jean Paul sagte von ihm, er habe die »Titanomanie« und charakterisirte ihn höchst bezeichnend als »personifizirten Nebel.« Die Gegensätze der Zeit verknäulten sich in ihm zu einer nebelhaften Großmannssucht, zu einer krankhaften Originalitätshascherei. Göthe hatte recht, ihn einen »Narren« zu nennen – zur Erwiderung schalt der Herzog den Herrn Geheimrath einen »Pedanten« – denn seine überreizte Phantasie war unaufhörlich beschäftigt, Wunderlichkeiten und geradezu Tollheiten auszuhecken. Bald lag er als Grieche auf dem Sopha und spielte ein Stück Arkadien, bald saß er als chinesischer Mandarin gekleidet seinem Staatsrath vor, bald nahm er als Frau, mit einem Kaschmirshawl um die entblößten Schultern, dem ganzen Hofe die Cour ab. Langeweile verzehrte den Blasirten, den man bemitleiden könnte, wenn er nicht durch sein bis zum Exceß undeutsches Verhalten in der Napoleon'schen Periode jedes Anspruchs auf Theilnahme sich begeben hätte.

Wir sind im Vorstehenden weit von Schiller's stillem Hause in Jena abgekommen; indem wir jetzt dahin zurückkehren, steht zu erwarten, daß auch für diese, wie für manche andere Abschweifung, eine Rechtfertigung in der Absicht liege, ein möglichst vollständiges Bild der Zeit unseres Dichters zu geben … Der Herbst von 1796 war für Schiller wieder eine Trauerzeit. Der Tod war daheim auf der Solitude abermals eingekehrt. Am 7. September verschied in seinem 73. Lebensjahre der Major Schiller in den Armen seiner Gattin und seiner beiden Töchter, denn die gute Christophine war bis zuletzt bei dem Wiedererkrankten geblieben und hatte in all diesen Tagen der Trübsal den Ihrigen den Trost eines standhaften Muthes gewährt, welcher sich besonders auch beim Ueberfall des Hauses durch eine Bande französischer Marodeurs hülfreich bewährte. Es ist ein Ton männlicher Klage in dem Schreiben, welches der Dichter nach empfangener Todesnachricht an Frau Elisabeth abgehen ließ, und schön ist der Zartsinn, worin er dabei auf die religiösen Vorstellungen der Mutter Rücksicht nimmt. »Zwar habe ich schon eine Zeit lang Nichts mehr gehofft – schrieb er – aber wenn das Unvermeidliche eingetreten ist, so ist es immer ein erschütternder Schlag. Daran zu denken, daß Etwas, das uns so theuer war und woran wir mit den Empfindungen der frühen Kindheit gehangen und auch im späteren Alter mit Liebe geheftet waren, daß so Etwas aus der Welt ist, daß wir mit allem unserm Bestreben es nicht mehr zurückbringen können, daran zu denken ist immer etwas Schreckliches. Und wenn man erst wie Sie, theuerste liebste Mutter, Freude und Schmerz mit dem verlornen Freund und Gatten so lange, so viele Jahre getheilt hat, so ist die Trennung um so schmerzlicher. Auch wenn ich nicht einmal daran denke, was der gute verewigte Vater mir und uns Allen gewesen ist, so kann ich mir nicht ohne wehmüthige Rührung den Beschluß eines so bedeutenden und thatenvollen Lebens denken, das ihm Gott so lange und mit solcher Gesundheit fristete und das er so redlich und ehrenvoll verwaltete. Ja wahrlich, es ist nichts Geringes, auf einem so langen und mühevollen Laufe so treu auszuhalten und so wie er noch im 73. Jahre mit einem so kindlichen reinen Sinn von der Welt zu scheiden. Möchte ich, wenn es mich gleich alle seine Schmerzen kostete, so unschuldig von meinem Leben scheiden wie er von dem seinigen! Das Leben ist eine so schwere Prüfung und die Vortheile, die mir die Vorsehung in mancher Vergleichung mit ihm vergönnt haben mag, sind mit so vielen Gefahren für das Herz und für den wahren Frieden verknüpft. Ich will Sie und die lieben Schwestern nicht trösten, ihr fühlt Alle mit mir, wie viel wir verloren haben, allein ihr fühlt auch, daß der Tod allein dieses lange Leiden endigen konnte. Unserm theuren Vater ist wohl und wir Alle müssen und werden ihm folgen. Nie wird sein Bild in unseren Herzen erlöschen und der Schmerz um ihn soll uns nur noch enger unter einander vereinigen. Vor fünf oder sechs Jahren hat es nicht geschienen, daß ihr, meine Lieben, nach einem solchen Verluste noch einen Freund an einem Bruder finden würdet, daß ich den lieben Vater überleben würde. Gott hat es anders gewollt und er gönnt mir noch die Freude, euch Etwas sein zu können« … Der Dichter, welcher in diesen Zeilen mit frommer Hand dem hingegangenen Vater ein so würdiges Todtenopfer brachte, fand eine reiche Quelle des Trostes in dem zu dieser Zeit wieder erneuerten persönlichen Umgang mit innigst Befreundeten. Seine Schwägerin Karoline kam mit ihrem zweiten Gatten, Wilhelm von Wolzogen, aus dem stillen Bauerbach, wo sie zuletzt gelebt, vor den aus Schwaben nach Franken herüberdrängenden Kriegsstürmen weichend, nach Rudolstadt und dann nach Jena, von wo Wolzogen noch vor Ablauf des Jahres unter Göthe's Vermittlung als Kammerrath und Kammerherr nach Weimar berufen wurde. Es waren genußreiche Herbsttage, welche die beiden Schwestern und Schwäger mitsammen in Jena verlebten. Göthe war oft in ihrem Kreise. »Die Freude über diese so unerwartete Wiedervereinigung mit meiner Schwester und Schiller war groß – erzählt Karoline. Ein schönes Leben lag vor uns in der Wirklichkeit, so wie es unsere Jugendträume gedichtet hatten. Göthe zeigte sich theilnehmend bei diesem Ereigniß. Das Anschauen des innigen Verhältnisses zwischen ihm und Schiller, der immer rege Ideenwechsel, das offene heitere Zusammensein – dies Alles bot tausendfältigen Genuß.« Nach Wilhelm's und Karoline's Uebersiedlung nach Weimar füllte Wilhelm von Humboldt die entstandene Lücke aus. Er kam mit seiner Frau in den ersten Tagen des Novembers zum Winteraufenthalt nach Jena und sofort begann wieder der gewohnte rege Geistesverkehr zwischen dem Dichter und seinem congenialen Freund.

Der tägliche Umgang mit einem solchen war für Schiller doppelt wohlthuend zu einer Zeit, wo die Gefahr einer Gemüthsverbitterung durch die massenhaften Angriffe auf seine und Göthe's Person und Richtung nahe genug lag. Der Xeniensturm hatte die trübsten Hefen der literarischen Gährung aufgerührt, die beiden Verbündeten hatten öffentliche und geheime Verunglimpfungen gemeiner und gemeinster Art zu befahren und es begreift sich, wie viele Selbstüberwindung es ihnen kostete, nicht auch ihrerseits wieder polemisch gegen alle die Nücken und Tücken loszufahren. War doch Göthe noch im Jahr 1798 mitunter wieder recht »xenialisch« gestimmt Briefw. zw. Sch. u. G. II, 25.. Aber Beide leitete, wie schon oben bemerkt worden, das richtige Gefühl, es sei jetzt an ihnen, der Nation durch positive Schöpfungen zu beweisen, wie sehr sie berechtigt gewesen, das Unzulängliche und Schlechte, womit das Publicum behelligt wurde, strafend zu verneinen. Göthe, dessen productive Stimmung durch das einzig-schöne elegische Idyll »Alexis und Dora« höchst erfreulich wieder sich angemeldet hatte, arbeitete rüstig an seinem zu Jena im Nachsommer 1796 angehobenen und dann in der Bergeinsamkeit von Ilmenau fortgesetzten epischen Lied von Hermann und Dorothea. Schiller, an dem Vorschreiten dieses großen Unternehmens des Freundes lebhaftesten Antheil nehmend, ging seinerseits nur mit ausgesprochenem Mißtrauen hinsichtlich der Stimmung der Lesewelt wieder ans dichterische Schaffen. »Es ist zwar sehr gut – schrieb er unterm 18. November an Göthe – und für mich besonders, jetzt etwas Ernsthaftes und Bedeutendes ins Publicum zu bringen; aber wenn ich bedenke, daß das Größeste und Höchste noch ganz neuerdings im Meister und selbst im Almanach – (Alexis und Dora war an der Spitze des Musenalmanachs gestanden) – von Ihnen geleistet worden ist, ohne daß das Publicum seiner Empfindlichkeit über kleine Angriffe Herr werden könnte, so hoffe ich in der That kaum, es jemals durch etwas in meiner Art Gutes und Vollendetes zu einem besseren Willen zu bringen. Ihnen wird man Ihre Wahrheit, Ihre tiefe Natur nie verzeihen und mir wird der starke Gegensatz meiner Natur gegen die Zeit und gegen die Masse das Publicum nie zum Freund machen können. Es ist nur gut, daß dies auch so gar nothwendig nicht ist, um mich in Thätigkeit zu setzen und zu erhalten.« Zum Glück war unser Dichter über die Stimmung der Nation im Irrthum: sobald er wieder als schöpferischer Meister vor sie trat, war in der ungeheuren Mehrzahl der bittre Nachgeschmack des Xenienkrieges verwischt. Um sich seinerseits dieses Nachgeschmacks ledig zu machen, versenkte sich Schiller vom Spätherbst an immer ernstlicher in die poetische Welt seines Wallenstein. Unter dieser alle Kräfte seines Geistes in Anspruch nehmenden und zu glänzendster Entfaltung bringenden Arbeit verbrachte er den Winter friedlich und zufrieden. An anmuthender Geselligkeit fehlte es auch nicht. Alexander von Humboldt, schon seine epochemachende wissenschaftliche Zukunft errathen lassend, kehrte bei seinem Bruder und dessen Freunden ein. Auch Schelling trat seinem Landsmann näher und jede Woche hatte Schiller mit dem angehenden Philosophen und dem älteren Freunde Niethammer einen L'Hombre-Abend. Göthe kam herüber, so oft er konnte, und erfreute den befreundeten Kreis durch Mittheilung der neugedichteten Gesänge seines unvergleichlichen bürgerlichen Epos. »Mit Rührung erinnere ich mich – erzählt Karoline von Wolzogen – wie uns Göthe in tiefer Herzensbewegung, unter hervorquellenden Thränen den Gesang, der das Gespräch Hermann's mit der Mutter am Birnbaum enthält, gleich nach der Entstehung vorlas. So schmilzt man bei seinen eigenen Kohlen, sagte er, indem er sich die Augen trocknete.« Glückliche Menschen! wie sehr haben wir Nachgebornen Ursache, euch um die Fähigkeit zu beneiden, inmitten des Getöses einer stürzenden Welt euch mit so innigem Antheil und so lauterer Freude in der Region der Schönheit ergehen zu können!

Nach Neujahr 1797 regte sich in unserem Dichter der Wunsch einer Orts- oder wenigstens Wohnungsveränderung. Unterm 31. Januar äußerte er gegen Göthe schon jetzt die Absicht, nach Weimar zu ziehen, wenn er dort eine passende Wohnung finden könnte, und wenn wir bedenken, daß Schwager Wolzogen und Schwester Karoline im März dorthin übersiedelten, ist es begreiflich, daß auch Lotte dieser Absicht zugethan war. Er frug bei Göthe an, ob dieser ihm sein Gartenhaus – dasselbe, welches in den Tagen und Nächten der »lustigen Zeit von Weimar« eine so große Rolle gespielt hatte – vermiethen wollte, stand aber von diesem Gedanken ab, als er erfahren, das Häuschen sei für eine Familie nicht einmal zum Sommeraufenthalt tauglich. So richtete er denn sein Augenmerk auf eine Wohnung im Freien in der Umgebung von Jena und konnte unterm 7. Februar an Freund Körner berichten: »Ich stehe jetzt im Handel wegen eines Gartens und Gartenhauses, werde es auch wahrscheinlich bekommen. Das Haus ist sehr leidlich zu einer Sommerwohnung für eine Familie wie die meinige, und wenn ich zu den 1200 Thalern, die es mir kosten wird, noch etwa 600 zulege, so wird es ein recht geräumiges und angenehmes Quartier auch für den Winter abgeben. Der Garten ist nicht klein und die Lage ist trefflich. Ich hoffe von dieser Acquisition einen glücklichen Erfolg für meine Gesundheit.« Göthe ermunterte ihn, den gesund und anmuthig gelegenen Garten »ja nicht wegzulassen«, und so wurde der Kauf abgeschlossen. Mitten in den Vorbereitungen zum Umzug ward dem Dichter vom hohen Norden her, aus der Heimat Gustav Adolfs, eine Ehrenbezeugung zu Theil. »Dieser Tage – meldete er unterm 4. April an Göthe – bin ich mit einem großen prächtigen Pergamentbogen aus Stockholm überrascht worden. Ich glaubte, wie ich das Diplom mit dem großen wächsernen Siegel aufschlug, es müßte wenigstens eine Pension herausspringen; am Ende war's aber bloß ein Diplom der Akademie der Wissenschaften. Indessen freut es immer, wenn man seine Wurzeln ausdehnt und seine Existenz in andere eingreifen sieht.« Demselben Freunde schrieb er am 2. Mai: »Ich begrüße Sie aus meinem Garten, in den ich heute eingezogen bin. Eine schöne Landschaft umgibt mich, die Sonne geht freundlich unter und die Nachtigallen schlagen. Alles um mich herum erheitert mich und mein erster Abend auf dem eigenen Grund und Boden ist von der fröhlichsten Vorbedeutung.« In Wahrheit, die Vorbedeutung täuschte nicht: unter den Baumwipfeln des Gartens, welchen Schiller am 2. Mai 1797 so heitergestimmt betrat, wurden die Balladen geschaffen und das Glockenlied und der Wallenstein.

Auf der südwestlichen Seite von Jena läuft ein schmaler Fußweg, das sogenannte Mönchsgäßchen, zwischen Hecken und Gestrüppe hin und führt zu einer mäßigen Anhöhe empor, welche Schiller's ehemaliges Gartenhaus trägt. Es ist, jetzt als Sternwarte benützt und zu diesem Zwecke mit einem runden thurmähnlichen Aufsatz versehen, mehr ein Häuschen als ein Haus zu nennen, auf schmaler Basis zwei Stockwerke hoch aufsteigend, und stellt sich nicht sehr symmetrisch dar. Hinter dieser Wohnstätte zieht sich der Garten hügelan, ein in gut bürgerlicher Weise mit Blumen und Gemüse bepflanzter Garten. Im Hintergrund ragt eine Gruppe alter Bäume empor und hinter diesen Baumschatten fällt das Terrain jäh und tief in das Bett des Leutrabaches ab. Unter jenen Bäumen stand, beschattet von den Aesten einer Linde, einer Tanne und einer Akazie, zu Schiller's Zeit eine Hütte, zu deren einzigem Gemach eine kleine Freitreppe führte. Dies war im Sommer des Dichters Arbeitszimmer. Die Hütte ist jetzt abgebrochen und ein unbehauener Stein mit der Inschrift: »Hier schrieb Schiller den Wallenstein« – bezeichnet die Stätte. Seitwärts steht in einer Laube ein verwitterter steinerner Tisch. Da hat der Dichter in lauen Sommernächten mit vertrauten Freunden oft gesessen, da hat er, während der Mond über den Bergen stand und drunten in der Schlucht des Leutrabaches die Nachtigallen schlugen, oft mit Göthe in vertrautestem Beisammensein Gespräche geführt voll von großen und lichten Gedanken, voll von Zukunft. Die kleine Besitzung ist ihm recht ans Herz gewachsen. Er wußte sich halb im Ernste halb im Scherze Etwas mit seinem »Landbesitz«, welcher dem Leben »mehr Festigkeit und Sicherheit« verleihe. Er ließ im Sommer 1798 verschiedene bauliche Verbesserungen vornehmen und berichtete darüber mit Behagen an Göthe Ebenda, II, 53, 63. Hierauf bezieht sich die schöne Strophe in Göthe's Prolog zu Schiller's Glocke:
Da schmückt' er sich die schöne Gartenzinne,
Von wannen er der Sterne Wort vernahm,
Das dem gleich ew'gen, gleich lebend'gen Sinne
Geheimnisvoll und klar entgegen kam.
Dort, sich und uns zu köstlichem Gewinne
Verwechselt er die Zeiten wundersam.
Nun sank der Mond und zu erneuter Wonne
Vom klaren Berg herüber schien die Sonne.
. Sein Garten ward ihm ein Stück Heimat: hier, in der ländlichen Abgeschiedenheit von allem Gedränge und Getriebe der Welt, war ihm gut und frei zu Muthe, und auch nachdem er Jena verlassen hatte, kam er nicht selten wieder aus Weimar in seine Garteneinsamkeit herüber, um recht ungestört daselbst zu denken und zu dichten. Hier wurden in der Stille weihevoller Nächte Gedanken ersonnen, deren »Menschengeschick bestimmende« Wirkung dauern wird, so lange die Menschheit dauert; hier wurden Worte gefunden, deren Widerhall macht- und prachtvoll durch die Jahrhunderte hinabrollt.

siehe Bildunterschrift

28. Schiller's Garten in Jena.
Originalzeichnung von G. Hartmann. Geschnitten von W. Aarland

»Poesie wird jetzt auf jeden Fall mein Geschäft sein,« hatte Schiller nach Durchmessung des Kreises philosophischer Speculation schon im Oktober 1795 an Humboldt geschrieben. Es stand ihm auch fest, daß es ihm wie Göthe'n zieme, nach verrauschtem Xeniensturm etwas »Bedeutendes« ins Publicum zu bringen. Göthe, dem das Dichten mehr eine Naturnothwendigkeit war, ging auch sofort ohne langes Bedenken ans Schaffen von Hermann und Dorothea. Auch seinen Faust nahm er in dieser Zeit wieder auf. Für Schiller dagegen war die Poesie eine bewußte That, eine Blüthe des Gedankenprozesses, und so sehen wir ihn längere Zeit schwankend, nach welcher Richtung hin er den neuerwachten poetischen Thätigkeitstrieb wenden sollte. Auf der einen Seite hatte er, wie er an Humboldt schrieb, den »Einfall, eine romantische Erzählung in Versen zu machen,« auf der andern zog ihn ein schon früher ins Auge gefaßtes dramatisches Problem an, die Malteser, zu dessen Behandlung ihn Göthe gleich beim Beginn ihres Bundes ermuntert hatte. Er konnte aber zu keinem Entschlusse kommen und legte Humboldt förmlich die Frage vor, ob er als Epiker oder als Dramatiker dichten sollte. Der ästhetische Gewissensrath hatte schon 1795 auf diese Anfrage so geantwortet: »Nehme ich die dramatische (tragische) Poesie als die lebendige Darstellung einer Handlung und eines Charakters, als eine Schilderung des Menschen in einem einzelnen Kampf mit dem Schicksal, so finde ich die Eigenthümlichkeit, die Sie charakterisirt, hier in ihrem wahren Gebiete, da hier die Hauptwirkung durch das Gefühl des Erhabenen geschieht. Alles drängt sich hier dem Moment der Entscheidung entgegen, die Kraft des Geistes und des Charakters muß sich bis zur höchsten Anspannung sammeln, um die Macht des Schicksals zu überwinden, und sich ganz in sich selbst zurückziehen, um ihr nicht zu unterliegen. Diesen Zustand in seiner ganzen Größe zu schildern, fordert die höchste und reinste Energie des Genie's. Hier die größte Wirkung hervorzubringen, halte ich Sie für geschaffen; wenn Sie hier Ihren Gegenstand glücklich wählen, so wird Sie hier Keiner erreichen.« Der Freund hatte das Rechte getroffen und ein tragischer Gegenstand war ja auch schon glücklich gewählt, der Wallenstein. Allein Schiller konnte sich zunächst weder diesem Stoffe noch der tragischen Dichtung überhaupt ungetheilt hingeben, und zwar schon aus dem äußerlichen Grunde nicht, weil er für seinen Musenalmanach zu sorgen hatte, welcher bis 1801 alljährlich erschien und dessen Bedeutung ja hauptsächlich von seinen eigenen Beiträgen abhing. Dazu kam noch, daß die vorwiegend epische Stimmung Göthe's in den Jahren 1796-98 auf den Freund nicht ohne Einfluß blieb, und endlich, daß in der Entwicklung von Schiller's Genius sich das epische Element als ganz naturgemäße Uebergangsstufe von der Gedankenlyrik zur Dramatik darbot.

So war denn das Jahr 1797 das »Balladenjahr«, welches aber besser die Balladenzeit hieße, denn diese dehnte sich über mehrere Jahre aus. In einem schönsten Wetteifer, wie eben nur Schiller und Göthe ihn entwickeln konnten, dichteten sie ihre Balladen und Romanzen. Im Juni schrieb Göthe den Gott und die Bajadere, Schiller den Taucher und scherzend äußerte Jener: »Es ist nicht übel, da ich mein Paar in das Feuer und aus dem Feuer bringe, daß Ihr Held sich das entgegengesetzte Element aussucht.« Außer dem Taucher schuf Schiller in den Jahren 1797-98 die Romanzen: der Handschuh, der Ring des Polykrates, die Kraniche des Ibykus, Ritter Toggenburg, der Gang nach dem Eisenhammer, der Kampf mit dem Drachen, die Bürgschaft, – ein Cyklus, zu welchem man auch die Nadowessische Todtenklage, des Mädchens Klage, das Siegesfest und die Klage der Ceres beiziehen kann. Ein zweiter Kreis (1801-3) umfaßt Hero und Leander – welchen Stoff, wie den Ibykus, Göthe an Schiller abgetreten hat – Kassandra, den Grafen von Habsburg, den Jüngling am Bache, den Alpenjäger. In Betreff dieser Schöpfungen ins Einzelne einzutreten, ist hier gänzlich unzulässig, weil überflüssig. Haben wir doch Alle, von unseren Schuljahren an, mit den Gestalten der Schiller'schen Balladendichtung wie mit alten lieben Bekannten gelebt. In strenger Anwendung der Bestimmungen und Unterscheidungen der Poetik würde aber Schiller kein Balladendichter heißen können, sofern seine epischen Dichtungen – mit wenigen Ausnahmen – mehr dem Begriff der Romanze als dem der Ballade entsprächen. Denn in der Ballade erscheine der Geist noch in den Naturmächten befangen, unmittelbar, reflectionslos, und oft finde da deßhalb ein unheimliches Hereingreifen der Genien- und Dämonenwelt in die menschliche statt; dagegen erscheine in der Romanze der Menschengeist auf sich selbst gestellt und in dem ihm eigenthümlichen Bereiche der Sittlichkeit wirksam. Diese philosophische Unterscheidung von Ballade und Romanze rührt bekanntlich von Echtermeyer her und derselben zufolge wäre Göthe der Balladensänger und Schiller der Romanzendichter. Die neuere Aesthetik hat jedoch nicht ohne Grund gefunden, man gerathe durch strenge Anwendung dieser Distinction leicht in ein abstractes Kategorisiren hinein und außerdem umfasse die Echtermeyer'sche Bestimmung lange nicht das ganze Gebiet der Balladen- und Romanzenpoesie. Vischer hat in einer geistvollen Erörterung der Frage die Ballade und Romanze der »objectiven Lyrik« zugewiesen Vischer, Aesthetik, IV, 1358 fg. und seine Untersuchung bestätigt die oben geäußerte Hindeutung, daß Schiller vermöge einer inneren Nöthigung die lyrisch-epische Poesie als Uebergangsstufe von der Lyrik zum Drama gepflegt habe. Hat doch unser Dichter seine Erzählungsstoffe »innerlich so durchwärmt, daß ihre wallende Bewegung auf die Nähe des Dramatischen hinwies.« Der Gang der Erzählung in Schiller's Romanzen – ich erinnere nur an den Taucher, an den Handschuh, an die prachtvolle Erscheinung des Furienchors im Ibykus, an die wundervolle des Drachenkampfes – ist von dramatischen Säften geschwellt und die spätere Romanze, der Graf von Habsburg, rundet sich völlig zu einem kleinen Drama ab. Wunderlich, ja geradezu unbegreiflich ist, wie man in den Romanzen unseres Dichters den poetischen Realismus vermissen konnte. Es ist wahr, der psychologische Prozeß ist ihm auch hier die Hauptsache, während Göthe in seinen Balladen das geheimnißvolle Walten der Naturmächte unserem Gefühle deutlich nahe bringt, eben dadurch, daß er dieses Walten objectiv gewähren läßt. Aber deßhalb ist das psychologische Moment in Schiller's Romanzen kein abstractes, sondern vielmehr ein in dem Stoffe concret aufgehendes. Die Seelenstimmungen werden anschaulich in die Objectivität herausgestellt und die Bethätigung der sittlichen Kraft, welche Schiller auch als Romanzendichter von seinen Helden fordert, tritt uns in realen Gestalten vor Augen.

Der Romanzendichtung Schiller's in dieser Zeit ging eine Lyrik zur Seite, welche Hoffmeister mit einem glücklichen Ausdruck als kulturgeschichtliche bezeichnet hat, eine Lyrik, in welcher der Dichter den in den Künstlern angeschlagenen Ton wieder aufnahm, um ihn zuletzt zur vollen Harmonie des Glockenliedes anschwellen zu machen. Als das Verbindungsglied zwischen den beiden genannten Gedichten ist »der Spaziergang« anzusehen, welcher, wie wir sahen, schon im Jahr 1795 gedichtet wurde. Diese Elegie bewegte einen Kunstrichter wie Wilhelm von Humboldt von allen Gedichten seines großen Freundes »am lebendigsten und höchsten;« denn sie umschließt, die veränderliche Strebsamkeit des Menschen der sicheren Unveränderlichkeit der Natur zur Seite stellend, den ganzen großen Inhalt der Weltgeschichte, die Summe und den Gang alles menschlichen Beginnens, seine Erfolge, seine Gesetze und sein letztes Ziel in Bildern voll Wahrheit und entläßt den Leser, »wie sie ihn am Anfang durch sinnliche Leichtigkeit eingeladen, am Schluß mit der erhabenen Sache der Vernunft« Briefw. zw. Sch. u. H. 248.. Wenn ich daran erinnere, mit wie großem und freiem Blick unser Dichter hier das Reich der Natur und des Geistes überschaut, wie er selber der Weise ist, welcher »in des Zufalls grausenden Wundern das vertraute Gesetz, in der Erscheinungen Flucht den ruhenden Pol« sucht und findet, – so wird man mir gestatten, daß ich auf ihn des mit Schiller'schen Ideen großgenährten transatlantischen Essayisten Emerson schönes Wort anwende: »Der Genius sieht in jedem Gebiet des organisirten Lebens die ewige Einheit; er forscht nach der Grundidee und sieht weit zurück in dem Gewebe der Dinge von einem Kreise die Stralen ausgehen, die auseinander laufen, bevor sie sich in weiten Durchmessern herniedersenken.« Von diesem kulturhistorischen Blick des »rückwärts gewandten«, im Spiegel der Vergangenheit die Gegenwart und Zukunft erkennenden Propheten zeugt neben mehreren anderen Gedichten Schiller's aus dieser Periode insbesondere das 1798 gedichtete »Musische Fest«, zuerst unter dem Titel »Das Bürgerlied« im Musenalmanach auf 1799 veröffentlicht, der Form nach als ein Hymnus gedacht, womit die Feier der Mysterien zu Eleusis eröffnet wurde. Sehr glücklich hat also hier der Dichter an dem griechischen Kulturmythus von der Demeter seine Ideen von der civilisirenden Macht der Sitte entwickelt. Unzweifelhaft ist das Gedicht in bewußtem Gegensatz zu den Gewaltsamkeiten der französischen Revolution geschrieben. Den zerstörerischen Manifestationen derselben wird die Segen bringende, aufbauende Mission friedlicher Bildung entgegengehalten und durch den Mund der Kulturgöttin läßt Schiller den Völkern verkündigen, daß nur humane Sitte die menschliche Gesellschaft baue und frei und mächtig mache Freiheit liebt das Thier der Wüste,
Frei im Aether herrscht der Gott;
Ihrer Brust gewalt'ge Lüfte
Zähmet das Naturgebot.
Doch der Mensch in ihrer Mitte
Soll sich an den Menschen reih'n,
Und allein durch seine Sitte
Kann er frei und mächtig sein.
. Alle Momente der kulturgeschichtlichen Lyrik unseres Dichters faßten sich dann in der großartigen Composition des Liedes von der Glocke zusammen. Das ist so eine jener Schöpfungen des Genius, welche in ihrer reinmenschlichen Schönheit alle Herzen unwiderstehlich ergreifen, und man darf dreist behaupten, daß uns Deutschen das Glockenlied in Fleisch und Blut übergegangen. Noch mehr: das Glockenlied ist das volksthümlichste Gedicht unserer, ja vielleicht der ganzen modernen Literatur geworden; denn bereits kommen uns seine Klangwellen wie ein vertrautes Echo aus der Fremde entgegen. Als Schiller dieses Lied schuf, stand er auf der Höhe seiner dichterischen Anschauung: sein philosophischer Idealismus hatte sich durch den Realismus des Lebens und der Geschichte substanzialisirt. Daher die wundersame Harmonie von Ideal und Wirklichkeit, welche das Gedicht kennzeichnet, wie die richtige Mischung der Metalle eine meisterlich gegossene Glocke. Die Form ist so glücklich, wie sie auch einem größten Meister nur selten aufgeht. Die dramatisch belebte Schilderung des Glockengusses umspannt wie ein kunstvoll gearbeiteter Rahmen das große und reiche Gemälde menschlichen Daseins. Zwanglos erweitert sich die Glockengießerwerkstatt zur Welt, zwanglos verknüpfen sich mit den Beziehungen des in innigsten Herzenslauten geschilderten privatlichen Lebens die des staatsbürgerlichen, dessen Zeichnung mit goldenen Weisheitslehren durchwoben ist, und in den Geschicken der Familie widerspiegeln sich die der Menschheit. Schiller hat diese edle Schöpfung lange in der Brust getragen. Wir wissen, daß das erste leise Tönen des Glockenliedes, freilich nur erst der Seele des Dichters vernehmbar, in den Rudolstadter Sommer von 1788 fiel. An die wirkliche Ausführung des Werkes scheint er nicht früher als zu Anfang Juli's 1797 gegangen zu sein. Er meldete dies an Göthe und fügte bei: »Dieses Gedicht liegt mir sehr am Herzen, es wird mir aber mehrere Wochen kosten, weil ich so vielerlei verschiedene Stimmungen dazu brauche und eine große Masse zu bearbeiten ist.« Aus den Wochen wurden aber Jahre. Unterm 15. September schrieb er dem Freunde, daß er wegen Unwohlseins die Glocke habe liegen lassen müssen, und unterm 22. September äußerte er, daß ihm dieses nicht so ganz unlieb sei; denn »indem ich diesen Gegenstand noch ein Jahr mit mir herumtrage und warm halte, muß das Gedicht, welches wirklich keine kleine Aufgabe ist, erst seine wahre Reife erhalten.« Göthe erwiderte hierauf unterm 14. Oktober: »Die Glocke muß nur um desto besser klingen als das Erz länger in Fluß erhalten und von allen Schlacken gereinigt ist« – und in der That blieb das Erz noch an zwei Jahre lang in Fluß und erst 1799, nach Beendigung des Wallenstein, gelang der Guß vollkommen Gedruckt erschien das Glockenlied zuerst im Musenalmanach f. 1800..

Still, fast einsiedlerisch verlebte unser Dichter den Sommer 1797 und das folgende Jahr. In seinem Umgang entstand eine große Lücke durch den Wegzug Wilhelm's von Humboldt, der 1797 Jena verließ und nach Paris ging, wo er, echtdeutsch, inmitten der Aufregungen einer beginnenden neuen politischen Weltordnung seine berühmte Abhandlung über Hermann und Dorothea schrieb, um an diesem Gedichte die Gesetze der epischen, ja der Poesie überhaupt zu entwickeln. Humboldt's ruhige Bonhommie war ganz geeignet gewesen, die geselligen Beziehungen Schiller's zu der Jena'schen Gelehrtenwelt im Gange zu erhalten. Nun ein solcher Vermittler fehlte, vereinsamte der Dichter immer mehr und mehr. Er mochte an den mancherlei Wirrsalen und Händeln, welche damals die gelehrte Welt der alten Universitätsstadt zerrütteten, in keiner Weise theilnehmen. Die Glanzperiode Jena's neigte sich dem Ende zu, doch wurde der Verfall mit dem Weggang Fichte's (1799) nicht so groß als man gefürchtet hatte. Es ist bekannt, daß der tapfere Philosoph ein Opfer des Rückschlags wurde, welchen die französische Revolution in der Stimmung der vornehmen Kreise herbeigeführt hatte, – nicht überall, aber doch an vielen Orten. Hier war die noch so eben gehätschelte Aufklärung plötzlich zu einem Schreckgespenst geworden, welches um jeden Preis hinweggemaßregelt werden sollte. Ein Aufsatz Fichte's »über den Grund unseres Glaubens an eine göttliche Weltordnung« in seinem gemeinsam mit Niethammer herausgegebenen philosophischen Journal bot der chursächsischen Regierung Veranlassung, die Zeitschrift zu confisciren und an die Herzoge der ernestinischen Linie, als an die gemeinschaftlichen Erhalter der Universität Jena, das Ansinnen zu stellen, den Professor wegen Atheismus richten und bestrafen zu lassen. Wenn man weiß, wie freigesinnt Karl August von Weimar sein Lebenlang gewesen und mit welcher Entschiedenheit der treffliche Mann und Fürst noch wenige Tage vor seinem Tode, in einer Zeit allgemeiner Verfinsterung, gegen religiösen und politischen Obscurantismus sich ausgesprochen hat »Nie – schreibt Alexander von Humboldt (Karl-August-Büchlein, S. 150) über sein letztes Zusammensein mit dem Herzog in Berlin im Juni 1828 – nie habe ich den großen menschlichen Fürsten lebendiger, geistreicher, milder und aller ferneren Entwicklung des Volkslebens theilnehmender gesehen. Er klagte über den einreißenden Pietismus und den Zusammenhang dieser Schwärmerei mit politischen Tendenzen nach Absolutismus und Niederschlagen aller freien Geistesregungen. ›Dazu sind es unwahre Bursche, rief er aus, die sich dadurch den Fürsten angenehm zu machen glauben, um Stellen und Bänder zu erhalten! Mit der poetischen Vorliebe zum Mittelalter haben sie sich eingeschlichen!‹«, so wird man es ganz natürlich finden, daß die Weimar'sche Regierung gegen Fichte überhaupt nur verfuhr, weil sie bei Gestalt der Sachen mußte. Ihr Beschluß war auch milde genug: der Philosoph sollte einen Verweis »wegen Unvorsichtigkeit« erhalten. Aber Fichte war nicht der Mann, einen Verweis hinzunehmen, wo er im Rechte zu sein meinte. Er glaubte – und dies allerdings nicht ohne Grund – in seiner Person die Sache der Gedanken- und Lehrfreiheit angegriffen, beschloß demnach, nicht um eines Haares Breite nachzugeben, und forderte auf den Fall eines Verweises hin seinen Abschied. Dieser Forderung wurde entsprochen und Fichte wandte sich nach Berlin, welches damals nicht mehr das Berlin der Wöllner und Bischofswerder und noch nicht das Berlin der Kamptz und Schmalz war. Friedrich Wilhelm III., glücklich im Bunde mit jener hoch und mit Recht gefeierten Luise von Mecklemburg, welche mit ihren drei Schwestern, der Herzogin von Meiningen-Hildburghausen, der Fürstin von Solms und der Fürstin von Thurn und Taxis, das vierblätterige Kleeblatt von Prinzessinnen bildete, welches Jean Paul entzückte und ihn zu dem Ausspruch veranlaßte, daß er »in die Nester der höheren Stände nur der Frauen wegen hinaufsteige, die da, wie bei den Raubvögeln, größer sind als die Männchen« Brief Jean Paul's an Otto aus Weimar vom 2. Februar 1799. Spazier, IV, 121. – Friedrich Wilhelm III. war, noch nicht durch Unglück befangen und verdüstert, bei freilich nur sehr mäßigen Geistesgaben in der ersten Zeit seiner Regierung voll guten Willens, nicht im Sinne seines Vaters, sondern vielmehr im Sinne seines großen Großoheims den preußischen Staat zu verwalten, und es ist auch Etwas von Friedrich'schem Geist in der Art und Weise, wie der König die Bedenken zurückwies, welche gegen Fichte's Aufenthalt in Berlin sich erhoben hatten. Der Philosoph konnte unterm 10. Oktober 1799 aus der Hauptstadt Preußens an seine Frau schreiben: »Der König hat, nachdem ihm Vortrag über meinen Aufenthalt geschehen, gesagt: ›Ist Fichte ein so ruhiger Bürger, als aus Allem hervorgeht, und so entfernt von gefährlichen Verbindungen, so kann ihm der Aufenthalt in meinen Staaten ruhig gestattet werden. Ist es wahr, daß er mit dem lieben Gott in Feindseligkeiten begriffen ist, so mag dies der liebe Gott mit ihm abmachen; mir thut das Nichts.‹«

Die größte Erfrischung kam in das zurückgezogene Leben, welches Schiller in den Jahren 1797-98 führte, durch den lebhaften Verkehr mit Göthe. Dieser trat im 1797 eine Reise in die Schweiz an und verweilte im August mehrere Tage in Stuttgart, wo er sich im Umgange mit Dannecker und anderen Freunden Schiller's sehr wohl fühlte, aber auch »im Bauche des römischen Kaisers ein schlimmstes Wanzenabenteuer zu bestehen hatte.« Unser Dichter, eben von einem heftigen Krankheitsanfall sich langsam erholend, schrieb unterm 7. September dem Freunde: »Ich kann Sie mir nicht in Stuttgart denken, ohne in eine sentimentale Stimmung zu gerathen. Was hätte ich vor sechszehn Jahren darum gegeben, Ihnen auf diesem Boden zu begegnen, und wie wunderbar wird mir's, wenn ich die Zustände und Stimmungen, welche dieses Local mir zurückruft, mit unserem gegenwärtigen Verhältniß zusammendenke!« Mit Beziehung darauf erwiderte Göthe aus Stäfa am Zürichsee unterm 25. September: »In Stuttgart war mir ganz wohl und behaglich. Ihrer ist viel und von Vielen und immer aufs Beste gedacht worden. Für uns Beide, glaub' ich, war es ein Vortheil, daß wir später und gebildeter zusammentrafen.« Aus Stäfa theilte er dem Freunde auch den Gedanken mit, die Sage vom Tell episch zu behandeln, und Schiller ermunterte ihn lebhaft dazu, weil – wie er am 30. Oktober schrieb – »aus diesem schönen Stoffe sich wieder ein Blick in eine gewisse Weite des Menschengeschlechts öffnet, wie zwischen hohen Bergen eine Durchsicht in freie Fernen sich aufthut.« Nach Göthe's Heimkehr im November wurde zwischen den Beiden viel über die Reform des Theaters verhandelt. Schiller regte die Idee an, die Shakspeare'schen Stücke aus der englischen Geschichte für die Bühne zu bearbeiten, womit »eine neue Epoche eingeleitet werden könnte,« und richtete sein Augenmerk auch auf die Oper, indem er der Ansicht war, daß »aus ihr wie aus den Chören des alten Bacchusfestes das Trauerspiel in einer edleren Gestalt sich loswickeln sollte.« Göthe meinte, daß diese Hoffnung durch den Don Juan eine bedeutende Stütze erhalten habe, beklagte aber zugleich, daß durch Mozart's Tod (5. Dezember 1791) »alle Aussicht auf etwas Aehnliches vereitelt worden sei.« Unterm 5. Januar 1798 berichtete Schiller dem Freunde, wie weit die Arbeit am Wallenstein vorgerückt sei, und bemerkte dazu: »Ich finde augenscheinlich, daß ich über mich selbst hinausgegangen bin, welches die Frucht unseres Umgangs ist; denn nur der vielmalige continuirliche Verkehr mit einer so objectiv mir entgegenstehenden Natur konnte mich fähig machen, meine subjectiven Gränzen so weit auseinander zu rücken. Ich finde, daß mich die Klarheit und Besonnenheit, welche die Frucht einer spätern Epoche ist, Nichts von der Wärme einer frühern gekostet hat. Doch es schickte sich besser, daß ich das aus Ihrem Munde hörte als daß Sie es von mir erfahren.« Voll Herzlichkeit erwiderte Göthe: »Bei der Klarheit, mit der Sie die Forderungen übersehen, die Sie an sich zu machen haben, zweifle ich nicht an der vollen Gültigkeit Ihres Zeugnisses. Das günstige Zusammentreffen unserer beiden Naturen hat uns schon manchen Vortheil verschafft und ich hoffe, dieses Verhältniß wird immer gleich fortwirken. Wenn ich Ihnen zum Repräsentanten mancher Objecte diente, so haben Sie mich von der allzu strengen Beobachtung der äußeren Dinge und ihrer Verhältnisse auf mich selbst zurückgeführt. Sie haben mich die Vielseitigkeit des inneren Menschen mit mehr Billigkeit anzuschauen gelehrt, Sie haben mir eine zweite Jugend verschafft und mich wieder zum Dichter gemacht, welches zu sein ich so gut als aufgehört hatte.« Damals vertraute Schiller dem Freunde auch seinen Entschluß, nur noch historische Stoffe zu wählen, weil frei erfundene für ihn »eine Klippe« sein würden, da es »eine ganz andere Operation sei, das Realistische zu idealisiren als das Ideale zu realisiren.« In die ernsthaften Erörterungen zwischen den Beiden mischte sich dann und wann ein Scherz. So, wenn Schiller den Freund gar artig mystifizirte, indem er demselben ein idyllisches Gedicht Lotte's zugehen ließ, als von einem »neuen Poeten« herrührend, und sich seine Meinung darüber erbat. Schiller und Lotte haben gewiß herzlich mitsammen gelacht, als Göthe, nicht ahnend, wer der »neue Poet« sei, unterm 3. Februar gravitätisch zurückschrieb: »Die Idylle ist wirklich wieder eine sonderbare Erscheinung. Wieder ein beinahe weibliches Talent, hübsche jugendliche Ansichten der Welt, ein freundliches, ruhiges, sittliches Gefühl« … Am 1. März gelangte endlich durch Campe in Braunschweig das französische Bürgerdiplom an Schiller, welcher darüber an Göthe schrieb: »Daß ich als deutscher Publizist κατ' ἐξοχὴν darin erscheine, wird Sie hoffentlich auch belustigen.« Als er einige Tage darauf das Eintreffen des Bürgerbriefes an Körner meldete, bemerkte er: »Zu dieser Ehrenbezeugung ist kürzlich noch eine andere gekommen, die mir ebenso wenig hilft. Unsere Höfe haben mir aus eigener Bewegung die Würde eines Professor ordinarius honorarius zugetheilt. Ich gewinne Nichts dabei, indessen hat es mich doch gefreut, daß man mir, ohne den geringsten Vortheil von mir zu haben oder zu hoffen, da ich schon viele Jahre lang nicht mehr lese, diese Aufmerksamkeit bewiesen hat.« Körner meinte: »Die Pariser Ehrenbezeugung will zu dieser Zeit nicht viel bedeuten. Das Komödiantenwesen dieser Menschen ist mir widerlich. Bei dem neuen Professortitel ist doch wenigstens ehrlicher deutscher Wille, der immer seinen Werth hat.« Zu Ende des Mai kam Göthe herüber und verweilte beinahe einen Monat in Jena. Da erneuten sich frühere schöne Abendstunden am Steintisch in der Laube von Schiller's Garten. Im September war er seinerseits bei dem Freunde in Weimar zu Besuch, den er kurz darauf wieder als seinen Gast bei sich begrüßte. Am 6. November verließ der Dichter seine Gartenwohnung, um das Winterquartier im Griesbach'schen Haus in der Stadt zu beziehen, und so kam unter lebhaft zwischen Jena und Weimar hin und her gehenden Verhandlungen in Betreff der Aufführung des Wallenstein das Jahr 1799 heran.


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