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Tag und Nacht in der Steppe

 

Tag

Ich wollte in die Steppe, um ein paar Trappen zu schießen. Es ist dies eine Jagd, die unendlich viel Reiz hat. Der Trappe gehört nicht zu dem kleinen Wilde, das mancher Jäger ganz verschmäht, er übertrifft alle unsere jagdbaren Vögel an Größe. Vier Fuß lang und mit sieben Fuß Flügelbreite, wiegt er zwanzig bis dreißig Pfund und ist mit seinem stolzen Gang und seinem langen weißen Bart ein ganz mächtiges Thier. Auch ist es nicht leicht, ihm beizukommen. Man muß zu allerhand Listen seine Zuflucht nehmen. Wohl kommt er in Schaaren zu den Feldern der Landleute und zeigt eine besondere Vorliebe für Kohl und Rübensaat, aber es ist der scheueste Vogel, den es giebt. Sobald der Jäger oder sonst etwas Verdächtiges naht, erhebt er sich schon auf fünfhundert Schritte. Er scheint seine Schwäche zu kennen, denn er kann sich nicht ohne Weiteres vom Boden erheben, er muß einen förmlichen Anlauf dazu nehmen und sein Flug ist schwer und niedrig.

Es giebt verschiedene Mittel, ihm nahe zu kommen. Er kennt den Landmann und fürchtet ihn deshalb nicht, während derselbe pflügt oder säet oder erntet, spaziert er mit der ihm eigenthümlichen spanischen Grandezza hinter, vor oder neben ihm. Der Jäger kleidet sich also als Bauer und geht langsam, die Pfeife im Munde, mit Bauernschritten, bis er ihn zum Schusse bekommt, aber es ist nicht leicht, ihm das Gewehr zu verbergen. Er kennt das Blinken eines Flintenlaufes sehr gut von jenem einer Sense oder Sichel auseinander.

Besser ist es, sich in Bauernkleidern auf einen Bauernwagen zu legen und die Flinte in dem Stroh, Heu oder Mais, mit dem der Wagen beladen ist, zu verbergen.

Aber der Wagen darf ja nicht mit Pferden, er muß mit Ochsen bespannt sein und recht langsam heranfahren, während der Bauer, der das Gespann lenkt, mit der Peitsche neben demselben einhergeht.

Ich wählte das letztere Verfahren. Als ich vor Sonnenaufgang aufstand und in Bauernkleidern, die Flinte unter dem Arm, aus dem Hause trat, war mein Mann, der Grundbesitzer Jan Walko, schon zur Stelle. Er hatte den niederen Leiterwagen mit Heu geladen, weil es sich im Heu am Besten liegt, und hatte zwei große weiße Ochsen mit schönen langen Hörnern, die eine Lyra bildeten, vorgespannt. Nachdem ich mich bequem auf den Rücken gelegt hatte, setzte sich das Gefährte langsam in Bewegung.

Ich hatte Muße, die Gegenstände, die mich umgaben, genau zu betrachten.

Wir fuhren durch das Dorf, kreuzten das frische Dunkel eines Birkenwäldchens, kamen durch hohes gelbes Korn, dessen Ähren sich schwer zu uns herüber neigten, holperten über eine schadhafte Brücke und da waren wir auf weichem üppigem Sammt und vor uns lag die Steppe.

Für jetzt nur vor uns, bald aber auch rechts und links und hinter uns, und als die Sonne vollends aufgegangen war, umfing sie uns ganz und gar.

Anfangs zeigten sich noch lange Reihen von dunkeln Heuschobern, stand da oder dort ein Bauer, der seine Sense dengelte, oder ein Mädchen mit rothem Kopftuch, das Kräuter suchte, tauchte einer großen Mohnblüthe gleich aus dem hohen Grase. Wenn der Nebel sich träge zur Seite wälzte, blinkte in der Ferne das griechische Kreuz einer Dorfkirche, oder zeigte sich ein niederer Schafstall, zeigte sich ein Ziehbrunnen. Kleine grasbewachsene Hügel stiegen empor, nicht selten beisammen liegend wie eine Reihe Gräber und vom Volke auch für Gräber, für Denkmale irgend einer Tartarenmetzelei, irgend einer Kosakenschlacht angesehen. Kleine Haine belebten die Grasfläche, Lerchen stiegen empor aus dem blitzenden Thau, der dieselbe in einen weiten Wasserspiegel verwandelte.

Allmählich wurden die Hügel kleiner, die Bäume seltener, und endlich verschwanden sie ganz und der liebliche Gesang der Vögel verstummte. Die Nebel verflatterten an der Erde. Wir waren mitten in der weiten unabsehbaren Steppe, und schön war der Morgen da mit seinem Glanz, mit seiner jugendlichen Fröhlichkeit.

Weithin war nichts zu sehen als die Ueppigkeit hohen smaragdenen Grases, blühender Kräuter und farbiger Blumen. Ganze große Strecken schienen gelb, roth, weiß oder blau bemalt, vor allem gelb, und das alles zusammen gab ein Farbenspiel so kräftig, so heiter, so festlich, wie ein Regenbogen, der auf der Erde lag. Ein schwerer Duft steigt aufwärts und bleibt auf den matten Schwingen der Luft träge liegen, er nimmt den Kopf ein, er berauscht, er bezaubert, er regt die Sinne auf wie der Wohlgeruch einer asiatischen Schönen.

Rostbraune Trappen schreiten durch das Gras, die weißen Flecke auf ihren schwarzen Flügeln schimmern deutlich herüber, Störche stehen schläfrig auf einem Bein, büßende Fakirs in der Wüste, Geier kreisen, Adler erheben sich in den Äther, Tausende von Insekten schwirren, Tausende von Grashüpfern erheben sich vor uns, um sich wieder nieder zu lassen und wieder zu erheben, so daß ein immerwährendes Gestiebe großer grüner Funken auf der grünen leicht bewegten schwimmenden Fläche zu sehen ist.

Und sobald man nur etwas hinhorcht, ist die Steppe nicht so stille als sie scheint, man hört ein immerwährendes Schwirren, Knistern, Zischen, Pfeifen, Seufzen, und andere Töne, wie das Lallen eines Kindes, rätselhaft, sehnsüchtig und verworren.

Die Sonne ist heiß, es ist dieselbe Sonne, welche die Gesichter unserer Kleinrussen mit jenem schönen Braun überzieht, das so gut stimmt zu ihren ehernen, ernsten, schwermüthigen und entschlossenen Zügen.

Bis zum Horizont ist nichts zu sehen als Land und darüber blauer Himmel und kleine Wölkchen, nicht einmal der Silberfaden eines Bächleins ist zu entdecken.

Die Steppe blaut um uns wie das Meer und verschwimmt in der Ferne wie das Wasser in zitterndem Glanz. Und nicht die Erde allein erscheint uns mit einem Male so groß, so unbegrenzt, und der Himmel spannt sich weiter aus und scheint uns ferner zu sein.

Dem Menschen ist zu Muthe wie dem Vogel, der die Luft durchstreicht.

Wie in der Luft hemmt auch in der Steppe nichts seinen Blick, da ist keine Stadt, kein Thurm, kein Dorf, kein Haus, nicht einmal eine verfallene Schenke aus Weidenruthen geflochten und mit Stroh gedeckt, kein Mensch, nicht einmal die Fußstapfen eines Menschen oder das Geleise eines Wagens.

Die Natur ist hier unentweiht wie im Urwald, aber in diesem ist alles Finsterniß, Feindseligkeit, Druck, auf der Steppe aber umgiebt uns Licht, Heiterkeit, Freiheit! Auch der Urwald ist weit, still, ohne Menschen, aber diese Ruhe ist wie das Ende alles Lebens, wie Tod und Vernichtung, jene der Steppe ist wie der Frieden des Paradieses, ehe das Leben entstand, wie der lachende Morgen vor der Schöpfung.

Es ist, als sollte jeden Augenblick die Stimme des Herrn ertönen, die aus Wüsten Propheten zu den Menschen sendet und die Völker theilt und wandern heißt.

Das Auge findet keine Grenze, es ist nur nicht fähig, so weit zu sehen, als sich die Welt seinem Blicke öffnet.

Ich schoß zwei Trappen und einen großen Geier, damit war die Jagd zu Ende und es war auch schon Mittag da, der Mittag der Steppe, drückend in seiner Stille und Hitze. Überall strömte flüssiges Gold nieder. Das geblendete Auge fand nirgends Ruhe. Die Graswogen leuchteten, jeder Halm blitzte für sich auf. In der Luft war ein leises Knistern wie von elektrischen Funken. Endlich zeichnete ein Ziehbrunnen seine Silhouette auf den leuchtenden Himmel, Rauch wirbelte empor, ein Strohdach wurde sichtbar, eine Hütte wuchs aus dem Boden herauf. Das erfrischende Rieseln einer Quelle ließ sich deutlich vernehmen.

»Wem gehört die Hütte?« fragte ich meinen Bauer.

»Einer Wittwe«, sagte er verschmitzt lächelnd.

Die Räder unseres Wagens zerschnitten trennend das hohe Gras. Ein rothes Feuer loderte in der offenen Thüre. Die Ochsen hielten von selbst stille. Ich sprang ab. Aus dem Steppenhause trat ein junges Weib, barfuß, mit nackten Armen, wirr fluthendem schwarzen Haar, nur mit einem roth gestickten Hemde und einem kurzen blauen Rock bekleidet. Sie begrüßte uns und musterte uns ruhig mit ihren prachtvollen schwarzen Augen. Ihr fein modellirtes Gesicht war braun wie die Erde, auf der ihr Fuß stand.

So mag die ägyptische Königin, die schöne Schlange vom Nil, vor Marc Aurelius hingetreten sein, als er kam, um ihr die Krone zu rauben und sie ihn zur Strafe zum ersten ihrer Sklaven machte.

»Nun, hast du was zu essen für uns, Eva?« fragte der Bauer.

»Ich werde sehen«, gab sie zur Antwort.

Wir traten in das Haus und ruhten aus. Sie bereitete das Mahl. Nachdem wir gegessen und getrunken, streckten wir uns auf den Holzbänken aus, die längs der Wände liefen und schliefen bald ein. Pferdegetrappel weckte uns.

Ein junger Bursche, schlank gebaut, mit einem Gesichte, das auf den ersten Blick Vertrauen erweckte, trat herein, offenbar ein Hirte. Zwei große blaue Augen sahen uns erstaunt an.

»Ah! Du, Akenfy?« rief der Bauer.

»Ja, so ist es, habt Ihr gejagt?« Er nahm seine Mütze ab und warf den kurzen Schafspelz von den Schultern auf die Ofenbank.

»Allerdings haben wir gejagt«, erwiderte der Bauer, »was aber führt Dich etwa her?«

»Nicht mich allein«, sprach Akenfy bescheiden, »ein mächtiges Gewitter hängt schwarz am Himmel; wir alle, die wir unsere Pferde in der Nähe weiden, haben uns bei Zeiten hierher geflüchtet.«

Andere Pferdehirten traten in die Stube, auch Eva wurde sichtbar, sie ging hin und her ohne Akenfy zu beachten, ja die Beiden wechselten nicht einmal einen Blick zusammen und doch fühlte man sofort, daß zwischen ihnen irgend eine Beziehung bestand.

»Ist das ihr Geliebter?« fragte ich leise meinen Bauer.

»Welcher?«

»Nun, Akenfy.«

»Er wird es wohl sein«, gab der Bauer zur Antwort und seufzte.

Indeß hatten sich Wolken auf Wolken gethürmt, es war dunkel geworden. Eine brütende Stille herrschte, die geradezu furchtbar war. Die schwüle Luft legte sich auf die Brust gleich einem heißen Stein. Mit einem Male zuckten Blitze, begann das Rollen des Donners und schon stürzte der Regen auf die Steppe, das Gras grausam peitschend. Ein Meer ging zur Erde nieder. Die Wogen schäumten wild auf. Wohin man blickte, war nur noch ein wild bewegter Wasserspiegel, in dem das einsame Steppenhaus wie die Arche inmitten der Sündfluth schwamm.

Schlag auf Schlag folgte, ein jeder schien die Erde zu spalten und ihre Grundvesten zu erschüttern.

Dann erhob sich ein Orkan, ebenso wüthend wie das prasselnde und flammende Gewitter, trieb die finsteren Wolken vor sich her, trieb die Wogen des Wassers auseinander und ebenso plötzlich, wie die Elemente ihre Fesseln zerbrochen hatten, kehrten sie zur gewohnten Ruhe zurück.

Der Regen hörte auf, der Himmel wurde helle, die grüne Steppe schimmerte freundlich, gleichsam verjüngt. Ein Regenbogen umspannte glänzend das weite Land.

Die Hirten verließen das Haus, trieben ihre Pferde aus den Ställen und schwangen sich auf den Rücken derselben. Eva war mitten unter ihnen, scherzend, mit fröhlichen funkelnden Augen, und wie von einer diabolischen Laune ergriffen, faßte sie eines der schwarzen Pferde an der Mähne und schon saß sie auf dem stolz wiehernden Thiere, ohne Sattel, ohne Zügel. »Hört, Ihr Burschen!« rief sie, »wer mich einholt und gefangen nimmt, der darf mich küssen.«

Schon jagte sie ihren Renner über die Steppe, die Hirten folgten mit wildem Geschrei. Akenfy, bleich mit unheimlich lodernden Augen, hatte bald alle anderen überholt. Vergebens wendete Eva ihr Pferd und kehrte im weiten Bogen zum Steppenhause zurück, er erreichte sie fünfzig Schritte vor demselben, riß sie herüber auf sein Pferd und, während das ihre davonflog, preßte er seine Lippen auf die ihren.

Mein Bauer lachte. »Sie ist nicht umsonst die Tochter einer Wissenden, einer Hexe«, sagte er zu mir, »sie hat ihn behext.« Es wurde Abend als wir den Rückweg antraten. Der westliche Himmel flimmerte in bizarrer Farbenpracht. Überall war Summen, Schwirren und Gesang. Die Sonne versank, ohne nur das kleinste dunkle Abbild eines Gegenstandes auf der ruhenden Steppe zu zeichnen. Das Licht verrann auf dem regungslosen Grasmeer und mit einem Male lagerte sich ein riesiger Schatten über die ganze Erde.

 

Nacht

Jahre waren vergangen und es war tief im Herbste, als ich in der Steppe von dem Abende überrascht wurde. Zur Dämmerung gesellten sich Dünste, welche wie ein durchsichtiger Flor uns umgaben, um sich in der Ferne mehr und mehr zu verdichten. Die Bäume waren fast ganz entblättert, ihre kahlen Äste ragten, wie die Arme Ertrinkender aus dem Wasser, über den grauen Nebel empor. Ein Teich erglänzte matt, bleiern. Der Wind pfiff über die Fläche, riß die letzten Blätter von den Zweigen und warf die Wolken Ballen gleich hin und her, zerriß die häßlichen Schleier und schleifte sie durch das Gras.

Zugvögel strichen, ohne einen Laut von sich zu geben, in Schwärmen durch dasselbe, belebten die Büsche und hüpften die Äste der Bäume hinauf. Durch den grämlichen Himmel, der mehr und mehr sichtbar wurde, flogen wilde Gänse, Störche, Kraniche den Mündungen des Dnieper und der Donau zu.

Es wurde rasch Nacht. Die Ruhe, das Schweigen der Steppe hatten jetzt Etwas Erhabenes an sich, heilige Schauer sanken auf uns nieder. Die Sterne zogen herauf, sie vermehrten sich zusehends, und als das dunkle Firmament endlich von ihnen bedeckt war, da schien ihre Zahl größer als sonst, als zu irgend einer Zeit und an irgend einem Orte. Ihre Bilder zeichneten sich deutlich ab und schienen so nahe. Es war, als führen wir in den Himmel hinein, den Sternen zu, welche am Horizonte wie große Kerzen brannten, die zu einem nächtlichen Feste aufgesteckt werden; und als baue die Milchstraße eine glänzende Brücke von der Erde zu den Wolken.

Und wie die Pferde, die meinen kleinen Wagen zogen, durch die grünen Graswellen weiter und weiter schwammen, da blitzte es am Horizonte auf, zuerst wie ein neuer großer Stern, dann immer mächtiger, eine riesige Flamme, bis endlich deutlich eine rothe lodernde Feuersäule emporstieg.

Mein Kutscher hielt an, spähte hinaus, schüttelte den Kopf und sagte dann: »Ich will der Sohn einer Hündin sein, wenn das nicht der Hof der Eva Kwirinewa ist, der da brennt.«

»So fahre hin.«

»Wozu?«

»Um zu retten.«

»Was wollen Sie an so einer Baracke aus Holz und Stroh retten. Ehe wir hinkommen, ist nur ein Aschenhaufen da.«

»Nun, fahre nur.«

»Ich fahre schon, wenn der Herr es will«, sagte der Kutscher und lenkte die Pferde zur Seite. Die Steppe ächzte unter den Rädern des Wagens auf, dann glitten wir wieder geräuschlos dahin wie über weichen Sammt. Plötzlich tauchte zur Seife eine dunkle Gestalt aus dem hohen Grase auf, sie winkte uns und kam dann auf uns zugelaufen. »Nehmt mich auf«, flehte sie, »nehmt mich auf, ich habe mich verirrt auf der Steppe.«

»Wer bist Du?«

»Ein Mädchen, das bei Eva Kwirinewa im Steppenhause im Dienste war.«

»Im Steppenhause? dort brennt es ja. Wir wollen hin, um zu retten.«

Das Mädchen machte eine Bewegung mit der Hand, die deutlicher sagte als es die Sprache vermochte, daß dort nichts mehr zu retten war.

»Wie ist das Feuer entstanden?«

»Wie es entstanden ist?« erwiderte das Mädchen gleichsam erstaunt, »wie kann es entstanden sein, sie hat es ja doch selbst angezündet, ihr Haus, wer kann ihr verbieten, ihr eigenes Haus anzuzünden? sie wollte es einmal so.«

»Wer? Eva Kwirinewa.«

»Eva Kwirinewa, Gott gebe ihr den ewigen Frieden.«

Die Feuersäule verschwand, man sah nur noch Rauch emporsteigen, der leicht geröthet war.

»Nun ist alles vorbei«, seufzte das Mädchen auf.

»Was ist vorbei?« rief ich, »so erzähle doch.«

»Es war heute Nachmittag«, begann sie, »die Sonne stand schon tief, als unerwartet Herr Delgopolski vor unserem Hause hielt, er war zu Pferde, er kam von der Jagd oder sonstwo her. Genug, er war sehr ermüdet, hielt sein Pferd an und pfiff. Ich sprang hinaus und ergriff den Zügel, aber schon erschien die Frau auf der Schwelle.«

»Eva Kwirinewa?« fragte der Kutscher.

»Wer sonst?« fuhr das Mädchen fort, »als sie den edlen Herrn erblickte, lächelte sie recht böse, o! sie konnte so böse lächeln, daß einem das Herz im Leibe stille stand.

Hat der Herr die Gnade, mich wieder einmal zu besuchen, begann sie in einer Weise, die mir Angst machte.

»Ich komme nicht, Dich zu besuchen«, gab Herr Delgopolski stolz zur Antwort, »ich habe mich verirrt, bin todmüde, will unter Deinem Dache rasten.« Er stieg ab, band sein Pferd an und Eva Kwirinewa ging mit ihm in die Stube. Er ging voran, sie folgte ihm. In der Thüre wendete sie sich um und winkte mir, draußen zu bleiben. Ich blieb also bei dem Pferde, raufte Gras aus und gab es ihm, holte Wasser und tränkte es. Ich hörte die Beiden drinnen laut sprechen, laut und heftig. »Was haben die etwa zu streiten?« dachte ich, aber ich regte mich nicht.

Dann wurde es ruhig. Die Frau ging ein und aus auf den Fußspitzen. Einmal blieb sie vor dem Hause stehen, hielt die Hand über die Augen und spähte nach allen Seiten aus, ob Jemand komme.

Die Sonne war untergegangen, es wurde dunkel.

Plötzlich kam die Frau; sie hatte sich vom Kopf bis zum Fuße angezogen, wie zur Kirche oder zum Jahrmarkt, sie trug rothe Stiefeln, einen bunten Rock, und über dem gestickten frischen Hemde, das so weiß war wie Schnee, ihren neuen Pelz, von blauem Tuch mit weißem Lammfell, sie hatte wohl zehn Schnüre Korallen und Münzen um den Hals, daß es nur so funkelte, und ein rothes seidenes Tuch um den Kopf. Sie war ein schönes Weib, wie ich sie so ansah.

Was hat sie nur vor? dachte ich.

»Gieb mir die Stricke«, sagte sie leise.

Die Wäsche hängt auf den Stricken, erwiderte ich.

»So wirf sie zur Erde, wirf sie fort«, sprach sie, »und gieb mir die Stricke.«

Ich gab sie ihr und sie ging hinein, leise, wie eine Katze schlich sie sich. Wozu sie nur die Stricke braucht, dachte ich, näherte mich leise dem Fenster der Stube und blickte hinein. Mich konnten sie nicht sehen, da es schon vollkommen finster war draußen, ich aber sah alles genau, was in der Stube vorging, denn Eva Kwirinewa hatte ein Licht angezündet und auf den Tisch gestellt, und ich hörte auch alles, was sie sprachen, denn das Fenster war zerschlagen und nur so zur Noth mit Papier verklebt.

Herr Delgopolski schlief auf der Ofenbank. Als jetzt das Licht auf ihn fiel, sah ich, daß sie ihn mit den Stricken gebunden hatte. Sie hatte ihm die Arme gebunden und die Füße und hatte ihn an die Bank gefesselt.

Eva Kwirinewa saß bei ihm als er erwachte. Er versuchte sich zu regen, sich zu erheben, aber die Stricke hinderten ihn.

»Was ist das für ein Scherz«, rief er aus, »und was sollen diese festlichen Kleider?«

»Heute ist ein großes Fest für mich«, erwiderte Eva, »es ist der Tag gekommen, wo ich an Ihnen Rache nehmen kann.«

Herr Delgopolski riß vergebens an den Stricken, dann begann er laut um Hülfe zu rufen, aber Niemand hörte ihn als ich, und wie sollte ich ihm helfen, ich armes schwaches Mädchen.

Eva Kwirinewa saß ruhig da, die Arme über der Brust verschränkt und lachte. Es war ein furchtbares Lachen. »Schweigen Sie, oder ich schneide Ihnen die Zunge heraus«, sagte sie endlich, sprang auf und faßte ein Messer. Er schwieg. Er kannte sie offenbar. Sie war alles im Stande, was sie sagte. Wie sie sah, daß er sich ihr ergab, warf sie das Messer auf den Tisch und setzte sich wieder zu ihm hin.

»Bereuen Sie, was Sie mir gethan haben?« sagte sie ruhig, ja stolz.

»Soll ich etwa bereuen, daß ich ein schönes Weib mein genannt habe«, versetzte Herr Delgopolski spöttisch, er ahnte noch nicht, was ihm bevorstand, »und Du bist heute noch schön, Eva, komm' küsse mich.«

»Scherzen Sie nicht«, sagte sie strenge, »Sie haben schlecht an mir gehandelt, sehr schlecht, wie ein Teufel haben Sie an mir gehandelt. Ich habe Akenfy aus Liebe zum Manne genommen und habe ihm drei schöne Kinder geboren. Da kamen Sie –«

»Bist Du nicht eine Hexe?« rief Herr Delgopolski, »und einer Hexe Tochter? Hast Du mir nicht einen Liebestrank gegeben?«

»Ja, das habe ich gethan.«

»Was willst Du also?«

»Ich habe Sie geliebt und ich wollte Sie in meinen Armen sehen«, sagte Eva.

»In Deinen Armen!« rief Herr Delgopolski, »Du wolltest mich zu Deinen Füßen sehen und Du hast es erreicht. Ich habe um deine Gunst gebettelt, wie um die Gunst einer Kaiserin.«

»Gut, gut«, rief sie, »und dann? habe ich Sie nicht glücklich gemacht? habe ich nicht – als mein Mann – als Akenfy – als der Narr mir drohte –«

»Habe ich ihm nicht Gift gegeben und auch den Kindern, meinen Kindern allen, als Sie Ihnen lästig wurden«, sprach sie, immer ruhig, ohne sich zu regen.

»Habe ich es von Dir verlangt, entsetzliches Weib!« schrie er auf.

Sie beachtete es nicht und fuhr fort. »Sie aber haben eines Tages ein reiches Fräulein kennen gelernt, das weiß war und blonde Locken hatte, und Sammt und Seide trug und Zobel, und Sie haben mich verrathen, verspottet, mit Hunden aus Ihrem Hofe gejagt, das Fräulein aber haben Sie zu Ihrer Frau gemacht. War es nicht so? Ja, so war es, und dafür werde ich Sie jetzt tödten.«

»Wahnsinnige!« schrie er auf.

»Ich bin ganz bei Vernunft«, entgegnete sie. Dann stand sie auf, trug Stroh und Heu zusammen und zündete es an.

»Was thust du?« fragte er, er war ganz bleich und bebte am ganzen Leibe.

»Ich zünde mein Haus an«, sagte sie mit ihrem bösen Lächeln, »wir werden Beide in den Flammen sterben.«

Da wollte ich in die Stube, ich weiß selbst nicht wozu, ich armes schwaches Mädchen, ich versuchte die Thüre aufzustoßen, aber sie war versperrt und verrammelt, ich rief Eva Kwirinewa, ich rief um Hülfe, aber mir antwortete nur das Prasseln des Feuers und der Wind, der klagend über die weite traurige Erde strich. Eine namenlose Angst faßte mich, ich konnte nicht einmal beten und so lief ich, wie sinnlos, in die Steppe hinein.«

Wir blickten jetzt alle zugleich nach der Richtung, wo das Haus der Eva Kwirinewa lag. Das Feuer war erloschen, der Rauch hatte sich verzogen, weithin war nichts zu sehen als die ruhige feierliche sternbeglänzte Steppennacht.


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