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Theodora

Eine rumänische Geschichte

Es war an einem unfreundlichen Novembertag, genau so unfreundlich, wie die Botschaft, die er brachte, als Baron Andor bei Theodora Wasili eintrat und ihr verkündigte, daß er sie verheirathen werde.

Sie war ein Mädchen aus dem Dorfe und die schönste, stolzeste unter diesen Erscheinungen, die alle noch ihren römischen Ursprung verrathen. Der Baron sah sie einmal in der Schenke tanzen und gewann ihr Herz durch ein paar Schnüre großer, rother Korallen, die noch dazu falsch waren, und durch ein Schminktöpfchen, das er beim jüdischen Krämer für sie kaufte, denn diese Naturkinder schminken sich alle.

Später beschenkte sie der Baron allerdings reicher. Sie ging gleich einer Bojarin einher und nahm mehr und mehr die Gewohnheiten einer vornehmen, verwöhnten Dame an. Auch jetzt, wo seine Worte sie wie ein Blitzstrahl trafen, saß sie in der Ecke, auf dem türkischen Divan in rothen, goldgestickten, türkischen Pantoffeln und einer rothsammtenen, mit Marder besetzten Pelzjacke da, von der sich ihr strenges Antlitz mit den großen, dunklen Augen und dem schwarzen Haar fast dämonisch abhob.

Sie hatte ihre Hände in den weiten Aermeln verborgen und ihre Füße ruhten auf einem großen Bärenfell. Sie sah den Baron an und erwiderte kein Wort, ja sie regte sich nicht einmal. Sie war starr vor Entsetzen bei dem Gedanken, diese Räume zu verlassen und wieder Bäuerin zu werden.

»Bogulescu, den ich für Dich ausgesucht habe, ist der reichste Bauer im Dorfe«, fuhr der Baron fort, »und außerdem sollst Du Alles mitbekommen, was Du nöthig hast. Ich hoffe, Du wirst gescheidt sein, Theodora.«

Sie war in der That gescheidter, als der Baron es erwartet hatte. Keine Klage, keine Drohung kam über ihre Lippen, sie gehorchte stumm und ergeben. Sie war zu stolz, etwas zu erwidern. Als der Baron sich zu ihr herabneigte und sie auf die Stirne küßte, lächelte sie sogar, aber es war ein kaltes, häßliches Lächeln.

Erst als der Baron das Zimmer verlassen hatte, sprang sie auf, ging durch das Zimmer, trat an das Fenster, blickte lange hinaus in die herbstliche Landschaft und warf sich dann plötzlich vor dem Muttergottesbilde, unter dem ein blaues Lämpchen brannte, nieder, um unter heißen Thränen zu beten.

 

Bogulescu nahm sie, weil sie eine gute Partie war. Sie bekam ein paar schöne Pferde mit, ebensoviel Kühe, fünfzig Lämmer und auch baares Geld, eine Summe, die der Baron gewohnt war, in einer Nacht zu verspielen, die jedoch für den rumänischen Bauer ein Vermögen bedeutete.

Bei der Hochzeit spottete man ebenso gut über sie, wie über ihn. »Sie habe gemeint, Baronin zu werden«, hieß es, »und nun müsse sie ihre Gänse weiden, wie jede andere«, und er bekam noch bösere Dinge zu hören, aber Bogulescu war ein Philosoph, er setzte sich darüber hinweg.

Nachdem er den Pferden und Kühen den Rücken geklopft, sich an den Lämmern satt gesehen und das Geld geküßt hatte, nahm er die Frau, ohne einen Seufzer auszustoßen, mit in den Kauf. Von Liebe war zwischen den Beiden keine Rede, noch weniger von Achtung, und so gab es von Anfang an keine sonderlich glückliche Ehe, umsomehr, als bald darauf Baron Andor eine junge schöne Dame aus der Hauptstadt als Frau heimführte und Theodora noch mehr als früher den Kopf hängen ließ und die Hände in den Schoß legte.

Niemand verstand, was sie litt. Vor Allem war sie das schwere Leben, die harte Arbeit und die grobe Kost einer Bäuerin nicht mehr gewöhnt.

Sie duldete stumm und trotzig, aber sie wurde täglich bleicher und magerte sichtlich ab. Den Winter hindurch saß sie ganze Tage beim Feuer, starrte in die Flammen und brütete in dumpfem Sinnen.

Einige Zeit sah Bogulescu zu, als es aber Frühjahr geworden war, das Ackern und die Aussaat begonnen hatten und Theodora noch immer die Hände in den Ärmeln ihres Schafpelzes vergrub, da wurde er ungeduldig und endlich brach eines Tages sein Zorn gegen die Frau los. Allerdings war Bogulescu seiner sittlichen Empörung durch mehrere Gläschen kräftigen Kornbranntweins zu Hilfe gekommen, sonst hätte es ihm doch an Courage gefehlt, mit der »Baronin«, wie man seine Frau im Dorfe nannte, anzubinden.

Er kam plötzlich herein und begann laut zu schreien.

»Willst Du endlich aufhören, zu schlafen? Willst Du arbeiten, Faulenzerin, oder soll ich Dich dazu antreiben, wie ein blödes Vieh?«

»Ich glaube, Du bist betrunken«, erwiderte Theodora, ohne sich zu rühren.

Da ging ihr Mann auf sie zu und wollte sie schlagen, aber er kam an die Unrechte. Sie sprang auf und stellte sich ihm mit flammenden Augen, wogender Brust und geballten Fäusten entgegen.

Sie glich in diesem Augenblick einem schönen Raubthier und hätte wohl noch einem Muthigeren, als es Bogulescu war, Furcht einflößen können. Ihr Mann wich zurück, brummte einige unverständliche Worte und verließ endlich die Stube als Besiegter.

Von da an legte er Theodora nichts mehr in den Weg, nährte aber im Stillen die Hoffnung, daß der Tod ihn bald von ihr befreien werde, denn sie bekam hohle Wangen und alle Welt sagte, daß sie die Auszehrung habe.

 

Indes kam es anders, als die Leute im Dorfe es erwartet hatten. Eines Tages im Herbst brachte man Bogulescu auf seinem Wagen tot aus dem Walde. Eine riesige Tanne, die er für den Baron fällen sollte, hatte ihn erschlagen.

Plötzlich änderte sich Theodora vollständig. Das Träumen und Brüten war zu Ende, die unnütze Frau, die Faulenzerin, die Baronin zeigte sich plötzlich thatkräftig, arbeitsam, klug und umsichtig.

Sie führte fortan die Wirthschaft selbst, ging als die Erste hinaus auf das Feld, kehrte als die Letzte heim und arbeitete für drei. Die Dorfleute staunten sie nun an. Ja, während sie gemeint hatten, nun würde Alles verfallen, blühte im Gegentheil Alles auf, die Äcker gaben besseren Ertrag, das Vieh wurde fetter und auch Haus und Hof gewannen ein freundlicheres und reinlicheres Ansehen.

Die größte Veränderung ging aber mit Theodora selbst vor. Sie erholte sich nicht nur rasch, sondern wurde bald stark und gesund, ihre Wangen wetteiferten an Frische und Farbe mit jenen der jüngsten Dorfschönen, und ihre Augen leuchteten mehr als je.

Es währte nicht lange und die junge Wittwe galt in der ganzen Gegend als das fleißigste und schönste Weib und zahlreiche Bewerber fanden sich ein. Sie empfing jeden freundlich, aber sie erklärte, daß sie ihre Freiheit nicht wieder aufgeben und um keinen Preis zum zweitenmale heirathen werde. Endlich ließ man sie in Frieden. Während aber einerseits alle jungen Männer mit sehnsüchtigen Seufzern nach ihr blickten, wenn sie in ihrem buntgeflickten Lammpelz, Korallen und Goldmünzen um den Hals, rothe Stiefel an den Füßen, Sonntags zur Kirche ging, fürchteten sie doch zugleich den »schönen Satan«, wie man jetzt Theodora allgemein nannte.

Sie verstand es, ihre Wirthschaft und ihre Leute zu regieren. Wehe demjenigen, der nicht gehorchte oder irgend einen Fehltritt beging. Dann spaßte sie wahrhaftig nicht. Man betrachtete sie endlich als eine Art Besserungsanstalt. Wenn eine Dirne, ein junger Bursche nicht gut thun wollten und alle Mittel erschöpft schienen, gaben die Eltern den Ausbund zu Theodora Bogulescu in Dienst und sie zähmte jeden Wildfang in kürzester Frist.

In dieser Zeit weilte Baron Andor selten auf seinem Gute. Den Winter verbrachte das junge Paar in Wien oder in Paris, den Sommer in einem Modebade. Wenn sie je in die Heimath kamen, so sah man sie nur selten außerhalb des Herrenhauses, das ein großer Park umgab, und so kam es, daß der Baron und Theodora sich seit Jahren nicht begegnet waren.

Plötzlich wurde erzählt, der Baron habe in Folge seines glänzenden Auftretens im Auslande einen großen Theil seines Vermögens eingebüßt und sich entschlossen, einige Jahre auf seinem Gute zu leben, um das Verlorene einzubringen.

Theodora hörte die Kunde ohne jede Erregung, wie es schien, als sie aber eines Tages dem Baron auf der Landstraße begegnete, wurde sie purpurroth und fühlte ihr Herz gewaltig pochen. Sie ritt in die Stadt, wo eben Jahrmarkt war, und saß wie ein Mann im Sattel, die Peitsche in der Hand, während der Baron ihr langsam auf seinem englischen Pferde entgegenkam. Er fixirte sie, erkannte sie aber erst, als sie vorüber war.

»Theodora!« rief er.

Sie hielt und wendete sich im Sattel um.

»Was wollen Sie von mir?«

»Dich fragen, wie es Dir geht.«

»Das kümmert Sie wohl wenig.«

»Du siehst ja prächtig aus.«

»Gottlob, ich bin gesund.«

Sie hatte dies Alles über die Schulter hinweg, mit einem kalten Lächeln gesprochen, und jetzt, ohne eine neue Frage abzuwarten, trieb sie ihr Pferd mit der Peitsche an und sprengte davon.

 

Im nächsten Frühjahre begann die Revolution. Die rumänischen Bauern, welche sich wiederholt gegen ihre Herren erhoben hatten und jedesmal mit Waffengewalt niedergeworfen worden waren, benützten die allgemeine Bewegung, welche ganz Europa ergriffen hatte, zu einem neuen Versuch, das verhaßte Joch abzuschütteln. Der allgemeinen Auflehnung folgten blutige Excesse, diesen die offene Empörung. Die waffenfähigen Männer eilten in die Berge, wo sie, meist unter der Führung ehemaliger Räuber, zahlreiche Banden bildeten, und bald wüthete in allen Thälern der Krieg; die Edelhöfe wurden überfallen, die Herren und ihre Beamten und Diener mißhandelt oder ermordet, alles bewegliche Eigenthum wurde geraubt und sodann in den verwüsteten Gebäuden Feuer angelegt.

Baron Andor machte sich eben bereit, nachdem er seine Frau vorangeschickt hatte, sein Gut zu verlassen, als auch bei ihm die Plünderer erschienen. Vergebens suchte er sich durch den Park zu retten, er wurde entdeckt, eingeholt und in den Hof zurückgeschleppt. Während die anderen raubten, berathschlagten die Führer, ob sie den Baron an das Scheunenthor annageln oder sich damit begnügen sollten, ihm eine Tracht Hiebe zu geben.

Da erschien Theodora unter ihnen.

»Was wollt Ihr mit dem Herrn?« fragte sie.

»Rache nehmen«, gab man ihr zur Antwort.

»Dann gebet ihn mir«, rief sie, »er hat Niemandem so großes Unrecht zugefügt, wie mir, ich werde ihn bestrafen, wie es ihm gebührt.«

Die Bauern aus dem Dorfe, welche gleichfalls die Waffen ergriffen und sich den Insurgenten angeschlossen hatten, stimmten ihr lachend bei.

»Ja, sie soll ihn haben«, riefen sie, »das ist noch schlimmer, als wenn wir ihm den Tod geben.«

»Nimm ihn also, er ist Dein«, entschied der Anführer.

Theodora löste rasch einen Strick, mit dem sie ihre Bunda gegürtet hatte, und band dem Baron die Arme auf den Rücken.

»So«, murmelte sie, »jetzt wollen wir die Hochzeit feiern!«

Dann stieß sie ihn mit der Faust in den Rücken und trieb ihn mit einer Gerte, die sie vom Zaun brach, vor sich her.

Andor ging, den Kopf gesenkt, stumm und verzweifelt vor ihr her. Er wußte, daß er verloren war, daß ihm bei diesem Weibe weder Flehen noch Drohungen etwas nützen würden. Womit wollte er ihr auch drohen? Für den Augenblick war die Rebellion Herrin des Landes, und womit wollte er sie rühren?

Vor der Thüre ihres Hauses blieb er stehen und sprach:

»Wenn Du mich töten willst, so töte mich gleich.«

»Hast Du mich gleich getötet?« fragte sie mit einem höhnischen Blick. »Nein, Du hast mich langsam morden wollen, und wenn ich heute noch lebe, so ist dies nicht Dein Verdienst. Sterben sollst Du, aber langsam, nachdem Du alle Qualen gelitten, die Du mir bereitet, Du Unmensch.«

Sie stieß ihn in den Hühnerstall und schob den Riegel vor. Hier blieb er auf dem Stroh liegen, bis die Insurgenten fortgezogen waren. Dann öffnete Theodora die Thüre und hieß ihn herauskommen. Während ihr Knecht einen Ochsen herausführte, zog sie selbst den Pflug hervor und spannte Andor vor denselben.

Er leistete keinen Widerstand, er wußte, daß er dadurch seine Lage verschlimmern würde. Es galt Zeit zu gewinnen, dann konnte ihn vielleicht noch ein Zufall, das Erscheinen von Soldaten, retten.

Nachdem sie den Ochsen neben ihn gespannt hatte, ergriff sie die Zügel und die Peitsche, und der Pflug setzte sich in Bewegung. Der Knecht folgte.

Auf dem Acker angelangt, trat er hinter den Pflug und Theodora trieb das seltsame Gespann an. Bald hatte sich eine neugierige Menge, meist Frauen und Kinder, versammelt, welche das unerhörte Schauspiel anstaunten und den unglücklichen Gutsherrn noch mit Schimpf und Spott verfolgten.

Nachdem Theodora noch drei Tage mit ihm gepflügt hatte, war Andors Kraft zu Ende. Am vierten Tag hielt er plötzlich mitten im Acker inne.

»Ich kann nicht mehr«, murmelte er, »beim besten Willen nicht.«

Sie trieb ihn kräftig an und wieder ging es einige Zeit, dann stürzte er zu Boden, aber Theodora gab nicht nach, und er erhob sich noch einmal und beendete sein Tagewerk.

Als sie ihn das nächstemal wieder einspannen wollte, sank er in die Knie und flehte um Mitleid.

»Hast Du mit mir Mitleid gehabt?« gab sie ihm zur Antwort. Statt ihn zu schonen, spannte sie ihn diesmal allein in den Pflug.

Nachdem Andor keuchend die dritte Furche gezogen hatte, brach er zusammen. Theodora riß ihn empor, er stürzte von neuem nieder.

»Erbarmen, Theodora!« rief er stöhnend, dann lief ihm ein Blutstrom aus dem Munde.

Sie betrachtete ihn, die Arme in die Hüften gestemmt, mit einer ruhigen Befriedigung.

Er war auf die schwarzen Schollen hingesunken, die er mit seinem Blute färbte.

»Ich sterbe«, murmelte er.

»Das sollst Du«, sprach sie, »wie ein Thier sollst Du unter freiem Himmel krepieren, dann wird Dir Gott verzeihen.«

»Weshalb haßt Du mich so?«

»Weil ich Dich zu sehr geliebt habe.«

Andor seufzte tief auf. Es war der letzte Ton, den er von sich gab.

Als er tot war, sah ihn Theodora noch ein letztes Mal an, dann kehrte sie langsam nach Hause zurück, lud die Flinte ihres verstorbenen Mannes und verließ das Dorf, um sich den Insurgenten anzuschließen.

Als der große Kampf zu Ende war, erzählte einer der Rebellen, der wieder zu seinem Pflug zurückgekehrt war, daß Theodora in einem Gefecht mit Truppen durch eine feindliche Kugel geendet hatte.

Man mußte es glauben, denn seither hat man nie wieder von ihr gehört.


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