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Drittes Buch.
Schiller's Meisterjahre.

1790-1805.

Mich hält kein Band, mich fesselt keine Schranke,
Frei schwing' ich mich durch alle Räume fort;
Mein unermeßlich Reich ist der Gedanke
Und mein geflügelt Werkzeug ist das Wort.
Was sich bewegt im Himmel und auf Erden,
Was die Natur tief im Verborgnen schafft,
Muß mir entschleiert und entsiegelt werden,
Denn Nichts beschränkt die freie Dichterkraft;
Doch Schön'res find' ich Nichts, wie lang' ich wähle,
Als in der schönen Form – die schöne Seele.

Die Huldigung der Künste.

Erstes Kapitel.
Die Geschichte des dreißigjährigen Krieges.

Die deutsche Ehe. – Charakter der dritten Lebensperiode Schiller's. – »Die Leidenschaft flieht, die Liebe muß bleiben.« – Portrait des Dichters in den Jahren seiner Männlichkeit. – Studien und Arbeiten. – Ideal und Bedarf. – Die Neue Thalia. – Historische Abhandlungen. – Geschichte des dreißigjährigen Krieges. – »Täglich vierzehn Stunden in Arbeit.« – Vorlesungen. – Aesthetische Abhandlungen. – Gesellige Verhältnisse. – Wolken und Tumulte. – Novalis. – Baggesen. – Göthe. – Kant. – Beginn der Krankheitsgeschichte des Dichters. – An den Pforten des Todes. – In Karlsbad. – Ein schönes Zeugniß für Lotte. – Oekonomische Sorgen. – Die frohe Botschaft aus Dänemark.


Ein bedeutsamstes Merkmal der Verschiedenheit germanischer und romanischer Anschauung und Sitte ist, daß der »Roman des Lebens« bei den Völkern germanischen Stammes mit dem Abschluß des Ehebundes zu enden und bei den Völkern romanischen Stammes zu beginnen pflegt. Ausnahmen, und zwar zahlreiche, gibt es selbstverständlich hüben wie drüben; aber die Regel bleibt, daß für die Deutschen und ihre Stammverwandten der Traualtar den großen Wendepunkt bildet, wo der ungestüme Gefühlsüberschwang in das ruhige Geleise der Pflicht einbiegt, während in Frankreich, Spanien und Italien – wenigstens in den höheren Gesellschaftsclassen – der Ringwechsel gleichsam die Emanzipation der Leidenschaft symbolisirt. Die Ursache hievon ist allbekannt: sie liegt in der verschiedenen Weise der Erziehung und der geselligen Sitte. Die Französin, Spanierin, Italienerin wird erst als Frau gesellschaftsfähig. Sie tritt unmittelbar aus dem Kloster, wo sie erzogen wurde, in die Welt und gewöhnlich muß ihr die Stufe des Altars, wo sie einem ihr meist nur ganz oberflächlich bekannten Manne verbunden wird, als Uebergangsschwelle dienen. Bei uns in Deutschland, wie auch in der Schweiz, in England und im skandinavischen Norden, ist der Umgang zwischen Jünglingen und Mädchen viel zwangloser. Man hat also Gelegenheit, vor der Ehe sich kennen zu lernen; man hat Zeit, sich gegenseitig angezogen oder abgestoßen zu fühlen und den Unterschied zwischen augenblicklichem Flackerfeuer und nachhaltiger Flamme zu erfahren; man kann erproben, ob beiderseitig die Bedingungen vorhanden seien, welche das Glück einer Verbindung auf immer verbürgen. Daher rührt es, daß, selbst in unserem berechnenden Jahrhundert noch, bei uns die Ehe vorwiegend eine Sache der Neigung statt der bloßen Convenienz ist oder wenigstens sein kann. Der Roman pflegt in Deutschland nicht mit dem Ende anzufangen, und wenn »mit dem Gürtel, mit dem Schleier« der »schöne Wahn« entzweireißt, so gewähren aus den angedeuteten Gründen unsere Sitten doch die Möglichkeit, daß an die Stelle des schönen Wahns, d. i. der jugendlichen Schwärmerei, eine schöne Wirklichkeit trete, d. i. die ruhige Befriedigung, welche ein dauerndes und durch die Prüfungen des Lebens nur gestähltes Gefühl verleiht. »Die Leidenschaft flieht, die Liebe muß bleiben« – man kann das Wesen einer echten und, ich sage es mit Stolz, einer deutschen Ehe nicht besser bezeichnen, wogegen es für die französische Sitte höchst charakteristisch ist, daß in der Blüthezeit des Mittelalters (1174) die Gräfin von Champagne, als Muster einer Edeldame von damals anerkannt, auf die von einem »Liebeshof« ( cour d'amour) gestellte Frage, » si l'amour était possible dans le mariage?« in Form eines feierlichen Urtheilsspruches (arrêt d'amour) mit Nein! antwortete und daß noch in unseren Tagen ein Mann wie Guizot es für nöthig hielt, ein Buch zu schreiben eigens zu dem Zwecke, in Form der Biographie einer englischen Ehefrau (Lady Russel) seine Landsleute darauf aufmerksam zu machen, » que l'amour est possible dans le mariage.«

Das Vorstehende läßt sich ohne Zwang auf unseren Dichter anwenden. Der »schöne Wahn«, die Schwärmerei, die Leidenschaft hatten auch ihn besessen. Seine Jugend war stürmisch gewesen und so, wie sie war, hatte sie nicht ohne Ueberspanntheit, Ueberstürzung und Irrthum sein können. Er hatte gehofft und geträumt, geliebt und geliebelt, Luftschlösser gebaut und in glücklichen Stunden, die freilich selten genug waren, den Schaum des Brausekelchs der Freude gekostet. Aber er hatte auch entbehrt und entsagt, hatte mit Noth und Sorge gerungen, hatte die glänzendsten Träume frühzeitig erblassen gesehen. Es ist ein abenteuerliches Element in seinem Jugendleben, die ganze Poesie einer Armuth, welche den Kampf seines Genius gegen die äußeren und inneren Hemmnisse seiner Laufbahn zu einem doppelt glorreichen macht. Aber das romantische Interesse, welches Schiller der als Regimentsmedicus verpuppte jugendliche Titan, Schiller der geängstigte Flüchtling, Schiller der unstäte Wanderer, Schiller der Geliebte der »Titanide«, Schiller der zwischen Line und Lotte gestellte Liebende erregte, erlischt zugleich mit dem Lichte der stillen Hochzeitsfackel von Wenigenjena. Seine Heirat markirt einen ganz bestimmten Wendepunkt, nicht nur in seinem äußeren Gehaben, sondern auch in seinem Herzensleben. Die Leidenschaft floh, die Liebe blieb. Er hatte in Lotte eine Frau gefunden, wie er sie gewollt. Zur Geliebten hat er fortan nur noch die Muse gehabt. Ihr galten die heißesten Schläge seiner Pulse, die höchsten Entzückungen seiner Seele. Man erstaunt, in den Beziehungen zu seiner Schwägerin Karoline keinen Anklang an seine frühere Doppelliebe zu finden, sondern nur eine brüderliche Freundschaft, die keineswegs eine blinde war Dies zeigt auch die völlig unbefangene Art, womit Schiller seine Schwägerin als Schriftstellerin beurtheilte. Als Göthe in einem Schreiben vom 3. Februar 1798 den Einfluß Schiller's auf die Entstehung und Form des Romans »Agnes von Lilien« sehr hoch anschlug, wies Schiller diese Ansicht zurück und sagte, das Buch sei durchaus das eigene Werk Karoline's. Dann fügte er bei: »Es ist wirklich nicht wenig, bei so wenig solider Kultur und bloß vermittelst eines fast leidenden Aufsichwirkenlassens und einer mehr hinträumenden als hellbesonnenen Existenz doch so weit zu gelangen, als sie wirklich gelangt ist.« (Briefwechsel zw. Schiller und Göthe, 2. Ausg. II, 34.) Ich meine, der Dichter sei hier seiner Schwägerin als Frau nicht einmal gerecht geworden; denn gerade in ihrem Verhältniß zu ihm hat sie sich allerdings »hellbesonnen« gezeigt.. Oder vielmehr, man braucht darüber nicht zu erstaunen. Denn auch abgesehen davon, daß Lotte dem Dichter Alles gewesen, was eine Frau ihm sein konnte, war für einen Mann, dessen ganzes Sinnen und Schaffen darauf ging, den kategorischen Imperativ der Pflicht in natürliches Gefühl zu verwandeln und die Sittlichkeit zur Schönheit zu verklären, eine reine und edle Lebensführung selbstverständlich. Es fehlt auch nicht an deutlichen Spuren, daß er in der Vollreife seiner Männlichkeit den strengsittlichen Maßstab, welchem er sich unterwarf, auch an Andere zu legen geneigt war. So wissen wir, daß ihm Göthe's häusliche Verhältnisse zuwider waren, und es kennzeichnet das Wahrheitsgefühl seiner Seele, daß er, während Göthe im Briefwechsel mit ihm selten vergißt, die »liebe Frau« (Lotte) grüßen zu lassen, seinerseits nie auch nur mit einer Sylbe der Christiane Vulpius gedenkt Unterm 21. Oktober 1800 schrieb Schiller an Körner: »Im Ganzen bringt Göthe jetzt zu wenig hervor, so reich er noch immer an Erfindung und Ausführung ist. Sein Gemüth ist nicht ruhig genug, weil ihm seine elenden häuslichen Verhältnisse, die er zu schwach ist zu ändern, viel Verdruß erregen.« …

Ja, die Romantik von Schiller's Lebensgeschichte geht mit dem Jahr 1789 zu Ende, es wäre denn, daß man in dem bald zu berührenden schwäbischen Heimweh, welches ihn die Heimat wieder zu sehen drängte, noch einen romantischen Zug erkennen wollte. Je reicher und glanzvoller sein inneres Leben sich entfaltete, um so weniger Ungewöhnliches und Wechselndes bot sein äußeres. Er lebte das bescheidene, sorgenvolle Dasein eines deutschen Schriftstellers, welches mit Würde zu führen er ein so leuchtendes Beispiel gegeben hat. Die ganze Energie seines Willens an die Erfüllung seiner Mission setzend, flüchtete er »aus der Sinne Schranken in die Freiheit der Gedanken,« aus dem Wirrsal und Getöse der widerstreitenden Interessen seiner Zeit »in die heitern Regionen, wo die reinen Formen wohnen.« Er war würdig, »in des Ideales Reich« zu herrschen; denn wie ihn die gemeinen Sorgen des Lebens nicht zu irren vermochten, so durften ihm selbstische Wünsche, Grillen und Begierden nicht mehr nahen. Sein Herz blieb sanft, wie auch sein Blick es blieb; aber seine Haltung wurde selbstbewußter, in sich gefaßter, auf Unberufene mehr abweisend als anziehend wirkend. So konnte er selbst einem Manne wie Jean Paul bei der ersten Begegnung »felsigt, hartkräftig, voll Edelsteine, voll scharfer schneidender Kräfte, aber ohne Liebe« erscheinen. Ohne Liebe? Es ist wahr, in einer bittern Stunde hat er sich den Seufzer entwischen lassen, daß gerade des besseren Menschen Herz in dem Weltgedränge allmälig der Liebe sich verschließe Der bess're Mensch tritt in die Welt
Mit fröhlichem Vertrauen:
Er glaubt, was ihm die Seele schwellt,
Auch außer sich zu schauen,
Und weiht, von edlem Eifer warm,
Der Wahrheit seinen treuen Arm.
Doch Alles ist so klein, so eng:
Hat er es erst erfahren,
Da sucht er in dem Weltgedräng
Sich selbst nur zu bewahren;
Das Herz, in kalter stolzer Ruh',
Schließt endlich sich der Liebe zu.
(Sämmtl. Werke, I, 407.)
; aber daneben zeugt ja jede Seite seiner reiferen Werke von einem unendlichen Wohlwollen, welches nicht mit wilden Ahrimansflammen, sondern mit mildem Ormuzdlicht die Welt von allem Unschönen und Verwerflichen reinigen will. Die Leidenschaft floh, die Liebe blieb. Einer leidenschaftlichen Neigung, wie sie Göthe noch als Vierundsiebziger für die schöne Ulrike von Levezow empfand und in der »Elegie von Marienbad« ausströmte, wäre Schiller schon als Vierziger nicht mehr fähig gewesen; aber nur die innigste Liebe konnte ein Gedicht wie »die Würde der Frauen« dictiren.

Es dürfte nicht unpassend sein, hier, am Eingang der Mannes- und Meisterjahre des Dichters, seine äußere Erscheinung uns wieder einmal zu vergegenwärtigen. Sein Jugendfreund Scharffenstein hat uns früher das Portrait Schiller's des Jünglings entworfen, seine Schwägerin Karoline mag uns das Bild Schiller's des Mannes zeichnen. »Schiller's große, in richtigem Verhältniß gebaute Gestalt, Etwas von militärischer Haltung, was ihm aus der Akademie geblieben war, dazu die Freiheit des Geistes und das in ihm immer lebendige Gefühl des Idealen, das ihn über alles Kleinliche und Gemeine erhob und sich im Aeußeren ausdrückte, gab seiner Erscheinung etwas Edles. Der wohlgerundete Kopf ruhte auf einem schlanken, etwas starken Halse, die hohe und weite Stirne trug das Gepräge des Genius; zwischen breiten Schultern wölbte sich die Brust; der Leib war schmal und Füße und Arme standen zu dem Ganzen in gutem Verhältniß. Seine Hände waren mehr stark als schön und ihr Spiel mehr energisch als graziös. Die Farbe seiner Augen war unentschieden, zwischen Blau und Lichtbraun. Der Blick unter dem hervorstehenden Stirnknochen und den blonden, ziemlich starken Augenbrauen warf, nur selten und im Gespräch belebt, Lichtfunken; sonst schien er, in ruhigem Schauen, mehr in das eigene Innere gekehrt als auf die äußeren Gegenstände gerichtet; doch drang er, wenn er auf Andere fiel, tief ins Herz. Von seiner etwas gebogenen und ziemlich großen Nase sagte er im Scherz, daß er sie sich selbst gemacht; sie sei von Natur kurz gewesen, aber in der Akademie habe er so lange daran gezogen, bis sie eine Spitze bekommen; es war wirklich ein etwas unsanfter Uebergang daran sichtbar. Sein Haar war lang und fein und fiel ins Röthliche. Die Hautfarbe weiß, das Roth der Wangen zart. Er erröthete leicht. Das Kinn hatte eine angenehme Form und trat etwas hervor. Die Unterlippe, stärker als die obere, zeigte besonders das Spiel seiner momentanen Empfindung. Sein Lächeln war sehr anmuthig, wenn es ganz aus der Seele kam, und in seinem lauten Lachen, das sich verbergen zu wollen schien, lag etwas rein Kindliches. Seine Stimme war nicht hell noch vollklingend, doch ergriff sie, wenn er selbst gerührt war oder überzeugen wollte. Etwas vom schwäbischen Dialekt hat er immer beibehalten. Sein Gang hatte gewöhnlich etwas Nachlässiges, aber bei innerer Bewegung wurde der Schritt fester. Aller Cynismus in Kleidung und Umgebung war ihm, seit er auf sich zu achten anfing, zuwider; die Kleider einfach aber gewählt; besonders hielt er viel auf feine Wäsche. Sein Schreibtisch mußte wohlgeordnet sein. Er liebte sehr Blumen um sich, Lilien hatte er vor allen gern; Lila war seine Lieblingsfarbe« Karol, v. Wolzogen, Sch. L. II, 290 fg..

Indem Schiller, häuslich eingerichtet, sich anschickte, seine Arbeiten wieder aufzunehmen, hatte er neben den Forderungen seines Genius auch die des Bedarfes zu berücksichtigen. Zudem waren jene zu dieser Zeit noch keine so entschiedenen, daß sie ohne alles Schwanken auf ein großes Ziel sich gerichtet hätten. Im Gegentheil sehen wir noch bis zum Jahre 1794 unseren Dichter seine Kraft in Studien und Anläufen zersplittern oder auch auf eine literarische Thätigkeit verwenden, wie eben der »Bedarf« sie heischte. So schrieb er die historischen Abhandlungen »die Sendung Moses«, »die Gesetzgebung des Lykurg und Solon«, »Völkerwanderung, Kreuzzüge und Mittelalter«, »Uebersicht des Zustandes von Europa zur Zeit des ersten Kreuzzugs«, »Uebersicht der merkwürdigsten Staatsbegebenheiten zu den Zeiten Kaiser Friedrich's I.«, »Geschichte der Unruhen, welche der Regierung Heinrich's IV. vorangingen.« Die vier letztern dieser Aufsätze dienten als Einleitungen und verbindende Mittelglieder der »Sammlung historischer Memoiren«, welche Schiller 1790 in deutscher Uebersetzung herauszugeben anfing, die er dann in Verbindung mit Woltmann und Anderen fortsetzte und die erst 1806 mit dem dreiunddreißigsten Bande aufhörte, nachdem sich Schiller längst von dem Unternehmen zurückgezogen hatte Dessenungeachtet lief die Sammlung unter seinem Namen fort, was einen halb komischen, halb widrigen Eindruck auf ihn machte. Unterm 12. Februar 1796 schrieb er an Göthe: »Ich habe vorige Messe ein Buch herausgegeben, das ich gestern angefangen habe zu lesen. Es ist ein neuer Theil der Mémoires, Brantome's Charakteristiken enthaltend, die manchmal recht naiv sind. Diese Sammlung läuft noch immer unter meinem Namen, obgleich ich mich öffentlich davon losgesagt. Dies gehört auch zu den Germanismen.«. Der Bedarf war es auch, welcher ihn, nachdem seine von Wieland's Merkur gehegten Erwartungen nicht erfüllt worden, darauf denken ließ, die Thalia wieder mehr in Schwung zu bringen Briefw. Sch. m. K. II, 179.. So wurde, nachdem die Rheinische Thalia 1790 eingegangen, 1792 die »Neue Thalia« eröffnet und zwar mit keinem geringen Zeugniß poetischer Uebersetzungskunst, mit den deutschen Stanzen, in welche unser Dichter das zweite und vierte Buch von Virgil's Aeneis übertragen hatte, zunächst, um seiner Frau und Schwägerin eine Vorstellung von Virgil'scher Dichtung zu geben Briefw. Reinhold's mit Baggesen, I, 190.. Sonst enthielt die Neue Thalia keinen poetischen Beitrag; sie wurde vielmehr ein bequemes Vehikel der historischen und philosophischen Uebungen, durch welche sich Schiller auf seine poetischen Hauptthaten vorbereitete. Zunächst nahm vor allem Uebrigen seine »Geschichte des dreißigjährigen Kriegs« Zeit und Thätigkeit in Anspruch. Sie erschien, durch die Erkrankungen des Verfassers mehrfach unterbrochen, in den Jahrgängen 1791-93 des von Göschen verlegten historischen Damen-Kalenders, – ein Umstand, der schon andeutet, daß es dabei nicht auf ein gelehrtes Fachwerk abgesehen war. Was schon früher über Schiller's Verhältniß zur Historie und Historik gesagt worden, gilt auch von seiner Darstellung des dreißigjährigen Krieges. Das kritisch-historische Moment tritt vor dem künstlerischen zurück. Ein tiefer gehendes Quellenstudium hätte dem Verfasser hinsichtlich des Causalzusammenhanges der Ereignisse jener schrecklichen Zeit, wo unter dem Vorwande: Bibel oder Papst? die gewaltigsten wie die gemeinsten Leidenschaften auf deutschem Boden dreißig Jahre hindurch sich austobten, gewiß Manches in anderem Licht erscheinen lassen. So z. B. die Stellung Gustav Adolf's, den er allerdings nicht als den gutmüthigen Schwärmer und selbstsuchtslosen »Glaubensretter« faßt, als welcher der Schwedenkönig noch immer in bornirt lutherischen Compendien spukt, dessen leitender Gedanke aber, hinter dem plausiblen Aushängeschild protestantischer Sympathieen ein möglichst großes Stück von Deutschland zu erobern, auch bei Schiller lange nicht klar und bestimmt genug hervortritt. Im Uebrigen hat unser Dichter mit richtigem Instinkt erkannt, daß sich jener furchtbare Kampf weit mehr um die Politik als um die Religion drehte. Aber es fragt sich doch sehr, ob seine Auffassung des dreißigjährigen Kriegs als eines politischen Befreiungskriegs von protestantischer Seite eine berechtigte gewesen. Man weiß ja, welcher Art die Politik war, zu welcher das Lutherthum die dogmatische Unterlage hergab. Schiller hat, scheint mir, seinem idealen Freiheitsprinzip bedeutend viel vergeben, indem er der sogenannten, von protestantischer Seite so scharf betonten »Reichsfreiheit« die Ehre anthat, sie für mehr zu halten als die unselige Lüge, welche sie war. Aus dieser freilich durch die Abwendung der Kaiserdynastie von deutschen Interessen mitverschuldeten Reichsfreiheit, d. h. Reichsanarchie ist, wie Jedermann weiß, die Zersplitterung des Reiches und aus dieser die absolute Herrscherwillkür der Landesfürsten hervorgegangen. Man erkennt auch unschwer, daß der Dichter seiner einmal gefaßten Ansicht von der Reichsfreiheit nicht ganz traute und sich einigen Zwang anthun mußte, dieselbe durchzuführen. Das ganze Buch ist daher nicht, – wie die Geschichte der niederländischen Rebellion es war – ein Werk der Begeisterung, sondern vielmehr des Verstandes. Der historische Kunststyl Schiller's hat dabei unstreitig gewonnen: die Schilderungen sind von hoher Anschaulichkeit, die Portraitirung ist meisterhaft, in gleichmäßiger Ruhe und Würde, nur bei dringend gebietenden Veranlassungen höher gefärbt und bilderreich, geht die Darstellung einher. Deutlich sieht man, wie den Dichter vor Allem das dramatische Interesse anzog, welches dieser beispiellose Kriegstumult allerdings in ungewöhnlichem Grade darbot. Denn nachdem die zwei vorragendsten Gestalten des ungeheuren Drama's, welches für Deutschland ein bis auf den heutigen Tag so schmerzlich nachwirkendes Trauerspiel war, nachdem Gustav Adolf und Wallenstein von der Bühne abgetreten, erlahmte Schiller's Theilnahme für seinen Gegenstand so sehr, daß er die weiteren Begebenheiten bis zum westphälischen Frieden nur noch ganz summarisch erzählte. Aber mochte er auch möglichst rasch zum Abschluß seines Geschichtswerks eilen, von der Zeit, welche dasselbe behandelte, hatte er einen so tiefen Eindruck empfangen, daß er zu ihr zurückkehrte, als er dazu vorschritt, sein größtes Dichterwerk zu schaffen. Mit der Geschichte des dreißigjährigen Kriegs beendigte er seine Laufbahn als Historiker, denn die später (1797) als Lückenbüßer für die Horen nach einer französischen Quelle gearbeiteten »Denkwürdigkeiten aus dem Leben des Marschalls von Vieilleville« können auf den Werth eines selbstständigen Werkes keinen Anspruch machen und die Idee, einen deutschen Plutarch zu schreiben, womit sich Schiller längere Zeit getragen hat, ist nie zur Ausführung gekommen Briefw. Sch. m. K. II, 213..

Neben den Arbeiten des Dichters schritt im ersten Jahre seiner Ehe auch sein Leben rüstig und heiter fort. In den Osterferien von 1790 führte der Herr Professor seine junge Frau nach Rudolstadt, wo er »in der schönen Reminiscenz der vorigen Zeiten« mit ihr »gar angenehme Tage« verlebte und sich auch die »trefflichen Torten und Pasteten« behagen ließ, welche die Verwandten den Gästen auftischten. Wieder nach Jena zurückgekehrt, gab er in Briefen an Körner vom 16. Mai und 18. Juni seiner Zufriedenheit Ausdruck, indem er schrieb: »Es lebt sich doch ganz anders an der Seite einer lieben Frau als so verlassen und allein, auch im Sommer. Jetzt erst genieße ich die schöne Natur ganz und mich in ihr. Es kleidet sich wieder um mich herum in dichterische Gestalten und oft regt sich's wieder in meiner Brust … Ich wundere mich selbst über den Muth, den ich bei meinen drückenden Arbeiten beibehalte, eine Wohlthat, die ich nur meiner schönen häuslichen Existenz verdanke. Ich bin täglich vierzehn Stunden, lesend oder schreibend, in Arbeit und dennoch geht's so leidlich wie sonst nie.« Am 14. Mai eröffnete er seine Vorlesungen für den Sommer und zwar las er ein Privatum über Universalgeschichte und ein Publicum über die tragische Poesie. Zur Vorbereitung für letzteres hatte er des Aristoteles Poetik durchgearbeitet, welche ihn »wahrhaft stärkte und erleichterte.« Als bleibendes Resultat dieser akademischen Thätigkeit gewann er die beiden ästhetischen Abhandlungen »Ueber den Grund des Vergnügens an tragischen Gegenständen« und »Ueber die tragische Kunst.« Gar gemüthlich hört es sich an, wenn wir erfahren, wie die Frau Professorin dem Herrn Gemahl die Last seines Amtes erleichterte. »Lottchen – meldete der Dichter am 15. Mai an Karoline – hat gestern zwei Stunden im Cabinet neben meinem Auditorium zugebracht und mich lesen gehört und mir Thee gemacht. Sie hat sich erst vor den Studenten gefürchtet, jetzt aber hat sie Herz.«

Die geselligen Verhältnisse von Jena waren angenehm, ungenirt und munter. Im Griesbach'schen und Paulus'schen Hause fand Lotte freundliche Aufnahme, Reinhold's Frau wurde ihre Freundin. Die gelehrten Herren machten mit ihren Damen häufige Ausflüge in die freundliche Umgegend und auch daheim fehlte es nicht an Kurzweil. Eine gewisse Unbekümmertheit und Leichtlebigkeit kennzeichnete damals das Dasein der gebildeten Kreise und man verstand und befolgte noch das weise » Carpe diem!« des römischen Schäckers. Schiller fand neben allen seinen Arbeiten noch Zeit zum Billard- und Tarokspiel, ja sogar die Uebungen im Kegelschieben, welchen er vor Zeiten im Garten der Kraftgeniesherberge zum Ochsen in Stuttgart obgelegen, nahm er jetzt dann und wann wieder auf. An seinem Mittagstisch, welchen die »Hausjungfern« besorgten, nahmen zwei Landsleute theil, der Privatdozent Niethammer und der Hofmeister Göritz, ferner der Professor Fischenich und Fritz von Stein, der Sohn Charlotte's. In dieser Tischgesellschaft, zu welcher noch Lotte und häufig auch Karoline gehörte, war nicht allein der sokratische Ernst, sondern auch der aristophanische Scherz heimisch. Man verfiel da auf allerlei Possen, wie z. B. auf die von unserem Dichter angegebene, daß die Tischgenossen eine Art Uniform, blauen Frack mit himmelblauem Futter und silbernen Knöpfen tragen sollten und wirklich trugen. Göritz, der uns dieses erzählt, weiß auch von einem Bankett zu melden, wobei die gute Laune bis zu einem allgemeinen, die Damen keineswegs ausschließenden Studentensmollis fortgegangen sei. Glaublicher als dieses Abenteuer, welches Karoline ausdrücklich zu desavouiren sich veranlaßt sah In einem vom 5. Januar 1840 datirten Brief an G. Schwab. S. dessen L. Sch. 440., ist das harmlosere, daß Schiller eines Abends auf der Kegelbahn eine Gesellschaft aus dem Stegreif zum Abendessen bei sich eingeladen habe und wie dann dieses improvisirte Souper, behufs dessen geschwind ein paar ungleiche Tische zusammengerückt und eine Schüssel mit etwas Braten und eine andere mit Salat beschafft wurden, in idyllischer Heiterkeit vor sich gegangen sei. Ja, sie wußten zu leben und sich zu freuen, die Menschen von damals. Drüben in Weimar, wie hüben in Jena. So erzählt uns der wackere Voß von einem bei seiner Anwesenheit in Weimar im Juni 1794 im Hause Herder's stattgehabten Symposion, welchem Wieland, Göthe, Knebel und Böttiger anwohnten: – »Wir wurden ausgelassen lustig. Die Erzväter der Bibel wurden recensirt mit unauslöschlichem Lachen, indem Herder komisch ihre Vertheidigung übernahm. Dabei wurde rechtschaffen gezecht, Steinwein und Punsch. Göthe saß neben mir; er war so aufgeräumt, wie man ihn selten sehen soll« Briefe von J. H. Voß, II, 387.. Zur Abwechslung strich auch wohl mitunter eine Wolke an dem Himmel des häuslichen Glückes unseres Dichters hin, aufgestiegen aus der Region hypochondrischer Grillen, welche leider in keinem Gelehrtendasein fehlt, und von Lotte mit sanfter Hand bei Seite geschoben Göritz (a. a. O.) erzählt einen hübschen Zug von Lotte's Sanftmuth. »Sie tanzte nicht, war aber einmal mit einigen ihrer Freundinnen auf einem Balle im akademischen Hause in Jena. Es konnten Jahre vergehen, ehe sich Etwas der Art wiederholte. Gros und ich hatten uns Abends nach Tische mit Schiller in seinem Hause zum Spiele gesetzt und spielten fort, bis sie kam. Es war Morgens um drei Uhr. Ich vergesse die Kälte und den mißbilligenden Ton, mit dem er sie empfing, in meinem Leben nicht. Sie hätte mit großem Rechte antworten können: Und du, dessen Gesundheit so sehr geschwächt ist, spielst die ganze Nacht fort? Aber sie nahm den Verweis über ihr spätes Nachhausekommen sehr sanft auf, und als ihre freundlichen Entschuldigungen Nichts halfen, schwieg sie ganz.« – oder unterbrach ein burschikoser Tumult die akademische Stille. Ein sonst ganz solider Student war auf Betreiben des Prorectors Ulrich relegirt worden, weil er, in der Weinlaune an dem vor dem Posthause haltenden Reisewagen eines durchreisenden gräflichen Paares vorbeigehend, die schöne junge Dame mit studentischer Naivetät um einen Kuß gebeten hatte. Obgleich der Herr Gemahl und wahrscheinlich auch die Dame über diesen galanten Einfall nur lachten, war der pedantische Prorector mit äußerster Strenge gegen den armen Kußlustigen vorgefahren und hatte dadurch die Wuth der Commilitonen desselben gereizt. Bei erster bester Gelegenheit brach diese Wuth in einen jener Tumulte aus, um welcher willen Jena früher berüchtigt gewesen. Ulrich's Haus wurde erstürmt und verwüstet und in Schiller's Studirzimmer wurden die Fenster eingeworfen, weil er den durch die Gassen tobenden Ruf: Lichter aus! nicht beachtet hatte. Am andern Morgen erschien dann freilich – zum Beweis, wie sehr der Dichter bei der Studentenschaft in Achtung stand – eine Deputation, welche ihn im Namen sämmtlicher Landsmannschaften dieses »Versehens« wegen um Verzeihung bat. Als dann Executionstruppen von Weimar einrückten, zogen die Studenten in Masse aus und nach Erfurt hinüber. Darüber wurde es nun begreiflicher Weise Professoren und Philistern nicht wenig »graulich«, und als die Ausgezogenen unter Zusicherung einer Amnestie zur Rückkehr eingeladen wurden, beschlossen Senat und Bürgerschaft eine feierliche Einholung der Rückkehrenden, wogegen sich Schiller als gegen etwas der Würde des akademischen Lehramts Unangemessenes unverholen ausgesprochen haben soll.

Das Jahr 1790 war für unseren Dichter auch nicht arm an interessanten neuen Bekanntschaften. Friedrich von Hardenberg, berühmt unter dem Dichternamen Novalis, der genialste der Romantiker, damals Student in Jena, suchte eine freundlich gewährte Annäherung, welche vertraulich wurde und es blieb, bis der junge Mann in die Schlegel'schen Kreise hinübergezogen ward, wo dann freilich die Beziehung zu Schiller sich lösen mußte. Reinhold führte dem Dichter einen begeisterten Verehrer zu, den dänischen Poeten Jens Baggesen, der mit seiner jungen Frau aus den schweizerischen Alpen kam. Baggesen war ein so gutmüthiger Enthusiast, als nur immer das achtzehnte Jahrhundert einen hervorgebracht hat. Daneben besaß er ein ganz hübsches poetisches Talent und jetzt noch sind die Schilderungen unübertroffen, welche er in seiner »Parthenais« in deutschen Hexametern – damals herrschte in Dänemark überhaupt das deutsche Element – von der Größe und Lieblichkeit der Alpennatur entwarf. Er verweilte mehrere Tage in Jena und Weimar und, nach Kopenhagen zurückgekehrt, konnte er nicht satt werden, seinen Gönnern und Freunden, dem Erbprinzen Christian Friedrich von Holstein-Augustenburg und dem Minister Grafen Ernst von Schimmelmann, sowie der Herzogin und der Gräfin, von Schiller zu sprechen und die Kenntniß und Schätzung von dessen Werken in diesem Kreise einheimisch zu machen, – eine Bemühung, deren Folgen sich dem Dichter bald höchst wohlthätig kundgeben sollten. Aeltere Bekanntschaften wurden anhänglich gepflegt: so die mit dem Coadjutor in Erfurt, von welchem sich Schiller im Herbst hinsichtlich seiner Zweifel, ob er bei der Geschichtschreibung bleiben oder aber zur Poesie zurückkehren sollte, Rath und Entscheidung erbat. Dalberg schrieb zuerst ausweichend, daß er nicht zu bestimmen wage, was Schiller's »allumfassender, allbelebender Genius« unternehmen sollte, sondern daß er nur wünsche, »mit Riesenkräften ausgerüstete Geister möchten sich selber fragen, wie sie der Menschheit am nützlichsten sein könnten;« auf eine wiederholte Anfrage jedoch gestand der Prälat, zu wünschen, daß unser Dichter »in ganzer Fülle dasjenige leiste, was nur er leisten kann, und das ist Drama.« Das war nicht vergeblich gesprochen, um so mehr, da es mit Schiller's innigster Neigung zusammenstimmte. Er mochte um jene Zeit auch des Aristoteles Ausspruch: »Die Tragödie ist gedankentiefer und erhabener als die Geschichte« – gelesen und beherzigt haben. Genug, gegen Ende des Jahres finden wir ihn mit tragischen Entwürfen beschäftigt, unter welchen der Wallenstein gewissermaßen eine dämonische Anziehungskraft auf den Dichter zu üben begann, ohne jedoch jetzt schon bestimmtere Umrisse zu gewinnen. Das Sommersemester war inzwischen zu Ende gegangen und Schiller ging mit Lotte in den Herbstferien nach Rudolstadt, wo er »zwölf Tage mit Essen, Trinken und Schachspielen oder Blindekuhspielen verbrachte,« wie er am 1. November an Körner schrieb, nachdem er, heimgekehrt, am 22. Oktober seine Vorlesungen fürs Wintersemester begonnen hatte. Im nämlichen Briefe meldet er dem Freunde auch eine freundliche Wiederbegegnung mit Göthe, welcher kurz zuvor in Dresden gewesen war und an Körner Gefallen gefunden hatte. Bekanntlich flüchtete sich Göthe aus dem Weimarer Hof- und Geschäftsleben von Zeit zu Zeit immer gern in das »liebe närrische Nest«, wie er Jena nannte, um hier Mensch, Poet, Er selbst zu sein. In seinem stillen Asyl im Jenaer Schloß und mehr noch in seiner auf die rauschende Saale niederblickenden Erkerstube im Wirthshaus »zur Tanne« an der nach Kamsdorf führenden Brücke hat er schönste Dichterstunden gelebt. Lotte meinte noch 1798 gegen Charlotte von Stein, Göthe sei in Jena »ganz anders« als in Weimar. »Es ist recht eigen – schrieb sie – welchen Eindruck der Ort auf ihn macht. In Weimar ist er gleich steif und zurückgezogen; hätte ich ihn nicht hier kennen gelernt, so wäre mir viel von ihm entgangen und gar nicht klar geworden.« Was Schiller angeht, so kam er Göthen nicht viel näher, als ihn dieser in den letzten Oktobertagen von 1790 besuchte. »Göthe – schrieb er an Körner – hat uns viel von dir erzählt und rühmt gar sehr deine persönliche Bekanntschaft. Er war gestern bei uns und das Gespräch kam bald auf Kant. Interessant ist's, wie er Alles in seine eigene Art und Manier kleidet und überraschend zurückgibt, was er las; aber ich möchte doch nicht gern über Dinge, die mich sehr nahe interessiren, mit ihm streiten. Es fehlt ihm ganz an der herzlichen Art, sich zu irgend Etwas zu bekennen. Ihm ist die ganze Philosophie subjectivisch und da hört denn Ueberzeugung und Streit zugleich auf. Seine Philosophie mag ich auch nicht ganz: sie holt zu viel aus der Sinnenwelt, wo ich aus der Seele hole. Ueberhaupt ist seine Vorstellungsart zu sinnlich und betastet mir zu viel In diesen zwei merkwürdigen Sätzen ist, scheint mir, der Unterschied zwischen Göthe und Schiller prägnanter angegeben als in manchem darüber geschriebenen dicken Buch.. Aber sein Geist wirkt und forscht nach allen Directionen und strebt, sich ein Ganzes zu erbauen, und das macht mir ihn zum großen Mann.«

siehe Bildunterschrift

24. Portrait: Kant. Originalzeichnung von A. Neumann.
Geschnitten von W. Aarland

Also um Kant drehte sich das Gespräch der Beiden? Aber wo auch hätten damals in Deutschland zwei Männer von Bildung zusammenkommen können, ohne von Kant zu reden? In Wahrheit, es ist eine der wundersamsten Parallelen, welche die Weltgeschichte aufzeigt, daß, während jenseits des Rheins die Revolutionstragödie in Szene zu gehen begann, dahinten in Königsberg, in der Studirstube des friedsamsten aller Professoren die kühnste Gedankenrevolution wissenschaftlich durchgeführt wurde. Ein dürres, unansehnliches Männchen, in seinem Gebahren behutsam bis zur Aengstlichkeit, in seinen Lebensgewohnheiten regelmäßig bis zur Monotonie einer Uhr, wohlfrisirt, wohlbezopft, in ein stillstes Forscherleben so eingesponnen, daß es so zu sagen nie einen Schritt über das Weichbild seiner Vaterstadt hinausthat, – dieses Männchen ließ Gedanken in die Welt ausgehen, welche den Himmel stürmten und, zum System des »kritischen Idealismus« organisirt, die theologische Weltanschauung geradezu umkehrten, indem sie unsere Welt zum Zwecke machten und Gott nur noch als eine Hypothese zur Lösung ihrer Widersprüche herbeizogen, als ein Postulat der praktischen Vernunft, als ein Etwas, dessen Dasein auf theoretischem Wege zu erweisen unmöglich sei. Die Wirksamkeit von Immanuel Kant begann erst in seinen alten Tagen mit Herausgabe seiner drei Hauptwerke: Kritik der reinen Vernunft (1781), Kritik der praktischen Vernunft (1785) und Kritik der Urtheilskraft (1787). Seine Lehre bedurfte ihrer abstrusen Form wegen der Dolmetschung, wie begeisterte Jünger, unter denen Reinhold vorragte, sie unternahmen, aber ihrer Verbreitung vermochte die ganze Brutalität der Reaction gegen die Aufklärung, welche unter Friedrich's des Großen Nachfolger von Berlin aus durch die Bischofswerder, Wöllner und Consorten ins Werk gesetzt wurde, keinen Einhalt zu thun. Wundersame Zeit, wo die Sehnsucht nach Erlösung von Wahn und Unfreiheit so allgemein war, daß selbst greise Dorfpastoren gegen das Wöllner'sche Gemaßregel der Aufklärungstendenzen in die Schranken zu treten sich gedrungen fühlten Voß bezeugt, daß er 1794 in Halle und anderwärts die entschiedensten Demonstrationen gegen den Wöllner'schen Obscurantismus mitangesehen, und erzählt (Briefw. II, 392) bei dieser Gelegenheit: – »Ein alter Landprediger, zu welchem Gleim mich führte, saß eben an seinem Schreibtisch und vermehrte des Dorfes Chronik mit einem Aufsatz über die thörichten Verdunkler, um ihn dem ausgebesserten Thurmknopfe zu vertrauen.«. Durch Hume's Untersuchung über den Begriff von Ursache und Wirkung zu seiner Kritik des Erkenntnißvermögens angeregt, deren Resultat er den transcendentalen Idealismus nannte, hat Kant die philosophische Arbeit ganz von Neuem begonnen und das Reich des Wissens neu construirt, mit gänzlicher Beiseitestellung des Materials des Offenbarungsglaubens. Die letzten Gründe unseres Erkennens einer voraussetzungslosen Kritik unterwerfend, fand er, daß nicht das Wahrnehmen die Quelle des Allgemeinen und Nothwendigen sei, sondern vielmehr die menschliche Ichheit (Subjectivität), das selbstbewußte Ich. Zu den subjectiven Denkformen gehört unter andern auch das Verhältniß von Ursache und Wirkung. Jede Erkenntniß besteht aus Erfahrungsstoff und darauf angewandter Denkform, es gibt also keine aus bloßem Denken gewonnene Erkenntniß und demnach gehört insbesondere die Erkenntniß des Uebersinnlichen ins Gebiet der Unmöglichkeit und ist es nur ein Umhertappen im Dunkeln, wenn wir uns aus der Erscheinungswelt ins Uebersinnliche versteigen: mithin sind unsere Vorstellungen von einer übersinnlichen Welt leere Hirngespinnste, willkürliche Behauptungen über Dinge, von denen sich ebenso gut die Nichtexistenz als die Existenz, in Summa Nichts beweisen läßt. An dieser Theorie der reinen Vernunft findet aber die praktische Vernunft kein Genügen. Die letztere geht auf die Bestimmung des freien Willens des Menschen zum Handeln. Des Willens Aufgabe ist die Verwirklichung des höchsten Sittengesetzes: Handle jeder Zeit nach Maximen, welche fähig sind, allgemeine Gesetze zu werden! und die allgemeine Verbindlichkeit dieses Sittengesetzes äußert sich als kategorischer Imperativ, d. h. als innere Nöthigung zum Guten in der Form des befehlenden Sollens. Unterwerfen wir unsere selbstsüchtigen Neigungen der durch den kategorischen Imperativ befohlenen, um ihrer selbst willen zu übenden Pflicht, so haben wir Tugend. Die Verbindung der Tugend mit der Glückseligkeit macht das höchste Gut aus, das letzte Ziel des Willens, dessen Realisirung einerseits das Dasein Gottes, andererseits die Unsterblichkeit der Seele voraussetzt. Um also der Tugend ein entsprechendes Aequivalent in Aussicht zu stellen, fand es Kant praktisch-vernünftig, das, was die reine Vernunft verneinen müsse, Gott und Unsterblichkeit, wieder zu setzen … Die Kant'sche Philosophie war die höchste wissenschaftliche Formulirung der Aufklärung des 18. Jahrhunderts und zugleich ist sie das Fundament der ganzen neueren Geisteskultur. Sie hat alle Disziplinen, das ganze Reich der Intelligenz mit neuem Leben durchdrungen, Alles umgestaltet oder wenigstens beeinflußt, Alles auf neue Grundlagen gestellt. Ueberwältigend, wie diese Erscheinung war, konnte es ihr dennoch an Gegnern nicht fehlen. Ein Herder polemisirte vom Standpunkt eines rationalistischen Christen aus gegen Kant, ein Jakobi vom Standpunkt einer Gefühlsseligkeit, welcher es vor den kühlen Aetherhöhen der reinen Vernunft graute und die nach Jakobi's eigener Aussage in einer »Unphilosophie« Befriedigung fand, welche im Nichtwissen ihr Wesen hat und der zufolge das an sich Wahre, Gute und Schöne uns ohne irgend eine Vermittlung durch Begriffe im Gefühl als unmittelbares Geistes- und Gottesbewußtsein geoffenbart wird.

Es konnte nicht zweifelhaft sein, auf welche Seite Schiller sich stellen würde, nachdem die philosophischen Probleme ihm einmal ernstlich nahegetreten. Denn bis jetzt hatte er sich gegen dieselben ziemlich gleichgültig verhalten und auch Körner's eifrige Beschäftigung mit Kant's Schriften hatte ihm keine Theilnahme abgewonnen. Als ihm der Freund im Mai 1790 meldete, daß ihm die »Kritik der Urtheilskraft« viel zu schaffen mache, schrieb er kühl zurück: »Viel Glück zu der neuen Kant'schen Lectüre. Hier in Jena höre ich sie bis zum Sattwerden preisen.« Diese Kühle sollte aber bald dem wärmsten Interesse Platz machen, als die Schriften des Königsberger Weisen der Trost seines Krankenbettes wurden. Denn, ach, wir haben die schmerzliche Pflicht zu erfüllen, schon hier zu sagen, daß Schiller's Lebensgeschichte vom Neujahr 1791 an eigentlich nur noch eine Krankengeschichte gewesen ist. In seinen Briefen an Körner hat er sie selbst geschrieben Sch. Briefw. mit K. II, 224, 230, 233, 238, 243; III, 93, 277, 301, 360; IV, 7, 53, 65, 73, 169, 225, 287, 369, 383, 392.. Man muß diese Leidensberichte lesen, wenn man in ihrem ganzen Umfange die beispiellose Energie des Willens kennen lernen will, welche einen hinfälligen, schmerzdurchwühlten Leib zwang, noch so lange im Dienste des Geistes auszuhalten. Die Passionsgeschichte unseres Dichters ist seine schönste Apotheose.

Nicht selten wiederholt sich die Laune der Natur, große Herzen und kräftige Geister in schwächliche, für jede Unbill des Klima's und der Witterung doppelt und dreifach empfängliche Körper einzuschließen. Wie unglücklich solche Existenzen sind, nur sie selber wissen es. Für sie birgt jede Wolke, die am Horizont aufsteigt, Schmerz in ihrem Schooße und der Wechsel der Jahreszeiten ist für sie nur ein Wechsel wehvoller Empfindungen. So ein Dasein, so ein Purgatorium hat Schiller von jetzt an gelebt. Nur auf flüchtige Stunden oder Tage, in günstigsten Fällen auf Wochen, ließen die Schmerzen von ihm ab. Sie zwangen ihn, aus dem Tage Nacht und aus der Nacht Tag zu machen, und sogen aus dieser Umkehr der Lebensordnung neue Nahrung. Bewunderungswürdig hat sich in dieser vierzehnjährigen Trübsal die Liebe Lotte's bewährt und es unterliegt keinem Zweifel, daß ohne die zärtliche Pflege seiner Frau der Dichter viel früher unterlegen wäre. Das Uebel fing in den ersten Tagen des Januar 1791 zu Erfurt an, wo Schiller mit seiner Frau dem Coadjutor einen Neujahrsbesuch abstattete. Einem Concert auf dem Stadthause anwohnend, zog er sich eine Erkältung zu – die Männer des Schreibtisches sind dafür, wie bekannt, ganz unglaublich empfänglich – und die Folge davon war ein heftiges Katarrhfieber. Scheinbar genesen, kehrte er am 11. Januar über Weimar nach Hause zurück und schrieb in heiterer Stimmung an Körner: »Man hat mir auf Veranstaltung des Coadjutors in Erfurt die Ehre angethan, mich zu einem Mitgliede der kurmainzischen Akademie nützlicher Wissenschaften aufzunehmen. Nützliche! Du siehst, daß ich es schon weit gebracht habe.« Aber kaum hatte er seine Vorlesungen wieder aufgenommen, so erfolgte ein Rückfall und das Fieber steigerte sich rasch zu einer lebensgefährlichen Brust- und Unterleibsentzündung, welche die Kunst und Sorgfalt des trefflichen Arztes Starke kaum zu bewältigen vermochte. Erst gegen Ende Februars konnte der »kümmerlich Genesende« wieder »am Stocke herumkriechen« und dem Freunde in Dresden schreiben: »Die Pflege war vortrefflich und es trug nicht wenig dazu bei, mir das Unangenehme der Krankheit zu erleichtern, wenn ich die Aufmerksamkeit und die thätige Theilnahme betrachtete, die von vielen meiner Zuhörer und hiesigen Freunden mir erwiesen wurde. Sie stritten sich darüber, wer bei mir wachen dürfte, und einige thaten dies dreimal in der Woche Karoline (Sch. L. II, 77) macht unter den Studenten, welche an Schiller's Krankenbette Nachtwache hielten und den Kranken mit zartester Anhänglichkeit pflegten, Novalis und den Lievländer Gustav von Adlerskron namhaft.. Der Antheil, den man sowohl hier als in Weimar an mir nahm, hat mich sehr gerührt. Nach den ersten zehn oder zwölf Tagen kam meine Schwägerin von Rudolstadt und ist noch hier, ein höchst nöthiger Beistand für meine Lotte, die mehr gelitten hat als ich. Auch meine Schwiegermutter besuchte mich auf acht Tage und diesem innigen Leben mit meiner Familie, dieser liebevollen Sorge für mich, den Bemühungen meiner Freunde, mich zu zerstreuen, danke ich größtentheils meine frühere Genesung. Zu meiner Stärkung schickte mir der Herzog ein halb Dutzend Bouteillen Madera.« Nachdem er so seinen Dankgefühlen Worte gegeben, redete er von Arbeitsplänen, die er sofort weiter verfolgen wollte, und am 3. März meldete er dem Freunde, daß er das Studium Kant's begonnen habe: – »Seine Kritik der Urtheilskraft reißt mich hin durch ihren neuen, lichtvollen, geistreichen Inhalt und hat mir das größte Verlangen beigebracht, mich nach und nach in seine Philosophie hineinzuarbeiten.« Die Osterferien verlebte er mit Lotte wieder in Rudolstadt, von wo er unterm 10. April an Körner schrieb, der Herzog habe ihn für diesen Sommer vom Lesen dispensirt: – »indessen dispensirte es sich von selbst, denn ich würde nicht gekonnt haben, was mir unmöglich ist.« In der That, das Professorthum Schiller's war eigentlich schon im Winter 1791 zu Ende. Denn der Zustand seiner Brust verbot ihm die Anstrengung, Publica zu lesen, schlechterdings und er mußte sich daher von da ab, und so lange er überhaupt noch lehrte, auf Privatissima beschränken, die er auf seinem Zimmer vortrug. In dem eben angezogenen Briefe ließ er sich die leise Klage entwischen, es sei »nicht gut, daß er diesen Sommer nicht frei von Arbeit sei;« doch fügte er bei: »Mein Gemüth ist übrigens heiter und es soll mir nicht an Muth fehlen, wenn auch das Schlimmste über mich kommen wird.« Ach, es kam sofort Schlimmstes und er hatte Gelegenheit genug, seinen Muth zu bewähren. Ein abermaliger Rückfall warf den Dichter in Rudolstadt aufs Lager und heftigste asthmatische Beklemmungen brachten ihn wieder dem Tode nahe. Zuweilen wurden »die Extremitäten schon ganz kalt, der Puls verschwand und nur die stärksten Frictionen brachten wieder Leben in die Glieder« Sch. Briefw. mit K. II, 243.. Der Kranke hielt sich für verloren und in fieberfreien Augenblicken suchte er mit männlicher Fassung seine Lieben zu beruhigen und sie das Unvermeidliche ertragen zu lehren. Karoline las ihm Stellen aus Kant's Kritik der Urtheilskraft vor. »Den Lichtstral aus der Seele des ruhigen Weisen – erzählt sie – und den tröstenden Glauben meines Herzens, daß solch ein Wesen in der Blüthe seiner Kraft nicht enden, uns nicht für immer entzogen werden könne, nahm er ruhig auf.« Auf den liebevollen Zuspruch der schwesterlichen Freundin gab er zur Antwort: »Dem allwaltenden Geiste der Natur müssen wir uns ergeben und müssen wirken, so lange wir es vermögen.« Als der Tod anzupochen schien, bat er, die Freunde eintreten zu lassen, damit sie lernten, wie man ruhig sterben könne Karoline v. Wolzogen, Sch. L. II, 83. Man wird durch diesen Bericht an die hohe Schönheit der Schilderung erinnert, welche Schiller vorahnend vom Tode des Künstlers entworfen hat. Vgl. oben die Anmerk. 127 zum 2. Buch.. Das Bedrohliche ging aber vorüber und Blick und Hoffnung des Kranken kehrten sich wieder dem Leben zu. Als der Arzt, Conradi aus Rudolstadt, bestimmte Aussicht auf Genesung eröffnete, sagte der Kranke, die Augen auf Lotte und Line geheftet: »Es wäre doch schön, wenn wir noch länger zusammenblieben.«

Im Laufe des Juni schritt seine Genesung soweit vor, daß er in Begleitung Lotte's nach Karlsbad gehen konnte, um durch den Gebrauch des dortigen Sprudels namentlich seine sehr geschwächten Verdauungswerkzeuge wieder zu kräftigen. Die berühmte Heilquelle erfüllte wenigstens einigermaßen die Erwartungen des Arztes und des Patienten und der Letztere erholte sich soweit, daß er seinem Verleger Göschen, welchen er in Karlsbad traf, die Fortsetzung der Geschichte des dreißigjährigen Krieges versprechen konnte. Göschen meldete dies an Wieland und der gute Patriarch des Weimarer Musenhofes schrieb voll Freude zurück: »Der Himmel belohne Sie durch die glücklichsten Wirkungen, die Sie von dem Karlsbade nur immer wünschen und erwarten können, für die Freude, die Sie meinem Herzen durch die Nachricht von den hoffnungsreichen Aussichten zur Wiederherstellung unseres vortrefflichen Schiller gegeben haben. Mit der lebhaftesten Ungeduld sehe ich der Bestätigung dieses Evangeliums für mich und Alle entgegen, die wie ich den unschätzbaren Werth unseres Freundes zu fühlen und zu erkennen fähig sind« Mitgeth. in Wieland's Leben von Gruber, IV, 227.. In dem böhmischen Thalkessel legte sich der Genesende das Problem des Wallenstein mehr und mehr zur dramatischen Behandlung zurecht. Die im Karlsbad gemachte Bekanntschaft mit mehreren ausgezeichneten östreichischen Offizieren gab ihm lebendige Anschauungen vom kaiserlichen Heer und er machte auch einen Ausflug nach Eger, um das Haus zu besichtigen, wo Wallenstein ermordet worden war. Sehr wahrscheinlich ist in dieser Zeit auch die bekannte Zeichnung entstanden, welche unseren Dichter auf einem jener weltberühmten Karlsbader Esel reitend darstellt. Der Zeichner war der treffliche Landschaftsmaler Johann Christian Reinhart, welcher als Neunzigjähriger 1847 zu Rom gestorben ist. Er hatte schon in der Bauerbacher Zeit Schiller's Bekanntschaft gemacht und scheint während der Karlsbader Cur wieder mit ihm zusammengetroffen zu sein. Das Bild ist hübsch: – der Dichter sitzt schößlings auf dem Grauchen, angethan mit einer weiten Redingote, kurzen Beinkleidern und Stulpenstiefeln; auf dem Kopf hat er einen breitrandigen Schlapphut und in der Linken eine brennende holländische Pfeife, während er mit der Rechten den Zügel hält. Das rechte Bein baumelt ihm fast bis auf den Boden herab. Die lässige Haltung und der sinnende Gesichtsausdruck des Reiters bilden einen gar artigen Contrast zu der eselhaften Grandezza des Grauchens; es sieht komisch aus In der Illustr. Zeitung, wo (Jahrg. 1848, S. 324) das Bild wiedergegeben ist, wird gesagt, dasselbe sei in der Zeit von Schiller's Aufenthalt in Bauerbach entstanden. Dies beruht entschieden auf einem Irrthum, denn damals kam der Dichter nicht nach Karlsbad.. Nach vollbrachter Cur und einem kurzen Aufenthalt zu Hause diente im September ein Besuch bei Dalberg in Erfurt als Nachcur. Von hier aus schrieb er am 6. September dem Freunde in Dresden: »Mit der Besserung geht es leidlich, aber langsam und noch immer bleiben die Krampfzufälle nicht ganz aus; auch der kurze Athem hält noch immer an. Doch nehmen die Kräfte zu und man findet mich auch frischer aussehend.« Dann, nach Jena zurückgekehrt, unterm 24. Oktober: »Es geht jetzt ziemlich erträglich mit mir. Obgleich der Athem nie frei ist und noch immer Krämpfe im Unterleib mich beunruhigen, so bin ich doch zu Beschäftigungen aufgelegt und kann, wenn sie mich stark interessiren, stundenlang meine Umstände darüber vergessen.« Dann legt er das schöne Zeugniß für Lotte ab: »Es macht mir, auch wenn ich Geschäfte habe, schon Freude, mir nur zu denken, daß sie um mich ist, und ihr liebes Leben und Weben um mich herum, die kindliche Reinheit ihrer Seele und die Innigkeit ihrer Liebe gibt mir selbst eine Ruhe und Harmonie, die bei meinem hypochondrischen Uebel ohne diesen Umstand fast unmöglich wäre. Wären wir Beide nur gesund, wir brauchten weiter Nichts, um zu leben wie die Götter.« Wie eben nur ein liebendes Weib es kann, verbarg Lotte vor dem Gatten das eigene Leiden und die quälende Angst um ihn, aber in einem Schreiben an den Vetter Wilhelm von Wolzogen äußerte sie unterm 13. August 1792 so ihre Besorgnisse: »Wir leben immer still fort, und wenn Schiller wohl ist, bin ich es meistens auch; doch ist meine Gesundheit und daher auch die Stimmung oft nicht gut und ich bin gar ernsthaft und trübsinnig. Es ist so traurig, daß man noch gar nicht sagen kann, daß es viel besser mit Schiller wäre. Das Uebel ist oft noch stark und die Krämpfe im Unterleib lassen nicht nach. Manche Tage ist er ganz leicht und wohl, aber doch kann man auf keinen Tag ganz rechnen. Diese Ungewißheit und das öftere Sehen des Uebels hat freilich keinen guten Einfluß auf mich und du fühlst wohl, wie ich ernst und traurig werden kann, wie Einen das beugen kann.« Die Sorge um den geliebten Mann verschwand nicht wieder aus Lotte's Leben, denn sein Uebel blieb und er ist nie wieder auch nur andauernd halb, geschweige ganz gesund geworden. Im folgenden Jahre, unterm 1. Juli 1793, schrieb Karoline an den Vetter Wilhelm: »Ach, Lieber, immer fürchte ich, daß unser Schiller wird frühzeitig aus unserem Kreise gerissen. Die Aerzte finden sein Uebel bedenklich und ich glaube nicht, daß er noch länger als ein paar Jahre leben kann. Es kann sein, daß meine große Anhänglichkeit an ihn mich zu besorgt macht, aber ich kann die furchtbare Ahnung nicht loswerden« Die angezogenen Briefe Lotte's und Karoline's sind mitgetheilt in der Letzteren Literar. Nachlaß, II, 165, 202.. Neben den Leiden und Sorgen der Krankheit meldete sich im Jahre 1791 auch die finanzielle Bedrängniß wieder, obgleich Schiller's Schriften eine immer stärkere Verbreitung fanden. Der Herzog Karl August zeigte guten Willen, dem Dichter zu helfen, allein die Kasse des Fürsten, dem seine Stellung als preußischer General große Ausgaben verursachte, befand sich damals »in nicht sehr glänzenden Umständen« Sch. Briefw. mit K. II, 260.. Später erhöhte er, wie wir sehen werden, Schiller's Besoldung oder Pension auf 400 und zuletzt, unlange vor des Dichters Hingang, auf 800 Thaler. Zunächst aber kam ganz unerwartet Hülfe aus dem Ausland, aus Dänemark, allerdings von Männern deutscher Abstammung, aber doch immer aus Dänemark, dem wir all unserem gerechten Ingrimm über die Mißhandlung Schleswig-Holsteins zum Trotz das nicht vergessen wollen. Selbst das brennende Schamgefühl, welches wir darüber empfinden, daß nicht das Vaterland, sondern das Ausland es sein mußte, welches der kranken Brust unseres theuersten Geistesheros für ein paar Jahre die Mittel bot, sorgenfreier zu athmen, soll uns nicht verhindern, mit inniger Befriedigung diese Hülfeleistung zu erzählen.

Droben in Kopenhagen hatte der enthusiastische Baggesen im Juni 1791 eines jener idyllischen Feste veranstaltet, wie die gebildeten Kreise des vorigen Jahrhunderts sie häufig zu feiern pflegten. Draußen am Meeresufer, bei Hellebeck, im Angesichte der von der schwedischen Küste herüberblickenden Felsenklippe Kullen, wollten die Verehrer Schiller's diesem zu Ehren eine poetische Frühlingsfeier begehen. Schon war Alles vorbereitet und Baggesen schickte sich an, mit seiner Frau in den Wagen zu steigen, um unterwegs die Schimmelmann'sche Familie abzuholen, als er von der Gräfin ein Billet erhielt, des Inhalts, der Ausflug könne nicht statthaben, denn – Schiller sei todt. Baggesen wurde durch diese Nachricht niedergeschmettert und im ersten Schmerzgefühl schrieb er an Reinhold: »Ich kann Ihnen nicht beschreiben, wie meine ganze Seele zittert, wie mein Herz blutet bei dieser schrecklichen Nachricht. Ist's möglich? Unser Schiller ist gestorben? … Trösten Sie mich über den Verlust von Mirabeau Der Lenker der französischen Revolution in ihrer ersten Phase war am 2. April 1791 gestorben. und den noch empfindlicheren von Schiller! O, was haben wir an diesem seltenen Geiste verloren! Er stieg herrlich den Dichterhimmel hinauf, was würde er in seinem Meridian geworden sein! O, warum mußte dieser Raphael vor seiner Transfiguration sterben!« Es ließ dem wackern Dänen keine Ruhe, seine Trauer mußte einen entsprechenden Ausdruck finden. Mit seiner Sophie, mit Schimmelmann, einem dritten Verehrer des Dichters und den beiden Gattinnen der Freunde fuhr er nach Hellebeck hinaus und hier, am »romantischsten, erhabensten, naturgrößesten Ort, welchen man diesseits der Alpen finden kann,« begingen diese sechs guten, idealisch gestimmten Menschen Schiller's Todtenfeier. Baggesen intonirte: »Freude, schöner Götterfunken« – worauf Flöten, Clarinetten und Hörner einfielen und, während weißgekleidete, blumenbekränzte Knaben und Mädchen einen Reigen aufführten, Alle mit feuchten Augen in den Chor einstimmten. Drei Tage lang blieben die Freunde im Andenken Schiller's versammelt, Lieblingsstellen aus seinen Werken lesend und ihre Gedanken darüber austauschend Briefwechsel Reinhold's mit Baggesen, I, 48 fg.. Eben hatte Reinhold den Brief Baggesen's erhalten, worin von diesen Exequien Meldung geschah, als Schiller aus Karlsbad nach Jena heimkehrte. Er beeilte sich, dem in Kopenhagen todtgesagten und todtgeglaubten Dichter Mittheilung zu machen und – schrieb er an Baggesen – »ich zweifle, ob irgend eine Arznei heilsamer auf ihn gewirkt habe.« Tiefer noch als Schiller war Lotte gerührt. Sie zog Reinhold bei Seite und sagte zu ihm: »Wenn Sie Baggesen schreiben, so sagen Sie ihm – sagen Sie ihm – schreiben Sie ihm« – Thränen erstickten ihre Stimme. »Ich kann ihm nichts Rührenderes schreiben, als was ich jetzt sehe und höre,« gab der Freund zur Antwort. Und er schrieb dem dänischen Poeten, was er gesehen und gehört, zugleich aber schrieb er auch, Schiller könnte sich vielleicht ganz erholen und wieder zu fester Gesundheit gelangen, »wenn derselbe nicht im Fall einer Krankheit unschlüssig sein müßte, ob er seinen Gehalt von 200 Thalern in die Apotheke oder in die Küche schicken sollte.« Mit diesem Briefe, worin mit so wenigen Worten eine ganze deutsche Jammergeschichte erzählt war, eilte Baggesen zu dem Erbprinzen von Holstein-Augustenburg und dem Grafen von Schimmelmann und die Folge davon war, daß ein von diesen beiden Herren unterzeichnetes, vom 27. November 1791 datirtes Schreiben am 13. Dezember in Schiller's Hände gelangte. Dieses Schreiben, eines der schönsten Documente der humanen und weltbürgerlichen Tendenzen des 18. Jahrhunderts, lautete so: – »Zwei Freunde, durch Weltbürgersinn mit einander verbunden, erlassen dieses Schreiben an Sie, edler Mann! Beide sind Ihnen unbekannt, aber Beide verehren und lieben Sie. Beide bewundern den hohen Flug Ihres Genius, der verschiedene Ihrer neueren Werke zu den erhabensten unter allen menschlichen stempeln konnte. Sie finden in diesen Werken die Denkart, den Sinn, den Enthusiasmus, welcher das Band ihrer Freundschaft knüpfte, und gewöhnten sich bei ihrer Lesung an die Idee, den Verfasser derselben als Mitglied ihres freundschaftlichen Bundes anzusehen. Groß war also auch ihre Trauer bei der Nachricht von seinem Tode und ihre Thränen flossen nicht am sparsamsten unter der großen Zahl von guten Menschen, die ihn kennen und lieben. Dieses lebhafte Interesse, welches Sie uns einflößen, edler und verehrter Mann, vertheidigt uns bei Ihnen gegen den Anschein von unbescheidener Zudringlichkeit. Es entfernt jede Verkennung der Absicht dieses Schreibens; wir faßten es ab mit einer ehrerbietigen Schüchternheit, welche uns die Delicatesse Ihrer Empfindungen einflößt. Wir würden diese sogar fürchten, wenn wir nicht wüßten, daß auch in der Tugend edlen und gebildeten Seelen ein gewisses Maaß vorgeschrieben ist, welches sie ohne Mißbilligung der Vernunft nicht überschreiten darf … Ihre durch allzuhäufige Anstrengung und Arbeit geschwächte Gesundheit bedarf, so sagt man uns, für einige Zeit eine große Ruhe, wenn sie wieder hergestellt und die Ihrem Leben drohende Gefahr abgewendet werden soll. Allein Ihre Verhältnisse, Ihre Glücksumstände verhindern Sie, sich dieser Ruhe zu überlassen. Wollen Sie uns wohl die Freude gönnen, Ihnen den Genuß derselben zu erleichtern? Wir bieten Ihnen zu dem Ende auf drei Jahre ein Geschenk von tausend Thalern an. Nehmen Sie dieses Anerbieten an, edler Mann! Der Anblick unserer Titel bewege Sie nicht, es abzulehnen; wir wissen diese zu schätzen. Wir kennen keinen Stolz als nur den, Menschen zu sein, Bürger in der großen Republik, deren Gränzen mehr als das Leben einzelner Generationen, mehr als die Gränzen des Weltalls umfassen. Sie haben nur Menschen, Ihre Brüder, vor sich, nicht eitle Große, die durch solchen Gebrauch ihrer Reichthümer nur einer etwas edleren Art von Stolz fröhnen … Es wird von Ihnen abhängen, wo Sie diese Ruhe Ihres Geistes genießen wollen. Hier bei uns würde es Ihnen nicht an Befriedigung Ihres Geistes fehlen, in einer Hauptstadt, die der Sitz einer Regierung, zugleich eine große Handelsstadt ist und sehr schätzbare Büchersammlungen enthält. Hochachtung und Freundschaft würden von mehreren Seiten wetteifern, Ihnen den Aufenthalt in Dänemark angenehm zu machen, denn wir sind nicht die Einzigen, die Sie kennen und lieben. Und wenn Sie nach wiederhergestellter Gesundheit wünschen sollten, im Dienste des Staates angestellt zu sein, so würde es uns nicht schwer fallen, diesen Wunsch zu befriedigen. Doch wir sind nicht so klein eigennützig, diese Veränderung (Ihres Aufenthalts) zu einer Hauptbedingung zu machen. Wir überlassen dieses Ihrer eigenen freien Wahl. Der Menschheit wünschen wir einen ihrer Lehrer zu erhalten und diesem Wunsche muß jede andere Betrachtung nachstehen« Der eine Schreiber dieses Briefes, Graf Schimmelmann, erlebte noch die erste Veröffentlichung desselben in Karoline's von Wolzogen Biographie Schiller's (II, 90). Er starb, ein Vierundachtziger, i. J. 1831, den wohlverdienten Ruf eines gerechten und liberalen Staatsmanns hinterlassend. Der andere, der Prinz von Augustenburg, starb schon in der Blüthe des männlichen Alters. Seines frühen Todes erwähnend, hat Karoline mit Recht beigefügt: »Von dem Grabe edler Verstorbener geht ein belebender Hauch aus für die Nachwelt.« Aus Schiller's Briefwechsel mit Körner (II, 283) wissen wir übrigens, daß der Prinz schon im Sommer 1790 sein warmes Interesse für den Dichter gegen Körner's Schwägerin Dora in Karlsbad geäußert und gesagt hatte, daß ihm besonders Schiller's Geschichte der niederländischen Rebellion »sehr lieb« sei..

Ein so gebotenes Geschenk durfte selbst ein Schiller annehmen und er that es mit freudiger Rührung und Dankbarkeit. Er konnte erst am 16. Dezember dazu kommen, die frohe Botschaft aus Dänemark einigermaßen ruhig zu beantworten, so hatte sie ihn erschüttert. In der ersten Aufwallung glaubte er seinen hochherzigen Freunden in Kopenhagen versprechen zu dürfen, daß er sie bald persönlich dort begrüßen würde. Auch an Baggesen schrieb er ausführlich und sagte ihm unter Anderem, er sehe jetzt heiter in die Zukunft und es solle wenigstens an seiner Beharrlichkeit nicht fehlen, »die Hoffnungen zu rechtfertigen, welche zwei vortreffliche Bürger unseres Jahrhunderts auf mich gegründet haben.« Gegen den Freund in Dresden machte der Dichter schon unterm 13. Dezember seinem stürmischen Freudegefühl Luft: – »Das, wonach ich mich so lange ich lebe aufs Feurigste gesehnt habe, wird jetzt erfüllt. Ich bin auf lange, vielleicht auf immer aller Sorgen los; ich habe die längst gewünschte Unabhängigkeit des Geistes. Heute erhalte ich Briefe aus Kopenhagen vom Prinzen von Augustenburg und vom Grafen von Schimmelmann, die mir auf drei Jahre jährlich tausend Thaler zum Geschenk anbieten, mit völliger Freiheit, zu bleiben, wo ich bin, bloß um mich von meiner Krankheit völlig zu erholen. Aber die Delicatesse und Feinheit, womit der Prinz mir dieses Anerbieten macht, könnte mich noch mehr rühren als das Anerbieten selbst. Wie mir jetzt zu Muthe ist, kannst du denken. Ich habe die nahe Aussicht, mich ganz zu arrangiren, meine Schulden zu tilgen und, unabhängig von Nahrungssorgen, ganz den Entwürfen meines Geistes zu leben. Ich habe endlich einmal Muße, zu lernen, zu sammeln und für die Ewigkeit zu arbeiten.« Da übrigens die Sache nicht verholen blieb und auch in die Zeitungen kam, so hielt es Schiller für passend, dem Herzog von Weimar Mittheilung zu machen und dem Fürsten zu sagen, daß er zwar eine Reise nach Kopenhagen, nicht aber einen Wegzug aus Jena beabsichtige. Unterm 8. Januar 1792 schrieb ihm Karl August zurück: »Ich statte Ihnen meinen Glückwunsch ab, daß Sie so thätige Freunde gefunden haben, welche Ihnen zu erkennen zu geben wünschen, wie sehr sie Ihren Verdiensten Gerechtigkeit widerfahren lassen. Es freut mich, daß Sie Jena nicht verlassen wollen. Ich werde gern beitragen, Ihnen den Vorsatz angenehm zu machen, der Universität durch Ihre Gegenwart aufzuhelfen, und jede Gelegenheit will ich ergreifen, Sie von der Wahrheit der Werthschätzung und Freundschaft zu überzeugen, welche ich Ihnen gewidmet habe« Dieses Schreiben eröffnet eine kleine Reihenfolge von Briefen Karl August's an Schiller, zuerst veröffentlicht in Weimars Album, S. 157-163.. Körnern, so sehr er die Großmuth des Prinzen und des Grafen anerkannte, verdroß doch einigermaßen der Lärm, den man darüber aufschlug. »Eine traurige Empfindung – äußerte er gegen den Freund – mischt sich bei mir in die Freude über dein Glück: daß wir in einem Zeitalter und unter Menschen leben, wo eine solche Handlung angestaunt wird, die doch eigentlich so natürlich ist.« Der gute Körner! Als ob das Gute, Schöne, Menschliche nur so alle Tage geschähe, weil es »doch eigentlich so natürlich ist!«


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