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Matrena

In der trüben, grauen, stillen Dämmerung des Abends und nachts, wenn der Himmel schwarz oder von Sternen flimmernd über ihr ruht, ist die Steppe traurig. Es geht dann wie eine Klage durch die Lüfte, durch das Meer der Gräser und Blumen. Die Schwermuth senkt sich drückend auf Land und Menschen. Die Steppe klagt um die Grabhügel der alten Helden, um die herrliche Kosakenfreiheit, um jene glorreichen Zeiten der Schlachten, des Ruhmes und der Beute.

Ganz anders bei Tage. Die Sonne verscheucht auch hier die Gespenster. Dann ist es frei und schön und heiter in der Steppe.

So war es auch mir zu Muthe, so gut, ich erwartete etwas, etwas Glückliches. So ist es etwa, wenn man eine Geliebte erwartet.

Mein Pferd schien durch das hohe Gras zu schwimmen, dessen Wellen vor mir, hinter mir auf und abliefen. Noch lag das Dorf zur Seite, noch waren wir nicht ganz in die rauschende, blühende Wildnis eingedrungen, noch gab es Strohdächer, blauen Rauch, der sich aus ihnen erhob, noch Bäume und Getreidefelder. Um die Erdhütten steht hoher Mais, stehen Sonnenblumen, liegen Melonen und Kürbisse. Störche klappern auf den Strohdächern, Schwalben schießen hin und her, oder hängen an ihren lehmigen Nestern und zwitschern.

In der Ferne hört man den Kukuk rufen.

Ein kleiner Birkenhain regt vor uns die Wipfel. Es ist ein zierlicher, reizender Baum, die Birke, weichlich und weiblich mit ihrem leichtgeschwungenen schlanken Stamm, ihrer Atlasrinde, ihrem Schleier aus zarten Zweigen und zitternden Blättern. Sie ist schwatzhaft, und sie ist auch grausam wie ein Weib, sie gibt die Ruthe her, die unsern Rücken zerfleischt.

Doch weiter und weiter spannt sich die Steppe aus. Der letzte Baum taucht unter, noch ein Rauchwölkchen, das von einer Menschenwohnung zeugt, dann ist nichts um uns als Himmel und Erde. Der Frühling webt von Horizont zu Horizont in seinem endlosen, blühenden Reich. Ein Meer von goldenem Grün und wechselnden Farben ergießt sich über die Erde, ein zweites Meer von Duft wogt darüber hin.

Zwischen der dünnen Haide stehen die blauen, rothen, violetten Blumen, die gelben Pyramiden des Ginster und die weißen Kugeln des Klees.

Tausendstimmiger Vogelsang ringsum, denn der Tag geht zur Neige. Hier scheuchen wir Rebhühner auf, dort eine Trappe, die sich schwerfällig erhebt, einen Hasen, der mir jedesmal im Sprunge die langen Ohren zeigt. Wolken ziehen über uns hinweg, sie spiegeln sich in den schimmernden Graswellen oder werfen ihre Schatten auf dieselben, je nachdem sie gegen die sinkende Sonne stehen.

Eine Wachtel schlägt, eine zweite antwortet, eine dritte.

Nun wird die Steppe mit einem Mal ganz und gar lebendig. Eine Herde Schafe grast mir zur Rechten, tausende und wieder tausende von dicken, runden wolligen Rücken ziehen langsam vorbei, tausende und wieder tausende von Köpfen heben sich, mich anzustaunen, und dabei geht ein dumpfes, einförmiges, elementarisches Geräusch durch diese lebenden Wellen, das den Menschen, der sich als ein Wesen für sich fühlt, beängstigt und niederdrückt. Ruhig steht aber in dieser wolligen Flut der Tschaban in seinem zottigen Rock aus Kameelhaaren, die kleine Pfeife im Mund, und die Hunde liegen zu seinen Füßen und schnaufen aus.

Kaum sind wir an der Herde vorüber, steigen aus dem Grase Kurgane, kegelförmige Grabhügel auf, welche sich in langer Reihe hinziehen, und dann braust ein Tabun wilder Pferde vorüber, die Köpfe hebend und Luft einziehend. Eines der Thiere bleibt stehen und mustert uns mit großen, schönen klugen Augen, dann folgt es wiehernd den andern.

Im Westen steht die untergehende Sonne wie ein großer rother Mohn.

Heiße Tinten ergießen sich über den Himmel, die zerzupften Wölkchen, das wogende Grasmeer. Es wird Abend.

Rasch versinkt der glühende Ball. Noch flammt der Himmelsrand, dann zieht rasch der graue, bleierne Nebel der Dämmerung herauf und erfüllt die stille, träumende Welt.

Wilde Enten ziehen hoch oben. Auf dem nächsten Heldengrab schreien die Raben.

Es wird dunkel. Noch ein Hügel und noch einer. Dann flackert ein Feuer auf, um das sich schwarze Gestalten bewegen. Oben auf dem kahlen Kurgan steht eine Strohhütte ohne Wände, unter deren Dach sich ein paar Hirtenmädchen gelagert haben.

Um den Hügel herum weiden ihre Pferde.

Ich reite heran, begrüße die Mädchen, binde mein Thier an den nächsten Pfosten und lagere mich in der Nähe des Feuers, ohne erst um Erlaubnis zu fragen. Fünf Paare neugieriger Augen mustern mich. Dann wird eine Weile geflüstert, gekichert und wieder nach einer Weile erzählt die älteste unter den Mädchen, die ein rothes Tuch um den schwarzen Kopf geschlungen hat, das Märchen von den sieben Brüdern und der Zarewna Helena zu Ende, das sie begonnen hatte, als ich kam.

»Nun«, sagte ich, »das gefällt Euch wohl, und Ihr bedauert wohl, daß jetzt nichts ähnliches mehr geschieht?«

»Doch«, erwiederte die Märchenerzählerin, »doch, Herr, es ist nicht so lange her, hat der Wassermann ein Mädchen geholt, entführt hat er sie in seinen gläsernen Palast, und auch solche Geschichten, von denen die alten Lieder erzählen, kommen zu Zeiten vor.«

Wieder nahte ein Pferd, diesmal trug es aber eine Reiterin auf seinem Rücken. Sie hielt am Fuße des Hügels und sah uns aufmerksam an, so daß auch wir Muße hatten, sie zu betrachten. Das erste, was an diesem jungen Weibe auffiel, war ein verächtlicher Zug in ihrem runden, hübschen Gesicht, ein Zug, wie er sich bei Menschen findet, welche fürchten, daß wir sie gering schätzen könnten. Alles athmete überdies Stolz an ihr, die hohe Brust, das kräftige Kinn, die kleine Adlernase, die Art wie sie den Kopf hob und von der Seite herabblickte, als die Hirtenmädchen den Hügel hinabgesprungen waren und sie umringten.

Das Pferd, auf dem sie wie ein Mann und ohne Sattel saß, war unruhig und wieherte, als ob sie es mit ihren kräftigen Schenkeln zugleich peinigen und streicheln würde. Ihr bloßer Fuß war schön geformt, er war nicht zum Gehen geschaffen, nur um geküßt zu werden. Es müßte eine Art Wollust sein, von diesem Fuß getreten zu werden.

Sie wechselte nur wenige Worte mit den Hirtinnen, warf mir dann einen raschen Blick zu und verschwand geheimnisvoll und plötzlich in der Steppe, wie sie aus Nacht und Nebel gekommen war.

»Wer war das?« fragte ich.

»Das Weib des Kosaken Olex Kostka.«

Einige Zeit blieb es stille, dann sagte plötzlich die Märchenerzählerin: »Da habt Ihr gleich eine Geschichte.«

»Dieses Weib kann in der That etwas Besonderes erlebt haben«, bemerkte ich.

»Erzähle also«, riefen die andern.

»Aber die Geschichte Matrenas ist schrecklich. Ihr werdet Euch fürchten.«

»Nein, nein, erzähle nur.«

Die Mädchen rückten ganz nahe zusammen, und die mit dem rothen Tuch begann.

 

Der Gutsherr Baraniewski, Gott habe ihn selig! war ein gar hübscher und verwegener Mann, nur allzu kühn den Mädchen gegenüber. Er machte sich auch kein Gewissen daraus, dem Manne seine angetraute Frau zu nehmen, hatte überhaupt kein Gewissen. Dieser Baraniewski sah Matrena das allererstemal auf dem Jahrmarkt. Wenn er ein Weib traf, von ferne nur, hob er Euch die Nase wie ein Jagdhund, der ein Wild wittert. So war es auch hier und er strich sich den Schnurbart, und die Matrena sah ihn gleichfalls an. Warum sollte sie ihn nicht ansehen? Es war ein schöner Mann und gekleidet wie der Czarewitsch.

Sie hatte eine Art zu gehen, welche die Männer anzog. Versteht Ihr mich, sie drehte sich so, drehte sich beim Gehen in den Hüften, so daß ihren langen Zöpfe ihre Nacken peitschten. Und der schöne Herr folgte ihr, und flüsterte ihr allerhand Schönheiten zu.

Nicht lange darauf traf er sie beim Ziehbrunnen. War wohl kein Zufall, daß es so kam. Sie wurde roth, und weil sie nicht wußte, was sie reden sollte, so gab sie seinem Pferde zu trinken aus ihrer Kanne, und er stand dabei und sprach ihr von seiner Liebe.

Erst schämte sich Matrena, als sie ihn aber so verliebt sah, da bekam sie Courage und lachte ihn aus. »Ihr seid ein Mann«, sagte sie, »ich sollte Euch gar nicht anhören, denn ich habe einen Theuren, das ist Kostka, mit dem mich der Vater verlobt hat, aber es macht mir Spaß, Euch so toll zu sehen.«

Sie hatte Lippen wie Kirschen, die sah er und wollte sie gern küssen.

»So und so«, rief er, »als ich ein kleiner Junge war, habe ich mir das Obst am liebsten aus fremdem Garten geholt.«

»Und als ich ein kleines Mädchen war«, gab sie zur Antwort, die Spitzbübin, »da belustigte ich mich damit, dem Maikäfer einen Faden an das Bein zu binden und lachte, wenn er zappelte und schwirrte und mir doch nicht entkommen konnte, und nun lache ich über Sie.«

Und jedesmal, wenn er von seiner Liebe sprach, von den Qualen, die sie ihm bereitete, lachte sie nur und rief: »Flieg, Maikäfer, flieg.«

Und wieder einmal kam er, als sie beim Bache wusch, und wie sie sich bückte, um die Wäsche zu spülen, und er sah ihre großen, schönen Hüften, schlug er sie drauf, daß es nur so klatschte und lachte, sie aber war roth geworden und hieß ihn gehen.

Doch was half es ihr? Er ließ nicht ab, das war nicht der Mann, sich leicht abweisen zu lassen, wenn er einmal Passion hatte auf ein Weib.

Matrena schlug ihn einmal. – Wozu war das etwa gut? – Er kam doch – kam doch und drang zum Fenster herein, das sie offen gelassen hatte, die Nachtigallen zu hören, die so schön in der Sommernacht sangen. Kam doch und küßte sie. Ergriff sie so im Hemd – sie hatte keine Zeit, ihren kurzen Lammpelz überzuziehen.

Es half ihr nichts, daß sie ihn wieder schlug und schrie. Er küßte sie doch – küßte sie, daß sein Mund ihr die rothen Lippen schloß, und ihre Stimme im Winde erstarb und im Rauschen der Bäume.

Nichts half ihr, alles wendete sich gegen sie, sie hat es später selbst erzählt und mehr als einmal. Sie dunstete in ihrem Pelz und wurde noch heißer vom Ringen, die Schaffelle verbreiteten einen üblen Geruch. Er aber flüsterte: Wie gut das riecht und Du erst ... der Geruch eines gesunden Mädchenleibes berauscht mich. Ist das nicht zum Lachen? Das Lammfell schien angewachsen an ihre vollen runden Glieder, und auch das gefiel ihm. Ist es doch, rief er, als kämpfe ich mit einem wilden zottigen Thier, und lachte, der Unmensch, der Tartar, obwohl er doch die Krallen und die Zähne dieses schönen Thieres fühlte.

Dann aber war sie es, die ihn zurückhalten wollte.

Baraniewski, der stolze Herr, stieß sie weg, sie indes packte ihn noch einmal bei Haar und Bart. Er riß sich los, ja, das that er, riß sich los, so daß Büschel seiner Haare in ihren Händen blieben und schwang sich auf sein Pferd.

Matrena gab keinen Laut von sich. Rasch band sie ihr Haar zusammen, nahm einen derben Strick, machte eine Schlinge, führte das beste Pferd heraus aus dem Stall, sprang auf den Rücken desselben und folgte dem schönen, stolzen Herrn, der schon einen Vorsprung gewonnen hatte.

Die Brücke donnerte unter den Hufen seines Pferdes. Nun wußte sie wie weit er war, denn die Nacht hatte ihn verschlungen, und sie sah nur seitwärts die leuchtenden Augen eines Wolfes, der sie musterte, und ein Stück faulen Holzes, das an dem Wege lag und leuchtete.

Da war ein Zaun, der ihm den Weg versperrte. Im Nu war er drüber, und ehe man zehn zählen konnte, war auch sie zur Stelle und sprang gleichfalls mit ihrem Kosakenpferd hinüber. Sprang ihm auch nach über den Graben, über den er gesetzt hatte, und schwamm ihm nach durch den Fluß, daß das Wasser nur so plätscherte und aufschäumte.

Fort gieng es, immer fort. Jetzt mitten durch einen Hain, mitten durch die Bäume, daß die Äste ihnen ins Gesicht schlugen und sich an seine Kleider klammerten, und ihr das Hemd vom Leibe rissen. Nun vorwärts, durch das Maisfeld, daß die hohen Stämme nur so krachen, durch das Korn, durch den Weizen, was liegt daran? Durch die schlafende Schafherde, den Grabhügel hinauf, hinab.

Da waren sie mitten in der Steppe, die um sie rauschte, ein Meer, ein stürmisches Meer, und nur der Himmel war über ihnen.

Baraniewski verlor wohl den Muth, er hörte das Knallen ihrer Peitsche näher und näher, hörte ihren Zuruf, mit dem sie das Pferd ermunterte, hörte das Schnauben des Thieres, fühlte seinen heißen Athem.

Sein Pferd stürzte. Matrena jauchzte auf. Doch schon riß er es empor und es gieng weiter, wie auf der Hetzjagd, hinter dem Fuchs her.

Wie pochte ihm da das Herz, dem Verräther! Ja, hundert Arme schienen sich nach ihm auszustrecken, hundert Arme aller der Verrathenen, Betrogenen, Verlassenen, Gemordeten. Weiße Arme, die aus dem dunklen Zobelpelz nach ihm langten, und braune Arme, die aus groben Hemden hervorkamen, und oben jagten die Sterne ihm nach, und weiße Gestalten in flatternden Gewändern, den todten Bräuten gleich, die um Mitternacht tanzen und ihre Tänzer erwürgen mit ihren weichen, duftigen Haaren.

Und wirklich, sie holt ihn ein. Sie wirft die Schlinge – einmal – ein zweitesmal ... Da hat sie ihn ... reißt ihn vom Pferde und macht dann Halt und schöpft Athem.

Baraniewski sucht die Schlinge, die ihm den Hals zusammenschnürt, zu lockern, aber ein Ruck ihres starken Armes und er liegt vor ihr und schnappt nach Luft, wie ein Fisch schnappt er, den man gefangen und auf den Sand hingeworfen hat, und fleht um sein Leben.

Matrena schüttelt nur den Kopf.

»Ich will Dich zur Frau nehmen«, betheuert er.

Sie lacht ihn nur aus.

»Dein Sclave will ich sein«, beginnt er von neuem, sie aber schneidet ihm das Wort ab.

»Bete zu Gott. Du mußt sterben.«

»Hast Du kein Erbarmen mit mir?«

»Nein.«

Dann treibt sie ihr Pferd an und ruft: »Maikäfer flieg!« und lacht dabei, wie ein Teufel lacht sie.

»Flieg, Maikäfer flieg!«

Einige Zeit lief er neben ihrem Pferde her, dann blieb er zurück, fiel zur Erde, und nun schleifte sie ihn hinter sich, bis er zu ihren Füßen verendete. Noch war er nicht ganz todt, als schon die Raben um sie kreisten und sich auf ihn stürzten.

»Nur zu!« rief ihnen Matrena zu, »hackt ihm die Augen aus, meine Freunde, reißt ihm das Fleisch stückweise vom Leibe – das schmeckt – so frisch und lebendig – nicht wahr? Oh! könnt' ich Dich nur selbst zerreißen mit meinen Zähnen!«

So endete Baraniewski, der schöne, stolze Herr, und Matrena hielt Hochzeit mit Olex Kostka.

 

»Wie ist es möglich, daß er sie trotzdem genommen hat?« sagte ich erstaunt.

»Wie? Auf die Weise. Und warum nicht? Hat sie nicht selbst ihre Ehre gerächt etwa? Konnte ihr jemand einen Vorwurf machen?«

Es war Nacht geworden. Der Sternenhimmel stand über uns, ein Riesenfeld voll goldener Ähren. In der Ferne flatterten kleine weiße Wolken, ein gespenstischer Reigen, der sich über der Erde zu drehen schien. Durch die Steppe zog jenes tiefe, schwermüthige Rauschen, das so gut zu den Liedern dieses Volkes stimmt, das um seine Helden trauert, um seinen Ruhm, seine Freiheit, und eines dieser Lieder klang jetzt zu uns herüber, von einem Kosaken gesungen, der durch das Grasmeer ritt, von einem Hirten oder Jäger. Und es klang so wehmüthig durch die Nacht:

Ohne Nutzen, ohne Segen,
Schwindet des Kosaken Beute,
Was er gestern schwer errungen,
Leichten Sinns vertrinkt er's heute.


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