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Der rücksichtslose U-Boot-Krieg.

Das Jahr des Unheils 1917. – Besprechung mit Zimmermann. – Der Kanzler sagt nicht ja und nicht nein. – Die S.P.D. lehnt den U-Bootkrieg ab. – Quessel und Cohen dafür. – Telegrammwechsel mit Gompers. – Unterredung mit dem Botschafter Grafen Bernstorff.

Das Jahr des Unheils 1917.

Das Jahr 1917 brachte diejenigen Ereignisse, die für den Krieg, seine militärische und politische Durchführung, die höchste Bedeutung hatten und heute noch im Kampf der Parteien eine hervorragende Rolle spielen. Im Januar fiel die Entscheidung für den U-Bootkrieg, gegen die Warnungen aller derer, die aus dieser Verschärfung des Kampfes, die alle Neutralen, besonders aber Amerika vor den Kopf stoßen mußte, das größte Unheil erwachsen sahen. Dasselbe Jahr brachte den ersten gewaltigen Hungerstreik in Berlin und Leipzig, brachte die Stockholmer Konferenz, den internationalen, und die Friedensresolution, den nationalen Versuch, den Krieg zu beenden, und schloß mit dem größten Mißgriff der Kriegspolitik, dem Frieden von Brest-Litowsk.

Ich schildere hier im Zusammenhang unsere und meine Stellung zum U-Bootkrieg, dessen zerstörende politische Auswirkungen aber auch in der Darstellung der Stockholmer Konferenz noch einmal scharf hervorleuchten werden.

In meinem Tagebuch findet sich unter dem 17. Januar 1917 folgende Eintragung:

Besprechung mit Staatssekretär Zimmermann.

Zimmermann hatte mich zu einer Besprechung ins Auswärtige Amt gebeten. Er war sehr offen und führte ungefähr folgendes aus:

Die Würfel sind gefallen. Am 1. Februar beginnt der rücksichtslose U-Bootkrieg, nachdem die Oberste Heeresleitung sich dafür entschieden hat. Hindenburg-Ludendorff haben erklärt, daß sie, abgesehen von allen anderen Gründen, den U-Bootkrieg als Stimulus für unsere Truppen gebrauchen. Im tiefsten Vertrauen: die Moral der Truppen hat bedenklich nachgelassen. Was wir vor einigen Wochen bei Verdun erlebt hätten, sei das Schmerzlichste im ganzen Kriege. 4 französische Divisionen hätten 5 deutsche in die Flucht geschlagen, bzw. gefangen genommen. Es werde von den Kriegstreibern behauptet, daß das die Folge der Friedensrederei sei. Die Truppen seien überzeugt, daß es unbedingt bald Frieden gäbe, wozu sich also noch opfern? Er habe Ludendorff nachgewiesen, daß das kompletter Unsinn sei. Ludendorff habe das auch eingesehen. Was sollten wir nun machen? Unser Friedensangebot (vom Dezember 1916) war doch wahrhaftig, wie Sie wissen, gut und ehrlich gemeint. Aber die Antworten, sowohl die an uns wie die an Wilson! Übrigens habe ihm die Antwort an Wilson eine gewisse Freude gemacht: die Österreicher, die unter allen Umständen Frieden haben wollten, – wer wollte ihn nicht? – hätten nach der ersten Antwort so kalkuliert: der ganze Zorn der Entente richtet sich doch ausschließlich gegen Deutschland. Wozu also noch kämpfen? Dann sei die Antwort an Wilson gekommen. »Nationalitätenprinzip!« Also Auflösung Österreichs. Nun seien sie sofort wieder zur Besinnung gekommen.

Ich frage Zimmermann nach der Türkei und Bulgarien. Radoslawow habe ihm doch erklärt, er habe die Beweise in Händen, daß die bulgarischen Kriegsziele von der Entente gebilligt würden.

Zimmermann: Es ist wahr, daß die Entente gegenüber den Bulgaren sehr geschickt operiert hat. Sie spricht z. B. nichts von der Auslieferung Konstantinopels an die Russen. Dadurch sollten den Bulgaren allerlei Hoffnungsmöglichkeiten eröffnet werden. König Ferdinand ist aber ein kluger Mensch und steht absolut fest. Er weiß auch genau, wie sehr er und seine Familie in Rußland verhaßt sind. Er muß bei der Stange bleiben. Es bleibt ihm gar nichts anderes übrig. Ja, die Türkei! Deren Schicksal wird in West-Europa entschieden. Das weiß man dort auch genau. Die Entente trifft die weitestgreifenden Vorbereitungen für die Offensive im Westen. Aber auch im Osten wird es schlimm werden. Die Italiener wollen den Versuch machen, wenn es irgend geht, Triest zu nehmen. Ebenso sind heftige Kämpfe in Mesopotamien zu erwarten. Wenn Bagdad fiele, so wäre das sehr schlimm.

Ich fragte Zimmermann dann, wie Hindenburg und Ludendorff die Situation und die Zukunft beurteilten?

Zimmermann: Sie hoffen bestimmt im Westen und sicher im Osten Durchbrüche zu verhüten. Natürlich werden auch von uns die umfassendsten Vorbereitungen getroffen. Im Westen werden unsere Truppen erheblich zurückgenommen werden, bis zu einer vorbereiteten Stellung, die als uneinnehmbar bezeichnet wird. Dort ist alles betoniert. Munition und Nahrung, ebenso Truppenaustausch wird unter der Erde zugeführt bzw. vor sich gehen.

Es kommt bei der Truppenzurücknahme auch ein taktischer Zweck in Betracht.

In absoluter Vertraulichkeit: man rechnet damit, bei dem Hin und Her aus dem Stellungskriege herauszukommen. Gelänge es, in Bewegung zu kommen, so würden sich unsere taktische Überlegenheit, die bessere Führung bald zeigen. – Er schilderte eingehend die militärische Situation so, daß ich die Folgerung ziehen mußte: es steht sehr schlimm um uns, und nur wahrhaft heldenmütige Kämpfe unter ganz hervorragender Führung können den Durchbruch verhüten.

Ich schnitt dann wieder die U-Bootfrage an. Das sei doch ein Vabanquespiel.

Der Kanzler sagt nicht ja und nicht nein.

Zimmermann: Die Situation ist sehr schlimm und die Entscheidung war ebenso schwer, wie unmittelbar vor dem Ausbruch des Krieges. Wir standen vor einer Schicksalsfrage. Wie ich, wie Helfferich und der Reichskanzler zu der U-Bootfrage standen, wissen Sie. Aber jetzt blieb uns keine Wahl mehr. In Pleß (Hauptquartier) ist alles Für und Wider eingehend erörtert worden. Schließlich hat der Reichskanzler gesagt: ich kann Eurer Majestät gegenüber eine Verneinung ebensowenig wie eine Bejahung des rücksichtslosen U-Bootkrieges übernehmen. Ich füge mich der Entscheidung Eurer Majestät. – Natürlich bestand die ganze Zeit hindurch eine Kanzlerkrisis. Es ist ein Glück, daß sie verhütet worden ist. Sie machen sich keine Vorstellung davon, wie gegen Bethmann Hollweg gearbeitet wird.

Ich: – was wird mit Amerika? Wird es in den Krieg eintreten, oder hätte die Rede Gerards, in der er sagte, daß die Beziehungen zwischen Amerika und Deutschland niemals bessere gewesen sind als jetzt, eine Bedeutung, die beruhigen könnte? Was werden die übrigen Neutralen tun?

Zimmermann: Natürlich werden wir alles Erdenkliche tun, um Amerika aus dem Spiele zu lassen. Wir werden am 1. Februar, also erst, wenn der Krieg beginnt, eine sehr freundliche Note schicken, in der wir auf seine hochherzigen Versuche, den Frieden zu fördern, hinweisen. Wir werden ihm auseinandersetzen, daß wir nun, nachdem die Situation sich wesentlich anders gestaltet hätte, nicht darauf verzichten könnten, die U-Boote anzuwenden usw. Wir werden ihm bestimmte Vorschläge wegen der amerikanischen Schiffe machen.

Ich: Ja, wie soll es mit den berechtigten Interessen der Neutralen werden, deren Schutz wir auch in der gemeinsamen Resolution des Reichstags verlangt haben?

Zimmermann: Es wird ja nur ein bestimmtes Gebiet genannt werden, in dem der Krieg der U-Boote geführt werden soll. Im übrigen können die Neutralen ja fahren, wohin sie wollen.

Ich: Der Konflikt mit Amerika scheint mir nach dem früheren Notenwechsel trotz alledem unvermeidlich. Was aber dann, wenn Amerika eingreift?

Zimmermann: Ich gebe zu, daß die größere Wahrscheinlichkeit für einen Konflikt mit Amerika spricht. Aber es gibt ja verschiedene Formen des Konflikts. Vielleicht läßt es Wilson bei dem Abbruch der diplomatischen Beziehungen bewenden.

Ich: Selbst wenn das geschehen sollte und zunächst nichts weiter, wie soll es dann möglich sein, zu einem auch nur halbwegs annehmbaren Frieden zu kommen?

Zimmermann: Glauben Sie mir, daß uns diese Fragen alle unausgesetzt beschäftigen, aber trotzdem: was sollen wir machen, nachdem die schändlichen Antworten gekommen sind?

Ich: War es wirklich klug, die Anregung Wilsons zu beantworten mit dem Hinweis auf die direkten Verhandlungen zwischen den Kriegführenden? Wäre es nicht besser gewesen, die Kriegsziele zu nennen? Im Vergleiche mit den Bedingungen der Entente hätten wir doch vor aller Welt glänzend dagestanden?

Zimmermann: Wir konnten nicht anders verfahren. Übrigens im Vertrauen: Wilson weiß schon, was wir wollen. Wir haben es ihn unter der Hand wissen lassen. Die Dinge stehen so: dauert der Krieg noch ein Jahr, dann müssen wir jeden Frieden annehmen. Wir müssen also vorher eine Entscheidung herbeizuführen suchen. Ich bin der Überzeugung, daß der U-Bootkrieg nicht spät genug einsetzen konnte, wenn er überhaupt begonnen werden mußte. Vor einem Jahr wäre er ein Wahnsinn gewesen; jetzt ist die Sachlage eine andere. England hat große Schwierigkeiten in der Ernährung. Helfferich hat berechnet, daß England nur für etwa 6 Wochen Lebensmittel hat. Wir dagegen haben jetzt viel mehr U-Boote: 150, davon 120 große, monatlich kommen jetzt 12 dazu. Warten wir jetzt, dann deckt sich England ein, und uns sind alle Chancen weggenommen. Jetzt ist die Zeit, wo aus Argentinien und Australien die Lebensmittelzufuhr beginnen wird, da heißt's losschießen, sonst ist's zu spät!

Ich: Da es sich um eine unabänderliche Entscheidung handelt, bitte ich um Auskunft, wie es mit den europäischen Neutralen steht.

Zimmermann: Die Entscheidung ist freilich gefallen. Ich reise aber dieser Tage nach Wien, um die Zustimmung des Kaisers Karl zu holen. Er soll mitmachen, damit er nicht sagen kann, daß es sich nur um eine deutsche Entschließung gehandelt habe. Ja, die Neutralen! Holland hat sich schon vorgesorgt und wird wahrscheinlich nichts gegen uns unternehmen. Der holländische Gesandte hat mich wiederholt gebeten, ihm vertraulich zu sagen, ob der U-Bootkrieg beginne, damit sich sein Land vorsorgen könne. Holland ist versorgt, das weiß ich. Von Dänemark ist bestimmt versichert worden, daß es auch nichts tun wird. Das sagte nicht nur unser Vertreter, sondern auch der dänische Ministerpräsident. Schweden ist absolut sicher. Es hat Rußland gegenüber die gleichen Interessen wie wir. Man spricht immer noch von Sympathien hier und da in den neutralen Ländern. Das ist alles Unsinn. Es handelt sich um Interessen, um sonst nichts. Deshalb ist die Schweiz ein großes Fragezeichen. Was soll die Schweiz machen, wenn sie behandelt wird wie Griechenland? Sie wird dann an der Seite der Entente vielleicht zu den Waffen greifen müssen, um die schnelle Entscheidung herbeizuführen, die sie vor dem Verhungern schützt.

Ich: Also die Situation ist einfach verzweifelt. Wie urteilt denn Hindenburg über diese Dinge?

Zimmermann: Natürlich sind alle Vorbereitungen getroffen, um evtl. Holland und Dänemark in Schach zu halten. Als in dem Kriegsrat auf die Möglichkeit eines Krieges mit der Schweiz hingewiesen wurde, hat der alte Herr gesagt: Das wäre nicht schlimm, dann könnte man von dort aus die französische Front aufrollen!

Wir sprachen noch lange über allerlei. Ich bat immer wieder sehr eindringlich, alles zu tun, was irgend möglich, um den Krieg mit Amerika zu verhüten. – Das erklärte er für selbstverständlich. Zimmermann war sehr ernst und, wie mir schien, sehr wenig zuversichtlich. Er meinte zum Schluß: Wie es auch gehen mag, die »wilden Männer« à la Bassermann werden die Regierung später heftig anklagen. Geht es gut, dann werden sie sagen, daß es auch schon früher gut gegangen wäre, wenn man nicht so lange gezögert hätte. Geht es schief, dann heißt es: Die Regierung ist schuld, sie hat zu lange gezögert. – Ich verhielt mich im übrigen, da ich ja mit niemandem über den Fall hatte reden können, sehr reserviert, verwies aber mehrfach auf unsere frühere Stellungnahme.


Damit waren die Würfel gefallen; der U-Bootkrieg kam, es konnte sich nur noch darum handeln, ihn nach Möglichkeit zu entgiften. Davon, daß das »Volk« in den Schrei »U-Boote heraus!« eingestimmt harte, wie es die Fuhr- und Bassermänner behaupteten, konnte keine Rede sein. Auf einer großen Versammlungstour, die mich in diesen Tagen u. a. nach Stuttgart, Mannheim, Heidelberg und Pforzheim führte, konnte ich einwandsfrei und beim wirklichen Volk feststellen, daß die Stimmung im Lande allmählich unter den Nullpunkt gesunken war und nicht Hoffnung, sondern allgemeine Befürchtung angesichts des zu erwartenden hemmungslosen U-Bootkrieges herrschte.

Ebenso wie wir hat in diesen bösen Tagen auch Professor Hans Delbrück das Menschenmögliche getan, um die Wilhelmstraße zu veranlassen, den U-Bootkrieg wenigstens so führen zu lassen, »daß Amerika nicht direkt gezwungen werde, in den Krieg einzutreten«. Ich stand in dieser Zeit mit Delbrück in Verbindung und weiß, wie eifrig er tätig gewesen ist, unserm armen Lande das Schlimmste zu ersparen. Wir wirkten beide in Gemeinschaft mit einflußreichen Amerikanern besonders darauf hin, daß die Regierung endlich bestimmte Erklärungen über Belgien abgeben sollte. Am 25. Januar begaben Bethmann Hollweg und Zimmermann sich ins Hauptquartier. Ich erfuhr davon erst eine halbe Stunde vor der Abreise und setzte mich sofort mit Wahnschaffe telephonisch in Verbindung, der mir auch bestimmt versicherte, alle Einwände und Vorschläge, die Delbrück und ich noch gemacht hatten, den beiden Herren schleunigst zu übermitteln. Wahnschaffe sagte mir, daß »in Ihrem Sinne unausgesetzt gearbeitet wird. Soeben ist von einem hochgestellten Manne ein Schreiben eingelaufen, das die gleichen Vorschläge macht. Ich werde den Reichskanzler auf den Bahnhof begleiten und ihm vortragen, was Sie mir gesagt haben.« Ich vermute, daß der hochgestellte Mann der Prinz Max von Baden gewesen ist.

Die S.P.D. lehnt den unbeschränkten U-Bootkrieg ab.

In der Haushaltskommission des Reichstages kam es dann am 31. Januar und 1. Februar zu lebhaften Auseinandersetzungen über den U-Bootkrieg. Die Stellungnahme der Sozialdemokratischen Partei mußte der Abgeordnete Dr. David nach sorgfältig vorgenommener Aussprache unserer Fraktionsmitglieder der Kommission darlegen. Der Fraktionsvorstand informierte über diese Stellungnahme die Vertrauensleute der Partei sehr ausführlich wie folgt:

» Berlin, den 9. Februar 1917.

Werter Genosse!

Angesichts der dürftigen Berichterstattung über die Behandlung der U-Bootfrage im Reichshaushaltsausschuß des Reichstages wird es Ihnen erwünscht sein, Näheres zu erfahren über die Stellungnahme unserer Kommissionsmitglieder. Selbstverständlich handelt es sich nur um eine streng vertrauliche Information, die öffentlich nicht benutzt werden darf; vielmehr nur zu Ihrer eigenen Orientierung gegeben wird.

Genosse Dr. David hat die Stellungnahme der Fraktion resp. der Kommissionsmitglieder in einer Rede erörtert, die wir nach den amtlichen (nicht stenographischen) Aufnahmen beifügen. In der zustimmenden Beurteilung der Sachlage durch Genossen David waren alle sozialdemokratischen Kommissionsmitglieder einig.

Mit Parteigruß!

Für den Vorstand der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion.
Ph. Scheidemann

(Anlage.) Dr. Davids Rede:

»Die gefaßte Entscheidung sei die folgenschwerste in diesem Kriege, und die Männer, die diese Entscheidung gefällt hätten, müßten auch allein die Verantwortung dafür tragen. Diese Männer hätten jedenfalls in der festen Überzeugung gehandelt, daß damit der Krieg abgekürzt und zu einem guten Ende geführt werden könne. Seine Freunde könnten aber diese Ansicht nicht teilen, sondern müßten offen die Befürchtung aussprechen, daß aus diesem Entschluß, den sie bedauerten, schweres Unheil für Deutschland entstehen könne. Auch seine Freunde hätten die U-Bootfrage immer als eine Zweckmäßigkeitsfrage angesehen. Sie stünden aber heute noch auf dem Standpunkt, den die Reichsleitung früher eingenommen hätte.

Bei den technischen Auseinandersetzungen des Admirals von Capelle über die Zahl der zu vernichtenden Tonnage vermisse man die Einstellung des Tonnagezuwachses auf seiten unserer Gegner. Wenn unsere Gegner monatlich 150 000 Tonnen neu bauten, so mache das in sechs Monaten schon 900 000 Tonnen. Dazu komme die Möglichkeit, daß die in neutralen Häfen festgehaltene deutsche Tonnage in den Dienst der Gegner gestellt würde; das mache noch einmal 1½ Millionen Tonnen aus.

Es sei fast ein Wunderglaube, wenn man annehme, daß unsere U-Boote, die die feindliche Sperre im Kanal und nördlich von Schottland für unsere Schiffahrt nicht sprengen könnten, ihrerseits imstande seien, rund um England herum eine Sperre zu legen. Man könne mit unseren U-Booten die englische Hochseeflotte schachmatt setzen. Solange die Brücke Dover – Calais bestehe, kämen für England auch noch die Zufuhren von Frankreich über den Kanal sehr in Betracht.

Die Berechnungen des Staatssekretärs Dr. Helfferich hätten keinen entscheidenden Wert und seien fast als ein Spinngewebe zu betrachten. Dieselbe Rechnung, wonach England wirtschaftlich zusammenbrechen müsse, werde auch von der Gegenseite gegen Deutschland aufgemacht. Deutschland befinde sich heute in wirtschaftlicher Beziehung in einer viel schlimmeren Lage als die Gegner, und doch sagten wir mit Recht, daß uns das nicht niederzwingen werde. Genau dieselbe Entschlossenheit, die unser Volk gezeigt habe, müsse man aber auch beim Gegner voraussetzen. Wenn die Engländer wirklich durch unsere Unterseeboote in schärferer Weise wirtschaftlich bedrängt würden, so würden sie sich eben den Riemen enger schnallen und ihre Entschlossenheit verstärken.

Die entscheidende Frage in dieser Sache sei das Verhalten Amerikas. Die Entscheidung über den Ausgang dieses Krieges liege bei Amerika. Deshalb müßte alles aufgeboten werden, um Amerika vom Kriege fernzuhalten. Die Ausführungen des Staatssekretärs Zimmermann seien sehr beunruhigend gewesen. Mit einer gewissen burschikosen Art des Zuredens komme man nicht zum Ziele. Amerika werde sich nur durch seine Interessen bestimmen lassen, nicht durch irgendein Zureden zu unseren Gunsten. Amerika sei in dem politisch einflußreichsten Teil seiner Bevölkerung angelsächsischer Art und vertrage keine feindselige Stellung zu England, schon mit Rücksicht auf die japanische Gefahr und das Dauerinteresse an einem guten Verhältnis zum englischen Weltimperium.

Die Annahme des Abgeordneten Gröber, daß wir aus der englischen Presse die Angst vor dem U-Bootkrieg ersehen könnten, sei nicht zuverlässig; man könne darin ebensogut eine englische Falle erblicken, die letzten Endes darauf hinausliefe, Amerika auf die Seite der Entente zu ziehen.

Was der Eintritt Amerikas in den Krieg bedeute, brauche nicht ausführlich auseinandergesetzt werden. Bisher hätte die Entente den Amerikanern das Kriegsmaterial für hohes Geld abkaufen müssen. In dem Moment aber, wo Amerika gegen uns eintrete, werde es Material und Geld der Entente umsonst zur Verfügung stellen. Wir müßten damit rechnen, daß auch die Menschen aus Amerika in großem Maße herüberströmten. Früher hätte man kaum geglaubt, daß England imstande sein werde, Millionen von Soldaten auf den Kontinent zu werfen. Man müsse nun befürchten, daß auch amerikanische Streitkräfte an der Westfront in Erscheinung treten. Die Hoffnung, England niederzuringen, bevor Amerika eingreifen könne, kann Redner nicht teilen. Der Eintritt Amerikas in den Krieg würde vielmehr die Entente moralisch derart stärken, daß sie gar nicht daran denken würde, den Krieg abzubrechen, bevor Amerika seine Kräfte mit in den Krieg hineinwerfen könne. Dazu komme die psychologische Wirkung auf die europäischen Neutralen.

Es müßten deshalb alle Bemühungen darauf gerichtet werden, Amerika fernzuhalten. Durch unsere Friedensbotschaft hätten wir in Amerika sichtlich an Boden gewonnen. Die Botschaft Wilsons an den Senat richte sich in der Hauptsache gegen die Entente, nämlich in dem Bestreben, den Frieden herbeizuführen »ohne Sieg«, d. h. ohne weiteren Kampf, in der gegebenen militärischen Situation; ferner in der Forderung der Gleichberechtigung der Nationen und in der Wendung gegen das Gleichgewicht der Kräfte und für die Freiheit der Meere. Es bestehe die Gefahr, daß durch den U-Bootkrieg diese für uns günstige Situation jäh zerstört werde. Auch die Art, wie Wilson in einem Teil unserer Presse behandelt werde, sei geradezu frivol. Es sei eine Amerikahetze bei uns getrieben worden, der entschieden Einhalt getan werden müsse.

Wenn der Abgeordnete Bassermann meine, daß die Volksstimmung bei uns durchaus für den Entschluß der Regierung sei, so sei das angesichts der entfalteten Agitation und der ungenügenden Orientierung der öffentlichen Meinung nicht verwunderlich. Wenn aber Amerika zu unseren Feinden übertrete, dann drohe die Volksstimmung ein ganz anderes Gesicht zu bekommen. Dazu komme bei uns der Ernährungsjammer und die Empörung der Bevölkerung über die Tatsache, daß die großen Städte zugunsten des Landes ausgehungert werden. Es müsse endlich eine gerechte Verteilung erzwungen werden. Unser Volk wolle den Frieden und habe jedenfalls genug Feinde. Aus dieser Stimmung heraus könne man dem Abgeordneten Gröber in der Debatte über die Kriegsziele nicht folgen. Die sei wirklich ganz unzeitgemäß. Solange uns die Gegner keinen Frieden gewähren wollten, der unsere Gegenwart und Zukunft sichere, müßten wir zum Kampf entschlossen sein; wir müßten aber auch gleichzeitig jederzeit zu einem annehmbaren Frieden bereit sein.

Auf die Frage, wie denn sonst der Krieg beendet werden solle, wenn man den U-Bootkrieg verwerfe, sei zu antworten, daß unsere Lage durchaus nicht ungünstig sei. Beim Durchhalten des bisher eingeschlagenen Kurses würden wir den Frieden in nicht allzulanger Zeit zu unseren Gunsten erreicht haben. Rußland befinde sich in einer großen inneren Krisis. In Frankreich habe unser Friedensangebot gleichfalls eine Krisis hervorgerufen, und das Ministerium Briand halte sich nur mit Mühe. Das Scheitern der feindlichen Sommeoffensive und die übrigen militärischen Ereignisse hätten in England zu einer Regierungskrisis geführt. Die Kriegspartei habe zwar noch einmal das Heft in die Hand bekommen. Die Opposition wachse aber zusehends. Durch das deutsche Friedensangebot habe sie festeren Boden unter die Füße bekommen. Gelinge es den feindlichen Staatsmännern nicht, den Wechsel auf den nahen Sieg einzulösen, dann würden sie zusammenbrechen und anderen Männern Platz machen, die zu einem verständigen Frieden bereit seien. Wenn es uns gelinge, auch in den nächsten Monaten unsere Defensive erfolgreich durchzuhalten, so bedeute das für uns den Sieg.

Deshalb könne er sich nicht mit dem Gedanken befreunden, daß dieser sichere Weg verlassen werde, um eine Politik einzuschlagen, die schließlich doch ein Vabanquespiel sei.

Jetzt müsse aber alles vermieden werden, um Amerika auch noch gegen uns zu bringen; sowohl von unserer Presse als auch von unserer Regierung müsse alles versucht werden, um Amerika aus dem Spiel zu halten. Davon hänge der Ausgang des Krieges ab.

Nachdem der Beschluß wegen des Unterseebootkrieges einmal gefaßt sei, könnten seine politischen Freunde natürlich nicht daran denken, der Durchführung Schwierigkeiten bereiten zu wollen. Sie würden sich die Zurückhaltung in der Öffentlichkeit auferlegen, die durch die Notlage unseres Landes angesichts einer Welt von Feinden geboten sei. Das solle man ihnen aber auch von der Gegenseite nicht erschweren, damit das einzige, was uns retten kann, was auch noch kommen mag, nicht gefährdet werde: der feste innere Zusammenhalt unseres Volkes.«


Quessel und Cohen dafür.

Die Reichtagsfraktion billigte am 21. Februar die Stellungnahme ihrer Mitglieder in der Haushaltskommission zum U-Bootkrieg. In der Aussprache bekannten sich zur großen Überraschung aller übrigen Mitglieder 2 Abgeordnete als Anhänger des unbeschränkten U-Bootkrieges: Dr. Quessel und Max Cohen.

Telegrammwechsel mit Gompers.

Bis zur Abreise der amerikanischen Mission aus Berlin hatte ich indirekt gute Beziehungen zu ihr. Daher kam es wohl auch, daß der Botschafter Gerard, den ich als ehrlichen, klugen und anständigen Mann schätzen gelernt habe, mich in Gemeinschaft mit Walter Rathenau, Peter Spahn, v. Gwinner und einigen anderen Herren in kritischer Zeit zum Verwalter einer größeren Summe Geldes bestimmte, »die in Amerika für deutsche Kriegerwitwen gesammelt worden war. Am 9. Februar besuchte mich noch ein Mitglied der amerikanischen Botschaft, um Abschied zu nehmen. Er erklärte sich bereit, Nachrichten für meine Freunde nach England mitzunehmen. Bei aller Achtung vor dem sehr klugen Herrn verbot mir die Vorsicht, von diesem Anerbieten Gebrauch zu machen. Ich begnügte mich damit, dem englischen Freunde Ramsey Macdonald herzliche Grüße und Dank für sein tapferes Verhalten zu übermitteln.


In diesen Tagen lief dann folgendes Telegramm von Samuel Gompers, dem Präsidenten der amerikanischen Gewerkschaften, bei seinem deutschen Kollegen Legien ein:

»Legien, Berlin. Können Sie nicht auf die deutsche Regierung einwirken, daß ein Bruch mit den Vereinigten Staaten vermieden und hierdurch ein allgemeiner Konflikt verhindert wird?«

Legien, Bauer und einige andere Gewerkschaftsführer setzten sich mit mir zur Beratung zusammen. Wir einigten uns auf folgende Antwort:

»Gompers Afel Washington. Die deutsche Arbeiterklasse hat seit Kriegsbeginn für den Frieden gewirkt und ist gegen jede Kriegserweiterung. Die Ablehnung des deutschen aufrichtigen Angebots sofortiger Friedensverhandlungen, die Fortsetzung des grausamen Aushungerungskrieges gegen unsere Frauen, Kinder und Greise, des Feindes offen eingestandene auf Deutschlands Vernichtung gerichtete Kriegsziele haben die Verschärfung des Krieges herausgefordert. Eine Einwirkung meinerseits auf die Regierung ist nur erfolgversprechend, wenn Amerika England zur Einstellung des völkerrechtswidrigen Aushungerungskrieges veranlaßt. Ich appelliere an die amerikanische Arbeiterschaft, sich nicht als Werkzeug der Kriegshetzer gebrauchen zu lassen und nicht durch Befahren der Kriegszone den Krieg zu erweitern. Die internationale Arbeiterschaft muß unerschütterlich für sofortigen Frieden wirken.«

Wie Gompers später die Kriegshetze gegen Deutschland und besonders gegen die deutsche sozialdemokratische Arbeiterschaft betrieben hat, ist bekannt. Diese Tätigkeit Gompers' gehört mit zu den schwärzesten Kapiteln der modernen Arbeiterbewegung.

Unterredung mit dem Botschafter Grafen Bernstorff.

Ich füge hier noch eine Unterredung mit dem Grafen Bernstorff, der bis zum Eintritt Nordamerikas in den Krieg unser Botschafter in Washington gewesen war, an. Sie fand zwar erst ein Vierteljahr später statt, kurz nachdem der Botschafter, den man im Hauptquartier haßte, dem Kaiser endlich den ersten Vortrag seit seiner Rückkehr nach Deutschland halten durfte. Aber inhaltlich gehört die Unterredung unbedingt zu dem Problem U-Bootkrieg und Amerika; sie zeigt noch einmal, wie recht wir in der Beurteilung der Situation hatten und wie verbrecherisch jede optimistische Hoffnung war, die Vereinigten Staaten aus dem Krieg hinaushalten zu können oder gar die Bedeutung ihres Eintritts unterschätzen zu wollen.

Ich traf Bernstorff auf dessen Wunsch im Hotel Esplanade Er versicherte mir sofort, daß er einverstanden sei mit den von mir aufgestellten Kriegszielen. Es sei das einzig vernünftige Verlangen, das gestellt werden könnte, wenn wir aus dem Kriege herauskommen wollten. Großes Gewicht lege er fernerhin darauf, daß die Demokratisierung des Reiches energisch betrieben wird. Er kenne die Stimmungen des Auslandes sehr gut. Er sei 8 Jahre in Amerika und zuvor 4 Jahre in England gewesen. Man halte unsere Regierung nicht etwa für zweideutig, obwohl auch das oft genug gesagt werde, man halte sie aber für schwach. Selbst wenn Bethmann das Beste wolle, sage man, so könne er es ja gar nicht durchsetzen, weil bei uns das Militär dominiere.

Um nur an eines zu erinnern: daß Bethmann von dem U-Bootkrieg nichts wissen wollte, habe man allgemein angenommen. Trotzdem sei er gekommen. Warum? Weil das Militär ihn durchgesetzt hat, das in Deutschland herrscht. Er sei vor kurzem mit dem Kaiser zusammen gewesen und habe sehr eingehend mit ihm auch über die inneren Verhältnisse in Deutschland gesprochen und die Notwendigkeit einer Verfassungsrevision betont. Der Kaiser habe seinen Ausführungen mit großem Interesse zugehört und schließlich gesagt, daß er sich näher informieren wolle. Der Zufall habe es gefügt, daß dann Ballin zum Kaiser gekommen sei. Ballin habe ohne jedwede vorausgegangene Verabredung dem Kaiser das gleiche gesagt wie er. Daraufhin habe der Kaiser Ballin gebeten, ihm eine Denkschrift auszuarbeiten. Diesem Wunsche ist Ballin sofort nachgekommen, so daß die Denkschrift sich schon in den Händen des Kaisers befinden dürfte.

Ich kann feststellen, daß Bernstorff fast in allem, soweit der Krieg und das Kriegsziel in Betracht kommt, genau dieselbe Stellung einnimmt wie ich auch. Das hat er, wenn nicht mit offenen Worten, so doch immerhin so deutlich zum Ausdruck gebracht, daß jedes Mißverständnis ausgeschlossen war.

Bernstorff machte u. a. folgende bemerkenswerten Äußerungen: er habe seit langer Zeit in Amerika in derselben Richtung gearbeitet, wie ich das hier getan hätte. Er sei durchaus überzeugt, daß Wilson einen Krieg nicht hätte haben wollen, dagegen eifrig bemüht war, den Frieden herbeiführen zu helfen. Nachdem dann aber die U-Boote in Aktion traten, hätte er gar nicht anders handeln können nach allen seinen vorausgegangenen Erklärungen. Nun benutze er natürlich die Situation, 1. um ein größeres stehendes Heer zu bekommen, 2. seine Marine zu verbessern, 3. aber, und das sei die Hauptsache bei Wilson, eine Handelsflotte zu bauen unter dem Vorwand, Tonnage für England zu schaffen. Es sei von jeher ein Lieblingsplan Wilsons gewesen, Amerika Kauffahrteischiffe zu sichern, weil es ihm geradezu unverständlich erschienen sei, daß die Vereinigten Staaten vollständig auf die Handelsmarine der anderen Länder angewiesen sein sollten. Er fügte dem hinzu: angenommen den Fall, daß es mittels der U-Boote gelänge, England zum Frieden zu zwingen, so sei damit der Friede für uns nicht etwa allgemein erreicht, sondern in demselben Augenblick werde Amerika seinerseits den Krieg mit uns eröffnen. Was das bedeutet, welche wirtschaftlichen Folgen es für unser Land haben müßte, darüber waren Bernstorff und ich vollkommen einig.

Unsere Unterredung dauerte ziemlich zwei Stunden und nahm einen sehr angeregten Verlauf.

Übrigens will ich noch hinzufügen, daß Bernstorff mir im Laufe des Gesprächs auch sagte, daß viele der Herren, mit denen er zusammenkomme, seinen Standpunkt vollkommen teilen, aber aus hunderterlei Gründen ihn öffentlich nicht vertreten könnten; teils sogar den Anschein durch ihr Verhalten erweckten, als billigten sie das Verhalten unserer Gegenfüßler.

Graf Bernstorff machte bereits bei dieser ersten Begegnung auf mich den besten Eindruck. Er ist ein ernster Mann mit großen außenpolitischen Erfahrungen, den ich später auch als liebenswürdigen Menschen näher kennenlernte. Er hat sich im Auslande, besonders durch seine langjährige Tätigkeit in Amerika, freigemacht von den konservativen Anschauungen, durch die sich die meisten seiner Standesgenossen im Auslande so unbeliebt gemacht haben.



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