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Drittes Kapitel.
Horentanz und Xenienkrieg.

Schiller und Göthe schließen ihren Bund. – Aeußerungen der Freunde darüber. – Wer ist der Größere? – Wilhelm von Humboldt. – Schiller's Gesprächsweise. – Fichte. – Jena und Weimar. – Die wissenschaftliche Bewegung der Zeit. – »Ueber naive und sentimentalische Dichtung.« – Die Horen. – Schiller's und Göthe's Widersacher. – Berufung nach Tübingen. – Uebergang von der philosophischen Speculation zur Poesie. – Schiller's Gedankenlyrik in ihrer Vollreife. – »Ideal und Leben.« – Der Musenalmanach. – Die Xenien. – In Frankreich und in Deutschland. – Herder bricht mit Göthe und Schiller. – Krieg. – Göthe's und Schiller's Verhältniß zum Christenthum. – Der Patriotismus des Dichters.


Eines Abends im Juli 1794 verließen zwei Männer das Auditorium des Professors Bätsch, wo die naturforschende Gesellschaft, welche von dem genannten Gelehrten gegründet worden, eine ihrer Sitzungen gehalten hatte. Die Beiden – Göthe und Schiller – hatten sich beim Weggehen zufällig im Flur getroffen und wandelten nun, das eben Gesehene und Gehörte recapitulirend, in lebhaftem Gespräch die Straße entlang. Die zerstückelte Art, die Natur zu behandeln, kann den Laien, der sich gern darauf einließe, keineswegs anmuthen, bemerkte Schiller. Sie bleibt vielleicht den Eingeweihten selbst unheimlich, entgegnete Göthe, und es könnte doch wohl eine andere Weise geben, die Natur nicht gesondert und vereinzelt vorzunehmen, sondern sie wirkend und lebendig, aus dem Ganzen in die Theile strebend darzustellen; die Erfahrung gibt dies an die Hand. Ich wünschte sehr, hierüber aufgeklärt zu sein, sagte Schiller, aber ich muß bezweifeln, daß eine solche Behandlung der Natur aus der Erfahrung hervorgehe … Mittlerweile waren die Sprechenden bei der Wohnung Schiller's angelangt und das Gespräch lockte den Herrn Geheimrath die Treppe hinauf. Droben empfing Lotte den Gast mit inniger Freude, denn es war ja schon lange ein Herzenswunsch von ihr und Karoline gewesen, das Eis zwischen Schiller und Göthe gebrochen zu sehen. An diesem Julitag ging endlich der Wunsch in Erfüllung: das Eis schmolz und zwar für immer Ich setze das für den Freundschaftsbund zwischen Göthe und Schiller entscheidende Gespräch zwischen den Beiden, von welchem der Erstere ausführlich erzählt (Werke, Ausg. v. 1840, XXVII, 36 fg.), in den Juli 1794, im Widerspruch zwar mit Viehoff (Göthe's Leben, III, 332), aber gestützt auf den Brief Schiller's an Körner vom 1. September 1794, worin unser Dichter dem Freund in Dresden mittheilt, daß er »vor sechs Wochen« ausführlich mit Göthe gesprochen habe. Augenscheinlich ist damit das Gespräch gemeint, von welchem Göthe an der bezeichneten Stelle seiner »Annalen« Meldung thut. Der Brief Schiller's vom 13. Juni, worin er Göthe zur Mitarbeit an den Horen einlud und womit der Schiller-Göthe'sche Briefwechsel sich eröffnet, ist ohne Zweifel vor jener Begegnung in Jena geschrieben, weil derselbe ganz ceremoniös und geschäftsmäßig gehalten ist. Unlange nach dem Gespräch und wie noch ganz warm von demselben schrieb dann Schiller, als Göthe von seinem Ende Juli's nach Dessau unternommenen Ausflug zurückgekehrt war, seinen berühmten Brief (23. August), womit er, wie man treffend gesagt hat, »Göthe eroberte.« – Damit ich nicht in den Verdacht »novellistischer« Darstellung komme, bemerke ich für solche Leser, denen Göthe's Annalen im Augenblicke nicht gegenwärtig sein sollten, daß der Eingang des Kapitels eine fast wörtliche Wiedergabe der Göthe'schen Erzählung ist.. Göthe, das angeschlagene Thema weiter ausführend, trug seine Theorie der Pflanzenmetamorphose lebhaft vor und ließ mit manchen charakteristischen Federstrichen eine symbolische Pflanze vor Schiller's Augen entstehen. Dieser vernahm und schaute das Alles mit großer Theilnahme, mit entschiedener Fassungskraft; als aber Jener geendet, schüttelte er den Kopf und sagte: Das ist keine Erfahrung, das ist eine Idee. Göthe stutzte, »verdrießlich einigermaßen; denn – erzählt er – der Punkt, der uns trennte, war dadurch aufs Strengste bezeichnet. Ich nahm mich aber zusammen und versetzte: Das kann mir sehr lieb sein, daß ich Ideen habe ohne es zu wissen. Schiller – fährt Göthe fort – der viel mehr Lebensklugheit (?) und Lebensart hatte als ich und mich auch wegen der Horen, die er herauszugeben im Begriffe stand, mehr anzuziehen als abzustoßen gedachte, erwiderte darauf als ein gebildeter Kantianer, und als aus einem hartnäckigen Realismus mancher Anlaß zu lebhaftem Widerspruch entstand, so ward viel gekämpft und dann Stillstand gemacht. Keiner von Beiden konnte sich für den Sieger halten, Beide hielten sich für unüberwindlich. Der erste Schritt war jedoch gethan. Schiller's Anziehungskraft war groß; er hielt Alle fest, die sich ihm näherten. Seine Gattin, die ich von ihrer Kindheit auf zu lieben und zu schützen gewohnt war, trug das Ihrige bei zu dauerndem Verständniß, alle beiderseitigen Freunde waren froh und so besiegelten wir, durch den größten, vielleicht nie ganz zu schlichtenden Wettkampf zwischen Object und Subject einen Bund, der ununterbrochen gedauert und für uns und Andere manches Gute gewirkt hat. Für mich insbesondere war es ein neuer Frühling, in welchem Alles froh neben einander keimte und aus aufgeschlossenen Samen und Zweigen hervorging.«

Noch am 13. Juni, als Schiller eine Einladung zur Mitarbeit an den Horen an Göthe gerichtet hatte, war zu einer Verständigung zwischen den Beiden wenig Aussicht gewesen. Zwar hatte Göthe auf den Antrag bejahend geantwortet, allein Anfrage und Antwort ließen in keiner Weise eine so baldige persönliche Annäherung und Befreundung erwarten. Nachdem aber jener Juliabend die Stellung der Beiden zu einander geklärt hatte, schrieb Schiller, als er erfahren, daß Göthe von seinem inzwischen nach Dessau unternommenen Ausflug zurückgekehrt sei, am 23. August den berühmten Brief, worin er »mit freundschaftlicher Hand die Summe von Göthe's Existenz zog,« d. h. den Entwicklungsgang von Göthe's Geist darlegte. Göthe antwortete mit dankbarer Wärme und damit war zwischen den Beiden, welche unser größter Ruhm und Stolz sind, jener Briefwechsel in Gang gebracht, welcher die kostbare Urkundensammlung einer Freundschaft bildet, wie sie ein zweites Mal in der Kulturgeschichte nie und nirgends vorgekommen ist. Es ist wohlthuend und erhebend, zu betrachten, wie die beiden großen Männer selbst dieses in ihrem Leben »epochemachende« Ereigniß ansahen und wie ihnen Zunächststehende darüber urtheilten.

Am 1. September schrieb Schiller mit Bezug auf die berührte Begegnung mit Göthe an Körner: »Wir haben uns die Hauptideen mitgetheilt, zu denen wir auf ganz verschiedenen Wegen gekommen waren. Zwischen diesen Ideen fand sich eine unerwartete Uebereinstimmung, die um so interessanter war, weil sie wirklich aus der größten Verschiedenheit der Gesichtspunkte hervorging. Ein Jeder konnte dem Andern Etwas geben, was ihm fehlte, und Etwas dafür empfangen. Seit dieser Zeit haben diese ausgestreuten Ideen bei Göthe Wurzel gefaßt und er fühlt jetzt das Bedürfniß, sich an mich anzuschließen und den Weg, den er bisher allein und ohne Aufmunterung betrat, in Gemeinschaft mit mir fortzusetzen. Ich freue mich schon auf einen für mich so fruchtbaren Ideenwechsel.« Unterm 4. September lud Göthe den neugewonnenen Freund zu sich nach Weimar ein und unterm 7. September zeigte Schiller die Annahme der Einladung mit Worten an, die ein erschreckendes Licht auf seine damaligen Gesundheits- oder vielmehr Krankheitsumstände werfen: – »Mit Freuden nehme ich Ihre Einladung an, doch mit der ernstlichen Bitte, daß Sie in keinem einzigen Stück Ihrer häuslichen Ordnung auf mich rechnen mögen; denn leider nöthigen mich meine Krämpfe gewöhnlich, den ganzen Morgen dem Schlaf zu widmen, weil sie mir des Nachts keine Ruhe lassen, und überhaupt wird es mir nie so gut, auch den Tag über auf eine bestimmte Stunde sicher zählen zu dürfen. Sie werden mit also erlauben, mich in Ihrem Hause als einen völlig Fremden zu betrachten, auf den nicht geachtet wird, und dadurch, daß ich mich ganz isolire, der Verlegenheit zu entgehen, Jemand von meinem Befinden abhängen zu lassen. Die Ordnung, die jedem andern Menschen wohl macht, ist mein gefährlichster Feind, denn ich darf nur in einer bestimmten Zeit etwas Bestimmtes vornehmen müssen,« so bin ich sicher, daß es mir nicht möglich sein wird« Wie wenig die Heimatluft unseren Dichter von seinen Leiden geheilt hatte, zeigt auch folgende Nachricht aus dem Sommer 1794. Als Eckermann sich am 31. März 1831 bei Göthe befand, erzählte Meyer: »Ich ging mit Göthe in dem sogenannten Paradies bei Jena spazieren, wo Schiller uns begegnete und wo wir (nämlich Schiller und Meyer) zuerst mit einander redeten. Er war eben aus Schwaben zurückgekehrt und schien sehr krank und an den Nerven leidend. Sein Gesicht glich dem Bilde des Gekreuzigten. Göthe dachte, er würde keine vierzehn Tage mehr leben.«. Nach seiner Heimkehr aus Weimar nach Jena schrieb Schiller an Göthe (29. September): »Mit meinem Sinn bin ich noch immer in Weimar. Es wird mir Zeit kosten, alle die Ideen zu entwirren, die Sie in mir aufgeregt haben; aber keine einzige, hoff' ich, soll verloren sein.« Göthe erwiderte (1. Oktober): »Wir wissen nun, mein Werthester, aus unserer vierzehntägigen Converenz, daß wir in Prinzipien einig sind und die Kreise unseres Empfindens, Denkens und Wirkens theils coincidiren, theils sich berühren; daraus wird sich für Beide mancherlei Gutes ergeben.« Später, am 18. Juni 1797 that Schiller gegen Göthe eine Aeußerung, welche, wie mir scheint, die Art des Einwirkens von Diesem auf Jenen recht klar macht, – die Aeußerung: »Sie gewöhnen mir immer mehr die Tendenz ab (die in allem Praktischen und besonders Poetischen eine Unart ist), vom Allgemeinen zum Individuellen zu gehen, und führen mich umgekehrt von einzelnen Fällen zu großen Gesetzen fort.« Ein Jahr später, am 31. August 1798, schrieb er an Körner: »Ich bin in Rücksicht auf wechselseitige Belebung und Bildung Göthe sehr viel schuldig und ich weiß, daß ich auf ihn gleichfalls glücklich gewirkt habe.« Göthe seinerseits hat sich an verschiedenen Orten darüber ausgelassen, welches Glück die Freundschaft Schiller's für ihn war und wie sie Beide gegenseitig sich ergänzt und gefördert hätten. In der vierten Abtheilung seiner »Maximen und Reflexionen« sagt er: »Mein Verhältniß zu Schiller gründete sich auf die entschiedene Richtung Beider auf einen Zweck, unsere gemeinsame Thätigkeit auf die Verschiedenheit der Mittel, wodurch wir jenen zu erreichen strebten.« An einer Stelle seiner Aufsätze »Zur Naturwissenschaft im Allgemeinen« erläutert er dies kurz vermittelst des Satzes: »Unsere Gespräche waren durchaus productiv oder theoretisch, gewöhnlich Beides zugleich: er predigte das Evangelium der Freiheit, ich wollte die Rechte der Natur nicht verkürzt wissen.« Ferner, so man erwägt, daß Göthe in allem Hohen und Großen etwas »Dämonisches« sah, gewinnt es einen erhöhten Sinn, wenn er am 24. März 1829 gegen Eckermann äußerte: »Es waltete bei meiner Bekanntschaft mit Schiller durchaus etwas Dämonisches ob; wir konnten früher, wir konnten später zusammengeführt werden; aber daß wir es gerade in der Epoche wurden, wo ich die italische Reise hinter mir hatte und Schiller der philosophischen Speculationen müde zu werden anfing, war von Bedeutung und für Beide von größtem Erfolg.« Endlich liegt ein dankbares Zeugniß für den Werth, welchen Göthe der Freundschaft Schiller's beimaß, darin, daß er in alten Tagen an einen Bekannten schrieb: »Ich weiß wirklich nicht, was ohne die Schiller'sche Anregung aus mir geworden wäre. Meyer war wieder nach Italien gegangen und meine Absicht war, ihm zu folgen. Aber die Freundschaft zu Schiller, die Theilnahme an seinem Dichten, Trachten und Unternehmen hielt mich oder ließ mich vielmehr freudiger zurückkehren, als ich, bis in die Schweiz gelangt, das Kriegsgetümmel über die Alpen näher gewahr wurde. Hätte es ihm nicht an dem Manuscript zu den Horen und Musenalmanachen gefehlt, ich hätte die Unterhaltungen der Ausgewanderten nicht geschrieben, den Cellini nicht übersetzt, ich hätte die sämmtlichen Lieder und Balladen, wie sie die Musenalmanache geben, nicht verfaßt, die Elegieen wären wenigstens damals nicht gedruckt worden, die Xenien hätten nicht gesummt und im Allgemeinen wie im Besonderen wäre gar Manches anders geblieben« Briefw. zw. Göthe und Schultz, S. 26..

Im Schiller'schen und Göthe'schen Kreise war die Freude aufrichtig und laut, als man erfuhr, daß die Beiden endlich sich gefunden. Gleich damals, wie später, gab sich diese Zufriedenheit der Befreundeten kund. Am 10. September 1794 schrieb Körner an Schiller: »Daß du und Göthe euch einander genähert habt, macht mir wahre Freude. Meyer erzählt mir von einem Briefe Göthe's, der deines Lobes voll ist: er habe lange nicht solchen geistigen Genuß gehabt als bei dir in Jena.« Wilhelm von Humboldt schrieb am 25. Oktober 1795 an Schiller: »Die Vergleichung zwischen Ihnen und Göthe hat mich oft beschäftigt. Gerade Sie Beide können das Höchste erreichen, ohne einander zu schaden.« Lotte ihrerseits äußerte unterm 1. Oktober 1798 gegen Frau von Stein: »Es ist erstaunend, welchen Einfluß Göthe's Nähe auf Schiller's Gemüth hat und wie belebend für ihn die häufige Communication seiner Ideen mit Göthe ist. Mir selbst ist Göthe auch sehr lieb, aber er wird mir noch lieber um Schiller's willen.« Karoline schrieb in ihre Lebensgeschichte Schiller's die Worte: »Aus dem vertrauten freundschaftlichen Verkehr solcher Geister mußten die edelsten Früchte hervorkeimen. Keine Nation, keine Periode der Literatur bietet uns einen so schönen, aus echter, reiner Begeisterung für Wahrheit und Schönheit entsprungenen Verein, ein so inniges, neidloses Zusammenstreben nach dem höchsten Ziele dar; und auch als Muster des deutschen Nationalsinns, der das Große und Wesentliche rein zu ergreifen und sich aller kleinlichen Beziehungen zu entschlagen vermag, kann dieses Verhältniß gelten. Göthe's freundlichem und liebenswürdigem Einfluß auf Schiller's Lebensweise verdankten wir es auch, daß dieser wieder mehr Vertrauen zu seiner Gesundheit gewann und sich regelmäßiger dem Schlafe und der gewöhnlichen Ordnung des Tages überließ.« Im Mai 1830, als Wilhelm von Humboldt die Einleitung zu seinem Briefwechsel mit Schiller aufsetzte, that er darin über den Bund zwischen Göthe und Schiller die von einem Hauch antiken Geistes durchzogene Aeußerung: »Der gegenseitige Einfluß dieser beiden großen Männer auf einander war der mächtigste und würdigste. Jeder fühlte sich dadurch angeregt, gestärkt und ermuthigt auf seiner eigenen Bahn, Jeder sah klarer und richtiger ein, wie auf verschiedenen Wegen dasselbe Ziel sie vereinte. Keiner zog den Andern in seinen Pfad herüber oder brachte ihn nur ins Schwanken im Verfolgen des eigenen. Wie durch ihre unsterblichen Werke, haben sie durch ihre Freundschaft, in der sich das geistige Zusammenstreben unlösbar mit den Gesinnungen des Herzens verwebte, ein bis dahin nie gesehenes Vorbild aufgestellt und auch dadurch den deutschen Namen verherrlicht. Mehr darüber zu sagen, würde theils überflüssig sein, theils verbietet es eine natürliche und gerechte Scheu. Schiller und Göthe haben sich in ihren Briefen selbst so klar und offen, so innig und großartig über dieses einzige Verhältniß ausgesprochen, daß so Gesagtem noch Etwas hinzuzufügen Niemand versucht werden kann« … Ja, als ein »nie gesehenes Vorbild«, nicht als Nebenbuhler, sondern als Mitstrebende, stehen die zwei großen Freunde in unserer Literatur und in der Weltgeschichte da, und so stehen sie auch, unzertrennlich zusammen gehörend, von Rietschel's Meisterhand in Erz geformt, vor dem Theater zu Weimar. Zur Stunde, als dieses Denkmal aufgerichtet wurde, war der alte unerquickliche und unersprießliche Zank: ob Schiller, ob Göthe der Größere? abgethan für immer. Wie sie selbst über diese Streitfrage dachten, haben sie uns deutlich gesagt. Am 21. März 1796 schrieb Schiller an Humboldt: »Man wird Göthe und mich, wie ich in meinen muthvollsten Augenblicken mir verspreche, verschieden specificiren, aber unsere Arten einander nicht unterordnen, sondern unter einem höheren idealischen Gattungsbegriff einander coordiniren.« Das ist das Richtige, das einzige Richtige, und das meinte auch Göthe, als er am 25. Mai 1825 zu Eckermann das Kernwort sprach: »Nun streitet sich das Publicum seit zwanzig Jahren, wer größer sei, Schiller oder ich; und sie sollten sich vielmehr freuen, daß ein paar Kerle da sind, worüber sie streiten können« …

siehe Bildunterschrift

26. Schiller- und Göthe-Denkmal in Weimar.
Originalzeichnung von G. Hartmann. Geschnitten von J. G. Flegel

Mit großer Genugthuung hatte unser Dichter in den Reihen der Freunde, welche ihn bei seiner Rückkehr aus Schwaben nach Jena begrüßten, auch Wilhelm von Humboldt gefunden. Der Treffliche hatte sich in der alten Universitätsstadt angesiedelt, eigens in der Absicht, des Umgangs mit Schiller zu genießen, und der rege Verkehr der Beiden kam auch ihren Frauen zu gut, die sich schwesterlich an einander schlossen. Fast allabendlich waren die Freunde beisammen, in belebtem Wechselgespräch philosophische und künstlerische Fragen erörternd. Humboldt, der gründliche Gelehrte, der scharfe Beobachter und feine Kenner der Welt und der Menschen, ward stets von Neuem überrascht von der »genialischen Wahrheit der vielseitigen Weltansicht« des Dichters, und zwar um so mehr, als dieser weder Zeit noch Gelegenheit noch Mittel gehabt hatte, durch umfassende Studien oder Reisen eine solche Weltansicht zu erwerben. Der Freund hat auch, in der Erinnerung an die Jena'schen Gesprächsabende, von Schiller gesagt, daß derselbe »ganz eigentlich für das Gespräch geboren schien,« und hat die Gesprächsweise des Dichters so charakterisirt: – »Er suchte nie nach einem bedeutenden Stoff der Unterredung; er überließ es mehr dem Zufall, den Gegenstand herbeizuführen, aber von jedem aus leitete er das Gespräch zu einem allgemeinen Gesichtspunkt und man sah sich nach wenigen Zwischenreden in den Mittelpunkt einer den Geist anregenden Discussion versetzt. Er behandelte den Gedanken immer als ein gemeinschaftlich zu gewinnendes Resultat, schien immer des Mitredenden zu bedürfen, wenn dieser sich auch bewußt blieb, die Idee allein von ihm zu empfangen, und ließ ihn nie müssig werden. Er sprach nicht eigentlich schön. Aber sein Geist strebte immer in Schärfe und Bestimmtheit einem neuen geistigen Gewinne zu, er beherrschte dies Streben und schwebte in vollkommener Freiheit über seinem Gegenstande. Daher benutzte er in leichter Heiterkeit jede sich darbietende Nebenbeziehung und daher war sein Gespräch so reich an den Worten, die das Gepräge glücklicher Geburten des Augenblicks an sich tragen. Die Freiheit that aber dem Gange der Untersuchung keinen Abbruch. Schiller hielt immer den Faden fest, der zu ihrem Endpunkte führen mußte, und wenn die Unterredung nicht durch einen Zufall gestört wurde, so brach er nicht leicht vor Erreichung des Zieles ab« Humboldt in der Einleitung zu seinem Briefwechsel mit Schiller, S. 13 fg.. Die beste Frucht der zwischen Schiller und Humboldt in dieser Zeit mündlich geführten und später, nach des Letzteren Wegzug aus Jena, schriftlich fortgesetzten Dialoge war unseres Dichters Rückkehr zur Poesie. Humboldt's gemüthvolle und feinsinnige Anregung hat mehr, weit mehr, als seine Bescheidenheit gestehen wollte, den Uebergang Schiller's von der speculativen zur schöpferischen Thätigkeit gefördert.

Auch von anderer Seite her kamen mannigfache Einflüsse sympathischer sowohl, als antipathischer Natur. Schiller stand im Mittelpunkt eines wissenschaftlich und gesellig vielfach bewegten Lebens. Die Glanzzeit Jena's hatte begonnen. An der Stelle Reinhold's, der einem Rufe nach Kiel gefolgt war, hatte zu Ostern 1794 Johann Gottlieb Fichte den philosophischen Lehrstuhl bestiegen, er, der tapfere Denker, der hochherzige Patriot, welcher die unmittelbare Beziehung der freien Wissenschaft auf den freien Staat zuerst klar und scharf vom Katheder herab verkündigte und, wenngleich er die in der ursprünglichen Form seines Systems auf eine schwindelnde Spitze getriebene Souverainetät des menschlichen Selbstbewußtseins später bedeutend zu modifiziren sich veranlaßt sah, dennoch das große Freiheits- und Humanitätsprinzip seiner Philosophie bis zuletzt standhaft aufrecht erhielt. In den Erinnerungen einer Dame aus jener Zeit, wo neben Fichte und den übrigen schon gelegentlich genannten Gelehrten auch Woltmann und die Brüder Schlegel in Jena wirkten, erscheint der mannhafte Philosoph als eine kurze gedrungene Gestalt. Das Haar fiel ihm bis auf die Schultern herab, wo es glatt abgeschnitten war. Unter starken Brauen schossen dunkle heftige Augen »wie Kugeln« hervor und nicht minder herausfordernd war die Adlernase und das stolze befehlende Wort. Mitten in der belebtesten Unterhaltung sei er Abends oft plötzlich auf und fort gesprungen, sich »noch einen Louisd'or zu erschreiben;« aber Buchhändler- und Studentenhonorare hatten nur ein »sehr flüchtiges Absteigequartier« in seiner Tasche, weil er das Geld auf unglaublich schnelle Weise auszugeben verstand. Nichts Grelleres habe man sehen können als Fichte und Woltmann neben einander, Jener stets »wie ein Chiffonnier, Dieser im mohnfarbenen zierlichen Rocke, in der Weste von blauem Atlas mit blühend weißer Wäsche und schwarzseidenen Unterkleidern.« Mit Ausnahme Woltmann's und Göthe's, welcher Letztere damals den »verzweifelten Geschmack« hatte, stets fleischerfarbene braunrothe Ueberröcke zu tragen, sei es überhaupt mit der äußeren Eleganz dieser Heroen schlecht bestellt gewesen. Das Schnupfen und Rauchen sei in diesen Kreisen entsetzlich stark betrieben worden, besonders im Hause des Orientalisten Ilgen, wo Humboldt, welcher den Tabaksrauch haßte, oft in große Noth gekommen. Wann nach Tische die Herren sich rauchend zum Kaffee zusammengesetzt, hätten Humboldt's Manövers begonnen, einen Augenblick abzukommen, um den Rock zu wechseln, da er den Staatsrock vor dem Tabaksgeruch retten wollte, und das Spaßhafte hiebei sei gewesen, daß Humboldt's Staatsgarderobe ohnedies höchst unscheinbar war und daß er »in Ilgen's Schlachtendampf mit einem Kleide trat, was ein reputirlicher Barbier unserer Tage verschmäht haben würde.« Auch Bedenklicheres meldet uns die Dame. So von den Brüdern Schlegel, daß Jeder derselben eine Lebensgefährtin besaß, welche »die Kirche nicht dazu sanctionirt hatte,« und daß die beiden Herren mit ihren Gläubigern zuweilen in mehr oder minder ergötzliche Conflicte gerathen seien Laube: Moderne Charakteristiken, I, 356-372.. Diese Romantik des Jena'schen Lebens steigerte sich dann gegen das Ende des Jahrhunderts zu, als der brausende Most der romantischen Schule in der Stadt gährte, freilich ohne jemals zu rechter Klärung zu kommen. August Wilhelm Schlegel's Haus versammelte zu Zeiten die Chorführer der Schule, unter denen neben Friedrich Schlegel Tieck und Novalis vorragten. Clemens Brentano, damals noch Student, fand da Raum, seine Eulenspiegeleien zu treiben. Als er eines Abends seine tolle Humoreske: »Naturgeschichte des Philisters« vorgelesen hatte, stand der ebenfalls anwesende Fichte auf und sagte: »Nun will ich euch aus dieser Geschichte beweisen, daß eben der Brentano hier der erste und ärgste unter allen Philistern ist« – welcher Beweis denn auch sofort in Form einer schlagenden Kritik geliefert wurde Köpke: Erinnerungen aus Tieck's Leben, I, 251.. Auch Schelling, der Schöpfer der Naturphilosophie, trat in diese Kreise, wo schon seine persönliche Erscheinung – der »runde Kopf mit der kleinen slavischen Nase und den stralenden Augen« – Aufsehen erregte, und machte in der ersten Zeit die gerade im Schwange gehenden romantischen Genialitäten in einem Grade mit, welcher bösen Zungen hinlängliche Veranlassung zu skandalfreudiger Aeußerung gab.

Während so in der Musenstadt an der Saale eine neue Generation von Stürmern und Drängern, unbekümmert um die näher und näher rückenden großen Katastrophen der Zeit, in einem bunten Treiben sich gefiel, welches im Löblichen wie im Bedenklichen vielfach an das erinnerte, was zwanzig Jahre früher drüben in Weimar geschehen war, hatte in der Musenstadt an der Ilm mehr und mehr ein ernster und gemessener Ton Platz gegriffen. Die genialisch unbändige Lustigkeit der Tage und Nächte von Ettersburg und Tieffurt war längst dahin. Was drüben in Jena, in den weltfernen Gelehrtenstuben, ob dem Geräusche wissenschaftlicher Strebungen und literarischer Händel vergessen werden konnte, die politische Lage, drängte sich hüben in Weimar mit der ganzen Macht der Thatsachen der Betrachtung auf. Freilich trugen sich bis zum Schlusse des Jahrhunderts und noch in das neue hinein hinsichtlich der Resultate, welche das kriegerische Vorgehen der jungen französischen Republik gegen das alte monarchische Europa für Deutschland haben müßte, auch sonst hellsichtigste Männer mit wunderlichen Illusionen. So Göthe, welcher im März 1798, als die Nachricht von den Niederlagen eingetroffen, welche die Franzosen dem verrotteten schweizerischen Aristokratismus beigebracht, zwar mit Besorgniß gegen Schiller äußerte: »Wer wird der beweglichen, glücklich organisirten und mit Verstand und Ernst geführten französischen Masse widerstehen?« – aber doch mit der politischen Einsicht eines preußischen Garde-Gensdarmerie-Offiziers von damals hinzufügte: »Ein Glück, daß wir in der unbeweglichen nordischen Masse stecken, gegen die man sich so leicht nicht wenden wird.« Der unbeweglichen nordischen Masse sollte das Pochen auf ihre Unbeweglichkeit gegenüber der französischen Beweglichkeit bald genug theuer zu stehen kommen. Der Herzog Karl August, den Franzosen schon darum abgeneigt, weil er französischem Uebermuth gegenüber als Deutscher sich fühlte, war zwar im Vertrauen auf die Macht Preußens, an dessen Politik er sich angeschlossen, weit entfernt, ein Schicksal zu ahnen, wie der Tag von Jena es für die Monarchie Friedrich's des Großen und für Deutschland bringen sollte; allein trotzdem konnte er als Mann und Fürst der Sorge über die unheildrohende Verdüsterung des politischen Horizontes sich nicht entschlagen. Seine Gemahlin, die Herzogin Luise, schon von Natur mehr der ernsten als der heiteren Seite des Lebens zugekehrt, vermochte jetzt, da die Stimmung am Hof eine ernstere geworden war, den stillen Einfluß einer würdevollen Weiblichkeit mehr geltend zu machen als früher und so trug das Weimar'sche Leben überall eine gedämpftere Färbung. Die Theilnahme des Hofkreises am Rechten und Schönen war deßhalb keine lässigere; aber wie sie früher an dem Geloder genialischer Flammen sich erfreut hatte, so bethätigte sie sich jetzt einerseits an der wissenschaftlichen Bewegung der Zeit, andererseits an jenem Cultus der schönen Form, für welchen besonders die italischen Reiseerfahrungen Göthe's, Herder's und der Herzogin Amalia befruchtend geworden waren. Diesem Cultus sollte auch das seit 1791 eingerichtete Hoftheater dienen, dessen Bildung und Leitung Göthe übernommen hatte. Damit begannen dann die Experimente Behufs der Schaffung einer idealen Bühne, welche, gegenüber dem Ungeschmack, den Gemeinheiten und Ausschreitungen der gäng und gäben theatralischen Praxis, die Ergebnisse künstlerischer Bildung dem Publicum dramatisch vermitteln sollte, – Experimente freilich, die keineswegs immer gelungene waren und überhaupt aus der Region eines wohlmeinenden Dilettantismus erst dann heraustraten, als Schiller mit der ganzen Wucht seines dramatischen Genie's und seiner Begeisterung dem Unternehmen zu Hülfe kam. Die gute Gesellschaft von Weimar – man zählte dazu außer den Fürstlichkeiten und ihrer nächsten Umgebung Charlotte von Stein, Charlotte von Kalb, Karoline Herder, Amalia von Imhof, Frau von Berlepsch, dann selbstverständlich Göthe, Wieland, Herder, ferner Bode und Bertuch, Jener als Uebersetzer, Dieser als Gründer und Leiter des Industrie-Comptoir vielbeschäftigt, weiterhin den Schweizer Meyer, Göthe's künstlerischen Hausgenossen, den hochgebildeten Geheimrath Voigt, den gutmüthigen Satiriker Falk und den gelehrten Archäologen Böttiger, in seinen bessern Tagen von Göthe und Schiller als »Magister Ubique« und »Allerweltsschwätzer« wohl etwas zu scharf perhorrescirt – die gute Gesellschaft von Weimar, in deren Kreisen wir ab und zu auch den hofsatten Knebel treffen, dann Besucher wie Bürger, Voß, den großen Philologen Wolf, die Brüder Humboldt, also diese Gesellschaft zeigte nach dem Vorgang und Beispiel Göthe's zu Anfang der neunziger Jahre ein lebhaftes Interesse für naturwissenschaftliche Probleme. Alle Welt sammelte Steine, legte Herbarien an und selbst zarteste Damenhände wirthschafteten in dem »Beinhaus« der Osteologie umher, aus welchem Göthe durch Schiller wieder in den »freien Garten des Lebens« herausgerufen worden zu sein bekennt Göthe's Werke, XXXVI, 251.. Auch die Naturwissenschaften hatten durch die Kant'sche Revolution einen mächtigen Anstoß erhalten. Schon Kielmeyer ahnte, in Anwendung Kant'scher Prinzipien auf die Naturforschung, die Erfassung des Naturganzen als eines Organismus und aus dieser Ahnung entwickelte sich sofort ein vielseitiges Studium der Natur. Blumenbach, in der Vielerleiheit seiner Forschungen stets die bindende Einheit der Idee festhaltend, wurde mit Sömmering der Begründer einer wissenschaftlichen Physiologie. Ein Hufeland, ein Reil und Andere führten die neugewonnenen naturwissenschaftlichen Resultate in die medizinische Praxis ein. Werner und Sternberg, die Geognosie und Geologie auf neue wissenschaftliche Grundlagen stellend, eröffneten dem staunenden Auge der Zeitgenossen den Einblick in eine Geschichte der Erde, deren Zeitrechnung nicht Tausende, sondern Millionen von Jahren umfaßt, und schon rüstete sich Alexander von Humboldt, die glorreiche Laufbahn anzutreten, welche ihn zum Seher und Deuter der erhabenen Kosmos-Idee machen sollte. Alle diese Strebungen, verbunden mit den geschichtlichen, philologischen und ästhetischen Studien und Findungen jener Tage, spielten in den Weimarer Kreis herein. Mit dem Jena'schen fand ein reger Ideenaustausch statt. Göthe ging, ernste wissenschaftliche Bedürfnisse zu befriedigen, häufig in die Universitätsstadt hinüber, wie er denn auch daselbst unter Loder's Leitung zugleich mit Alexander von Humboldt Anatomie studirt hat. Wiederum kamen die Jena'schen Gelehrten nach Weimar herüber, um an den Erörterungen des wissenschaftlichen Vereins sich zu betheiligen, dessen Sitzungen seit 1791 jeden ersten Freitag im Monat im Palais der Herzogin Amalia gehalten wurden, ein ernstes Gegenbild zu dem bunten Mummenschanz der kraftgeniallustigen Wirthschaft von ehedem. In diesem Verein, wo man mit anständiger Zwanglosigkeit sich bewegte und wo Karl August, seine Mutter und seine Gemahlin selten oder nie fehlten, wurden in freiem Gespräch oder mittelst förmlicher Vorträge die Ergebnisse wissenschaftlicher Thätigkeit in Umlauf gesetzt. Hier las Göthe seine Beobachtungen über das Farbenprisma und seine Forschungen über Cagliostro vor, Herder seinen Aufsatz über wahre Unsterblichkeit, Andere Anderes. Von dem edlen Freimuth, welcher da heimisch war, zeugte die von Knebel vorgetragene Abhandlung über »Wohlwollen, Werthschätzung und Höflichkeit.« Es kam darin die Stelle vor: »Andere Nationen nennen die Höflichkeit mit Ausdrücken, die vom Adel hergenommen sind ( gentilesse, gentleman-like). Auf deutschem Boden geht das nicht … Die Fürsten erhielten ihre Hochschätzung zuerst, weil sie die Stärksten und Klügsten im Volke waren. Diese Hochschätzung ist erblich geworden unter der Voraussetzung, daß die Nachkommen der Fürsten den Wechsel richtig bezahlen werden, den ihre Vorahnen auf sie zogen.« Und gerade bei dieser Stelle bezeugte der Herzog dem wackeren Knebel laut seinen Beifall Böttiger, Literar. Zust. und Zeitg. I, 32.. Man war in Weimar in keiner Weise mehr revolutionär gestimmt, aber man war und blieb liberal.

Indem wir uns zu Schiller zurückwenden, finden wir den Dichter im Sommer und Herbst von 1794 an seiner berühmten Abhandlung: »Ueber naive und sentimentalische Dichtung« arbeitend. Er war darauf geführt worden, als er die letzte Feile an seine ästhetischen Briefe legte. Zu Anfang Septembers äußerte er darüber gegen Körner: »Ich schreibe aus dem Herzen und mit Liebe. Es ist gleichsam eine Brücke zu der poetischen Production.« Der schöpferische Geist begann sich demnach wieder in ihm zu regen; aber bevor er dieser Regung nachgab, empfand er, wie der genannte Aufsatz beweist, das Bedürfniß, seinen künstlerischen Idealismus, der in den Briefen über die ästhetische Erziehung des Menschen den vollendetsten philosophischen Ausdruck gefunden, gegenüber dem künstlerischen Realismus, welcher ihm in Göthe inzwischen freundschaftlich nahegetreten, allseitig ins Klare zu setzen. Die Beziehung auf Göthe und ihn selbst ist in dieser Schrift, wenn auch unausgesprochen, überall eine augenscheinliche: – Göthe ist der naive, Schiller der sentimentalische Dichter. Aber was ist naiv? was sentimentalisch? In Beantwortung dieser Frage hat Schiller nicht nur das Wesen seines Genius sich zum Bewußtsein gebracht, sondern auch bedeutendste Probleme der Poetik psychologisch erledigt. In uns Allen lebt das ästhetische Ideal. Wir genießen desselben als einer Wirklichkeit oder aber wir streben danach als nach Einem, welches sein sollte. Mit anderen Worten, unser Idealismus ist entweder Natur oder Sehnsucht. Ist er erstere, so empfinden wir naiv; ist er letztere, so empfinden wir sentimentalisch. Dieses auf die Poesie angewandt, welche die Aufgabe hat, das ästhetische Ideal darzustellen, finden wir, daß sie entweder naiv oder sentimentalisch sich äußern muß. Der naive Dichter bildet, was er als schöne Wirklichkeit empfindet, ab; der sentimentalische bildet, was er als zu verwirklichende Schönheit in sich fühlt, vor. In beiden Fällen ist die schöne Natur Gegenstand dichterischer Thätigkeit, aber der naive Dichter ahmt die gegenwärtige nach, der sentimentalische sucht sie als etwas Verlorenes. Jener fühlt seine Verwandtschaft mit der Natur, er ist in ihr daheim und seine Liebe zu ihr ist daher kindlich einfach und unbefangen, ist etwas Selbstverständliches, wovon man nicht viel Aufhebens macht; dieser fühlt die Entfremdung von der Natur, er empfindet also Heimweh nach ihr und seine Liebe zu ihr ist eine schwärmerische, sehnsüchtige, begeisterte. Und es kann nicht bloß eine naive Empfindungsweise geben, denn die sentimentalische – die sentimentale faßt Schiller als Bastardschößling der sentimentalischen, als Empfindelei – ist ein nothwendiges Moment in dem Entwicklungsprozeß des menschlichen Geistes. Die Kultur entfremdet den Menschen der Natur. Diesen Verlust zu ersetzen, schafft die Phantasie eine ideale Natur und aus dem Gegensatz, in welchem diese zur Wirklichkeit steht, entspringt die schöpferische Arbeit des sentimentalischen Dichters, wogegen die Aufgabe des naiven in der möglichst treuen und lebendigen Nachschöpfung der wirklichen Natur besteht. Im Verlauf seiner Untersuchung hat Schiller dann nachgewiesen, daß sich auf den Gegensatz des Naiven und Sentimentalischen die Begriffe antik und modern oder classisch und romantisch basiren. Das Classische ist wesentlich naiv, das Romantische wesentlich sentimentalisch. Man muß sich aber hüten, classisch und antik für identisch zu halten, denn im Sinne Schiller's ist Shakspeare nicht minder ein classischer Dichter als Homer … Die weiteren Entwickelungen der Schiller'schen Poetik, wie die in Rede stehende Abhandlung sie darlegt, brauchen wir hier nicht zu verfolgen. Es genügt, zu sagen, daß Schiller in dem Sinne, in welchem er Vorstehendem zufolge die sentimentalische Poesie verstand, entschieden und klar als sentimentalischer Dichter sich fühlte und wußte: der Contrast von Ideal und Wirklichkeit ist die Wurzel seiner Dichtung. Wir werden bald einem glänzenden Versuche begegnen, die Kluft poetisch zu überbrücken, d. h. aus der Durchdringung und Verschmelzung von Idealismus und Realismus das wahre Bild schöner Menschheit hervorgehen zu lassen.

Mit dem ernsten und großen Sinne, welcher sein ganzes Wirken kennzeichnet, ging Schiller seit seiner Rückkehr aus der schwäbischen Heimat an die Ausführung des daselbst mit Cotta vereinbarten Planes einer literarischen Zeitschrift, welche, wie er am 12. Juni 1794 an Körner schrieb, »ein epochemachendes Werk« sein sollte. Die ökonomische Seite des Unternehmens war von Cotta freigebig sichergestellt und Schiller begann sein Redactionsgeschäft damit, daß er in Jena Wilhelm von Humboldt, Fichte und Woltmann für die Sache gewann. Dann wurden Göthe, Kant, Garve, Engel, Jacobi, Körner, Herder, Gotter, Klopstock, Voß, Reinhold, Baggesen, Thümmel, Lichtenberg, Matthisson, Salis und Andere zur Mitarbeit eingeladen und in einem vom 13. Juni datirten Kreisschreiben setzte der Dichter den Eingeladenen Plan und Zweck der Zeitschrift auseinander. Für das Publicum schrieb er eine ausführliche Ankündigung der »Horen«, welche im Dezember im Intelligenzblatt der Allgemeinen Literaturzeitung erschien. Förderung wahrer Humanität war die Losung der neuen Zeitschrift. Die Schwierigkeiten und Hindernisse bei Verfolgung dieser Tendenz waren voraussichtlich keine geringen und Schiller hat sich das auch von Anfang an nicht verhehlt. »Zu einer Zeit« – so begann die Ankündigung der Horen – »wo das nahe Geräusch des Krieges das Vaterland ängstigt, wo der Kampf politischer Meinungen und Interessen diesen Krieg beinahe in jedem Cirkel erneuert und nur allzu oft Musen und Grazien daraus verscheucht, wo weder in den Gesprächen noch in den Schriften des Tages vor diesem allverfolgenden Dämon Rettung ist, möchte es ebenso gewagt als verdienstlich sein, den so sehr zerstreuten Leser zu einer Unterhaltung ganz entgegengesetzter Art einzuladen. In der That scheinen die Zeitumstände einer Schrift wenig Glück zu versprechen, die sich über das Lieblingsthema des Tages ein strenges Stillschweigen auferlegen und ihren Ruhm darin suchen wird, durch etwas Anderes zu gefallen als wodurch jetzt Alles gefällt. Aber je mehr das beschränkte Interesse der Gegenwart die Gemüther in Spannung setzt, einengt und unterjocht, desto dringender wird das Bedürfniß, durch ein allgemeines und höheres Interesse an dem, was rein menschlich und über allen Einfluß der Zeiten erhaben ist, sie wieder in Freiheit zu setzen und die politisch getheilte Welt unter der Fahne der Wahrheit und Schönheit wieder zu vereinigen.« Dieser Gesichtspunkt wird dann weiter entwickelt: – »Mitten in dem politischen Tumult soll unsere Zeitschrift für Musen und Charitinnen einen vertraulichen Cirkel schließen, aus welchem Alles verbannt sein wird, was mit einem unreinen Parteigeist gestempelt ist. Aber indem sie sich alle Beziehungen auf den jetzigen Weltlauf und auf die nächsten Erwartungen der Menschheit verbietet, wird sie über die vergangene Welt die Geschichte und über die kommende die Philosophie befragen, wird sie zu dem Ideale veredelter Menschheit, welches durch die Vernunft gegeben, in der Erfahrung aber so leicht aus den Augen gerückt wird, einzelne Züge sammeln und an dem stillen Bau besserer Begriffe, reinerer Grundsätze und edlerer Sitten, von dem zuletzt alle wahre Verbesserung des gesellschaftlichen Zustandes abhängt, nach Vermögen geschäftig sein.« Gewiß, gediegen und schön war die Tendenz dieser Zeitschrift, welche »Wohlanständigkeit und Ordnung, Gerechtigkeit und Friede« zu ihrer Regel machte und demnach mit Grund unter dem Namen der drei schwesterlichen Horen Eunomia, Dike und Irene erschien, in welchen Göttergestalten der Grieche die »welterhaltende Ordnung« verehrte. Das Unternehmen war kühn, und um die ganze Kühnheit dieser Manifestation des Idealismus unseres Dichters zu verstehen, vergegenwärtige man sich nur die Unruhe, Angst und Bedrängniß der realen Welt von damals, wo – wie freilich im Grunde zu jeder Zeit – nicht Vernunft und Gerechtigkeit, sondern skrupelfreie Schlauheit und rohe Gewalt die Entscheidungen gaben.

Noch vor Schluß des Jahres konnte Cotta das erste Monatsheft der Horen versenden, wenigstens kam es unserem Dichter frühzeitig genug zu, daß er in seinem Brief vom 22. Dezember gegen Göthe Format, Papier und Lettern der neuen Zeitschrift rühmen konnte, das »solide, dauerhafte Ansehen, welches dieselbe vortheilhaft von dem Haufen der Journale unterschied.« Aber sofort begannen auch die Redactionsleiden Schiller's und schon am 29. Dezember hatte er Veranlassung, an Körner zu schreiben: »Unserer guten Mitarbeiter sind bei allem Prunk, den wir dem Publicum vormachen, wenige und von diesen wenigen ist fast auf die Hälfte für diesen Winter nicht zu rechnen. Göthe will seine (römischen) Elegieen nicht gleich in den ersteren Stücken eingerückt, Herder will auch einige Stücke erst abwarten, Fichte ist mit Vorlesungen überhäuft, Garve krank, Engel faul; die Anderen lassen Nichts von sich hören.« Doch ist er guten Muthes und fügt seinen und Lotte's dem Freunde dargebrachten guten Wünschen zum Jahreswechsel die Worte bei: »Mein kleiner Sohn ist frisch und gesund und macht die Freude meines Lebens aus. Mir ist, trotz meines ewigen Krampfübels, selten so wohl im Geist und Herzen gewesen« … Im Laufe des Januar 1795 kann er dem Freunde melden, daß Cotta mit dem Absatz der Horen »äußerst zufrieden« sei, daß sogar in »sehr kleinen Städten« zwölf und mehr Exemplare bestellt seien und daß die Gesammtzahl der Abonnenten nahezu ein Tausend betrage, was immerhin für die rege Betheiligung des Publicums zeugte, da zu jener Zeit Lesecirkel und Leihbibliotheken noch lange nicht einmal annähernd so häufig waren wie heutzutage und demnach der Buchhandel und die Journalistik in weit höherem Grade als jetzt auf den Absatz an Privatleute sich angewiesen sahen. Bald jedoch trübten sich die Aussichten. Die Horen brachten als Hauptmasse zunächst Schiller's Briefe über die ästhetische Erziehung des Menschen und Göthe's Unterhaltungen deutscher Ausgewanderter, dann kleinere Aufsätze von Fichte, Woltmann, Körner, Herder, weiterhin den Lorenz Stark von Engel, Proben der Verdeutschung von Dante's göttlicher Komödie durch A. W. Schlegel. Die erwähnten Novellen Göthe's waren für das Publicum nur eine Enttäuschung hochgespannter Erwartungen. Die Herrlichkeit der darauf folgenden Römischen Elegieen riß dann freilich alle überhaupt Empfänglichen hin, aber über Schiller's ästhetische Briefe herrschte – wie Humboldt noch im Juli 1795 dem Dichter schrieb – selbst im intelligenten Berlin » altum silentium«. Dieses »tiefe Stillschweigen« über ein so bedeutendes Werk kann uns zeigen, daß Schiller bei Unternehmung der Horen einen viel zu idealischen Maßstab an den Bildungsgrad der großen Lesewelt gelegt und übersehen hatte, daß nur auserwählteste Geister unter den Zeitgenossen die Ansichten vom Wesen und Beruf des Dichters und Schriftstellers, welche er als Resultat eines schweren Läuterungsprozesses gewonnen, zu verstehen und zu würdigen vermöchten. Die bittere Erfahrung, daß von Allem, was die Horen brachten, Engel's philisterhafter Lorenz Stark den allgemeinsten Beifall fand, konnte ihn nach dieser Seite hin aufklären. Dazu kam, daß das ganze Heer der lieben Mittelmäßigkeit, wie es damals in der deutschen Publizistik organisirt war, von Anfang an mit Scheelsucht auf die Horen geblickt hatte und alsbald zu mehr oder minder offener oder versteckter Feindseligkeit überging. Allen diesen Leuten war der mittelst der Horen manifestirte Bund zwischen Göthe und Schiller ein Dorn im Auge. Es zeigte sich jetzt recht deutlich, wie hoch die beiden Dichter mit ihren Anschauungen und Ueberzeugungen über dem Niveau standen, welches die deutsche Bildung damals erreicht hatte. So eine isolirte Stellung hat aber zu allen Zeiten den Neid und Haß herausgefordert und es ist selbstverständlich, daß auf die vorragendsten Vorkämpfer der Zukunft die meisten Köcher sich entleeren. Der Kreis der Gegner unserer beiden Dichter war ein eben so zahlreicher als gemischter: da waren gelehrte Pedanten, die von wahrer Poesie überhaupt keine Ahnung hatten; ferner Aufklärer aus der Schule Nicolai's, die der Menschheit ein für allemal nicht gestatten wollten, aus der Sphäre einer hausbackenen Verständigkeit herauszutreten; dann die zelotische Brut, wie sie der Hauptpastor Götze reichlich in Deutschland hinterlassen hatte, oder süße Fromme vom Schlage Stolberg's; weiter die politisch Aufgeregten, welche es den beiden großen Freunden nicht verzeihen konnten, daß diese nicht mit ihnen um die französischen Freiheitsbäume tanzen mochten; auch die Schwärmer à la Lavater, die Empfindler à la Lafontaine und die Rührseligen à la Kotzebue; endlich die ganze Sippschaft der Trivialen und Denkfaulen, – dieselbe Sippschaft, welche immer und überall dem Mittelmäßigen, Erbärmlichen und Gemeinen zugeklatscht und das Ungewöhnliche, Hohe und Geniale verkannt, verlästert und verfolgt hat. Im Uebrigen darf, so man gerecht sein will, nicht verschwiegen werden, daß man der Menge – welches Wort ich hier keineswegs im verächtlichen Sinne nehme – denn doch nie und nirgends zumuthen kann, sich mit einem Sprung in Regionen zu versetzen, wo Männer sich heimisch fühlen, in welchen der höchste Schwung der Zeitrichtung einer außerordentlichsten Begabung begegnet, und ebenso ist daran zu erinnern, daß die Ankündigung der Horen mehr versprochen hatte als die Zeitschrift wirklich leistete. Allerdings konnte keines der übrigen gleichzeitigen literarischen Blätter auch nur entfernt die Vergleichung mit ihr aushalten, allein Schiller hatte nicht nur dem guten Willen des Publicums, sondern auch dem der Mitarbeiter zu sehr vertraut. Er hatte seinen eigenen Enthusiasmus auch bei ihnen vorausgesetzt und fand sich von Seiten der meisten getäuscht. Am wackersten hielt Göthe aus, aber seine und Schiller's Anstrengungen vermochten ein Organ nicht in die Länge zu halten, welches, Alles in Allem betrachtet, denn doch mit zu souverainem Idealismus über die »nächsten Interessen und Erwartungen« des Publicums sich hinwegsetzte. Zu einer Zeit, wo es sich für Deutschland eigentlich schon um Sein oder Nichtsein handelte, war es selbst von Deutschen zu viel verlangt, daß sie inmitten einer bedrohlichsten Gegenwart an dem ideellen Aufbau der Zukunft herzlichen Antheil nehmen sollten. Als Schiller das erkannt hatte, ließ er, mißmuthig, die Horen nach dreijährigem Bestehen eingehen, obgleich der Verleger bereit war, die Zeitschrift fortzusetzen Sch. Briefw. mit K. IV, 72..

Wenn jedoch unser Dichter von Mißgriffen bei diesem publizistischen Unternehmen keineswegs freizusprechen ist, so ist auf der andern Seite leicht zu begreifen, wie sehr er, der Reinheit seines Wollens gewiß, durch die Gemeinheit der Anfechtungen, welche er als Herausgeber der Horen zu befahren hatte, empört und erbittert werden mußte Eine Probe der beregten Gemeinheit mag folgende »Anekdote« geben, welche am 14. November 1795 in der » Camera obscura von Berlin« stand: – »Ein hiesiger Bürger, aus Mecklemburg gebürtig, fand bei einem Freunde ein Stück von dem berühmten Journal: die Horen. In seiner Landesmundart bezeichnet der Name jener freundlichen Gottheiten gar zu freundliche Sterbliche und er ließ sich verleiten, in die Jeremiade auszubrechen: Gott bewahre uns für de Horen, en Schornahl. Nix as Schornahlen, roth, groen, blau und grau, ok für de Horen ens. Fründ, dat kann en nich so blieben. Der Freund bat ihn, das Stück, welches gerade da lag, mitzunehmen; er brachte es aber nach einigen Tagen mit der Versicherung zurück: er lasse sich nicht dumm machen; er habe es gelesen und verstehe sehr wenig davon; aber was er verstehe, wäre ›Horenkram‹«.. Bevor der Horentanz ein Jahr gewährt hatte, mußte Schiller dem Freund in Dresden schreiben (2. Nov. 1795): »Die Horen werden jetzt von allen Orten her sehr angegriffen, besonders meine (ästhetischen) Briefe – aber von lauter trivialen und eselhaften Gegnern, daß es keine Freude ist, auch nur ein Wort zu repliziren.« Er konnte sich indessen der Replik doch nicht enthalten. Schon im 12. Monatsheft der Horen, welches einen Theil seiner Abhandlung über naive und sentimentalische Dichtung brachte, versetzte er in Form einer Anmerkung den Gegnern scharfe Hiebe. Tröstlich mußte es ihm sein, daß zu eben der Zeit, wo das Heer der Angreifer in der Fremde sich gegen ihn sammelte, seine Geltung in der alten Heimat bedeutend stieg. Während seines Besuches in Schwaben waren Abel und andere seiner Freunde auf den Gedanken gekommen, den Dichter für die Landesuniversität zu gewinnen. Ihre bezüglichen Bemühungen hatten Erfolg gehabt und im Frühjahr 1795 erhielt Schiller von daheim den Ruf zu einer Professur in Tübingen. Unterm 5. April schrieb er darüber an Körner: »Ich habe eine förmliche Vocation nach Tübingen erhalten, mit einem zwar mäßigen, aber in der Folge zu verbessernden Gehalt. Ich habe sie aber ausgeschlagen, weil ich keine bestimmten Pflichten übernehmen kann. Aber auch ohne dieses würde ich Jena und meine hiesige freie Existenz mit keinem anderen Orte vertauschen. Vom Herzog von Weimar habe ich mir dafür eine Verdoppelung meines Gehalts ausgebeten, im Falle meine Gesundheit mir die Schriftstellerei untersagte. Dies ist mir bewilligt worden und nun habe ich meine Existenz auf gewisse Weise assecurirt« Vgl. über die Berufung Schiller's nach Tübingen seine Briefe an Göthe vom 19. Februar und 25. März 1795. Briefw. I, 48, 59.. Noch tröstlicher als dieses ihm hiebei von Stuttgart und von Weimar her bezeigte Wohlwollen war unserem Dichter in allen Widerwärtigkeiten jener Zeit der mehr und mehr vertraulich sich gestaltende Bund mit Göthe. Die gegenseitige segensreiche Einwirkung der Beiden auf einander hatte begonnen: sie fühlten lebhaft, was sie einander schon waren und immer mehr werden mußten. Hier war wechselseitiges Verständniß, hier ein Austausch wahrhaft fördernder Kritik. Für eine seiner größten Geistesthaten, für seine ästhetischen Briefe, erfuhr Schiller zunächst außer von Körner und Humboldt nur noch von Göthe die gebührende Anerkennung. Dieser schrieb ihm schon am 26. Oktober 1794. »Das mir übersandte Manuscript habe ich mit großem Vergnügen sogleich gelesen; ich schlürfte es auf einen Zug hinunter. Wie uns ein köstlicher, unserer Natur analoger Trank willig hinunter schleicht und auf der Zunge schon durch gute Stimmung des Nervensystems seine heilsame Wirkung zeigt, so waren mir diese Briefe angenehm und wohlthätig, und wie sollte es anders sein, da ich das, was ich für Recht seit langer Zeit erkannte, was ich theils lobte theils zu loben wünschte, auf eine so zusammenhängende und edle Weise vorgetragen fand?« Schiller seinerseits, wie herzlich begrüßte er Göthe's römische Elegieen, »diese wahre Geistererscheinung des guten poetischen Genius,« und wie brüderlich liebevoll interessirte er sich für die Fortführung des Wilhelm Meister! Die Freude an dem neidlosen Zusammenstreben dieser erwählten Geister kann wahrlich nicht oft genug ausgedrückt werden. Bis zu welchem Grade der Vertraulichkeit der mündliche und schriftliche Verkehr der Beiden während der Jahre 1794-95 gediehen war, wird uns dadurch bezeugt, daß Göthe, damals den meisten Menschen gegenüber schon vornehm zugeknöpft, als er dem Freunde unterm 1. November 1795 meldete, es sei ihm ein Sohn geboren, das artige Scherzwort hinzufügte: »Nun wäre es an Ihnen, zu Bildung der Schwägerschaft und zu Vermehrung der dichterischen Familie für ein Mädchen zu sorgen.«

Die Vermehrung der dichterischen Familie in dem von Göthe gemeinten Sinne blieb nicht aus, aber von größerer Bedeutung war es, daß der scherzhafte Wunsch des Freundes auch im geistigen Sinn Erfüllung fand. Wenn wir schon oben Gelegenheit hatten, ein Bekenntniß Göthe's anzuführen, daß der freundschaftliche Verkehr mit Schiller befruchtend auf seine poetische Thätigkeit gewirkt habe, so ist jetzt zu sagen, daß auch für Schiller in diesem Verkehr eine Fülle von Anregungen zu neuem künstlerischen Schaffen lag. Mitten in dem Genusse, welchen ihm Göthe's Wilhelm Meister bereitete, fühlte er sich ebenfalls wieder als Dichter; auch seine Freude an der Luise von Voß rief ihm dieses Gefühl zurück. Der Gedankenaustausch mit Göthe – welchen Letzteren er ja dessen eigenem Geständniß zufolge aus dem »Beinhaus der Osteologie« zur Dichtung zurückführte – wurde ihm zu einem rechten Ariadnefaden, der ihn aus dem Labyrinth der philosophischen Speculation zur schöpferischen Bildnerei hinüberleitete. Es war schon ein Anhauch der poetischen Begeisterung, welcher ihn am 7. Januar 1795 an Göthe schreiben ließ: »Der Dichter ist der einzige wahre Mensch und der beste Philosoph ist nur eine Caricatur gegen ihn.« Ein äußerer Sporn zu dichterischem Schaffen war der Umstand, daß er schon im Oktober 1794 Göthe zur Betheiligung an einem Musenalmanach eingeladen hatte, welchen er im Verlag eines jungen Buchhändlers aus Neustrelitz, Michaelis, zur Herbstmesse 1795 für das folgende Jahr erscheinen lassen wollte und wirklich erscheinen ließ. Das Geschlecht der deutschen Musenalmanache, durch Boie und Gotter 1770 in Göttingen gestiftet und heute noch blühend, spielte zur Göthe-Schiller'schen Zeit in der literarischen Welt eine sehr bedeutende Rolle und erreichte gerade durch Schiller seinen höchsten Glanz Eine verdienstvolle gedrängte Bibliographie der Musenalmanache hat K. Gödeke (»Elf Bücher deutscher Dichtung«, I, 727) geliefert.. Humboldt schrieb zu Anfang des August 1795 von seinem Familiengute Tegel bei Berlin, daß er Schiller's Beiträge zum Musenalmanach mit Ungeduld erwarte und sehr begierig sei, zu sehen, wie der Dichter den Uebergang von der Metaphysik zur Poesie gemacht habe. In der That, dieser Uebergang war kein leichter. Die Briefe des Dichters an Körner vom Sommer 1795 geben Zeugniß, daß er, noch dazu von mitunter sehr heftigen Krankheitsanfällen gepeinigt, alle Energie seiner Seele aufbieten mußte, um den lange vernachlässigten poetischen Genius wieder zur Aeußerung zu bringen. Endlich scheint der Durchbruch plötzlich erfolgt zu sein; denn es liegt kein Grund vor, die von Schwab aus dem Mund eines Augenzeugen gegebene Nachricht zu bezweifeln, daß um diese Zeit Schiller eines Tages unerwartet zu einigen in seiner Wohnung versammelten Freunden hereingetreten sei, ein durchcorrigirtes Concept in der Hand und die Worte sprechend: »Ich habe da Etwas gemacht, weiß aber nicht, ob es Etwas ist.« Und dann habe er angefangen zu lesen: »Ein Regenstrom aus Felsenriffen« – die Eingangsstrophe der »Macht des Gesanges« Schwab, Sch. L. 532.. So war aus den felsigen Schachten des philosophischen Gedankens des Gesanges Strom mit Macht hervorgebrochen, und wenn man den Reichthum der dichterischen Hervorbringung betrachtet, welchen Schiller, nach vollendetem speculativen Läuterungsprozeß, von jetzt an entfaltete, so darf man auch auf ihn jenes schöne Bild von der Aloe anwenden, welche jahrelang still in sich arbeitet, um dann mit überraschender Kraft und Raschheit den herrlichen Blüthenschaft hoch empor zu treiben. Noch vor Eintritt des Herbstes waren außer der Macht des Gesanges – dessen Idee ist, daß, wie Schiller unterm 8. September an Körner schrieb, der Dichter durch eine zauberähnliche und plötzlich wirkende Gewalt die Wahrheit der Natur in dem Menschen wieder herstellt – noch die Ideale, der Tanz, das Reich der Schatten, die Würde der Frauen, der Spaziergang, der Genius und andere jener Gedichte geschaffen, in welchen zur freudigen Ueberraschung der Freunde Schiller's Gedankenlyrik plötzlich so reif und rein, gehaltvoll und formprächtig auftönte.

Welche Wirkung die Besten der Zeit von dieser Lyrik empfingen, wissen wir aus den bezüglichen Briefen Göthe's, Körner's und Wilhelm's von Humboldt an den Dichter. Als dieser dem Letztgenannten am 9. August das Anfangs »Reich der Schatten«, nachmals »Ideal und Leben« betitelte Gedicht übersandte, schrieb er dazu: »Wenn Sie meinen Brief erhalten, so entfernen Sie Alles, was profan ist, und lesen in geweihter Stille dieses Gedicht.« So sehr erschien dasselbe seinem Schöpfer selbst als eine Offenbarung von Göttlichem In einem späteren Brief an Humboldt (7. Septbr. 1795) bekennt Schiller: »Das Reich der Schatten ausgenommen, ist mir Natur und Schule (später »der Genius« überschrieben) unter meinen Gedichten das liebste.«. Ganz wie eine solche wirkte es denn auch auf Humboldt, welcher entzückt zurückschrieb: »Wie soll ich Ihnen, liebster Freund, für den unbeschreiblich hohen Genuß danken, den mir Ihr Gedicht gegeben hat! Es trägt das volle Gepräge Ihres Genie's und die höchste Reife und ist ein treues Abbild Ihres Wesens.« In Wahrheit, Humboldt hat nicht zu viel gesagt. In diesem unvergleichlichen Gedankenlied tritt zum ersten Mal der ganze Schiller vor uns hin. Die Dissonanz zwischen Leben und Ideal und die endliche harmonische Aufhebung derselben in der ästhetischen Weltanschauung ist das Thema des Gedichts. Die Wirklichkeit krankt an streitenden Gegensätzen, im Ideal werden diese zur Harmonie. Künstlerisch-schöne Gestaltung des Lebens, das ist Verwirklichung des Ideals. Indem der Mensch die »Angst des Irdischen« von sich wirft, d. h. das sinnliche Element seines Wesens vermittelst des geistigen überwindet, indem er des »Genusses wandelbare Freuden« für die reine Betrachtung der Erscheinungswelt hingibt, erhebt er sich über die sinnlichen Schranken, um »frei von jeder Zeitgewalt« in des »Ideals Reich« zu leben, in der »Schönheit stillem Schattenlande,« durch welches »des Lebens Fluß sanft und eben rinnt,« d. h. der Mensch kann sich vermöge der ästhetischen Weltbetrachtung zu einem Zustand ästhetischer Freiheit hinaufläutern, in welchem ihm das »zephyrleichte Leben klar und spiegelrein wie den Seligen auf dem Olymp dahinfließt.« Diese frohe Botschaft von der Verklärung des Irdischen durch das Ewige wird in einer Reihe von Bildern voll Tiefsinn und Anmuth ausgeführt, so daß das Gedicht – wie mit Fug gesagt worden ist K. Grün, »Friedrich Schiller als Mensch, Geschichtschreiber, Denker und Dichter,« S. 552. – »bis in die äußerste Form, bis in den einzelnen Reim hinein die selige Harmonie zwischen Inhalt und Gestaltung an sich trägt, welche Schiller als Ideal alles Menschenlebens hinstellt,« und zuletzt wird der ganze Gedankengang, wie Perlen an einem Goldfaden, zusammengefaßt in dem schönen Mythus vom Herakles, der sich aus den Schranken und Nöthen des irdischen Daseins freithätig ins Reich der Schönheit hinaufkämpft, bis »des Erdenlebens schweres Traumbild« hinter ihm versinkt und der Held, umrauscht »von des Olympus Harmonieen,« aus der Hand der Göttin ewiger Jugend den Trank der Unsterblichkeit empfängt.

Es galt aber nicht nur, diese ideale Weltanschauung aufzubauen, sondern zugleich auch, den Bau gegen die oben näher bezeichnete Schaar der Widersacher zu vertheidigen. Dies, scheint mir, ist der eigentliche Sinn des berühmten Xenienkrieges, zu dessen Führung Schiller und Göthe sich verbanden. Zunächst allerdings handelte es sich dabei nur um eine Abwehr der den Horen widerfahrenen Angriffe, allein diese Absicht erweiterte sich zu der Idee und Ausführung eines umfassenden Strafgerichts, welches über alles Unzulängliche, Verzerrte und Gemeine in der zeitgenössischen Literatur ergehen sollte. Der Gedanke ging ursprünglich von Göthe aus, welcher unterm 23. Dezember 1795 an Schiller schrieb, daß ihm »der Einfall gekommen, auf alle Zeitschriften Epigramme, wie die Xenia des Martial sind, zu machen und im Schiller'schen Musenalmanach für das nächste Jahr (d. i. für das Jahr 1797) einzurücken.« Drei Tage später übersandte er dem Freunde bereits ein Dutzend Epigramme als Probe und meinte ironisch, man könnte sich mit einem Hundert solcher Xenien »sowohl dem Publico als seinen Collegen aufs angenehmste empfehlen.« Unterm 29. Dezember schrieb Schiller zurück: »Der Gedanke mit den Xenien ist prächtig und muß ausgeführt werden. Sobald wir uns selbst nicht ganz schonen, können wir Heiliges und Profanes angreifen. Auf Ihre baldige Hieherkunft freue ich mich nicht wenig. Wir wollen wieder einmal Alles recht durch einander bewegen. Und dann soll es auch heißen: nulla dies sine epigrammate.« Göthe kam wirklich am 3. Januar 1796 nach Jena und schon am Abend des folgenden Tages konnte Schiller an Wilhelm von Humboldt melden: »Seitdem Göthe hier ist, haben wir angefangen, Epigramme im Geschmacke der Xenien des Martial zu machen. In jedem wird nach einer deutschen Schrift geschossen. Wenn wir etliche hundert fertig haben, so soll sortirt werden. Man wird schrecklich darauf schimpfen, aber man wird sehr gierig danach greifen. Ich zweifle, ob man mit einem Bogen Papier, den sie etwa füllen, so viele Menschen zugleich in Bewegung setzen kann, als diese Xenien in Bewegung setzen werden.« Am 18. Januar, als Göthe wieder nach Weimar zurückgekehrt war, sandte Schiller seinen inzwischen erschienenen Musenalmanach an Körner und bemerkte dazu: »Für das nächste Jahr sollst du dein blaues Wunder sehen. Göthe und ich arbeiten schon seit einigen Wochen an einem gemeinschaftlichen Opus für den nächsten Almanach, welches eine wahre poetische Teufelei sein wird, die noch kein Beispiel hat.« Als Antwort auf die neugierige Erkundigung des Freundes nach dem »gemeinschaftlichen Opus« schrieb er am 1. Februar: »Das Kind, welches Göthe und ich mit einander erzeugen, wird etwas ungezogen und ein sehr wilder Bastard sein. Die ganze Sache besteht in einem gewissen Ganzen von Epigrammen, davon jedes ein Monodistichon ist. Das Meiste ist wilde, gottlose Satire, besonders auf Schriftsteller und schriftstellerische Producte, untermischt mit einzelnen poetischen, auch philosophischen Gedankenblitzen.« An demselben Tage setzte Schiller auch Freund Humboldt in Kenntniß, daß die Arbeit an den Xenien bereits bis ins dritte Hundert vorgeschritten sei, und fügte bei: »Bei aller ungeheuren Verschiedenheit zwischen Göthe und mir wird es selbst Ihnen öfter schwer und manchmal gewiß unmöglich sein, unsern Antheil an dem Werke zu sortiren. Es ist auch zwischen Göthe und mir förmlich beschlossen worden, unsere Eigenthumsrechte an den einzelnen Epigrammen niemals auseinanderzusetzen, sondern es in Ewigkeit auf sich beruhen zu lassen. Sammeln wir unsere Gedichte, so läßt Jeder die Xenien ganz abdrucken.« Dieser Vorsatz wurde aber nicht in seinem ganzen Umfang ausgeführt und so erhielten denn nachmals die Chorizonten und Commentatoren reichliche Veranlassung, ihren Scharfsinn in der Ausmittelung der Urheberschaft der einzelnen Epigramme zu erproben E. Boas, ein gewissenhaftester Arbeiter auf dem Feld der deutschen Literarhistorie, hat bekanntlich die Xenien-Angelegenheit am umfassendsten dargelegt. Sein zweibändiges Buch: »Schiller und Göthe im Xenienkampf« (1851) ist ein schwerwiegender kulturgeschichtlicher Beitrag zur Aufhellung der Göthe-Schiller'schen Epoche.. Göthe hat freilich darüber am 16. Dezember 1827 kopfschüttelnd gegen Eckermann geäußert: »Die Deutschen können die Philisterei nicht loswerden. Da quängeln und streiten sie jetzt über verschiedene Distichen, die sich bei Schiller gedruckt finden und auch bei mir, und sie meinen, es wäre von Wichtigkeit, entschieden herauszubringen, welche denn wirklich Schiller gehören und welche mir. Als ob Etwas darauf ankäme, als ob Etwas damit gewonnen würde und als ob es nicht genug wäre, daß die Sachen da sind! Freunde wie Schiller und ich, jahrelang verbunden, mit gleichen Interessen, in täglicher Berührung und gegenseitigem Austausch, lebten sich in einander so sehr hinein, daß überhaupt bei einzelnen Gedanken gar nicht die Rede und Frage sein konnte, ob sie dem Einen gehörten oder dem Andern. Wir haben viele Distichen gemeinschaftlich gemacht, oft hatte ich den Gedanken und Schiller machte die Verse, oft war das Umgekehrte der Fall und oft machte Schiller den einen Vers und ich den andern. Wie kann da von Mein und Dein die Rede sein?« Ein andermal hat aber doch Göthe, ebenfalls im Gespräche mit Eckermann, selber den Unterschied zwischen seinen und Schiller's Epigrammen hervorgehoben, indem er seine eigenen »unschuldig«, die Schiller'schen dagegen »scharf und schlagend« nannte. Diese Angabe ist ihrer Allgemeinheit ungeachtet sehr richtig. Die kritische Sonderung der Xenien, Göthe's Kopfschütteln zum Trotz vom literarhistorischen Standpunkt aus nicht nur zu rechtfertigen, sondern auch sehr wünschbar und – hauptsächlich mit Hülfe eines Exemplars der Xenien, in welchem Schiller's Frau 1797 die Namenschiffren Sch. oder G. unter die einzelnen Distichen setzte – durch Kenner wie Wackernagel, Hoffmeister, Gervinus, Schäfer, Viehoff, Düntzer und Boas vollzogen, ermächtigt zu dem Urtheil, daß die Schiller'schen Xenien vorwiegend energische Polemik und scharfsatirischen Witz athmen, während die Göthe'schen, einige wenige ausgenommen, im Ton ruhiger Betrachtung und kühler Ironie sich bewegen Schiller's Epigramme ragen fast durchgehends über die Göthe'schen empor. Treffender Witz, leuchtender Humor, vernichtende Satire erfüllt sie. Er ging, ein ungestümer Streiter, begeistert in die Schlacht, um alles Falsche, Unschöne und Gemeine mit der Wurzel auszurotten, während Göthe's Distichen, wenn er sie nicht wider Frömmelei oder wider ihm verhaßte politische Grundsätze richtet, eine gewisse Versöhnlichkeit und Kälte athmen. Boas, a. a. O. I, 47..

Die Arbeit der Freunde an den Xenien währte, mit bedeutenden Unterbrechungen freilich, acht Monate lang. Bis zum August 1796 hatte die zwischen Jena und Weimar gehende Botenfrau das Manuscript beständig hin und her zu tragen. Die »fröhliche Posse der Xenien, der auf den Moment berechnete Schabernack« Schiller's Brief an Göthe vom 1. August 1796. Briefw. I, 202., war demnach in der Ausführung ein wohlüberdachtes, vielfach erwogenes, auch vielfach verändertes und modifizirtes Werk geworden. So nun, wie die 414 Distichen Ende Septembers im Schiller'schen (in den Verlag von Cotta übergegangenen) Musenalmanach auf 1797 erschienen, war ihre Wirkung eine ganz außerordentliche, in unserer Literargeschichte bis dahin beispiellose. Selbst die poetischen Jugendthaten Klopstock's, Göthe's und Schiller's hatten ein solches Aufsehen bei Weitem nicht erregt. Die ganze literarische Welt gerieth in tumultuarische Bewegung. Wunderbar zu sagen, etliche Hunderte von Epigrammen vermochten Deutschland aufs Heftigste aufzuregen zu einer Zeit, wo den Augen der Deutschen die ungeheuersten geschichtlichen Schauspiele kürzlich vorüber gegangen waren und noch vorüber gingen, ja, wo so zu sagen jeder Tag eine neue weltgeschichtliche Szene brachte, – Szenen, in welchen mit erschütterndster Tragik unerhörteste Komik wechselte. Königliche Häupter waren in Frankreich über die Dielen des Schaffotes gerollt und in selbstmörderischem Kampfe zerfleischten sich hierauf die Vernichter des Königthums. Der Heroismus des Verbrechens, in Danton personifizirt, war dem gefrorenen Doctrinarismus Robespierre's erlegen, welcher dann mit einem feierlichen Ernste, der einen Aristophanes oder Rabelais vor Erstaunen hätte verstummen machen können, angethan mit einem himmelblauen Sammetfrack und einen zierlichen Blumenstrauß in der Hand, den Parisern im Tuileriengarten die vom Convent decretirte Wiedereinsetzung Gottes verkündigte. Dann waren die methodischen Schreckensmänner von den anarchischen zur Guillotine befördert worden und schon ließ sich in dem Degen Bonaparte's, welcher den Aufstand der Gegner der Directorial-Regierung in den Straßen von Paris niederschmetterte, das künftige Kaiserszepter ahnen. Der unselige Friede von Basel und die Siege des Erzherzogs Karl im südlichen Deutschland verlängerten nur die Agonie des deutschen Reiches und in Italien band sich Bonaparte den Lorbeerkranz, welcher nach wenigen Jahren das Diadem des modernen Cäsars beschatten sollte. Angesichts alles dessen wurde in Deutschland ein literarischer Xenienkrieg geführt, welchem alle Gebildeten mit gespannter Aufmerksamkeit folgten! Es klingt märchenhaft und ist doch buchstäblich wahr. Wir Epigonen, in literarischen Händeln aufgewachsen und längst daran gewöhnt, es ganz in der Ordnung zu finden, daß die Kritik meist nur noch aus Invectiven besteht, können uns kaum noch annähernd eine Vorstellung machen von der Aufregung und Erbitterung, welche die Schiller-Göthe'sche Xeniengabe hervorrief. Eine Menge von Männern der Gelehrsamkeit, der Literatur, der Politik, der Journalistik wurden von den tönenden Epigrammenpfeilen getroffen, manche tödtlich, viele schwer, selbst Wieland erhielt einen neckenden, Fichte und Jean Paul einen derberen Streifschuß. Am schlimmsten kamen Nicolai, Manso, Stolberg Als du die griechischen Götter geschmäht, da warf dich Apollo
Von dem Parnasse; dafür gehst du ins Himmelreich ein.
Christlicher Herkules! Du ersticktest so gerne die Riesen;
Aber die heidnische Brut steht, Herkuliskus, noch fest.
und Lavater Ja, der Mensch ist ein ärmlicher Wicht, ich weiß – doch das wollt' ich
Eben vergessen und kam, ach, wie gereut's mich, zu dir.
Wie verfährt die Natur, um Hohes und Niedres im Menschen
Zu verbinden? Sie stellt Eitelkeit zwischen hinein.
Schade, daß die Natur nur einen Menschen aus dir schuf,
Denn zum würdigen Mann war und zum Schelmen der Stoff.
Alles mischt die Natur so einzig und innig; doch hat sie
Edel- und Schalksinn hier, ach! nur zu innig vermischt.
weg, sowie die lärmenden Mitmacher der französischen Freiheitsmode. Unbedingt verwerflich war die Art, wie Forster angegriffen wurde; unbedingte Huldigung erfuhr nur Einer, Lessing Vormals im Leben ehrten wir dich wie einen der Götter;
Nun du todt bist, herrscht über die Geister dein Geist.
. An einzelnen Mißgriffen, Härten und Ungerechtigkeiten fehlte es nicht, aber im Ganzen hat das Xeniengewitter doch sehr wohlthätig reinigend, klärend und erfrischend auf die literarische Atmosphäre gewirkt und ohne Frage gebührt ihm deßhalb eine bleibende Stelle in unserer Kulturgeschichte.

Der Lärm war groß. Wenige Tage nach dem Erscheinen des Musenalmanachs konnte Göthe an Schiller schreiben (5. Oktober): »Unsere mordbrennerischen Füchse Mit Beziehung auf das 43. Xenion:
Fort ins Land der Philister, ihr Füchse mit brennenden Schweifen,
Und verderbet der Herrn reife papierene Saat.
haben schon angefangen, ihre Wirkung zu thun. Des Verwunderns und Rathens ist kein Ende.« Das Rathen mißrieth freilich mitunter gar lächerlich: so, wenn man das auf die »zierliche Jungfrau von Weimar«, d. i. Wieland, gemünzte Distichon auf die Herzogin deutete Briefw. zw. Sch. und G. I, 227.. Einige der Getroffenen gebärdeten sich ganz absurd oder wüthend. So Nicolai, welcher, wie Schiller am 28. Oktober an Göthe meldete, dem Musenalmanach den Titel Furienalmanach gab. Das war leicht zu ertragen, dagegen mußte es für die beiden Freunde kränkend sein, wenn ein Mann wie Herder bei Erscheinung der Xenien verrieth, daß er für das Wollen und Streben Göthe's und Schiller's gar keine Theilnahme, ja gar kein Verständniß mehr habe. Herder scheint den Bund der Beiden von Anfang an mit Abneigung betrachtet zu haben: es war in ihm eine Eifersucht der Freundschaft, welche namentlich Göthe'n gern ganz für sich allein behalten hätte. Sodann schlug in Herder mit den Jahren der Theolog immer mehr durch und »Humanus«, wie Göthe den Freund in besseren Tagen getauft hatte, ließ mitunter starke, sehr starke Anwandlungen von Infallibilitätssucht blicken. Die Kant'sche Philosophie haßte er mit wahrhaft theologischem Haß und deßhalb wandte er sich entschieden von Schiller ab, um so mehr, da er besorgte, dieser würde auch Göthe in den Kreis Kant'scher Anschauungen hinüberziehen. Doch erhielt sich, trotz Alledem und obgleich Herder, in seiner grämlichen Betrachtungsweise von Welt und Menschen allmälig vertrocknend, die künstlerische Richtung Schiller's und Göthe's nicht mehr zu erkennen vermochte, ein so leidlich gutes Verhältniß zwischen ihm und den Beiden, daß Herder an den Horen und dem Musenalmanach sich betheiligte. Mit dem Erscheinen der Xenien erfolgte jedoch der Bruch, obgleich kein Pfeil auf Herder gerichtet worden war. Den Vorwand lieh der Umstand, daß die Xeniendichter es nicht hatten über sich bringen können, dem »würdigen Pelias«, dem »Vater« Gleim seine allmälig ganz und gar faselnd gewordenen Reimereien nachzusehen. Da auch Wieland der »zierlichen Jungfrau« wegen schmollte, so muß es damals im Herder-Wieland'schen Kreise scharf über die beiden Epigrammatiker hergegangen sein. Herder und seine Frau äußerten sich in heftigster Weise und Jener ließ sich sogar über die Horen ein wohl bekanntes cynisches Wortspiel entwischen Die Horen müßten sich fortan mit u schreiben. Böttiger's Leben, 52, 133-37.. Es wurde jetzt aber nur offenbar, was sich nicht mehr verbergen ließ: Herder vermochte das Ziel, welches Göthe und Schiller sich gesteckt, nicht mehr zu sehen, geschweige zu erreichen. Als er zu Anfang des Sommers 1796 zwei neue Bände seiner Humanitätsbriefe hatte erscheinen lassen, schrieb Schiller unterm 18. Juni darüber an Göthe: »An seinen Confessionen über die deutsche Literatur verdrießt mich noch außer der Kälte für das Gute auch die sonderbare Art von Toleranz gegen das Elende; es kostet ihm so wenig, mit Achtung von einem Nicolai, Eschenburg u. A. zu reden, als von dem Bedeutendsten, und auf eine sonderbare Art wirft er die Stolberge und mich, Kosegarten und viele Andere in einen Brei zusammen. Seine Verehrung gegen Kleist, Gerstenberg, Geßner und überhaupt gegen alles Verstorbene und Vermoderte hält gleichen Schritt mit seiner Kälte gegen das Lebendige.« Ganz im gleichen Sinne äußerte sich Göthe zwei Tage später gegen Meyer: »Freund Humanus hat vor Kurzem ein böses Beispiel gegeben, was Willkürlichkeit im Urtheile, wenn man sie sich einmal erlaubt, bei dem größten Verstande für traurige Folgen nach sich zieht. Eine Parentation kann nicht lahmer sein als das, was in gedachter Schrift über deutsche Literatur gesagt wird. Eine unglaubliche Duldung gegen das Mittelmäßige, eine rednerische Vermischung des Guten und des Unbedeutenden, eine Verehrung des Abgestorbenen und Vermoderten, eine Gleichgültigkeit gegen das Lebendige und Strebende, daß man den Zustand des Verfassers recht bedauern muß, aus dem eine so traurige Composition entspringen konnte. Und so schnurrt auch wieder durch das Ganze die alte halbwahre Philisterleier, daß die Künste das Sittengesetz anerkennen und sich ihm unterordnen sollen. Das Erste haben sie immer gethan und müssen es thun, weil ihre Gesetze so gut als das Sittengesetz aus der Vernunft entspringen; thäten sie aber das Zweite, so wären sie verloren und es wäre besser, daß man ihnen einen Mühlstein an den Hals hinge und sie ersäufte, als daß man sie nach und nach ins Nützlichplatte absterben ließe.« Man wird Göthe zu dieser scharfen Auslassung berechtigt halten, wenn man bedenkt, daß Herder in seinem Cirkel die rücksichtsloseste Opposition gegen Jenen führte. Besonders nach dem Erscheinen des Wilhelm Meister, über welchen er ein weitläufiges Verdammungsurtheil an seine Freundin, die Gräfin Baudissin in Holstein, richtete Aus Herder's Nachlaß, herausg. von H. Düntzer und F. G. Herder, I, 20., während er daheim schalt, Göthe habe in dem Roman nur seine »eigene laxe Moral gepredigt.« Was aber Göthe und Schiller damit meinten, wenn sie von der Willkürlichkeit und Verkehrtheit der neueren Herder'schen Kritik redeten, wird uns recht klar gemacht durch den Umstand, daß Herder in Betreff des Wilhelm Meister erklärte: »Man mag unter allen diesen Menschen nicht leben; Nichts spricht uns an. Wie ganz anders ist es in Lafontaines Romanen! Böttiger, Literar. Zust. u. Zeitg. I, 192.« Soweit also war es mit Herder gekommen, daß er Vorzüglichstem geradezu Elendestes vorzog, und da kann es denn kaum Wunder nehmen, daß Schiller am 1. Mai 1797 an Körner schrieb: »Herder ist jetzt eine ganz pathologische Natur, und was er schreibt, kommt mir vor wie ein Krankheitsstoff, den diese auswirft, ohne dadurch gesund zu werden. Er hat einen giftigen Neid auf alles Gute und Energische und affectirt, das Mittelmäßige zu protegiren. Es muß Einen indigniren, daß eine so große außerordentliche Kraft für die gute Sache so ganz verloren geht.« Der Riß war geschehen und wurde nicht wieder geheilt, obgleich von beiderseitigen Freunden wiederholte Versuche gemacht wurden, denselben nothdürftig zu verkleistern. Die Abneigung gegen die Göthe-Schiller'sche Richtung, welche Herder empfand, wurde durch seine leidenschaftliche Frau mehr und mehr ins Maßlose gesteigert. Sein altes Gefühl für Göthe brach zwar noch einmal innig durch, als diesen zu Anfang des neuen Jahrhunderts eine gefährliche Krankheit ergriffen hatte. Er besuchte den Jugendfreund, »aber – schrieb Karoline Herder – er fand leider den Herzog und Schiller da. Ein solcher Dreiklang war seiner Natur fremd, ungewohnt und er kam verstimmt nach Hause.« Mit Recht hat Düntzer hiezu tadelnd angemerkt: »So sehr hatten die Feindschaft gegen Kant und die Gespensterfurcht vor der sich überstürzenden Genialität den Vorkämpfer der Humanität heruntergebracht, daß er vor Schiller, dem großsinnigen Verkünder menschlicher Freiheit, zurückbebte und seine Nähe wie die eines seelenbethörenden Ketzers floh« Aus Herder's Nachlaß, I, 183.. Es ist schmerzlich, auf diese jämmerlichen Menschlichkeiten in der Glanzperiode der Geschichte des deutschen Geistes aufmerksam zu machen; aber es gehört eben auch zur Signatur der Zeit, daß Herder's Frau nicht erröthete, im Jahr 1801 zu schreiben: »Göthe spielt ewig seine Buhlerkünste, wenn er glaubt, jetzt sei ein Augenblick, da ein Anderer außer seiner Clique Etwas geleistet hat. Uns ekelt dieser Buhlerlist, so niedrig, so eitel! Ach, er hat eine Wolfsnatur. Einen edlen Charakter hatten wir ihm doch zugetraut!« Göthe rächte sich, wie es ihm ziemte, indem er für Herder's Familie bei dessen Lebzeiten und nachher still und geräuschlos that, was er konnte.

Inzwischen war der Krieg, zu welchem die Xeniendichter im 49. und 414. ihrer Distichen die Gegner herausgefordert hatten Lange necktet ihr uns, doch immer heimlich und tückisch;
Krieg verlangtet ihr ja, führt ihn nun offen den Krieg!
Alles war nur ein Spiel. Ihr Freier lebt ja noch alle;
Hier ist der Bogen und hier ist auch zum Ringen der Platz.
, aufs Heftigste entbrannt. Der erste gedruckte Angriff auf die beiden Freunde geschah in Becker's Reichsanzeiger und diesem folgten nicht weniger als vierunddreißig andere Angriffe. Es regnete ordentlich Anti-Xenien in Versen und Prosa, zum Theil in herbster und derbster Pasquillform. Die Waffen und Waffenführung der Gegner waren aber, mit wenigen, sehr wenigen Ausnahmen In erster Linie derselben standen die zu Mannheim 1797 erschienenen geistvollen »Dornenstücke«, welche sich übrigens in ihrem besten (ersten) Theile nicht gegen Göthe und Schiller richteten, sondern mit wirklichem Witz über die Gebrechen der Zeit im Allgemeinen satirisch sich ergingen. Der wahre Name des Verfassers ist unbekannt geblieben, denn er hatte sich nur mit dem fingirten Namen »Paul Ehrenpreis« unterzeichnet. Vgl. Boas, Xenienkampf, II, 102 fg., so elend, daß es allen Denkenden klar werden konnte, wie sehr Göthe und Schiller berechtigt gewesen, Gericht zu halten. Wenn man den Kampf, dessen Verlauf hier nicht im Einzelnen verfolgt werden kann, überblickt, so thut es wohl, von dem widerwärtigen Allerlei von Erbitterung, Schwäche und Gemeinheit, welches die Gegner zu Markte brachten, hinweg und zu einem Act edelster Rache aufzusehen, welchen Einer der durch die Xenien Verletzten viele Jahre später vollzog. Ich meine die tiefgefühlten, anmuthigen Verse, womit der Philologe Friedrich Jacobs im Schiller-Album von 1837 den Tod des Dichters beklagte Widder im Thierkreis hieß ich dir einst. O, wär' ich es, freudig
Brächt' ich mein Vlies den Beherrschern des nächtlichen Reiches zum Lösgeld
Und du, Göttlicher, kehrtest zurück zu den sehnenden Völkern.
. Was die beiden großen Freunde angeht, so beschlossen sie nach kurzer Erwägung, den Kampf gegen die Gegner nicht in der polemischen, sondern vielmehr in der edleren schöpferischen Form fortzusetzen. Weil jedoch viele ihrer Angreifer damals und später insbesondere Göthe's und Schiller's Verhalten zur Religion und zur Politik betonten, so ist vielleicht hier kein unpassender Ort, darüber Einiges beizubringen.

Göthe und Schiller waren keine Christen, was man so gewöhnlich Christen nennt, d. h. sie konnten zum dogmatischen Christenthum nie ein auch nur halbwegs leidliches Verhältniß gewinnen. Man muß hiebei berücksichtigen, daß sie in einer skeptischen Atmosphäre athmeten, daß sie zu einer Zeit lebten, wo die eigentlich wissenschaftliche Forschung, welche stets die Skepsis zur Mutter haben wird, erst begann, wo, von der Zerstörungsarbeit der Freidenker und Encyklopädisten zu schweigen, die angehobene philologische Kritik eines Wolf und die anhebende historische eines Niebuhr die bisher gläubig hingenommene Kunde vom Alterthum in ein Trümmerfeld verwandelte, zu einer Zeit, wo die religionsgeschichtlichen Vorstellungen und Thatsachen noch chaotisch durcheinanderlagen und demnach auch die Stellung, welche dem Christenthum als einer historischen Thatsache in dem Kulturzusammenhang der Weltgeschichte zukommt, unmöglich schon klar zu erkennen war. Es gab damals, und nicht nur damals, sondern bis über die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts hinaus bloß eine zerstörende Kritik, keine aufbauende, welche erst in unseren Tagen sich zu regen anfing. Göthe hat bekannt, daß ihn nach seiner Rückkehr aus Italien ein »wahrhaft Julianischer Haß« gegen das Christenthum beseelte, und wenn sich dieser Haß im Verlaufe der Zeit bedeutend milderte, so hat man dem Dichter des Faust doch nie begreiflich machen können, daß »Eins Drei und Drei Eins« sei. Das widerstrebte, wie er sagte, zu entschieden »dem Wahrheitsgefühl seiner Seele« und so ist er sein Lebenlang Pantheist oder, wenn man will, Heide geblieben. Wer aber auch von Göthe Nichts gelesen und beherzigt hätte als jenen Brief, worin er am 17. April 1823 den wohlgemeinten Versuch seiner Jugendfreundin Auguste Stolberg, ihn zu dem Christenthum der Stolberge und Consorten zu bekehren, so sanft und schön zurückwies, müßte zugeben, daß Göthe ein frommer Mensch gewesen, – ein frommer in höherem Sinne freilich als in dem der Fanatiker und Pietisten von älterem und jüngerem Datum. Schiller seinerseits hat in einem bekannten Distichon erklärt, daß er sich zu keiner der bestehenden Religionen bekenne, und zwar »eben aus Religion.« Man hat nicht unwitzig bemerkt, das sei gerade so, als wollte Einer abstractes Obst essen, während er die concreten Obstgattungen, als Kirschen, Birnen, Aepfel u. s. f., verschmähte. Aber das Gleichniß besitzt, wie eben der Witz gar oft, nur den Schein der Wahrheit. Schiller hat in jenem Distichon nur die einfache Wahrheit ausgesprochen, daß man religiöses Gefühl besitzen könne, ohne Jude oder Christ oder Moslem, Katholik oder Protestant, Orthodoxer oder Nationalist sein zu müssen. Der »allwaltende Allumfasser«, an welchen Göthe glaubte, war auch Schiller's Gott. Das christliche Dogma ließ ihn entweder völlig gleichgültig oder stieß ihn geradezu ab. Zu den biblischen Urkunden brachte er einen »entschiedenen Unglauben« mit und die Bibel war ihm »nur wahr, wo sie naiv ist« Briefw. zw. Sch. u. G. I, 291.. Aber die christliche Idee an sich hat er hochgestellt und mit schönsten Worten äußerte er sich über dieselbe, indem er auf Veranlassung der »Bekenntnisse einer schönen Seele« im Wilhelm Meister unterm 17. August 1795 an Göthe schrieb: »Ich finde in der christlichen Religion virtualiter die Anlage zu dem Höchsten und Edelsten und die Erscheinungen derselben im Leben scheinen mir bloß deßhalb so widrig und abgeschmackt, weil sie verfehlte Darstellungen dieses Höchsten sind. Hält man sich an den eigentlichen Charakterzug des Christenthums, der es von allen monotheistischen Religionen unterscheidet, so liegt er in nichts Anderem als in der Aufhebung des Gesetzes, des Kant'schen Imperativs, an dessen Stelle das Christenthum eine freie Neigung gesetzt haben will. Es ist also, in seiner reinen Form, Darstellung schöner Sittlichkeit oder der Menschwerdung des Heiligen und in diesem Sinn die einzige ästhetische Religion.« Diese Aeußerung setzt auch des Dichters Interesse am katholischen Cult ins Klare, welcher wenigstens den Versuch gemacht hat, das Leben im Christenthum ästhetisch zu gestalten.

Bei der Stellung, wie sie die beiden Freunde zu der französischen Revolution und ihren unbedingten Bewunderern in Deutschland genommen, bei ihrer ganzen Art und Weise, auch für das bürgerlich-staatliche Leben nicht von gewaltsamen Erschütterungen, nicht vom Parteigezänke, sondern nur von der stillwirkenden Macht »ruhiger Bildung« Heil zu erwarten, konnten sie der politischen Verketzerung nicht entgehen. Mit Recht jedoch trifft sie nur der Tadel, allzu sehr übersehen zu haben, daß die großen Vorschritte der Menschheit keineswegs immer auf dem Wege ruhiger Bildung, sondern im Gegentheil meist auf dem gewaltsamer und gewaltsamster Erschütterungen und Umwälzungen vor sich gegangen. Man hat den Beiden schon zu ihrer Zeit, wie noch heute, häufig den Vorwurf gemacht, daß ihr Wirken keine unmittelbare Beziehung zum Staat habe gewinnen können oder wollen. Aber gab es denn damals in Deutschland überhaupt ein staatliches Leben? Das deutsche Reich war ja ein nur noch schwach zuckender Leichnam des Mittelalters, und wenn so strebsame Geister, wie die Beiden gewesen sind, vor dem penetranten Leichengeruch in die reine Region ewiger Ideale emporflüchteten, welcher Denkende kann es ihnen verargen? Man hat gesagt, sie seien keine Patrioten gewesen, und hat ihnen besonders zwei bezügliche Distichen unter den Xenien übelgenommen Deutschland? aber wo liegt es? Ich weiß das Land nicht zu finden;
Wo das gelehrte beginnt, hört das politische auf.
Schiller.
Zur Nation euch zu bilden, ihr hoffet es, Deutsche vergebens;
Bildet, ihr könnt es, dafür freier zu Menschen euch aus!
Göthe.
. Nun ja, Patrioten im beschränkten Sinne des Wortes waren sie nicht, weil sie, wie jeder echte Dichter thut, fühlten, daß die ganze Welt ihr Vaterland sei. Beide waren Weltbürger in des Wortes höchster Bedeutung. Schiller schrieb gerade in der Horen- und Xenienzeit an Jacobi: »Wir wollen dem Leibe nach Bürger unserer Zeit sein und bleiben, weil es nicht anders sein kann; sonst aber und dem Geiste nach ist es das Vorrecht und die Pflicht des Philosophen wie des Dichters, zu keinem Volk und zu keiner Zeit zugehören, sondern im eigentlichen Sinne des Wortes der Zeitgenosse aller Zeiten zu sein.« Keine Frage, es ist höchlich zu beklagen, daß es den Beiden nicht vergönnt war, in der Vollreife ihres Genius ein großartiges Nationalleben poetisch aufzufassen; allein die Schuld hievon lag nicht an ihnen, sondern an den Verhältnissen. Und dann dürfte es sich doch auch noch fragen, ob Göthe und Schiller der Welt, der Menschheit geworden wären, was sie ihr wurden, wenn die Verhältnisse anders gewesen, als sie eben waren. Daß sie, unter diesen gegebenen Verhältnissen, den Begriff des Deutschthums zum menschheitlichen erweiterten, daraus kann ihnen doch wohl kein Tadel entstehen: es ist ja im Gegentheil ihr höchster Ruhm. Im Uebrigen werden wir Zeugen sein, wie Schiller, durch Napoleon's nach universeller Geltung strebenden Despotismus hinsichtlich des abstracten Kosmopolitismus enttäuscht, am Schlusse seiner Laufbahn auf die Idee des Vaterlandes zurückkam, um sie herrlich zu feiern. Daß er schon früher den Ausschreitungen dieser Abstraction mißtraute, wird dadurch erwiesen, daß er unterm 18. Mai 1798 an Göthe die Worte schrieb: »Es ist ebenso unmöglich als undankbar für den Dichter, wenn er seinen vaterländischen Boden ganz verlassen und sich seiner Zeit wirklich entgegensetzen soll.« Göthe seinerseits hat noch kurze Zeit vor seinem Hingang über den Patriotismus des Dichters goldene Worte gesprochen, indem er im Sommer 1831 gegen Eckermann äußerte: »Der Dichter wird als Mensch und Bürger sein Vaterland lieben, aber das Vaterland seiner poetischen Kräfte und seines poetischen Wirkens ist das Gute, Edle und Schöne, das an kein besonderes Land gebunden ist und das er ergreift und bildet, wo er es findet. Und was heißt es denn: sein Vaterland lieben? und was heißt es denn: patriotisch wirken? Wenn ein Dichter lebenslänglich bemüht war, schädliche Vorurtheile zu bekämpfen, engherzige Ansichten zu beseitigen, den Geist seines Volkes aufzuklären, dessen Geschmack zu reinigen und dessen Gesinnungs- und Denkweise zu veredeln, – was soll er denn da Besseres thun und wie soll er patriotischer wirken?«


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