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Aus der Tanzstunde.

Sie war die Königin der Tanzstunden – daran hätte selbst der Neid nichts geändert – wenn ihrer sanften Liebenswürdigkeit, ihrer holden, heiteren Güte gegenüber wirklich etwas so häßliches wie Neid hätte aufkommen können. Aber das war unmöglich. Sie hatte bei ihrer großen Schönheit etwas so rührend Bescheidenes; beinahe ängstlich blickten die warmen, dunkelbraunen Augen aus dem entzückenden Gesicht. Dabei war sie so vollkommen natürlich, ein klein wenig schüchtern manchmal, aber doch voll sonniger frischer Lebensfreude, die sich's im Vollbewußtsein glückseliger Jugend arglos wohl sein läßt. Manchmal, wenn sie ihre Zurückhaltung überwand, stand ihr ein gutmütiger, feiner Witz zu Gebote, der in die etwas steife Unterhaltung zwischen den jungen »Herren« und »Damen«, wie ein frischer Frühlingswind hineinwehte.

Wenn ich nun noch gesagt habe, daß die kleine italienische Tanzmeisterin, die sehr hohe Ansprüche an Grazie und Gewandtheit stellte, ihre Gang- und Tanzbewegungen als vollkommen tadellos und mustergültig bezeichnete und daß die zuschauenden Mütter nicht genug Rühmens davon machen konnten, wie reizend sie sich bei aller Einfachheit zu kleiden verstand, so mag das Bild von Fräulein Margarete Grunold vorläufig fertig gezeichnet sein. –

Signora Bianchetti erklärte zwar bei jeder Gelegenheit höchst nachdrücklich, die Tanzstunde sei durchaus nur der terpsichorischen Kunst und nicht des Kourmachens und allerlei zarter Einbildungen wegen da. Aber wie wollte sie es verhindern, daß das junge Volk in diesem ersten bescheidenen Stadium gesellschaftlichen Verkehrs schon den zauberhaften Anhauch der großen Welt zu fühlen meinte, daß sich in die graziösen Verschlingungen der Françaisen, Lanciers und Walzer das erste scheue Spiel kleiner versteckter Huldigungen, zarter poetischer Schwärmereien und sogar manchmal recht ernst gemeinter Schüler- und Mädchenneigungen wob? Da duftete mancher kleine Veilchenstrauß in goldenen Mädchengürteln, der von frühem Frühling zu erzählen wußte! manches Tanzkärtchen ward daheim in zierlich geordneten Kommodenfächern zwischen duftenden Schleifen und verblichenen Rosen zu ewigem Andenken aufbewahrt, und das blaue Bandendchen, das dem Primaner als Lesezeichen in seinem Virgil diente, schien für ihn aus lauter beglückenden Erinnerungen und stillen, kühnen Hoffnungen zusammen gewebt zu sein.

Der diesmalige Tanzstundenkursus gipfelte in einer allgemeinen, teils offenen, teils heimlichen Vergötterung des reizenden Fräulein Grunold; und da das holde Mädchen dieser Tatsache keinen unnötigen eitlen Wert beilegte, sich die Huldigung des einen Tänzers so gern wie die des anderen gefallen ließ, da sie mit dem etwas verachteten kleinen und rothaarigen Herrn Goldenson ebenso frisch und anmutig plauderte, wie mit dem schönen jungen Griechen, der seine deutschen Mitschüler an Weltgewandtheit leider sehr bemerkbar in Schatten stellte – so waren bei dieser Vergötterung alle Teile heiter und vergnügt, und die Zeit der Tanzstunden war trotz der Winterkälte, in der sie stattfand, für alle ihre Mitglieder so recht die Zeit der Rosen!

Nur einem wollten die roten Blumen der Freude nicht blühen!

Es war eigentlich unbegreiflich. Herr Hermann Wittstock war unter den jungen Herren ganz besonders verehrt und beliebt. Ja, die Gymnasiasten und Handelsschüler schätzten es sich zur hohen Ehre, den schneidigen Studenten, der eben sein Militärjahr in der Hauptstadt abdiente, in seiner schmucken, knappen, dunkelgrünen Jägeruniform mitten unter sich weilen zu sehen; Herr Wittstock hatte früher nicht Zeit gehabt, Tanzstunde zu nehmen und holte nun, bei Gelegenheit der unfreiwilligen Studienpause, das Versäumte nach. Seine Klassiker, seine Algebraformeln gingen ihm zur Zeit der holden Prima noch weit über Backfischgespräche, und eine Quadrille schien ihm des Opfers einiger der Wissenschaft geraubten Stunden nicht wert; – erst bei den Gesellschaftsabenden seines geliebten und verehrten Universitätsprofessors hatten die Grazien über seine wissensdurstige Seele ein wenig Macht gewonnen; er hatte an manchem vielbewunderten Manne gesehen, daß die Gewandtheit der äußeren Formen der Tiefe und dem Werte des Menschen nicht Abbruch zu tun braucht; – auch ein Gespräch mit einem eben aufgeblühten, lichtgekleideten und blumengeschmückten Menschenkind schien ihm nach einigen gezwungenen Versuchen nicht mehr ein so fades und verlorenes Tun wie in früherer Zeit. Im Gegenteil, er hatte gefunden, daß gerade über den Stirnen dieser Allerjüngsten etwas lag, das »dem reinen Glanze des Morgens glich« und daß aus ihren Gesprächen wie aus einem reinen, ungetrübten Quell manches frisch und natürlich zu Tage trat, was alle Weisen und Dichter der Welt mit ihren siebenfachen Geistesbrillen nicht ursprünglicher ans Licht zu fördern gewußt hätten.

So war er auf dem besten Wege, aus einem einseitigen Gelehrten ein heiterer und liebenswürdiger Mensch zu werden, als der Entschluß, die notwendige Vervollkommnung seines äußeren Menschen bei Signora Bianchetti nachzuholen, ihn beinahe für immer und unwiderruflich in seine Weltverachtung und Bücherleidenschaft zurückgestürzt hätte.

Und daran wäre niemand anders als das reizende Fräulein Grunold schuld gewesen!

Fräulein Grunold hatte es dem dunkelgrünen Jäger angetan. Er hatte ihre schlanke Gestalt auf den ersten Blick als die schönste in dem ganzen Mädchenkreis herausgefunden; und als der älteste, stattlichste und langgewachsenste unter den jungen Herren glaubte er in ihr die natürlichste Partnerin für die Tanzstundenzeit gefunden zu haben. Leider aber schien das Mädchen durchaus nicht dieser Meinung zu sein. Sie sah den jungen Menschen, der sich gleich nach der ersten allgemeinen Vorstellung mit kühner Selbstverständlichkeit auf sie losstürzte, um den folgenden Tanz zu erbitten, mit einem eigentümlichen kurzen Blick voll Scheu und Unbehagen an, und ein deutlich bemerkbares Zittern, wie es nur die allergrößte Schüchternheit begreiflich macht, ging über ihre leichte Gestalt. Stumm und mit gesenktem Köpfchen, wie beschämt, schritt sie während der ganzen Polonäse neben ihrem langen Ritter dahin, kaum ein kurzes Ja oder Nein auf alle seine Gesprächsversuche zur Antwort hauchend. – Herr Hermann Wittstock fand diese merkwürdige Befangenheit an einem so vollkommen liebreizenden Wesen einfach rührend und nahm sich im stillen vor, dieselbe durch harmloses Entgegenkommen möglichst bald zu überwinden. –

Wie sonderbar aber sah er sich berührt, als das junge Mädchen, nachdem sie zu Ende des Tanzes mit einem kleinen Seufzer der Erleichterung aus seinem Arme geglitten, ihre Verlegenheit von selbst von sich warf und sich mit ihrem nächsten Tänzer, dem schönen Herrn Kyropolus, in völlig natürlicher, anmutiger Weise in ein kleines heiteres Gespräch über Schlittenpartien und Schlittschuhbahnen einließ! Und so hatte sie für jeden der jungen Leute das rechte Wort, für die Unbeholfeneren sogar ein feines rücksichtsvolles Entgegenkommen; – womit aber hatte er sie geschreckt, daß sie alle Grazien ihrer Seele so ängstlich vor ihm verbarg?

Herr Wittstock beschloß, diesem fesselnden Rätsel sobald als möglich auf die Spur zu kommen; leider aber gab ihm Fräulein Margarete in dieser ersten gemeinsamen Übungsstunde keine Gelegenheit hierzu.

Sie wußte ihm so geschickt und unauffällig auszuweichen, daß ein zweiter Tanz für ihn unmöglich zu erlangen war. So oft sie ihn auf sich zukommen sah, schwebte sie mit ihren leichten, leisen Schritten rasch über den Saal, bald um sich von irgend einer Freundin das Schlößchen ihres Armbandes fester schließen zu lassen, bald um den weißen kleinen Elfenbeinfächer vom Kaminsims zu holen, wohin sie ihn vor ein paar Minuten erst aus der Hand gelegt. Ehe er ihr dann nachzukommen vermochte, flog sie immer schon im Arme eines andern vorbei, immer ruhig, schön und froh wie eine kleine Königin mit ihrem goldigen Flechtenkrönchen über dem atlaszarten, weichen Gesicht, das sich beim Tanz immer nur mit einem ganz feinen, leichten Hauch von Rot bedeckte.

»Daß diese Gretel einmal so hübsch werden würde, hätte auch niemand gedacht«, hörte er einmal ein rundliches, altkluges Backfischchen bewundernd sagen; »das arme Ding, früher tat's einem förmlich leid.«

Solch ein Wohlgefallen aus Mädchenmund über eine bevorzugte Mitschwester ausgesagt, wirft einen sympathischen Schimmer auf die Sprecherin zurück. Herr Wittstock forderte das dicke Mariechen gern an diesem Tage mehrmals sehr liebenswürdig zum Tanze auf und ließ sich wie von ungefähr allerlei über das schöne Mädchen erzählen.

Diese wohnte erst seit kurzem mit ihren Eltern, die ihre Fabrik verkauft hatten, in der Stadt. Früher war sie hier bei den Großeltern in Pension gewesen, um die Schule zu besuchen. Die Freundinnen schwärmten alle für sie; sie war zu nett geworden, so klug und solch ein lieber Kamerad.« –

»Nicht manchmal ein wenig launenhaft?« fragte Hermann, der nicht wußte, was er aus Fräulein Grunolds sonderbarem Benehmen machen sollte. Er konnte nicht daran zweifeln, daß er ihr abscheulich sei, daß sie etwas darin suche, ihn zu ärgern und ihn zu fliehen.

Das gesprächige Mädchen war ganz empört, »Launenhaft? Die? – Nein wahrhaftig, jede andre eher! Margarete ist so echt und so rein wie Gold!«

Hermann Wittstock glaubte nun an eine Täuschung, an irgend ein Mißverständnis, das sich in der nächsten Tanzstunde sicher lösen mußte.

Aber auch die nächste Stunde, der er mit sonderbarer Unruhe entgegensah, brachte ihm weder eine Aufklärung, noch die geringste Änderung der Dinge. Fräulein Grunold ward immer mehr zum Mittelpunkt des Ganzen; aber zwischen ihm und ihr schien eine scharfe Grenzlinie gezogen zu sein, die weder seine stille Sehnsucht, noch auch seine immer wieder erneuten Annäherungversuche zu überbrücken vermochten. Konnte sie seiner Nachbarschaft im Contre oder in einem Rundtanz mit ihm, ohne auffallend zu sein, nicht ausweichen, so ging während dieser Zeit doch immer dieselbe merkwürdige Veränderung mit ihr vor; der Quell ihrer Munterkeit schien erstarrt; ihr schönes Gesichtchen trug einen Zug von peinvoller Ergebung; ihr ganzes Wesen schien gedrückt; – »genau so«, flüsterte Mariechen ihrer Nachbarin einmal gerührt zu, »wie in der Schule, wenn sie vor dem Katheder stand und ein Exempel nicht vorrechnen konnte. Das war damals dasselbe Martergesicht!«

Herr Wittstock gab die schon bemerkbar werdenden Versuche, gegen Fräulein Margaretens Mädchenlaunen anzukämpfen, endlich auf. Er war in einer tiefverbitterten Stimmung und wollte die leeren Vergnügungen der Welt, zunächst und vor allem diese ganz unnütze und alberne Tanzstunde eigentlich meiden und wieder den Inhalt seiner Gedanken in seinen Klassikern und der nimmer trügenden, für seinen scharfen Verstand niemals »unberechenbaren« Mathematik suchen. Aber doch gab es immer wieder einen Grund, der ihn unabweislich nach Signora Bianchettis Studiensälen zog. Er hatte aus freundlichem Mitleid immer so viel mit dem schwerfälligen Mariechen getanzt; das arme Ding war nun natürlich verlassen, wenn er fehlte. Und dann – ob er die scheue »Psyche«, wie er Margaretens seelenvolle Erscheinung im stillen genannt, nicht gar ein wenig ärgerte, wenn er sich mit dem drolligen, rosigen Ding so vortrefflich und angelegentlich unterhielt, als gäbe es kein schöneres und holderes Mädchen auf der Welt?

Nur schade, daß die Kriegslist an der reizenden Feindin verloren war! Sie wollte und wünschte weiter nichts, als daß er sie unbeachtet ließ, und war dann eben so absichtslos heiter und liebenswürdig, wie sie in seiner aufgedrungenen Nähe immer verstimmt, gedrückt und gepeinigt gewesen war.

Einmal aber war sie doch zu einem fast halbstündigen Verweilen in seiner Nähe verdammt.

Sie hatte sich bei einem rasenden Galopp den Fuß verstaucht und mußte nun, während Frau Bianchettis Zöfchen nach einer Droschke für sie gegangen war, von einem Fauteuil des halbdunklen Nebenzimmers aus den zierlichen Schleifentouren eines Lanciers zusehen. Da sie feierte, mußte natürlich auch einer der ebenso zahlreichen jungen Kavaliere das gleiche tun, und daß dieser eine Herr Hermann Wittstock war, konnte sie leider nicht ändern. Herr Wittstock saß, während die ersten Zauberklänge des Tanzes ertönten, auf einmal neben ihr und sagte, als sei alles zwischen ihnen beiden glatt und klar:

»Sie gestatten, daß ich Ihnen Gesellschaft leiste, mein gnädiges Fräulein?«

Fräulein Margarete antwortete nur durch eine steife kleine Verbeugung. Darauf blieb er eine Weile still und sah sie an – sie sah heute ungewöhnlich reizend aus; das feine weiße Wollenkleid ohne weiteren Schmuck als einen Strauß Maiblumen im seidenen Gürtel hob ihre schneeige Gesichtsfarbe so wunderbar zart hervor; nein, dieses Heiligengesichtchen konnte nicht der Spiegel einer launischen, unfreundlichen Seele sein! Vielleicht hatte er eine überzarte Empfindlichkeit, ohne es zu wissen und zu wollen, durch irgend etwas gekränkt. Nur endlich einmal Klarheit! Mit raschem Entschluß rückte er seinen Stuhl dem ihren um einen Schritt näher und sagte, sich leicht vorbeugend, mit halblauter, sehr bewegter Stimme:

»Mein gnädiges Fräulein! Ich beschwöre Sie! Sagen Sie mir, was habe ich Ihnen getan?«

Er hatte ein rasches Erröten, vielleicht eine ärgerliche Bewegung über seine rasche Belagerungsmanier erwartet, aber die schönen braunen Augen sahen ihn nur mit tiefem Staunen und schier hilfloser Pein ins Angesicht.

»Herr Wittstock? Mollen Sie mich auch noch verspotten?« flüsterte Fräulein Margarete mit schüchterner Stimme. »Ach, es ist mir selbst so schrecklich, so bedrückend, daß Sie mich hier treffen und immer sehen müssen, ich schäme mich immer noch so sehr, so sehr vor Ihnen! Ich habe es nie vergessen können –.«

»Aber, mein bestes Fräulein«, rief der junge Mann plötzlich in aufjauchzender Laune. »Ich weiß wahrhaftig gar nicht, was Sie wollen – ich glaube nun sicher, Sie verkennen mich einfach, sagen Sie mir doch – –.«

Sie schüttelte mit einem wunderlichen Lächeln den Kopf. »Nein!« sagte sie traurig und bestimmt. »Verkennen, Herr Wittstock, werde ich Sie nie

»Aber was nur? Wie –?« stotterte er ratlos. Da meldete die kleine Dienerin, Fräulein Grunolds Wagen warte vor dem Hause. Wie erlöst sprang das junge Mädchen trotz des schmerzenden Fußes auf. »Lassen Sie nur heute«, bat sie den gleichfalls aufstehenden Herrn verwirrt. »Das nächste Mal –.«

»Gut!« sagte er. »Also das nächste Mal! Ihr Wort ist mir heilig, und ich will nun jetzt nicht weiter in Sie dringen. Nur daß ich Sie an Ihren Wagen begleite, werden Sie mir erlauben müssen.«

Und dagegen war in der Tat nichts zu tun. Sie wäre mit dem schmerzenden Knöchel die hohe steinerne Treppe gar nicht allein hinuntergekommen. So, schüchtern auf seinen Arm gestützt, ging es schon eher. – –

Er sah das blasse, süße Gesicht, von dem himmelblauen Seidenkapuzchen umhüllt, noch immerdar, den ganzen Abend und die folgenden Tage vor sich und zergrübelte sich den Kopf, wo er diese schlanke, liebliche Gestalt schon einmal gesehen haben solle. Einmal kam ihm wie aus weiter Ferne eine nebelhafte Erinnerung, die aber sogleich wieder verschwand. Nein es mußte ein Irrtum sein!

Fräulein Margarete aber stand an jenem Abend, nachdem sie den Eltern viel zeitiger als gewöhnlich gute Nacht gewünscht hatte, noch lange in ihrem reizenden Mädchenstübchen vor einem zierlichen Bücherspind und kramte unter lauter unscheinbaren, blaueingeschlagenen Büchern und dünnen Heften. Dabei schlug ihr auf einmal eine lichte Blutwelle heiß über das feine Gesicht. Sie packte den ganzen Kram weg, zog sich rasch aus und begab sich zur Ruhe. Aber noch lange sah sie, in die spitzenverzierten Kissen geschmiegt, den weißen Mondstrahlen zu, die langsam und lautlos über die bunten Blumen des Teppichs wandelten. Dabei lächelte sie einmal unter Tränen hell auf und fragte sich zweifelnd: »ob er sich wirklich nicht darauf besinnt?«

* * *

Und dabei hob sich vor den Augen der schönen Margarete auf einmal ein bleiches, kümmerliches kleines Gretchen aus der Dämmerung der Schneenacht empor. Das ganze Weh der Welt sprach dem dürftigen, ängstlichen Dingchen aus den verträumten Blicken. Sie fand sich in nichts zurecht, die arme, dumme, kleine Seele, seit die ängstlichsorgende Mutter nicht mehr bei ihr war; und die Mutter war von ihr gegangen, weit, weit weg, woher niemand noch auf die Erde zurückgekehrt ist. – Da sollte das Kind nun in der Stadt bei der Großmutter leben, die gar streng und genau war, mit fremden Kindern in die Schule gehen und allerhand, ach, so schwere Dinge lernen!

Und lernen konnte sie nicht! Nein – es war gewiß nicht Eigensinn von ihr – sie konnte es nicht! Früher, bei der Mutter, war es eher noch gegangen; die hatte ihr alles so leicht gemacht, so sanft ins Köpfchen geschmeichelt. Aber nun waren ihre Gedanken immer verwirrt und zerstreut – die Wandtafel im Schulzimmer, die große Landkarte, das Heft oder die Schiefertafel vor ihr auf der Bank – alles ward ihr immer zum verschwommenen Bilde der Heimat, des schattigen, waldigen Tals, des großen Gartens und des stillen Zimmerchens, darin sie so gern lernend oder spielend bei der Mutter saß.

Fragte sie der Lehrer, so wußte sie nie eine Antwort; niemals hatte sie ihre Aufgabe genügend gelernt, solange sie auch zu Hause seufzend und sehnend über den Büchern säumte; niemals hatte sie ein richtiges Exempel, eine fehlerlose Übersetzung in ihrem Heft; dabei saß sie noch in einer Klasse, die weit unter ihrem Alter war. Und obendrein fühlte sie ihre ganze Schmach; die Verzweiflung der Lehrer, die Verachtung ihrer jungen Mitschülerinnen kosteten sie tausend Tränen; ihr kleines Herz war erfüllt von Scham und Jammer, aber das alles machte sie nicht wach, sondern nur mehr und mehr weltfern und verträumt.

Sie konnte nicht lernen!

Und nun saß die Großmutter einmal in ihrem schweren, schwarzseidenen Kleid und ihrem reichen Federhut in einem Examen in der vordersten Stuhlreihe und mußte zwei Stunden lang die Schande über ihr stolzes Herz ergehen lassen, das dümmste und faulste Kind in der ganzen Klasse zu sich gehörig zu wissen; das war für die Geheimrätin Tuler einfach unerhört, so etwas hatte sie an Gretchens Mutter nie erleben müssen!

Da ergoß sich dann zu Haus eine heiße Flut von Schelten und Tränen über das leckere Mittagessen, das die alte Auguste, Gretchens einzige Freundin, extra zu Ehren dieses Examentages mit so besonders liebevoller Sorgfalt bereitet hatte.

So ging es nicht länger! Gretchens Faulheit gereichte der ganzen Familie zur Unehre – es war unerhört für ein beinahe zwölfjähriges Kind, die Jahreszahlen der Kreuzzüge nicht zu merken und nicht einmal in der einfachen Regel de tri-Rechnung Bescheid zu wissen. Von nächster Woche an sollte und mußte das anders werden! Gretchen sollte in allen Fächern, besonders in Geschichte und Rechnen, in denen sie sich am blutigsten blamiert hatte, tüchtige Nachhilfestunden erhalten – ein genügend strenger Lehrer werde schon zu finden sein! – –

Und ach, er war genügend streng, der Lehrer, der sich endlich fand!! Die Großmutter hatte bei ihrer Wahl weder auf Alter, noch auf Stand, noch auf Honorarforderung gesehen, sondern einzig auf die aus Blick und Worten sprechende Arbeitsenergie und Festigkeit des Charakters. Und darin hatte ein junger Schüler die sich meldenden Lehrer von Stand und Beruf sämtlich übertroffen.

So saß denn das kleine dumme, furchtsame Gretchen mit dem dünnen blonden Zopf und den ängstlichen träumerischen Augen, ehe sie sich's versah, an ihrem Schultisch einem gewaltig ernsten, langen und würdevollen jungen Manne gegenüber, der gleichsam wie aus erhabener Höhe zu ihr sprach und ihr in einem gewissen milden, herablassenden Ton allerhand klar zu machen suchte, wovon sie – befangener und gedankenloser als je – nicht ein Wort verstand. Als der junge Lehrer die Früchte seiner Auseinandersetzungen durch allerlei grundpädagogische Kreuz- und Querfragen aus seiner Schülerin herauszulocken begann, gab das kleine, dumme Gretchen mit zitternder Stimme den unglaublichsten Unsinn zur Antwort.

Der junge Mann sah voll Hohn und Zorn auf das unglückliche Kind nieder und begann mit noch eindringlicherer Stimme, jedes Wort scharf betonend, seine Erklärung zum zweitenmal.

Das arme Opfer sagte ihm ein paar Worte gedankenlos nach, dann sah sie den strengen Lehrmeister mit verlegen zuckendem Antlitz an und konnte nicht weiter.

»Es ist unglaublich!« rief er voll schmerzlicher Empörung. Und wieder begann er seine mühevolle Arbeit von vorn und koppelte die widerspenstigen, wandernden Gedanken des kleinen Traumbildes gleichsam an eine feste Leitschnur, daß sie ihm folgen mußten, wohin er sie haben wollte. Und die armen Gedanken gingen dann wohl ein Stückchen mit, gerade so lange, als der scharfe, vernichtende Blick des Lehrers sie zusammenhielt – dann flatterten sie wieder in alle Winde auseinander.

Nein es war alles umsonst!

»Dich zu unterrichten ist ja eine Höllenqual!« donnerte der junge Herr. Und »o, welch ein Vergnügen!« seufzte er ein andermal verzweifelt auf. – Wenn Gretchen bis zum nächsten Mal ihre Aufmerksamkeit nicht zusammennehmen wolle, so werde er sie einfach durch Strafarbeiten zwingen – was solle denn aus ihr werden, wenn sie immer so dumm und träge bliebe? Sie müsse lernen! Basta!

Schmeicheleien gehörten zu den Unterrichtsmitteln des jungen Lehrers nicht!

Aber wie sehr das Kind die verdiente Verachtung fühlte, die aus allen seinen Worten sprach – sie konnte sich doch nicht aus ihrer unglücklichen Versunkenheit erheben. Die große Mühe, der ganze Kraft- und Stimmaufwand des Lehrers waren umsonst, ebenso wie Gretchens endlose Strafarbeiten.

Die Stunden waren für beide Teile eine unsagbare Qual.

Immer mehr vernichtet, immer tiefer bedrückt saß die Kleine dem langen Menschen gegenüber; – eine leise Ahnung, als könne es wohl besser werden, wenn sie nur einmal anfange, mutig zu wollen, klopfte als Widerhall der vielen energischen Ermahnungen wohl manchmal der kleinen Sünderin ans Herz. Aber sie kam nicht über das Träumen weg, sie fürchtete diese Stunden; sie sah nachts noch den großartigen, zerschmetternden Blick, mit dem der Lehrer sie nach jeder Faselei ansah – eigentlich ohne sie zu sehen! Nein, richtig ins Gesicht geschaut hatte er ihr noch gar nicht – er kannte sie nicht einmal, wenn sie auf der Straße schüchtern vor ihm knixte.

O, wie elend stand die arme, kleine, dumme Grete da vor diesem klugen und hohen Herrn!

Und das Schlimmste kam noch. Er hatte ihr und auch der Großmutter, die zuweilen in die Stunde hereinrauschte, so oft gesagt, es sei »einfach unglaublich« und »eigentlich gar nicht auszuhalten«, und war doch immer wieder gekommen.

Eines Tages aber warf er nach einer furchtbaren Szene dem entsetzten Kinde mit den Worten: »Nein, lieber Holz hacken, als solche Dummheit und Trägheit länger bearbeiten«, auf einmal Stielers Handatlas nebst dem großen und dem kleinen Leitfaden der Geographie nacheinander donnernd vor die Füße, steckte mit einer großartigen Bewegung sein Notizbuch in die Tasche und verschwand aus dem Zimmer. Auf Nimmerwiedersehen!

Die kleine Grete hörte seine Schritte verhallen, sie stand auf und bückte sich wie betäubt nach den auseinandergeflatterten Büchern. Da, während sie noch am Boden kniete, brach das Bewußtsein ihrer Schande auf einmal wie Hagelschlag über sie herein; sie beugte den Kopf – sie warf sich zitternd auf die Erde hin über Atlas und Leitfäden, sie schluchzte und schluchzte – und während ihre Tränen heißer und heißer rannen, war es, als schlüge auf einmal ein Blitz neben ihr ein, als risse ein Schleier, der vor ihren Blicken gelegen, ihr Herz begann stürmisch zu klopfen, und mitten in ihrer Schmach und Qual sprang sie auf einmal auf – ein anderes Gretchen, wie vorher – hob die gefalteten Hände zum Himmel auf und sagte unter flutenden Zähren:

»Ich will lernen!«

Von dem Tage an war es, als sei die kleine schläfrige Grete erwacht. Ein Entschluß ist mehr wert, als tausend Ermahnungen – ein Entschluß ist alles – und die Kleine hatte sich zum erstenmal in ihrem Leben zu etwas entschlossen.

Sie sah die Bücher nun mit anderen Blicken an, mit wachen Blicken! Und sie hörte das, was die Lehrer sprachen, nicht mehr wie aus weiter, weiter Entfernung in einen tiefen sanften Traum hinein, sondern ganz klar und nah – mit wachen Ohren! –

Das Lernen war ja gar nicht so schwer. Ach, und wie entzückend war es, zum Weinen süß, als sie vom Munde einer Lehrerin, die sich immer nur über sie beklagt hatte, das erste verwunderte Lob empfing!

Das erste reiche Glücksgefühl, die erste frische Lebenslust kam wie ein Veilchenhauch in die kleine verschüchterte Seele – wie ein paar Flüglein breitete sich's in derselben aus – leicht und froh schwebte das immer so kopfhängerische Gretel auf einmal dahin! Die Großmutter, die sie nach dem schmachvollen Ende der Privatstunden noch so furchtbar gescholten, holte sie nun immer mit freundlichen Scherzen von ihren Büchern weg, von den Büchern, die sie auf einmal so lieb hatte!

Wie hübsch war es doch eigentlich in Großmutters altem stolzen Hause! Wie schmeckte das Essen! Wie schön war die Welt!

Gretchen wuchs in kurzer Zeit ein tüchtiges Stück in die Höhe, ihr welkes Gesichtchen wurde weich, voll und rosig, und die früher so matten Augen blickten groß und strahlend in die Welt, wie es immer die Augen von Erwachenden tun.

Nur manchmal noch senkten sie sich in Demut und Scham; einen Schattenwinkel hatte das junge frühlingshelle Herz! – Jedesmal wenn die schlanke, bewegliche Grete die blaue Primanermütze des langen Lehrers von weitem auf der Straße sah, wollte ihr ganzes Wesen erstarren vor peinvoller Scham. Es war ihr, als müsse sie vor dem beleidigten Lehrer in die Erde sinken – nur ihn nicht seh'n, nur ihn nicht seh'n! Jetzt, da alles anders geworden, ward ihr es erst ganz klar, wie sie ihn gemartert hatte, wie erbärmlich sie dastehen mußte in seinen Augen!

Gott sei Dank – er sah ihren raschen Gruß immer gar nicht, wenn sie schüchtern an ihm vorbeihuschte. Seine Augen waren meist mit erhabenem Weisheitsblick in die Ferne gerichtet; es schien, als sehe er die Welt um sich her überhaupt nicht an; – oder wollte er sie nur schonen – sie, die elende Sünderin? –

Auch dieser letzte Rest der früheren Qual ging vorüber. Gretchen wurde konfirmiert und kam in eine Pension in die Französische Schweiz. Während sie dort geistig und körperlich immer mehr aufblühte, zog in ihr vereinsamtes Heimatshaus eine zweite Mutter ein, die dem heimkehrenden Kinde voll warmer Liebe die Arme entgegenbreitete. Noch ein seliger Sommer verging in dem stillen grünen Tal – ein holdes, feingeistiges Zusammenleben erblühte zwischen Mutter und Tochter – dann kam auch dem Vater der Wunsch, sich mehr den Seinen widmen zu können; die Fabrik ward verkauft, und die drei seligen Menschen bezogen das traulichste Familienhaus in der großen Stadt. –

Ach, wie schön wäre dieser Winter gewesen, ohne – – ohne – –

Lieber Gott! Ob er sich wirklich nicht besann?

* * *

Die nächste Tanzstunde war ein wichtiges Ereignis für alle ihre Mitglieder. In derselben durften nämlich die Einladungen zu dem großen Auslernball, der alljährlich für alle vereinigten Stundenkurse in einem sehr feinen Hotelsaal abgehalten wurde, unter den jungen Leuten angebracht werden; d. h. mit anderen Worten, jeder junge Herr durfte sich die Dame, die er an jenem Abend zu Tisch führen wollte, im voraus engagieren; darauf erfolgte ein Besuch bei deren Eltern und am Tage des Balles die Übersendung eines bescheidenen Straußes. Kostbare Buketts waren durch ein allgemeines Übereinkommen streng verboten.

Natürlich verschoben einzelne Herren, denen die Sache besonders wichtig war, ihre Einladungen nicht bis zu diesem offiziell dazu bestimmten Tag, sondern sicherten sich die Königin ihres Herzens schon im vornherein. Der junge Grieche hatte Fräulein Grunold schon nach der vierten Stunde zu Polonäse und Souper engagieren wollen, doch lehnte sie diese, sowie mehrere noch folgende Einladungen vorläufig ab, da sie Ende März wahrscheinlich zur goldenen Hochzeit ihrer Großeltern nach dem Rhein reisen und den Ball also nicht besuchen werde.

Dieses Vorhaben schien indes wieder geändert worden zu sein, denn Fräulein Margarete stand in lieblicher Unschlüssigkeit, verlegen an dem blauen Bande ihres Fächers nestelnd, mitten in einem kleinen Kreis ihrer jungen Verehrer, von denen jeder einzelne angelegentlichst in sie drang, ihm die Ehre ihrer Nachbarschaft zum Ball-Souper zu bewilligen.

»Vorläufig erlauben die Herren vielleicht, daß ich das Fräulein an eine mir neulich versprochene Gnade für heute erinnere«, unterbrach da eine kräftige Stimme das eifrige Gesumme. »Fräulein Grunold, der Contre fängt eben an! Darf ich um den Vorzug bitten?«

Zum Erstaunen aller Umstehenden legte die junge Dame mit freundlichem Lächeln ihre schmale, knappbehandschuhte Rechte auf Herrn Hermann Wittstocks Arm. Unbekümmert um ein ganzes Heer von verwunderten Blicken trat das schlanke, schöne Paar zum Tanze an.

»Müßte ich Sie wirklich aufklären?« fragte Fräulein Margarete auf Hermanns wiederholte, auf das neuliche Gespräch bezügliche Frage etwas befangen. »Von Irrtum, Herr Wittstock, kann keine Rede sein! Erinnern Sie sich meiner wirklich nicht?«

»Auf Ehre –«

»Ach Gott«, sagte sie seufzend, »dann werden Sie sich noch schön entsetzen! Ich dachte natürlich, Sie hätten mich gleich erkannt. Soll ich es denn sagen?«

»Mein gnädiges Fräulein, ich muß gestehen, ich brenne vor Neugierde.«

»Herr Wittstock, haben Sie nicht vor vier Jahren einmal einem entsetzlich unaufmerksamen, zerstreuten, kleinen Mädchen Nachhilfestunde gegeben?«

»Ja, einer kleinen Tuler –«

»Einer kleinen Grunold. Tuler hieß die Großmutter des Kindes.«

»Herr, mein Gott!« schrie der junge Mann, wie von einem Schlage getroffen. »Das ist doch einfach unmöglich! – Sie – Sie – wären –?«

»Es ist leider nichts zu ändern daran«, versetzte sie mit schwacher, sanfter Stimme.

Es war ein Glück, daß die beiden, die als zweites Paar bis jetzt feiernd im Tanzkarree gestanden hatten, nun an die Reihe des en avant deux kamen; Herr Wittstock hatte so wenigstens Zeit, für sein grenzenloses Staunen, seine grenzenlose Betroffenheit Worte zu finden.

»Solch eine Veränderung ist mir allerdings noch nicht vorgekommen«, flüsterte er kopfschüttelnd beim folgenden tour de main. »Ach, mein Fräulein, in welcher schrecklichen Erinnerung muß ich Ihnen stehen!«

»Wie müssen Sie mich vielmehr ansehen«, fuhr sie bei der folgenden längeren Pause seufzend auf. »Ich bitte Sie heute noch um Verzeihung dafür, wie ich Sie damals gequält habe! Vier Jahre lang habe ich mich im stillen vor Ihnen geschämt.«

»Um Gotteswillen, mein Fräulein –«

»Ja, Ja! Aber Ihre letzte Strafpredigt hat mächtig geholfen – glauben Sie mir, ich habe mich doch noch gebessert. Das habe ich Ihnen zu danken –«

»O lieber, gütiger Himmel! Und sind Sie mir wirklich nicht ganz böse?«

»Nein – ach, ich schämte mich nur so sehr. Ich habe mir schon als Kind immer gewünscht, Sie einmal um Entschuldigung zu bitten; aber weil Sie mich auf der Straße nie sehen wollten, glaubte ich –«

»Fräulein Margarete, ich habe Sie wahrhaftig nie gesehen! Ich war eben ein großer, großer Tor – ganz in mein bißchen Bücherweisheit verrannt – –«

»Wenn Sie mir die Qualen von damals nur jetzt nicht mehr nachtragen.«

»Mein Fräulein –«

»Fragen Sie nur einmal Mama – meine Eltern leben jetzt hier – wie ich mich immer mit den Gedanken an früher gequält habe.«

»Darf ich denn Ihren Eltern einmal meine Aufwartung machen? Vielleicht – – ach, mein gnädiges Fräulein, ich weiß es, ich verdiene die Freude nicht – aber dies ist alles so wunderbar, wenn mir gar das Glück würde, meine kleine Schülerin von einstmals zum Balle zu führen –«

»Obgleich es mit ihr eigentlich nicht auszuhalten ist?« fragte das Fräulein mit einem Anflug von fröhlicher Schelmerei.

»Seien Sie mitleidig –«

»Nun ja denn! Leider bleiben wir nur bis kurz nach der Tafel, wir reisen am anderen Mittag zu Papas Eltern nach Köln. – Herr Kyropolus wird sich wohl trösten! – Ich nehme Ihre freundliche Einladung dankend an.«

»Tausend, tausend Dank!«

* * *

Fräulein Grunold sah am darauffolgenden Sonnabend in ihrer zartrosa Tüllwolke zauberhaft lieblich aus. Sie war den ganzen Abend seelenvergnügt, am meisten bei Tafel, wo sich zwischen den Eltern, Herrn Wittstock und ihr ein entzückendes Plauderstündchen ergab.

»Nun müssen wir aber Gretchens strengen Lehrer einmal leben lassen, mein Herr Doktor in spe«, sagte Herr Grunold einmal, indem er den Sektkelch neckisch gegen den Jüngling erhob.

»Ach, Papa«, flüsterte Gretchen während des allgemeinen Gelächters, das glühende Gesichtchen in Herrn Wittstocks kleinen Rosenstrauß verbergend. »Ich schäme mich eigentlich gar nicht mehr so sehr; – ein besseres Gedächtnis als mein Herr Lehrer habe ich doch gehabt!«


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