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Portugiesisches – Kamatipura

Ich hatte gestern eine Begegnung, die mir deswegen interessant ist, weil sie mir zum ersten Mal in Bombay ein durch die Gassen vagierendes Mädchen zeigte.

Auf dem Boden von Bombay ein überaus seltener Ausnahmefall: eine europäisch gekleidete, herumschweifende »Frauensperson«, die der »geheimen Prostitution« ergeben ist.

Gestern habe ich im G…-W…-Hotel Bekannten einen Besuch abgestattet und als ich dann den Heimweg zum Schiff antrat und meiner Gewohnheit gemäß in der milden Nachtluft einen Streifzug durch die Straßen unternahm, da bemerkte ich ungefähr in der Gegend der Town Hall, nicht weit vom Hotel, eine einsam wandelnde Frau.

Sie war europäisch gekleidet, trug einen europäischen Frauenhut, brachte jedoch mit ihrer Toilette einen wenig geschmackvollen Eindruck zustande.

Ich machte bei einer Tramwaystation Halt.

Die Frau promenierte in meiner Nähe herum, es war ersichtlich, daß sie durch ihr Verhalten zu verstehen geben wollte: da promeniert eine Frau, die durchaus nicht unnahbar ist und die nicht böse wäre, wenn man sie anspräche.

Meine Blicke folgten ihr. – Ich empfand diese nächtliche Wandlerin ganz und gar nicht als etwas Verlockendes. Nein, verführerisch sah sie keinesfalls aus. – Immerhin interessierten mich zwei Fragen, die mir für die Kenntnis der Bombay-Verhältnisse bemerkenswert zu sein schienen: Ist die Frau wirklich auf der Suche nach einem Mann, ist sie eine Dienerin der käuflichen Liebe? (Doch das war wohl kaum zu bezweifeln.) Und welchem Volkstamm gehört sie an?

Sie hatte einen Gesichtstypus nach Art der Goanesen, der »Portugiesen«.

Goa ist der Name der kleinen portugiesischen Besitzung, die an der Westküste Vorder-Indiens südlich von Bombay liegt.

Die Goanesen bezeichnen sich als Abkömmlinge der Portugiesen. »Abkömmlinge« sind in diesem Falle Nachkommen, die von ihren Vorvätern ziemlich weit abgekommen sind, denn die sogenannten Portugiesen, die man heutzutage in Bombay sieht, haben meist eine Gesichts- und Körperbildung, die mehr indisch als europäisch anmutet, oder ebensowohl indisch wie europäisch. Auch die dunkle Hautfarbe bezeugt den indischen Einfluß.

– Da ich, wie gesagt, im Hinblick auf das Gebaren der Frau annehmen durfte, daß sie sich gewiß nicht verletzt fühlen würde, wenn ich sie anspräche, so wünschte ich ihr in englischer Sprache einen guten Abend und fragte, kurzweg in medias res übergehend, ob sie einen Mann suche.

Sie bejahte.

Ob sie eine Portugiesin sei.

Ja.

Wohin sie mit dem Mann zu gehen beabsichtige.

Sie wies ins nächtliche Dunkel, nach den einsamen Örtlichkeiten, die zur nicht fernen Meeresküste führen.

Aus ihrer Mimik glaubte ich überdies zu ersehen, daß sie an ein tête à tête unter freiem Himmel denke.

Ich sagte ihr bedauernd, daß mir die lokalen Bedingungen nicht zusagen, und empfahl mich mit der freundschaftlichen Höflichkeit, die ich – zumeist ganz aufrichtiger Weise – zu erzeigen pflege, wenn ich solcherart mit Leuten zu tun habe, die unter schwierigen Verhältnissen ihrem Beruf nachgehen.

– – Es sei noch ausdrücklich erwähnt, daß man beileibe nicht von dieser einen Portugiesin, von einer Einzelerscheinung, verallgemeinernde Schlüsse auf die Portugiesinnen Bombays ziehen darf. Sie war eine Ausnahme.

Interessant ist die soziale Stellung der »Portugiesen« Bombays. Die Weißen, die Europäer, die in der Jetztzeit nach Indien gekommen sind, und insbesondere selbstverständlich die Engländer, fassen den »Portugiesen« nicht als vollwertigen »Europäer« auf; lehrt doch ein Blick in sein Angesicht, daß er ein Farbiger ist; sie betrachten ihn bestenfalls wie ein Mittelding zwischen »Europäer« und »Native«, wenn sie ihn nicht geradezu den »Natives« beizählen.

Die »Portugiesen« Bombays selber tragen jedoch in ihrem Gemüt eine Art Europäerstolz, der allerdings gemäß den Umständen ziemlich gedämpft ist. Einem indischen Kuli gegenüber mögen sie sich wohl zu Zeiten als Voll-Europäer fühlen, doch wenn sie, angetan mit dem Kellner-Dress, in einem Restaurant von Bombay einem unzweifelhaft europäischen Gast aufwarten, dann sind sie in ihrem dienerhaften, stillen, unterwürfigen Gehaben von dem Hindu-Boy kaum zu unterscheiden.

Ich erwähne das Kellner-Beispiel, weil die »Portugiesen« Bombays häufig im Kellnerberuf und seinen Nachbarmetiers Verwendung finden. Auch auf unseren Schiffen werden indische Portugiesen als Gehilfen des Kellner-Ressorts beschäftigt.

Unser weißes Schiffskellner-Personal fühlt sich ebenfalls über diese dunkelhäutigen »Portugiesen« sehr erhaben, desgleichen unsere sonstige Schiffsmannschaft. Der Sprößling eines dalmatinischen oder istrianischen Inseldorfes, eines Triestiner Vorortes oder sonst eines europäischen Zentrums glaubt hinreichend berechtigt zu sein, den »Portoghese«, den »Indiano« geringzuschätzen; dies sind an Bord die Bezeichnungen für die indischen Portugiesen.

Im übrigen – abgesehen von dem Hoheitsbewußtsein, mit dem der Kellnerpikkolo zu einem grauhaarigen Portugiesen hinaufsieht, – wird der Indiano an Bord gut behandelt. Es sind ihm allerdings nur die minder vornehmen Arbeiten der Kellnerei-Grenzgebiete zugewiesen, er darf beileibe nicht an der Tafel bedienen, – auf den Schiffen würde ein farbiger Truchseß vor allem den englischen Passagieren durchaus nicht behagen, – aber ich habe niemals bemerkt, daß dem »Indiano« etwas Gröblicheres von der Schiffsbesatzung zugefügt worden. Er hat den Frieden derer, über die man hinwegsieht.

Der indische Portugiese ist an Bord ein fleißiger bescheidener Arbeiter und bildet so gelegentlich einen Gegensatz zu den seefahrenden europäischen Repräsentanten der Kellnerzunft. Auf den nicht-indischen Fahrtlinien ist der Indiano des Dampfers das einzige – von niemandem beachtete – Souvenir des »Wunderlandes Indien«.

– Ich saß einmal einsam im Musiksalon eines Schnelldampfers der Konstantinopel-Linie; wir hatten nur wenige Passagiere und gar keine Damen an Bord, – ein betrübsam-erfreulicher Umstand, der stets einer allfälligen »geistigen Beschäftigung« und dem Arbeitsfleiß höchst zuträglich ist, – ich saß also während der Seefahrt einsam auf dem behaglichen Plüschsofa und blätterte in einem Hindustani-and-English-Wörterbuch, um mich über die Bedeutung des Wortes »pura« zu unterrichten, das z. B. in den indischen Städtenamen Dschaipur, Mirsapur, Nagpur etc. etc. vorkommt, in dem Bezirksnamen Kamatipura, in Singapore.

Während ich mir die Erklärung, daß pura gleichbedeutend sei mit Stadt, Stadtteil, Bezirk, Distrikt und dergleichen, zu Gemüte führte, fiel mein Blick auf den Bord-Portugiesen, der vor der Tür draußen auf dem Schiffsverdeck, wie ein unauffälliger Schatten, Messingbeschläge putzte.

Halt! sagte ich mir, da ist ja ein lebendes, kompetentes Vokabular, der Zufall zeigt mir im Agäischen Meer eine indische Auskunftei.

Ich ersuchte somit den wackeren grauhaarigen Herrn Aschenbrödel um sein philologisches Gutachten hinsichtlich des Wortes pura. Von Indien her spricht er einige Brocken Englisch, auf unseren Dampfern lernt er noch paar italienische Wendungen der Triestiner Mundart hinzu, man kann sich also leidlich mit ihm verständigen.

Zu meiner Genugtuung bestätigte mir der interviewte Indiano die Angaben der Wörterbücher. – Und spätere oftmalige Umfragen an Ort und Stelle, in Bombay, bestätigten mir diese Bestätigung.

Kamatipura! – Was bedeutet somit dieses indische Wort?

Vormals schwebte mir der Wunsch vor, das Wort möchte von dem indischen Liebesgott, dessen Name »Kama« ist, hergeleitet sein. Kamatipura, – das wäre also »die Stadt der Liebe« gewesen, wenn die Wortbedeutung sich hätte meinem Wunsche anpassen wollen.

Die Wortbedeutung hatte aber keine regelrechte Lust zu solcher Anpassung. Ich habe hier in Bombay an gebildete Hindus die Frage gerichtet, was für einen Sinn das Wort habe, und ich erhielt folgende Auskunft:

»Kamati« ist der Name einer Hindu-Kaste. Ehrsame Leute, die sich ehrsamen bürgerlichen Berufszweigen widmen; wenngleich ihre Kaste nicht eine der höchst-angesehenen Kasten ist. Da die Kamati ihre Ansiedlungs-Zentrale in jener Gegend nördlich von der Grant-Road gewählt hatten, so wurde der Stadtteil als Kamati-pura, als Kamati-Bezirk, bezeichnet.

– Relata refero. Auch spätere oftmalige Erkundigungen brachten mir stets die gleiche gleichlautende Information.


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