Felix Salten
Olga Frohgemuth
Felix Salten

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Fünfzehntes Kapitel

Wie dann die Tage verstrichen und sich zur Woche reihten, wie dann die Wochen hinzogen und sich zu Monaten fügten, ging der Professor aus, wanderte langsam durch die Straßen, zuerst mit seinem Frau und den Kindern – denn sie ließen ihn anfangs nicht allein –, später wieder einsam und ungestört mit seinem Nachdenken. Er stand vor den Schaufenstern, in denen Olgas Bild aushing; er betrachtete die Bilder der anderen Schauspielerinnen und verglich sie. Er kaufte alle Bilder Olgas, deren er habhaft werden konnte, und in allen Verkleidungen, in allen Masken, unter allen Perücken und in allen Verschleierungen suchte er ihre hellen Augen, fand er ihren verdutzten lächelnden Mund, ihr schimmerndes Antlitz, das er nun alle Tage tiefer zu verstehen meinte.

Er ging umher und verspürte ihren Hauch hingebreitet über die ganze Stadt. Wie ein Duft, der noch nicht verflogen ist, war ihm Olgas Wesen in diese Atmosphäre verwoben. Hier liefen die Menschen an ihm vorbei, die Olga applaudiert hatten, hier waren junge Mädchen, die Olgas Lächeln nachzuahmen schienen, hier waren junge Männer, die 143 Olgas Andenken wie ein Glück in ihrem Herzen trugen.

Er baute sich in seinen Gedanken eine Vorstellung auf von dem, was das Theater sei, das er nur von ferne kannte, das er verdammt hatte und das ihm jetzt teuer war. Er sah ein Paradies vor sich, darin alle Menschen erhöht und verklärt wurden, einen Quell von Licht und Seligkeit, darin alle sich badeten, um sich zu stärken und zu reinigen, weil sie sonst nicht imstande gewesen wären, die Last des Daseins weiterzuschleppen. Er wußte nicht, was dort geschah und wie es geschah, er sah nur eine ungeheure Helligkeit, und mitten in dem strahlenden Gnadenort war Olga gewesen und hatte Freude gespendet über die ganze Stadt hin, und alle Menschen wurden milder an ihr und versöhnlicher und wurden voll Güte.

So war es ihm bei Tage, als hole er das Leben seines Kindes wieder ein, das er versäumt hatte, als lerne er es nachträglich begreifen und genießen. Er labte sich an dem Abglanz, der von Olga noch in der Welt zurückgeblieben schien, er sonnte sich darin und beschwichtigte sich daran.

In den Nächten aber, in denen er schlaflos lag, nahm ihm die Dunkelheit alles wieder fort; alle die Bilder und Gedanken und Lichter löschten aus und 144 wurden nichtig. Dann überfiel ihn das Wissen von Olgas Tod, und er sah, daß sein Schmerz unvermindert war. Willig und ohne Kampf weinte er in die Kissen, saß dann aufrecht in seinem Bette, streckte die Hand nach seiner Frau aus und bat: »Erzähl' mir . . . erzähl' mir . . .«

Und sie saß in der Dunkelheit neben ihm, hörte, wie sein altes Herz pochte, und erzählte: »Da ist der Vorhang aufgegangen, und es ist so hell geworden wie am Tag . . . und dann ist sie herausgekommen . . . Olga . . . sie war als eine Königin angezogen und hat eine Krone getragen . . . und zwei blaue Pagen haben ihre Schleppe gehalten . . .«

Jede Nacht erzählte sie's, er horchte hingegeben und bat: »Weiter . . . weiter . . .!«

 

Ende

 


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