Heinrich Schaumberger
Umsingen
Heinrich Schaumberger

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1.

»Da ist er ja!« rief mein Pathe und Pflegevater, der alte, dicke Kantor von Bergheim, wie ich am Weihnachtsheiligabend, gerade als das Fest eingeläutet ward, dickbeschneit in die Stube trat. »Sagt' ich's nicht, er kommt? Wußt' ich doch, der Junge hat seine Pflegemutter und den einzigen Bruder seines Vaters nicht vergessen! – Na, Gertrud, erdrücke ihn nur nicht, will auch noch was von ihm übrig behalten. – Sei herzlich willkommen in der Heimat, Karl! – Und nun mache Dir's bequem, Du bist ja zu Haus!«

Die Wahrheit zu gestehen, so hatte ich allerdings daran gedacht, die Weihnachtsfeiertage in Blumenroth, wo ich seit 8 drei Jahren als gestrenger Präzeptor über die Schuljugend herrschte, zu verleben. Ich erwartete täglich das Regierungsdekret mit meiner Ernennung zum wirklichen Schullehrer in Großgarnstett und wollte vor seinem Eintreffen meinen Wohnort nicht verlassen. Als nun aber ein Brief von meinem Pflegevater ankam, worin er mich gar so herzlich einlud, die Ferien im Elternhaus zuzubringen und ihm beim Umsingen beizustehen – da war mein Entschluß gefaßt. Das Dekret läuft mir nicht davon! dachte ich, schmierte meine Stiefeln, packte mein Seminaristenränzel, übergab meiner alten Nachbarin meine wenigen Blumenstöcke zu treuer Pflege, und am Weihnachtsheiligabend in der Frühe wanderte ich durch dichtes Schneegestöber Bergheim zu.

Freilich, die Liebe zu den Pathenleuten, die mich nach dem frühen Tod meiner armen Eltern zu sich genommen und gehalten hatten wie ein eigen Kind, war es, ich muß es gestehen, doch nicht allein, was mich so rasch umstimmte. Noch etwas Anderes zog mich nach Bergheim. Schon als Schulknabe war ich der stillen, sanften Wagnersmargareth gar herzlich zugethan gewesen, und sie erwiderte meine Freundschaft. Nach der Konfirmation kamen wir, wie das so zu geschehen pflegt, auseinander, und als mir auf dem Seminar neue Welten, ein neues Leben aufging, ja, da vergaß ich das stille Mädchen gänzlich. Die Base sprach wohl öfter von ihr, lobte ihr sittiges, sanftes Wesen, rühmte ihren Fleiß, ihr Geschick auch in feineren weiblichen Arbeiten, die sie bei ihr erlernte, ihre Häuslichkeit und Güte; ich achtete jedoch nicht darauf. Erst später als ich auf eigenen Füßen stand und an die Gründung eines Hausstandes denken durfte, ward ich aufmerksam und begann das Mädchen in der Stille zu 9 beobachten. Margareth war zur Jungfrau erblüht, ihre Schönheit erschreckte mich fast, ich begriff nun selber nicht, wie ich das bis heute hatte übersehen können. Aber nicht bloß äußere Vollkommenheiten entdeckte ich, das Lob der Base bestätigte sich in allen Stücken – genug, bald stand es in mir fest, Margareth, keine Andere, wird einmal meine Frau. Trotzdem fand eine Annäherung nicht statt; von der Base und meinem lieben Freund, dem Mühljohann, wußte ich, daß Margareth noch keinen Schatz hatte, dagegen war es gewiß, daß sie mich gerne leiden mochte: das war mir vorläufig genug. Da ich ohnedieß als Präzeptor nicht heirathen konnte, verschob ich ernstliche Bewerbung von einer Zeit zur andern. Nun schrieb mir aber der Mühljohann vor wenigen Wochen: der mühldorfer Präzeptor, Richard Schmidt hieß er, habe ganz unerwartet die gersdorfer wirkliche Lehrerstelle bekommen und nun gehe das Gerede, er wolle die Wagnersmargareth freien. Zwar sei er schon früher einmal von der Margareth und ihren Eltern abgewiesen worden – aber jetzt habe er eine gute Stelle, man könne darum nicht wissen, was geschehe. Begreiflich machte mir diese Nachricht viel Sorgen, aber die Reue über meine Zurückhaltung besserte nichts an der Sache. Als nun die Einladung vom Vetter kam, nahm ich das für einen Wink des Himmels, beschloß meinem Nebenbuhler womöglich zuvorzukommen und eben als Präzeptor mein Heil bei dem Mädchen zu versuchen.

Und so war ich jetzt wieder in der Heimat, bei den guten, kinderlosen Pathenleuten! Ei, wie wohl ward mir im trauten Stübchen, wo jedes Eckchen liebe Erinnerungen aus der goldenen Jugendzeit erweckte, jedes Geräthe, das die Base so festlich herausgeputzt hatte. Den blankgescheuerten 10 Fußboden deckte schneeweißer, knirschender Sand, an den Fenstern waren frische Vorhänge aufgesteckt, auf dem Tisch prangte die feine Wollendecke – der Stolz der Base! – und die Kissen des alten Kanapes blickten in ihren neuen, buntfarbigen Ueberzügen fast ein wenig hochmüthig drein. Dazu war es tief still, nur die alte schwarzwälder Uhr ging ihren gleichförmigen Gang, und unter dem Ofen schnurrte die Katze. Der Vetter saß im bequemen Schlafrock, das gestickte Hauskäppchen auf dem ehrwürdigen Haupt, im Sessel zur Seite des warmen Ofens; er lachte so herzlich über meine Schnurren, daß ihm fast die lange Pfeife erlosch, und die Base den Kopf zur Küchenthür hereinsteckte, zu fragen, was es gebe.

Aus der Küche drang ein köstlicher Duft in die Stube, der Tisch ward an den Ofen gerückt, in behaglichster Stimmung schlürften wir den Nachmittagskaffee. Nur die Base blickte besorgt hinaus in das Schneegestöber, und als der Wind immer wilder um das Haus heulte, sagte sie ängstlich: »Ach, du meine Güte, ist das ein Wetter! Keinen Hund jagt man vor die Thür – und morgen geht das Umsingen an! Gottlieb dießmal wirst Du Dir schon was holen, gib nur Acht! – Was gäb' ich darum, würde einmal das Umsingen abgeschafft!«

»Gertrud, Gertrud! Das laß mich nicht noch einmal hören!« drohte der Vetter, halb im Scherz, halb im Ernst. »Gott verhüte, daß es jemals abkäme, wenigstens will ich das nicht erleben. Mit dem Wetter ist es nicht so schlimm, als es aussieht; steckt man nur erst mitten drin, dann geht's schon. Wird es aber einmal gar zu bös, vertritt eben Karl meine Stelle!«

11 »Nu, nu, Alterle, so arg schlimm war es nicht gemeint!« begütigte Gertrud. »Mir ist das Umsingen auch in's Herz gewachsen und ich würde es schwer genug vermissen!«

Damit war der Friede hergestellt. Eben trat der Mühljohann in die Stube; er hatte mich kommen sehen und konnte den Abend nicht erwarten, mich zu begrüßen. Die Base bot ihm ein Schälchen Kaffee, aber Johann »zierte« sich sehr und griff erst zu, als der Vetter sagte: »Genir' Dich nicht, Johann, Du sollst den Kaffee nicht umsonst haben, kannst nachher helfen, Noten schreiben.«

Als dann der Vetter seine Musikalien herbeibrachte, fand sich viel Arbeit. Da gab es Stimmen und Textzettel für die Feiertagsmusik zu schreiben, besonders in den Liederbüchern, die beim Umsingen gebraucht wurden, waren viele Lücken zu ergänzen. Der alte Herr ließ es sich gern gefallen, daß wir seinen Beistand ablehnten, mit der geliebten Pfeife machte er es sich im Lehnstuhl bequem und las in einem Buch.

Eine Zeitlang hörte man nichts als das Knirschen unserer Federn. Endlich stieß mich Johann an und sagte leise: »Gehst doch heut Abend auch in die Lichtstube? – 's gibt ein grausames Vergnügen!«

»Weiß nicht!« entgegnete ich gleichgültig.

»Du – die Wagnersmargareth kommt auch!« Als ich roth wurde lachte er: »Ja, meinst Du, ich merke nicht, wie's um Dich steht? – Drum hab' ich Dir's ja auch geschrieben, was der Schmidt vorhat. Warum bist Du nicht eher gekommen?«

»Ist es schon so weit?«

12 »Ja, 's heißt, die Feiertage wolle er kommen und die Sache fest machen.«

Die Noten glichen plötzlich schwarzen Teufelchen, die voller Spott und Schadenfreude wild durcheinander tanzten. »Und Margareth?« fragte ich kleinlaut.

»Ja, die will ihn freilich nicht und der Wagnersjörgnickel war ihm auch nie grün – aber er ist doch nun einmal wirklicher Schulmeister und hat eine gute Stelle, das kann viel ändern.«

»Da fang' ich lieber gleich gar nicht an!« seufzte ich.

»Hätt's auch gedacht! Mach' nur jetzt keine dummen Geschichten! – Im Vertrauen: die Margareth gestand meiner Dorthee, sie hätte Dich lieber, wie jeden Andern. Wenn Du Dich freilich noch lange zurückhälst, und ihr nicht zeigst, wie Du gesonnen bist – dann kann's dennoch sein, daß sie zuletzt den Schmidt anhört. – Also: soll ich Dich abholen?«

Es war gut, daß unsere Arbeit zu Ende ging, denn auf dem Papier vor mir wimmelte es durcheinander wie in einem Ameisenhaufen. Die dumme Glut im Gesicht zu verbergen, begleitete ich Johann vor die Hausthür und ärgerte mich, daß er nochmals fragte, ob er mich abholen solle. »Ei freilich doch, braucht es da noch eine Frage?« rief ich und Johann ging lachend davon.

Nach dem Abendessen schmückten wir einen kleinen Christbaum; während die Lichter angezündet wurden, holte ich von meiner Kammer die Geschenke für die Pathenleute. Dem Vetter hatte ich eine seltene Kirchenmusik von Naumann, nach welcher er schon lange getrachtet, sauber abgeschrieben, die Base bekam ein Paar bunte Hausschuhe. War das eine 13 Freude! Mit leuchtenden Augen rief die Base: »Ich sage ja immer, der Karl ist ein treues Gemüth!« Nun kam aber das Staunen an mich. Unter den mir bestimmten Gaben stach mir zuerst in die Augen eine nagelneue, prächtige Tabakspfeife. Den fein bemalten Kopf zierte ein silbernes Beschläg und das Rohr war eine ächte Weichsel. Daneben – ich wußte kaum mehr, ob ich wache oder träume! – daneben lag wahrhaftig das Ziel meiner heimlichen Wünsche, ein herrlicher Mantel! Ich war sprachlos; dem Vetter fiel ich so stürmisch um den Hals, daß er brummte: »Nun, nun, erstick' mich nur nicht!«

Der Vetter setzte sich an das Klavier, nach kurzem Präludium leitete er in den Choral ein, und fröhlich sangen wir:

Vom Himmel hoch da komm' ich her,
    Ich bring' euch gute neue Mär.
    Der guten Mär bring' ich so viel,
    Davon ich sing'n und sagen will.

Euch ist ein Kindlein heut gebor'n
    Von einer Jungfrau auserkor'n.
    Ein Kindelein so zart und fein,
    Soll eure Freud und Wonne sein!
        —   —   —   —   —   —

Das Nachspiel war verklungen; die Base hatte schon vorher zwei große Bündel für die Armen bereitet; als sie sich jetzt mit Annedorl, der alten, treuen Hausmagd, zum Ausgang rüstete, sagte der Vetter: »Grüße mir Deine kleinen Schützlinge und sage ihnen, wenn sie hübsch brav und fromm blieben, dann wollte ich nächstes Jahr wieder ein gutes Wort für sie beim heiligen Christ einlegen.« Darnach, als wir allein im Stübchen waren, meinte der Vetter: 14 »Karl, wie wäre es, wenn wir im Wirthshaus die neue Pfeife anrauchten?« – ich sagte natürlich nicht Nein. Kaum hatte ich dort jedoch meine Pfeife kunstgemäß in Brand gesetzt, so flüsterte mir der Johann auch schon zu: »Komm', sie ist da!« Der Vetter bemerkte meine Ungeduld. »So, so!« nickte er. »Hätte mir denken können, daß es Dich wo anders hin zieht. Geh' nur, mache Dich recht vergnügt!«

Mit hellem Jubel ward ich in der Lichtstube empfangen; die Bursche, fast lauter Schulkameraden, begrüßten mich mit derber Herzlichkeit, von den Mädchen ward ich gelobt, daß ich nicht stolz sei und sie nicht verachte. Nur Margareth hielt sich schüchtern zurück, aber die höhere Röthe, die ihre Wangen färbte, so oft sich unsere Blicke begegneten, sagte mir genug. Die Bursche warfen die Karten in's Schubfach, die Mädchen rückten enger zusammen, selbst der Ungersbauer zog seinen Sessel in unsern Kreis, und als die Bäuerin den Lampendocht weiter hervorgezogen hatte, sollte ich erzählen. Ehe ich jedoch beginnen konnte, sagte der Bergkasper, auch ein Musikant und Schulkamerad von mir, ein guter Junge, der aber das R nicht aussprechen konnte, zu dem Mädchen an seiner Seite: »He, Majgba (Margthbar, Abkürzung von Margaretha, Barbara), ich will ein paar Stellhölzle für Deine Augen schnitzen, daß sie offen stehen bleiben; vielleicht schläfst Du nachher nicht gleich ein!«

»Ach was!« lachte der Schustershanjörg. »Die Margthbar ist wie ein Has, die schläft auch mit offenen Augen!«

Das Gelächter verdroß das lange, hagere Mädchen; scheltend sprang sie auf und setzte sich auf die Ofenbank.

»Du, Margthbar,« begann der lustige Ungersbauer, 15 »thu' mir den Gefallen und such' Dir ein ander Eckele. Wenn Du an zu schnarchen fängst, könnt' am End' mein Ofen Schaden leiden!«

»Schäm' Dich, Alter!« schalt die Bäurin. »Mußt Du auch noch das Mädle quälen?«

»Bäujeje (Bäuere – Bäurin), zu spaßen ist nicht!« sagte der Bergkasper ernsthaft. »Auf dem Schneidesjangen sind alle Jatten und Mäus' ausgewandet – mein Wolfenvette hat's mit angesehen. Ganze Züg' – vojaus die gjoßen, hintedjein die kleinen – sind über den Dojfmüllessteg nüber in's Dojf. Wenn die Majgba schnajcht, zittet de Edboden, und dä mag's den Jatten und Mäusen angst und bang gewoden sein!«

»Du bist ein unartiger Dingerts!« überschrie die weinende Schneidersmargthbar das Gelächter. »Es ist eben noch einmal wahr, wie's in dem Sprüchle heißt:

Zigeuner, Schwaben und Musikanten
Sind schlimme Gesellen in allen Landen!«

Jetzt kam der Aerger an Kasper; ehe er jedoch seine Musikantenehre retten konnte, gebot der Bauer Ruhe, und ich erzählte die Geschichte vom Fortunatus und seinem Wünschhütlein. Das war eine Lust, wie die Gesellschaft aufhorchte; ehe die Geschichte nur halb zu Ende, waren den Burschen die Pfeifen erloschen und die Strickzeuge der Mädchen ruhten müßig im Schooß. Margareth saß wohl in der entferntesten Ecke, hatte sich auch noch halb hinter ihre Freundin, die Hänslesdorthee, versteckt, aber mir entging doch nicht, wie ihre Augen an meinen Lippen hingen.

16 Ich war lange noch nicht zu Ende, als mich ein wunderliches, fast unheimliches Geräusch unterbrach. Der Mühljohann bemerkte meine verwunderten, suchenden Blicke und sagte: »Laß Dich nicht stören, die Margthbar ist eingeschlafen und schnarcht. Es wird noch besser kommen. Zu ändern ist da nichts, denn das Mädle bringt jetzt kein Mensch munter!« Das Sägen, Knarren, Schroten und Brausen war freilich sehr unangenehm, doch brachte ich glücklich meine Erzählung zu Ende und erheiterte darnach die Gesellschaft noch durch die lustigen Schnurren des Till Eulenspiegel.

Endlich steckten die Mädchen athmend ihre Strickzeuge zusammen, die Burschen legten ihre Pfeifen fort, räumten Tische und Bänke aus dem Weg, die lustigen Spiele nahmen ihren Anfang. Das war ein Jubel! – Mir gefiel die Sache besonders darum, weil ich Gelegenheit fand, Margareth zu haschen und ihr beim Pfänderauslösen Küsse zu rauben. – Trotz des Getümmels und Lärmens saß die Schneidersmargthbar in ihrer Ecke; den Kopf zurückgebogen, den Mund weit geöffnet schnarchte sie wie die Säge einer Schneidemühle. Der Bergkasper meinte: »Nun sagt selber: wär's ein Wunder, wenn vor solchem Jumpeln – und Kjachen die Jatten und Mäus' auf und davon laufen?« Selbst derbe Stöße erweckten die Schläferin nicht; Kasper's Behauptung, die Margthbar könne man mit sammt dem Bett stehlen, bis Bautzen führen, ohne daß sie es merke, fand Beifall. Die Bursche schienen nicht übel Lust zu haben, gleich jetzt einen Versuch anzustellen, nur die ernste 17 Einsprache des Bauers hielt sie von muthwilligen Streichen ab.

In Bergheim ist es uralte Sitte, daß die Lichtmädchen ihre Lichtburschen am Weihnachtsheiligabend mit Kaffee und Kuchen bewirthen, wofür diese dann am Neujahrsabend die Lichtstube mit Bier und Wein zu versehen haben. Bald prasselte denn auch ein gewaltiges Feuer im Ofen auf und in der Küche ward die Kaffeemühle laut. Unter dem Vorwand, helfen zu wollen, drangen die Bursche in die Küche, richteten jedoch nichts als Unheil an und störten die Mädchen in ihrer Arbeit.

Es dauerte denn auch eine gute Weile, ehe der Kaffee fertig wurde, endlich kam er doch, und auch an Kuchen fehlte es nicht. Nun sollte die Margthbar erweckt werden; das war aber ein schweres Stück Arbeit, lange Zeit blieben alle Versuche, sie zu ermuntern, eitel. Endlich griff der Bergkasper zu einem Gewaltmittel: er hielt ihr Mund und Nase fest zu. – Das wirkte. Schnaubend sprang das lange Mädchen auf und schrie: »Ach du lieber Gott im Himmel und auf Erden! Ihr Leut', ihr Leut'! – Fallen mir da die Augen zu – nicht so lang, daß man ›papp‹ sagt – gleich hockt mir der Alp auf der Brust und hätt' mich schier erwürgt! – Ihr Leut', ihr Leut'! war das ein Schrecken!«

»Das ›Papp‹ war ein bisle lang, Mädle!« sagte der Ungersbauer, dem die Lachthränen über's Gesicht liefen. »Das Schlafen im Sitzen wird Dir eben nicht gut thun, merk' das für ein andermal! Jetzt such' Dir einen Sitz, der Kaffee wartet auf Dich!«

Die Margthbar machte nun erst große Augen. Beschämt zog sie sich zurück, der ›Alp‹ hatte sich natürlich zu 18 rechter Zeit aus dem Staub gemacht; als aber endlich die Gesellschaft zur Ruhe kam, saß zur großen Verwunderung Aller die Margthbar doch wieder neben ihrem Quälgeist. Mir gelang es nicht, neben Margareth zu kommen; das schelmische Mädchen wußte geschickt Dorthee zwischen uns zu bringen und lachte recht herzlich darüber. Günstiger war nur das Geschick später. Als das junge Volk seine Lieder anstimmte, gelang es mir, für Margareth und mich ein heimlich-trauliches Eckchen zu erobern, wo wir ungestört schwätzen konnten. Ich benützte die Gelegenheit auf's Beste, erinnerte das Mädchen an die Jugendzeit, an die glücklichen Stunden, die wir bei traulichem Spiel in der Schule, bei ihren Eltern verlebt hatten, und bedauerte, daß wir später so aus einander gekommen waren.

»Ja – ist das aber auch Dein Ernst?« fragte Margareth und spielte mit ihren Schurzbändern.

»Und warum sollte es nicht mein Ernst sein?«

»Ja – sieh, wer ist denn schuld, daß es so geworden ist?«

»Margareth, Du hast Recht!« sagte ich und nahm ihre Hand. »Aber Du mußt mir das nicht so arg zur Last legen. Ich kam ja bald nach der Konfirmation in die Stadt, dort gab es so viel Neues zu sehen, ich mußte tüchtig arbeiten, machte so viel neue Bekanntschaften, daß ich wohl eine Zeit seltener an die Heimat dachte.«

»Freilich, freilich!« lächelte Margareth. »Und über den schönen, vornehmen Stadtfräulein war das arme Bauernmädle bald vergessen. – Gesteh's nur!«

»Ich will mich nicht besser machen als ich bin – ja, die hübsch gekleideten Stadtmädchen gefielen mir recht gut, 19 manch eine machte mir auch dann und wann Herzklopfen – aber vergessen habe ich Dich nicht, das weiß ich jetzt. Du hast Deinen Platz in meinem Herzen immer behauptet!«

»Geh'!« sagte das Mädchen und senkte das Köpfchen.

»Darnach hätte ich mich freilich mehr um Dich kümmern sollen – verzeih' mir, Margareth, ich will's jetzt gut machen und das Versäumte nachholen!«

Eben tutete der Wächter auf der Straße und rief die Stunde an. Ganz bleich vor Schrecken sprang Margareth auf und rief: »Ach Gott im Himmel – schon elf! – Dorthee – komm', wir wollen heim!«

Dorthee saß bei dem Mühljohann und hatte nicht im Geringsten Eile. Schon aber hatte sich Margareth in ihr Tuch gehüllt, und als ihr das Wasser in die Augen kam, sagte die Bäuerin: »Geh' nur mit, Dorthee, die Margareth läßt sich doch nimmer halten. Ich dächt', es wär' überhaupt Zeit zum Heimgehen, morgen ist erster Feiertag!«

Das war ein deutlicher Wink; ehe sich jedoch die Gesellschaft zum Aufbruch bereit machte, waren die beiden Mädchen längst verschwunden. Im Hof war noch großes Gelächter, bis sich alle Liebespaare zusammengefunden; nur die »Einspännigen« huschten rasch nach Hause. Als wir endlich allein waren, fragte Johann, der meinetwegen seine Dorthee nicht heimbegleitete: »Nun, wie steht's? seid ihr einig?«

»Ja, einig!« entgegnete ich recht verdrießlich.

»Nu? – war die Margareth etwa nicht freundlich?«

»Ach, das schon! Die Margareth ist gar ein herzgutes Ding! – Grade, wie ich ihr sagen will, daß ich ihr 20 gut bin, kommt der einfältige Wächter dazwischen, und nun war kein Haltens mehr!«

»Und hat sie gar nichts gemerkt?«

»Ich denke doch!« sagte ich und mußte mit Johann lachen.

»Was willst mehr? – Dann ist's ja gut!«

»Ja – von dem Schmidt habe ich noch kein Wort gesagt – nun weiß ich so viel als zuvor, wie sie mit ihm steht!«

»Närrischer Mensch! – Das will ich Dir sagen: der Gersdorfer thät' am besten, er bliebe zu Haus!«

»Weiß nicht, Johann! – Der gar so plötzliche Aufbruch will mir nicht recht gefallen!«

»Du bist mir aber Einer! – Thu' der Margareth nicht Unrecht! Sie mag nicht schlecht erschrocken sein, das glaub' ich. Ihr Vater, der Wagnersjörgnikel, ist ihr gar arg streng; pünktlich um Zehn muß sie alle Nacht im Haus sein! – Wenn es so bleibt, gibt's kalte Feiertage! Mich friert, ich geh' heim! – Laß Dir was Schönes träumen!«

Der Himmel hatte sich geklärt, hell leuchtete der Mond, die Sterne flimmerten und glitzerten – Johann konnte Recht haben mit der Kälte, aber ich merkte nichts davon, wie im Traum wanderte ich durch das stille Dorf. An der Hausthür traf ich mit dem Vetter zusammen, der eben vom Wirthshaus heimkehrte. Freundlich fragte er. »Vergnügt gewesen?« – Als ich nickte, fuhr er fort. »Weißt noch? Morgen um fünf Uhr wird auf dem Thurm gesungen. Das war stets eine Freude für mich! Aber ich werde alt, das Thurmsteigen will nicht mehr gehen. Möchtest Du für mich hinauf?«

21 Mit Freuden sagte ich Ja und eilte auf meine Kammer. Lange konnte ich nicht einschlafen, erst gegen Morgen fielen mir die Augen zu.

 


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