Heinrich Schaumberger
Umsingen
Heinrich Schaumberger

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4.

Als mich am andern Morgen die Base weckte, lag mir eine entsetzliche Müdigkeit in den Gliedern, der Kopf brummte und die Augenlider waren bleischwer; erst nach gewaltsamer Anstrengung gelang es mir, den Schlaf abzuschütteln. Die 57 gemüthliche Wohnstube erkannte ich nicht wieder, an Stelle des Hausgeräthes waren lange, kahle Tafeln, hölzerne Stühle und Bänke getreten, nur der Sorgenstuhl des Vetters behauptete seinen Platz am Ofen, als alleiniger Vertreter wohnlicher Behaglichkeit.

»Ja, ja, Herr Kanter,« sagte Annedorl, die soeben durch das Gebetläuten den Musikanten das Zeichen gegeben hatte, sich zum Frühstück einzufinden. »Ja, ja, Herr Kanter, es regnet g'rad nieder!«

Verstimmt legte der Vetter die lange Pfeife weg, öffnete ein Fenster und blickte hinaus in die Finsterniß – richtig, die Dachrinnen rauschten wie Mühlbäche. Das war eine schöne Aussicht!

Pudelnaß traten der Zimmerdick und der Hansaden ein, setzten sich verdrießlich in eine Ecke und meinten, bei solchem Wetter sei nicht an's Fortgehen zu denken. Auch der Mühljohann und der Gänskasper bestätigten das. Gern hätte ich dem Mühljohann mein Leid berichtet, aber die geistige und körperliche Abspannung war so groß, daß ich selbst das Reden scheute. Der Bergkasper berichtete: »De' Wind hat sich gedjeht, e' kommt vom Wald, de' Jegen läßt schon nach. Paßt auf, wir kjiegen noch das schönste Wetter!« Die Stimmung besserte sich etwas, aber das eintönige, endlose Plätschern der Dachrinnen schien die kühne Prophezeiung zu verspotten, der Unmuth war größer als zuvor. Ein häßlicher Morgen! Zuletzt verfielen wir Alle in einen unerquicklichen Halbschlaf, aus dem wir jede Minute auffuhren, um nach den Dachrinnen zu lauschen.

Endlich – schon dämmerte der Morgen grau und trübe herauf – ward es draußen lebendig, lustiges Lachen und 58 Plaudern erweckte die Schläfer, schlaftrunken murmelte der Bergkasper: »Schmeißt ihn 'naus, wenn e' nicht Juh gibt!« und der Zimmerdick meinte gähnend: »Potz Wetter! Die Sülzdorfer sind ja mordlustig! Wird's vielleicht ander Wetter?«

»Ein freies Leben führen wir,
Ein Leben voller Wonne,
Der Wald ist unser Nachtquartier,
Der Mond ist unsre Sonne!«

sang der Hanshenner mit seiner hohen Fistelstimme, – und, kaum in die Stube getreten, begann der Schneidersnikel:

»Wohlauf nun getrunken
    Den funkelnden Wein!
Der Wind kommt vom Wald her,
    Schön's Wetter muß sein!«

»Pros't Bruder! – Ausgeschlafen? – Alleweil lustig, alleweil fidel? – Potz Blitz Feiwerzeiwg! sagt der Laubschneider! sitzt ihr nicht da wie kranke Maikäfer? – Holla, munter! Alleweil lustig, alleweil fidel! sagt der Kreuzmannsjakel!«

Solche Fröhlichkeit verfehlte ihre Wirkung nicht; besonders als es sich bestätigte, daß der Waldwind stärker werde, hob sich die Stimmung, selbst der Vetter setzte sich halb getröstet zum Frühstück.

Schon früher war einer der Diskantbuben nach dem Schmiedsjakob und Eckenpeter geschickt worden und eben berichtete der Bote: »Der Eckenpeter kommt gleich, aber die Schmiedin hat gesagt: ihr Alter schliefe seinen Rausch aus, sie brächte ihn nicht munter; wer ihn brauche, solle ihn selber holen!«

Fast hätte sich der Vetter geärgert, als aber nun der Eckenpeter eintrat, legte er erschrocken den Löffel nieder und 59 rief: »Peter, um Gotteswillen, was ist mit Deiner Nase passirt?«

»'s ist weiter nichts, Herr Kanter!« entgegnete Peter ruhig. »Der Bergkasper hat mir ein Klopferle geben, wie ich ihn 'naussteckte!«

»Wie – was – wo?« lachten und schrieen die Musikanten durch einander und betrachteten verwundert den unförmlichen, grünen, gelben und braunen Klumpen in seinem Gesicht. Der Bergkasper zankte: »Du hättest mich 'nausgesteckt? – Wee' sagt das? – Du bist ein misejable' Ke'l Du!«

»Nur nicht grrrrand gethan!« entgegnete Peter gleichmüthig; ohne den Lärm weiter zu beachten, setzte er sich an den Tisch und ließ sich das Warmbier wacker schmecken. Eben stürmte der fast vergessene Schmiedsjakob mit kurzem: »Morgen!« herein und folgte Peter's Beispiel.

Als er sich vollständig gesättigt hatte, wischte Peter den Mund und begann gemüthlich: »Nur nicht grrrrand gethan! und macht kein solch' Aufhebens um die Kleinigkeit! Was ist's weiter? – Hat sich gestern – eigentlich wird's wohl heut gewesen sein – nach dem Tanz der Gottmannsgrüner Grafengottfried schlecht aufgeführt, einen Heidenlärm verführt und uns Bergheimer Lumpen und Hungerleider geschimpft. Deßwegen nisteln sich der Bergkasper und sein Anhang an ihn, richten aber gegen die Gottsmannsgrüner nichts aus. – Potz Geier, Du bist gleich still, Kasper! – Das steigt dem Gottfried zu Kopf, er stülpt jetzt seine Aermel auf und schreit: »Um Gotteswillen, ihr Brüder, haltet mich, ich schlag' sonst Alles zusammen!« Das hat mich geärgert. Ich sag': »Nur nicht grrrrand gethan!« erwisch' den Gottfried bei der Gurgel, mit der andern Hand den Bergkasper – 60 und räum' so die Stube. – Die Gottsmannsgrüner sind ausgerissen, den Gottfried hab ich 'naus in den Schnee geworfen – nun war Ruh'! Aus Versehen hat mich der Kasper in's Gesicht geschlagen, gekonnt hat er nichts dazu. So ist's, nun macht keinen Lärm weiter drum, und Du, Kasper: nur nicht grrrrand gethan!«

Ich bin sonst nicht schadenfroh, dießmal freute ich mich jedoch aus Herzensgrund, daß der verhaßte Bursche für seinen Uebermuth gestraft worden war. Während die Musikanten noch über die Geschichte lachten und ihre Bemerkungen machten, den Bergkasper zu reizen, drückte ich Peter dankbar die Hand.

Die Base jammerte, aber das half nichts! Die Hosen in den Stiefelschäften, Mantelkragen hoch empor gezogen, brennende Pfeifen im Mund, so ging es hinaus in den Nebel und Sprühregen. Voraus die jungen Leute; das Wetter störte ihre Laune nicht, ihr Lachen nahm gar kein Ende. Ich hielt mich zu den Alten, die schweigend in langer Reihe durch den wässerigen Schnee schritten.

Bald trafen wir in Altenhausen zusammen. Als die Instrumente gestimmt waren, trat der Vetter in unseren Kreis und sagte: »Es ist ein schönes, ernstes Werk, das wir beginnen, bedenkt das und betragt euch darnach. Ich lege dem Frohsinn keinen Zwang auf, aber Alles zu seiner Zeit; außer Dienst habt ihr volle Freiheit, darum verlange ich auch strenge Ordnung und Aufmerksamkeit bei den Gesängen. Verstanden?«

Die Worte verfehlten ihre Wirkung nicht; obgleich wir bei dem fortwährenden Sprühregen kein Buch öffnen konnten, klang unser Lied zart und rein durch das stille Dorf: 61

»Es lebt ein Gott, der Menschen liebt, ich seh's zu meinem Glücke,
    Am Nebel, der den Himmel trübt, sowie am Sonnenblicke.
Nicht nur wo Frühlingslüfte wehn durch Laub und junge Blüte,
    Nicht nur wo reife Saaten stehn, seh' ich des Schöpfers Güte:
Ich seh's, wenn sternenleer die Nacht, die Flur sich mir verhüllet,
    Und seh's, wenn mit bescheidener Pracht der Vollmond sich erfüllet.«

Ernst und still wanderten wir von Haus zu Haus, Thüren und Fenster gingen weit, weit auf, helle Augen, fröhliche Gesichter lachten uns entgegen, Jung und Alt lauschte mit Lust. Die dankbare Freude war noch größer als in Bergheim. Mit Grund! denn ohne unsere Gesänge wäre das schönste Fest des Jahres eben so klanglos an dem einsamen Dörfchen vorübergezogen, als die übrigen stillen Tage des Jahres. Auch die Jugend war fast tapferer noch als die Bergheimer; es wollte wahrlich für solch' kleine Füßchen etwas heißen, stundenlang im unergründlichen, wässerigen Schnee herumzupatschen.

Als wir das letzte hochgelegene Haus erreichten, zerrissen die Nebel, und aus den Lücken der träge thalab ziehenden Wolkenmassen blickte der ditterswinder Schäfershof stattlich zu uns herüber. Der Mühljohann und Eckenpeter traten an den Rand des Hügels und schmetterten lustige Trompetenweisen über das Thal hin, bis drüben aus dem Schäfershof eine mächtige Rauchsäule in die Luft stieg. Dieß verheißungsvolle Zeichen begrüßten die Musikanten mit lautem Jubel, dann eilten sie über Stock und Dorn den Hügel hinab; lange ehe ich und der Vetter auf gewöhnlichem Wege das Thal erreichten, war die ganze Gesellschaft im Wirthshaus verschwunden.

Schreckliche Verwirrung herrschte in dem kleinen 62 Wirthsstübchen, wild schrieen die Musikanten nach Häringen und bitterem Schnapps, zerrten und rissen von allen Seiten an dem Wirth, der vollständig den Kopf verloren hatte und durch verkehrte Befehle den Wirrwarr noch vermehrte. Nach und nach gelang es endlich Frau und Tochter, die Ungeduldigen zu befriedigen, an Stelle des Lärmens trat eine tiefe, tiefe Stille. Mit barbarischem Vergnügen zogen die Männer den Häringen die Häute über die Köpfe – manche halfen sich allerdings kürzer – mit grausamer Lust würgten sie den Bittern hinab. »Brrr! – Donnerwetter!« schüttelten sie sich, stromweis liefen ihnen die Thränen über die Backen! – Ja, der Kater ist ein grausamer, unerbittlicher Tyrann; ehe ihm nicht ein salziges, bitteres, thränenreiches Opfer gebracht ist, läßt er seine unglücklichen Opfer nicht los.

Mit ganz anderen Empfindungen als von Daheim brachen wir nach Ditterswind auf, die Stimmung hob sich noch wesentlich, da daß Wetter sich wirklich zum Besseren wenden zu wollen schien. Ein kräftiger Nordwind warf die Nebelmassen wild durcheinander und trieb sie rasch nach Süden, schon zeigte sich da und dort ein Stückchen blauer Himmel. In dem kleinen Ditterswind war die Arbeit bald vollbracht, zuletzt kamen wir in den Schäfershof. Die uralte Schäferskunnel, die Mutter des Bauern, hatte uns schon lange aus dem Fenster beobachtet; ohne auf unsere Grüße zu hören, befahl sie barsch: »Laßt das Singen und geht 'rein, das Essen wird kalt!« Zugleich schrie sie ihrem in der Thür stehenden Sohn, dem bejahrten Schäfersbauer, zu: »Hansnikel, wo hast einmal wieder Deine Gedanken! – Flugs bind' den Hund an!« Als der Bauer erschrocken ihr Gebot 63 vollführte und wir trotz ihres Verbotes ein Lied anstimmten, nickte sie zufrieden und schloß das Fenster.

Als ich mich endlich in die Stube drängte, hatte die Greisin schon mit dem Vetter ein wichtiges Gespräch »eingefädelt«, nöthigte ihn auch »grausam« zum Sitzen, weil sie aber fortwährend den für ihn bestimmten Holzstuhl mit der Schürze abwischte, konnte er natürlich nicht dazu kommen. Ohne die Unterredung mit dem Vetter fallen zu lassen, begrüßte sie dazwischen die Musikanten, examinirte mich in aller Eile über die Hauptumstände meines Lebens, überwachte den Haushalt und befahl ihrer Enkelin: »Kathrin, flugs hol' für den kleinen Schulmeister 'nen Zinnteller und such' Messer und Gabel!« Ganz roth vor Eifer eilte Katharine hinaus. Vor Schrecken wußte der Bauer augenscheinlich nicht mehr, gehörte seine Pelzmütze in den Mund und die Tabackspfeife auf den Kopf oder umgekehrt, als ihn seine Mutter anfuhr: »Hansnikel, was sperrst Du schon wieder das Maul auf? – Flugs zerschneid's Fleisch, aber ordentlich!« Während die Bäurin riesige Schüsseln Sauerkraut auftrug und ganze Brodlaibe daneben legte, flüsterte der Zimmerdick dem Hansaden zu: »'s Beste, den Schnapps, haben sie doch vergessen!«

Athemlos stürzte Kathrin herein und klagte weinend: »Fräle, ne Gabel find' ich nicht!«

»Was? – Das wäre mir ne schöne Sach'! 's muß noch eine da sein, flugs fort und gesucht!« entschied Kunnel; darnach wendete sie sich barsch an die Musikanten, die erwartungsvoll an den Wänden standen: »He, was guckt ihr noch? – Flugs hinter den Tisch und zugelangt, Messer habt ihr selber und Gabeln braucht ihr nicht!«

Ich, der kleine Schulmeister, wie mich die Kunnel 64 umgetauft, bekam noch zu rechter Zeit eine Gabel; sie hatte freilich nur zwei Zinken, aber das schadete nichts. Die Musikanten halfen sich so gut sie konnten, spießten Brodschnitte an die Messer und beförderten darauf das Sauerkraut zum Mund; verunglückte eine Ladung, so mußte eben die natürliche Gabel aushelfen. Großer Schöpfer, welche Massen Sauerkraut sah ich verschwinden! Trotzdem der Bauer arbeitete, daß ihm der Schweiß von der Stirne rann, rief ihm seine Mutter alle Minuten zu: »Hansnikel, ha was machst Du denn? Flugs tummle Dich doch, die da haben schon wieder kein Fleisch mehr!«

Endlich waren die Musikanten satt, aufseufzend wischten sie ihre Messer am Tischtuch ab und steckten sie ein. Bedeutende, vielsagende Blicke wurden gewechselt; plötzlich rief der Schneidershannikel, als könne er sein Staunen nicht mehr bemeistern: Ihr Leut', war das ein Fleisch! So hab' ich noch keines gegessen!«

»Ja, die Schweine hätt' ich sehen mögen!« stimmte ihm Gänskasper aufrichtig bei.

»Ja, ja!« sagte der Zimmerdick würdevoll. »Da sieht man eben gleich, was ein richtiger Haushalt ist!« – Die Kunnel spitzte die Ohren und ihre Augen glühten wie Kohlen.

»Auf solchem Hof ist's auch 'ne Kunst, fett zu schlachten!« meinte der Hansaden dagegen. »Das Futter ist da, ein paar Simmern Getraide auf oder ab, wer fragt darnach?«

»Als wenn's das Futter allein thät!« fuhr ihn der Zimmerdick entrüstet an. »Rechnest Du die Ordnung und die Pfleg' für nichts? – Hab' ich's nicht getroffen, Kunnel?«

65 »O Du Herrjedig, Vettermann!« rief die Kunnel und lachte den Zimmerdick glückselig an. »Ihr seid ein Mann und versteht was.« – Der Hansaden schwieg beschämt.

Der Wasserfuchs kraute sich indessen die Haare und lamentirte: »'s ist schon recht, das fette Fleisch; alle Leut' können's aber doch nicht vertragen!«

»Drum ist's gut,« belehrte ihn der Schneidersnikel, »man setzt ein Schnäppsle drauf!«

»Herrjele, Euch ist noch kein Schnapps angeboten worden?« rief die Kunnel, und als die Musikanten wehmüthig die Köpfe schüttelten, schrie sie ihren erschrockenen Sohn an: »Hansnikel, Hansnikel, Du denkst ja auch an gar nichts mehr! Ich will nur sehen, wie's in dem Haus zugeht, bin ich einmal gestorben! – Flugs! Droben hinter meiner Lade steht ein Krug echter Korn; hol' ihn runter, aber flugs!«

Die Musikanten grinsten, selbst Hansnikel machte große Augen, als er von diesem heimlichen Schatz seiner Mutter hörte, der gewiß nicht für die Umsinger hinter die Lade gestellt worden war. Aber ein erneuertes »Flugs!« der Kunnel trieb ihn nach oben; bald kehrte er mit dickbauchigem Kruge zurück.

»Nun flugs aufgespielt, meine Tichterle wollen tanzen!« befahl die Alte; den Vetter belehrte sie: »Aus dem Singen mache ich mir nichts, hergegen an einem recht Lustigen habe ich meine Freud', wenn ich gleich verwichen in der Herbstsaat achtzig Jahr alt worden bin!« Als ich mit der Kathrin tanzte, funkelten ihre Augen, beifällig nickte sie 66 demVetter zu: »Kein unebener Mensch, der klein' Schulmeister, gar kein unebener Mensch!«

Nachdem der Krug Korn geleert, die Kunnel dem Vetter noch ein großes Hauskreuz gründlich dargelegt, brachen wir auf. Zum Abschied sagte sie zum unsäglichen Vergnügen der Musikanten: »He, wie wär's denn, Herr Kanter? – Die Kathrin ist nicht leer, das Rackermädle mag so immer nichts arbeiten, die passet sich zu einer Schulmeisterin! He – was meint Er? – bringt einmal den kleinen Schulmeister mit, daß's fertig wird!«

* * *

Wolkenlos blaute der Himmel über uns, die rothen Strahlen der Abendsonne vergoldeten Bergheim, das sich uns gegenüber so traulich in den Schooß seiner Berge schmiegte, als wir vor dem ersten Häuschen des hochgelegenen Dörfchens Windsberg sangen:

Seid fröhlich, singt ihm Lobgesang,
    Bringt, Christen, ihm mit Freudentränen Dank,
          Preist ihn, den Herrn des Lebens!
    Von Gottes Thron kam er herab,
    Der uns das ewige Leben gab:
          Die Freud' ist nicht vergebens!

O welche segensvolle Nacht!
    Sie hat den hellsten Tag der Welt gebracht,
          Er kam, das Licht des Lebens!
    Die Sonne der Gerechtigkeit
    Erleuchtete die finstre Zeit:
          Die Freud' ist nicht vergebens!

Erhöhet hat uns Jesus Christ,
    Der unter Menschen Mensch geworden ist,
          Er zeigt den Werth des Lebens!
    O welches Glück, ein Mensch zu sein, 67
    Sich dieser Menschenwürde freu'n:
          Die Freud' ist nicht vergebens!

Aus den Fenstern des Schulzenhauses lugten ein paar frische Mädchenaugen nur nach dem Schneidersheiner, der auch eine merkwürdige Unruhe zeigte und öfter aus dem Takt kam. Beim Weggang rief der Schülzle zum Fenster empor. »Heda, Karline, hast nichts an den Schneidersheiner zu bestellen? – Ich komm' heut noch zu ihm und richt's gern aus!«

Das Mädchen verschwand erröthend vom Fenster, der Schulz, ihr Vater, der eben dem Vetter das Umsinggeld übergeben hatte, rief lachend vom Treppenvorbau herab: »Potz Velten und Bastel! Hat mein Mädle was zu bestellen, wird sie's selber auszurichten wissen, ist mir doch der Heiner lang recht als Schwiegersohn! In's Haus kann ich euch nicht heißen, mein Stüble ist zu klein, da ich aber, so zu sagen, auch zu euch gehöre, geht in's Wirthshaus, ich komm' nach! Potz Velten und Bastel, ich bin der Schulz von Windsberg, ein Mann und bedeut' was! – auf ein paar Maas Bier kommt mir's nicht an!«

Damit war meine Hoffnung auf baldige Heimkehr gründlich zerstört. Im Wirthshaus machten sich's die Musikanten bequem und der Vetter folgte seufzend ihrem Beispiel. Kaum war der Schulz erschienen, so tauchten Pfeifen mit Porzellanköpfen auf, deren Gemälde ein kleines Männlein darstellte, das vor einer Heerde Gänse floh. Der Gänskasper war ganz außer sich über dieses Bild, drohte mit Verklagen und schlug einen schrecklichen Lärm auf – natürlich zum größten Vergnügen der Musikanten, die das nur gewollt hatten. »Potz Velten und Bastel!« schrie der Schulz. 68 »Verfluchte Kerle, die Musikanten, verfluchte Kerle. Ich wollt' weiter nichts, als sie probirten bei mir einmal einen Streich!«

»Schulz, Schulz!« warnte der Vetter lachend.

»Fürcht' mich nicht, Herr Kantor!« rühmte sich der Schulz. »Potz Velten und Bastel, ich bin der Schulz von Windsberg, ein Mann und bedeut' was – ich wollt' sie schön ablaufen lassen!«

Alle Musikanten lachten und reizten durch Spott Gänskasper's Zorn, nur der Eckenpeter saß in beschaulicher Ruhe in einer Ecke, rauchte aus unschuldigem, weißem Pfeifenkopf und beschäftigte sich ausschließlich mit seinem Bierglas. Allein gerade diese Stille kam dem Gänskasper verdächtig vor, ein schwarzer Verdacht stieg in seiner Seele auf, plötzlich schrie er: »Hol' Dich der Geier, Peter, kein anderer Mensch, Du allein hast mir den Schimpf angethan und die Köpfe malen lassen!« Peter's verächtliches Knurren nahm er für ein Geständniß, überhäufte den Erstaunten mit Schimpf- und Schmähreden, ja, er verstieg sich sogar zu Drohungen und ballte in sicherer Entfernung die Faust. Jetzt regte sich auch Peters Blut; langsam legte er die Pfeife auf den Tisch, spuckte in die Hände und sagte: »Nur nicht grrrrand gethan! Ihr seid ein verrückter alter Narr! Was kümmern mich die einfältigen Pfeifenköpfe? Krakehlt Ihr mich noch mit einem Wort an, geb' ich Euch 'ne Schellen, daß Ihr nimmer wißt, seid Ihr ein Büble oder ein Mädle!«

Schon da Peter die Pfeife aus dem Mund nahm, hatte sich der Gänskasper hinter den Zimmerdick verkrochen und wagte sich lange nicht hervor. Seinen Verdacht gegen Peter hielt er natürlich aufrecht, um so mehr, da ihn die Musikanten 69 heimlich in seiner Meinung bestärkten; weil er sich aber an Peter selber nicht getraute, schwur er wenigstens den verhaßten Köpfen den Untergang. Heimlich führte er mit seinem Ladenschlüssel einen Schlag nach des Schülzle's Pfeifenkopf, erreichte aber seinen Zweck nicht völlig, aber das kleine Würzelchen sprang doch klirrend ab. Mit lautem Halloh! begrüßten die Musikanten diesen gelungenen Streich, sofort begann eine allgemeine Jagd nach den kleinen Dingern. Durch diesen Erfolg fast stolz gemacht, hielt der Gänskasper übermüthig seinen Maserkopf dar und rief: »Schlagt mir doch mein ›Wörzele‹ runter, wenn ihr könnt!« Wupp! hatte er auch einen Klopfer auf die Finger, der ihn belehrte, daß hier nicht zu spaßen sei. Als er den gefährdeten Stummel schleunigst in Sicherheit brachte, lachte Schülzle: »Kasper, bis wir nach Bergheim kommen, ist Euer Würzele doch weg!«

Kasper bereute seinen Vorwitz und knurrte, Unheil ahnend: »Wollen's abwarten!«

Bei hellem Mondschein sangen wir in Sülzdorf für heute unser letztes Lied. Auf dem Heimweg gesellte ich mich zu Johann und klagte ihm meine Noth. »Werd' selber nicht aus dem Mädle klug!« sagte Johann verdrießlich. »Und doch ist's gewiß, sie hat Dich über Alles gern!«

»So sagst Du immer!«

»Weil ich nicht anders kann! Aber freilich, der Sache auf den Grund kommen mußt Du! Willst heute noch einmal mit in die Lichtstube?«

Ich nickte, damit trennten wir uns. Aufgeregt eilte ich in die Schule. War vielleicht auch noch der Gersdorfer Lehrer gekommen? – Diese Sorge war vergeblich gewesen, kein Schmidt hatte sich sehen lassen; und wie es öfter zu 70 geschehen pflegt, dieser an sich so unbedeutende Zufall half mir nun auch über meine sonstigen Sorgen hinweg.

Ei, wie wohl that uns Wegmüden, dem Vetter und mir, die liebevolle Sorgsamkeit der Base, und welche angenehmen Erwartungen erregte die schneeweiß gedeckte, mit blitzenden Zinntellern belegte Tafel. Viel pünktlicher als am Morgen fanden sich auch die Musikanten zusammen; in bequemen Hausgewändern stellten sie sich ein, der Zimmerdick und der Hansaden sogar mit langen Pfeifen, was nicht wenig Verwunderung erregte.

Recht behaglich ward es erst nach dem Essen, als die Pfeifen brannten und der Vetter ein Fäßlein Bier ansteckte. Der Wasserfuchs setzte sich mit dem Hanshenner, dem Veitennikel und dem Wilden zu einem Solo, das junge Volk trieb sich anscheinend zwecklos in der Stube umher, die lustigste Gesellschaft sammelte sich um den Vetter und die Base: »Ja, Frau Kantern,« sagte der Zimmerdick, nachdem er unsere Erlebnisse im Schäfershof berichtet hatte, »die Kunnel ist eine Schlimme! Der Schäfersbauer erschrickt, wenn sie nur krumm nach ihm guckt!«

»Und ein Mundwerk hat sie,« fiel Hansaden ein, »das muß besonders todtgeschlagen werden, stirbt sie einmal, sonst steht's nicht still!«

»Bei der Kunnel muß ich immer an die grumbacher Schmiedskäther denken!« sagte der Schneidersnikel nachdenklich. »Mit der wurde auch kein Mensch fertig, nur der Kreuzmannsjackel hat ihr einmal das Maul gestopft!«

»Holla, der Kreuzmannsjackel!« lachte der Vetter. »Was wird nun wieder kommen?«

»Eine wahre Geschichte, Herr Kanter, auf mein Wort!« 71 bekräftigte der Schneider und begann dann: »In den grumbacher Bergen ging ein Wolkenbruch nieder, und die wilden Wasser rissen im Dorf ein Stück vom Schmiedsgarten, gleich daneben die Dorfbrücke fort. Nach dem Wetter sammelt sich die halbe Gemeinde vor der Schmiede, den Schaden einzusehen. Hat die Käther wegen ihrem Stückle Garten geflucht und gelästert zum Erbarmen! Die Männer verweisen ihr das, aber nur um so ärger hat sie's getrieben. Da meint der Jakel: ›Dasmal möcht' ich der Herrgott auch nicht sein!‹ – ›Warum?‹ fragen die Nachbarn, selbst die Käther horcht, was er vorbringen wird. – ›Daun!‹ gibt der Jakel zur Antwort: ›Die Käther ist im Stand und zeigt den Wolkenbruch beim Gendarm an, und wenn die und ein Gendarm zusammenhalten, nachher geht's dem Herrgott schlecht!‹ – Drauf ist die Käther mäuslestill ins Haus geschlichen!«

»Die hatte ihren Theil!« lachte der Vetter. »Sagt einmal aufrichtig, Hannikel, hat der Kreuzmannsjakel die Reden, die ihr ihm in den Mund legt, auch wirklich gethan oder sind sie Eure Erfindung?«

»Was werd' ich, Herr Kanter?« vertheidigte sich der Schneider. »Glaubt mir, so was erfindet sich nicht, das muß die Gelegenheit geben, und auch dann bringt's eben nur ein Kerl wie der Kreuzmannsjackel fertig. Denkt doch an die Geschichte von der Gais und dem Pachtbrief!«

»Was ist das wieder?« fragte der Vetter lachend.

»Das kennt Ihr noch nicht? – Nu sag' ich in aller Welt nichts mehr!« rief der Schneider verwundert. »Das ist ja grad seine Hauptgeschichte!«

»O du meine Güte!« sagte die Base voller Staunen. »Was wird nun wieder kommen?«

»So, das wollte er bloß hören!« fiel der Vetter 72 belustigt ein. »Ihr seid ein Schelm, Hannikel! Aber nun macht voran, schießt los, bin wahrlich selber neugierig!«

Hannikel räusperte sich geschmeichelt und begann: »Hat sich der Jakel einmal vom grumbacher Herrn ein Wiesle gepachtet und eine Ziege angeschafft. Mit der Gais aber ist er schlecht ankommen, das war ein arg unfräßiges Vieh, 's beste Futter hat sie verstreut und verzettelt. Der Jakel probirt Mancherlei, wie er ihr das aber durchaus nicht abgewöhnen kann, sagt er: ›Nun hilft's nichts, sie will's ja nicht anders haben!‹ – Drauf nimmt er Hammer und Nagel, geht in den Stall und nagelt der Gais den Pachtbrief so recht vor die Augen an die Wand. Die Gais guckt nicht schlecht. ›Ja, guck nur!‹ fährt sie der Jakel grimmig an. ›Gelt, das hast du nicht gedacht, daß mich das Linsele Futter solch' Sündengeld kostet? – He – nun wird dir's Zetteln vergehen? – Ja, guck mich nur an! Der Pachtbrief bleibt da, und wenn Du die Angst kriegst!«

Wilder Lärm unterbrach den Erzähler. Der Schneidersheiner, Schülzle und Bergkasper waren auffällig um den Gänskasper herumgegangen, trugen Taback und Licht bei und redeten ihm eindringlich zu, er solle doch nicht blöde sein und seine Pfeife stopfen. Dem Gänskasper ging eine Ahnung auf, blitzschnell riß er seinen Stummel aus der Tasche, sprachlos starrte er den geschändeten Pfeifenknopf an – das Würzelchen war wirklich verschwunden.

Heimlich winkten und blinzelten die Schelme nach dem harmlos am Ofen lehnenden Eckenpeter. Der noch in seiner Seele liegende frühere Verdacht kam ihren Absichten zu Hülfe; überzeugt, daß Peter auch diese neue Unthat auf dem Gewissen habe, fuhr der Gänskasper wie ein tückischer Köter 73 lautlos um die Ofenecke nach Peters Gurgel. »Nuuu! – Nur nicht grrrrand gethan!« sagte dieser erstaunt, nahm mit der Linken seine Pfeife aus dem Mund, hob mit der Rechten den Gänskasper ein wenig vom Boden und warf ihn gelassen, als schüttle er eine Fliege von sich, unter den Kartentisch.

»Himmel Schwenselens!« schrieen die Spieler und sprangen erschrocken auf, als diese Bombe zwischen ihre Beine prasselte. Mühsam raffte sich der so unerwartet zu Fall Gekommene auf; als er jedoch schimpfen und lärmen wollte, sagte Peter mit unbeschreiblich verächtlichem Seitenblick nach ihm: »Ihr seid ein grober Mann, Ihr und Eure Frau!«

Der Zimmerdick wollte über solche Unart zanken, davon hielt ihn der Vetter, der vor Lachen fast erstickte, zurück. Peter's Vorwurf hatte den Gänskasper ohnedieß hart genug getroffen. Niedergeschlagen setzte er sich zur Annedorl auf die Ofenbank und klagte ihr: »Guck, Mädle, daß er mich nen groben Mann geschimpft, darüber wollt' ich nichts sagen, aber daß er meine Alte, meine arme Alte! auch so geheißen, das thut gar zu weh!«

»Frau Kantern,« meinte der Schneidersnikel, »bei dem Lärm fällt mir auch 'ne Geschicht' ein!«

»Wieder vom Kreuzmannsjakel?« nickte die Base.

»Dießmal nicht, Frau Kantern! – Hab' eben an meinen Vetter, den Schneiderslorz in Meuselbach denken müssen. Das war euch ein Raucher – solchen gibt's heutzutag nicht mehr. Oefter wie einmal sagt er zu mir: ›Nikel, wenn ich noch beim Essen und im Schlaf rauchen könnt', wollt ich mir auf der Welt nichts mehr wünschen!‹ Wie er in seiner letzten Krankheit lag, raucht er den lieben langen Tag kalt 74 im Bett. Das erbarmt endlich seine Alte, sie stopft ihm die Pfeife und gibt ihm auch Feuer. Mit Wasser in den Augen sagt der Lorz: ›Alte, das vergelt' Dir unser Herrgott!‹ Er mag so die Pfeife halb ausgeraucht haben, da ruft er: ›Alte, nimm die Pfeife, mir wird so wunderlich!‹ Die Frau greift zu, der Lorz holt einen tiefen Seufzer – er war todt, ehe seine letzte Pfeife ausgegangen war.«

Die Base ward in die Küche gerufen, der Vetter setzte sich nun auch zum Spielen und mir klopfte der Mühljohann auf die Achsel: »Komm', 's ist Zeit!«

Wir eilten durch das Dorf, kamen aber zu spät, eben kehrten die Lichtburschen und Lichtmädchen heim. Margareth war schon voraus, noch erblickten wir sie im hellen Mondschein an der Hausthür – Gott im Himmel, wie ward mir! Im eifrigsten Gespräch stand ein Bursche bei ihr! Der Mühljohann stieß einen Fluch aus und rannte vorwärts, der Bursche wandte sich erschrocken nach uns – richtig, es war der Grafengottfried! Margareth schlüpfte in's Haus, Gottfried floh in weiten Sprüngen die Schmiedsgasse hinaus. Johann wollte nach, ich hielt ihn zurück – wozu hätte es genützt? – Ich muß wohl verstört genug ausgesehen haben, denn der Johann drückte mir mitleidig die Hand. »'s ist wahrlich ein infamer Kram, weiß selber nimmer, was ich sagen soll!« rief er. »Aber der Geschichte auf den Grund kommen müssen wir, und das heute noch. Habe nur Geduld, wir wecken die Margareth auf!«

Davon wollte ich nichts hören; war es gleich Sitte, Nachts mit den Mädchen durch's Fenster zu reden – mir wollte das doch nicht passen. Allein Johann ließ nicht nach, bis ich dennoch einwilligte. Vorsichtig umschlichen wir das 75 Haus – plötzlich ward der Wagnersjörgnikel laut, scheltend fuhr er durch die Hinterthüre uns nach – da galt es schnell sein. »Mit dem Aufwecken ist's nun nichts!« sagte Johann ärgerlich. »Was fangen wir an? – Weißt was? – ich rede noch mit meiner Dorthee, vielleicht erfahren wir da gewissen Grund!« Niedergeschlagen willigte ich in Alles; obgleich ich vor der Entscheidung zitterte, sehnte ich mich doch noch mehr aus der peinvollen Ungewißheit hinaus.

Durch die Mergelgasse eilten wir in's Dorf zurück. Beim Spritzenhaus hielt mich der Johann plötzlich am Arm fest: »Halt! Droben auf dem Schneidersrangen ist was los, das müssen wir abwarten!«

Der Mond erleuchtete das Dorf taghell; ohne Mühe erkannten wir den Bergkasper, den Schülzle und Schneidersheiner, die in voller Arbeit waren, den Mistschlitten des Laubschneiders auf dem First seines Schuppens zu befestigen und droben wieder mit Mist zu beladen. Während der Bergkasper noch rittlings auf dem Dach saß und den Schlitten mit seiner Ladung vollends in Ordnung brachte, trug der Schülzle heimlich die Leiter vom Schuppen weg, der Heiner aber klopfte an das Kammerfenster des Laubschneiders und rief: »Schneider, steht geschwind auf, es sind Spitzbuben im Hof, sie stehlen Euch den Schlitten mit sammt dem Mist!«

Wie der Blitz riß der Gerufene das Fenster auf; da er Niemand mehr erblickte, schrie er: »Potz Blitz Feiwerzeiwg! Ich will eiwch! Alte – Alte – steh' auf! – Spitzbuben im Hof! Wo ist mein Gewehr? – Wart, ich will eiwch, will eiwch! – Alte! mach' Licht! – Wo ist das Feiwerzeiwg? – Spitzbuben im Hof! – Hülf! – Mordjo! – Alte, das Feiwerzeiwg und mein Gewehr!«

76 Dabei war er in seine Kleider gefahren und plötzlich erschien er in der Hausthür. Als er den Bergkasper erblickte, der in großer Bedrängniß neben dem Schlitten auf dem Schuppendach saß und laut seine ungetreuen Helfer verwünschte, ballte er beide Fäuste und schrie: »Potz Nadelbüchsen und Bügeleisen! Was hast Du auf meinem Schuppen zu thun? – Und – ha potz Blitz Feiwerzeiwg! Das ist doch aus der Weis'! – Mein Schlitten und mein Mist ist auch droben? – Dich soll ja gleiwch ein Donnerwetter! – Was sind das für Streiwch? Geht man so mit einem Mann um, der Schulen genossen und heiwt noch Orthographie im Kopf hat? – Willst gleiwch runter? – gleiwch im Augenblick? – Wart, ich will Dich, Du nichtsnutziger Dingerts!«

»Wenn Ihr zu mir wollt, geht doch jauf!« schrie jetzt der Kasper in verzweiflungsvollem Trotz, da er nirgends einen Ausweg zur Flucht entdecken konnte. »Vejückte Ke'l – macht doch den Läjm nicht ga zu ajg!«

»Was, was, was? Verrückter Kerl? – Ich verklag' Dich, Kasper, daß Du's weiwßt! Und wenn Du zehnmal mein Schwiegersohn werden willst – heiwt noch lauf' ich zum Herrn Amtmann und verklag' Dich!«

»Eue Schwiegesohn? – Hätt's auch gedacht! Das müßt' mich gjad beißen! Ich hust' Euch was und wed Eue Schwiegesohn!«

»Was was, was? – Das geht an meine Ehr! Potz Blitz Feiwerzeiwg! Heiwt noch verklag' ich Dich, Du sollst an mich denken! – Und willst Du jetzt gleiwch runter? – gleiwch im Augenblick runter!«

»Ich sitz lang gut!« trotzte Kasper. »Geht doch jauf, wenn Ihr Euch ga so ajg nach mi sehnt!«

77 »Wart, ich will Eiwch! – Ich mach' Dir Beiwn!« schrie jetzt der Schneider, lief nach seinem Reisighaufen, riß die Prügel heraus und warf damit nach Kasper. Dieser deckte sich hinter den Schlitten und bombardirte seinen Gegner mit festgefrorenen Mistbrocken. Dieß dauerte, bis Beiden die Waffen ausgingen; als darnach aber der Schneider nach einer Leiter lief, rutschte der Kasper in seiner Verzweiflung vom Dach herab, erreichte glücklich den Boden und riß aus. Der Laubschneider hörte den Fall, kehrte um und verfolgte scharf den Flüchtling. Neben seiner Hausecke rannte er an den Schneidersheiner, der sich über den gelungenen Streich todtlachen wollte, und ritz, ratz! – brannte er dem Verblüfften ein paar Ohrfeigen auf, daß es nur so knallte! Das war dem Heiner außer Spaß, er stellte sich; bald rannte der Laubschneider auf seine Hausthür los und brüllte: »Hülf – Hülf! – Spitzbuben – Räuber – Mörder! – Feiwer, Feiwer!«

In den Nachbarhäusern ward es lebendig, darum zog es Heiner vor, sich aus dem Staub zu machen; in seiner Stube begann aber der Schneider erst recht zu lärmen, fort und fort rief er nach seinem Gewehr, obgleich er kaum ein Taschenmesser besaß, geschweige eine Flinte.

Johann kam lange nicht zu sich vor Lachen; endlich meinte er: »Der ganze Schneidersrangen ist rebellisch, da wird's kaum gehen, daß ich die Dorthee aufweck'. Doch will ich mein Möglichstes thun! – Gut' Nacht, Karl; gib die Hoffnung nicht auf, ich sag' Dir, es wird noch Alles gut.«

In der Schule rechneten eben die letzten Spieler ab und verließen das Haus; kummervoll schlich ich auf meine Kammer, trotz aller Müdigkeit floh der Schlaf meine Augen. 78

 


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