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Der Kampf um die Friedensresolution.

Auftakt der Parlamentarisierung. – »Wenn der Kanzler ginge, würde das den Frieden erleichtern?« – »Die Bekehrung des Matthias« – Stresemann immer noch für die Annexion Kurlands. – Der Kaiser »ringt mit sich«. – »Militärische Vernehmung durch die O. H. L.« – Mitarbeit Ludendorffs an der Resolution. – Der Zeitgenosse Michaelis. – Wie ich es auffasse.

Auftakt der Parlamentarisierung.

Die Juli-Resolution des Reichstags ging von einer unbedingt richtigen Empfindung aus: daß nämlich die Friedensinitiative von der Regierung auf die Volksvertretung übernommen werden müsse. Der Kredit der Regierung, deren Schwäche in meiner Darstellung klar zutage trat, wie der verschärfte U-Bootkrieg gegen den Willen des Reichskanzlers und seiner Berater durchgeführt wurde, war ja auch für das Ausland kein Geheimnis. Man wußte draußen so gut wie drinnen, daß die Oberste Heeresleitung letzten Endes die Politik des Reiches machte. Deshalb war es nur logisch, daß gleichzeitig mit dem Entschluß des Reichstags, die Friedensaktion in die eigenen Hände zu nehmen, die Erkenntnis bei den Volksvertretern sich einstellte, daß auch diese Aktion wertlos sein mußte, wenn dieselben Männer in den ausschlaggebenden Ämtern blieben. Es bedurfte anderer Kräfte gegenüber der O.H.L.! Daher die Verknüpfung der außenpolitischen Aktion mit der innenpolitischen Säuberung, die ebenso logisch in das Verlangen münden mußte, an Stelle der »kaiserlichen Handlanger« Männer des parlamentarischen Vertrauens, also an Stelle des scheinkonstitutionellen Systems das parlamentarische zu setzen. Denn die richtige Auswahl war nun alles! Rückwärts blickend erscheinen uns die Kämpfe um die Resolution unverständlich und für ihre Wirksamkeit nach außen aufs höchste hinderlich. Beides ist sicher richtig. Aber historisch muß man den Kampf um die Friedensresolution betrachten als die ersten Schritte eines sich selbständig machenden Parlaments. Immer noch hat sich der Glaube an die eigene Kraft nicht durchgesetzt, besonders die Fortschrittler schielen immer noch nach dem Imprimatur der Regierung, in die ihr Parteifreund Payer nächstens eintreten wird. Die Nationalliberalen gar können von ihren Annexionshoffnungen nicht herunter und verstehen sich – trotz der Eingeständnisse Stresemanns von der Unmöglichkeit ihrer früheren Wünsche – nur zu dem echt nationalliberalen Beschluß, die Abstimmung freizugeben. Das Zentrum ist in der Hauptsache von taktischen Erwägungen beherrscht und bleibt bis zum Schluß eine unbestimmte Größe. Angesichts dieses Sachverhalts ist es ein Beweis für die damals schon weitverbreitete Erkenntnis der äußerst gefährdeten Lage und für die logische Werbekraft der sozialdemokratischen Kriegszielformulierung, daß es trotz alledem zu der Resolution kam. Es war die Annahme der Auffassung meiner Partei durch die bürgerliche Mitte! Daß die Resolution schließlich ohne Erfolg blieb, lag sicher auch an der Art ihres Zustandekommens; zum größten Teil aber in ihrer Entwertung durch den »Zeitgenossen« Michaelis – seine eigene, im Folgenden wiedergegebene Charakterisierung ist ein Todesurteil für die wilhelminische Staatsform – und in der künftigen Regierungsrichtung. Ich stelle das Ringen um die Parlamentskundgebung in aller Ausführlichkeit dar, weil sie trotz alledem der energischste Auftakt zum Parlamentarismus ist, die zielbewußte Führung durch die Sozialdemokratie zeigt und gleichzeitig die hoffnungslose Entschlußlosigkeit der damals amtierenden Männer, die nicht etwa die tödliche Bedrohung Deutschlands sahen, sondern nur einen Gesichtspunkt hatten: was werden der Kaiser und Ludendorff sagen?


Jedermann hatte in den Junitagen das Gefühl, daß etwas besonderes geschehen werde. Man wartete, so wie Björnsons Pfarrer Sang, sozusagen auf ein Wunder. Im Hauptausschuß des Reichstags, in dem sich zu jener Zeit das politische Leben konzentrierte, waren die Abgeordneten von Stunde zu Stunde auf irgend etwas Sensationelles gefaßt. Ausführungen, die Ebert und Noske in diesen Tagen gemacht hatten, zogen ihre Kreise auch im bürgerlichen Lager. Die Zeit der einseitigen Kraftsprüche, in denen bis vor kurzem selbst Fortschrittler wie der Trompeter Wiemer exzelliert hatten, war endgültig vorbei. Der Verfassungsausschuß hatte zwar noch keine konkreten Ergebnisse gezeitigt, ja, war von der Regierung aufs schnödeste brüskiert worden, aber seine Debatten schon brachten Forderungen – nicht etwa nur von sozialdemokratischer Seite – zutage, die noch bis vor kurzem für Hochverrat und schlechtweg revolutionär gegolten hatten. In diese Hochspannung außenpolitischer Sorgen und innenpolitischer Kämpfe fielen die ersten Besprechungen mit Kanzler und Vizekanzler über die bevorstehende Reichstagstagung, in deren Mittelpunkt wiederum eine Kriegskreditvorlage stand. Es war kein Zweifel, daß die diesmalige Zustimmung der Sozialdemokratie, nach soviel Enttäuschungen des Volks und Umfällen der Regierung nur nach ganz bestimmten Zusagen erfolgen werde. Diese konnten nur bestehen in klarer Formulierung der »Kriegsziele« – also einer Absage an jeden Annexionsgedanken – und ebenso klarer Zusage des Reichstagswahlrechts für Preußen; was nach der »Osterbotschaft« immer noch zweifelhaft war.

Wenn der Kanzler ginge, würde das den Frieden erleichtern!

Am 30. Juni hatte Helfferich die Fraktionsführer zu sich gebeten. Anwesend waren Wahnschaffe, die Unterstaatssekretäre Richter, Lewald, von der Fraktion David, Ebert und ich. – Helfferich wollte wissen, wie wir uns den Verlauf der Reichstagstagung denken oder wünschen. Ich kam zuerst zum Wort und sagte ihm, was wir wünschen bzw. verlangen: Klares Kriegsziel (wie das unsere), Zustimmung zu den Verfassungsänderungen, Übernahme der Führung in der Wahlrechtsfrage – um die Widerstrebenden in der Mitte zu gewinnen – durch die Regierung. – Helfferich suchte wieder alle Fragen, auf deren Stimmungswert wir hinwiesen, »klein« zu machen. Er wollte mich offenbar nicht verstehen, als ich ihm auseinandersetzte, daß ich auf jede einzelne der bisher vom Verfassungsausschuß beschlossenen Fragen pfeife, weil ein starkes Parlament alle diese Kinkerlitzchen nicht erst zu beschließen brauche; daß ich aber trotzdem aus politischen Gründen den größten Wert auf die Zustimmung der Regierung und die Verabschiedung durch den Reichstag lege! David unterstützte mich kräftig; ebenso sprang Ebert tapfer ein, besonders in der Kriegszielfrage. Als sei ein Gespenst durch den Saal gehuscht, guckten mich die Regierungsvertreter an, als ich ganz kühl bemerkte – bei der Frage des heiß ersehnten Friedensschlusses –: »Wenn der Reichskanzler, den ich gewiß hoch schätze, morgen ginge, so würde das den Frieden auch erleichtern! Ich setze voraus, daß ein besserer kommen müßte.« – Keiner sagte einen Ton, denn das hatten sie wohl begriffen, daß meine Bemerkung im Grunde genommen hieß: Ihr alle müßtet Platz machen für Männer ohne »Vergangenheit« in diesem Kriege. Dem Ministerialdirektor Dr. Lewald, den ich als enorme Arbeitskraft schätze, sagte ich auf den Kopf zu, daß er lediglich als Bremser im Verfassungsausschuß gewirkt hätte. Und Helfferich sagte ich: »Wenn Sie einen anderen haben, so schicken Sie uns, bitte, Lewald nicht mehr!« Übrigens setzte David den Herren in brillanter Weise zu. Das freut mich immer von ihm, daß er Aug' in Auge der Gesellschaft gegenüber so energisch ist, während er ihr in der Fraktion immer mehr Gerechtigkeit widerfahren läßt, als sie verdient. –

1. Juli 1917. Der »Vorwärts« bringt meinen Artikel: »Reich, schaffe Recht!«; ich rechne damit, daß er viel Staub machen wird, namentlich wegen der Forderung: gleiches Recht. – v. Payer ließ mich telephonisch bitten, zu ihm in den Reichstag zu kommen. Ich ging. Er wollte sich mit mir aussprechen wegen der jetzt zu beobachtenden Taktik. Wir waren in vielen Dingen ganz einer Meinung. Aber in der Hauptfrage leider nicht: wie schafft man das preußische Wahlrecht am schnellsten und besten? So wie ich die Frage im heutigen »Vorwärts«artikel, den er noch nicht gelesen hatte, den ich aber skizzierte, behandle, glaubt er nicht, daß die Sache geht. Es sei das eine »Vergewaltigung der Bundesstaaten«, und dafür gebe es im Reichstag keine Mehrheit. Er ist der Meinung, daß wir über die Geschichte jetzt wohl am besten hinwegkämen, wenn der Reichskanzler in noch bindenderer Weise die Regierung festlege, und zwar auch für das gleiche Wahlrecht. – Auch ist er nicht dafür, den Reichskanzler auf die Formel zu zwingen: keine Annexionen, keine Kontributionen. Als ich ihm sagte, daß der Reichskanzler auf mich den Eindruck gemacht habe, daß er im Grunde genommen vollkommen mit dieser Friedensbasis einverstanden sei und lediglich Bedenken geäußert habe, ob es klug sei, die Formel auszusprechen … meinte er: »Wenn der Reichskanzler es sagen will, habe ich natürlich gar nichts dagegen, aber ob es klug wäre, bezweifle ich nach wie vor!« Er tadelte den Pessimismus des Reichskanzlers und äußerte sich hoffnungsvoller über den U-Bootkrieg als der Reichskanzler. Er sei ganz einig mit uns gewesen in der Ablehnung des U-Bootkrieges, aber jetzt sei es doch nicht richtig, so zu tun, als habe er gar nichts genützt; gewirkt habe er schon. Ich: »Ja, die erste Wirkung war die Kriegserklärung Amerikas!« Er: »Nun ja, das haben wir ja vorausgesehen!«

Von ½11 Uhr ab beim Reichskanzler. – Alle Staatssekretäre sind da, bis auf Liesco. – Der Reichskanzler hat im Hauptquartier offenbar nichts erreicht, denn er ist wieder »ganz fest«. Es gehe nicht an, sich öffentlich auf die Formel festzulegen, die wir von ihm verlangten. Er habe getan, was er glaube verantworten zu können, um zum Frieden zu kommen, aber wie hätten ihm die Gegner geantwortet? – Die übrigen Fraktionsredner – alle Fraktionen waren vertreten außer den Unabhängigen – sprachen sich ähnlich aus, obgleich alle sehr klein waren. Auf die Reden, die David und ich hielten – ersterer sprach eine Stunde lang –, antwortete niemand etwas Stichhaltiges. In bezug auf den U-Bootkrieg schien es fast so, als ob schon keiner mehr das Karnickel gewesen sein wolle. Man habe sich auf die Zahlenangaben der Regierung verlassen (Capelle, Helfferich). Die ganze Geschichte verlief äußerst gedrückt. David und ich gingen der alldeutschen Gemeingefährlichkeit mit brutaler Rücksichtslosigkeit zu Leibe.

Die Sitzung dauerte von ½11 bis Punkt 4 Uhr. Da ich seit dem dürftigen Frühstück (Ersatzkaffee, Brot und Kunsthonig) nichts genossen hatte, fiel ich nahezu um vor Hunger.

Nach einer kurzen Pause, die wir zum Mittagessen benutzten, traten Ebert und ich um 5 Uhr schon wieder bei Helfferich im Reichsamt des Innern an. Dort war nur ein kleinerer Kreis versammelt – unter Ausschluß der Polen und Elsässer. In der Hauptsache geschäftliche Erörterung des Aufzugs der Plenarsitzungen. – Helfferich regte eine Kundgebung an für »Elsaß-Lothringen als sicheres deutsches Land«. Es hätte natürlich nur Zweck, wenn die Elsässer mitmachten. – Wir erklärten: und für uns hat's nur Bedeutung, wenn auch gesagt wird, daß Elsaß-Lothringen ein selbständiger Bundesstaat wird. Lange Gesichter – und es blieb alles in der Schwebe. Ende nach 8 Uhr.

Hauptausschuß! Es war der Tag, welcher den sogenannten »Vorstoß« Erzbergers brachte! Für uns, die wir seine Beweglichkeit und seine gute Nase für reife Situationen kannten, nicht unerwartet. Der Vater der Friedensresolution – das geht aus unsern immer wiederholten Forderungen hervor – war er nicht. Aber das große Verdienst Erzbergers bestand darin, daß er als der erste bürgerliche Abgeordnete sich endlich entschlossen und offen zu dem Standpunkt der Sozialdemokraten in der Friedensfrage bekannte.

Die Bekehrung des Matthias.

6. Juli 1917. Der gestrige Tag wird zu den bedeutsamsten zählen, die wir bisher im Hauptausschuß während der Kriegszeit erlebt haben. Erzberger hat sich zu der Auffassung bekannt, die meine Freunde und ich vertreten: wir müssen so schnell als möglich Frieden zu schließen suchen. – Als Erzberger im Hauptausschuß sein aufsehenerregendes Bekenntnis ablegte und den Vorschlag machte, daß der Reichstag in einer Erklärung vor aller Welt dokumentieren solle, er lehne Eroberungsziele ab und stehe auf dem Standpunkt vom 4. August 1914, saß ich noch im Verfassungsausschuß. Infolge des Krachs vertagte ich aber, um Zeit zu Verhandlungen (über den Antrag 18) zu gewinnen, und kam in dem Augenblick in den Hauptausschuß, als Erzberger seine Rede beendet hatte. Mein Freund Wendel, der Mitglied der Kommission war, sprang sofort auf, um mir seinen Platz abzutreten. So war ich gleich aus dem einen Kampf um die Dinge im Innern mitten im Getriebe um die große Frage des Kriegsendes. Nach unwesentlichen Erklärungen wurde auch der Hauptausschuß vertagt. Im Laufe des Tages traten schon Vertreter der Sozialdemokraten, des Zentrums, der Fortschrittler und der Nationalliberalen zu Beratungen zusammen. Es bestand grundsätzliche Übereinstimmung darin, daß eine gemeinsame Friedenserklärung versucht werden müsse.

7. Juli 1917. Über die gestrige interfraktionelle Sitzung will ich folgendes nachtragen: Sie fand nachmittags 3 Uhr im Obergeschoß, Zimmer 12, statt. Anwesend: Spahn, Erzberger, Müller-Fulda, Fehrenbach, v. Payer, Müller-Meiningen, Haußmann, Gothein, Ebert, David, Südekum, Scheidemann, v. Richthofen, Dr. Funk, Schiffer, Stresemann, v. Calker. – Erzberger sprach noch einmal über seinen Vorschlag: Friedensbereitschaft wie am 4. August 1914, und kein anderes Ziel: Verteidigung. – v. Richthofen betont, daß diese Frage nicht erörtert werden könnte, ohne daß gleichzeitig ein Personenwechsel eintrete. Einen Frieden zu machen mit Bethmann Hollweg und Zimmermann werde das Ausland ablehnen. – Erzberger will sich darüber nicht äußern. – Stresemann: wir sind kompetent, auch einen Wechsel im Personal zu verlangen. – Südekum ist der gleichen Ansicht. – Gothein ebenso. – Erzberger schildert nun die zweideutige Art, in der die deutsche Regierung Wilson behandelt hat, der bereit gewesen sei, Ende vorigen Jahres eine intensive Friedensvermittlung zu unternehmen. Er habe schließlich Bernstorff geradezu hinausgeworfen. – Im weiteren Verlaufe sprachen v. Payer, Erzberger und v. Richthofen von Personaländerungen. – David verlangte, ganz im Sinne der Fraktion, eine deutliche Erklärung, wie sie der russische Arbeiter- und Soldatenrat formuliert hat. – Calker wünscht, daß in der gemeinsamen Erklärung etwas über Elsaß-Lothringen gesagt wird. Man solle verlangen, daß Elsaß-Lothringen ein autonomer Bundesstaat im Rahmen des Reiches werde.

Stresemann immer noch für die Annexion Kurlands.

Stresemann hält seine grundsätzliche Auffassung über die flandrische Küste, Kurland usw. aufrecht; er gibt seine entsprechenden Pläne aber auf, weil er nicht mehr glaubt, daß deren Durchführung möglich ist. Übrigens sei es selbstverständlich, daß weder er noch ein anderer, – wenn er nicht auf dem Boden der Erklärung stehe, – in ein parlamentarisches Ministerium eintreten könne. Es bestehe jetzt tatsächlich die Gefahr, daß alle Neutralen gegen uns Front machen könnten, weil sie der U-Bootkrieg dazu zwinge. Eine Erklärung, wie die projektierte, erscheine ihm nicht zeitgemäß, sie erscheine ihm direkt gefährlich angesichts der russischen Offensive. Diese habe Erfolge gehabt, die in Paris ungeheuerlich gefeiert wurden. Er möchte gern wissen, wie die Sozialdemokraten sich stellen zu der Frage: können wir Kurland auf dem Wege der Verständigung bekommen? – David wies auf unser Stockholmer Memorandum hin. – v. Calker: wir können erklären, was wir wollen; das Ausland glaubt nicht daran, wenn wir nicht einen Personenwechsel vornehmen.

8. Juli 1917. Gestern von früh bis spät Sitzungen. Nachmittags interfraktionelle Sitzung. Wir verständigen uns über die gemeinsame Erklärung und werden ganz einig über die Formulierung. Während in den vorausgegangenen Besprechungen nur von einem Personenwechsel gesprochen war, ist daraus jetzt das parlamentarische System geworden. Dafür bin ich selbstverständlich durchaus, aber von heute auf morgen, so fürchte ich, kann man das mit allen seinen Konsequenzen kaum durchsetzen. Es wird eine Sitzung verabredet für Sonntag 12 Uhr, weil die Nationalliberalen Zeit haben müssen, um ihren Umfall, wenn er überhaupt in der Kriegszielfrage möglich ist, vorzubereiten.

9. Juli 1917. Der gestrige Tag war wiederum sehr ereignisreich. Es stellte sich heraus, daß die bisherigen Delegierten der Nationalliberalen nicht im Auftrage ihrer Fraktion, sondern auf eigene Faust gehandelt hatten. Am 9. Juli soll bei den Nationalliberalen die Entscheidung fallen. Erzberger konnte folgendes berichten: der Kriegsminister von Stein hat Hindenburg und Ludendorff telephonisch nach Berlin gerufen. Ihre Anwesenheit sei erforderlich, »weil sich hier merkwürdige Dinge abspielten«. Bethmann Hollweg bekam Wind von der Sache. Er ließ den Kaiser, der ebenfalls nach Berlin kam, schon auf dem Bahnhofe abfangen und sofort zu sich dirigieren. Damit hatte er schon gesiegt. Er fragte den Kaiser, was die beiden Heerführer hier wollten; der Reichstag habe keinerlei Differenzen mit der Heeresverwaltung; was an politischen Meinungsverschiedenheiten vorhanden sei, gehe ihn an, nicht aber die beiden. – Der Kaiser hat darauf Hindenburg und Ludendorff sofort wieder fortgeschickt. – Nebenbei: Hindenburg und Ludendorff hatten sich an Erzberger gewandt und ihn wissen lassen, daß sie gern bereit seien, mit den Fraktionsführern zu beraten. Um keinen Kompetenzkonflikt heraufzubeschwören, empfehle es sich vielleicht, diese Besprechungen nicht im Reichstage, sondern im Generalstabsgebäude abzuhalten. – Ins Parteibureau ist dann noch ein Offizier gekommen, der dort Ebert antraf, um ihn zu fragen, ob er nicht mit mir zusammen mit Ludendorff reden wollte. Ebert hat zugesagt und mir telegraphiert. Wir trafen uns abends im Hotel Exzelsior. Inzwischen waren Hindenburg und Ludendorff aber bereits wieder abgereist.

10. Juli 1917. Im Hauptausschuß attackierte Stresemann den Reichskanzler sehr heftig. Der Reichskanzler antwortete mit ungewöhnlichem Geschick. Wenn man glaube, daß er im Wege sei, solle man es offen sagen. Im übrigen: die innere Orientierung sei nicht so durchzuführen, wie in England und Frankreich (Parlamentarisierung); das sei erschwert durch den föderativen Charakter des Reiches. David sprach wieder sehr gut, wenn er auch nichts Neues mehr sagen konnte. – Infolge des interessanten Verlaufs der Sitzung bestellte ich eigenmächtig den Verfassungsausschuß, der für 10 Uhr einberufen war, ab. – Nachmittags wieder interfraktionelle Besprechung. Geraufe friedlicher Art um die Stilisierung der Erklärung. – Die Nationalliberalen sitzen und beraten von 4-6 Uhr. – Sie lehnen die Teilnahme ab. Es ist ihnen zunächst darum zu tun, Bethmann Hollweg wegzubringen, alles andere ist ihnen vorläufig einerlei.

Der Kaiser »ringt mit sich«.

11. Juli 1917. Vormittags 9 Uhr: Hauptausschuß. Ebert wünscht Auskunft vom Reichskanzler über den Kronrat vom Tage vorher. – Reichskanzler kann eine Antwort nicht geben. – Ebert beantragt daraufhin Vertagung. – Einstimmig gutgeheißen. – Den Verfassungsausschuß vertage ich um 10 Uhr ebenfalls, »um zu demonstrieren«, wie ich unzuverlässigen Leuten sagte, weil bisher eine Klärung weder innerhalb noch außerhalb der Regierung eingetreten sei. – In Wirklichkeit ging der Vertagung folgende Szene voraus: Helfferich bat mich sehr, nicht zu verhandeln. Nach dem Kronrat »ringe der Kaiser mit sich«. Heute oder morgen werde eine wichtige Wahlrechtsentscheidung fallen. Aber wenn dem Kaiser, der vielleicht um 12 Uhr eine Proklamation für das gleiche Wahlrecht erlassen wolle, um 11 Uhr ein Beschluß des Verfassungsausschusses auf die Brust gesetzt werde, sei das doch ein Imponderabile, das wir nicht ganz außer acht lassen sollten. – Offenbar hatten Helfferich und Lewald die bürgerlichen Abgeordneten schon benachrichtigt, so daß mir von allen Seiten zugesetzt wurde. – Unsere eigenen Genossen waren einverstanden. – Im Laufe des Tages unausgesetzt Besprechungen. Um ½4 Uhr nachmittags wieder interfraktionelle Konferenz. Es wird abermals am Text herumgedoktert. Die Polen, Welfen und Elsässer sind jetzt auch vertreten durch Seyda, von Wangenheim und Hauß. Die Elsässer wollen die Erklärung einstimmig mitmachen; die deutsche Fraktion, zu der die Welfen zählen, wird zur Hälfte mitgehen; Seyda fand die Erklärung sehr sympathisch, kann aber seiner Fraktion nicht vorgreifen. (Abends teilte er mir mit, in ihrer Besprechung, an der Daszynski teilgenommen habe, sei Stimmenthaltung beschlossen worden.) Interessant war in der Sitzung die Haltung der Nationalliberalen. Paasche kam immer wieder auf die Ministerposten zurück. Wir spannten ihn auf die Folter. Minister kann nur werden, wer sich glatt auf den Boden unserer Erklärung stellt. Er nahm Junck, van Calker und von Richthofen ins Schlepptau, um sie erneut in die nationalliberale Fraktion zu führen. – Es war vergeblich. Die Schwerindustriellen wollen wohl einen Vertreter im Ministerium haben, aber keinen »Scheidemann-Frieden«, wie Paasche ziemlich offen bekannt hatte. – Für 7 Uhr nachmittags hatte der Reichskanzler Spahn, Payer, Ebert, Schiffer zu sich geladen, um mit ihnen zu reden. – Ebert berichtete in der Fraktion später darüber: der Kaiser könne immer noch nicht zu einer klaren Entscheidung kommen. Da es sich bei der Parlamentarisierung um die Zukunft der Krone handele, habe er das Bedürfnis, sich auch mit dem Kronprinzen zu besprechen, der telegraphisch berufen worden sei. Der Kanzler ist für das gleiche Wahlrecht, könne dem Kaiser das parlamentarische System aber nicht empfehlen angesichts der enormen Schwierigkeiten, die dem im Wege ständen (Staatenbund, Verfassung usw.). Er sei bereit, einige Staatssekretäre aus dem Parlament zu nehmen, auch sei eine Art Staatsbeirat aus Parlamentariern zu bilden, der mitarbeiten könne bei wichtigen Entscheidungen, aber darüber hinaus könne er zurzeit nicht gehen. In bezug auf das Kriegsziel werde er die Wünsche der Mehrheit des Reichstages zu beachten wissen, usw. usw.

12. Juli 1917. In der Presse wird das gleiche Wahlrecht für Preußen angekündigt! – Gestern: im Seniorenkonvent Auseinandersetzung mit Westarp, der jetzt plötzlich die Kreditvorlage erledigt wissen will. Im Plenum wiederholte sich die Sache ähnlich. – Nach dem Plenum interfraktionelle Besprechung. Zunächst berichtet Fehrenbach über eine Aussprache mit Wahnschaffe. Fehrenbach hat Wahnschaffe gegenüber den Standpunkt vertreten: schnellstens Heranziehung von Parlamentariern in Ministerposten und als Staatssekretäre. – Die Nationalliberalen erscheinen wieder auf der Bildfläche: Schiffer, Junck, Richthofen. Sie wollen noch einmal verhandeln. Schiffer, dem man zu verstehen gibt, daß nichts Wesentliches mehr an der Erklärung geändert werden könne, wünscht vom Zentrum zu wissen, ob es an seinem Beschluß festhalte, die Erklärung, nur dann mitzumachen, wenn auch die Nationalliberalen mitmachen. Das Zentrum, das diesen Beschluß tatsächlich gefaßt hatte, um die Nationalliberalen dauernd unter Druck halten zu können, spannte die Nationalliberalen auf die Folter. Fehrenbach sagte: ja, der Beschluß besteht noch. Schiffer: wir nehmen an, daß der Beschluß bestehen bleibt; er war ja bei unseren Fraktionsberatungen von der größten Bedeutung. – Fehrenbach: ich will nicht prophezeien, aber ich glaube, daß meine Fraktion, nachdem die Dinge sich derart entwickelt und geklärt haben, den Beschluß aufheben wird!! Schiffer, den ich als klugen Menschen sehr hochschätze, nahm seine beiden Genossen wieder mit ab, um noch einmal in der nationalliberalen Fraktion sein Glück zu versuchen. Nach etwa einer Stunde kam Richthofen, um offiziell mitzuteilen, daß seine Fraktion die Beteiligung ablehne, die Abstimmung aber freigebe. – Wir debattierten dann über die »Parlamentarisierung«. Ein langes theoretisches Hin und Her über vorläufige Regelung durch einen Beirat für die Regierung, Staatssekretäre ohne Portefeuille (Davids Vorschlag) usw. Ich führte u. a. aus: Nicht debattieren und theoretisieren wie 1848 in der Paulskirche. Was wir schließlich wollen, wissen wir: das konsequent durchgeführte parlamentarische System. Aber wie kommen wir dazu? Vor acht Tagen hat noch keiner von uns daran gedacht, jetzt an die Parlamentarisierung heranzukommen. Wir verlangten strikte dies: Klarheit im Kriegsziel und gleiches Wahlrecht in Preußen. Als wir uns darüber einig waren, wurde in bezug auf das Kriegsziel die Frage aufgeworfen: Geht's mit den Männern? Nein, einige müssen fort und durch neue ersetzt werden. – Aus den paar Männern, die mit Rücksicht auf das Ausland ausgetauscht werden sollten, wurde plötzlich das parlamentarische System. Aus der Debatte ging hervor, wie enorm große Schwierigkeiten dem bei uns zulande entgegenstehen, so daß es unmöglich erscheint, in ein oder zwei Wochen alle Widerstände gesetzlicher und persönlicher Art zu überwinden. Jedenfalls müssen wir die Situation ausnutzen und so schnell als möglich ein brauchbares Provisorium schaffen, bis wir das parlamentarische System durchsetzen können. Beirat? Nein! Provisorium, wie es David und Payer vorschlagen? Im Notfall. Das Wichtigste zur Stunde bleibt die Berufung neuer Männer wegen der Wirkung auf das Ausland: Zimmermann muß gehen wegen der Christianiaaffäre; Capelle auch. Die neuen Männer müssen berufen werden im Einvernehmen mit dem Reichstage. Nun weiter: Der Reichskanzler soll Gegner der Parlamentarisierung sein. Um ihm wirksam entgegentreten zu können, müssen wir die Schwierigkeiten und angeblichen Unüberwindlichkeiten, von denen geredet wird, genau kennen. Von Wichtigkeit ist die Stellungnahme des Kaisers angesichts der großen Macht, die er nun einmal hat. Je nach der Art seiner Information wird er so oder so entscheiden; das ist direkt verhängnisvoll. Denn wer informiert ihn? Bethmann-Hollweg hat ihm, wie man sagt, einen Gipsverband angelegt, so daß niemand an ihn herankommen könnte. Man muß dem Kaiser aber offen berichten, wie es im Lande aussieht. Er muß aufgeklärt werden über die Not und die Notwendigkeiten. Dann sträubt er sich vielleicht nicht, freiwillig zuzugestehen, was er in kurzer Zeit wird geben müssen. Ich schlage vor, v. Payer zum Kaiser zu schicken, damit er ihm in unserm Namen und Auftrage ganz reinen Wein einschenkt. Im übrigen also: sofort neue Männer, auch solche selbstverständlich aus dem Parlament, dann muß der Verfassungsausschuß Vorlagen machen und dann in wenigen Wochen, wenn alles Schlag auf Schlag gehen kann, ganze Arbeit. Wir versäumen mit einigen Wochen nichts; wir nützen sie zu gründlicher Vorbereitung. Unsere Macht wird immer größer, nicht etwa geringer, je größer die Not wird, um so höher steigt die Macht des Reichtags gegenüber der Regierung. –

Meine Vorschläge fanden allgemeine Zustimmung.

Militärische Vernehmung durch die O. H. L.

14. Juli 1917. Über die Ereignisse der letzten Tage kann ich nur summarisch berichten … Gestern vormittag Vertagung des Hauptausschusses, später Seniorenkonvent, dann Plenum. Dann Arbeiter- und Soldatenrat, wie wir scherzhafterweise die Konferenzen der Vertreter der Mehrheitsparteien nennen. Wir sprechen den Männern der Fortschrittlichen Volkspartei noch einmal Mut zu, damit sie sich nicht breitschlagen lassen, wenn wir von den beiden obersten Heerführern empfangen werden. Etwa um ½5 Uhr kommt Geheimrat Jungheim zu uns ins Zimmer, um uns zu Hindenburg einzuladen: »Um 5 Uhr die Herren Fortschrittler, 5¼ die Zentrumsherren, 5½ die Sozialdemokraten.« Wir lachen hell auf. Dann wird allen Ernstes erwogen, ob man nicht darauf verzichten soll, auf eine solche Art militärischer Vernehmung einzugehen. – In der Annahme, daß da irgendein Kommißkopf nach Schema F, wie beim Stiefelappell, verfahren habe, erklären wir uns bereit, ins Generalstabsgebäude zu kommen. Payer und Fischbeck zuerst. Kurz darauf auch Erzberger und Meyer-Kaufbeuren. Dann gehen Ebert und ich. Wir gingen recht früh, um uns von Payer und Fischbeck informieren zu lassen, während Erzberger und Meyer »vernommen« würden. Wir saßen dann etwa eine halbe Stunde mit Erzberger und Meyer in einem großen Vorsaal des Generalstabsgebäudes, da die Einvernahme der beiden Fortschrittler 40 Minuten dauerte. Mehrfach bat uns ein Ordonnanzoffizier um Entschuldigung. Schließlich wurden wir gefragt, ob wir nicht gleich zu viert eintreten wollten. »Aber mit Vergnügen.« – Hindenburg und Ludendorff, bei denen noch ein Hauptmann von Haarbaum war, empfingen uns mit der größten Liebenswürdigkeit. Wir schüttelten uns gegenseitig kräftig die Hände und schauten uns fest in die Augen. In einer Ecke saßen Helfferich und Wahnschaffe wie zwei betrübte Lohgerber. – An den Wänden Karten, ebenso auf den Tischen. – Hindenburg: »Ich nehme an, daß die Herren sich für die militärische Lage interessieren. Ludendorff, informieren Sie die Herren doch.« Ludendorff zeigte die Stelle, wo an der Ostfront die russische Offensive die Österreicher zurückgedrückt hat. Die Kraft der russischen Armee ist nicht mehr vollwertig; wenn sie trotzdem erfolgreich war, so will ich Ihnen vertraulich sagen, warum: auf der anderen Seite standen Österreicher, d. h. slawische Truppen unter nicht guter Führung. Der betreffende Führer ist auch schon abgerufen. Auf russischer Seite kämpften früher übergelaufene österreichische Slawen. Nebenbei: Die Stelle, wo die Russen vorgerückt sind, ist so gering, daß sie auf der Karte kaum markiert werden kann. – Im Westen steht alles fest. Die Amerikaner fürchten wir nicht. Sie werden Flugzeuge und Flieger liefern; für umfangreiche Truppentransporte ist Tonnage kaum da. Bis sie evtl. kommen könnten, im März 1918, haben die U-Boote die Engländer hoffentlich friedensbereit gemacht. Ludendorff trug absolute Festigkeit zur Schau, ging aber auch zu meiner Überraschung von der Annahme aus, daß der Krieg noch ein weiteres Jahr dauern würde. – Da setzte ich ein, nachdem Erzberger einige unwesentliche Fragen über Munition gestellt hatte. Ich knüpfte an Ludendorffs Darlegungen an. Ob er und Hindenburg bedacht hätten, wie es daheim aussieht. Die Arbeiter fallen täglich zu Hunderten in den Fabriken vor Hunger zusammen. Ohnmächtig fallen die Briefträgerinnen auf den Treppen um usw. – Hunger, Not, Schmerz wegen der Todesfälle; dazu Unwillen über die alldeutschen Kriegsziele; keine Aussicht auf ein Ende; Summa summarum: Verzweiflung, die sich in Empörung umsetzt. Ich begründete dann die für den Reichstag bestimmte Kriegszielerklärung, ohne sie als solche zu nennen, in eingehender Weise. Die Wirkung auf das Ausland, zunächst Rußland, dann auf das Inland. Ich sprach zirka 20 Minuten. Am aufmerksamsten hörten mir, wie mir schien, Ludendorff und Hindenburg zu. Als ich endete, begann Hindenburg: Meine Ausführungen hätten großen Eindruck auf ihn gemacht, aber daß nun alles so mathematisch genau bleiben solle, wie alles war, das gehe doch nicht an. Natürlich sind unsinnige Kriegsziele aufgestellt worden. Wir sollen ja auch so und so viele Länder behalten, die wir noch gar nicht erobert haben. – Ähnlich sprach Ludendorff. – Ich ergänzte daraufhin meine Rede. Die Erklärung, auf die die beiden inzwischen hingewiesen hatten, lasse, so führte ich aus, Spielraum genug für jede verständige »Verständigung«. Strikte abgelehnt müsse aber jede gewaltsame Eroberung werden. – Ludendorff: Denken Sie mal an Aachen, wenn wir uns Belgien gegenüber für die Zukunft nicht sichern! Ludendorff und Hindenburg empfahlen dann, die Erklärung »positiver« zu fassen. Sie glaubten wohl, daß sie im Innern gut wirken werde, so wie wir annähmen, aber nach außen? Nein! Man werde wieder von Schwäche sprechen. Deshalb eine »positivere« Form. Dann folgte eine U-Bootdebatte. Ludendorff ist Gegner der Erzbergerschen Berechnung über die Welttonnage, die Helfferich für direkt verhängnisvoll hält. Beim Weggehen sprach Helfferich zu mir: »Also wir verhandeln noch wegen der Erklärung?« Ich: »Nein, Exzellenz, wegen der Erklärung gibt's nichts mehr zu verhandeln.« – Wir verabschiedeten uns dann mit kräftigem Händedrücken um 7 Uhr, nachdem unsere Unterredung gut 5/4 Stunden gedauert hatte. Hindenburg machte durchaus keinen überragenden Eindruck auf mich. Er sah viel jünger aus, als ich erwartet hatte, war auch nicht so groß, wie ich angenommen. Er erinnerte mich in seiner Sprechweise an Paul Singer, der im gleichen Tonfall zu reden pflegte. Hindenburg behandelte uns wie alte Bekannte und war ohne jede Spur von Ziererei. Eine prächtige Soldatengestalt. – Ludendorff ist ein starker, gesunder Kerl, blond, klare blaue Augen. Er war ganz bei der Sache und suchte jeden Satz, den er hörte, offenbar gleich geistig zu verarbeiten. Ohne allen Zweifel ist Ludendorff der Bedeutendere von den beiden. – Als wir in den Vorsaal zurückkehrten, saßen da alle die anderen Volksboten: Schiffer, Bruhn, v. Heydebrandt, von Westarp usw. usw. – Wir gingen sofort wieder in den Reichstag, um uns, wie verabredet war, weiter zu besprechen. Statt um 6¼ Uhr kamen wir infolge der langen Dauer der Unterhaltung erst um 7½ Uhr zusammen. Payer und Fischbeck fehlten; Erzberger mußte in seine Fraktion. Da wir Hindenburg alle unter dem Eindruck verlassen hatten, daß er zwar nicht erbaut über die Resolution, vielleicht sogar unangenehm berührt war, sich aber damit doch abgefunden hatte, trugen wir kein Bedenken, den Beschluß zu fassen, die Resolution nunmehr zu veröffentlichen. Südekum sollte W. T. B. informieren. Ich besorgte den Text in den Vorwärts, weil ich weiß, daß bei dem frühen Redaktionsschluß der Vorwärts die Nachricht durch W. T. B. zu spät erhalten würde. In der Nacht wurde ich aus dem Schlafe herausgeklingelt. Südekum telephonierte: Helfferich und Wahnschaffe hätten Einspruch erhoben gegen die Veröffentlichung, da doch verabredet sei, am nächsten Tage weiter zu verhandeln. Das bestritt ich entschieden und bestand auf Veröffentlichung. Südekum hatte offenbar schon weitgehende Zusagen gemacht. Denn er machte Bedenken geltend. Wenn es richtig sei, daß Hindenburg und Ludendorff Einspruch erhoben hätten, sollten wir es doch nicht auf einen Bruch ankommen lassen usw. Ich: ich für meine Person habe allein überhaupt nicht das Recht, die Publikation zu verhüten. Wenn Du noch mit anderen darüber verhandeln willst, dann bitte ich ausdrücklich zu sagen, daß ich für die Veröffentlichung bin. Er wollte sich noch mit David in Verbindung setzen und die Fortschrittler zu erreichen suchen, von denen er wisse, daß sie bei Luther und Wegner sitzen.

15. Juli 1917. Gestern morgen 10 Uhr interfraktionelle Konferenz. Payer ist wütend, daß wir die Veröffentlichung ohne seine Zustimmung beschlossen hätten. Wir suchten ihn zu beruhigen. W. T. B. war von Ludendorff, wie berichtet wurde, veranlaßt worden, die Veröffentlichung zu unterlassen. Aber da ich den Vorwärts informiert hatte, war die Resolution im Vorwärts publiziert worden. Glücklicherweise! – Südekum berichtete über die Vorgänge in der Nacht wie folgt: Er wurde nachts gegen 11 Uhr angerufen vom Legationsrat Rietzler, der erstaunt gefragt habe, wieso das W. T. B. die Veröffentlichung der Resolution übernehmen könne. Die Verhandlungen seien doch, wie ihm berichtet wurde, noch nicht abgeschlossen; sollten vielmehr morgen weitergehen. – Südekum habe darauf gesagt, er kenne eine solche Verabredung nicht und habe keine Vollmacht, die Veröffentlichung durch W. T. B. zu inhibieren. Darauf habe Rietzler erneut behauptet, es sei ausdrücklich festgesetzt worden, am kommenden Tage nochmals zu verhandeln. Südekum habe gesagt, daß er sich weiter erkundigen würde. Daraufhin habe er Scheidemann angerufen. Scheidemann habe definitiv abgelehnt, irgend etwas zu tun, wodurch die Veröffentlichung aufgehalten werden könne. Eine solche Abrede, wie sie Rietzler angedeutet habe, bestehe nicht. Südekum habe sich darauf an Dr. David telephonisch gewandt. David habe nach längerer Aussprache ihm empfohlen, sich an Ludendorff zu wenden, um eine Verständigung herbeizuführen. Südekum habe darauf aufmerksam gemacht, daß das allerdings sehr schwer sei, wenn nun Ludendorff verfüge, die Resolution wird nicht veröffentlicht? Trotzdem habe er in seiner Ratlosigkeit sich an Ludendorff in der Nacht noch gewandt. Die Folge sei gewesen, daß Ludendorff es für richtig gehalten habe, die Veröffentlichung aufzuhalten, da Helfferich die Herren, die gestern bei Hindenburg und Ludendorff gewesen seien, für Sonnabend um 5 Uhr zu einer Besprechung noch einmal einladen wolle. Hindenburg lege großen Wert darauf, daß die Erklärung nicht in der vorliegenden Form veröffentlicht werde, so könne sie die Oberste Heeresleitung nicht unterzeichnen. – Erzberger stellte fest, daß er nichts von einer neuen Verhandlung wisse. Hindenburg und Ludendorff hätten nur den Wunsch ausgesprochen, die Resolution etwas positiver zu gestalten. Heute morgen habe er auf Einladung der beiden Herren eine neue Unterredung mit ihnen gehabt. Dabei habe er wiederum nicht den Eindruck gewonnen, als ob die Herren sich irgendwie verletzt oder brüskiert fühlten. – Ich schilderte darauf den Verlauf der Dinge und wiederholte ganz ausdrücklich, daß von einer neuen Verhandlung absolut nicht geredet werden könne, soweit sich Helfferich auf eine nicht existierende Abrede von gestern berufe. Südekum berief sich daraufhin auf Wahnschaffe. Dieser habe ihm in der Nacht gesagt, daß Helfferich bereits neue Einladungen an die Vertreter der Mehrheitsparteien habe ergehen lassen. Bruhn meint, es sei doch vielleicht nach dem Gang der Dinge möglich, eine neue Verbindung mit den Herren zu suchen und, da es ihm nicht ausgeschlossen erscheine, den Wortlaut doch mit ihrem Einverständnis festzustellen. David sagt nochmals gegenüber v. Payer: Wir waren gestern abend einfach gezwungen, die Veröffentlichung zu beschließen, nachdem bereits die Leipziger Neuesten Nachrichten, das 8-Uhr-Abendblatt und die Kriegszeitung die Resolution, und zwar nicht in der letzten Fassung, veröffentlicht hatten. Er ist gegen neue Verhandlungen. Es sei notwendig, nunmehr schnell die Resolution offiziell zu publizieren. Es wurde noch angeregt, einen Brief an Helfferich zu schreiben, in dem die Mitteilung gemacht wird, daß die vereinigten Parteien unter allen Umständen an ihrer Resolution festhalten würden, jedem Kanzler gegenüber, und daß Helfferich gebeten werden soll, dieses Schreiben dem Kaiser zu übermitteln. – Südekum wurde beauftragt, das Schreiben fertigzumachen, damit es Payer im Auftrage der vereinigten Parteien unterzeichnen könne: Südekum hat das Schreiben im Reichstage selbst tippen lassen. Die Absendung erübrigte sich später, so daß ich den für Helfferich bestimmten Bogen nebst der Kopie hiernach einheften kann. Südekum übergab mir die Schriftstücke mit den Worten: »Hebe das für dein Tagebuch auf, damit man später beweisen kann, daß ein solches Schreiben beschlossen worden war und im Original – wenn auch ohne vollzogene Unterschrift – existiert. – Hier der Text des Briefes:

Berlin, den 13. Juli 1917.

Eurer Exzellenz

unterbreiten die unterzeichneten Parteien den beigelegten Beschluß als ihr Kriegszielprogramm, das sie gegenüber jedem Reichskanzler zu vertreten beschlossen haben, mit dem Ersuchen, es Seiner Majestät dem Kaiser unverzüglich vorlegen zu wollen.

Es liegt in der Absicht der Antragsteller, die Erklärung mit einer besonderen Anerkennung für die Leistungen des Heeres und der Marine zu verbinden.

Die Mehrheit setzt sich aus folgenden Teilen des Reichstags zusammen: Fraktion des Zentrums, Fraktion der Fortschrittlichen Volkspartei, Fraktion der Sozialdemokratie, einer Anzahl von Mitgliedern der Deutschen Fraktion und anderen Mitgliedern.

In vorzüglicher Hochachtung
für die vereinigten Parteien

An den Herrn Stellvertreter des Reichskanzlers Staatsminister Dr. Helfferich, Exzellenz.

Mitarbeit Ludendorffs an der Resolution.

Der neue Kanzler! Der alte ist fast unbemerkt in dem Hin und Her dieser ruhelosen Tage verschwunden. Warum? Selbst nach dem monatelangen, mit allen Mitteln der Verleumdung und Anschwärzung geführten Kampf der Alldeutschen fragt man umsonst nach dem direkten Grund. Ich habe später einmal mit dem Adlatus Bethmann Hollwegs, dem Geheimrat Rietzler, darüber gesprochen. Der meinte, es sei interessant, festzustellen, daß der Kanzler nicht gestürzt sei, weil er nichts erreicht habe. Umgekehrt: Er sei gestürzt worden, weil er so ziemlich alles erreicht habe, was er damals erreichen konnte. Nach der Osterbotschaft über das Wahlrecht sei es schwer gewesen, dem Kaiser auch das gleiche Wahlrecht abzuringen. Aber in unablässiger Bohrarbeit sei es Bethmann Hollweg schließlich doch gelungen, zu siegen und die zweite Botschaft herauszubringen. Er habe den Beschluß im preußischen Ministerium durchgesetzt und die widerspenstigen Minister zu Fall gebracht. Er sei also weder energielos, noch erfolglos gewesen. Aber gerade deshalb hätten die Konservativen und Alldeutschen in ihm die große Gefahr gesehen und hätten darauf gedrängt, ein Ende zu machen. Sie brachten Hindenburg und Ludendorff zu dem Ultimatum: Entweder er oder wir! Damit war das Schicksal des Kanzlers besiegelt!

Wir ahnten damals die Zusammenhänge, ohne Genaueres zu wissen. Unsere erste Besprechung mit dem plötzlich aufgetauchten neuen Mann spielte sich folgendermaßen ab:

Im Laufe des 15. Juli rief mir Jungheim zu, daß mich Helfferich für nachmittags 5 Uhr zu sich bitten lasse. » Hat Helfferich noch was zu melden?« fragte ich Jungheim. Er: »Das weiß ich nicht, aber gehen Sie doch jedenfalls hin.« – Ich ging, kam aber statt 5,15 erst 5,20 Uhr, weil die Wannseebahn Verspätung hatte. Ich trat in den Konferenzsaal im Reichsamt des Innern, fand ihn aber leer! Ein Diener sprang zu und bat mich, in den Garten zu gehen; der Feldmarschall habe gebeten, im Garten zu beraten. Ah! Also doch ein neuer Versuch.

Ich ging ein Stück in den prachtvollen Park und sah zunächst keine Menschenseele. Plötzlich aber, bei einer Wendung nach einer Allee, die rechts abführte, stieß ich auf Hindenburg, Ludendorff, Helfferich und Michaelis. In diesem Augenblick kam die andere Gruppe zu uns: Payer, Haußmann, Ebert, Erzberger, Wahnschaffe usw. Als ich mich diesen zuwenden wollte, bat mich Hindenburg zu bleiben. Wir wechselten einige Worte unpolitischer Art, dann nahm Michaelis mich am Arm und führte mich davon, zum großen Erstaunen der anderen. Er: »Ich muß gleich mit Ihnen reden, Herr Scheidemann. Was man den Scheidemann-Frieden nennt, mach' ich morgen, wenn ich kann. Aber was machen wir mit dieser Resolution?« Dabei schlug er auf den Vorwärts vom 14. Juli, in dem die Kriegszielresolution abgedruckt war. Ich: »Das ist doch eine vortreffliche Plattform, Exzellenz.« Er: »Nein, nein, die Resolution ist mir unbequem, sie fesselt mich zu sehr, das hat Ihnen Hindenburg gestern doch auch schon gesagt.«

Nun gab es eine lange, wohl 25 bis 30 Minuten dauernde Unterhaltung über die Bedeutung der Resolution. Ich setzte ihm Satz für Satz in seiner Bedeutung auseinander. »Verständigen Sie sich über dies und jenes zum Vorteil des Reiches, dann soll und wird Ihnen niemand Vorwürfe machen.« – Er: »Ja, das Verständigen geht schließlich an, obwohl mir das Wort Ausgleich besser gefiele, die ›Vergewaltigung‹ ist furchtbar. Die kleinste Konzession wird man doch als Vergewaltigung verschreien und ablehnen, wenn die Gegner sich auf diese Resolution berufen. Ich kann Ihnen nähere Mitteilungen nicht machen, aber es ist nicht ausgeschlossen, daß ich vielleicht schon in kürzester Zeit ›verhandeln‹ kann.« »Man fühlt in weitem Bogen,« – dabei machte er mit dem rechten Arm eine weit ausholende Geste – »mehr kann ich nicht sagen. Aber das weiß ich, daß mir dann diese Resolution sehr unbequem ist.« – Ich suchte ihn wieder zu beruhigen und für die Resolution zu gewinnen. – Er: »Ich war der Meinung, daß Sie und die Oberste Heeresleitung über die Resolution vollkommen einig seien. Hätte ich gewußt, daß das nicht der Fall ist, so würde ich mich sehr besonnen haben, bevor ich das Amt annahm.« – Ich: »Ja, wenn Sie annahmen, daß die Oberste Heeresleitung und wir vollkommen einig seien und Sie nahmen das Amt an, dann ist doch daraus zu schließen, daß Sie selbst keine Bedenken haben würden, auf den Boden der Resolution zu treten.« – Er: »Ich habe sie ja gar nicht gekannt. Überhaupt bin ich leider nicht so im Bilde wie Sie und die übrigen Herren. Ich bin doch infolge der vielen Arbeit bisher eigentlich nur als Zeitgenosse neben dem Wagen der großen Politik hergelaufen.« – Er zu mir: »Jedenfalls ist es verständig, daß wir uns noch besprechen, bevor ich rede.« – Ich: »Es ist mir lieb, daß Sie mir das sagen, sonst hätte ich Sie darum gebeten. Mit Ihrem Herrn Vorgänger habe ich mich bei wichtigen Ereignissen wiederholt ausgesprochen, bevor wir redeten.« – Er: »Nun ja, das halte ich auch für nötig.« – –

Helfferich kam zu uns mit den Worten: »Meine Herren, entziehen Sie sich nicht länger der übrigen Gesellschaft.« Wir gingen nun auf die Gruppe zu, die im Begriff war, sich um einen Gartentisch zu setzen. Bei diesem Gange sah ich, daß im Hause des Staatssekretärs hinter allen Gardinen Köpfe hinauslugten; wir wurden also scharf beobachtet.

Wir nahmen dann Platz. Hindenburg saß mir gegenüber, links von ihm saßen Michaelis, Wahnschaffe, Haußmann, Ludendorff, Gothein, rechts saßen Fischbeck, Ebert, David, Südekum, von Payer, Erzberger, Helfferich. – Den Vorwärts in der Hand, begann Michaelis zu reden. Er wiederholte alles, was er zu mir schon gesagt hatte. Neu: Ob es nicht möglich sei, von der Abstimmung über die Resolution abzusehen, wenn seine Rede uns und Hindenburg befriedige. Wir fielen sofort über ihn her: Erzberger, David und ich. Davon könne keine Rede sein. Wenn wir die Resolution jetzt nicht einbrächten, würden die unabhängigen Sozialisten sie einbringen, wahrscheinlich etwas verändert, aber immerhin so, daß wir dafür stimmen müßten. – Hindenburg: »Wenn sie nur ein bißchen fester wäre; sie ist mir, nehmen Sie mir das nicht übel, zu weich. Können Sie denn das mit der Vergewaltigung nicht herauslassen? Das wird im Heere nicht gut wirken.« Lange, lange Debatte, ohne daß Neues zutage gefördert worden wäre. – Michaelis schließlich, der Zeitgenosse: Er wolle eine Rede ausarbeiten und sich mit Hindenburg telephonisch zu verständigen suchen. »Dann will ich mit einem oder zwei Herren – ich habe zuerst an Herrn Scheidemann gedacht – diese Rede durchsprechen. Ich werde es hoffentlich fertigbringen, so zu reden, daß ich Sie zufriedenstelle, ohne wörtlich zu sagen, was in der Resolution steht. So kann vielleicht alles zum guten Ende geführt werden.« – David hakte sofort ein: Keine Zweideutigkeit, daran ist das vorige System gescheitert. – Erzberger: Ja, nicht verkrachen lassen, denn wenn die Sozialdemokraten die Kredite ablehnen, dann ist es vorbei. – Alle schauten nach Hindenburg und Ludendorff. Hindenburg murmelte mit einem Blick auf Erzberger leise, aber doch so, daß es alle verstanden haben: »Das können sie doch nicht, sie können doch nicht das Vaterland im Stich lassen.« – Michaelis verspricht, die beiden Herren am Dienstag zu sich zu bitten. – Im Aufstehen: Allgemeines Einverständnis, daß nun die Resolution durch Wolff veröffentlicht werden soll. Dabei stellt Ludendorff fest, daß er nur gegen die Veröffentlichung eingeschritten sei, weil Wahnschaffe es gewünscht habe. – Dann klemmte Ludendorff, der mit mir einen Schritt zur Seite getreten war, das Monokel ins rechte Auge und sagte: »In den Schlußsätzen meinte Hindenburg, sei noch eine Zweideutigkeit, die Sie wohl ändern könnten.« Ich lasse den Wortlaut aus dem Vorwärts, den er vor sich hatte, hier folgen:

»Die Mehrheit des Reichstags, die sich zusammensetzt aus den Fraktionen des Zentrums, der Sozialdemokratie, der Fortschrittlichen Volkspartei, der Elsaß-Lothringer, einem Teil der Deutschen Fraktion und einzelnen Mitgliedern anderer Fraktionen, hat sich auf folgendes Friedensprogramm geeinigt, das sie dem Reichstag zur Beschlußfassung vorlegen wird:

Wie am 4. August 1914 gilt für das deutsche Volk auch an der Schwelle des vierten Kriegsjahres das Wort der Thronrede: »Uns treibt nicht Eroberungssucht«. Zur Verteidigung seiner Freiheit und Selbständigkeit, für die Unversehrtheit seines territorialen Besitzstandes hat Deutschland die Waffen ergriffen.

Der Reichstag erstrebt einen Frieden der Verständigung, der dauernden Versöhnung der Völker. Mit einem solchen Frieden sind erzwungene Gebietserwerbungen und politische, wirtschaftliche oder finanzielle Vergewaltigungen unvereinbar.

Der Reichstag weist auch alle Pläne ab, die auf eine wirtschaftliche Absperrung und Verfeindung der Völker nach dem Kriege ausgehen. Die Freiheit der Meere muß sichergestellt werden. Nur der Wirtschaftsfriede wird einem freundschaftlichen Zusammenleben der Völker den Boden bereiten.

Der Reichstag wird die Schaffung internationaler Rechtsorganisationen tatkräftig fördern.

Solange jedoch die feindlichen Regierungen auf einen solchen Frieden nicht eingehen, solange sie Deutschland und seine Verbündeten mit Eroberung und Vergewaltigung bedrohen, wird das deutsche Volk wie ein Mann zusammenstehen, unerschütterlich ausharren und kämpfen, bis sein und seiner Verbündeten Recht auf Leben und Entwicklung gesichert ist. In seiner Einigkeit ist das deutsche Volk unüberwindlich.

Der Reichstag weiß sich in dieser Bekundung eins mit den Männern, die in heldenhaftem Kampfe das Vaterland schützen. Der unvergängliche Dank des ganzen Volkes ist ihnen sicher.«

Ludendorff: Die Schlußsätze wird jeder so deuten, als ob die Oberste Heeresleitung mit »dieser Bekundung«, also der ganzen Resolution, einverstanden sei, das ist aber doch nicht der Fall. Deshalb müssen Sie den Schluß mindestens ändern. Eine kleine Gruppe hatte sich um uns gebildet – neue Verlegenheit. Da kam mir ein rettender Gedanke. Ich schlug vor, einen neuen Absatz mit den Worten: »In seiner Einigkeit …« beginnen zu lassen und dann den folgenden Satz direkt anzuhängen und zu sagen statt »in dieser Bekundung«: »Darin«, dann bezieht sich der Satz nicht mehr auf die ganze Resolution, sondern nur auf die Einigkeit, die uns unüberwindlich macht, und daß wir darin gewiß mit der Obersten Heeresleitung einig sind – – Ludendorff lachte nun aus vollem Halse. So hat also die Oberste Heeresleitung sogar aktiv bei der Redaktion der Bekundung mitgearbeitet. – Nach zirka 2½stündiger Besprechung trennten wir uns Soviel ich weiß, ist der Unterschied zwischen dem Schluß der Resolution in der »Vorwärts«-Veröffentlichung und der vom Reichstag angenommenen Formulierung unbemerkt geblieben..

Der Zeitgenosse Michaelis.

10. Juli 1917. Vormittags ¾9 Uhr auf Einladung bei dem neuen Reichskanzler Michaelis. Was er mir sagte, lasse ich auf der Maschine tippen und hier einheften. Er machte auf mich heute den Eindruck eines willensstarken Mannes, der der Überzeugung lebt, daß er schließlich alles kann, wenn ihn ein Höherer auf einen Posten stellt. Manche Wendungen in seiner Rede klangen direkt weltfremd und ließen deutlich erkennen, wie recht er gehabt hat mit seiner Bemerkung, daß er bisher nur als Zeitgenosse neben dem Wagen der großen Politik hergelaufen sei. Er ist gar nicht im Bilde, hat keine Ahnung von der Stimmung im Auslande; anderenfalls wären seine Wendungen von Sieg und Siegesbewußtsein vollkommen unverständlich. Auf meine Einwendungen und Bitten um Änderung oder gänzliches Streichen bemerkte er: »Gut, ziehen wir den Zahn noch heraus«. Als ich in den Vorsaal zurücktrat, nahm ich schnell Gelegenheit, den harrenden Erzberger zu informieren, damit er an den kritischen Stellen gut nachhelfen konnte. Erzberger berichtete später, daß Michaelis schon an den verschiedensten Stellen von mir beanstandete Passagen und Wörter entweder weggelassen oder geändert hatte. –

Ich lasse hier das eben erwähnte Maschinendiktat folgen:

»Ebert hatte die Einladung zu spät erhalten, so daß ich allein bei Michaelis war. Michaelis sagte mir, mit dem Manuskript seiner Rede in der Hand, u. a. folgendes: Sie werden einsehen, daß ich in meiner Rede natürlich auch Rücksicht nehmen muß auf das Heer und die Stimmung im Heere. Ich werde die Leistungen der Truppen anerkennen, dann auf den Krieg selbst verweisen und die Frage aufwerfen, wielange noch? Dann will ich sprechen von unseren großen Siegen, daß wir uns militärisch behauptet hätten, trotzdem England die ganze Welt gegen uns aufgehetzt habe. In diesem Siegesbewußtsein könnten wir offener reden als alle anderen.

Hier erhob ich energischen Widerspruch. Jede Erklärung der Friedensbereitschaft sei von vornherein zwecklos, wenn wir mit unseren Siegen und unserem Siegesbewußtsein auftrumpfen. Keines der anderen Länder, die ernstlich in Betracht kommen, fühlt sich besiegt, würde sich aber schwer verletzt fühlen, wenn in der Weise geredet wird, wie er es beabsichtigte. Michaelis sah mich ziemlich erstaunt an, strich dann aber allerlei weg und machte sich Notizen an den Rand. Dabei sagte ich ihm, er könne vielleicht feststellen, daß wir einer großen Übermacht gegenüber uns immer erfolgreich behauptet hätten; alles, was darüber hinausgehe, sei m. E. in unserer Situation von Übel. Michaelis trug dann einige nichtssagende Sätze vor und kam schließlich dazu, fester zu umschließen, was er will. Wir müßten unsere Reichsgrenzen für alle Zukunft sichern und ebenso die Lebensbedingungen unseres Volkes. Wir wollten einen Frieden der Verständigung und des Ausgleichs, einen Frieden, der die dauernde Versöhnung der Völker ermöglicht. Wir könnten nicht erneut einen Frieden anbieten, nachdem wir erst vor einem halben Jahre mit unserer Friedenshand ins Leere gegriffen hätten. Kämen die anderen mit irgendwelchen Friedensangeboten, so sei Deutschland sofort bereit zu Verhandlungen, wie das ja oft genug ausgesprochen sei.

Er fügte dann hinzu: Ich will dieses Kapitel schließen mit dem Satz: »Unsere Ziele lassen sich im Rahmen Ihrer Resolution erreichen.« Damit konnte ich mich einverstanden erklären, da er bestimmt sagte, daß er darüber hinaus nicht gehen könne, weil er es für absolut schädlich hielt, und auch sofort die heftigsten Konflikte mit der Obersten Heeresleitung haben würde. Mehr könne man aber auch nicht verlangen, als daß er sage, er wolle nichts, was über den Rahmen der Resolution hinausginge.

Ich fragte ihn dann, was er über die innere Politik zu sagen gedenke. Darauf antwortete Michaelis: Sie müssen mir Zeit lassen. Ich bin jetzt drei Tage im Amt und muß mich doch erst einmal umsehen. Ich bin kaum einigermaßen informiert. Jedenfalls werde ich sagen, daß es meine feste Absicht ist, die Beziehungen zwischen Volksvertretern und Regierung lebensvoller und wirksamer zu gestalten. – Ich antwortete ihm darauf: »Viel ist das nicht.« Aber da bereits die neuen Herren, Erzberger usw., die draußen warteten, wiederholt angemeldet wurden, ging ich nicht näher auf die inneren Angelegenheiten ein, sondern suchte noch einiges über seine Pläne in bezug auf die Besetzung des Staatssekretärs für das Auswärtige Amt zu erfahren. Ich warf die Frage auf, wen er für das Staatssekretariat des Äußeren zu berufen gedenke. Es sei das doch zweifellos der wichtigste Posten. Da er neu in das Amt hineinkomme, sei es für ihn gewiß von größter Wichtigkeit, einen tüchtigen Mann gerade für dieses Amt zur Seite zu haben. Michaelis antwortete: Diese Frage ist noch unentschieden. Keine der Personen, die bisher in der Öffentlichkeit genannt wurden, wird in Betracht kommen. Bei dem einen machen es persönliche und bei dem anderen sachliche Gründe nicht wahrscheinlich, daß sie berufen werden. Ich bin gewillt, alles einzustellen auf die Wirtschaftsfragen nach dem Kriege, die für Deutschland von der größten Bedeutung sind. »Da kommt es nicht darauf an, Leute zur Seite zu haben, die als Diplomaten in Gummischuhen aufgewachsen sind; es sind da Männer notwendig, die etwas vom Wirtschaftsleben verstehen. Und da muß ich mich erst gründlich umsehen. Ich will Ihnen sagen, wie ich so etwas aufzuziehen pflege. Ich werde im Auswärtigen Amt alle Woche zweimal mehrstündige Sitzungen abhalten, in denen eingehend die brennenden Fragen besprochen werden sollen. Bei dieser Gelegenheit werde ich sehr schnell sehen, wer etwas kann und wer nichts kann. Es wird Ihnen ja nicht unbekannt geblieben sein, daß im Auswärtigen Amt eine erhebliche Anzahl von Nulpen sitzen. Ich werde, sobald ich darüber im klaren bin, sehr schnell reine Bahn machen. Ich hoffe, auch die Herren zu überzeugen, daß es nur darauf ankommt, Verstand zu haben, weniger darauf, Diplomatie in Gummischuhen gelernt zu haben.« – Ich wünschte ihm Glück zu seinen Plänen und verabschiedete mich schnell, um draußen noch eine Minute zu gewinnen, Erzberger gewisse Fingerzeige zu geben.

17. Juli 1917. In der interfraktionellen Sitzung berichteten nach mir Payer und Erzberger über ihre Besprechungen mit Michaelis. Eine große Überraschung bereitete uns Erzberger, nachdem er festgestellt hatte, daß Michaelis zweifellos eine Anzahl der von Payer und mir beanstandeten Stellen geändert oder gestrichen habe: Wenn ein Reichskanzler so, wie er in Aussicht gestellt habe, gehen wolle, sei die Frage zu erwägen, ob ihm der Reichstag nicht ein Vertrauensvotum ausstellen solle! – Wir Sozialdemokraten sprachen uns entschieden gegen ein Vertrauensvotum aus, ebenso Fischbeck.

»Wie ich es auffasse!«

Wie außerordentlich recht wir von vornherein mit unserer Ablehnung hatten, ein Vertrauensvotum auch nur zu erwägen, hat ja dann die berühmte Sitzung mit dem Motto »Wie ich es auffasse« bewiesen. Herr Michaelis hatte – um seine Worte zu zitieren – vom Diplomaten vielleicht oder gewiß nicht die Gummischuhe, aber ein gerütteltes Maß von jener Unehrlichkeit, die bei uns alle politischen Aktionen durchtränkte und in ihrer Wirkung vereitelten. Die Friedensresolution war allen Hemmungen und Schwierigkeiten zum Trotz nicht tot geboren, aber totgeschlagen worden durch das gewissenlose Spiel derer, die auf ihr fußend nun ihre Politik hätten machen müssen.



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