Heinrich Schaumberger
Umsingen
Heinrich Schaumberger

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

3.

In der Nacht hatte sich die Kälte gestoßen, der Wind 35 war umgesprungen, eine dünne, weiße Wolkenschicht begann den Himmel zu umziehen – den Vetter erfüllten diese Vorzeichen eines nahen Witterungswechsels mit großen Sorgen. Gerne überließ er mir allein die Leitung des Gottesdienstes – es standen ihm ja große Beschwerden bevor. Heute sah man wenig ältere Personen in der Kirche, nach alter Sitte füllte das Jungvolk in buntfarbigen Gewändern Schiff, Empore und Chor. Auch Margareth trat ein, so frisch und schön! Mir klopfte das Herz; als mich gar ein flüchtiger Blick ihrer Blauaugen streifte – ja da setzte ich mich auf die Orgelbank und mag wohl die Orgel zu allerlei Ungehörigkeiten mißbraucht haben. Der liebe Gott wird mir das gewiß verzeihen, hat ja mein Spiel der Andacht nicht geschadet; wenigstens rühmten die Bergheimer mein heutiges Eingangspräludium so über die Maßen, daß der Vetter verwundert den Kopf schüttelte. Er würde ihn noch mehr geschüttelt haben, hätte er meine Phantasie gehört!

Nach dem Mittagsessen rückten die Umsinger in hellen Haufen an. Am Mittag sang und spielte es sich doch anders als am kalten Abend, bald erklang fröhlich unser Lied:

Zu des Lebens Freuden schuf uns die Natur,
    Aber Gram und Leiden machen wir uns nur;
    Kümmern uns und haben unsre große Noth,
    Und doch gibt den Raben täglich Gott ihr Brod.

Nur durch seinen Segen keimt und reift die Saat,
    Er gibt Sonn' und Regen ihr ohn' unsern Rath;
    Kleidet auf dem Felde seine Blümchen an,
    Was mit allem Gelde doch kein König kann.

Jagt doch alle Sorgen, Freunde, weit von euch,
    Lebet nicht für morgen, lebet heute gleich! 36
    Auf dem Pfad des Lebens blüht manch' Blümchen still,
    Keines blüht vergebens, wer's nur pflücken will!
                        —   —   —   —   —

Um die äußere Ordnung beim Umsingen kümmerte sich der Vetter wenig, das Regiment überließ er seinem Freund, dem ernsten Zimmerdick, der auch streng die Ordnung aufrecht erhielt. Die Alten, der Wasserfuchs, der Hanshenner, der Hansaden thaten zu Zeiten auch ehrbar, aber sie hatten den Schalk im Nacken. Nur der Schneidershannikel von Sülzdorf legte sich keinen Zwang auf und trieb nichts als »Dummheiten«, wie der Hansaden mißbilligend bemerkte.

Stillere friedfertigere Gesellen als die beiden Hornbläser konnte es nicht geben und dennoch rief Niemand so viel Unfug hervor, als eben sie. Den Einen kennen wir bereits. Der Schmiedsjakob verdankt seinen Namen »Willer« bloß seinem rauhen, grimmigen Aussehen und seinem groben Wesen – im Herzen ist er der gutmüthigste Kerl, daheim ein musterhafter Ehemann und Vater. Ein geplagter Mensch, der Schmiedsjakob! So will er es durchaus nicht leiden, wenn er »Willer« gerufen wird, und doch, so oft es geschieht, kann er gar nicht anders, er muß schleunigst herumfahren und fragen: »Wos is?« Dieser Fehler seiner Natur, die sich nun einmal an diesen Namen gewöhnt hat, das endlose Gelächter, das stets seinem: »Wos is?« auf dem Fuße folgt, bringen ihn fast zur Verzweiflung. Noch größer ist sein Zorn, ruft ihm ein Kamerad zu: »Jakob fall' ei' – einszweidrei!« Sein Elend voll machen die Hornsolis; – wie er sich auch plagt, er bringt eben keines fertig; bloß wegen der Hornsolis steht er zu Zeiten mit dem Herrn Kanter auf gespanntem Fuß. Doch leistet ihm hierin 37 sein Nebenhornist, der sulzdorfer Schneiderskasper, treulich Gesellschaft; wenn es überhaupt möglich ist, haßt dieser die Soli noch ärger als selbst der Jakob. »Unsere Hornisten muß der Herrgott im Zorn extra für einander erschaffen haben!« sagte einstmals der Schneidersnikel; noch zutreffender war Hansadens Ausspruch: »Von unsern Hornisten ist immer einer garstiger als der andere; man weiß nicht, welchem der Vorzug zu geben ist, was Garstigkeit betrifft!« Abgesehen von dieser unergründlichen Verschiedenheit waren sich die beiden wortkargen Gesellen innerlich und äußerlich zum Verwechseln ähnlich. Auf den kleinen Gestalten saßen unverhältnißmäßig dicke Köpfe; was an den Beinen zu kurz, war an den Armen zu lang gerathen, und bei der Bildung der Füße und Fäuste mußte die Natur den Köpfen nachgearbeitet haben, was Größe betrifft. Alles an ihnen war grob zugeschnitzt, eckig, knorrig; tief herabhängende buschige Brauen gaben den Blicken etwas Unheimliches, Bissiges, und die vertrocknete, runzelvolle Haut vollendete den finstern, grimmigen Ausdruck. War aber schon der Jakob nicht so bösartig als er aussah, so war es der Schneiderskasper erst recht nicht; hatte man sich an ihr Aeußeres, an ihre kurz abgebrochene, in Worten eben nicht wählerische Sprechweise gewöhnt, so konnte man die drolligen Käuze wohl liebgewinnen – ein gutes Gemüth bleibt eben immer das Köstlichste am Menschen, und das besaßen ja die beiden »Schwarzen«, wie sie sich selber gerne nannten, in reichem Maße.

Um aber die Aehnlichkeit zwischen den beiden wunderlichen Gesellen zu vollenden, hätte dem Schneiderskasper auch ein Spitzname gehört – und auch dieses Anhängsel fehlte 38 ihm nicht. Als sülzdorfer Tropfhausbesitzer – Hintersitzer heißen die Glücklichen! – hatte er nicht das Recht, Hühner oder Gänse zu halten, dieß stand bloß den Bauern und Gemeindeberechtigten, den Vollbürgern, zu. Nun stand aber Kasper's Häuschen dicht an der Wertha, sein einziges Wieslein stieß an den Gemeindegänsrasen – jahraus, jahrein mußte der unglückliche Schneider die Gänse sich auf dem Rasen und im Fluß tummeln, mußte sie zu stattlichen Braten heranwachsen sehen, mußte ihr Geschnatter und Geschrei anhören und sich über ihre räuberischen Einfälle in sein Eigenthum ärgern. Das stieg Kasper endlich zu Kopf; die Plage ward er nun einmal nicht los, so wollte er wenigstens den Vortheil mit den Nachbarn theilen. Ohne die Gemeinde um Erlaubniß zu fragen, schaffte er sich ein Heerdchen Gänse an und trieb es auf den Gänsrasen. Natürlich klagte die Gemeinde; Kasper mußte die Thiere abschaffen und Strafe zahlen. Schon jetzt klagte er: »Die Gäns', Alte, die Gäns' sind ein Nagel zu meinem Sarg!« Von der Zeit an warf er einen grimmigen Haß auf die unschuldigen Thiere; auf seinem Schneiderstisch lagen immer Prügel und Steine bereit; wehe der Gans, die es wagte, die Grenze seines Grundstückes zu überschreiten – ehe sie sich's versah, ereilte sie ihr Geschick! Durch die Uebung erlangte Kasper mit der Zeit eine wundersame Fertigkeit im Werfen, selten verfehlte er sein Ziel; das machte ihn übermüthig, er begann auch unschuldige Gänse zu morden, und als dann der Gänshirt dahinter kam, setzte es böse Händel mit den Besitzern. Kasper kam aus den gerichtlichen Klagen und Strafen nicht mehr heraus, und jetzt klagte seine Alte: »Die Gäns', Kasper, die Gäns' sind unser Untergang!« 39 Das Wort verbreitete sich rasch durch's Dorf, die Kinder riefen es ihm auf der Gasse nach, im Wirthshaus reizten ihn die Gäste damit. Zuletzt kürzte man und nannte den Schneider einfach: »Gänskasper!« Und der Name blieb ihm, auch als sein Zorn über die schnatternden Thiere sich längst gelegt, als er den Krieg gegen sie aufgegeben und sie ungestört auf dem Rasen und im Fluß herumtummeln ließ.

Obgleich die Schwarzen selten ein Wort redeten, trugen sie doch das Meiste zur Erheiterung der Musikanten bei; sie waren es auch schon gewohnt, daß auf ihre Kosten gelacht wurde, und kümmerten sich nicht mehr darum. Nur ihre Spitznamen wollten sie nicht dulden und von den Hornsolis nichts hören – rührte ein Kamerad daran, dann hatte er es aus bei ihnen; die Abfertigung, die er dann erfuhr, war nicht fein, aber saftig!

Das Loos, Hansnarren der Musikanten zu sein, theilte mit ihnen nur noch der Bergkasper, den wir noch von der Lichtstube her kennen. Sein Sprachfehler war eine unversiegbare Quelle des Vergnügens. Wunderlicher Weise glaubte der Bergkasper selber durchaus nicht an den Mangel seiner Sprachwerkzeuge, das Gelächter seiner Kollegen schrieb er allein auf Rechnung seines Witzes und hielt sich zuletzt selbst für einen »grausamen Spaßvogel«! Zwischen ihm und den Schwarzen bestand grimmige Feindschaft.

Von den übrigen jungen Musikanten war der Schneidersheiner der seines Vaters würdige Sohn des Schneidershannikel, der Schulzenhanjörg von Tiefenort, kurzweg Schülzle genannt, ein »Racker«, wie sich der Gänskasper ausdrückte, und der Mühljohann eine gute, lustige Seele. Der Eckenpeter zeichnete sich durch eine langsame Bedächtigkeit aus. 40 Es war, als läge ihm eine ewige Müdigkeit in den Knochen. Nur wenn es zum Trinken kam, dann war er gar nicht langsam.

Die übrigen Musikanten waren stille Leute, die sich weder im Guten noch Bösen hervorthaten und eben so mitliefen.

* * *

Heute waren die Musikanten viel lebendiger denn gestern. Der Zimmerdick mußte scharf aufpassen, und doch geschahen der losen Streiche genug. Als wir vor dem Hänsleshaus sangen, blickte die Dorthee selbstvergessen nur auf ihren Johann. Heimlich warf der Schülzle eine Hand voll Schnee an die Scheiben; heftig erschrocken, mit lautem Aufschrei fuhr das Mädchen zurück. Der Vetter drohte dem Thäter, mußte aber auch mitlachen.

Auf dem Schneidersrangen lugte die Schneidersmargthbar durch die Scheiben und verwendete kein Auge vom Bergkasper, was diesen gewaltig verdroß. Auch ihr Vater, der kleine, gelbe Laubschneider stand gravitätisch im Fenster. Das war auch ein wunderliches Menschenkind, der Laubschneider! Ursprünglich zum Lehrer bestimmt, aber wegen mangelnder Mittel gezwungen, Schneider zu werden, hatte er mehr gelernt, als seinem gesunden Verstand gut war, und doch wieder zu wenig, um was Rechtes zu sein. Die Schneiderprofession hatte ihm nie behagt, darum waren auch seine Leistungen nicht weit her; als er nach seiner Verheirathung die ersten Proben seiner Geschicklichkeit in Bergheim ablegte, schrieen die Betroffenen Ach und Wehe über ihn, und von Stund' an vertraute man ihm nicht einmal mehr alte 41 Lumpen zum Ausflicken. Der Schneider legte sich nun auf Landwirthschaft und bearbeitete mit seinen beiden Weibsleuten sein einziges Grundstück, einen Acker mit einem Wieschen und einem Streifen Schrotholz, das er selber »seine vierte Bitte« nannte. Da er sich nun den lieben langen Sommer auf »der vierten Bitte« herumtrieb, während seine Weiber auf Taglohn gingen, in Feld, Wiese und Wald mühselig genug das Futter für seine Kuh zusammensuchte, dabei auch die Linden- und Haselbüsche keineswegs verschonte, legte ihm der Dorfwitz den zutreffenden Namen bei: Laubschneider! Neben andern Sonderbarkeiten hatte der wunderliche Mann auch noch die eigenthümliche oberländer Mundart beibehalten.

Um ihn zu necken, fragte nach Schluß des Gesanges der Wasserfuchs: »Nu, Schneider, hat's Euch gefallen?«

»Eiwer (euer) Lied war nicht schlecht,« entgegnete der Gefragte mit Selbstgefühl, »nur die Posaune hat falsch geblasen! – Was, was, was? – Ich versteh' nichts davon? – Ich bin ein Mann bei der Spritz', hab' Schulen genossen und heiwt (heute) noch Orthographie im Kopf! Ich will eiwch (euch) sagen, wo's g'fehlt hat: mein Herr Nachbar, der Hansaden, hat seine Posaune nicht g'schmiert. Herr Nachbar, geht rein, ich geb Eiwch ein Stückle Speck für Eiwren Posaunenzug!«

Hansaden kränkte das Lachen um so tiefer, da er wohl wußte, daß er öfter anders geblasen hatte, als es im Buch vorgezeichnet war; besonders wurmte ihn die Anspielung auf den schlechten Zustand seiner Posaune. Sehr verdrießlich sagte er darum: »Mit Euch mag ich mich gar nicht einlassen, so ein Laubschneider ist mir viel zu einfältig!«

42 Damit ging er verächtlich davon. Der Schneider aber drohte ihm mit geballten Fäusten aus dem Fenster nach und schrie wie ein Zahnbrecher: »Was, was, was? – Laubschneiwder? – Ich will Eiwch, ich will Eiwch! – Laubschneiwder – Potz Blitz Feiwerzeiwg (Feuerzeug)! Ich bin ein gelernter Schneiwdermeiwster, hab' Schulen genossen und heiwt noch Orthographie im Kopf! Ich will Eiwch! – Heiwt noch lauf' ich zum Herrn Amtmann und verklag' Eiwch!«

Der Vetter beruhigte den zornmüthigen kleinen Mann, wir aber hatten längst vor dem nächsten Haus unser Lied vollendet, ehe der Schneider endlich sein Fenster zuwarf.

Im Herrenhof beschlossen wir unser heutiges Tagewerk. – Sonderbar die Musikanten trampelten lachend durch einander, Niemand machte Anstalt zum Fortgehen, auch das Umsinggeld blieb aus. Endlich öffnete sich droben ein Fenster, der hemdärmelige Herrnbauer blickte, die kurze Tabakspfeife im Munde, vergnüglich in das Gewühl und meinte endlich: »Nu, wie wird's? – Wollt ihr nicht einkehren?«

»O Herrjele, Bauer,« schrie der Schneidersnikel und fuchtelte mit seiner ›Klanet‹, »am Wollen liegt's nicht!«

»Ha – auf was wartet ihr denn noch?« fragte der Bauer, anscheinend sehr verwundert.

»Wir haben gedacht,« begann der Zimmerdick, »Ihr hättet uns fährden überdrüssig kriegt, weil uns Niemand nein heißt!«

»Ach was, das ist ja dummes Zeug, macht keine Präambeln, geht rein!« nickte der Bauer und schloß das Fenster.

Darauf hatten die Musikanten gewartet, jubelnd und 43 lachend prasselte der Schwarm in die helle, große Bauernstube, umdrängt und gefolgt von der gesammten lauffähigen Jugend, die sich sofort in die Hell drängte und die Ofenbänke in Besitz nahm.

In der Ecke hinter dem Familientisch zogen sich grüne Tannenäste an der Decke weit in die Stube herein, statt eines Christbaums mit Zuckerwerk, rothen Aepfeln, goldenen Nüssen und blitzenden Glaskugeln sinnig geschmückt. Der Tisch darunter brach fast unter der Last der aufgehäuften Speisen; da gab es: Kuchen, Weiß- und Schwarzbrod, Braten, Schinken, Wurst, Butter und Käse. Dabei stand in hellen Gläsern Bier und Branntwein, selbst der geliebte Tabak fehlte nicht.

Dieser erfreuliche Anblick machte tiefen Eindruck auf die Schwarzen; kaum nahmen sie sich Zeit, Mäntel und Hörner abzulegen, dann fuhren sie ohne Gruß, wie Geier, hinter den Tisch auf die besten Plätze und stopften die Pfeifen. Die andern Musikanten waren manierlicher und begrüßten freundlich den Hausherrn. Der Vetter unterhielt sich mit der Bäurin, die ihrem Töchterlein, der sechzehnjährigen Lisbeth, zuflüsterte: »So red' auch ein Wort mit dem Herrn Kanter, zier' Dich nicht so dumm, Dein Mundwerk ist doch sonst immer vorndran.« Das machte das Mädchen vollends verlegen, blutroth vor Angst steckte es den Schürzenzipfel in den Mund und lief davon. Lachend tröstete der Vetter die scheltende Bäurin, und als er sich an den Tisch setzte, sahen sich auch die Choradstanten nach Plätzen um. Der Wasserfuchs, Hanshenner und Hansaden tauschten einen Blick, wie zufällig stellten sie sich hintereinander – rutsch! 44 saßen die Schwarzen in der hintersten Ecke und konnten sich kaum rühren. »'s Donnerwetter, was ist das für 'ne Art?« fluchte der Wille, der unsanft an die Wand gefahren war. Darauf tröstete der Gänskasper sich und ihn: »So – nun ham wir's!«

Draußen hatte sich ein heftiges Schneegestöber erhoben, da war es nun so recht behaglich in der warmen Stube unter dem Christbaum zu sitzen, inmitten einer wohlwollenden Familie, umgeben von ehrlichen, lustigen Gesichtern. Ein ehrbares Gespräch kam in Gang. Die Musikanten klagten ernsthaft über die einreißenden schlechten Zeiten, verhandelten mit dem Hausherrn über Krieg und Frieden, Vieh und Getreidepreise, über die Ernteaussichten auf's nächste Jahr, und gingen mit der Bäurin gründlich die Familiengeschichte des Herrnbauers und ihrer Verwandtschaft durch. Darnach vertheilte der Vetter die Noten und Liederbücher, ermahnte zur Aufmerksamkeit, und einige von den neuen Arien wurden vorgetragen. Der Herrnbauer lauschte andächtig in seinem Sessel, die Bäurin wischte sich die Augen und nickte ihrem Alten glückselig zu, daß der Valtin, ihr einziger Sohn, beim Herrn Kantor stehen durfte und so schön singen konnte.

»Nummer neunundvierzig!« sagte der Vetter.

»'s Donnerwetter, nu hat m'r die Pasteten!« knurrte der Schmiedsjakob und der Gänskasper begann zu schwitzen.

»Die Solo, ihr Männer, die Solo!« sagte der Vetter ein wenig neckisch.

»'s wird gemacht, Herr Kanter; seid ganz außer Sorg', 's wird gemacht!« versicherte der Gänskasper zuversichtlich, indem er sich mit dem Jackenärmel den Schweiß von der Stirn wischte.

Nachdem die Hörner gründlich ausgegossen waren, 45 Gänskasper dem Willen zugeflüstert hatte: »Paß auf, wenn's kömmt!« begann das Lied. Als der erste Vers zu Ende ging, wurden die Schwarzen unruhig. Der Gänskasper stieß den Willen in die Seite: »Jakob, fall' ei'!«

»Eins, zwei, drei!« zählte dieser.

»Ja, was fällst Du nicht ein?« knurrte Gänskasper.

»'s Donnerwetter! – hab' mich rein verzählt!« entschuldigte sich Jakob.

»'s wird noch, Herr Kanter, 's wird noch!« beruhigte der Gänskasper den Vetter vor Beginn des zweiten Verses.

Beim Nahen der bösen Stelle stieß der heftiger schwitzende Gänskasper seinen Nachbar abermals an: »Jakob, fall' ei'!«

»Eins, zwei, drei! – 's Donnerwetter, was fällst Du nicht ein?« schrie Jakob erzürnt.

»Komm' mir nicht so rund!« begehrte Kasper auf. »Hab' ich nicht auf Dich gewartet?«

»Aber ihr Männer, was ist das?« sagte der Vetter verdrießlich.

»'s kümmt noch, Herr Kanter!« beruhigte ihn Kasper. »Hinzig kümmts ganz gewiß!«

Die Hörner wurden angegossen, die Schwarzen wischten sich die Schweißtropfen aus den Augen, dann begann der letzte Vers. Wieder stieß Kasper den Willen an: »Jakob, fall' ei'!«

»Eins, zwei, drei!« zählte dieser gewissenhaft, dann fuhr er auf: »'s Donnerwetter, mit dem verfluchten Geknuff! Hab' ich's jetzt so fein gehabt, kommt mir der Schafskopf in die Seiten – weg ist's!«

»Was, Schafskopf?« schrie der Gänskasper. »Du dummer Jakob, Du bist ja nicht einmal einer!«

46 »'s Donnerwetter! – was? ich wär' kein Schafskopf? – Sag's noch einmal, Du – Gänskasper!«

»So! Derjenige bist Du?« sagte der Kasper tief gekränkt. »So, so! – Merk's, Du Grobschmied; aus ist's zwischen uns!« Und soweit es sich bei ihren beschränkten Plätzen ausführen ließ, drehten sie sich den Rücken zu.

Der Vetter konnte nicht tadeln, er mußte auch mitlachen. Als sich der größte Sturm gelegt, sagte der Bauer: »Herr Kanter, laßt's gut sein und ärgert Euch nicht, ich hab' wahrlich Respekt kriegt vor den neuen Arien. – Nun ist's genug, legt die Instrumente weg und langt zu!«

Das ließen wir uns natürlich nicht zweimal heißen, die Berge von Lebensmitteln schmolzen sichtbar zusammen. Besonders erfreute mich, daß die Bäurin auch unter die Kinder Brod und Kuchen vertheilte; ihre verlangenden Blicke nach uns hatten mir fast wehe gethan.

Als darnach die Pfeifen brannten, der Streit der Schwarzen nochmals gründlich belacht worden war – zu ihrem großen Verdruß! – fragte der Wasserfuchs die Herrnbauersmagd, die noch nicht lange aus dem Nachmittagsgottesdienst zurückgekehrt war: »Hat der Herr Pfarrer wieder Christenlehr' gehalten, weil die Kirch' so ewig lang gedauert hat?«

Der Schneidershannikel war eben im Begriff, seine Pfeife anzubrennen; als die Magd bejahte, hielt er mit Rauchen inne und rief: »Hört, bei der Christenlehr' fällt mir eine Geschicht' ein!«

»Paß auf, 's kommt wieder eine, daß sich die Balken biegen!« rief der Hanshenner und stieß den Hansaden so 47 heftig an, daß diesem vor Schreck fast die Pfeife aus dem Mund gefallen wäre.

»So? – was Du nicht Alles weißt!« schrie der Hannikel und brannte seine Pfeife an. »Hast Du schon eine Lüge von mir gehört?«

Als sich das Gelächter gelegt, begann er: »Also der Kreuzmannsjakel von Grumbach war – –«

»Holla,« jubelten die Musikanten durch einander, »'s ist vom Kreuzmannsjakel, da wird's gut!«

»Wenn ihr nicht gleich still seid, erfahrt ihr kein Wort!« sagte der Schneider trocken, und erst als gänzliche Ruhe eintrat, begann er wieder: »Also der Kreuzmannsjakel war einmal in der Christenlehr'. Kommt der Pfarrer zu ihm und fragt: ›Weß Glaubens ist Er?‹ – Ernsthaft sagt der Jakel: ›Ich bin von Grumbach!‹ – ›Ach was!‹ meint der Pfarrer, ›ich habe Ihn gefragt, weß Glaubens Er ist!‹ – Herzhaft gibt der Jakel zur Antwort: ›Nu ja, ich bin von Grumbach!‹ – Jetzt wird der Pfarrer ärgerlich und fährt ihn an: ›Ist Er bei Trost? was soll das heißen?‹ – – ›Ja was soll das heißen?‹ fährt nun auch der Jakel auf. ›Ihr wißt so gut, wie ich, daß 's in Grumbach keine Katholiken, keine Juden, Türken und Heiden gibt – so werd' ich auch keiner sein!‹

»Ihr seid ein gottloser Mensch!‹ lachte die Bäurin.

»Wie Du nur immer auf solche Geschichten kommst!‹ wunderte sich der Wasserfuchs.

»Wie ich drauf komm'!« höhnte der Schneider. »Kann ich dafür, daß der Kreuzmannsjakel nicht so auf's Maul gefallen ist wie Du?«

»Dahinter steckt noch was!« rief der Herrnbauer und 48 wischte sich die Lachthränen aus den Augen. »Raus damit, Hannikel, Ihr sollt nicht an Herzdrücken sterben!«

»Glaub' nicht, daß mir das Unglück bevorsteht, Bauer!« lachte nun auch der Schneider. »Also – aber ihr müßt's nicht glauben, wenn ich gleich die Geschicht' verbürgen kann! – also wie einmal eines Sonntags in der Frühe der Kreuzmannsjakel auf dem Weg zur Kirch' ist, begegnen ihm ein Haufe Studenten oder sonstige lustige Stadtherrle. Die müssen über Jakel's Anzug lachen; närrisch genug mag auch der alte Kerl ausgesehen haben in seinen weißen Strümpfen, gelben Lederhosen, mit seiner brennfeuerrothen Weste, dem grasgrünen Kirchenrock und dem hohen schwarzen Hut auf dem Kopf. Genug, die Herrle lachen über den ›alten Stieglitz‹, und um ihn zum Besten zu haben, geht einer zu ihm und fragt: ›He, Alter, um was trauert Ihr?‹ Der Kreuzmannsjakel, den das Lachen schon verdrossen hat, gibt zur Antwort: ›He, um was? Um euern Verstand trauer' ich, weil ihr gar so dumm fragt!‹«

»'s ist aus der Weis' mit dem Hannikel!« rief die Bäurin, die vor Lachen ganz außer Athem kam.

Derweil wurden die übrigen Musikanten auch warm, die Geschichten jagten förmlich einander, eine immer lustiger als die andere. Die Bäurin bat: »Ihr Männer, um Gotteswillen hört auf, das Lachen bringt mich rein um!«

Nur die Schwarzen saßen trübselig in ihrer Ecke, aßen nicht, tranken nicht, rauchten nicht und kehrten sich noch immer den Rücken zu. Endlich konnte der Schmiedsjakob die Feindschaft, Hunger und Durst nicht länger ertragen. Wehmüthig knurrte er: »Kasper!«

»Jakob?« fragte dieser ebenso.

49 Jakob drehte sich ein wenig herum. »Kasper, so thut's nicht gut, meiner Seel', 's thut nicht gut!«

Kasper machte nun ebenfalls eine Achtelswendung. »Du hast zuerst geschimpft – und ich hab's so gut im Sinn mit Dir!«

»Die verfluchten Hornsolo bringen mich noch unter die Erden!«

»Die Racker sind am ganzen Unglück schuld.« Dabei machten die Gegner wieder eine Wendung.

»Kasper – verzeih' mir!« schrie Jakob mit plötzlichem Entschluß, drehte sich ganz herum und streckte die Hand aus.

»Ist's Dein Ernst?« fragte Kasper. Darnach drückten sich die Hornisten die Hände und fielen mit Hast über Speisen und Getränke her.

Unterdessen hatten sich noch einige Kamerädinnen der Lisbeth eingefunden, und als der Vetter ihre Ungeduld bemerkte, gab er den Musikanten einen Wink. Seufzend legten die Alten ihre Pfeifen weg und griffen nach den Instrumenten.

»He – Willer!« rief plötzlich eine Stimme.

»Wos is?« fuhr Jakob herum; als aber ein lautes Gelächter ausbrach, schrie er: »'s Donnerwetter, wer hat mich Willer geheißen?«

»Du bist ein Narr!« beruhigte ihn der Gänskasper. »Da, nimm Dein Horn und sei still!«

Während sich die Musikanten fertig machten, that der Schneidersnikel einen tiefen Zug aus dem Bierglas, zwinkerte mit den Augen und begann: »Auf der buchbacher Kirmse kommt der gießhübler Buttermann und sagt: ›He, mein 50 Jung' ist auch Musikant, aber er geigt links; wenn er auf die klein' Saiten kömmt, meint m'r, er wird 's Teufels!« Ohne das Gelächter zu beachten, fuhr er mit der ›Klanett‹ in den Mund und stimmte einen lustigen Walzer an.

Dem Herkommen nach hätte nun der Vetter mit der Bäurin den Tanz eröffnen müssen; da das nicht anging, trat ich an seine Stelle. War das ein lustiges Durcheinander! Die Dienstboten zogen ihre Herrschaft in den Reihen, die jungen Musikanten schwangen sich mit der Lisbeth und ihren Kamerädinnen herum, zuletzt bekamen sogar die Diskantbuben Muth und vermehrten das Gewühl. Dabei ward es Nacht, ehe wir uns dessen versahen; trübe Talglichter erhellten spärlich die Stube, von der Decke blitzten die goldenen Nüsse halb verloren durch den Dunst, wie Sterne durch Nebel. Ermüdet und nach Luft schnappend saßen bald Bläser und Tänzer an den Wänden; noch einmal trug die Bäurin frisch auf, der Bauer füllte die Gläser und nöthigte zum »Zulangen«. Dem Vetter und mir aber ward durch einen Kaffee eine besondere Ehre angethan. Als wir endlich nach herzlichem Dank und Abschied aufbrachen, haftete mancher Blick wehmüthig auf den erst halb geleerten Biergläsern.

Aber – hu! – das Wetter! Linder Südwind brauste hohl durch die blätterlosen Baumwipfel, Schnee und Regen durcheinander peitschte er uns in's Gesicht; dazu war eine Finsterniß, daß man die Hand nicht vor den Augen sah. Nur aus den Fenstern des Herrenhauses fluteten breite Lichtströme, und wenn die Flocken durch den Lichtkreis wirbelten, glänzten sie wie Sterne. Trotz Sturm und Wetter 51 brachten die Musikanten den Herrnbauersleuten noch ein Abschiedsständchen.

Aber das Wetter! Der Vetter und die Alten jammerten – morgen sollte ja das Umsingen in den kleineren noch zur Pfarrei gehörigen Dörfern, die eigentliche Arbeit beginnen. Wir Jungen kümmerten uns wenig darum, uns lag nur das nächtliche Tanzvergnügen droben im Wirthshaussaal im Sinn. Mir war es freilich kein Gefallen, als mich die Musikanten aufforderten, Nachts mit zum Tanz aufzuspielen; aber da sie sich theilen mußten, mochte ich es ihnen nicht absagen, zumal mir auch der Vetter zuredete.

Daheim fiel mir ein Stein vom Herzen, der Gersdorfer Schmidt war nicht gekommen, jedenfalls hielt ihn das Umsingen in seinem Dorf zurück. Mein unruhiges Wesen veranlaßte die Base zu der Bemerkung: »Was ist Dir? – Man könnte denken, Du hättest was Besonderes vor!«

»Wer weiß?« lachte ich, und eilte mit meiner Geige davon.

Auf dem Tanzboden erwarteten mich schon der Zimmerdick, der Mühljohann, Bergkasper, Eckenpeter und die Schwarzen. Wir sieben Mann bildeten das ganze Orchester, die Uebrigen spielten in Sülzdorf. Mir ward bange, was sollte das für eine Musik geben? – Lachend tröstete mich der Zimmerdick: »Streich' nur tüchtig auf, wir thun auch was wir können! Sollst einmal sehen, wie die Schwarzen Horn blasen! Das macht, weil es bei der Tanzmusik keine Solo gibt!« Unterdeß hatte der Bergkasper seine Klarinette in Ordnung gebracht; sie schnappte freilich oft über, doch das schadete nichts, kaum erklangen die ersten Akkorde eines 52 Galopps, so füllte sich rasch der Saal und der Tanz begann.

Das Gefühl der freudigen Sicherheit, mit dem ich anfangs dem Tanz der jungen Leute zusah, weil mein Nebenbuhler nicht zugegen war, erlitt bald einen argen Stoß. »Wer ist der hochmüthige Bursche, der in Einem fort mit der Wagnersmargareth tanzt und so arg vertraut mit ihr thut?« fragte ich den Bergkasper.

»Das ist der Gjafengottfjied (Grafengottfried) von Gottsmannsgjün djunten,« belehrte mich der Bergkasper, »ein jämmelich jeiche Kel!«

So! – Und ich saß auf dem Orchester! Eine Wuth auf die ganze Musik kam über mich, die unschuldige Geige hätte ich am liebsten mit Füßen getreten. Mit jedem neuen Tanz wuchs meine Unruhe; endlich erklärte ich meinen Freunden, sie sollten zusehen, wie sie ohne mich zurecht kämen, ich müsse hinab auf den Tanzboden. Der Mühljohann lachte und sprach zu meinen Gunsten; da auch der Bergkasper erklärte, er getraue sich ohne mich wohl durchzukommen, waren denn die Anderen mit meiner Entfernung einverstanden. Natürlich wollte ich sogleich zur Margareth, doch ging das nicht so schnell, meine Schulkameraden umdrängten mich mit vollen Biergläsern und ließen mich nicht durch, bis ich ihnen Bescheid getrunken hatte. Darüber begann ein neuer Tanz – richtig, dort führte der Gottfried die Margareth wieder in den Reihen. – Wie der Bursche so hochmüthig, so selbstbewußt dahin tanzte, jeder Blick, jede Miene, jede Bewegung schien zu sagen: »Bin ich nicht der reiche Gottfried, und der schöne Gottfried, und der gescheite Gottfried? Wer thut mir's gleich auf dem Tanzboden? – Ich bin der erste 53 Bursch überall!« Vor Zorn und Eifersucht ballte ich die Fäuste.

Dort in der Ecke sah ich Margarethens Mutter neben der Base sitzen, ich drängte mich nach ihnen durch und traf dabei mit der glühend aufgeregten Margareth zusammen. »Du machst Dich ja recht vergnügt!« sagte ich nach kurzem Gruß, nicht ohne einige Bitterkeit.

Margareth sah mich verwundert an. »'s macht sich!« sagte sie leichthin und wendete sich an die Wagnerschristel: »Mutter, wir wollen heim!«

»Ach, Mädle, bist Du bei Trost?« rief diese verwundert. »Wo denkst Du hin, der Tanz ist ja kaum angegangen!«

»Margareth«, sagte ich, »die Musik beginnt, willst Du nicht einen Reihen mit mir tanzen?«

Margareth stand unschlüssig; als die Mutter verwundert ausrief: »Nu, Mädle, was soll das sein? Kannst Du nicht reden?« begann sie leise bittend: »Karl, Du weißt, wie gern ich's thät'! Ein andermal – heut' nicht, Karl, heut' nicht!«

Sie mochte wohl bemerken, wie mir das Blut in das Gesicht schoß; als nun auch ihre Mutter und meine Base fast böse wurden, sagte sie mit tiefem Seufzer: »So komm'!– Du wirst sehen, was geschieht!«

Wie hatte ich mich darauf gefreut, mit Margareth zum Tanz anzutreten – und nun! Als ich Gottfried auf uns loskommen sah, wandelte mich die Lust an, Margareth zuzurufen: »Verstell' Dich nicht, ich kenn Dich doch! Tanze nur mit dem eiteln Narren, wenn er Dir lieber ist, als ich!« Doch hielt ich an mich, und als ich Gottfried's Enttäuschung bemerkte, seinen Zorn, kam die Lust über mich, ihm und ihr zum Trotz nun recht viel mit Margareth zu tanzen. Ich 54 wollte auch freundlich mit Margareth thun, aber so weit reichte weder meine Selbstbeherrschung noch meine Verstellungskunst.

Kaum traten wir einmal aus der Reihe, Athem zu schöpfen, so stand auch schon Gottfried vor uns, legte dreist seinen Arm um das Mädchen und sagte barsch: »Komm', jetzt wird Solo getanzt!«

»Oha!« rief ich wild lachend und stieß ihn heftig zurück. »Da hab' ich auch ein Wort mit drein zu reden!«

»Ho ho! Will sich das Präzepterle patzig machen?« schrie Gottfried und riß das weinende Mädchen an sich. »Her gehst Du, nun erst recht tanze ich mit Dir!«

Das war doch zu stark; außer mir über solche Beschimpfung, gab ich dem Burschen eine Ohrfeige aus dem Salz und sprang zwischen ihn und Margareth. Unser Streit hatte unterdessen Aufsehen erregt, der Tanz war unterbrochen, die bergheimer Bursche, erbost über die Frechheit eines Fremden, sammelten sich um mich, die Gottsmannsgrüner um Gottfried – eine Hauptprügelei schien unvermeidlich. Nun wurden aber auch meine Musikanten aufmerksam, der Wilde schrie: »'s Donnerwetter, wos is mit unerm Präzetter? – Laßt mich nunter komm'!« Der Eckenpeter schrie; »Nur nicht grrrrand gethan!« und drängte sich mit dem Mühljohann und dem Bergkasper zu mir durch. Aber auch der Zimmerdick schob sich jetzt durch die immer enger zusammendrängende Menschenmasse. Mit lauter Stimme gebot er Ruhe; als Gottfried trotzdem fortkrähte, gab er ihm eine Ohrfeige daß er taumelte, und schrie: »Wer sich jetzt noch zückt, den werf ich mit eignen Händen die Treppe nunter! – Ihr bergheimer Schlafkappen, wollt ihr euch von den fremden 55 Lausbuben verspotten lassen? – – Ordnung muß sein. Fällt noch eine Unart vor, ist der Tanz aus, merkt das!«

Das wirkte! Alle Bursche standen plötzlich gegen die Gottmannsgrüner, die, in Betracht ihrer Minderzahl, knirschend nachgaben. Als ich mich aus dem Menschenknäuel herausgearbeitet, sah ich Margareth mit ihrer Mutter den Saal verlassen. In tausend Aengsten kam die Base auf mich zu und wollte mich durchaus mit heimnehmen, nur mit Mühe ward ich sie los. Die tückischen Blicke Gottfried's kümmerten mich wenig, die Tröstungen, das Lob meiner Freunde beachtete ich nicht, mir war unbeschreiblich wehe; zu hart war ich aus meinen Glücksträumen gerissen worden.

Begreiflich war mir die Lust zum Tanzen vergangen, an meiner Stelle blieb der Mühljohann im Saal, um Ordnung zu erhalten und tanzte flott mit seiner glückstrahlenden Dorthee. Als der Bergkasper gar so trübselig in das bunte Gewimmel blickte, sagte ich: »Geh' hin, Kasper, mach' Dir Dein Vergnügen, meine Geige wird schon durchdringen, auch ohne Klarinette!«

»Mag nicht!« entgegnete Kasper und schüttelte sich. »Ja, wenn die Laubschneidersmajgba nicht wär'! Laß ich mich djunten blicken, wed ich das Weibeleut nicht los!«

Was war das doch für eine verkehrte Welt! Da wartete ein Mädchen vergeblich auf einen Burschen, und ich hing an einem Mädchen, das mich offenbar verspottete! Verstimmt geigte ich die lustigen Tanzweisen herunter, ärgerte mich, daß die Menschen so vergnügt sein konnten, und sann mich immer tiefer in meine Verstimmung hinein. Manchmal kam mir freilich die Empfindung, ich thue Margareth großes Unrecht an, aber mein Mißtrauen war nicht so leicht zu 56 besiegen. Es konnte wohl sein, daß sie heim wollte, dem Gottfried aus dem Weg zu gehen; es war möglich, daß sie mir den Tanz verweigerte, weil sie Zank und Streit voraussah – allein wer gab mir Gewißheit? War nicht wahrscheinlicher, daß sie mein Verlassen des Orchesters erschreckt, daß sie mich fern zu halten wünsche, um Gottfried's Eifersucht nicht zu erregen? Das Wort: »das ist ein jämmerlich reicher Kerl!« summte mir unaufhörlich in den Ohren. Was hatte ich, ein armer Präzeptor und Schulmeister, gegen großen Reichthum zu setzen?

Trübselig verbrachte ich die Nacht. Allmälig leerte sich das Orchester; der Zimmerdick schlich zuerst heim, den Wilden holte seine Alte ab, da er Händel suchte, der Gänskasper saß wahrscheinlich in der Wirthsstube hinter einem Schnaps, und der Mühljohann tanzte lustig mit seiner Dorthee. So blieben bloß der Bergkasper, der sich vor der Schneidersmargthbar scheute, der Eckenpeter, der nicht vom Biergießer loskommen konnte, und ich übrig, und unsere zwei Geigen sammt dem Baß vermochten den immer größer werdenden Lärm nicht zu durchdringen. Als das Lachen und Singen im Saal in Zank und Streit auszuarten drohte, packten wir unsere Instrumente zusammen, theilten den Verdienst und machten Feierabend. Zum Umfallen müde kehrte ich heim – eben schlug es drei Uhr.

 


 << zurück weiter >>