Heinrich Schaumberger
Der Dorfkrieg
Heinrich Schaumberger

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

»Wie ist's 'gangen? – Wie steht's in Windsberg? – Was gibt der Schulz vor? – Ist er mürb? – Hat er recht gebrüllt? – Willigt er in den Vergleich? – Hat er dich wirklich nicht erkannt? – Was macht Karline?« So schrieen die Musikanten, Buchbacher und Lindenbrunner, die drunten im Wald den Mühljohann erwartet hatten und ihn nun umdrängten, laut durcheinander. Der Mühljohann war aber schlecht gelaunt, machte sich gewaltsam Platz durch seine Dränger, warf sich unter einer Eiche ins Moos, steckte vorsichtig die Brille ins Futteral und schrie: »kein Wort erfahrt ihr von mir, seid ihr nicht im Augenblick still. Der Geier hole solche Narrenstreiche, im Leben geb ich mich nicht wieder dazu her, – 'ne wahre Todesangst hab ich ausgestanden, es möchte mich jemand erkennen; bei der Karline hat auch nicht viel gefehlt, so wäre sie herausgeplatzt! – O Strammbach! – Die Bescherung nachher! – Und jetzt steht ihr da und sperrt die Mäuler auf, – 's wär noch eine herrliche Geschichte, wenn nun der Schulz auf einmal daher käm und träf uns alle beisammen und hätt's so handgreiflich, wie wir ihm lästerlich mitgespielt. – Macht voran, mir wird's ganz ängstlich! – Der Schulz ist fertig, ganz fertig, und ich zweifle nicht, daß ihn seine Weiber völlig gar machen. Es wär gar nicht unmöglich, daß er in seiner 160 Herzensangst spornstreichs zum Zipfelschneider läuft. Drum fort und aus dem Weg, daß er uns nicht überrennt!«

Der Schneidersheiner wendete sich still ab und verschwand im Wald, die übrigen Zuhörer brachen in Jubel aus, den sie aber sofort wieder unterdrückten; der Schneidershannikel aber kraute sich hinterm Ohr und knurrte: »nun hilft's nichts, nun muß ich ins Feuer, denn einmal ist dem Schulzen nicht zu trauen, bei dem darf man die Hitze nicht so bald wieder ausgehen lassen. Hat aber der Schrecken wirklich durchgeschlagen, dann darf ich mich erst eilen, – jetzt dürfen die zwei Alten noch nicht zusammen! – Also in Gottes Namen! Geb Gott, daß es mir nicht schlechter gelingt wie dem Johann! – Ihr aber geht nach Haus, bleibt im Wirtshaus beisammen und verhaltet euch ruhig, verstanden?«

Damit trennte man sich, und der Schneider schritt langsam den steilen Waldpfad empor. Je näher er dem Dorf kam, desto öfter blieb er stehen. »Verwünschter Handel! Wenn ich nur erst mit guter Art ins Haus kommen wär, nachher sollte mir's nimmer bang sein. – Hm, hm, – 's ist ein böser Haken! Am besten wird sein, ich geh den graden Weg, obgleich das eben bei dem Schulzen seine Bedenken hat. – In Gottes Namen denn!«

Als er in den Gesichtskreis des Schulzenhauses trat, richtete er sich hoch auf, blickte zuversichtlich um sich und schritt rasch vorwärts. Er sah den Schulzen bleich hinter dem Fenster stehen und mit jemand verhandeln; nicht gering war sein Erstaunen, als nun der Schulze das Fenster aufriß und so unbefangen als möglich ihn anrief: »He, guten Tag, Vettermann! – Habt's ja arg eilig! – Wollt Ihr nicht auf einen Sprung einkehren? – Meine Alte möchte wegen einem Rock für unsern Hansjörg mit Euch reden!«

Der Schneider blickte erstaunt auf. Plötzlich leuchteten seine Augen, wie ein Blitz schoß ihm der Gedanke durch den Kopf: der Mühljohann hat wirklich gründlich aufgeräumt, – da muß ich auch noch was wagen! – Scheinbar verlegen drehte er seine Mütze und sagte: »Wär mir eine wahrhafte Freud, wieder einmal in Euer Haus zu kommen, jedoch aber, – und sintemalen, – wie halt die Sachen liegen, – hm, – indem hab ich auch noch 'nen weiten Weg vor und bin pressiert.«

»Ha, das wird doch nicht so gar eilig sein?« meinte der Schulz. »Darf man fragen, wohin der Weg führt, weil Ihr so wichtig tut?«

161 Dem Schneider war der Schrecken des Schulzen nicht entgangen, er sah auch, wie die Bäuerin am andern Fenster lauschte. Nachlässig meinte er: »Was soll ich's Euch sagen? Mein Gang wird Euch wenig erfreuen!«

Die Bäuerin weinte laut, der Schulz hielt sichtbar nur mit Mühe an sich; seine Stimme zitterte, als er begann: »So redet doch, was ist's, was soll's? 's ist doch nicht etwa gar ein Unglück geschehen?«

»Das schon nicht. – Aber mein Schwager hat einen Brief von seinem Advokaten kriegt, und in Buchbach gehen so wunderliche Gerüchte um, – hm, hm! Nu, – weil Ihr's denn durchaus wissen wollt, – hm, man möcht doch auch gewissen Grund haben, drum – – hm – –«

»So sagt's nur raus,« rief die Schulzin in wahrer Verzweiflung aus dem andern Fenster. »Ihr habt's erfahren, wie's um den Prozeß und um uns steht und seid auf dem Weg ins Oberamt! – Ach Gott im Himmel, ich bin des Todes! – Schneider, habt Erbarmen mit uns! – Ihr seht meine Not, – Ihr habt auch Kinder! – Geht rauf, laßt ein Wort mit Euch reden! – Kommt, Schneider, Ihr vermögt was über Euren Schwager, verlaßt uns nicht, ratet, helft!«

Zögernd folgte Hannikel der Einladung. Sein Unternehmen ward ihm nun selbst höchst fatal, der Jammer der armen, unschuldigen Frau schnitt ihm ins Herz, auch der Schulz dauerte ihn, er sah gar so verstört aus! Gern hätte er all dem Elend ein Ende gemacht, aber er durfte nicht, der Schulz war einmal ein Querkopf, unberechenbar in seinen Launen, unlenkbar in seinem Eigensinn. So hörte er geduldig den Jammer und die Klagen an, begnügte sich, mit den Achseln zu zucken, bedauerte sein Unvermögen, in der Sache etwas tun zu können, wußte dazwischen geschickt, ohne sich gerade einer Unwahrheit schuldig zu machen, an sein eigentliches Vorhaben zu erinnern, so daß die Angst der Schulzenleute bald den höchsten Grad erreichte. Die Hände ringend, schrie nun der Schulz selbst: »Hannikel, um tausend Gottes willen, verlaßt mich nicht, ich weiß mir nimmer in raten, nimmer zu helfen! Es ist eine harte Straf, dies Elend, und wenn ich sie gleich verdient hab, hart ist sie doch! – Laßt uns nicht zu Grund gehen! Tut einen Vorschlag, auf den hin ich mich mit dem Zipfelschneider vergleichen 162 kann, ohne daß meine Ehr darunter leidet! – Denn gänzlich nachgeben, – das kann ich nicht, dann will ich lieber den Prozeß verlieren. Und zuletzt gibt's ja auch noch Instanzen und Appellation!«

Jetzt schoß aber auch dem Schneider das Blut; solcher Trotz, solcher Hochmut auch da noch, wo er das Messer an der Kehle stehen glauben mußte, empörte ihn. Er stand auf und sagte dem Schulzen seine Meinung gründlich. Ohne Umschweife gestand er ihm, daß er für ihn selber auch keinen Finger regen würde, denn er verdiene weder Mitleid noch Nachsicht. Alles Unglück sei ganz allein seine Schuld. Denn gleich am Anfang sei der Zipfelschneider mit versöhnlichem Herzen zu ihm gekommen; erst durch seinen Trotz und seine Halsstarrigkeit habe er seinen besten Freund, seinen alten Kriegskameraden in Unbedachtsamkeit und Haß getrieben. – Hundertmal sei's ihm an die Hand gegeben worden, seiner Ehre genug zu tun und dem Prozeß ein Ende zu machen, aber er habe es darauf angelegt, den Zipfelschneider völlig zu ruinieren. Und wenn er auch jetzt noch, wo ihm das Wasser bis an den Hals ginge, Männle machen, Bedingungen stellen wolle, so müsse man schon an seinem gesunden Verstand zweifeln. »Was gar Eure Ehre betrifft,« rief er mit flammenden Augen, »so braucht Ihr Euch nicht zu kümmern, – davon könnt Ihr nichts mehr verderben, die ist schon ganz hin, lange schon hin! – Und Euretwegen verschwendete ich kein Wort mehr, dauerten mich nicht Eure Frau, Eure Kinder! – Einen Vorschlag will ich Euch noch machen; redet Ihr mir aber nur ein Wort dagegen, zuckt Ihr nur ein Auge, so weiß ich, was ich tue!«

Der Schulz saß ganz verdonnert auf seinem Stuhl, wagte keine Entgegnung, zumal nun auch die Schulzin alle Schleusen ihrer Beredsamkeit öffnete und ihrem Herzen gründlich Luft machte. Zuletzt meinte der Schulze kleinlaut: »Alte, hör nur einmal wieder auf! Daß keine gescheite Ader, kein gutes Haar an mir ist, ist mir gründlich gesagt. Bedenk: weiter als bis auf die Haut dringt kein Regen, was noch mehr kommt, läuft ab. Zudem wird durch all dein Lärmen nichts gebessert! Schneider, – verlaßt uns nicht, Ihr seid der Mann, der uns helfen kann! Euer Heiner hat meine Karline gern gehabt, – das Mädle hängt noch immer an ihm, ich weiß es, – Schneider, wär da nichts zu machen? Wenn der 163 Zipfelschneider dem Heiner seine Sachen übergäb, ich tret meiner Karline meinen Anspruch an das strittige Waldstück ab, so wär alles gut, der Friede hergestellt, ohne daß unsere beiderseitige Ehr Schaden litte! – Redet, Vettermann! – Mein Mädle ist auch sonst nicht leer! – Besinnt Euch nicht, Hannikel, laßt mich nicht so lang in Angst und Qual. – Redet! – Ist's Euch nicht recht so? Wird der Heiner nicht wollen? Oder meint Ihr, daß der Zipfelschneider nicht darauf eingeht?«

Die Schulzin hörte auf zu weinen und blickte mit großen Augen auf ihren Eheherrn; den Schneider kam nun fast eine Rührung an über diese unerwartete Lösung. Noch in rechter Zeit erinnerte er sich der Querköpfigkeit des Schulzen und sagte: »Das ist seit langem die erste vernünftige Rede aus Eurem Mund! Es freut mich, daß Ihr nun wirklich zu Verstand kommen seid. – Den nämlichen Vorschlag wollt ich Euch machen. – Holla, – bleibt nur sitzen, noch ist nichts gewonnen; soll's was werden, müssen wir auch erst die Zustimmung von meinem Heiner haben, – die ist natürlich gewiß, – darnach muß auch der Zipfelschneider einwilligen, und da kann ich, wie eben die Sachen liegen, für nichts einstehen! Seid nur still und bleibt sitzen, Schulz, auch Ihr, Schulzin! Was an mir liegt, die Sache zu berichtigen, soll geschehen, da braucht's keiner Aufmunterung! Ich und mein Heiner haben viel an Euch gut zu machen, Schulz, besonders mein Heiner. Glaubt mir, das Unrecht hat uns in den zwei Jahren schwer aufgelegen. Das weitere wird Euch mein Heiner selber sagen. Was mich aber besonders freut, ist, daß nun Eure Karline, mein Herzensmädle, nun doch noch meine Schwiegertochter werden wird, – gelingt's, den Zipfelschneider umzustimmen. Aber eins verlang ich: was geschehen soll, muß bald geschehen! Bring ich meinen Schwager zum Nachgeben, so muß gleich heute noch die Geschichte im Amt fest und fertig gemacht werden. – Ist's so recht? – – Ja, zerdrückt mir nur die Hand nicht, Schulz, wartet's erst ab. – Ihr gingt am liebsten gleich selber mit? – Glaub's wohl, Schulz, und es freut mich, daß Ihr das sagt, – aber damit ist's noch nichts, Ihr müsset Euch noch gedulden. – Macht Euch immerhin einstweilen reisefertig, ich werde mich beeilen, so sehr ich kann. – Ja, und wen schicke ich doch, – ist's gelungen?«

»Ei, ist das eine Frag,« schrie der Schulz. »Schickt Euren 164 Heiner! Hat er die Karline noch gern, ist er der geschwindeste Bote, und es ist nachher gleich alles in der Ordnung!«

In merkwürdiger Hast schüttelte Hannikel dem Schulzen und der Schulzin die Hand. »Ich will mich beeilen,« sagte er, sonst nichts, damit war er verschwunden.

Aber nicht aus der Welt, nicht einmal aus dem Haus, in der Küche stand er bei einem zitternden, weinenden Mädchen, wischte sich selbst die Augen und sagte leise: »Mein lieb's gut's Mädle! – Soweit wäre alles wohl geraten; kommt kein Unfall dazwischen, bist du noch heut Braut!«

*


 << zurück weiter >>