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Wieder einmal – Sphinx – Europäische Freudenmädchen – Lockmittel – Die Madrasmädchen – Ein Hutraub – Häusliche und bewegungslustige Fräulein – Polizeileute – Japanerinnen

Bombay, Jänner 19..

Wieder einmal in Bombay.

Ein-einhalb Jahre ist's her, daß ich nicht hier war. Seit dem Mai 19..

In der Zwischenzeit: πολλῶν δ' ἀνθρώπων ἴδε ἄστεα …, auf glatten und auf rauhen Meeren herumgefahren, vom Dampfer x1 auf den Dampfer x2 und auf den Dampfer x3 und so weiter und so weiter übersiedelt, in orientalischen Großstädten und in abseitigen Allah-verlassenen Nestern umhergebummelt, zum blauen Tagesfirmament und zu den Rätseln des Sternenhimmels emporgeträumt, neben einem tausendfältigen Menschenkunterbunt bei Tische gesessen, Zeit vertändelt, geschwatzt, geschwiegen, geliebt, vergessen – – –

Diesmal geht's nach Japan; mit unserem Dampfer »Nippon«.

Auf der Hin- und auf der Rückreise läuft er Bombay an. – Bombay, Colombo, Penang, Singapore, Hongkong, Shanghai, Yokohama, Kobe, – und retour. Die ganze Reise währt ungefähr fünf Monate.

Es ist mir sonderbar, daß ich mit Bombay nicht in einen vertrauten Kontakt zu kommen vermag. Mir ist hier noch immer fremd zumute, ich fühle mich gleichsam der Stadt gegenübergestellt und von ihr durch einen Graben getrennt; und dies umsomehr, je tiefer ich in die Gäßchen der Eingeborenen-Stadtteile eindringe.

Andere Städte des Orients erweckten in mir alsbald die Empfindung, als wären wir seit langem wohlbefreundet, ich gehe durch die Straßen in einer Art Zuhause-Stimmung, doch Bombay ist mir heute noch unheimisch, ja sogar – ich weiß nicht warum – ein klein wenig unheimlich.

Schon wenn ich den Namen »Bombay« ausspreche, überkommt mich ein eigenartiges Gefühl, ein dumpfes Allgemeingefühl mit einem leichten Beiklang von Unbehagen und zuweilen mit einer Spur von Bangen: ein mysteriöses Ungeheuer liegt vor mir, plump, langgestreckt, von unbestimmten Formen, als Ganzes regungslos, doch im Geäder und allerorten im Innern ein verwirrendes Durcheinanderströmen von Leben und Regsamkeit und abenteuerlichen Gebilden – –

Ja. wie ein riesenhaftes Fabeltier hat sich die langgestreckte Insel, die mit der Häusermasse von Bombay bedeckt ist, hart am Festland hingelagert, ein Ungetüm, in dem sich ein Wirrsal von Erscheinungen drängt: Orient und Abendland, helle Neuzeit und dämmeriges Altertum, Elektrizität, Brahma-Kultus, Lotosblumen in stillen Parkteichen, Automobile, Zoroaster, Telephondrähte, Turban-umschlungene Köpfe, englische Sprache, Palmen, Moscheen, krächzende Raben; Equipagen mit eleganten Europäerinnen, Leichenverbrennungsplätze, geräuschvolle Bazarstraßen, Tennisplätze mit lächelnden Ladies, Pestspitäler, Buckelochsen, gotische Europäer-Paläste, armselige Inder-Häuschen, Staubwolken, tropische Sonnenglut, japanische Buhlerinnen – – – ein märchenhaftes Wunderwesen ist dieses Bombay, je länger man in seine Rätselaugen schaut, desto mehr Seltsames, Neues und Aber-neues erblickt man darin, in friedlich ruhiger Haltung liegt es heute da und weckt zugleich Ahnungen von einem gefahrdrohenden, sturmbewegten Morgen.

Eine Sphinx mit anziehenden und auch fortbannenden Kräften, sie winkt mit einer Gebärde, die anlockt und zugleich zur Abkehr reizt.

*

Japanische Buhlerinnen! – Als ich gestern abend im Freuden-Stadtteil Kamatipura, in der Suklajistreet, wieder einmal meine Sympathien und Abgeneigtheiten einer Revision unterzog, da dünkten mir wiederum die Japanerinnen die sympathischesten unter den Kamatipura-Mädchen zu sein.

Die europäischen Freudenmädchen der Suklajistreet wirken minder verlockend. Sie sind eine Kost, die man von Europa her sattsam kennt; man denkt: Wenn ich in Indien bin, werde ich doch nicht irgend eine vulgäre europäische Frucht verspeisen, die mir hinlänglich bekannt ist. Andernfalls hätte ich ja hübsch geruhig in Europa bleiben können. – Neues, Unbekanntes, noch nicht Genossenes! – Cupido ist novarum rerum cupidus.

Übrigens erschienen mir diesmal die Europäerinnen annehmbarer als im Feber und Mai 19.. Mein gestriger Eindruck: sie sind keine Schönheiten, diese Europäerinnen der Suklajistreet, sie sind im allgemeinen nicht einmal hübsch zu nennen, aber jedenfalls sind sie nicht so arg, wie sie sich in meiner Erinnerung gespiegelt haben. Die eine und die andere ist ganz passabel.

Die Qualität wechselt vermutlich mit der Saison; heuer solche Mädchen, nächstes Jahr andere. Zudem mag ich mich jetzt schon an den wenig einladenden Rahmen mehr gewöhnt haben, an den Zustand der Gasse, der seine beeinträchtigenden Schatten auf die Mädchen wirft.

Ferner hatte ich damals, als Reise-Neuling, angesichts dieser Europäerinnen eine Empfindung, in der sich zum Unlustgefühl ein Mitleid gesellte: wie schlimm muß es euch im Leben, in euerem Berufe ergangen sein, wenn ihr euch entschließen konntet, vor diesen Hütten in der Suklajistreet euere Sessel aufzustellen, euch von vorbeitrabenden indischen Kulis angaffen zu lassen, fern, fern von der Heimat, im glühend heißen Bombay, wo von Rechts wegen nur asiatische Mädchen sich dieser Beschäftigung hingeben sollten. Und wie viele Umarmungen habt ihr über euch ergehen lassen, ehe ihr – wahrscheinlich auf mannigfachen Zickzackwegen – von Europa hieherkamt!

Diese Empfindung, mit der ich vormals die europäischen Mädchen von Kamatipura betrachtete, hat sich seither abgeschwächt. Bombay erscheint mir heute nicht mehr so »fern, fern von der Heimat« wie dazumal. Und ich habe inzwischen Europäerinnen in anderen Städten und Städtchen des Orients in weitaus übleren Gäßchen sitzen gesehen.

Auch weiß ich, daß häufig nicht Schicksalsschläge die treibenden Kräfte sind, die ein Freudenmädchen in die Städte des Orients bringen, sondern geschäftliche Erwägungen, Hoffnungen auf besseren pekuniären Gewinn. Und ich bin mittlerweile auf orientalischen Dampferlinien schon mit »besseren« europäischen Freudenmädchen gereist, die sich in fernes Fremdland nach Asien und Afrika verschlagen ließen, allerdings als Passagierinnen I. Klasse und in einer Stimmung, welche die Deutung zuließ, daß sie sich nicht eben als bemitleidenswert empfanden.

*

Es scheint also, daß die europäischen Freudenmädchen der Suklajistreet zu Bombay vielleicht nicht dermaßen in Trübseligkeit darinstecken, wie ich gemäß meinen ursprünglichen Eindrücken urteilen wollte; doch wenn wir darauf aus wären, die Tauglichkeit und zutreffende Richtigkeit der Bezeichnung »Freudenmädchen« zu untersuchen, dann wäre es immerhin ratsamer, die wohllebende Demimonde zu betrachten statt der Insassinnen der Suklajistreet; zum Beispiel die Halbwelt französischer, italienischer, spanischer, griechischer Herkunft, wie ich sie in den Hauptplätzen der Levante gesehen habe, die in Luxus-Raffinements schwelgende Kokotte, welche den Schiffsplatz erster Klasse des Schnelldampfers benützt. Sie kann in der Öffentlichkeit auf dem Dampfer die vornehme Wohlanständigkeit einer ehrbaren Ganz-Dame zur Schau tragen und nur ausnahmsweise, in der Einsamkeit ihrer Schiffskabine, wenn eine linde Anwandlung von Seekrankheit und ein Bedürfnis nach Gesellschaft in ihre Zurückhaltung eine Bresche legen, beginnt sie mit verblüffender Offenherzigkeit aus der Schule zu schwatzen und ist bereit, dem anteil-nehmenden Besucher, falls sie ihn des Vertrauens für würdig erachtet, ihre intimsten Berufsgeheimnisse und Metier-Finessen auszuplaudern.

In unserer Erinnerung taucht das Halbweltkind auf, das im Herbst aus den fashionablen Stätten europäischen Sommervergnügens mit einer Schar ungeheuerer Hutbehälter nach Ägypten reist. Eine solche liebreizende »Sünderin«, die ihren Körper wie eine heilige Kostbarkeit pflegt und schmückt und ihn bei Gelegenheit mit einem leichtherzigen Lächeln an einen Irgendjemand rückhaltslos verleiht, eine solche regelrechte Eva, die ihr Dasein dem gedankenlosen, skrupellosen Partout-Genuß widmet und mit zärtlichem Selbstkultus ihr Persönchen in den molligsten Komfort hineinzubringen weiß und auch den gelegentlichen Irgendjemand als ein Stück Lebenskomfort empfindet, als eine Tafelwürze, als einen verehrenden Gläubigen, der durch seine Liebeswerke die Anbetungswürdigkeit und Kostbarkeit jenes Persönchens bekräftigt: – ein Mägdelein dieser Art hat allerdings mehr Anrecht auf den Namen »Freudenmädchen« als die Europäerinnen hier in der Gasse von Bombay.

Unter diesen Europäerinnen der Suklajistreet war gestern eine, die wie eine Krankenschwester, wie eine Pflegerin gekleidet war; über dem langen einfachen Kleide eine umfängliche weiße Schürze, eine weiße Masche vorn am Haar. – Eine sonderbare Mimikry zu Anlockzwecken.

Aus dem Munde der Europäerinnen hört man Einladungs-Rufe in englischer, französischer und – deutscher Sprache. Auch das »Senti!«, das italienische Höre! Aufgemerkt!, das man in den Freudengassen der Levante als stereotypen Zuruf vernimmt, erklingt hier in der Suklajistreet.

Es ist selbstverständlich, daß man nicht folgern wird: sie ruft in französischer Sprache, somit ist sie eine Französin. Nicht sowohl die Nationalität der Ruferin, als vielmehr das Bestreben, durch diese oder jene Sprache eine Verständigung zu erzielen, ist für die Wahl der Mundart bestimmend.

Wenn man bei einem Häuschen der Asiatinnen vorbeigeht, erhebt sich ein stürmischer Stimmenaufruhr, der sich in der Regel aus englischen Worten zusammensetzt. Außerdem suchen die Mädchen durch Anruf-Silben wie »He!« die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken.

Der Mann, dem zuliebe solch ein Sirenengeschrei angestimmt wird, braucht sich darauf nichts einzubilden. Fast jede europäisch gekleidete, in der Gasse auftauchende Mannsperson, die kein »Native« ist, wirkt als Anregung zu derlei Locktumulten.

Auffallend ist die hohe Stimmlage, in der sich die Rufe vieler Asiatinnen bewegen. Wie ein heftiges Piepsen. Es scheint mir, daß man überhaupt im Orient mit höherer Stimmlage sich vernehmbar macht als im Abendland. – Ich werde vielleicht gelegentlich auf diese Erscheinung und ihr Zugehör zurückkommen. – Die Japanerinnen sind inbegriffen: sie lassen ihre englischen Werbeworte ebenfalls von sehr hohen Tönen tragen.

*

War es ein wirklicher Floh oder nur ein fingierter, erheuchelter? – Das ist die Frage.

Ich spreche von der Miniatur-Begebenheit, der Sekunden-Episode, deren Zeuge ich in einem Nebengäßchen der Foras-Road gewesen.

Auf der Schwelle eines halbwegs ordentlich eingerichteten Parterrezimmers saß eine junge Inderin, ein Mädchen von ungefähr sechzehn, siebzehn Jahren. Lebhaft, heiter, lachlustig. Das dunkle Gesicht mit einer weißen Puderschichte bedeckt. Einfaches kurzes europäisches Kleidchen. Aus den leuchtend schwarzen Augen blitzt jugendfrische Lebensfreude hervor.

Sie ruft mich an, ich bleibe bei ihr vor der Schwelle stehen, wir »plaudern«, – das heißt, es wird mit abgerissenen englischen Wortfetzen irgendein Blödsinn ausgetauscht.

Was sollte ich mit ihr reden? Sie interviewen? Sollte ich – wie die schöne Redensart lautet – ihre Seele erforschen?

Du lieber Himmel, erstens reichen zu solchem Verfahren die Sprachkenntnisse nicht aus und zweitens hat sie gar keine Lust und keine Geduld, einer systematischen Ausfragerei standzuhalten. Für sie ist nur ein Konversationsgegenstand von Interesse: ob ich zu ihr ins Stübchen hineinkommen, ihr Gast sein will. Mit einer jeden Gesprächswendung kehrt sie wieder zu ihrer Einladung zurück: Komm herein!

Und von ihrem Standpunkt – bald hätte ich Sitzpunkt gesagt – hat sie gewiß nicht Unrecht. Lediglich zu diesem Zwecke sitzt sie ja hier in dem verrufenen Gäßchen, zum Endzweck: Komm herein!

Ich trat also zu ihr hin, nachdem sie mich angerufen, und es wurden, wie erwähnt, irgend ein paar Stumpfsinnsworte gewechselt. Sie war lustig und guter Dinge.

Da plötzlich griff die Inderin mit einem jähen Impuls nach ihrem linken Oberschenkel und – sie tat, was man tut, wenn's einen juckt, – ich kann's nicht verschweigen: sie kratzte sich; ganz unbefangen, wenn auch ganz energisch; ohne das Gespräch zu unterbrechen; unbewußt, durchaus unbewußt, dem Anschein nach.

Sie kratzte sich und ich konnte mutmaßen: siehe, ihre Seele weiß nicht, was ihre linke Hand tut.

Sie benahm sich genau so, wie wenn ein kleinwinziger, sehr niedlicher, aber auch höchst hartnäckiger und bodenständig-unverrückbarer Floh sich auf ihrem linken Oberschenkel festgesetzt hätte.

Und plötzlich, wiederum plötzlich, – als würden die Kleidungstücke den Bemühungen der Hand ein unbesiegbares Zwischen-Hindernis in den Weg legen, – schürzte sie mit einer unerwarteten Bewegung ihr Röckchen empor, also daß ihr linker Oberschenkel entblößt wurde, worauf sie ihre Anstrengungen, den erwähnten Floh abzuwehren, auf der bloßen Haut tatkräftig fortsetzte.

All dies wiederum anscheinend unbewußt, – ihre Hand weiß nicht …

Ich blickte hin, ob es mir vielleicht gelänge, den kleinen, braunen, spring- und stechlustigen Übeltäter zu entdecken.

Doch ich sah ihn nicht.

Es wäre auch schwer gewesen, ihn von dem dunkeln Grunde, der tiefbraunen Haut des Oberschenkels, zu unterscheiden.

Ja, die Haut der Inderin war tief-tiefdunkelbraun und von der zarten Sanftheit eines Blumenblattes.

Es war ein seltsamer Anblick, – der Gegensatz der Farben: das dunkle Stück Oberschenkel zwischen zwei weißen Begrenzungen: oben der weiße Spitzensaum des Unterröckchens, unten der obere Rand des weißen Strumpfes. Tag – Nacht – Tag.

Nach etlichen Sekunden war, wie es schien, der Floh glücklich in die Flucht geschlagen, der weiße Spitzensaum und das Röckchen wanderten wieder über das Knie hinab.

War es ein tatsächlicher Floh gewesen? Oder ein simulierter? Ein Vorwand, um ein Stück Nacktheit zu enthüllen?

Ist das ihr Trick? Vielleicht ein wohlberechnetes Manöver, das die Sinne des Mannes, der vor der Tür steht, reizen und ihn hineinlocken soll.

Der Floh gehört möglicherweise zu ihrem Verführungsrepertoire. Wie der Weidmann seinen Jagdhund als hilfreichen Mitarbeiter hat, so hat diese Inderin auf der Jagd nach dem Mann ihren helfenden – erdichteten – Floh, der im richtigen Moment einspringt und dann vom Schauplatz, vom tiefdunkelbraunen Anschauplatz angeblich wieder wegspringt, nachdem er seine Schuldigkeit getan und das Blut des fremden Mannes mehr oder weniger in Aufruhr gebracht hat.

Ein Floh kann Folgen haben.

Daß die Kanthariden, die spanischen Fliegen, als Aphrodisiacum verwendet werden, als ein Mittel, welches zur Liebe entflammen soll, das wußten wir. Aber daß ein Floh in dieser Rolle, als Liebes-Erwecker, auftreten soll, das wäre etwas Neues.

Doch vielleicht tu ich der Inderin schweres Unrecht. Sie weiß wohl gar nicht um die Verführungskraft, die von dem Nackten ausströmt. Oder sie weiß es nicht in dem Grade, wie's in europäischen Landen gewußt und empfunden wird.

Es hat sie gejuckt, sie hat sich gekratzt, – das ist alles.

Wir sind ja in Indien, wo das Nackte mit einigermaßen anderen Augen angeschaut wird; in Bombay, wo recht mangelhaft bekleidete Hindufrauen in den Straßen allerwegen zu sehen sind.

– Ein leibhaftiger Floh oder ein vorgetäuschter? Die Frage wird offen bleiben.

Jedenfalls: es kann sich ereignen, daß ein Floh nicht ohne Folgen bleibt.

*

Zu meinem nicht geringen Erstaunen hörte ich deutsche Worte aus dem Mund der tiefdunkelfarbigen blutjungen Inderinnen, die – wie sie sagen – aus Madras stammen; und nicht Worte der deutschen Buchsprache, sondern volkstümliche, keineswegs salonfähige Ausdrücke, das Wozu der Einladung präzisierend.

Dieses linguistische Kuriosum findet alsbald eine Aufklärung. Zu den Madrasmädchen, die unter heiterem Quieken, Rufen, Grinsen ihre gewohnte temperamentvolle Zerr- und Balgerei-Tätigkeit wider den Spaziergänger entfalten und ihn solcherart in ihre Hütte hineinzubringen trachten, zu diesem halben Dutzend kleiner schwarzer Teufelinnen in lichten Kleidchen gesellt sich als Hilfskraft die Frau Kupplerin, die Vorsteherin des Häuschens, aus dem die »Madrasmädchen« ihren Ausfall in die Gasse unternommen haben.

Die Frau Kupplerin ist ein kleines mageres Weibchen, dem Anschein nach zwischen fünfzigstem und sechzigstem Lebensjahr, – Europäerin, – mit einem harmlosen, beinahe albernen Gesichtsausdruck. Sie unterstützt die anlockenden Mädchen in Wort und Handgreiflichkeit. Und sie verwendet die gleichen deutschen Ausdrücke wie der von ihr geleitete Kindergarten, – daher die Sprachkenntnisse der »Madrasmädchen«.

Man darf annehmen, daß Madame für ihre Mädchen nicht nur als Sprachlehrerin, sondern auch ansonsten als unterrichtende Triebkraft des Einlade-Eifers und der Angriffstaktik tätig ist.

*

Gestern abend habe ich in Gesellschaft eines Kollegen einen Ausflug nach Kamatipura unternommen.

Außer »meinem« Dampfer, also einem Dampfer der Japanlinie, liegt jetzt hier im Viktoria-Dock noch ein Dampfer der Bombaylinie, der sich gleichfalls eines Schiffsarztes erfreut. (Es ist zufällig ebenderselbe Dampfer, mit dem ich vor zwei Jahren eine Bombayreise absolvierte.)

Als wir – der Herr Kollega und ich – gestern abend nach dem Nachtmahl eine Beratung abhielten, in welcher Weise wir die kommenden Stunden verbringen sollten, da fiel von meinen Lippen der Vorschlag: »Kamatipura.«

Der Herr Kollega hat zwar die Jugendschuhe schon seit geraumer Weile ausgetreten, er ist mir an Lebens- und Seefahrtjahren ein Stück voraus, aber ich wußte, daß er immerhin dem Ewig-Weiblichen immerdar holdgesinnt ist, und so wurde denn mein Vorschlag ohne Debatte angenommen.

Wir bestiegen den elektrischen Stuhl, die Tramway, und fuhren zur Suklajistreet.

Als wir am Anfang der Gasse von Europäerinnen handgreiflich festgehalten und mit Einladungen apostrophiert wurden, da wollte sich der Kollege prüde-entrüstet losreißen und wegmarschieren, aber ich legte mich begütigend ins Mittel und bedeutete ihm: »Wir wollen doch wenigstens anhören, was sie sagen! Diese Einladungen sind immer irgendwie interessant! Sind wir hierhergekommen, um die Szene vom züchtigen Josef darzustellen?«

Mein Appell bewirkte, daß der Kollege die Tugendpose ablegte und fortan mit ungezwungener Freundlichkeit den Mägdelein der Suklajistreet entgegenkam, wonach sich Gelegenheit ergab, mit Japanerinnen, Europäerinnen, Inderinnen eine Konversation anzuknüpfen.

In der Suklajistreet gibt es eine Gruppe von Mädchen, deren ethnologische Zugehörigkeit von dem fremden Besucher nicht ohne weiteres festgestellt werden kann.

Als Reise-Neuling ist man vorerst geneigt, sie für Negerinnen zu halten. Sie haben tiefdunkle Hautfarbe und in ihrem Gesichtsschnitt sind negroide Andeutungen.

Wenn man als frischgebackener Weltreisender aus Europa kommt, hat man nicht übel Lust, alles, was tiefdunkle Hautfarbe hat, unter die »Neger« zu rechnen.

Vormals, bei meinen ersten Besuchen im Hetären-Stadtteil von Bombay, konnte ich also nicht sogleich bestimmen, welcher Volksgattung diese dunkelfarbigen Mädchen angehören.

Soweit eine Verständigung mit ihnen möglich war, glaubte ich zu entnehmen, daß sie von Madras herkommen, also von der Südost-Küste Vorder-Indiens.

Späterhin habe ich mich des öfteren bemüht, über ihre Herkunft Gewißheit zu erlangen. Sowohl die Kupplerinnen der Mädchen, wie auch die Mädchen selber habe ich befragt, und ich erhielt die stets gleichlautende Auskunft: Aus Madras!

Mein ethnologisches Gewissen darf also in dieser Hinsicht beruhigt sein.

– Selbstverständlicherweise habe ich »Suggestions-Fragen« vermieden, ich habe nicht etwa gefragt: »Bist Du aus Madras?«, worauf dann ein Gefälligkeits-Ja! erfolgt wäre, sondern ich fragte: »Bist Du aus Bombay?« oder: »Woher kommen die Mädchen?« – Antwort: »Aus Madras.«

Hingegen braucht man keine besonderen Forschungen anzustellen, um über das Temperament der Mädchen etwas Sicheres zu erfahren; man merkt auf den ersten Blick: sie sind lebhaft, überaus lebhaft und von naturkindlicher Ungezügeltheit.

Untergebracht sind sie in zwei oder drei Häuschen, links nahe dem Anfang der Gasse, im Erdgeschoß, ferner ungefähr in der Mitte der Gasse linkerhand, vor der Reihe der Inderinnen-Käfige; und da und dort sieht man »Madras-Mädchen« auch als Insassinnen eines Käfigs. Ich meine, daß ungefähr fünfundzwanzig oder dreißig Mädchen dieser Art in der Gasse sind.

Fast alle sind sehr jung, – es sind beiläufig Vierzehnjährige darunter, dem Anschein nach, und noch jüngere. Sie sind europäisch gekleidet, jugendhaft kurzröckige Mädchentracht; Bruststück und Rock des lichten leichten Kleidchens sind in unmittelbarem Zusammenhang, bilden ein Hemdartig-Ganzes. Europäische Strümpfe und Schuhe.

Diese Kinder widmen sich der Aufgabe, um derentwillen man sie hieher nach Kamatipura gebracht hat, als würden sie sich mit einem Spaß, mit einem lustigen Jugendspiel befassen. Die Sache ist ihnen augenscheinlich eine »Hetz«. Wenn sie den durch die Gasse promenierenden Mann erblicken, stürzen sich zwei oder drei Mädchen auf ihn, packen ihn an der Hand, am Stock, an der Jacke, und suchen ihn in ihre Hütte hineinzuzerren. Und mit einer urwüchsig fröhlichen Miene, in der man etwas vom zähneschimmernden Negergrinsen zu sehen glaubt, mit einem Lachen, aus dem das Vergnügen an Possenspiel herausklingt, lassen sie die halbwegs-englischen und englischen Einladungsrufe hören, deren sich die Mädchen der Suklajistreet bedienen: Come here! Come inside! etc.

Und wenn man nicht gesonnen ist, selbigen Augenblicks sich in die Hütte zerren zu lassen, und wenn man ihnen mit der Gegenwehr nicht wehtun will, so ist es nicht ganz einfach, sich lind und wirksam von ihnen loszumachen. Die schwarzen Händchen eines dieser Kinder umklammerten meinen Stock mit einer Kraft, die mich in Erstaunen versetzte.

Ihre heitere Gemütsstimmung erleidet keine wesentliche Trübung, wenn ihnen ihr auf Männerraub abzielender Handstreich mißlingt. In jedem Falle bleibt ihnen als Gewinn das Amüsement der wacker vollzogenen Balgerei.

– Gestern abend also promenierten wir – ich und mein schiffsärztlicher Kollege – durch die Hauptgasse des Hetären-Stadtteiles Kamatipura und beschäftigten uns mit beschaulichen Beobachtungen sittengeschichtlichen Inhalts.

Nach und nach entschloß sich der Kollege, jeglicher Zimperlichkeit zu entsagen und seinen toleranten Gefühlen gar keine Zwängnis mehr aufzuerlegen, – eine Gesinnungskorrektur, die für ihn nicht ohne Folgen blieb.

Wir wurden nämlich auf dem Rückwege durch die Gasse von zwei Madrasmädeln »gestellt«, die aus ihrem Häuschen zu uns hergeeilt waren, und es entwickelten sich nun auf der Gasse die gebräuchlichen Vorverhandlungen: sie schmeichelt und wirbt, – er ziert sich lächelnd, – sie wird dringlicher, ungestümer –. Der Herr Kollege hat seine prüde Vergangenheit gänzlich vergessen und tut recht zärtlich mit den beiden dunkelhäutigen Kindern, väterlich zärtlich. Urplötzlich führt die eine Kleine den Trick aus, den sie unlängst auch gegen mich verbrochen hat: sie ergreift unversehens den Hut des Herrn Kollegen und läuft mit der Beute in das Häuschen hinein.

Das Opfer des Raubanfalles warf erst auf mich einen Blick außerordentlicher Verblüfftheit, dann auf den entschwindenden Panamahut und sodann rannte der Barhäuptige hinter der verwegenen Räuberin drein und verschwand gleichfalls im Häuschen.

Ich wartete auf der Gasse den Verlauf des Ereignisses ab und vertiefte mich in eine Plauderei mit der kleinen, ältlichen, deutsch-sprechenden Direktrice der Madrasmädchen, die ich von früheren Abenden her kannte, und nebenher stellte ich im stillen Betrachtungen an über die Kriegslist der Mädchen. Mit dem Hut in der Hand kommen die Madrasmädchen ins gewünschte Land; ob man sie schätzt oder nicht, es ergibt sich die Zwangslage: »Hut ab« vor ihnen!

Einerseits beweisen diese Madraskobolde ein Stück Schlauheit durch die Art, wie sie den Mann sozusagen unter die Haube bringen, indem sie ihn seiner Haube berauben, anderseits begehen sie aber auf dem Gebiete ihrer Lockmittel eine offenkundige Ungeschicklichkeit: als ich letzthin im Zimmerchen des Madrashäuschens bei Lampenbeleuchtung das Gesicht der Huträuberin sah, da bemerkte ich, daß es mit gröblich plumper Maltechnik weiß und rot geschminkt war.

Weil ihnen selber die Hautfarbe der Europäerin besser gefällt als die eigene Hautfarbe, so folgern sie, daß auch der Besucher von Kamatipura höchst erfreut sein müsse, wenn ihm in der indischen Freudengasse weißliche Frauengesichter vor Augen kommen; während doch der abendländische Besucher, der hier ein eingeborenes Mädchen erkiest, dieses in unverfälschter ursprünglicher Form genießen möchte; und eben auf den Abendländer haben's ja die Kamatipura-Mädchen vor allem abgesehen. Die weiße Gesichtstünche, die eine Verschönerung und Lockmaßregel sein soll, könnte vielmehr geeignet sein, dem Europäer als etwas durchaus nicht Verschönerndes zu erscheinen.

Sie wollen täuschen, das zeigt von einer Schlauheit, sie gehen von einer schiefen Voraussetzung aus, das bezeugt, daß es eine nicht ganz schlaue Schlauheit ist.

– Ich wußte auf empirischer Grundlage, was sich mittlerweile in dem Häuschen abspielen mochte: jetzt ist er in das Zimmerchen der Attentäterin eingedrungen, – jetzt sperrt sie flugs die Tür von innen ab, fügt zum Hutraub den Freiheitsraub, – der Eingekerkerte sucht mit Güte und mit linder Gewalt die Entlassung aus der Haft zu erwirken oder auch nicht, – die schwarze Kerkermeisterin gerät in Wärme: ich will nicht deinen Hut, ich will dich selber, o Fremdling –

Wie dem auch sein mochte, die Verhandlungen von wegen Freigabe des Panamahutes zogen sich ein wenig in die Länge, ich schwatzte auf der Gasse etliche Zeit mit der bejahrten Hüttenbesitzerin, ehe ich des Herrn Kollegen wieder ansichtig wurde.

Er kam mit etwas verlegenem Gesicht aus dem Häuschen, den wiedereroberten Hut auf dem Haupte, und gesellte sich zu uns. Seine Betretenheit gewahrend, nahm ich vorerst von ihm nicht Notiz, setzte mein Gespräch mit der Alten fort und nachdem der Herr Kollege solcherart füglich zur Meinung gebracht war, das seinem Erlebnis von den Zeitgenossen sehr geringe Bedeutung beigemessen werde, empfahl ich mich von Madame und die beiden Schiffsärzte gingen in eine nahe Bar, um ein Glas Limonade zu nehmen.

*

Unter den Madrasmädchen gibt es, wie erwähnt, Mädchen sehr jugendlichen Alters; Geschöpfe, der Kindheit kaum entwachsen oder gar noch leibhaftige Kinder. Knospen, entblättert, ehe sie erblühen durften. Und nicht nur unter den Madrasmädchen, sondern überhaupt unter den indischen Freudenmädchen von Kamatipura findet man auffallend junge.

An diesen Zuständen ist vermutlich der indische Brauch der Kinder-Ehe und der Kinder-Witwenschaft mitbeteiligt. In Indien, in Hindukreisen, ist es Sitte, Mädchen zartesten Alters, zehnjährige, fünfjährige, zu verheiraten, ja sogar Mädchen, die eben erst das Licht der Welt erblickt haben.

Allerdings ist die Heirat vorerst nur ein formeller Akt, eine Zeremonie, – man kann die festlichen Umzüge der Kinderheiraten oft in den Gassen der Eingeborenen-Stadtteile von Bombay sehen, – die Hochzeitsfeierlichkeit gibt heutzutage dem Bräutigam nicht das Recht, die angetraute Braut zu tatsächlicher Ehegemeinschaft in sein Haus zu nehmen, wenigstens soweit sich's um Mädchen unter vierzehn Jahren handelt. Im Jahre 1891 hat die britisch-indische Regierung durch ein Gesetz die Frage der Kinder-Ehen geregelt: Kinder zarten Alters dürfen wohl durch die Hochzeitszeremonie als Eheleute erklärt werden, das wirkliche Eheleben mit allen Gatten- und Gattungs-Verpflichtungen darf jedoch erst nach dem vollendeten vierzehnten Lebensjahre beginnen.

In einem Lande, in dem Säuglinge Hochzeitsfeste feiern und Vierzehnjährige ins Ehegemach geführt werden, erregt das Buhl-Kindlein kein Aufsehen.

Der Brauch der Witwenverbrennung ist zwar abgeschafft, aber die Hindu-Witfrau darf nicht mehr heiraten, gleichviel, ob sie vierzehn oder vierzig Jahre alt ist, und es ist ihr ein sehr trübseliges Dasein beschieden. So mag denn mancher Witwe die Verlockung naheliegen, dieses freudlose Leben mit dem Freudenleben zu vertauschen und in die Regionen von Kamatipura zu übersiedeln.

*

Ich habe vorhin die Japanerinnen als die verhältnismäßig sympathischesten Insassinnen des Freudendistrikts von Bombay, des Stadtteiles Kamatipura, bezeichnet. Merkwürdig ist mir, daß die Japanerinnen auch insofern einen Gegensatz zu den anderen Mädchen bilden, als sie während ihrer Locktätigkeit die Schwelle ihrer Häuschen nicht übertreten.

Die anderen – die Europäerinnen und Inderinnen – gehen in der Suklajistreet nicht selten zu dem Manne hin, der sich in der Gasse zeigt, und versuchen ihre Versuchung aus nächster Nähe.

Die Europäerinnen, die ein solches Entgegenkommen üben, tun dies, indem sie vor ihrer Behausung draußen auf der Gasse stehen oder daselbst herumschlendern und so die Möglichkeit gewinnen, den vorbeigehenden Mann sogleich Aug' in Aug' anzusprechen; oder sie harren auf ihrem Sessel, der vor dem Häuschen oder in einer Art Empfangsflur des Häuschens postiert ist, sie harren, bis sie einen Gassenbesucher erblicken, gehen zu diesem hin und knüpfen das Einlade-Gespräch an.

Es entsteht aber dadurch nicht der Eindruck, als würden solcherart die Mädchen als herumschweifende Straßenfräulein fungieren. Sie geben den Zusammenhang mit ihren Behausungen nicht auf, sie bleiben in der Nähe ihres zugehörigen Freudenhäuschens, ihre Kleidung ist eher ein Negligé denn eine Straßentoilette, mit wenigen Schritten sind sie wieder in ihrem Heim.

Auch die Inderinnen, die »Madrasmädchen« mitgerechnet, binden sich nicht pedantisch ans Innere ihrer Wohn- oder Wirkungsstätte.

Die »Madrasmädchen« haben die gleiche Methode, außerhalb des Häuschens den Mann zu erwarten wie die Europäerinnen, nur vollführen sie die Annäherung mit einem bemerkenswerten frisch-fröhlichen ungebundenen Elan. Sie unternehmen wohlgemut stürmische Ausfälle, um den vorüberwandelnden Mann in ihr Stübchen zu entführen.

Die Inderinnen, die im unteren Teil der Suklajistreet hinter Gittertüren in armseligen Kammern interniert sind, senden für gewöhnlich ihren Lockruf durch's Gitter hinaus, ohne die Behausung zu verlassen. Doch kommt es vor, daß auch eine solche Inderin angesichts eines auftauchenden europäischen Spaziergängers vom Sitze aufspringt, die Gittertür flugs öffnet und auf die Gasse hinauseilt, um durch Anwendung von Wort und Hand den Mann in den Käfig hineinzubekommen. Im allgemeinen ist es nicht Brauch, daß diese Käfigmädchen vor ihren Behausungen herumstreichend den Gassenbesucher erwarten.

So sehen wir hier in der Suklajistreet verschiedene Grade von Bewegungsfreiheit, von Bewegungswilligkeit. Doch es hat den Anschein, als wäre die Bewegungswilligkeit nicht ausschließlich vom Willen der Mädchen abhängig. Mich dünkt nämlich, daß die einzelnen Mädchengruppen je nach ihrem größeren oder geringeren Respekt vor den in der Gasse weilenden Polizeiorganen zu geringeren oder weiter-reichenden außerhäuslichen Promenaden bereit sind.

In der Suklajistreet sind einige indische Polizisten aufgestellt: braune Männer in Uniform, auf dem Kopf eine gelbe Tellerkappe; Kniehosen, nackte Unterschenkel, strumpflose, sandalen-bekleidete Füße.

Die eingeborenen Polizeileute von Bombay – Dienstpersonen unter englischer Leitung – sind friedliche, stille, anscheinend harmlose Burschen, die in ihrem Auftreten gar so wenig von einer »Amtsperson« oder von kriegerischem Selbstbewußtsein haben. Sie sind wie bescheidene indische Diener, die man in eine Art Polizeikleidung gesteckt hat. Wachorgane ohne jegliche Neigung zu Größenwahn und Machthaberei. Sie machen den Eindruck, als wär's ihnen am liebsten, wenn man sie in Ruh läßt und wenn sie niemandes Ruh zu stören brauchen.

In ihrem Benehmen gegen Europäer sind sie die »Natives«, die einer vermeintlich besseren Menschenkaste den Tribut höflicher Hochachtung zollen. Damit diese Schutzleute keinesfalls in die Lage kommen können, den Schutz des Publikums nach europäisch-kontinentaler gelegentlicher Sitte mit scharfen Säbelhieben zu besorgen, tragen sie nach englischem Brauch als Seitenwaffe einen kurzen, dicken, im »Wehrgehenk« steckenden Holzstab.

Paar Polizisten dieser Art stehen in der Suklajistreet; zurückhaltend, ohne Betätigungssucht, kaum bemerkbar. Bei meinen früheren Besuchen in Kamatipura ist mir ihre Anwesenheit gar nicht aufgefallen. Jetzt, da mir die Einzelheiten des Bildes deutlicher gegliedert hervortreten, glaube ich bemerkt zu haben, daß die indischen Mädchen, die sich zum Männerfang auf die Gasse hinausbegeben, forschende Blicke nach dem Standort des Polizisten hinsenden, abwägend, wie weit sie den Ausbruch aus dem Hausarrest wagen können.

Gesetzt, daß den Mädchen von Amts wegen verboten ist, außerhalb des Freudenhäuschens die Männerjagd zu betreiben, so ergibt sich mithin die Tatsache, daß sie das Verbot jedenfalls nicht allzu genau beachten. Spätere Anmerkung: Ich habe jüngst abermals von sachverständiger Seite die Information erhalten, daß das Hinausschwärmen der Mädchen aus den Freudenhäuschen von der Polizei verboten ist. Die Mädchen, die dennoch vor den Häuschen auf der Gasse promenieren und werben, setzen sich der Gefahr aus, von der Obrigkeit mit einer Geldbuße belegt zu werden. Es ist zu vermuten, daß in berücksichtigenswerten Fällen die Wachorgane ein Auge einigermaßen zudrücken, wenn nämlich das in Bombay hochgeschätzte Europäertum mit im Spiel ist, also wenn sich's um europäische Mädchen handelt oder um Häuschen, die irgendwie des Europäertums teilhaftig sind: am unbekümmertsten und gemächlichsten promenieren die Europäerinnen vor ihren Behausungen herum, den zweiten Grad der Promenierfreiheit vertreten indische Mädchen, die in Häuschen europäischer Kupplerinnen untergebracht sind; zum Beispiel jene »Madrasmädchen«.

Die Inderinnen, die auf sich selbst gestellt sind und keinerlei europäischen Rückhalt haben, kommen entweder überhaupt nicht aus ihrer Gitterzelle hervor oder sie wagen nur hie und da einen gelegentlichen Sprung auf die Gasse.

Und die Japanerinnen? Die japanischen Mädchen bleiben getreulich in ihrer häuslichen Einfriedung. In den ersten Stockwerken sitzen sie bei den Fenstern, wie Prunkfiguren im Fensterrahmen, die nur angesichts eines Gassenbesuchers zu mimischer und stimmlicher Lebendigkeit erwachen, im Erdgeschoß sitzen sie auf Stühlen in der Stube nahe der offenen Tür. Ich sah niemals eine Japanerin einen Ausfall auf die Straße unternehmen oder vor dem Häuschen zu Jagdzwecken umherspazieren. Ihr Werben und Locken ist immer Heimarbeit.

Ich erkläre mir diese Seßhaftigkeit mit Folgendem: zunächst wird wohl der Gehorsam gegenüber allfälligen amtlichen Klausur-Vorschriften die japanischen Mädchen ans Haus fesseln, möglicherweise sind aber noch andere Motive mitwirksam; die Japanerinnen sind im allgemeinen kleingewachsen und es wäre denkbar, daß sie's deshalb vorziehen, sich sitzend zur Schau zu stellen, statt stehend eine wenig imposante Figur darzubieten. Auch mag der Kimono, das lange Gewand der Japanerinnen, aus dessen Zuschnitt und Struktur eine Art festlicher Feierlichkeit spricht, sich nicht recht als Jagdkleid eignen.

Und wie die Tracht dieser Japanerinnen nicht geschaffen scheint für behende Wildfang-Bewegungen, in denen z. B. die »Madrasmädchen« Meisterinnen sind, so kann man sich auch nicht gut vorstellen, daß die sonderbar schlappe, schieberische Gangart, die den Japanerinnen eigen ist, in den Dienst von Lockpromenaden gestellt werden könnte.

Wenn man in der Atmosphäre unseres Freuden-Distrikts Kamatipura einigermaßen heimisch geworden ist und eine Art Tastfähigkeit dafür bekommen hat, ob hier diese oder jene Erscheinung möglich ist oder nicht, so hat man die Meinung: es ist nahezu unmöglich, daß plötzlich ein Schwarm japanischer Mädchen aus einem Häuschen eine Attacke auf die Gasse unternehmen könnte. Japanerinnen, die sich in der Suklajistreet herumtummeln, »aus dem Häuschen geraten«, der Männerjagd halber, – das ist eine mit den gegebenen Umständen ganz unvereinbare Vorstellung.

Wie immer sich's mit den Ursachen verhalten mag, derentwegen die Japanerinnen gegenüber dem Gassenbesucher immerhin eine Distanz bewahren, jedenfalls wird dieses Minus an Aufdrängsamkeit beitragen, die japanischen Freudenmädchen sympathischer erscheinen zu lassen.


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