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Ajame

Während ich gestern abend nach Kamatipura hinausfuhr, da war in mir eine Ahnung, daß ich zuguterletzt im Zimmer eines Freudenmädchens landen würde.

Wird die Ahnung recht behalten?

Durch die Suklajistreet wandelnd stellte ich Betrachtungen an über die daselbst ansässige Damenwelt: Es sind in dieser Liebesgasse hauptsächlich drei Mädchengruppen vertreten, Europäerinnen, Inderinnen, Japanerinnen; – welche ist die wünschenswerteste?

Die Europäerin? – Nein! Die ist mir nicht genug unbekannt! – Neu-gierig, neu-süchtig reist man aus Europa in die Ferne.

Also eine Inderin? – Nun ja, – die Inderin selbst, die Inderin an sich ist ja sicherlich recht anziehend, sie war umhüllt vom Duft des Märchens und romantischer Träume, als wir noch daheim in Europa weilten, aber leider sitzt sie, die Inderin, im gegenwärtigen Augenblick hinter Käfigstäben in einer gar nicht anmutigen Hütte und ihre Liebeskammer samt Freudenbett ist alles eher als einladend. Gewiß, das indische Mädchen ist das Kind einer fernen, fremden Welt, im Gegensatz zur wohlvertrauten Europäerin, doch bedauerlicherweise ist die Umwelt dieser indischen Halbwelt ziemlich unerquicklich.

Und überdies, das indische Minnebett schaut nicht nur unwohnlich aus, es ist auch mehr in die Öffentlichkeit gerückt und mehr den Blicken des Straßenpublikums ausgesetzt, als man im allgemeinen von einem trauten Liebesnest zu erwarten berechtigt ist. Wer da drinnen der Minne pflegt, tut dies nahezu auf der Gasse. Nicht unter vier Augen, sondern nachgerade unter aller Augen.

Dort drüben, in der linken Häuschen-Reihe der Gasse, ist ein kleines Erdgeschoß-Häuschen, das von japanischen Mädchen bewohnt ist. Ja, die Japanerin! Der Japanerin kann man denn doch eine weitaus geneigtere Stimmung entgegenbringen. Wie nett und gastlich die japanischen Stuben ausschauen! In der Straße wandelnd kann man mancherorten ins Vorzimmer eines japanischen Freudenheims durch die offene Tür leicht Einblick haben, lediglich ins Vorzimmer. Da ist alles freundlich und reinlich. Und sie selber, die Töchter Japans, haben verlockende Vorzüge, – eingerechnet ihr Äußeres, das säuberlich und gepflegt ist. Schon der Umstand, daß die Japanerinnen – wie wohl kaum anders zu erwarten ist – aus Japan sind, ist uns ein Reiz; aus Japan, aus dem Lande der aufgehenden Sonne, für das wir eine erhebliche Begeisterung empfinden, da uns die Berichte soviel Schönes und Rühmliches von dem fernen Inselreich, vom Land der Kirschblüte, erzählt haben. Einen Abglanz des verklärenden Nimbus, womit die Fama das Wort »Japan« umgeben hat, verlegen wir auf das Haupt des japanischen Freudenmädchens. Ich bin noch nicht in Japan gewesen, ich sehne mich hin, wie jeder, der von Reisebegier erfüllt ist, – wohlan, hier ist ein Stück Japan, dieses Mädchen ist wie ein Symbol, wie eine Personifikation des Landes; hast du das Mädchen in Besitz genommen, so hast du gleichsam vorweg den Fuß auf japanischen Boden gesetzt. –

Ich betrat die Vorhalle des japanischen Häuschens. Vier Japanerinnen halten daselbst Ausschau, stellen sich zur Schau. Sie erheben sich von ihren Sitzen.

*

Man kann den Miniatur-Raum, auf dem ich solcherart gestern abend den Anfangsschritt meiner japanischen Liebeserlebnisse tat, eigentlich nicht recht eine »Vorhalle« nennen. Es ist ein schmaler Balkonvorbau, eine Art Veranda, zwei oder drei Fuß über dem Gassen-Niveau.

Wenn ein Spaziergänger vor dem Häuschen auf der Gasse stehen bleibt und daselbst mit den Mädchen ein Gespräch anknüpft, mit den Japanerinnen, die zu Werbezwecken auf diesem Vorbau stehen, so haben die kleinen Mägdelein Gelegenheit, den Mann von oben hinab anzusehen, was ihnen sonst, wenn sie mit ihm auf gleicher Stufe stehen, schwer möglich ist, auch falls er kein Riese von Gestalt ist.

Ich habe schon an den früheren Abenden während meiner Spaziergänge dieses japanische Häuschen wahrgenommen und ich nannte es für mich, um mir's im Gedächtnis zu kennzeichnen, das »Verandahäuschen«.

Unter den vier Japanerinnen, die sich gestern abend in dem kleinen Vorraum aufhielten, als ich diesen betrat, war eine Frau von auffallend üppigen Formen. Auffällig deswegen, weil ich unter all den Japanerinnen, die ich bisher in der Suklajistreet gesehen, noch keine dermaßen formenreiche bemerkt habe.

Sie war nicht nur weitaus rundlicher als ihre drei Gefährtinnen, sie war auch minder hübsch und weniger jung. Doch mag sie kaum älter als dreißig Jahre sein. Zudem hat sie Japanerinnen-Größe, sie ist also verhältnismäßig klein.

Während die drei anderen Japanerinnen mit festlich prangenden Gewändern angetan waren, um auf Auge und Herz der Männer eine Verlockung auszuüben, begnügte sich die reichlich Gerundete mit einer sehr einfachen Haustracht, welche, wie man vermuten durfte, von Lockabsichten frei war; zu einer Art Unterrock gesellte sich als zweites Gewandstück ein knapp anliegendes, sehr kurz-ärmeliges Woll-Leibchen, das freilich durchaus nicht geeignet war, die stattlichen persönlichen Eigenschaften der Dame zu verheimlichen.

Indes, ich glaube nicht, daß die Wohlbeleibte sich das Ziel gesetzt hatte, mittels ihres bedeutenden Fleischvorrates berauschend auf die Männerwelt einzuwirken, und daß sie eben zu diesem Zwecke das Leibchen, das ihrer Beleibtheit eine ausgiebige Veröffentlichung gewährte, angelegt hatte. Wie schon erwähnt, ich habe in Kamatipura den Eindruck empfangen, daß es dem Geist der Japanerinnen fernliegt, ihre Nacktheiten als ein Mittel zum Männerfang zu weiten und zu verwerten. Die Tatsache, daß die japanischen Mädchen unserer Liebesgasse sich in vollständigster, sozusagen züchtigster Bekleidung zur Schau stellen, weist vielmehr darauf hin, daß die Japanerin sich in einer mangelhaften Toilette für minder verführerisch und anreizend einschätzt als in einer reichlich und überreichlich verhüllenden.

Das vielverratende Leibchen der kleinen, verschwenderisch gerundeten Frau gestattet demnach den Schluß: sie rivalisiert nicht mit den drei anderen Japanerinnen, – wenigstens nicht vorsätzlich –, sie verzichtet zu deren Gunsten auf die Werbekraft des Kostüms, sie will keinen Mann ins Netz locken.

Man wird nicht fehlgehen, wenn man vermutet, daß sie die Dame des Hauses ist, die Vorsteherin dieses kleinen ostasiatischen Freuden-Instituts.

Wirklich trat sie alsbald in der Rolle der fürsorglichen Hausfrau hervor; nach den ersten Grußworten, ehe ich mich noch angeschickt, eine Wahl zu treffen, deutete sie auf eines der Mädchen und sagte empfehlend: »Take this girl!« Nimm dieses Mädchen!

Ein solcher unvorhergesehener Ratschlag, der einigermaßen geeignet war, meine Willensfreiheit einzuschränken, erschien mir ein bißchen befremdlich. Es wäre wünschenswert gewesen, daß man meiner Entscheidung nicht vorgreife und daß man freundlichst mir die Annäherung überlasse, statt meinem Geschmack eine bestimmte Richtung vorzuzeichnen.

Allein, wie dem auch sei, ich faßte die Bevormundung nicht tragisch auf, sondern beschloß, von dem offenbar zielbewußten Rat der wohlgenährten Dame gerne Gebrauch zu machen.

Immerhin beschäftigte ich mich für einen Augenblick in Gedanken mit der Frage: Wohin zielt sie mit ihrer Zuvorkommenheit? Warum will sie mich gerade mit diesem Mädchen zusammenbringen?

Und ich gab mir die Auskunft: Vielleicht hat das soeben empfohlene Mädchen zufälligerweise einige Zeit lang eines Besuchers entbehrt und jetzt will die Hüttenbesitzerin in mütterlicher Gerechtigkeit und administrativer Fürsorge wieder einmal der kleinen Strohwitwe einen Gast verschaffen. – Die Kleine jetzo zurückweisen, nachdem sie mir öffentlich sozusagen ans Herz gelegt worden, das wäre ein kränkender, höchst ungalanter Schritt. Und überhaupt, weswegen sollte man sie ablehnen? Wenn ich die drei Mägdelein betrachte, muß ich mir sagen, daß alle drei meinem Auge als gleichwertig erscheinen. Mein an europäische Gesichter gewöhntes Auge hat noch nicht die Fähigkeit, in den japanischen Physiognomien feinere Schönheitsunterschiede wahrzunehmen und festzustellen. –

Da ich von diesen Betrachtungen, die sich eilig abwickelten, nicht aufgehalten wurde, gab ich ohne Säumen bereitwillig meine Zustimmung zum Vorschlag der korpulenten Hausfrau.

*

Mit liebenswürdigem Lächeln führt die Kleine den Mann, der ihr vom Schicksal und von der dicken Direktrice beschieden worden, stracks ins Innere des Hauses, in ihr Kämmerlein. (Sie ist, wenn ich richtig schätze, ungefähr 22 Jahre alt.)

Ihre Miene und ihr Gebaren zeigen, daß sie erfreut und zufrieden ist. Sie benimmt sich gemäß der Fiktion, die in dem Worte »Freudenmädchen« zum Ausdruck kommt: ein Mädchen, das dem Mann Freuden bringt und selber Freuden empfindet. Und das ist ja just die Stimmung, die der Mann – in der Regel – zwischen den vier Wänden einer Freudenstube zu finden wünscht. Jedenfalls hat er im allgemeinen mehr Gefallen an einem Mädchen nach Art dieser Japanerin als an Freudenmädchen, die mit gleichmütiger Geschäftsmäßigkeit ihre Aufgabe erfüllen oder eine allfällige Berufsverdrossenheit nicht zu maskieren verstehen oder die Miene des Hochmuts aufsetzen, um dahinter die aus ihrem Standesbewußtsein kommenden Verstimmtheiten zu verbergen.

Während mich die Japanerin mit einem gewinnenden Lächeln in ihre Liebeskammer führt, wird meine Aufmerksamkeit auf ihre Gehweise gelenkt; seltsam, wie die Kleine dahinschreitet! Welch merkwürdige Gangart! Die Füße sind während des Gehens ein wenig nach einwärts gestellt und die ein bißchen knieschlappen Beine bewegen sich mit einer Andeutung von Stolpergang vorwärts.

Mir fällt ein, daß auch andere Japanerinnen, die ich mitunter in der Suklajistreet auf der Gasse oder in einem Parterrestübchen gesehen habe, solcherart dahin wandelten. Es scheint eine Eigenheit der Japanerinnen zu sein.

Kein Zweifel, wir müssen uns eingestehn, daß die geschilderte Gehmanier das ist, was man als Schönheitsfehler bezeichnet. Mag sein. Doch er ist nicht imstande, die Sympathie, die wir für die Japanerin hegen, zu erschüttern. Gewiß, das absonderliche Vorwärtsschleifen ist mehr drollig als graziös; aber es ist auch mehr drollig als häßlich. Wie die täppische Unbeholfenheit in den Bewegungen eines Kindes uns lieb anmuten kann, wenngleich sie den Gesetzen der Anmut eigentlich nicht entspricht, so kann's geschehen, daß uns auch dieses japanische Dahinstolpern ein Lächeln freundlichen Geneigtseins abnötigt. Und wir dürfen überhaupt der Vermutung Raum geben, daß das kindliche Aussehen der Japanerin mit ein Grund ist, weshalb die Töchter Japans eine Anziehungskraft ausüben. Ihre kleine Statur, ihre Gesichtsform verleiht ihnen einen infantilen Zug, der ein Reiz ist, weil alles Kindhafte insgemein sich großer Beliebtheit erfreut.

*

Hier ist es traulich und einladend, sage ich mir, nachdem wir ins Zimmerchen des Mädchens eingetreten sind.

Doch sieh da, was bedeutet das sonderbare mimische Gehaben der Kleinen? In einer komisch ungeschickten Weise spitzt sie den Mund, als hätte sie die Absicht, ein Liedchen zu pfeifen, und nähert ihre Lippen meinem Gesicht.

Ah, jetzt versteh' ich! Aus der Mundstellung, aus dem merkwürdigen Mienenspiel meiner Japanerin darf ich folgern, daß sie mir ihre Lippen zum Kuß anbietet. Zum Begrüßungskuß.

Und ich erinnere mich: man sagt, daß in Japan der Kuß als Zärtlichkeitsbezeugung nicht gleicherweise heimisch ist wie im Abendlande; das Küssen als erotisches Ausdrucksmittel ist in der Heimat der Japanerin nicht solchermaßen gang und gäbe wie in den Ländern eines anderen Kulturkreises.

Nun, meine kleine Japanerin hier in der indischen Liebesgasse hat jedenfalls, allem Anschein nach, keine große Kußpraxis. Sie würde sich ganz anders anstellen, gewandter und mehr kunstgerecht, wenn sie seit jeher in einem nahen, früh-gewohnten Verhältnis zum Küssen stünde. Nein, es ist klar, das ist nicht die richtige Art, einen Kuß einzuleiten! Aber trotzdem, dieser Mangel an Routine, an Sachkenntnis paßt ihr sehr gut, die ungeschulte Lippenstellung und Kopfhaltung gewähren einen ganz niedlichen Anblick. Wobei betont werden muß, daß die linkische Kußtechnik bestimmt echt ist, nicht etwa von Koketterie inszeniert.

Indem ich diese Betrachtungen anstelle, berühre ich flüchtig mit den Lippen die Nachbarschaft des dargebotenen Mundes.

Ich glaube, meiner kleinen Japanerin ist der Kuß bloß ein Akt der Etikette, kein Ausdruck eines erotischen Bedürfnisses. Sie weiß vom Hörensagen, daß der Kuß dem Europäer ein wichtiges Ingrediens des Liebeslebens ist, sie sieht, wie die europäischen Männer, die in ihre Freudenstube kommen, oft genug mit allen Anzeichen einer Lustempfindung sich des Küssens befleißen, daher meint die Kleine in ihrer liebenswürdigen Höflichkeit, daß sie nicht versäumen dürfe, dem europäischen Gast mit einer Gunsterweisung aufzuwarten, die er offenbar recht hochschätzt. Die Japanerin gibt den Kuß, nicht sowohl weil sie ihn wünscht, als vielmehr weil sie glaubt, daß der Mann ihn wünscht. Sie zeigt sich also andersgeartet als die Europäerin, zumal die kußsüchtige. Diese nimmt mehr den Kuß als sie ihn gibt; sie küßt, weniger um den Mann zu erfreuen, denn aus Selbstsucht. Und während die Europäerin küßt, während sie den erotischen Genuß in den Lippen und in der Lippennachbarschaft lokalisiert, vermag sie sich am Kuß zu berauschen bis zu einer Art Bewußtseinsverlust. Der Mann, der das Objekt derartiger weiblicher Kußexzesse ist, muß nicht notwendigerweise ein geliebter Mann sein, – »geliebt« im idealen Sinne des Wortes – er spielt gar oft die Rolle eines gelegentlichen Anlasses, eines Zufalls-Gegenstandes, woran sich die kußsüchtige Eva europäischer Gefühlsrichtung zu erhitzen – oder abzukühlen – sucht.

– – Ich habe mit meinen Feststellungen den Ereignissen vorgegriffen. Nicht nur der Begrüßungs-Augenblick, sondern auch die Art, wie die Japanerin in den späteren Phasen meines Gesuches sich benimmt, hat mich zu dem Vergleich mit der Europäerin – mit den Kußdurstigen unter den Europäerinnen – angeregt.

Während meine Japanerin nun Anstalten trifft, sich ihrer Bekleidung zu entledigen, frage ich, wie sie heißt.

Ajame ist ihr Name.

Ich habe keine Zeit, der Bedeutung dieses japanischen Frauen-Namens nachzuforschen, denn mein Sinn wird durch den Entkleidungsprozeß auf Fragen der Kostümkunde hingelenkt.

Unter dem Kimono, dem langen talar-ähnlichen Obergewand, trägt sie ein ärmelloses Woll-Leibchen europäischer Mache und einen Unterrock, der aus zwei Stücken eines Atlasstoffes zusammengefügt ist, aus einer oberen roten und einer unteren grünen Zone.

Und unter dem Unterrock hat sie noch eine Art Lendenschurz.

Obwohl ich auf dem Gebiete der japanischen Frauentracht noch ein Laie bin, so wage ich doch mir die naheliegende Meinung zu bilden, daß die Untergewandung nicht etwas typisch Japanisches ist, sondern dem persönlichen Geschmack und Bedürfnis dieses Mädchens seine Herkunft verdankt.

Dagegen sind, wie mich dünkt, die schneeweißen wunderlichen Strümpfchen ein echt japanisches Bekleidungsstück, gleichwie die Obergewandung.

*

Vom Reinlichkeitssinn der Japanerin geben Zeugnis das Zimmerchen im allgemeinen, die Bett- und Leibwäsche, das Mädchen selber und sein ganzer appetitlicher Habitus. Aber ist dergleichen nicht eine Selbstverständlichkeit? Warum diesen Umstand besonders hervorheben und betonen?

Und wiederum kommen uns die Käfige der Inderinnen in den Sinn, zum Beweise, daß die Reinlichkeitsbestrebungen in Kamatipura nicht allerorten verbreitet sind.

Ich halte Umschau im Kämmerlein meines japanischen Mädchens: wer hier zu Gaste ist, der braucht nicht dem Bett mit gemischten Gefühlen, beschlichen von Unlustempfindungen, gegenüberzustehen, er braucht nicht zurückzuscheuen vor der Berührung mit einem Möbelstück, wenn er die Kleider ablegt.

Es wird gestrenge Richter geben, welche stirnrunzelnd erklären, daß Ajames Reinheit manches zu wünschen übrig läßt; indes, die Reinlichkeit Ajames ist über jeden Zweifel erhaben. Wohl gehört sie nicht zu den Unberührten, doch man darf sich getrost dazu verstehen, sie zu berühren.

Der Besucher ist begreiflicherweise einigermaßen gespannt, was für eine Art von Liebesglück ihm hier, im Kämmerlein der Japanerin, zuteil werden soll.

Es ist klar, daß er in eine Freudenhütte, in eine japanische oder eine andersartige, nicht mit der naiven Hoffnung eintritt, er werde daselbst ein naives Magdtum antreffen; der Besucher ist demnach gar nicht verwundert, daß auch die Japanerin Ajame, bei der er jetzt weilt, kein unschuldsvoller ahnungsloser Engel ist. Nein, das ist sie keineswegs. Aus mancherlei Anzeichen ist klärlich zu ersehen, daß sie in ihrem Berufe Erfahrung hat. Sie ist kein Neuling im Umgange mit Besuchern, keine schüchterne Anfängerin.

Anderseits kann man jedoch konstatieren, daß sie durch die Erlebnisse ihres Berufes sicherlich nicht abgestumpft ist. Soweit der Besucher dermalen selber in der Verfassung ist, physiologische Beobachtungen anzustellen, gelangt er zur Überzeugung, daß die Japanerin ihre Erregbarkeit und Reaktionsfähigkeit bewahrt hat. Sie ist mit Freuden Freudenmädchen, zum mindesten im gegenwärtigen Augenblick.

Und der Gast dieser Japanerin wird durch ihr Betragen in die Meinung hineingeschmeichelt, daß in der Wärme seiner derzeitigen Gefährtin eine Regung ungeheuchelter Zärtlichkeit ist. Er nimmt die Fiktion gerne hin, ohne ihren Kern ernstlich zu prüfen.

Aber sind alle Erwartungen des Besuchers erfüllt? Vielleicht hat er gemeint, er werde in dieser Stube einem exotischen Abenteuer begegnen, einem Ereignis japanischen Kolorits, einem Erlebnis, das anders sein wird als frühere Liebeserlebnisse. Hat er gefunden, was er erwartet hat?

Nein und ja! Freilich, wenn der Besucher gefaßt war auf »unerhörte«, außerordentliche Sensationen, wenn er gewähnt hat, die Liebesweise dieses japanischen Mädchens werde mit irgendwelchen unbekannten, fremdartigen Ornamenten ausgestattet sein, mit spezifisch-japanischen Eigenheiten: dann hat sich der Besucher ersichtlich verrechnet.

Nein! Ajame, die Japanerin, benimmt sich in der Liebe nicht anders als eine primitive Durchschnitts-Europäerin, sie äußert die natürlichen, »unverdorbenen« Instinkte des Normal-Weibchens. Die Linie ihres erotischen Betragens weicht in nichts ab von dem geraden Pfad, den die Gelehrten und Laien als die vorschriftsmäßige, allgemein-giltige Norm betrachten.

Aber wir wollen uns wieder einmal des Spruchwortes erinnern: Wenn Zwei das Gleiche tun, so ist es nicht das Gleiche. Wenn das eine Mal eine Europäerin auf einem natürlich-einfachen Pfad mit mir lustwandelt und das andere Mal auf demselben Pfad eine Japanerin, so ist das eben nicht der gleiche Spaziergang. Just dadurch, daß jetzt eine Tochter Japans meine Begleiterin gewesen, empfängt der Spaziergang sein japanisches Gepräge; weil meine Liebesgefährtin ein exotisches Menschenkind ist, wird dieses Liebesereignis von exotischem Zauber umsponnen.

Ja! Es ist ein außergewöhnliches Abenteuer! Blick auf das fremdartige Geschöpf, mit dem du da beisammen bist, und dich wird jäh die Erkenntnis überfallen, wie weit, weit jenseits des Alltags du jetzt weilst.

*

Gemessen an anderen Japanerinnen, die ich hier in der indischen Liebesgasse gesehen habe, ist Ajame, meine derzeitige Gefährtin, wohlgebaut und hübsch.

Wenn von fremdländischem, fremdrassigem Schön und Häßlich die Rede ist, müßte immer zur Einschränkung gesagt werden: sie ist hübsch im Rahmen ihrer Rasse-Eigentümlichkeiten; hübsch, vom Standpunkt ihres vaterländischen Schönheit-Ideals betrachtet.

Daß Ajame, die Japanerin, tiefdunkle Augen und rabenschwarzes Haar hat, das fasse ich geradezu als eine Selbstverständlichkeit auf. Wenn man im Orient reist, jenseits des Suezkanals, sieht man endlich dunkles Haar und dunkle Augen als eine gesetzmäßige Sache an; wie ein natürliches Bodenprodukt, das einem nicht mehr bemerkenswert, kaum mehr erwähnungswürdig erscheint.

Gleich all den Japanerinnen, die ich bisher gesehen, ist Ajame sorgfältig frisiert. Eine lichte Masche sitzt vorne an dem kunstvollen Bauwerk aus wohlgepflegtem schimmernd-schwarzem Haupthaar.

Meine kleine Freundin hat sehr ausgeprägten japanischen Gesichtstypus. Ihr Auge ist von höchst deutlich mongoloidem Charakter. Das obere Augenlid legt sich in ausgiebigem Maße auch über den inneren Augenwinkel und bildet solcherart den »Epicanthus«, die »Mongolenfalte«.

Während Ajame da im Bett auf dem Rücken liegt, bleibt zwischen ihrem oberen und ihrem unteren Augenlid nur ein sehr schmaler, langer Spalt, infolge ihrer eigentümlichen Augenform, obwohl sie die Lider nicht zusammenkneift; Ober- und Unterlid sind einander sehr genähert und in der engen, schlitzartigen Lidspalte ist von der dunkeln Iris und überhaupt vom Augapfel nur wenig zu sehen.

Diese Japanerin empfindet wahrscheinlich das Auge des Europäers als etwas Fremdartiges; so wie dem Europäer – oder sagen wir: dem Angehörigen der »Mittelländischen Rasse« – das Mongolen-Auge als etwas Fremdes erscheint oder unter Umständen als etwas Unschönes, Komisches, – oder als etwas Reizvolles, je nach der Geschmacksrichtung und Stimmung des Betrachters.

Was würden wir wohl fühlen, wenn wir uns für ein Weilchen eine japanische Anschauungsweise aneignen könnten und mit dem Blicke eines Japaners griechische Frauen-Statuen betrachten würden, zum Beispiel die βοωπιζ Hera, die »farren-äugige« Himmelskönigin! – Spaßhaft, was für Augen diese griechischen Frauen haben! Wie die Kühe … Ein sonderbares Schönheitsideal!

Ich betrachte das Gesicht der auf dem Rücken liegenden Ajame und ich sage mir: man könnte von einer Gesichtsfläche, von einem Flächengesicht sprechen. Stirn, Augengegend, die Wangenpartien unter den Augen, all dies liegt, dem Anschein nach, wie in einer Ebene. Die Stirn nicht über dem Auge vorgewölbt, nicht vorspringend, und keine aus der Ebene hinausstrebende, hinausragende Nasenwurzel. Fläche, Flachheit! Ja, es ist überhaupt keine Nasenwurzel, kein Nasenteil zwischen den Augen zu sehen. An Statt der Nasenwurzel nur eine flache »leere« Stelle. Und unterhalb dieses Nichts erhebt sich wie das Näschen eines Kindes, wie ein niedliches Fleischknöspchen, das Näschen dieser Japanerin.

– Wenn man die Einzelheiten des Gesichts, eine nach der anderen, hier niederschreibt, mag das vielleicht so klingen, als hätte man's nicht eben mit Schönheiten zu tun. Indes, wie gesagt, der Gesamteindruck von Ajames Gesicht ist sehr angenehm und mancher sonderbare Einzelzug wirkt als reizvolle physiognomische Pikanterie.

*

Es wird vielleicht Leute geben, welche der Meinung huldigen: O, es genügt nicht, daß die Liebesgefährtin ein fremdartiges, exotisches Menschenkind ist; durch diesen Umstand allein wird das Liebesereignis noch nicht ungewöhnlich und wunderbar. Man muß viel höhere Anforderungen stellen. Soll das Erlebnis außerordentlich sein, so müssen, vor allem die Liebesgenüsse, welche die Frau spendet, von der gewöhnlichen Form und Norm abschweifen. Eine Frau, welche sich in der Liebe so regulär und einfach benimmt, wie irgendeine biedere schlichte Frau Meier oder Schulze, kann uns doch nicht ein seltsames Liebesabenteuer bieten, und wäre sie noch so sehr japanisch. –

Gewiß, für die Leute, welche unter einem besonderen, absonderlichen erotischen Erlebnis zunächst die außernormalen Gunsterweisungen und Liebkosungen verstehen, müßte die Japanerin Ajame allerdings eine Enttäuschung sein.

Meine gute simple Ajame! Ihre Liebesbezeugungen sind nicht angekränkelt von raffinierten und überraffinierten Regungen, sie könnten vielmehr, wie erwähnt, ebensowohl die rührend einfachen, rechtschaffenen Zärtlichkeiten einer hausbackenen Europäerin sein; zudem einer Europäerin, der auch an dem Kußgebiet des Liebeslebens nicht viel gelegen ist.

Soweit aus der kurzen Bekanntschaft ein Urteil abgeleitet werden darf, kann gesagt werden: Ajame ist das, was man als normal bezeichnet.

Der Mann, dem dergleichen unsympathisch ist, muß eben die Japanerin meiden und wenn er seine Sehnsucht nach dem Außerordentlichen befriedigen will – außerordentlich gemäß seiner Auffassung – dann wird er gut tun, sich an die Europäerin zu wenden, an eine der vorrätigen europäischen Freudendamen.

Bei den Europäerinnen dieser Gasse ist das Außergewöhnliche gar sehr gewöhnlich.

Mir fällt das europäische Freudenmädchen ein, das mich vor kurzem draußen auf der Gasse, in der Suklajistreet, angesprochen hat. Besagte Dame war reich an Jahren und Puderstaub und nachdem sie geheimnisvoll umhergeblickt, ob kein Lauscher – keine Lauscherin – in der Nähe sei, raunte sie mir zu, daß ihre Liebeswissenschaft durchaus nicht vulgär-dürftig, nicht ländlich-plump sei, sondern einen großstädtischen Zug habe, einer Hauptstadt entstamme, ja sogar der Metropole Frankreichs.

Die Europäerinnen dieses Schlages importieren nach Kamatipura ihre Gepflogenheiten, die Betätigungen, die neben der Norm dahinziehn oder sie kreuzen oder ihr zuwiderlaufen. Und wer darauf aus ist, Nicht-alltägliches zu erleben, hat allerdings die Wahl zwischen jener gepuderten, allseits gebildeten Veteranin aus Europa und dem Mädchen aus Japan, das nur über die primitiven Elementarkenntnisse der Liebe verfügt.

*

Außer den erwähnten Mängeln besitzt die Japanerin Ajame noch ein Gebrechen. Es gebricht ihr gänzlich an der Selbstüberhebung, dergleichen manche Europäerinnen zur Schau tragen, ob sie nun infolge ihrer Vorzüge eine Berechtigung hiezu haben, wie zum Beispiel jene Veteranin, oder auch nicht. (Ajames niedliches Näschen ist übrigens von Natur aus völlig untauglich, sich hochnäsig zu überheben.)

Nein, meine liebe Ajame ist nichts weniger als anmaßend oder dünkelhaft. Sie benimmt sich gegen den Mann gemäß der ursprünglichen Frauenempfindung: Er soll dein Herr sein!

In ihrer Liebenswürdigkeit ist etwas vom Sich-beugen einer Dienerin. Nicht sklavenhafte Unterwürfigkeit – wer könnte daran Gefallen finden! – aber die deutlichen Äußerungen eines weiblichen Instinkts, der den Mann als ein Übergeordnetes fühlt.

Sie ist zuvorkommend, freundlich, gutmütig, heiter, – eine mustergiltige Gefährtin der Liebe, zum mindesten der Liebe, von der hier die Rede ist.

Schauspielerei oder Natur? – Ich weiß nicht, ob dir's vom Herzen kommt, du kleines Fräulein, wenn du lieb lächelst, aber ich weiß, daß mir dein Lächeln erfreuend zu Herzen geht.


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