Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Der fliegende Stern

Es ist ein recht unglücklicher Jagdtag, zwei Haselhühner und ein großer Geier bildete die ganze Beute. »Das verdammte alte Weib ist schuld«, rief der Heger, nachdem er seinen Strohhut abgenommen und mit den bauschigen Hemdärmeln die großen Tropfen von der Stirne gewischt hatte, dann reichte er mir seine mit Branntwein gefüllte Kürbisflasche, welche an einen gelben, großbauchigen Chinesengott mahnte.

Wir hatten nämlich bei unserem Auszug am frühen Morgen ein verschrumpftes Mütterchen begegnet, das zwischen den Büschen Schwämme suchte.

Nun war der Abend angebrochen, und es blieb Nichts übrig, als den Heimweg anzutreten. Die Sonne ging hinter den hohen Granitfelsen, welche wie verwitterte Thürme die grauen bröckligen Bergmauern der Karpathen überragten, rothglühend unter. Weithin war Nichts als dunkles Krummholz, das über Geröll und spiegelglatte Wände emporkroch und seine lange verkrüppelten Arme nach uns auszustrecken schien, es stand mit gekrümmtem Rücken da, mit langen Locken und spitzen Bart von Moos, ganz so wie unser Jude, aber klammerte sich fest und zäh an das Gestein, wie auch er festzuhalten versteht, was seine mageren, knochigen Hände einmal ergriffen haben.

Wir stiegen rasch hinab zwischen Heidelbeerkraut und Alpenrosen, den schwerathmenden Hund hinter uns, und schritten dann unter dem grünen Dache der Tannen weiter. Ein dumpfer Donner ferner Wasser begleitete uns. Die hohen, grünen Pyramiden, welche lautlos standen in trauernder Majestät, begannen tief unten ihre Wipfel mit rothem Golde zu durchschlingen, aus den schlanken Stämmen quoll saftiges Harz, gelb wie Bernstein, purpurne Beeren, große Waldblumen zeichneten bunte Stickereien auf den sammtenen Teppich hin, der sich zwischen die Wurzeln breitete, während tiefe Schatten von oben durch die unbeweglichen Nadeln, gleich dunkeln Tropfen auf denselben herabfielen.

Noch schwebten einige Zeit roth angehauchte Wölkchen im Westen, dann spannte sich brennender Purpur über den Himmel. Die Luft zitterte über der Erde und in ihr zuckten unzählige Mücken, durchsichtig wie aus Glas gesponnen. Nebel, zart gewoben gleich weißen schimmernden Schleiern, stiegen in den stillen tiefdunkeln Thälern auf, Sträuche, Bäume und Berge schienen sich in der goldigen Luft zu recken und ins Unendliche zu wachsen, während sie ihre Schatten immer weiter von sich warfen.

Im Osten glänzte ein Stern über den Tannen, die wie schwarze Lanzen oder das Eisengitter eines Parks gegen den Himmel standen. Kein Vogel sang mehr, nur da und dort pfiff es leise im Holz, oder fuhr erschrocken auf durch die Zweige. Der helle Himmel war blau geworden und begann sich jetzt allmählich zu verfinstern. Die Schatten zogen sich zusammen und wurden endlich ganz von der Dunkelheit verschlungen, welche sich als eine undurchdringliche Masse, träge und unheimlich über der Erde lagerte. Wir waren indeß am Fuße der Waldberge angekommen und verfolgten nun einen schmalen Pfad, der sich wie eine Schlange zwischen Stoppeln und Erdäpfelfeldern wand. Mit einem Male erhellte sich der schwarze Ausschnitt zwischen zwei Felskuppen im Westen und es loderte dort rasch empor wie der Brand eines Dorfes und wieder nach einer Weile zeigte der Mond seine goldene Scheibe, die feierlich an dem dunklen Firmamente haftete und ihr sanftes, tröstliches Licht in die Landschaft ergoß. Ein frischer Luftzug durchströmte die Halme, das Gras, die Blätter der Bäume und die finsteren Wipfel des Nadelholzes, Alles begann sich zu regen, zu neigen und zu flüstern. Vor uns in weiter Ferne zuckten die Lichter eines Dorfes auf, wie Leuchtkäfer, die im Grase liegen, und der Himmelsplan über uns war mit zahllosen Sternen gleich den Lagerfeuern eines großen Heeres bedeckt. An allen Zweigen hingen silberne Fäden, die das Mondlicht um sie spann, und alle Höhen, alle Tiefen badeten sich in jenem magischen Glanz, der so viel Zutrauliches und auch wieder Wehmüthiges an sich hat.

In diesem Augenblicke, wo wir einen kleinen Birkenhain betraten, fuhr es gleich einer Feuergarbe vom Himmel zur Erde nieder. Der Heger blieb stehen und bekreuzte sich.

»Nun ist das Unglück geschehen«, sagte er.

»Was für ein Unglück?«

»Haben Sie nicht den fliegenden Stern gesehen?«

»Allerdings.«

»Jetzt ist er bereits zu einer Letawiza geworden.«

»Wie das?«

»Mit jedem fliegenden Stern kömmt ein Dämon zur Erde«, gab der Heger tief bekümmert zur Antwort, »es giebt einen Spruch, wenn man diesen spricht, in dem Augenblicke als man ihn sieht, wird der Zauber gebrochen. Sobald der fliegende Stern aber die Erde betritt, verwandelt er sich in ein Weib von seltsamer Schönheit, mit langem, goldenem Haar, das wie Sternenlicht fließt und schimmert. Diesem schönen Weibe ist Macht gegeben über jede Menschenseele, es lockt die Jünglinge an sich und fängt sie in den goldenen Schlingen, welche um seine weißen Schultern spielen. Nachts, wenn Alles stille ist, kommt es zu ihnen, bettet sie an seiner Brust und küßt sie, küßt sie langsam zu Tode.«

Kaum hatte der Heger geendet, hörten wir ein tiefes Stöhnen, nicht gar weit von uns, es klang recht unheimlich bei dieser tiefen Stille, die ringsum herrschte und an diesem düsteren Orte zwischen den rastlos zitternden Birken, deren weiße Stämme wie in Grabtücher gehüllt, gespenstig umherstanden, und mit Fingern stumm auf uns zu deuten schienen.

»Was war das?« fragte ich.

»Ein Wassermann oder eine Russalka (die Nixe der Malorußen), oder vielleicht auch die Letawiza.«

»Ich denke, es war eine Rohrdommel.«

»So soll es eine Rohrdommel sein«, sagte der Heger fast mitleidig, »aber es ist besser, wir gehen weiter.«

Wie wir nur einige Schritte vorwärts thaten, stand plötzlich eine Flamme, groß wie ein erwachsener Mensch, seitwärts im schwarzen Erlengebüsch, nickte uns zu, bückte sich und huschte weiter, als wollte sie uns begleiten.

»Ein Irrlicht!«

»Wenn der Herr Wohlthäter es befehlen«, sagte der Heger leise, »so soll es ein Irrlicht sein, aber ich sehe, daß das nicht gut enden wird heute.«

»Ist hier ein Sumpf in der Nähe?«

»Das will ich meinen, und auch ein Teich, er muß hier zu unserer Rechten sein.«

Als wir neuerdings eine Strecke gegangen waren, blickte es aus dem Dickicht hervor wie ein Spiegel, auf den der Schimmer von Kerzen fällt. Ich wendete mich hinüber.

»Sie werden doch nicht Ihre Seele in Gefahr bringen wollen?« seufzte der Heger.

Ich gab ihm keine Antwort, sondern theilte die Zweige und bahnte mir so einen Weg zu dem Teiche. Das Irrlicht hatte uns verlassen, dafür ertönte von Neuem der klägliche Ruf der Rohrdommel. Der Heger betete laut die Litanei. Wir standen jetzt an dem Ufer und ein großes Wasser, vom Mondlicht beglänzt, spannte sich regungslos zu unseren Füßen aus, stille, geheimnißvolle Erlen standen umher, von Brombeerbüschen umschlungen, ihre Wurzeln tranken aus dem stillen Teich und ihre tief herabhängenden Zweige badeten sich in demselben.

Es war ein unendlich stiller und wehmüthiger Ort.

Aber mit einem Male ertönte ein Lachen, so hell, so kindlich und scherzhaft, wie ein silbernes Glockenspiel, und das Wasser warf leuchtende Wellen und tausend blitzende Funken auf und aus dem flimmernden Schaum tauchte ein Weib, von göttlicher Schönheit und Jugend empor, ein Nacken wie Marmor, die blonde Fluth des Haares wie Sternenlicht fließend und schimmernd, und zwei große dunkle Augen schalkhaft auf uns geheftet.

»Gott sei meiner Seele gnädig«, rief der Heger laut, »schließen Sie die Augen.«

Er riß mich zurück.

»Fliehen wir«, drängte er schwerathmend, »sonst ist es um uns Beide geschehen.«

Noch einmal erklang das zauberhelle Lachen so wunderbar spöttisch.

Ich folgte dem Heger, eine dunkle Gewalt schien mich zu treiben, von der ich mir keine Rechenschaft zu geben wußte. Wir eilten vorwärts durch Gebüsch, Sumpf und Feld, bis wir mitten in einem Obstanger stille hielten.

»Du bist ein großer Esel«, sagte ich endlich.

»Besser ein Esel, als ein von Gott Verdammter!«

»Wegzulaufen vor einem schönen Weibe.«

»Ja, schön war sie«, sagte der Heger, »aber kein irdisches Weib, sondern eine Letawiza, ein fliegender Stern in Menschengestalt, haben Sie nicht gesehen, was sie für Haar hatte, war es nicht, als sei ein Stern vom Himmel gefallen und schwimme jetzt auf dem Wasser?«

»Ich werde umkehren, ich will das Weib noch einmal sehen.«

»Sind Sie vom Teufel besessen?« sagte der Heger wie versteinert, »legen Sie mir jetzt gleich hundert Dukaten her, oder zeigen Sie mir diese ganze schöne Gotteswelt und sagen Sie mir: sie soll Dein sein! ich thue keinen Schritt.«

»Aber wenn ich Dir eine Quart Branntwein gebe, gehst Du mit.«

»Branntwein? was für Branntwein? doch nicht gemeinen Kornschnaps?«

»Meinetwegen Sliwowitz.«

Der brave Mann seufzte, pfiff dem Hunde und ging langsam dem Teiche zu. Ich blieb einige Schritte hinter ihm zurück.

Sofort gesellte sich eine schlanke Figur wie aus gleißendem Golo gewoben zu uns, verneigte sich und bot sich offenbar an, den Führer zu machen. Indem wir dem seltsamen Burschen folgten, der bald vor uns einher hüpfte, bald auf dem Bauche kroch wie eine Schlange, um zuletzt gleich einer Flamme über dem Boden zu schweben, geriethen wir bis an die Knie in den Moor. Der Mond verbarg sich hinter Wolken, als sei er mit in dem muthwilligen Bunde, der mit uns sein lustiges Spiel trieb, die Erlen, sonst so ernsthaft und stumm, begannen zu flüstern und zu kichern, und sogar die Rohrdommel lachte gellend auf.

Jetzt plätscherte es, höchstens zehn Schritte zu unserer Linken, es war der Hund, der in das Wasser gefallen war und uns nun mit einem kurzen unterdrückten Bellen zu verstehen gab, daß wir am Ziele seien.

Ungeduldig brach ich durch die dichten Zweige. Da lag wieder der silberne Spiegel des Teiches vor mir und der Mond, der die Wolkenschleier zurückgeschlagen hatte, blickte ruhig in denselben und betrachtete sein sanftes schönes Antlitz.

Das Weib mit dem goldnen Haar war nirgends zu entdecken, nicht im Wasser, das so feenhaft glänzte, nicht an dem Ufer, dessen schwarze Erlenwände ihren weißen Leib wie ein Licht hätten zurückstrahlen müssen. Eine wehmüthige Ruhe herrschte ringsum, keine Welle schäumte auf, kein Blatt regte sich, und mitten auf dem leuchtenden Gewässer loderte eine Seerose feierlich wie eine weiße Flamme gegen den Himmel.

Der Heger holte tief Athem. »Gott hat uns beschützt«, sagte er, »nun soll aber ein Mensch sagen, daß es kein fliegender Stern war!«


 << zurück weiter >>