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Berliner Kleinkrieg.

Zurück von Stockholm. – Niemand will die herannahende Katastrophe sehen. – Die Revolution im Reichstag. – Die glückliche Formulierung des Stockholmer Memorandums. – Zimmermann über die Dummheit der O.H.L. – Der Kanzler ist trostlos. – Eine sozialdemokratische Denkschrift fürs Hauptquartier. – Verfassungsausschuß und Regierungssabotage. – Kampf um die Kommandogewalt. – Der unwahrhaftige Kriegsminister.

Zurück von Stockholm.

Wir, die wir von Stockholm zurückgekehrt waren, konnten uns der Überzeugung nicht verschließen, daß die Konferenz als solche gescheitert sei. Die Wiederaufnahme von russischer Seite war überaus zweifelhaft, und daß von ententistischer Seite eine Teilnahme auch künftighin ausgeschlossen sei, ließ gerade die Haltung Albert Thomas' befürchten. Wenn wir trotzdem nur von einer Beendigung der Vorverhandlungen sprachen und uns natürlich für eine etwaige Hauptverhandlung in Stockholm unbedingt bereit hielten, so war das mehr die Pflicht den Völkern gegenüber und die Notwendigkeit, nicht etwa den Vorwurf hervorzurufen, als hätten wir unsererseits zum Abbruch beigetragen. Die Stockholmer Konferenz war ein Unding, weil sie nur von der einen, der Seite der Sozialdemokraten der Mittelmächte, besucht war.

Niemand will die herannahende Katastrophe sehen.

Die Atmosphäre, die wir zu Haus, in Berlin, vorfanden, wirkte auf uns, die wir nun die Weltmeinung wirklich an der Quelle kennen gelernt hatten, einfach niederschmetternd. In die Presse und in die bürgerliche Öffentlichkeit drang nichts von der Erkenntnis unserer verzweifelten Lage, und selbst bei den bürgerlichen Parteien war keinerlei Verständnis für das Herannahen einer Katastrophe. Übrigens gab es selbst Abgeordnete der Sozialdemokratischen Partei, die sich über die Situation keinerlei Rechenschaft geben konnten, sondern noch gutgläubig in den von der O.H.L. und ihrem Kriegspresseamt erzeugten Stimmungstaumel mitschwammen. Meine Erinnerungen aus dem Verfassungsausschuß, die ich diesem Kapitel einfügen will, werden zur Genüge zeigen, daß höchste Regierungsstellen und erfahrenste Parlamentarier weder an den äußeren noch an den inneren Zusammenbruch zu glauben sich gewöhnen konnten, sondern blind und hartnäckig um Lappalien handelten, die am Ende der großen Weltkriegstragödie mit einem Schlag vergessen worden sind.

Die Revolution im Reichstag.

Ein bezeichnendes Beispiel, in welcher Märchenwelt fast der gesamte Reichstag lebte, ergab sich schon aus der Reichstagsdebatte am 15. Mai 1917, die sich an die konservative Interpellation knüpfte und sich um die eingangs des Kapitels von der Stockholmer Konferenz wiedergegebene Entschließung der sozialdemokratischen Parteileitung drehte. Damals hatte ich mit dem Hinweis auf Stockholm und unter Berücksichtigung der russischen revolutionären Vorgänge in meiner Rede u. a. gesagt:

»Würden heute die englische und französische Regierung so, wie es die russische Regierung schon getan hat, auf Annexionen verzichten und würde die deutsche Regierung, statt durch den gleichen Verzicht den Krieg zu beenden, ihn um Eroberungsziele fortsetzen wollen, dann, meine Herren, verlassen Sie sich darauf, dann haben Sie die Revolution im Lande.«

Diese Wendung brachte nicht nur den Präsidenten Kaempf in Wallung, regte nicht nur die höchsten Regierungsspitzen auf, sondern trug mir auch die Vorwürfe von verschiedenen Fraktionskollegen ein, die meine Äußerung »politisch nicht klug« in kleinlichem Fraktionsinteresse fanden. Als ob es sich damals noch um klug oder nicht klug gehandelt hätte und nicht vielmehr um klare Einsicht oder pures Nichtsehenwollen.

Die glückliche Formulierung des Stockholmer Memorandums. – Zimmermann über die Dummheit der O.H.L.

Unsere erste Aufgabe in Berlin war, von unsern Stockholmer Erfahrungen der Regierung Mitteilung zu machen. Am 22. Juni bereits waren Ebert und ich auf Einladung Wahnschaffes in der Reichskanzlei. Wir erzählten den Herren, die ihre Chefs auf die Unterredung mit uns vorbereiten wollten, was wir für gut und in unserem Interesse liegend erachteten, und faßten das Ergebnis von Stockholm in die Forderung zusammen: Klare Friedensbekenntnisse, kein Gerede, an dem sich deuteln lasse oder an dem man selber deutele, und außerdem Demokratisierung!

Am 23. ließ Zimmermann uns zu sich bitten. Mein Tagebucheintrag lautet: Er beglückwünscht mich zu der glücklichen Formulierung des Memorandums. »Sie haben die Sache ausgezeichnet gemacht. Das Memorandum ist wirklich eine ganz ausgezeichnete Arbeit.« Ich informierte ihn über die Stockholmer Verhandlungen und schilderte ganz besonders die Bemerkungen Thomas' zu Stauning und Bang über l'arbitrage obligatoire après la guerre. Er hörte alles mit größter Aufmerksamkeit an und meinte dann: Das sind verflucht schwierige Sachen. Wir müssen uns gründlich überlegen, was zu tun ist.

Ich verlangte dann, daß er auf den Reichskanzler einwirke, damit dieser seine Friedensziele absolut klar angebe und sich für die Demokratisierung ganz anders einsetze als bisher. Ich sei doch immer mehr zu der Überzeugung gekommen, daß der Reichskanzler dem Hauptquartier gegenüber nicht stark genug sei.

Er: Das ist falsch. Was wir in der Wilhelmstraße tun können, geschieht, und wir haben den Kaiser ganz auf unserer Seite. Bei der Stellung des Reichskanzlers dürfe man nicht die alldeutsche Hetze vergessen: Für Bethmann Hollweg wolle man einen wilden General, an seine (Zimmermanns) Stelle wünsche man Reventlow. – Ich: Nun wenn schon: Bei einem wilden General wäre innerhalb vierzehn Tagen alles erledigt nach russischem Vorbild. Wir sitzen ohnedies auf einem Pulverfaß. Ein Funke genügt, um alle Betriebe zum Stillstand zu bringen. Die Not ist größer denn je, einen vierten Winterfeldzug will niemand, an einen guten Ausgang des Krieges glaubt auch niemand mehr. Schluß! – das ist die Losung. Das sollen und müssen Sie und der Reichskanzler beachten, und das würden ev. Ihre Nachfolger sehr schnell zu spüren bekommen.

Er winkte wiederholt mit den Händen, als wollte er sagen: Um Gottes willen, hören Sie auf! Er bat dann, daß ich alles das dem Reichskanzler selbst nachdrücklich sagen möge. Er sprach noch über die Dummheit der Heeresleitung, die die Kriegsstimmung in England durch das unsinnige und militärisch nutzlose Bombenwerfen über London immer von neuem anfache. Einer unserer Agenten, der soeben von England zurückgekommen sei, habe geschildert, wie man in London die Menschenmassen zu Tausenden an den Opfern der letzten Bombenwerferei vorübergeführt und dadurch den Haß und den Kriegswillen gegen uns maßlos gesteigert habe. Die nächste Folge werde sein, daß wieder Freiburg, Stuttgart oder eine andere deutsche Stadt büßen, Frauen und Kinder opfern müsse!

Zimmermann erzählte mir dann noch, daß ihn am Tage vorher Ledebour besucht habe, dem auch ein Paß verweigert worden sei, weil er – wie Adolf Hoffmann – in einen Prozeß wegen Landesverrat verwickelt worden sei. Er habe aus Ledebour, dessen energische Erklärungen über Elsaß-Lothringen als deutsches Land er kenne, eine Äußerung herauszuholen versucht. Ledebour habe aber ausweichend nur gesagt, daß gewisse Differenzen beständen zwischen ihm und seinen Freunden, daß er aber darüber nicht reden könne –, was ich sehr verständig von ihm finde. – Zimmermann habe ihm (Ledebour) gesagt, er wolle sich dafür einsetzen, daß ihm ein Paß gegeben werde. – Zimmermann bat mich nun um Rat, was er tun solle. Ledebour sei ihm immer noch der sympathischste von den Unabhängigen, er sei doch im Grunde genommen ein »ulkiger Kerl«. – Ich: Gleichviel, wie Sie Ledebour einschätzen, ich empfehle Ihnen dringend, ihm einen Paß zu verschaffen, Sie müssen ihm und allen, die nach Stockholm wollen, Pässe geben!

Der Kanzler ist trostlos.

Am 27. Juni schließlich fand die Besprechung mit dem Reichskanzler statt. Herr v. Bethmann Hollweg hatte Dr. David und mich zu sich gebeten. Hier beschränkten wir uns nicht darauf, lediglich die Stockholmer Ereignisse und Ergebnisse zu referieren. Wir waren mit dem Entschluß, der uns nach Stockholm geführt hatte, nämlich nichts anderes als den Friedensschluß zu betreiben, nach Berlin zurückgekommen, und benutzten nun die erste Gelegenheit beim Kanzler, um ihm zusammenfassend ein Bild von der furchtbaren inneren und äußeren Lage zu geben.

Eine sozialdemokratische Denkschrift fürs Hauptquartier.

Wir stellten ihm, vielleicht noch eindringlicher als schon so oft, die trostlose Lage dar, in der sich unsere Bevölkerung befand. Er gab uns fast in allem recht, gestand auch zu, daß unsere Stellungnahme eine durchaus konsequente und von unserem Standpunkt aus gesehen wahrscheinlich die einzig richtige sei. »Aber,« so fügte er hinzu, »wenn Sie mir wenigstens einen Sozialdemokraten aus Frankreich nennen könnten, der so Stellung nimmt wie Sie; wenn Sie mir nur einen nennen könnten, dann würde meine Stellung nach jeder Richtung hin eine viel bessere sein.« Aus den Bemerkungen des Reichskanzlers ging für uns hervor, daß auch er die Lage als geradezu trostlos ansah. In sehr gedrückter Stimmung bat er uns, was wir heute vorgetragen hätten, in einer Denkschrift niederzuschreiben, die er mit ins Hauptquartier nehmen wolle. Es werde einen stärkeren Eindruck machen, wenn er im Hauptquartier unsere Klagen und Vorschläge schwarz auf weiß vorlegen könne, als wenn er lediglich referiere. »Sie sind ja beide schreibgewandte Herren, machen Sie die Denkschrift umgehend, denn ich reise in den nächsten Tagen.« Ich fragte ihn, ob er uns bis zum Sonnabend Zeit lassen wolle, darauf antwortete er: Nein, das geht nicht, liefern Sie mir die Denkschrift sofort, Sie werden es gewiß bis zum Donnerstagabend schaffen. Bis 6 Uhr, denn um 7 Uhr reise ich ins Hauptquartier. Wir antworteten ihm, daß wir unser möglichstes tun wollten, und glaubten versprechen zu können, die Denkschrift zum gestellten Termin zu liefern. Wir haben Wort gehalten. Ich gebe den Wortlaut der von uns ausgearbeiteten Denkschrift, die von dem Vorstand der Sozialdemokratischen Partei und auch von der Reichstagsfraktion gezeichnet und damit auch gedeckt wurde, hier wieder.

An Seine Exzellenz den Herrn Reichskanzler
Dr. v. Bethmann Hollweg

Berlin.

Exzellenz!

Die Sorge um das Schicksal unseres Landes zwingt uns, der Reichsleitung folgende Darlegungen zu unterbreiten:

Wir unterzeichneten Vorstände der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands und der Sozialdemokratischen Reichstagsfraktion befinden uns fortdauernd in engster Fühlung mit der Bevölkerung in allen Teilen des Reiches, vornehmlich mit den Schichten der unbemittelten Volksklassen. Wir sind durch zahlreiche Vertrauenspersonen der Arbeiterschaft über die Lage des Volkes und über die Stimmungen, von denen es erfüllt ist, auf das genaueste unterrichtet. Unsere eigenen Beobachtungen sowie die uns von allen Seiten zugehenden Berichte nötigen uns die Überzeugung auf, daß die innere Widerstandskraft unseres Volkes sich dem Ende nähert. Angesichts dieser überaus ernsten Lage halten wir es für unsere Pflicht, das auszusprechen, was nach unserer Meinung zu geschehen hat, um Schlimmstes zu verhüten. Wir unsererseits wollen keine Verantwortung mittragen, wenn das versäumt wird, was allein unser Land aus dieser furchtbaren Not retten kann.

Die Ernährungsverhältnisse haben sich dauernd verschlechtert. Die Nahrungsmittel, die der Bevölkerung in den größeren Städten und in den Industriegebieten gegeben werden, sind längst nicht mehr hinreichend, die Menschen zu sättigen und ihre Kräfte zu erhalten. Viele Millionen leiden am quälenden Gefühle des Hungers. Zahlreiche Menschen sind stark abgemagert, die Gesichter sind welk und hohl geworden. Trotz der Bemühungen, die Schwerarbeiter reichlicher zu versorgen, ist deren Leistungskraft durch die dauernde Unterernährung selbst in der Rüstungsindustrie so geschwächt, daß sie vielfach zu versagen droht. Auf die schwerwiegenden Folgen, die diese unzureichende Ernährung insbesondere auf die Frau und die heranwachsende Jugend ausübt, sei nur kurz, aber mit größter Eindringlichkeit hingewiesen. Die Stimmung der Bevölkerung ist durch die anhaltenden Entbehrungen aufs tiefste herabgedrückt. Zu dem Nachlassen der körperlichen und geistigen Spannkraft infolge der schlechten Ernährung treten die sonstigen zehrenden Sorgen des Krieges, die quälende Angst um das Schicksal der draußen kämpfenden Söhne und Brüder, Gatten, Väter und Ernährer, der Verfall des Familienlebens, die Furcht vor einer düsteren Zukunft in bitterster Armut und Not.

Die unzureichenden, meist verzögerten oder völlig verspäteten und dann auch noch in Halbheiten stecken bleibenden Maßnahmen der Behörden haben die Mißstimmung noch genährt. Macht sich doch auch gerade zurzeit wieder ein geradezu verbrecherischer Wucher mit den Gemüse- und Obstpreisen unter den Augen der Behörden geltend. So ist denn nicht zu verwundern, daß Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung, aber auch Erbitterung und Groll sich stets weiter ausbreiten und vertiefen. Die Bevölkerung mußte erleben, daß wohlhabende Kreise sich noch immer reichlich ernähren können, ja darüber hinaus reiche Gewinne aus Kriegsgeschäften und aus der Not ihrer Volksgenossen ziehen, während Millionen von Minderbemittelten ihre Existenz zusammenbrechen und sich der Verarmung und wachsenden Not ausgeliefert sehen.

Ein weiteres, die Stimmung verderbendes Moment liegt in dem Ausbleiben einer Neuordnung mehrerer innerpolitischen Verhältnisse auf der Grundlage gleichen Rechtes für alle. Hierdurch sind die breiten Schichten des Volkes, die in der Kriegszeit doch ihre ganze Kraft für das öffentliche Wohl eingesetzt haben, aufs tiefste erregt und mit heftigem Unmut erfüllt worden. Zwar sind Anerkennungen für die tüchtige Leistung des werktätigen Volkes ausgesprochen und bedeutsame Zusagen gemacht worden, aber diesen Anerkennungen und Zusagen sind keine Taten gefolgt. Dagegen hat sich der Widerstand der bisher Bevorrechteten gegen eine freiheitliche Neuordnung immer schroffer geltend gemacht. So ist es erklärlich, daß in den Massen des Volkes das Mißtrauen nicht schwand, sondern der Gedanke mehr und mehr überhandnahm, daß die fortdauernde Hinausschiebung politischer Reformen schließlich mit einer schweren Enttäuschung endigen werde. Die günstige Wirkung der kaiserlichen Osterbotschaft konnte deshalb auch nicht von Dauer sein. Mißtrauen und Verärgerung fanden immer neue Nahrung, der Groll steigt von Tag zu Tag höher an.

Hinsichtlich der militärischen Verhältnisse wollen wir lediglich unsere Beobachtungen über die seelische Verfassung der Soldaten verzeichnen. Für die höheren Vorgesetzten ist es nicht leicht, zu einer wirklich zutreffenden Beurteilung der Soldaten in jetziger Zeit zu gelangen. Ihre autoritative Stellung erschwert es außerordentlich, daß sich ihnen gegenüber die innerste Meinung und Stimmung offen äußert. Auch bei den Truppen greift die Kriegsmüdigkeit um sich. Das ist erklärlich genug. Die Kette der an uns gelangenden Klagen über schlechte oder ungerechte Behandlung und namentlich auch über anstrengende, den vom Kampf übermüdeten Soldaten als zwecklose Quälerei erscheinende Exerzierübungen in den Ruhestellungen, reißt nicht ab. Auch die bei zahlreichen Truppenteilen einseitig für die Mannschaften verschlechterten Ernährungsverhältnisse tragen dazu bei, Unzufriedenheit und Verdruß zu steigern. Aber schwerer noch fällt das durch lange Dauer des Krieges erzeugte allgemeine Verlangen nach Rückkehr in normale, friedliche Verhältnisse in die Wagschale. Der Mann im Felde sieht seine Zukunft im Ungewissen, seine seitherige Existenz ist im Kriege vielfach zusammengebrochen, immer schmerzlicher zehrt an den Familienvätern die Sehnsucht nach Heim und Herd, nach Frau und Kindern, die sie vielfach bei völlig unzureichenden Lebensverhältnissen wissen. Der Glaube an die Möglichkeit eines entscheidenden Sieges ist mehr und mehr erschüttert. So bemächtigt sich der Soldaten draußen ebenso wie der heimischen Bevölkerung das Gefühl, alle ferneren Opfer sind ja doch vergeblich, die Überlegenheit der Gegner an Zahl und materiellen Machtmitteln ist zu groß, je länger der Krieg dauert, um so schlimmer wird sich die Lage für uns gestalten.

Bei diesem Stand der Dinge droht das Auftreten und die skrupellose Politik der Alldeutschen vollends zur schwersten Gefährdung für unser Land zu werden. Die Agitation dieser Kreise, die mit großen, nicht zuletzt aus Kriegsgewinnen stammenden Mitteln betrieben wird, erzeugt bei der Bevölkerung die Meinung, daß der Krieg um Eroberungen willen fortgesetzt wird, und daß die Schuld an dem Nichtzustandekommen von Friedensverhandlungen auch auf deutscher Seite liegt. Daher haben auch die Erklärungen zur Friedensbereitschaft, die die Reichsleitung abgab, eine beruhigende Wirkung nicht erzielen können. Diese Erklärungen stoßen auf Zweifel und Unglauben, weil die Regierung die Agitation für Landerwerbungen in Ost und West sowie für große Kriegsentschädigungen ohne entschiedene Gegenwirkung gewähren läßt, und weil zahlreiche zivile und militärische Behörden die alldeutsche Propaganda offensichtlich unterstützen und bevorzugen.

Mit dem rücksichtslosen U-Bootkrieg sind von alldeutscher Seite besonders starke Hoffnungen auf rasche Beendigung des Krieges in der Bevölkerung erregt worden. Aber der U-Bootkrieg, so große Einwirkungen er auch auf die wirtschaftlichen Zustände in den gegnerischen Ländern ausübt, erreichte doch nicht das der Bevölkerung verheißene Ziel, England in Bälde auszuhungern, oder es wenigstens friedensbereit zu machen. Dem Erfolg des U-Bootkrieges steht der Nachteil des Anschlusses Amerikas an die feindliche Koalition gegenüber. Auch in bezug auf Amerika wird der schwere Fehler der Unterschätzung der gegnerischen Pläne und Kräfte bereits offensichtlich. Zweifellos ist der Kriegswille unserer Gegner durch das Hinzukommen dieses überaus mächtigen Bundesgenossen außerordentlich gestärkt worden. Die Seesperre wird immer enger, der Druck auf die europäischen Neutralen wird bis zur Unerträglichkeit gesteigert. Unsere Aussichten auf Bezug von Rohstoffen und Lebensmitteln aus neutralen Ländern schwinden damit fast völlig. Das Eintreten Amerikas in den Krieg bedroht uns mit seiner Verlängerung in den vierten Kriegswinter hinein und weit darüber hinaus.

Auch die Erwartungen, daß die russische Revolution uns dem Frieden näher bringen werde, hat sich bis jetzt nicht erfüllt. Wir müssen mit der Möglichkeit rechnen, daß das neue Rußland auch weiterhin der Entente Gefolgschaft leistet. Der Verdacht, daß Deutschland darauf ausgehe, mit Rußland nur deshalb jetzt zum Frieden zu gelangen, um dann desto größere Forderungen nach dem Westen durchsetzen zu können, hat nicht wenig dazu beigetragen, daß auch im russischen Arbeiter- und Soldatenrat starke Kräfte für die Fortsetzung des Krieges arbeiten. Die Beseitigung dieses Verdachtes ist die Vorbedingung zur Förderung der Strömung in Rußland, die eine entschlossene Friedenspolitik will.

So droht uns ein vierter Kriegswinter. Die Schicksalsfrage erhebt sich: Kann das deutsche Volk ihn noch durchhalten? Kämen wir in ihn hinein, so würden die Leiden der Bevölkerung noch ungeheuer gesteigert. Sind jetzt schon Verzweiflungsausbrüche in verschiedenen Teilen des Reiches zu verzeichnen gewesen, wieviel furchtbarer würde es dann sein: Katastrophen wären unausbleiblich. Man zeihe uns nicht der Schwarzmalerei, und man wiege sich nicht in der Hoffnung, es werde noch so weiter gehen, wie es schon so lange gegangen ist. Die Dinge haben ihre Grenzen. Die Sozialdemokratische Partei hat die Jahre hindurch alles aufgeboten, um die Widerstandskraft der Heimatbevölkerung aufrecht zu erhalten und an der Verteidigung des Landes nach bester Kraft mitzuwirken. Aber wir dürfen uns nicht verhehlen, daß die Kräfte unseres Volkes zu Ende gehen. Übermenschliches ist geleistet worden. Schneller als man denkt, kann die Stunde kommen, wo die Kraft und der Wille zum Widerstand versagen. Wenn die Belastung weiter steigt und nichts Durchgreifendes geschieht, dem drohenden Zusammenbruch vorzubeugen, so gehen wir der größten Gefahr entgegen.

Es gibt jetzt nur einen Ausweg, um schlimmstes Unheil zu verhüten. Die Staatsumwälzung in Rußland bietet eine Anknüpfungsmöglichkeit, die nicht verpaßt werden darf. Der Arbeiter- und Soldatenrat hat die Formel aufgestellt: Friede ohne Annexionen und Kriegsentschädigungen! Die Antwort Eurer Exzellenz im Reichstag war ebensowenig genügend, wie die spätere Erklärung in der »Nordd. Allg. Zeitung«. Rußland wird in der Hand der Ententemächte bleiben, solange die deutsche Regierung sich nicht entschließt, einen allgemeinen Frieden auf Grund der Petersburger Formel zuzugestehen. Das wird aufs neue bestätigt durch den jüngsten Beschluß des zurzeit in Petersburg tagenden Kongresses der Arbeiter- und Soldatenräte von ganz Rußland, der zwar die möglichst schnelle Beendigung des Krieges als wichtigste Aufgabe proklamiert, zugleich aber auch den Gedanken eines Sonderfriedens oder separaten Waffenstillstandes ablehnt. Gibt die deutsche Regierung eine jeder Deutungskunst entzogene Erklärung ihrer allgemeinen Friedensbereitschaft im Sinne des russischen Arbeiter- und Soldatenrates ab, so würde das eine mächtige Förderung aller der Kräfte in Rußland bedeuten, die auf einen baldigen Frieden hinarbeiten. Ihren Widersachern und den Werkzeugen der Entente würde die wirksamste Waffe damit aus der Hand geschlagen. Die Entwicklung würde entweder zum Bruch zwischen Rußland und seinen Alliierten treiben, oder aber die letzteren würden sich gezwungen sehen, gleichfalls auf den Boden dieser Formel zu treten. Jede Unklarheit, jeder Schein, als wollten wir uns doch noch Türen offen halten für gewaltsame Gebietsaneignungen oder sonstige Vergewaltigungen der Lebensinteressen anderer Völker muß beseitigt werden. Nur durch eine solche Politik erscheint es uns auch möglich, die Koalition der feindlichen Mächte aufzulösen und das höchste Kriegsziel, dauernd friedliche Verhältnisse in Europa und in der Welt, zu erreichen.

Durch das offene Bekenntnis der Reichsleitung zu einem allgemeinen Frieden ohne Annexionen und Kontributionen würde in allen Ententeländern die aus der Tiefe des Volkes kommende Friedensströmung, die schon durch das Friedensangebot der Zentralmächte sichtlich gefördert wurde, sehr gestärkt werden. Auch die Wirkung einer solchen Erklärung auf die nach Frieden verlangenden Massen unseres Volkes würde die denkbar beste sein. Die Überzeugung würde allgemein und fest begründet werden, daß wir nicht um Eroberungen willen, sondern lediglich zur Verteidigung unserer eigenen Lebensrechte den Krieg führen, daß unsererseits einem baldigen Frieden der Verständigung nichts im Wege steht und daß, wenn trotzdem kein solcher Friede zu erlangen ist, die Schuld lediglich auf der Seite der Gegner liegt.

Die zweite, nicht minder bedeutsame Maßnahme zur Festigung der Stimmung unseres Volkes und zur Stärkung seines Willens zum Widerstand gegen die Bedrohung von außen ist die freiheitliche Neuordnung der Dinge im Innern. Das Volk in seinen weitesten Schichten muß die feste Überzeugung gewinnen, daß es wirklich zu seinem Recht im Reich, in den Bundesstaaten und den Gemeinden kommen soll. Die freiheitliche Fortentwicklung der Reichsverfassung in der Richtung auf eine auf die Volksvertretung gestützte und von ihr ausgehende Regierung darf nicht verzögert werden. Die im Wahlgesetz von 1869 vorgesehene Gleichhaltung des Reichstagswahlrechts durch Berücksichtigung der Bevölkerungsvermehrung muß schleunigst nachgeholt werden. Die Durchführung der verheißenen Reform des Wahlrechts in Preußen im Sinne eines gleichen, direkten und geheimen Wahlverfahrens muß unverzüglich erfolgen. Jetzt ist die rechte Stunde. Das ganze Volk würde freudig zustimmen, und die kleine Gruppe derer, die ihre bisherigen Vorrechte verlieren, muß das Opfer ihrer Sonderinteressen bringen für das Vaterland, das in schwerster Lebensgefahr ringt.

Es geht jetzt ums Ganze! Das Deutsche Reich und seine Zukunft stehen auf dem Spiel. Das Festhalten an Kriegszielen, die über das eigene Recht und zugleich über das Erreichbare hinausgehen, verlängert den Krieg und führt uns dem Abgrund zu. Alle Welt soll wissen, daß das deutsche Volk um nichts anderes kämpft als um sein nationales Recht auf Leben und Entwicklung, und daß es zu jeder Stunde bereit ist, einen Frieden zu schließen, der ihm dieses sein Lebensrecht gewährleistet. Alles, was einen solchen Frieden hinauszögert, muß unterbleiben und alles, was uns ihm näherbringt, muß schleunigst geschehen. Im Innern aber gilt es, dem staatlichen Leben die Formen zu geben, die, wie es in der Osterbotschaft heißt, »für die freie und freudige Mitarbeit aller Glieder unseres Volkes Raum geben«. Nur wenn in den Massen des Volkes die Überzeugung fest verankert wird, daß das Vaterland, für das sie kämpfen und leiden, auch im Innern eine Stätte der Freiheit und der staatsbürgerlichen Gerechtigkeit ist, werden sie ihr Äußerstes daran setzen und ihr Letztes hingeben, um es zu verteidigen gegen jeden Versuch der Knechtung von außen.

Mit ausgezeichneter Hochachtung
ganz ergebenst

Die Vorstände der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands
und
der Sozialdemokratischen Reichtagsfraktion.

Fr. Ebert. Ph. Scheidemann. Molkenbuhr. M. Pfannkuch. Otto Wels. O. Braun. Ed. David. Fr. Bartels. H. Müller. G. Gradnauer. H. Krätzig. R. Fischer. A. Gerisch.

Verfassungsausschuß und Regierungssabotage.

Mit diesem, wie heute wohl jeder zugeben wird, unbedingt richtigen Bild der Lage im Kopf und beschäftigt, bald in Berlin bei der eigenen Regierung, bald in Stockholm bei den nicht-deutschen Parteifreunden für Deutschland herauszuholen, was aus dem sich ankündigenden Bankrott noch herauszuholen sei, hatte ich, wie schon gesagt, als Vorsitzender des Verfassungsausschusses noch besonders Gelegenheit, die unglaubliche politische Engherzigkeit, Kurzsichtigkeit und egoistische Hartnäckigkeit zu beobachten und am eigenen Leib zu fühlen, in denen sich vor allem die Regierung und die Konservativen verbündet hatten. Dazu kam der Mangel an jeglichem Mut, der auch die weiter links stehenden bürgerlichen Parteien auszeichnete und es selbst meiner unbedingten Entschlossenheit, mit der Demokratisierung vorwärtszukommen, schwer machte, zu positiven Resultaten zu gelangen.

Ich habe bereits in dem Kapitel über die Stockholmer Konferenz das Übermaß von Arbeit geschildert, das uns aufgebürdet war und in dem die endlosen Sitzungen des Verfassungsausschusses nicht die kleinste Rolle spielten.

Die Konservativen, hier unter Kreths Führung, trieben selbstverständlich Obstruktion. Sie wollten nicht die geringsten Konzessionen machen. Am empörendsten war aber doch das Verhalten der Regierungsvertreter, die ein Verschleppungsmanöver nach dem andern machten, und zwar unter Führung des Ministerialdirektors Lewald, der natürlich im Einverständnis und auf Weisung seines Chefs, des Staatssekretärs Helfferich, handelte. Helfferich verschanzte sich hinter den Hauptausschuß, in dem er unabkömmlich sei; er könne nicht in den Verfassungsausschuß kommen. Als ich um die Entsendung Lewalds oder wenigstens einiger Geheimräte ersuchte, damit wir dauernd verhandeln könnten, antwortete er, daß ihm Lewald im Hauptausschuß, unentbehrlich sei. Als ich mich trotzdem weigerte, den Verfassungsausschuß feiern zu lassen, antwortete er gereizt: »Gut, dann werde ich Ihnen einige Statisten schicken!« Er schickte dann aber doch Lewald, weil ihm wohl vor unserm entschlossenen Willen graute.

Der Kampf um die Kommandogewalt.

Die Arbeiten des Verfassungsausschusses waren auch dem Reichskanzler äußerst unbequem. Das geht deutlich hervor aus einem Eintrag in mein Tagebuch vom

7. Mai 1917 … Abends ½7 Uhr sind Ebert und ich beim Reichskanzler. Er ist äußerst interessiert für unsere Stockholmer Pläne. Er bittet sehr darum, ihn genau zu informieren, sowohl über das, was hinter uns liege an Vorarbeit, wie auch über das, was uns noch bevorstehe. Ebert berichtet sehr eingehend und voll schöner Hoffnung. – Bethmann hörte interessiert zu. Dann sagte ich dazwischen: Er könne uns die Arbeit in Stockholm sehr erleichtern und die Aussichten verbessern, wenn er sich vorher bei unserer Interpellation für unsere Formel entscheide: Keine Annexion! Er gab keine klare Antwort, wiederholte nur immer, daß ihm die Interpellationen sehr unbequem seien, daß er heute wohl sagen könne, was er vielleicht morgen, nicht aber, was er evtl. übermorgen sagen würde. Und dergleichen Banalitäten mehr. Er kam wieder auf Stockholm zurück: Wer alles kommen werde? Auch die Franzosen und Engländer? Es zeigte sich immer wieder, eine wie große Bedeutung er der Konferenz beimißt. Er wies auf die Unklarheit der russischen Zustände hin: Heute so, morgen so. Die provisorische Regierung sage dies, Miljukow jenes, und der Arbeiter- und Soldatenrat sagt wieder etwas anderes. Kerenski scheine ihm eine sehr zweideutige Rolle zu spielen. – Er habe übrigens Meldungen aus Frankreich, nach denen die Regierung wackele. Ich: Stürzen Sie sie doch – erklären Sie sich zu unserer Formel, und das französische Ministerium kann sich nicht halten, weil dann unsere Minderheit um Longuet zur Mehrheit werde und die Opposition obenauf und offen für den Frieden sein werde. – Er: »Meinen Sie?« – Ich halte es für todsicher. – Er wünscht noch eine Rücksprache vor unseren Reden über die Interpellation. Ich sage zu und erkläre ihm gleich: Wenn er etwas sage, was die Rechte befriedige, so würden wir erklären müssen, daß wir drei Jahre lang uns in einer Täuschung befunden hätten und daraus Konsequenzen ziehen müßten. – Er: Die Rechte! Sie glauben nicht, wie unbequem mir gerade jetzt Ihr Verfassungsausschuß ist. – Ich, sehr erstaunt tuend: Nanu, wieso? – Er: Der Eingriff in die Kommandogewalt bei der Ernennung der Offiziere zum Beispiel. – Was glauben Sie, wie das ausgenützt wird? – Ich fuhr ihm sofort in die Parade, setzte ihm den Kasus auseinander und bedauerte, daß er so »ungenügend« informiert sei. Ich sagte ihm dann weiter, daß ich alles, was bisher im Verfassungsausschuß gemacht worden sei, quasi für »Kleinkram« halte, ohne den der Reichstag Macht entwickeln könne, wenn er nur wolle. – Er: Für die gesamte Presse der Rechten ist der Verfassungsausschuß eine weitere willkommene Hilfe gegen mich. Vergessen Sie nicht, daß diese Presse in sehr einflußreichen Kreisen gelesen wird. Und einig sind sich die D. T. Z., Kreuzzeitung, Tägliche Rundschau und Herr Georg Bernhard in der Vossischen Zeitung im Kampfe gegen mich. Auf die Dauer bleibt ein solcher konsequenter Kampf natürlich nicht ohne Einwirkung. Was lesen denn die höheren Offiziere anders als diese Rechtsblätter. Und das jetzt im Kriege! Nein, dieser Verfassungsausschuß jetzt – das geht wirklich nicht so weiter. – Ich erhob den entschiedensten Widerspruch. Er: Die Geschichte mit den Offiziersernennungen dürfen wir jetzt unter keinen Umständen an das Plenum kommen lassen. Ich: Das werden Sie nicht verhindern können, denn abgesehen von den paar Konservativen steht der Reichstag geschlossen gerade hinter dieser Forderung. – Er: Wir müssen eine Verständigung finden, das darf jetzt nicht ans Plenum kommen. Wenn Sie wüßten, wie dergleichen oben wirkt.

Bethmann war wenigstens immer offen in seiner Gegnerschaft und griff nicht zu dem Kleingeschütz der Sabotage und der offiziösen Unwahrheiten. Ganz anders andere Regierungsstellen!

Der unwahrhaftige Kriegsminister.

Ich will dies nur an einem Beispiel zeigen, das die ganze Borniertheit und Unehrlichkeit des alten Systems kennzeichnet. Am 15. Mai war eine ziemlich stürmische Sitzung im Reichstag gewesen. Dem Kriegsminister v. Stein waren allerlei wenig freundliche Sprüchlein gewidmet worden. Ich schrieb damals in mein Tagebuch:

»Es gab allerlei Intermezzi mit dem Kriegsminister. Alles das ist in den Zeitungen und in den Stenogrammen zu lesen, nur eines nicht, was ich hier für die Zukunft festhalten will. Der Kriegsminister hatte die Dreistigkeit, zu behaupten, daß er nicht zu den Sitzungen des Verfassungsausschusses eingeladen worden sei. Das war eine Unwahrheit, die ich leider vor der Öffentlichkeit nicht gänzlich aufdecken konnte. Ich stellte im Ausschuß nur fest, daß der Vertreter des Reichsamts des Innern in der Kommission gesagt hatte: das Kriegsministerium sei eingeladen worden. Ich hätte aber mehr feststellen können. Lewald hatte mir neulich in der betreffenden Kommissionssitzung auf meine Frage, ob wir mit dem Beginn der Sitzung noch etwas warten wollen, da v. Stein vielleicht noch in der Budgetkommission zu tun habe, geantwortet: › Nein, nein, der kommt nicht, er will nicht.‹ – Wenn ich das in der Reichstagssitzung gesagt hätte, so wäre eine Szene entstanden, wie sie nicht allzuoft im Reichstag erlebt worden ist, denn einer der beiden Regierungsvertreter mußte ja die Unwahrheit gesagt haben. Ich zweifle nicht daran, daß sie der Kriegsminister gesagt hat.«

Aber so sehr mich die Quertreibereien und Ausflüchte der Herren Helfferich, Lewald und v. Stein auch in meinem Bestreben, die Verfassungsreform vorwärts zu treiben, hemmten und ärgerten, so war meine Empörung über das unsinnige Verhalten, durch das die unabhängigen Abgeordneten den konservativen Reaktionären in die Hände arbeiteten, doch entschieden größer. Die Rabulistik besonders des Abgeordneten Stadthagen war derart töricht, daß sie sogar vereinzelt in den Blättern seiner eigenen Partei verurteilt wurde. Gerade im Verfassungsausschuß kam mir so recht klar zum Bewußtsein, wie dumm eine Regierung handelt, wenn sie sich sträubt, Notwendiges rechtzeitig zu tun. Wieviel Erbitterung hätte erspart werden können, wenn die wiederholt versprochene Reform des preußischen Wahlrechts auch tatsächlich durchgeführt worden wäre! Wäre der Zusammenbruch des morschen Systems als Folge des verlorenen Krieges am 9. November 1918 nicht geradezu automatisch erfolgt, so würde die Regierung durch ihr zweideutiges Spiel mit der Wahlreform, in Verbindung mit zahllosen anderen Sünden, besonders den im Verfassungsausschuß begangenen, die Revolution geradezu erzwungen haben.



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