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Der Assistent.

I.

M., den 4. Januar 18..

Liebe Toni!

Ich freue mich so!

Unser Buch hat nun doch einen Erfolg gehabt! Lache nicht, wenn ich schreibe »unser« Buch; ich habe Papa wahrhaftig genug daran geholfen; ich habe für ihn nachgeschlagen, habe die schwierigsten Kapitel nach seinem Diktat geschrieben, war in alle Mühseligkeiten und alle Errungenschaften von Anfang bis Ende eingeweiht.

Ja, Toni, wenn die Geschichte und Sprache der alten Etrusker noch einmal auflebt und taghell und klar wird, so habe ich mein Teil daran. Ich hoffe, die Welt wird es noch einmal erfahren, welche Verdienste sich ein noch nicht sechzehnjähriges Mädchen um diesen interessanten Teil der Geschichtsforschung erwarb.

Der Anfang zum Erfolg ist da. Du weißt, ich war empört, daß die Gelehrtenwelt so wenig Notiz von unserem Buche nahm. Papa hatte auf meine Klagen immer nur sein erhabenes Lächeln, dasselbe wehmütig großartige Lächeln, mit dem er jeden Abend an die Korrektur der vierzig Schülerhefte geht, wenn seine Seele nach seinen wissenschaftlichen Studien schmachtet. Ich korrigiere natürlich immer tüchtig mit; – mein kleiner Schreibtisch steht jetzt dicht neben Papas großem Pult, – aber die Hauptmühe bleibt doch meinem lieben, einzigen Freund. Gestern, Toni, habe ich Papa eigentlich zum erstenmal in seinem Leben wirklich vergnügt gesehen.

Wie freue ich mich! Wie freue ich mich!

Höre nur – die »Münchener Allgemeine Zeitung« hat einen drei Spalten langen Artikel über unser Buch gebracht – natürlich lobend – nein, das ist zu wenig gesagt, begeistert, außer Rand und Band! Der Kritiker ist geradezu gerührt über Papas Scharfblick, Bescheidenheit und unendlichen Fleiß. Es sei hohe Zeit, daß die Wissenschaft endlich Notiz nähme von diesem wunderbaren Buch. Der Artikel war leider nur mit drei Sternen unterzeichnet. Wer mag ihn nur geschrieben haben?

Ich sah Papa an diesem Tage nach; er ging stattlich, mit erhobenem Haupt, wie ein Sieger über die Straße an sein Tagewerk. Wie seine Kollegen ihn wohl beneiden! Teilnahme findet er natürlich unter ihnen nicht. Ach, Toni, ich weiß es wohl, Papa steht gerade so einsam und verlassen unter seinen Lehrern, wie ich während meiner schrecklichen Schulzeit unter euch. Wie mich die Mädchen alle, außer Dir, quälten und bespöttelten, weil ich nicht spielen mochte und die lateinischen Stunden bei Papa nahm, weil ich überhaupt nichts liebte, außer Papa und meinen Büchern, so steht auch mein herrlicher Freund vereinsamt unter seinen Berufsgenossen; – mir zum Glück – denn so bin ich sein Herzenskamerad geworden. Wir führen ein herrliches Leben zusammen – ich lerne unermüdlich, jetzt studiere ich Mommsens römische Geschichte; es ist mir immer, als könne ich Papa nicht nahe genug kommen in dieser Beziehung; sein Rat und seine Belehrungen stehen mir immer zur Seite. Mein Latein treibe ich natürlich fort; auch die etruskischen Studien.

Toni, im Vertrauen gefragt, glaubst Du, daß man vom angestrengten Lernen plötzlich mir nichts dir nichts ohnmächtig werden kann? Gestern wurde es mir bei einer lateinischen Übersetzung plötzlich so merkwürdig, so leer, so übel, so kalt; – auf einmal lag etwas Eisiges auf meiner Stirn, Guste stand neben mir und sagte, – denke nur, ganz unter Tränen, das gute, alte Tier! – sie habe mich wie leblos im Stuhl gefunden. Ich müsse mehr essen, ich müsse mich mehr bewegen. Die Bücher seien an allem schuld. – Ach was! ich war gewiß nur eingeschlafen! Dem Papa hat sie nichts davon sagen dürfen; sie mußte mir's schwören. Kochenlernen, sagte die Guste, sei gegen solche Anfälle das beste Mittel. Na, Kochen lerne ich nicht, das steht fest; – es wäre Gusten auch gewiß im Ernst gar nicht lieb, – sie rühmt sich so gern, sie versorge ihre gelehrte Herrschaft nun seit zehn Jahren wie ein paar kleine Kinder; – das stimmt; zehn Jahre ist es seit Mamas Tod.

Nein, Kochenlernen gewiß nicht. Aber Italienisch fange ich nächste Woche an.

Leb' wohl, meine Toni. Es küßt Dich

Deine treue Gertrud.

Nachschrift. Die Kritik in der »Allgemeinen« war von einem Dr. Walker geschrieben, einem einstigen Schüler von Papa, jetzt seit langer Zeit schon in Berlin. Er schreibt Papa eben – voll stürmischer Verehrung, kann ich Dir sagen. Vielleicht kommt er nächstens einmal; die etrurische Forschung ist auch sein Spezialfach.

Nochmals
Deine Trude.

 

II.

M., den 26. Januar 18..

Teure Toni!

Ich bin in einer sonderbaren Laune und Stimmung. Ich weiß gar nicht, wie ich Dir alles sagen soll.

Er ist da; – er hat meinem Vater ein märchenhaftes Gastgeschenk mit gebracht; – ach – aber er ist doch ein entsetzlicher Mensch!

Denke Dir, gestern führt Guste einen fremden, sehr langen, schlanken Herrn direkt in unser Arbeitszimmer. Papa springt auf, tut einen Augenblick erstaunt, dann zuckt's und leuchtet's nur so über die beiden Gesichter, und mein kleiner Vater liegt dem langen Menschen mit dem dummen goldenen Klemmer auf einmal in den Armen. Sie klopften einander auf die Wangen, sie sahen einander in die Augen, sie taten, als wüßten sie gar nicht wohin vor unsinniger Freude. So braucht Papa doch eigentlich mit einem fremden Menschen nicht zärtlich zu tun.

Mich sah das Ungeheuer kaum an.

»Meine Tochter Gertrud, meine kleine, teure Mitarbeiterin!« stellte Papa mich vor.

»Lieber Gott«, sagte er ganz obenhin und sah mich mit einem flüchtigen Viertelsblick von der Seite an, »auch so ein armes blasses Töchterschulenpflänzchen! Sie müssen recht hanteln und Milch trinken, liebes Kind – oder Fräulein?«

»Gertrud ist sechzehn Jahre«, – half Papa ein. Darauf verbeugte jener sich mit einem ganz abscheulichen Lächeln beinahe bis zur Erde, schnellte dann in die Höhe und sprang, zu Papa gewandt, ohne mich nur im mindesten weiter zu beachten, auf die etruskischen Inschriften über. Papa sah ihn nur immerstrahlend an, während sie beide sprachen, er trank seine Worte förmlich ein, gerade als sei er zehn Jahre verlechzt gewesen nach einem solchen Gespräch. Höchstens zwei- oder dreimal wandte er sich flüchtig an mich, aber sein neuer Freund schien über eine solche unnötige Unterbrechung förmlich ungeduldig zu werden. Einmal sagte er voller Hohn: »Nein, welche Gelehrsamkeit!« die übrigen Male achtete er auf meine Bemerkungen kaum. Er hatte Papa so unendlich viel neues zu erzählen, unser Buch kannte er beinahe auswendig und sprach unter Rühmen und Loben jeden Punkt desselben mit leidenschaftlicher Lebhaftigkeit durch.

Es war ja eigentlich alles so schön, Toni! Aber mir war auf einmal, als fühle ich einen bitteren, brennenden Geschmack auf der Zunge, die Tränen stiegen mir in die Augen. – Ich eilte aus dem Zimmer, Papa hat es gar nicht gemerkt. Ich hätte mich am liebsten weit weg geflüchtet, um nur diesen jubelnden Gedankenaustausch nicht mehr zu hören; – aber die beiden vollen frohen Stimmen klangen mir bis ins letzte Zimmer nach.

Hätte ich es nicht sicher gewußt, so hätte ich's nimmermehr geglaubt, daß eine dieser beglückten, jugendlichen Stimmen meinem armen Papa gehöre! Auf einmal schlug er sogar in die Hände und jauchzte laut auf, dann wurde es ganz, ganz still; ich glaube, in dieser Zeit haben sie sich wie verliebt in die Augen geseh'n – ich merkte es an Papas Stimme, als er wieder leise und bebend zu reden begann.

Dann ging es aufs neue forte, fortissimo!

Der bescheidene Gast blieb gleich über drei Stunden da. Als ihn Papa hinausgeleitete und einmal meinen Namen nannte, hörte ich ihn sagen: »Ach, Fräulein Gertrud steckt gewiß in der Küche! Gnädiges Fräulein, kochen Sie um Gotteswillen für mich keinen Kaffee! Ich gehe jetzt!« –

Reizend ungeniert! Nein, ich kochte ihm wahrhaft keinen Kaffee! Ich dankte Gott nur recht inbrünstig, daß er ging, und bekam Herzklopfen, als Papa ihm mit wahrem Glockenklang in der Stimme nachrief: »Auf Wiedersehen morgen, auf Wiedersehen!« – Ich haßte diesen Doktor Walker.

Darauf mußte ich ihm aber doch wieder gut werden. So abscheulich er zu mir war – an Papa hat er entzückend gehandelt. Denke Dir, er hat die Archäologische Gesellschaft in Berlin auf Papas Buch hingewiesen und hat Papa den Auftrag ausgewirkt, die italischen Städte, namentlich die kleinen westitalischen, nach Inschriften und sonstigen Daseinsresten aus der Etruskerzeit zu bereisen. Das war es, Toni, worüber mein Vater jauchzte und dann so lange, lange still ward.

Der Direktor der Gesellschaft ist Doktor Walkers naher Verwandter.

Im April soll Papa reisen. Er hat heute abend schon sein Urlaubsgesuch aufgesetzt. – Ich reise natürlich mit. Welche Wonne dieses Wort für mich einschließt, das kann ich Dir nicht sagen! – Gutes, ehrbares Tonerle, Du hast gewiß auch oft über meine etrurische Weisheit gelächelt, nun siehst Du wohl ein, daß ich sie an Ort und Stelle zu Papas Hilfe gut werde brauchen können?

Wenn dieser Doktor Walker morgen erst wieder abgereist ist, geht es rasch weiter in der italienischen Grammatik. Wie gut, daß ich schon tüchtig damit angefangen habe. Die Sprache ist übrigens ungeheuer leicht.

Wäre er nur erst fort! Dann erst ist ganz glücklich

Deine Trude.

 

III.

M., den 13. Februar 18..

Gutes liebes Herz!

Er ist noch da! – – – – – –

Ach, Toni! Dieses »Er ist noch da« habe ich vor einer halben Stunde geschrieben; seit dieser Zeit sitze ich vor meinem Bogen, und eine innere Stimme sprach immerfort langsam, kleinlaut, wie das Ticktack einer alten Uhr: »Er – ist – noch – da!«

Ich bin sehr, sehr unglücklich, meine Toni! Papa hat einen Freund gefunden, der ihm mehr wert ist, als ich. Ich bin überflüssig auf dieser Welt! Ich darf nicht mit nach Italien fahren, Doktor Walker reist mit Papa. Ich habe nicht einmal eine Heimstätte mehr; Doktor Walker sitzt nämlich seit acht Tagen von früh bis abends an meinem Schreibtisch – – – er korrigiert Papa sogar die Hefte mit. – –

Wie er dreist und gottesfürchtig von diesem Möbel Besitz nahm, Toni, das muß ich Dir rasch erst einmal erzählen. Er war am Morgen nach seiner Ankunft mit Papa auf der Bibliothek gewesen, dann aß er hier; denke nur, dieser dumme, billige Witz; fast bei jedem Gang fragte er: »ach, das ist gewiß Fräulein Gertruds Kunstwerk?« – nach Tisch rauchte er seine Zigarette auf dem kleinen Ledersofa in Papas Zimmer; Papa schlief ein wenig, und ich saß an meinem Tischchen und suchte mit Hilfe des Wörterbuchs ein Stück aus der »Pest von Florenz« ins Deutsche zu übersetzen; – ich finde, so rückt man einer fremden Sprache gleich am nächsten.

Mitten in meiner Arbeit redete er mich auf einmal an: »Fräulein Gertrud, wissen Sie was: – Sie sehen furchtbar blaß aus! Lassen Sie doch das ewige Lernen.«

»Ich muß doch Italienisch können, wenn ich mit Papa reisen will«, antwortete ich.

»Sie?« fragte er spitz. »Ei, das ist ja etwas ganz Neues!«

Darauf rauchte er ruhig weiter, mindestens fünf Zigaretten. Endlich warf er den Rest der letzten weg, sprang auf und kam mir rasch ein paar Schritte näher.

»Fräulein Trudchen«, so sagte er, »nehmen Sie's nicht übel! ich muß Sie einmal um etwas bitten!«

»Sie?« fragte ich jetzt mit ebenso famosem Klang, wie vorhin er.

»Ja!« sagte er ganz freundlich und vertraulich und zog dabei, denke! ein paar alte Handschuhe aus der Tasche. Papa sei heute mit zerrissenen Handschuhen auf der Bibliothek gewesen, es habe ihm ins Herz geschnitten, seinen vergötterten Freund so zu sehen, – dieser Heuchler! Papa sei natürlich viel zu sehr Gelehrter, um auf solche Kleinigkeiten zu achten, aber ich, als sein Hausmütterchen, müsse dafür sorgen, daß ein so herrlicher Mann auch noch immer recht adrett daherginge. –

Toni! Als ob ich jemals Handschuhe geflickt hätte! Hätte ich ihm das nur damals gleich gesagt! Aber leider war ich verblüfft, wurde rot und nahm ihm die dummen Dinger aus der Hand, um sie Gusten hinauszutragen. Guste wurde grob. Zum Handschuhflicken seien ihre Finger zu derb und ihre Augen zu alt; so etwas brauche niemand von ihr zu verlangen, sie halte uns sonst unsre Sachen ja gewiß untadelig im Stande: ich solle nur warten, bis nächsten Montag die Flickerin käme.

Sage es niemand, Toni, wie schwach ich war! Ich ging ins Wohnzimmer, kramte aus Mütterchens altem Nähtisch Nadel und Faden heraus und versuchte, die langen Schlitze selbst zu heilen. Seit der sechsten Klasse habe ich nicht mehr genäht; damals wurde ich ja dispensiert; die weißen Nähte saßen denn auch sehr breitspurig in dem braunen Leder.

Und doch noch lange nicht so breitspurig, wie der entsetzliche Mensch sich unterdessen an meinem schon ganz mit seinen albernen Papieren bedeckten Schreibtisch zurechtgesetzt hatte!

»Liebes Gertrudchen«, sagte Papa flehend, als ich wieder ins Zimmer trat, »nicht wahr, du lässest dem lieben Freund für ein paar Tage den Platz hier neben mir? Wir haben sehr notwendig zusammen zu arbeiten! – sei mein liebes Kind!«

»Wir verpflichten uns dadurch zu gegenseitigem Dank, Fräulein Gertrud«, höhnte der Entsetzliche. »Für Sie ist es wahre Medizin, wenn Sie sich ein paar Tage lang im Hause tätig machen.« – –

Ja, Toni, ich sitze jetzt mit meiner »Pest von Florenz« im kalten Schlafzimmer, wenn ich lernen will! Denn auch im Wohnzimmer bin ich vor seinen Witzen nicht sicher. Was ich aber lerne und lese – ich verstehe es nicht; und wozu ich überhaupt noch lerne und gar Italienisch lerne, das weiß ich nicht. Es ist nämlich wirklich keine Rede davon, daß ich mit nach Italien darf, er wird doch dieses Glück genießen – und denke nur, unter welcher albernen Form er sich zu demselben drängt:

Er behauptet, Papa brauche einen Assistenten, und er hat noch eine zweite Eingabe an die Gesellschaft gemacht, daß diese die Reise- und Aufenthaltsspesen für einen solchen bewilligen soll. Der Assistent soll ein junger, intelligenter Mensch sein, der gelegentlich ein lateinisches Diktat niederschreiben und Papa helfen soll, die alten Inschrifttafeln in den Museen zu kopieren – als ob ich das nicht könnte! Nebenbei soll dieser vorzügliche junge Mann auch – Du wirst lachen! – ein wenig Interesse für Papas Leibespflege haben, das ist natürlich eine Spitze für mich! In diesem Punkt hat sich überhaupt der großartige Doktor Walker entsetzlich wichtig!

Er ist selbst furchtbar eigen, legt auf Nahrung und Kleidung einen lächerlichen Wert – seine Wäsche, seine Handschuhe kauft er, glaub' ich, alle Tage neu und wird nicht müde, mich mit meiner Verachtung dieser Dinge zu ärgern und zu quälen. Denke Dir, gestern hatte er Papas Straßenrock, an dem ein Knopf fehlte, mit großer Sorgfalt auf Mütterchens Nähtischchen ausgebreitet, die Stelle des abgerissenen Knopfes, an der er die grauen Fadenenden recht hoch gezogen, noch extra durch einen sehr sorgfältig aufgezeichneten kleinen Kreidekreis markiert.

Und am Abend fand er den Tee für Papas schwache Nerven viel zu stark. »Man merkt es eben, Fräulein Gertrud hat ihn einmal nicht selbst bereitet«, spottete er. »Tun Sie mir den Gefallen, mein liebes Fräulein, und gießen Sie das zweite Kännchen selbst auf. Genau einen gestrichenen Teelöffel voll Blätter auf die Person; den ersten Aufguß rasch abgegossen.«

Ach, Toni, ich tat es, ich ging hinaus und kochte zum erstenmal in meinem Leben Tee! Nur um einmal aufzustehen, um einmal wegzukommen von diesem ungemütlichen Abendbrottisch. Ich spreche schon lange kein Wort mehr mit, ich sitze wie zwischen zwei Feuern; er sieht mich immer spöttischer an, Papa immer flehender, als habe er mir etwas abzubitten.

Der Entsetzliche wird, wie Du siehst, jeden Tag heimischer bei uns. Will er etwa gar bleiben, bis er als Assistent mit nach Italien reist?

Das war ein langer Brief! Ach, er hat mein schweres Herz nicht leichter gemacht!

Herzenstoni, bedaure nur ein wenig

Deine arme, sehr unglückliche
Gertrud.

 

IV.

M., den 25. Februar 18..

Meine einzige Freundin!

Ich habe Deinen Rat befolgt und Papa heute offen und ehrlich gefragt:

»Ist es möglich? Ist es ein für allemal wahr: darf ich nicht mit nach Italien?«

Denke Dir, Toni, wie furchtbar! Papa konnte mir auf diese Frage nicht einmal in die Augen sehen. Er stand von dem kleinen Sofa auf, trat ans Fenster und sah lange in das Flockenwehen hinaus. Dann sagte er – Gott, ich hörte es ihm an, wie mühsam, wie schwer ihm jedes Wort ankam:

»Mein geliebtes Kind! – Ich darf mit dem Gelde der Gesellschaft doch nicht wirtschaften wie ich will. – Außer dem Assistenten darf ich niemand mitnehmen.«

»Vater! o Gott, und das sagst du so ruhig«, schrie ich zum erstenmal ganz ohne Fassung vor Schmerz. »Tut dir's denn nicht weh? Kannst du mich denn hier allein lassen? Kannst du denn ein Vierteljahr leben ohne deinen treuen Kameraden?«

Wieder lange Stille – dann sagte er, durchaus nicht traurig, sondern freundlich und froh, ich glaube sogar mit leisem Lächeln:

»Mein süßes Kind, man muß sich eben in alles finden!«

Toni! in diesem Augenblick war es, als risse mir etwas in der Brust entzwei. Es war mir, als müsse ich mich mit einem lauten Aufschrei auf die Erde niederwerfen und meinen herrlichen Vater anklagen: »Auch du bist treulos! Auch du hast mich verlassen!«

Aber wie es schon immer in der Schule, euch Mädchen zum Ärger, geschah – die rasche heftige Aufwallung machte schnell einer tiefen trotzigen Ruhe Platz.

»Gut Papa«, sagte ich, »du hast recht, man muß sich in alles finden! Ich muß mich darin finden, daß ich umsonst geglaubt habe, dein liebster Freund und Kollege zu sein. Mein ganzes Lernen und Streben war umsonst! Ich werde meine Bücher nicht mehr ansehen! Ich werde künftig kochen und waschen. Vielleicht erwerbe ich mir dadurch deine Liebe eher.«

Papa wandte sich um und sah mich lange forschend und traurig an. Plötzlich aber zuckte es ganz fremd und wunderlich in seinem, ach, so lieben, geliebten Angesicht, und er sagte so herausfordernd, neckisch, ja übermütig, als hätte er es von dem »Entsetzlichen« gelernt:

»I, Trudchen, das wirst du doch nicht tun!«

»Du wirst es erleben, Papa!« rief ich feierlich und unterdrückte mit Gewalt die heraufquellenden Tränen. Ich glaube, so rasch und mächtig kann einem stolzen Herzen der Entschluß kommen, in den Tod zu gehen.

»Ich werde kochen lernen, flicken lernen, schneidern lernen«, schleuderte ich heraus mit einer wahren Wollust des Schmerzes; »ich werde mit dem großen Korbe auf den Markt gehen, werde Kraut und Kartoffeln einkaufen, früh zeitig aufstehen, dir den Kaffee bereiten –«

Wer weiß, was ich noch Fürchterliches, Unausführbares versprochen hätte, wenn nicht »Er« plötzlich in seiner ungenierten Art draußen an der Klingel gerissen hätte.

Papa hätte mir recht wohl noch in aller Eile ein paar liebe, gute Worte sagen können! – Aber denke nur, er sagte ganz teilnahmlos, als sei er mir ein ganz Fremder geworden und verstände nicht einen Laut mehr von der Sprache meines Herzens:

»Nun, da wollen wir einmal sehen, ob mein liebes, kleines Mädchen sein gegebenes Wort auch hält!« – –

Toni, Toni – liebe einzige Herzenstoni, bitte, bitte, ich flehe Dich an, schicke mir rasch ein paar Kochbücher! Umgehend, hörst Du? Gibt es nicht auch ein Lehrbuch für Waschfrauen? Oder eins für Flickerinnen?

Toni, so wahr die Erde steht, ich gehe morgen früh um sechs mit Gusten auf den Markt; Dienstag, Freitag und Sonnabend sind Markttage, ich habe es eben auswendig gelernt! Eins ist wahrhaft rührend bei allem furchtbaren Schmerz. Wie sich diese alte Guste gefreut hat, als ich mir von ihr erklären ließ, wie sie ihre Klöße macht, – morgen will ich sie nämlich selbst bereiten, – das kann ich Dir nicht beschreiben! Als ich vorhin die Treppe herauf kam, erzählte sie es schon ihrer Freundin von oben: Unser Fräulein will kochen lernen!

Gegen Abend habe ich auch einen Strumpf zu stopfen versucht. Es hat zwei Stunden gedauert; während dieser Zeit hätte ich zweihundert italienische Worte lernen können!

Der Entsetzliche mag dies alles einmal vor Gott verantworten.

Ach Toni, meine Toni!

Von ganzem Herzen grüßt Dich

Deine unglückliche
Gertrud.

 

V.

M., den 14. März 18..

Teures Tonchen!

Vielen, vielen Dank, liebe rührende Seele, für Deine rasche Hilfe! Offen gestanden, zum Kochenlernen nützt mir Dein »Bürgerliches Kochbuch« nichts, Guste zeigt mir alles viel schneller, als ich es auswendig lerne – aber das gute, liebe Buch leistet mir doch vortreffliche Dienste – ich habe es an den entsetzlichen Marterabenden, wenn Papa und Dr. Walker sich von »ihrer gemeinsamen Reise« unterhalten, vor mir liegen und tue, als studiere ich seelenruhig Eskalopes und Frikandellen. Dazu stricke ich, aber ich glaube doch, das lasse ich wieder, denn es geht, sehr, sehr langsam, und es ist ja eigentlich gar nicht mit ausgemacht.

Nein, Toni, wie »Er« das erste Mal durch seinen Klemmer auf mein Kochbuch starrte und so recht mitleidig-überlegen tadeln wollte: »Ach, Fräulein Gertrud, heute abend noch italienische Grammatik« und dann mit der Nase gerade auf gespickte Rindslende stieß, so daß er wie vom Blitze gerührt, zurückfuhr – das war doch eigentlich mitten in meinem Martyrium ein entzückender, großartiger Augenblick!

Ich koche schon sämtliche Suppen allein, manchmal auch eine leichte Mehlspeise. Auch den Tisch decke ich und bereite früh und nachmittags den Kaffee! – das muß ich wirklich sagen, Toni, Kaffeekochen kann ich vorzüglich. Der »Entsetzliche« – ob er nur weiß, daß ich ihn bereite? – lobt ihn immer bis in den Himmel.

Weißt Du, ich fürchte, an den ganzen Ernst und die Beständigkeit meines jetzigen Berufs glaubt Papa noch gar nicht recht! Sonst könnte er es doch eigentlich nicht so leicht nehmen, das Furchtbare – er müßte tief beschämt, verlegen sein, und er ist nur immer unendlich heiter, unbefangen und gütig zu mir. Wenn ich früh im Schweiße meines Angesichts den Staub von seinen Büchern wische – scheuern will mich diese dumme Guste durchaus nicht lassen – so folgt er mir liebreich durch das ganze Zimmer mit den Blicken. Als ich neulich in seine Nähe kam, hielt er mich gefangen, küßte mich und sagte zärtlich und weich: »Nicht wahr, mein Hausmütterchen, nun wirst du auch recht kräftig und groß werden? Wenn du wüßtest, wie dir diese roten Bäckchen gut stehen!«

Auch unser »lieber« Gast – Toni, er ist nun die vierte Woche hier und jeden Nachmittag und Abend in unsrem Haus – da hätte ich auf meinen Schreibtisch warten können! – Ja auch er sagte gestern ganz ungeniert:

»Fräulein Gertrud, Sie werden wirklich alle Tage frischer und hübscher.«

Das fehlt mir noch bei meinem großen, schweren Kummer! Ich weine mich vor Leid und Eifersucht oft in den Schlaf, glücklicherweise geht das Einschlafen schnell; ich bin jetzt immer so sehr müde. Am liebsten äße ich nichts oder doch nicht viel, daß man mir's auch ein wenig ansähe, was ich leide. Aber macht dies viele Hantieren so hungrig oder – – koche ich wirklich so gut? Im Vertrauen gesagt, mir schmeckt das Essen jetzt immer lächerlich schön.

Nur meine Bücher, Toni, meine Bücher! Nach denen sehne ich mich oft bis zum Wahnsinn. – Aber ich bleibe fest, ich schaue sie nicht an. Ich führe es durch, Toni. »Was ich mir gelobt in jenes Augenblickes Höllenqualen« – Liebste, Du weist es ja weiter! Ich muß jetzt schließen.

Lebe wohl! Auch im tiefsten Leid

Deine ewig treue
Gertrud.

 

VI.

M., den 27. März 18..

Bestes, teuerstes Herz!

Papa hat mir heute ein ungeheures Lob erteilt. Er sagte:

»Mädchen, ich bin stolz auf dich. Was du dir für eine Aufgabe wählst, du erfüllst sie doch mit ganzer Seele. Und darauf kommt es an in unsrem Leben.«

Nicht wahr, Toni, Du nennst mich nicht eitel, weil ich Dir diese Worte, bei denen ich vor Freude wahrhaftig bis ins tiefste Herz erbebte, gleich buchstäblich hinschreibe? – Ich hatte heute eine wahre Feuerprobe zu bestehen. Unsre arme, alte Guste liegt zu Bett und ist krank, der Doktor nennt es ein kleines gastrisches Fieber und empfiehlt ein paar Tage lang Ruhe und Schonung. Da hab' ich ganz allein die Zimmer aufräumen, einkaufen und kochen müssen. Das Essen war natürlich sehr einfach – ich wußte ja nicht, daß der bescheidene Gast es teilen würde – aber gut, glaube mir nur, wirklich gut. Sie haben es beide gesagt. Und als ich den Tisch abräumte und ihnen ihre Zigarren und Abstreicher brachte, zog Papa meinen Kopf zu sich herab und flüsterte mir, was oben geschrieben steht, ins Ohr. Der Schreckliche sieht mich immer mit einem ganz putzigen Blick an, der wahrscheinlich seine hohe Billigung ausdrücken soll. Bei jeder Gelegenheit erzählt er von seiner Mutter, seinen zwei Schwestern, die er drei prächtige Wesen nennt, nicht gelehrt, aber durch und durch gebildet und gescheit.

Ist das eigentlich ein so großer Unterschied?

Übrigens, woher er die Zeit nimmt, solange bei uns vor Anker zu liegen, diese Fragen kann ich Dir schon beantworten. Er hat eben seine Examina hinter sich und wartet auf eine Anstellung, nicht gerade dringend, wie es mir vorkommt, denn er scheint ungeheuer viel Geld zu haben; neulich machte er Papa einen kleinen photographischen Apparat zum Geschenk, der gewiß sehr teuer ist.

Und dabei ist er erbärmlich genug und läßt sich die freie Reise nach Italien gefallen als Papas Assistent! Wahrscheinlich fühlt er das Unwürdige! Er spielt immer noch ein wenig Komödie vor mir, er sei es nicht ganz gewiß, wen die Gesellschaft zu diesem Posten erwählen werde, als warte er noch auf Zustimmung.

Aber doch geht es jeden Augenblick: »unsere« Reise – das werden wir ja auf »unserer« Reise sehen – in drei Wochen treten wir »unsere« Reise an – und so fort, und so fort – ganz bestimmt, ich sterbe noch daran.

Schreibe mir nur noch recht oft.

Lange hast Du gewiß, gewiß nicht mehr

Deine treue
Gertrud.

Nachschrift. Schnell noch ein paar Worte: Denke nur, heut abend, als ich Tee und Eier auf den Tisch stellte, lag ein großer, wundervoller Strauß von Maiglöckchen und frischgeschnittenen hellroten Rosen auf meinem Teller. – Von ihm! – »Der verehrten Wirtin«, sagte er mit ganz sonderbarem Ausdruck, es klang nicht spöttisch, nein, denke nur, eher ein wenig unsicher, ein wenig gerührt. Ich dachte gar nicht weiter darüber nach – ich sah nur diesen wundervollen Strauß und freute mich so unbeschreiblich darüber, daß mir beinahe die Tränen kamen. Ich war gerade so müde nach meinem Tagewerk, so zwischen Lächeln und Weinen müde – kennst Du den Zustand?

Daher hab ich auch bald »Gute Nacht« gesagt. Gute Nacht auch Dir! Nur diese paar Worte wollt' ich Dir erst schreiben.

Nein, wie traumhaft duften doch diese Rosen!

Tausend Grüße!
Gertrud.

 

VII.

M., den 2. April 18..

Bestes Herz!

Was fällt diesem merkwürdigen Menschen neuerdings eigentlich ein? Auf einmal scheint er sich zu besinnen, daß ich nicht am Kochherd und Waschfaß großgewachsen bin und zieht mich, als sei dies ganz selbstverständlich, in die gelehrtesten Gespräche. Ein paarmal gab ich ganz kurze Antworten, – was ihn nicht störte, oder aufregte, – gestern aber riß mich der Gegenstand einmal hin, und ich machte auf ein paar im raschen Gespräch mir hingeworfene Fragen – es handelte sich um alte Geschichte – ich glaube, einige recht gute Bemerkungen. – Da glitten denn wieder solch ein paar lange, stille Blicke des Wohlgefallens über mich und meine arme Näharbeit hin. Das langsame Stricken habe ich doch aufgegeben. Die fertigen Strümpfe sind so billig; ich weiß jetzt, was die Sachen kosten.

Toni, es ist eigentlich empörend! Er verfügt einfach über mich. Erst werde ich wie ein dummes Kind verstoßen aus den hohen Sälen der Wissenschaft – nun gelegentlich wieder einmal gütig zugelassen. Gestern sagte er übrigens noch:

»Kleines Hausmütterchen, mein Kompliment! Sie haben wirklich ganz famose Kenntnisse!«

»Gehabt!« hätte ich beinahe aufschluchzend erwidert. Ach, daß ich alles, alles aufgegeben habe! War mein Versprechen nicht doch zu rasch? Und daß mich Papa gleich beim Worte nahm! Wie soll das nur alles werden – und erst wenn ich einsam hier weile, während die beiden Glücklichen in Italien sind?

Ich mag gar nicht daran denken!

Übrigens, weißt Du, so ganz und gar, wie früher, würde ich mich doch nie wieder in die Bücher vergraben. Dieses hausfrauliche Walten hat seinen eigenen Reiz, diese leise geheime Freude, diese entzückende verstohlene Wichtigkeit, die man dabei empfindet, so etwas steht doch nicht in den Büchern geschrieben!

Und dann, glaube ich, ist es gesund. Ich muß früher doch ein bißchen elend gewesen sein – Du hattest recht, es war damals doch wohl eine richtige Ohnmacht – jetzt fühle ich erst manchmal wirklich, daß ich lebe.

Wenn die beiden erst fort sind, Toni, hab ich gar nichts mehr zu tun – – –

Ach, Tonel, ich mag heute nicht mehr schreiben – Ade!

Es küßt Dich zärtlich

Deine
traurige, traurige, traurige
Trude.

 

VIII.

M., d. 7. April 18..

Meine Toni!

Wie schäme ich mich! vor Dir, vor ihm! vor allen! Ich habe ihn ja so verkannt! Ich bin ganz außer mir – nein, ganz närrisch, ganz selig vor Freude – nein, doch mehr beschämt und bedrückt! Ach, Toni, ich muß erst einmal auf die Kniee fallen, ehe ich weiter schreibe, und jubeln – und Gott danken – das Leben ist so schön, ich sehe geradezu wie – in den Himmel hinein!

Jetzt aber erzähle ich ganz langsam und in Ordnung! – Ich will mir den Effekt wahren!

Also er, der Schreckliche Er ist eigentlich doch ein entzückender Mensch!, – suche Dir die zu diesem Zeichen gehörige Fußnote aber jetzt nicht auf, sondern lies sie erst zu Ende des Briefes! – Er trat gestern, Sonntag, gegen zwölf Uhr, im schwarzen Anzug, mit einem großen, feierlichen, weißen Kouvert in der Hand, zu uns herein.

»Der Bescheid von der archäologischen Gesellschaft«, sagte er und lachte, daß alle seine Zähne blitzten. Mir stockte der Atem, Toni!

»Günstig?« fragte Papa, ihm beide Hände reichend.

»Günstig!« erwiderte er und schüttelte diese lieben Hände vor Freude. »Ja, günstig!«

Und nun setzte er sich, nach einer sehr tiefen Verbeugung gegen mich, mit unendlichem Behagen auf das kleine Sofa und breitete das große Schriftstück vor sich aus.

»Gezählt, gewogen und zum Glück nicht zu leicht befunden!« sagte er, indem er das Blatt mehrmals triumphierend durchflog. »Zweitausend Mark Spesen – ganz nobel! Man hat aber auch alle Punkte ziemlich genau in Betracht gezogen. Historische, kunstgeschichtliche Bildung, tüchtige Kenntnisse der lateinischen Sprache, ein wenig Italienisch – nun ich habe ja alles verbürgt! – Dazu leidliche körperliche Kraft, Gesundheit – stimmt ja ebenfalls! Und – worauf diese fürsorglichen Herren beinahe den meisten Wert legen – es ist eigentlich lächerlich – ein ganz klein wenig wirtschaftliche Praxis, in den meisten dieser kleinen italienischen Nester würde man sich eventuell einmal ein paar Tage selbst mit der Beköstigung helfen müssen – –.«

»Nun so stehe und brate und koche du nur, bis du schwarz wirst«, dachte ich in meinem hilflosen, unendlichen Zorn.

»Stimmt das nicht alles kostbar, verehrter Freund?« triumphierte er – immer den langen blonden Schnurrbart liebkosend – weiter.

Papa – (»so wenig«, dachte ich, »verstehst du mich!«) – Papa lachte selig.

»Stimmt!« rief er. »Jetzt stimmt es, Gott sei Dank, daß es so ist! – Nein, hören Sie, welche Aussicht, welche Reise! Das ist einfach himmlisch, Sie lieber Freund!«

Ich hörte nichts mehr, ich konnte es nicht mehr aushalten, Toni. Mein Herz verbrannte mir vor eifersüchtigem, neidischem Weh. Ich warf die Stickerei, die ich nur zum Schein in meinen ganz kalten, zitternden Händen hielt, beiseite und eilte nach der Tür.

»Na, Fräulein Gertrud«, rief er mir nach, »was ist denn das? Sie wollen jetzt hinaus –.«

»Wenn Sie erlauben«, trotzte ich mit meiner letzten Kraft. »Ich habe ja hier nichts zu suchen?«

» Sie hier nichts zu suchen?« frohlockte er und lachte wie toll. »Mein liebes, bestes, verehrtestes Fräulein«, er holte mich bei der Hand zurück, »Sie sind ja hier die Hauptperson.«

»Nein!« erwiderte ich mit einem kalten Blick nach Papa, »die Hauptperson ist in diesem Augenblick wohl Papas Assistent.«

Toni, ich glaubte wirklich, er wollte sich totlachen. Er lachte unter Tränen.

»Nun ja! Ja! Natürlich ja! Das meine ich eben auch! Und Sie wissen noch nicht einmal, wer dieser Assistent sein soll?«

»Sie!« sagte ich mit niederschmetterndem Blick.

»Sie!« ahmte er übermütig nach.

»Nun ja, Sie!«

»Nein, Sie! Sie, Fräulein Gertrud Eva Magdalena Grosser, Tochter des – – – Aber lesen Sie es doch selbst, hier schwarz auf weiß, die Antwort auf meine Eingabe, Ihre feierliche Ernennung!«

Toni, solch einen Augenblick hast Du nie erlebt. Ich sah auf das Papier – mir wurde es so kalt, so eisigkalt, und im selben Augenblick schoß es mir wie tausend Flammen ins Gesicht.

Ich begriff es, Toni – ich lag auf einmal an Papas Brust und schluchzte vor Seligkeit.

Ich bin Papas Assistent!!!

Toni, und das habe ich ihm zu verdanken, ganz, ganz allein ihm, ganz allein! Er hat den ersten Gedanken gehabt, hat die Eingabe gemacht, hat Papa beschworen, mir nichts zu sagen, um mir keine Enttäuschung zu bereiten – um die Freude und Überraschung voll sein zu lassen – das alles flüsterte mir Papa, während »er« nur immer in die Hände klatschte, im Fluge zu.

»In Punkto Wirtschaftlichkeit hat er freilich vor sechs Wochen noch ein wenig geheuchelt –«

»In Punkto starker Gesundheit dito«, fiel jener lachend ein, »aber ich wußte ja, daß sich das alles herrlich machen würde!«

Und dann mußte ich mich bei ihm bedanken – ach, das war schwer! Ich war so tief beschämt und er war so fröhlich.

»Und Sie reisen nun nicht mit!« sagte ich, ihn doch wenigstens mit ehrlichem Mitgefühl bedauernd.

»Was?« rief er. »Nicht mit? Ich nicht mit? Aber natürlich, Fräulein Gertrud! – Wenn Sie es erlauben, heißt das, – denn Sie haben mehr zu sagen als ich; Sie reisen als Assistent, ich nur als Freund!« –

Ach, Toni, Toni, wird das eine lustige, selige Reise werden! Wie wir schon bei dieser Auseinandersetzung lachten! Wie wir den ganzen Tag gelacht haben!

Nächsten Montag – also in sechs Tagen, geht es fort!

Ach, Du geliebtes Herz, wie bin ich außer mir vor Glück!

Und nun genug für heute! Toni, ich muß noch sehr fleißig italienische Grammatik lernen! Jetzt darf ich ja wieder lernen! Mein Versprechen bezog sich ja nur auf den Fall, daß ich nicht mitreisen durfte!

Leb' also wohl! Wahrscheinlich in Florenz schreibe ich Dir wieder.

Vieltausend Grüße!

Deine selige Gertrud.


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