Heinrich Schaumberger
Umsingen
Heinrich Schaumberger

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6.

Schmidt schnarchte noch, als ich die Kammer verließ. Es war mir lieb, daß mir Vetter und Base auswichen, ich bedurfte noch der Sammlung, mußte mir noch klarer werden, ehe ich über meine Zukunft reden konnte. Schmidt blieb 108 zurück, wir Umsinger brachen früher auf als Tags vorher.

Das Wetter war abermals umgeschlagen. Ein wilder West heulte und brauste in den Tannen des Kulm und peitschte uns einen feinkörnigen Schnee in's Gesicht, als wir auf ungebahnten Wegen durch fußtiefen Schnee die Mergelgasse nach Einzelberg hinaufwateten. Das Wetter paßte gut zu meiner Stimmung, Sturm außen und innen! Langsam wich die Nacht einer grauen Dämmerung. Trostlos einsam, wie verloren in der traurigen Schneewüste lag das Dörfchen vor uns. Die Hecken am Weg waren über Nacht zu Schneewällen geworden, der Weg dazwischen zur grundlosen Hohlgasse. Die Obstbäume streckten ihre schwerbelasteten Aeste wie Gespensterarme uns drohend entgegen, und die Häuser schienen zu schlafen, zu träumen, so tief, tief hatten sie die Schneehauben über das Gesicht hereingezogen. Kein Licht schimmerte uns entgegen, tiefes Schweigen lag auf dem verschneiten Dörfchen, nicht einmal ein Hund begrüßte uns, als wir im langen Gänsemarsch einrückten. Vor dem ersten Haus bildeten wir einen Kreis und stimmten in kräftigen Akkorden das Lied an:

Mein erst Gefühl sei Preis und Dank,
    Erheb' ihn meine Seele!
    Der Herr hört deinen Lobgesang,
    Lobsing' ihm meine Seele!

Gelobet seist Du Gott der Macht,
    Gelobt sei Deine Treue,
    Daß ich nach einer sanften Nacht
    Mich dieses Tags erfreue.

Laß Deinen Segen auf mir ruhn,
    Mich Deine Wege wallen, 109
    Und lehre Du mich selber thun
    Nach Deinem Wohlgefallen.

Das brachte rasch Leben in das verschlafene Dorf; Hunde bellten, Thüren knarrten, an den Fenstern erschienen Gesichter mit verquollenen Augen, und aus den Schornsteinen wirbelte der Rauch empor. Wunderschnell waren die Kinder auf den Beinen, hier wie überall waren sie unsere Begleiter.

Ein fremdes, ungewohntes Leben trugen unsere Töne in das stille Dorf, das nur aus wenigen großen Bauernhöfen bestand. Aus den Ecken und Winkeln der gewaltigen Scheunen prallten die Klänge wunderlich zurück, bald wie heimliches Raunen und Aechzen, bald wie finsteres Murren und Drohen. Oder waren das die Stimmen der Kobolde und Hausgeisterchen, die, jahraus jahrein nur an den Knall der Peitsche, nur an das Klappern der Flegel gewöhnt, durch die Musik aus ihren Träumen aufgeschreckt wurden? – Sie hätten sich beruhigen können, die unmuthigen Wesen! Der letzte Akkord zerflatterte bald in den sausenden Stößen des Windes, und als ich mich im Weiterschreiten nach dem Ort umsah, lag er so still, so verlassen und trübselig unter dem Schnee wie vorher. Doch ja – der eintönige Taktschlag der Drescher klang herüber; manchmal scheinbar erlöschend, schwoll er sogleich wieder zu einem mächtigen Knattern an. – Oder waren das die Abschiedsgrüße der zürnenden Hausgeister?

Wiederum zogen wir durch pfadlose Schneewüsten, an Wäldern und Teichen vorüber, thalab nach Tiefenort. Der Sturm ließ nach, und die Musikanten feierten diese Wendung zum Bessern durch eine wilde Kanonade mit Schneeballen. Niemand war sicher vor den Geschossen, selbst des Vetters Cylinder trug eine tiefe Beule davon; wäre es ein 110 modischer Seidenhut gewesen, er hätte gewiß sein Grab im Schnee gefunden.

Ich betheiligte mich nicht an dem fröhlichen Kampf, auch Johann's erneute Tröstungen wies ich fast heftig ab. »Laß mich!« rief ich. »Es ist entschieden! Wie auch ihre Gesinnung sein mag – die Art, wie sie mich behandelte, kann ich nimmer vergessen, das muß uns scheiden!«

»Mich dünkt, da bist Du auf einem Holzweg! Ist's auch recht, einen Menschen zu verdammen, ehe man seine Gründe kennt? Und Du hast ja mit Margareth noch kaum zehn Worte gewechselt! Karl bedenk', was Du mit Deinem Trotz anrichten kannst. – Es handelt sich nicht um Dich allein! – Ich will mich weiter nicht in die Geschichte mischen, aber der Meinung bin ich: Du bist es der Margareth und Dir selber schuldig, noch einmal vernünftig mit dem Mädle zu reden!«

Ich ward stutzig, und daß ich's nur gestehe, mit Freuden stimmte ich diesem Rath bei, der mir doch wieder ein Recht gab – zu hoffen! »Aber wann, wo soll ich mit ihr zusammenkommen?«

»Ich dank' Dir, daß Du Lehr' annimmst. Heute Abend wecken wir sie auf!«

In Tiefenort fielen die Musikanten im Wirthshaus beim Freund Hannshenner ein und rüsteten sich zu längerem Aufenthalt. Die Mäntel wurden um den Ofen gehängt, die Stiefel zum Trocknen darum gestellt, die Füße aber wärmten die Gäste in allen möglichen Socken und Lappen, die sie den Eigenthümern entwendeten.

Ein wichtiges Geschäft kam hier zur Erledigung: der Schneidershannikel nahm seinen Kollegen die wilden Bärte ab.

111 Mir ward angst und bang über die tollen Possen, die dabei getrieben wurden. Zuletzt kam der Wilde an das Messer. Schon hoffte ich, er würde ohne Neckerei durchkommen, da – die eine Hälfte des Gesichtes war glatt – wendete sich Hannikel an den Hausherrn: »Hast Du noch ein scharfes Messer?«

»Nein! – Warum?«

»Dann kann ich den Willen nicht fertig machen, an seinen ›Stupseln‹ ist das Messer ganz stumpf worden!« Sprach's, setzte sich hinter den Tisch und stopfte seine Pfeife.

»'s Donnerwetter!« lärmte der Schmiedsjakob. Allein Hannikel ließ sich nicht erweichen; wollte der Gefoppte nicht mit halbem Bart herumlaufen, mußte er sich wohl oder übel selbst an's Werk machen. Lieber Gott, war das ein Stück Arbeit! War das Messer wirklich stumpf, verstand Jakob die Sache nicht, oder verwirrte ihn das Gelächter seiner Kameraden: es floß viel Blut und dennoch war der Erfolg nur sehr gering. Wie in einem schlecht bewirthschafteten Wald wechselten in der einen Gesichtshälfte dunkle Stoppeldickichte mit lichteren Stellen und öden Blößen; dieß und die musterhafte Glätte der anderen Gesichtsseite gab dem Wilden ein unbeschreiblich lächerliches Aussehen.

Es war weit über Mittag, als wir endlich aufbrachen, um über die hohe, bewaldete rothe Kehre nach Dammsbrück an den Rottensteiner Grund hinabzusteigen. Dem Wasserfuchs hatte der Schneidersnikel beim Ausmarsch heimlich einen Fuchsschwanz an den Mantel geheftet; im Wald nun drängten sich die Spottvögel um den also Ausgezeichneten und zankten: »Den Weg hat auch der Fuchs gemessen und seinen Schwanz dreingeben!«

112 »'s ist wahr!« stimmte dem der Wasserfuchs treuherzig bei. »Man meint nicht, daß er ein End' nimmt!

Im Wald war es herrlich! Dicke Schneelasten lagen auf den Fichtenbüschen, die ihre Aeste wie in stiller Trauer über das harte Joch tief herabsenkten. Da und dort schnellte plötzlich ein Ast ohne sichtbare Ursache empor und streute den Schnee weit umher; noch lange nickte und grüßte er dann nach rechts und links, als wollte er seinen grünen Geschwistern zuflüstern: Habt nur Geduld! Ehe sich's der rauhe Geselle, der Winter, versieht, schütteln wir seinen häßlichen Rock ab!

Der Wasserfuchs würde seinen Fuchsschwanz zum Ergötzen der lieben Jugend harmlos durch ganz Dammsbrück getragen haben, hätte ich ihn nicht auf einen Wink des Vetters heimlich entfernt.

Sehr übler Laune sagte der Vetter: »Es ist gut, daß das Umsingen zu Ende geht, es ist kein Ernst mehr unter den Leuten. – Da horch nur! – Ich möchte gleich aus der Haut fahren!«

Das war freilich arg! Vor einem stattlichen Haus, aus dessen Fenster ein freundlicher Graukopf lugte, stimmten die Musikanten statt des frommen Liedes einen lustigen Walzer an.

»Der war recht!« nickte der Alte. »Einen Zwanziger geb' ich euch extra, wenn ihr mir noch einen »Willen« (Galopp) macht!«

»Von Herzen gern!« nickte der Zimmerdick, und ein Galopp brauste los, daß es in allen Ecken schallte. »So geht es stets zum Schluß!« zankte der Vetter und blickte zornig auf die fröhlich im Schnee tanzenden Kinder. »Der 113 Unsinn steckt an – nun macht selbst der Zimmerdick mit!«

»Achtung jetzt!« rief darnach der Vetter, »daß wenigstens das letzte Lied in diesem Jahr ordentlich geht!« Die Musikanten nahmen sich denn auch zusammen und mild tönte die ernste Weise durch's Dorf:

    Du bist, o Gott, der Herr der Zeit
Und auch der Ewigkeiten!
Drum will ich jetzt mit Freudigkeit
Dein hohes Lob verbreiten.
Ein Jahr ist abermals dahin,
Dir dank ich's, Gott, daß ich noch bin,
Des Lebens noch mich freue.

    Du hast auch im verfloss'nen Jahr
Mich väterlich geleitet
Und wenn mein Herz voll Sorgen war,
Mir Hilf und Trost bereitet.
Von ganzer Seele preis' ich Dich,
Und übergeb' auf's Neue mich,
Gott, Deiner weisen Führung.

Der Fensterflügel des Forsthauses mußte sehr verquollen sein, denn so sehr man auch daran riß und zerrte, er öffnete sich erst, als sich die Musikanten traurig zum Gehen wendeten. Eine helle Frauenstimme rief sehr entrüstet: »Aber Herr Lehrer, was soll das sein? Wollen Sie mein Haus verachten und vorbeigehen?«

Der Vetter kam nicht zum Wort, die Musikanten rissen die Mützen vom Kopf und schrieen überlaut: »Guten Abend, Frau Förstern, guten Abend!« Schon erschien auch die flinke Frau in der Hausthür, schob den Vetter den hinter ihr lauschenden Fräulein zu und nickte freundlich nach uns heraus: 114 »Nun macht nur keine Umstände und kommt herein, ihr wißt, daß ihr herzlich willkommen seid!«

Dem Zimmerdick gab sie die Hand; Hansaden stieg mit Würde an ihr vorbei in's Haus, die Försterin blickte ihm wohlgefällig nach und sagte: »Ein schöner Mann, der Hansaden! – ist es nicht so, Meister? Wahrlich, ein schöner, Mann!«

Der Zimmerdick nickte lächelnd. Die gute Frau ahnte nicht, daß ihr Lob dem Hansaden einen neuen Namen gab: Schönermann hieß er fortan bis an sein Ende!

Die Frau Försterin geleitete uns in die Gesindestube, wo eine lange Tafel gedeckt stand, hieß uns zulangen und unterhielt sich leutselig mit den Männern. Die ehrbare Würde Hansadens erwarb ihm das Zutrauen der Hausfrau, sie setzte sich zu ihm und verwickelte ihn in ein weitläufiges Gespräch. Vor lauter Verwunderung vergaßen die Schwarzen fast Essen und Trinken, sie begriffen nicht, woher Hansaden die Keckheit nahm, der vornehmen Dame, die sie kaum anzublicken wagten vor lauter Respekt, stets so gleichmüthig zu antworten: »Ja wohl, Frau Förstern!« Ihr Erstaunen sollte noch größer werden! Denn als sich die Försterin mit der Frage an ihren Günstling wendete, ob er auch manchmal ein Buch lese, hatte sie Hansadens starke Seite getroffen. Er warf sich etwas in die Brust und sagte: »Ja wohl, Frau Förstern! Alle Wochen zwei aus der Leihbibliothek, heißt das, natürlich im Winter. Und lauter Ritter-, Räuber- und Geistergeschichten! Ist immer eine schöner als die andere. Jetzt bin ich bei einer: Konrad mit der blutigen Hand oder der geschundene Ritter! – Mir schauert die Haut, wenn ich daran gedenke! Auf jeder Seite Mord und Todtschlag, und doch 115 die helle Unschuld, Tugend und Edelhaftigkeit, wie's am Ende 'rauskommt! – Frau Förstern, das Buch sollte Sie auch lesen! – Ich will's Ihr 'rüber schicken, thu's gern!«

»Um Gotteswillen, Mann, was macht Ihr doch?« rief die Försterin, ohne das Anerbieten zu beachten. »Wer wird an solch schändliches Zeug seine Zeit verschwenden? Von dem Titel allein wird Einem ja übel! Laßt Euch doch vernünftige Bücher schicken, zum Beispiel: Die Geheimnisse von Paris! oder: Der ewige Jude von Eugen Sue. Das wäre was für Euch, und durch die Bücher bekommt Ihr doch Bildung!«

»Na, die Titel sind nicht schlecht!« nickte Hansaden mit Kennermiene. »'s ist freilich ewig schad', daß kein »Oder« dabei ist, das gibt einem Buch gleich ein Ansehen. – Geheimnisse kommen in den Geistergeschichten auch vor und Juden genug, aber von einem ewigen Juden habe ich noch nichts gehört, d'rum will ich mir die Bücher einmal mitbringen lassen!«

Ein Fräulein trat ein und flüsterte der Mutter in's Ohr, darauf wendete sich die Frau Försterin an mich: »Bitte, Herr Präzeptor, kommen Sie hinüber in das Familienzimmer.« Ich wäre wohl lieber bei den Musikanten geblieben, aber die Einladung konnte ich nicht abweisen und in der hellen Stube mit den dunklen Hirschgeweihen an den Wänden, den Schränken voll blitzender Gewehre, gefiel es mir auch recht gut. Bald kam auch der Förster, ein lustiger alter Herr, aus dem Wald zurück. Mit wahrer Löwenstimme schrie er hinaus auf den Hausplatz: »Heda, ihr Musikanten, habt ihr Bier?«

»Kein Tröpfle, Herr Förster!« schallte es zurück.

116 »Geschieht euch recht, ihr Schafsköpfe, warum regt ihr euch nicht! – He Lies' – Lies'! – Potz Himmelheidenschwerenoth, wo steckt das alte Thier! – Lies' – Lies'! – Der Teufel soll Dir's Licht halten, was schaffst Du nicht Bier bei?«

»Ich bin ja drüber!« zankte die Gescholtene, die athemlos vom Bierkeller herkam. »Das ist eine Gesellschaft! Ein Gießer Bier ist wie ein Tropfen auf einen heißen Stein!«

»Zum Geier, 's ist auch der Haufe darnach!« lachte der Förster. »He, ihr da droben, wollt ihr ein Fäßchen Bier?«

»Von Herzen gern, wenn wir eins kriegen!«

»So holt euch eins! – Lies', weise sie an!« Damit kehrte er in die Stube zurück.

»Flink, Mädchen, das Essen, nachher wird getanzt!« befahl er und blickte vergnügt den davon eilenden Fräulein nach. »Gesindel das! – Hört's was vom Tanz, ist's wie Wiesel!«

Während die Mädchen den Tisch deckten, erklang Musik, wir eilten an das Fenster, und der Förster schrie: »Verfluchte Kerle, ich sag's ja, verfluchte Kerle!«

Ein wunderlicher Zug bog eben um die Scheune in den Hof. Voraus schritt der Mühljohann, durch einen flächsernen Bart fast bis zur Unkenntlichkeit entstellt, in der Hand, statt der Fahne, eine Stange mit wehendem Fuchsschwanz. Hinter ihm zogen die Schwarzen einträchtig den Schlitten mit dem Bierfaß, auf welchem die Försterslies' in wunderlichem Aufputz und großem Zorn thronte. Scheltend wollte sie den Kranz von Tannenreisern, der ihr um den Kopf starrte, abreißen, und bedrohte den Wasserfuchs und 117 Schneidersnikel, die sie bewachten, mit geballten Fäusten. Die Musik, umdrängt von der jubelnden Jugend, schloß den Zug. Vor der Hausthür gebot Johann Halt! Der Liese, die sich endlich in ihr Schicksal fügte, ward ein großer Schlüssel in die Hand gegeben, den Schwarzen das Fäßchen feierlich auf die Schultern gehoben. Johann stieß seine Stange in den Schnee, spuckte in die Hände und begann: »Herr Förster, hier bringen wir Euch den Kellerschlüssel mit der Lies', und uns dieß Fäßlein Bier. Ist's Euch so recht, so sprechet ein lautes Ja und enthaltet Euch jeglicher Einrede!« Als der Förster zustimmend nickte, schwenkte Johann seine Mütze und schrie: »Unser Herr Förster soll leben und seine Familie auch daneben, vitvat hoch, und noch einmal vitvat hoch, und abermal vitvat hoch!« Die Klarinetten quiekten, die Trompeten schmetterten, die Posaune schallte, Hühner gackerten, Kinder und Gänse schrieen, Hunde heulten, und der Förster lachte, daß er in einen endlosen Husten verfiel und fast erstickte.

Als der Schwarm in die Gesindestube zurückgekehrt war, rief der Förster aus der Thür: »Jetzt haltet Ruh' und stopft euch die Mäuler mit Essen!«

»Zu Befehl, Herr Förster!« entgegnete Johann unter der andern Thür und legte die Hand militärisch an die Mütze.

Den Fräulein dauerte unser Essen freilich zu lang, aber der Rehbraten war so köstlich, es wäre Sünde gewesen, hätten wir etwas übrig gelassen. Darnach brannten wir unsere Pfeifen an und schritten hinüber in die Gesindestube, aus der uns lautes Lachen entgegentönte. »Der Schneidersnikel erzählt gewiß wieder Geschichten!« meinte 118 der Förster, und so war es auch. Nachdem wir Platz genommen, fuhr der Erzähler auf einen Wink des Hausherrn in seinem Bericht fort: »– – also nehme ich alle Pflöcke aus der Bettstatt und erwarte das Ende. Nicht lange, so kommt mein Wasserfuchs hundemüde angeschlichen, wirft sich auf sein Bett, und – pumps! – prasselt der Kasten auseinander. Hat der Wasserfuchs gelärmt! Zuletzt war er nur froh, daß ich ihn zu mir in's Bett nahm!«

»Wo war das?« fragte der Förster.

»Auf der buchbacher Kirmse, bei meinem Gevatter, dem Zipfelschneider. Aber die Hauptsach' kommt erst! – Nachts drauf leg' ich mich in aller Unschuld nieder, denk' an nichts Arges, bin auch gleich eingeschlafen. Da ist mir's im Schlaf, wie wenn in dem Bett sich was regt, dann sticht mich's an den Fuß, daß ich aufwache. »Donnerwetter, das Stroh stachelt doch infam in dem Bett!« brumme ich und drehe mich auf die andere Seite. Da – Himmel Schweden! – da tippt ein eiskalter Finger an mein Bein! – Ich fahr' zusammen, und wie der Todtenfinger wieder kommt, bin ich völlig munter. – Herr meines Lebens, der Finger kommt wieder – wieder; langsam tippt er an meinem Bein herauf! – Die Haare stiegen mir zu Berg! Das war ja sicher und gewiß der Erdgeist, der suchte nach meinem Herzen, und tippte er mit seinem Eisfinger darauf, dann war's aus mit mir! Ich wollt' fort, aber alle Glieder waren wie gelähmt – und jetzt – jetzt kam der Finger wieder an's Bein und – bei meiner Seele! – er tippte nicht bloß, er machte Ernst und strich aufwärts nach dem Herzen!«

»Nikel, Nikel!« lachte der Förster.

119 »Ich wollt' um Hülfe schrei'n, aber der Hals war wie zugeschnürt; trotzdem mir der Schweiß in dicken Tropfen auf der Stirn stand, schüttelte mich der Frost. Endlich bring' ich's so weit, mein Bein anzuziehen – o Schwerenoth, nun war's erst gefehlt! – Eine glühende Kralle packt's und hält's fest! – ›Alle guten Geister!‹ hab' ich herausgeklappert, dann aber war ich mit einem Satz aus dem Bett und drüben beim Wasserfuchs. – Ich zittere am ganzen Leib wie Espenlaub, vermein' ich doch nicht anders, die glühende Kralle muß mir jeden Augenblick an's Bein fahren, der Todtenfinger auf's Herz tippen. Dazu ist auch der Wasserfuchs nicht zu ermuntern, ächzt und stöhnt, als sitze ihm der Alp auf der Brust. – Da – –«

»Ich laufe auf und davon!« stöhnte die Försterin.

»– Da platzt der Wasserfuchs los und lacht: So, Nikel, das war für den Streich gestern. 's ist weiter nichts Unrechtes, sieh' nach, so wirst Du den Geist gleich finden!« – – Was war's? – Hatte mir der Racker einen Igel in's Bett gesteckt, 'nen richtigen Hundsigel!«

»Ja!« vervollständigte den Bericht der Bergkasper, »und seit de Zeit heißt de Hannikel übejall de Igelsschneide!«

Der Gänskasper nahm das als eine Herabwürdigung seines Bruders auf und schnauzte seinen alten Gegner grimmig an: »'s ist auf der Welt nichts widerwärtiger, als wenn junge Lecker 's Maul überall vorndran haben. Kehr' Du vor Deiner Thür! Wenn's drauf ankommt, wär' man für Dich auch nicht um einen Namen verlegen!«

»Uebe Euch lach' ich!« höhnte der Bergkasper. »Ih' wollt einen Namen fü' mich aufbjingen, Ih'? – Ih' wä't 120 mi' gjad d' Jechte dazu! – Sagt's doch, wenn Ih' was wißt, sagt's doch!«

»Wenn Dich's gar so arg darnach gelüstet, sollst's erfahren! Wer so mit Mist um sich wirft wie Du, der ist ein rechter Mistkasper!«

Kasper war vollständig geschlagen; der Jubel, mit dem der Ausspruch Gänskasper's allerseits aufgenommen wurde, sagte ihm, daß er wahrscheinlich lange Zeit der Mistkasper bleiben werde. Um sich zu rächen, schimpfte er »Gänskasper« und redete anzüglich von den Hornsolis. Das konnte sich der Angegriffene nicht gefallen lassen, er verhöhnte Kasper, daß er nicht einmal seinen Namen Truckenbrod richtig aussprechen könne. Das brachte wieder den Kasper vollends in Wuth, er bedrohte den Gänskasper, und da dieser in seiner Ecke festsaß, schrie er übermüthig: »Geht doch jaus, Gänskasper! – Geht doch jaus, wenn Ih' Euch an mich getjaut!«

Der Förster, der fast umkam vor Lachen, hätte dem Streit gerne noch länger zugehört, aber der Vetter versöhnte die Gegner und forderte die Musikanten auf, einige Tänze zu spielen.

Der Bergkasper hatte Unglück. Statt zu tanzen, genirte er sich vor den Fräulein und that blöde, selbst die drohenden Blicke des Zimmerdick beachtete er nicht. Unversehens steckte darnach dieser dem Arglosen eine gesalzene Ohrfeige. Zwar riß Kasper die Augen gewaltig auf, holte aber sogleich ein Fräulein in den Reihen und tanzte flott. Als er nach Schluß des ersten Walzers die brennende, glühende Backe rieb, bat seine lächelnde Tänzerin: »Ach, 121 Kasper, nicht wahr, Sie bestellen einen Galopp und tanzen ihn recht flott mit mir?«

Dienstwillig lächelnd versetzte Kasper: »'s is scho jeecht, Fjäulein, 's is scho jeecht!«

Auch ich that meine Schuldigkeit, wenn gleich mit schwerem Herzen. Margareth kam mir nicht mehr aus dem Sinn, eine mir selbst unbegreifliche Bangigkeit, eine dunkle Ahnung, als stehe mir schweres Unheil bevor, drückte mich nieder; Johann's Trost wollte nicht mehr verfangen. Von Herzen dankte ich Gott, als wir endlich aufbrachen.

Schon lange war es Nacht und ein wilder Sturm heulte und brauste in den Tannen des Waldes, durch welchen unser Weg führte. Baumwurzeln, Steine und Löcher brachten Manchen zu Fall, wir hatten von Glück zu sagen, daß wir Alle heil und ganz die Höhe der rothen Kehre erreichten.

Hanshenner war schon lange in rosigster Laune gewesen; in aller Stille hatte er sich ein artiges Räuschchen angetrunken. Schon in Dammsbrück umgaukelten ihn die heitersten Bilder; nun er die Mühe des Steigens glücklich überstanden, brach sein innerer Frohsinn hervor. Trotz Wind und Regen sang er lustig mit seiner dünnen Fistel:

Mädle ruck, ruck, ruck an meine grüne Seite,
Bin Dir gar zu gut und kann Dich leide.

Dabei strampelte er mit seinen kurzen Beinen so rüstig vorwärts, daß wir ihn bald aus dem Gesicht verloren. Plötzlich verstummte der Gesang; ein dumpfes Rollen, Kollern, Brummen und Knurren ließ sich vernehmen, dann ward es still. Lachend rief Johann: »Hab' ich doch gedacht, so wird's kommen! Der Hanshenner ist gewiß den 122 Abhang hinab in die Dornhecke gefallen!« Wie zur Bestätigung rief es auch eben unweit von uns: »Himmelkreuz, was ist das für ne Art? – Macht doch Platz, ich kann mich ja nicht regen. – Pros't Bruder!« – Gleich darauf sang es zu unsern Füßen:

Ein freies Leben führen wir,
Ein Leben voller Wonne!
Der Wald ist unser Nachtquartier,
Der Mond ist unsre Sonne!

»Ein schönes fjeies Leben, in de Döjnejheck'!« meinte der Bergkasper, während wir dem Gesang nachgingen. Bald standen wir an einem ziemlich steilen Absturz und erkannten drunten undeutlich einen dunklen Körper. »Das ist der Hanshenner!« lachte Johann; zugleich rief es drunten: »Donnerwetter! wer sticht mich schon wieder? – Wer zerrt an meinem Mantel? – Laßt los, ich muß heim!«

Die Klarinette unter dem Arm, beide Hände in den Taschen, stürmte der Schneidersnikel daher; trotz Wind und Regen sang auch er lustig:

Denn su Zwee, wie wir Zwee, die find't m'r nit leicht,
Wir sind ja die ordentlichen Leut'!

Leider vergaß er auf den Weg zu achten, pautz! – lag er neben Hanshenner in der Hecke. »So! nun sind zwei ordentliche Leute beisammen!« rief der Schneidersheiner.

Während wir noch beriethen, wie wir den Verunglückten zu Hülfe kommen könnten, bemerkte der Schneidershannikel seinen Unglücksgefährten und rief erstaunt: »Ha, um tausend Gotteswillen! – Bruder, wie kommst Du daher?«

»Werd' 'reingefallen sein!« entgegnete Hanshenner kläglich. »Wo bin ich eigentlich!«

123 »Wo? – O du gerechter Strohsack! – In einer Dörnerheck, wie groß!«

»Drum sticht's überall! – Bruderherz, hilf mir auf, ich halt's so nimmer aus!«

»Bin ja drüber, aber Du mußt Dich auch stäupern. Himmel Schweden! was knuffst mich?«

»Au weh! – daß Dich alle Teufel!« schrie Hanshenner, und plötzlich flog der helfende Schneider weit weg in den Schnee. Auf sein Lärmen und Schelten entgegnete Hanshenner gereizt: »Du bist und bleibst ein Hansnarr! Das ganze Gesicht hast Du mir schändlich zerkratzt! – Was zerrst mich an den Füßen herum? Wenn Du da anpackst, komm' ich mein Lebtag nicht wieder auf die Beine!«

»Ja, da war's freilich nichts!« lachte Hannikel versöhnt. Wahrscheinlich griff er nun die Sache praktischer an, denn nach einigem Aechzen und Krächzen brachte er Hanshenner glücklich zum Stehen. Um uns hatten sich unterdeß die meisten Musikanten versammelt, lachend kletterten auch wir den Abhang hinab und wurden noch Zeuge, wie sich Hannikel und Hanshenner gerührt umarmten. Ohne uns zu beachten, stimmten sie, natürlich jeder in besonderer Tonart, das Lied an:

Denn su Zwee, wie wir Zwee, die find't m'r nit leicht,
Wir sind halt die ordentlichen Leut'!

und stiefelten Arm in Arm Bergheim zu.

»Gott sei gelobt und gepriesen!« rief die Base, indem sie den Vetter aus seinen feuchten Hüllen schälte. »Gott sei gelobt und gepriesen, daß endlich das Umsingen wieder einmal zu Ende ist. So, Alterle, nun mache Dir's bequem und ruhe Dich rechtschaffen aus!«

124 »Ja, Gertrud, ich bin selber froh!« erwiderte der Vetter und dehnte sich behaglich im Lehnstuhl. »Aber über das Umsingen geht doch nichts in der Welt!«

Still ging das Essen vorüber; mich besonders ängstigten die ernsten, kummervollen Blicke der Base, ihr gemessenes, zurückhaltendes Wesen gegen mich. Erstaunt fragte ich, als sie mir wie jedem Musikanten zwei Viertel schneeweißen Kuchen auf den Teller legte: »Was soll ich damit?« – Lachend meinte der Zimmerdick: »Frag' auch, der gehört Deinem Schatz!«

Wer nicht kartete, suchte darnach ein stilles Eckchen und schlief bald ein. Der Schneidersheiner schwärzte die Schläfer, besonders die Schwarzen zeichnete er durch lächerliche Striche und Bärte aus. Ich machte mich zur Base und fragte ängstlich, was vorgefallen sei.

»Karl, Karl! was hast Du gemacht!« klagte die Base, und das Wasser stand ihr in den Augen. »Im Wagnershaus ist eitel Jammer und Herzeleid. Der Wagnersjörgnikel ist ganz außer sich vor Zorn, die Christel weiß ihres Elends kein End', und die Margareth – ja die sitzt dort, red't nicht, deut't nicht und weint, daß Einem das Herz brechen möcht'! – Karl, wie kannst Du Dich nur zu solchen Dingen hergeben?«

»Du siehst meinen Schrecken! – Von all' dem versteh' ich kein Wort! Was soll ich gethan haben?«

»Hast Du nicht gestern die Margareth in die Schule bestellt?«

»Was ist Unrechtes dabei?«

»Verstell' Dich nicht, gegen mich nicht, Karl! – Weißt 125 Du denn nicht, wie der Schmidt zu den Wagnersleuten steht, was da vorkommen ist?«

»Nichts weiß ich, Base! – Aber was kümmert mich der Schmidt?«

»So hast Du nichts gehört, wie der Schmidt das Mädchen durch schlechte Listen an sich bringen wollt'? Wie ihm darauf der Wagnersjörgnikel das Haus und der Margareth jeden Umgang mit ihm verboten hat?«

»Base, mir wirbelt der Kopf! – Was geht das Alles mich an? – Erzählt, erzählt, was ist geschehen?«

»Werde da Jemand klug! – Das ist ja das Elend! Die Laubschneidersmargthbar kommt heut Mittag in's Wagnershaus und erzählt in aller Unschuld, der gersdorfer Schmidt sei gestern auch in der Schule gewesen. Kannst Dir denken, wie der Jörgnikel auf die Margareth losfährt, da er meint, es sei eine abgekartete Geschichte zwischen ihnen gewesen. Mit Noth hält ihn die Christel ab, daß er sich an der Margareth nicht vergreift – so brav und gut der Jörgnikel ist, in der Hitze weiß er nicht, was er thut. Voller Herzensangst sucht das Mädle bei mir Hülfe, ich geh' auch mit ihr zu den Eltern. Was hab' ich hören müssen! In's Gesicht behauptet der Jörgnikel, der Vetter, Du und ich, wir wollten dem Schmidt zu seinen Schlechtigkeiten helfen. Ach, Du lieber Gott, mir zittert das Herz, denke ich an den Aufstand! – Endlich bring' ich den Wagner so weit, daß er mich anhört, und nun klärt sich die Geschichte freilich bald genug auf und meine wie der Margareth Unschuld kommt an das Licht. Aber was hilft das? Das Mädchen jammert ärger denn zuvor, vor Weinen ist kein Wort aus ihm herauszubringen. Aller Grimm der 126 Wagnersleute fällt nun allein auf Dich. Der Wagnersjörgnikel ist ganz außer sich. Vor Zorn und Kummer stand ihm das Wasser in den Augen, als er zuletzt sagte: ›Das ist das Härteste, was mir passiren konnt'! War ich gestern Abend so glücklich, weil ich denk', er hat nun doch die Margareth gern, und er wird noch mein Schwiegersohn! – Aber nun ist's aus zwischen uns, sagt's ihm, er soll mir aus dem Weg gehen und mein Haus nimmer betreten!‹ – So steht's! Wie mir dabei zu Muth war, will ich nicht sagen; war's doch auch meine liebste Hoffnung, Du und Margareth solltet einmal ein Paar werden! – – – Red', Karl! Und wenn Du nicht wußtest, wie Schmidt zu den Wagnersleuten stand – sag': wie kannst Du Dich für ihn zum Boten hergeben?«

»Die Margareth weint?« sagte ich, ohne auf die letzte Frage zu achten. »Base, sagt mir nur das Eine: habt Ihr eine Ahnung, warum sie weint?«

»Karl!« –

»Antwortet, Base!« drängte ich. »Habt Ihr keine Ahnung?«

»O Herr des Himmels! Wie ist mir? Was ist das? – Karl! – So hab' doch Geduld mit mir! – Was braucht's Ahnungen? Ich weiß aus ihrem Mund, sie kann es nicht verwinden, daß Du sie betrogen, hintergangen hast!«

»Sie weint – meinetwegen! – – Laßt mich, Base, morgen sollt Ihr genau erfahren, wie Alles zusammenhängt, jetzt kann ich nicht! Laßt mich, da ist keine Zeit mehr übrig, heute noch, jetzt gleich muß ich selber mit der Margareth reden!« Damit verließ ich die erstaunte Base und 127 schon nach wenigen Sekunden befand ich mich mit Johann auf dem Weg nach dem Wagnershaus.

Der Wind heulte um die Giebel, klappernd warf er die Läden auf und zu, die Aeste des alten Nußbaums im Hausgarten knarrten und ächzten, als wir die Leiter anlegten. Johann stieg zu dem Fenster hinauf, allein alles Klopfen und Flüstern war umsonst, in der Kammer blieb es still. Da rüttelte Johann stärker und sagte so laut, daß ich unten jedes Wort verstehen konnte: »Margareth, wenn Du jetzt nicht aufmachst und vernünftig mit dem Schulkarl redest, dann weiß ich, was ich von Dir zu halten habe; werd' auch sorgen, daß es weiter bekannt wird, wie Du zweierlei Reden führst! Was ist das für eine Art von Dir? Heulst Dir die Augen aus, grämst Dich halb zu Tod um nichts und wider nichts – und bist doch an dem ganzen Lärm selber schuld. Ja, ich sag's klar und deutlich, Du – Du ganz allein! Warum hast Du den Karl am Heiligenabend nicht ausreden lassen? Warum bist Du am zweiten Feiertag davon gelaufen, als möchtest Du's weder mit dem Schulkarl noch dem Grafenrudolph verderben? Und wer Teufel heißt Dich und die Dorthee gestern Nachts vollends wie wild und toll vor uns herlaufen, daß man nicht ein Wörtle mit euch reden kann? – Ja, flenne nur, dafür geb' ich jetzt keine drei Batzen, und wenn Du jetzt nicht im Augenblick aufmachst und mit dem Karl redest, nachher weiß ich, daß Du mit dem Grafenrudolph heimlich im Einverständniß bist. Meinst vielleicht, ich weiß nicht, daß er Dir am dritten Feiertag bei der Lichtstube aufgepaßt hat? – Jetzt nur keine Sperranzen, Dein Vater wird uns 128 nicht gleich merken, und wenn auch, dann ist auch nichts weiter dabei!«

Das Fenster klang wirklich. Johann verließ die Leiter und ich stieg hinauf. Wie mir zu Muth war, kann ich nicht sagen; noch nie hatte ich ein Mädchen aufgeweckt, und die Angst vor Entdeckung, vor Spott und Gelächter, war nicht gering. Größer jedoch war noch die Liebe, die Sehnsucht und Sorge – und so wagte ich es denn und stieg empor. Wie lange ich im Sturmesbrausen auf der schwankenden Leiter stand, was wir redeten – ich weiß es nicht. Nur soviel kann ich sagen, es ward Alles, Alles gut, alle Widersprüche lösten, alle Zweifel hoben sich, mit einem langen, langen Kuß gab sich mir Margareth für immer zu eigen. Wohl stand noch der Zorn der Eltern zwischen uns und unserm Glück – aber wie hätte uns das ängstigen können, da wir unserer Liebe, unserer Treue gewiß geworden waren! Johann's Ungeduld riß uns auseinander. Wie berauscht von all' dem Glück, all' der Seligkeit kehrte ich heim; der ängstlich harrenden Base konnte ich nur die Hand drücken und zuflüstern: »Morgen!«

Eben erwachten die Schläfer und erhoben sich, an allen Gliedern wie zerschlagen, von ihren unbequemen Plätzen. Großes Gelächter erschallte, als aus allen Ecken rußige, abscheulich entstellte Gesichter auftauchten. Noch einmal wurden die Gläser gefüllt, fast ein bischen wehmüthig gaben die Musikanten dem Vetter und der Base die Hand, und der Zimmerdick meinte beim Abschied: »Ist ein rechter Trost, daß wir am Neujahr nochmals zusammen kommen, und daß über's Jahr wieder umgesungen wird. Gute Nacht!« 129

 


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