Felix Salten
Olga Frohgemuth
Felix Salten

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Siebentes Kapitel

Olga fuhr durch die tiefe Finsternis der Hauptallee, lag in die Ecke des Wagens gedrückt, hatte den Mantel abgeworfen, und über ihre entblößten, heißen Schultern strich der kalte Nachtwind dahin. Sie atmete die herbe Luft, die vom Geruch des aufgewirbelten Staubes und vom Duft der Blätter erfüllt war. Abgründe von Dunkelheit taten sich überall auf, unendliche Leere lag zu beiden Seiten ihres Weges, lag vor ihr und hinter ihr, und die Blicke fanden nieder Halt noch Grund, blieben nirgendwo haften, versanken im Unsichtbaren und erblindeten darin. Olga dachte flüchtig der Tage, da sie hier mitten durch einen hochaufschäumenden Wirbel von Lebendigkeit gefahren war, gegrüßt, bewundert und geliebt. Das war nun alles verschwunden wie ein Traum. Sie fühlte sich allein gelassen und verschmäht, nicht bloß von Emanuel Ferdinand, sondern von allen Menschen, die ihr so manches Mal hier zugewinkt und zugelacht hatten. Sie war vergessen und ausgesetzt.

Ihr ganzer Kummer faßte sie wieder an und loderte auf in ihr wie ein Brand. Gequält und lechzend und wild gemacht, hielt sie die glühende Brust 65 der großen Kühlung hier entgegen. Etwas Furchtbares sollte geschehen; dieser Wunsch fieberte in ihr. Den ganzen Abend hatte dieser Wunsch sie gepeinigt, den ganzen Abend hatte sie sich danach gesehnt. Etwas Vernichtendes sollte hereinbrechen, sollte sie hinwegnehmen und auflösen; und die anderen würden dann die Schuld daran haben, Emanuel Ferdinand und alle die übrigen, die von ihr gewichen waren und sie allein ließen.

Die Wipfel der alten Bäume waren schattenhaft über ihr wie eine schwarze rauschende Flut. Olga fürchtete sich, wie sie sich als Kind gefürchtet hatte, wenn sie nachts im finsteren Zimmer aufgewacht war. Jetzt labte sie ihren Trotz an dieser Angst und nahm sie als ein Vorzeichen der entscheidenden Dinge, nach denen sie ein so heftiges Verlangen trug. Das ungeheure Rauschen über ihr erschütterte sie, als ob nun auf einer riesigen Orgel das Lied ihres Unglücks gewaltig angestimmt werde. Sie neigte das Haupt unter der Wucht dieses Brausens und begehrte weinen zu können; aber sie hatte keine Tränen. Ein Regentropfen fiel plötzlich auf ihre nackte Schulter; sie zuckte erschreckt zusammen, als habe ein kalter Finger sie angerührt. Dann klatschten viele Regentropfen nacheinander breit und kalt auf ihren Hals, auf ihre Brust, in ihr Haar. Sie spürte einen Schauer, der 66 ihr über den Rücken flog, aber sie blieb unbeweglich sitzen, wie sie saß. Jetzt brach das Wetter los, und wie ein dichter, in der Dunkelheit sichtbarer grauer Schleier fiel der Platzregen nieder. Der Kutscher hielt die Pferde, die sich bäumten, fest in den Zügeln und beruhigte sie brummend; dann stieg er rasch vom Bock, um das Wagendach hoch zu klappen. Inzwischen aber war Olga schon überströmt, ihr dünnes Kleid war getränkt schwer vom Regen und klebte naß an ihrem Leib. Sie lachte spöttisch auf, als sie die Bemühungen des Kutschers sah und sein erschrockenes Murmeln hörte. Er stieg wieder auf seinen Platz, ließ die Pferde umkehren und fuhr im Galopp nach Hause, ohne Olga weiter zu fragen. Erschöpft lehnte sie sich in die Kissen zurück; sie fühlte deren Nässe breit und kalt an ihrem Rücken, und es fiel sie wie Schwäche an. Wie mit eisigen Händen tastete es über ihren Körper hin, lag mit kalten klammernden Griffen um ihre Schultern und um ihre Hüften; die entblößten Arme begannen langsam starr zu werden, ihre Schläfen fingen an zu hämmern, und ihr Atem wurde allmählich schwer. Nun war auf einmal ein leises, scharfes Erschrecken in ihr und verbreitete sich langsam. Aber tief auf dem Grund ihres Herzens wühlte ein schmerzender Trotz weiter.

67 Zu Hause mußten ihre Dienstboten geweckt werden. Der Kutscher und der Portier hatten Olga aus dem Wagen geholfen, aber sie konnte nicht stehen und wäre beinahe im Torbogen hingestürzt. Der Frost schüttelte sie mit solcher Heftigkeit, daß ihre Knie davon einknickten. Sie wehrte sich des Beistandes, sprach unaufhörlich und eifrig in einem Ton, als ob sie scherzen wollte, aber was sie redete, war nicht mehr zu verstehen. Die Fieberschauer zerrissen ihren Atem und ihre Worte. Man trug sie ins Bett, hüllte sie in warme Tücher, allein ihr Körper warf und bäumte sich, vom Frost gepeitscht, zuckend unter den Decken. Glühendes Rot flammte an ihren Wangen auf; ihre Augen waren gläsern geworden und irrten wie staunend im Zimmer umher. Sie redete immerzu, undeutlich, hastig, und immer mehr erregt. Als der Arzt endlich kam, lag sie in tiefer Bewußtlosigkeit. 68

 


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