Felicitas Rose
Provinzmädel
Felicitas Rose

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Brief von Tante Laura an Kerlchen.

»Herzenkind! Nimm meine innigsten Segenswünsche und – laß mich an Deinem Ehrentage in meinem stillen Mölln bleiben. Es ist kalt und unwirtlich draußen – ich bin durch Hans von Hartwigs Tod in trübster Stimmung – ich würde – ach, Kerlchen, wozu die Umschweife, ich bin meiner Lebtage ein ehrliches Frauenzimmer gewesen.

Sieh, der Hauptgrund ist der, Dein alter Schlachterfreund Krone hat mir einen ganz närrischen Brief geschrieben, aus der Liebe zu Dir herausdiktiert. Kerlchen, – ich werde ordentlich noch ein bißchen rot auf meine alten Tage, – Meister Krone wollte mich heiraten, damit Du eine Heimat habest.

Ich hab' ihm wohl ein bißchen ärgerlich geantwortet bei aller Hochachtung vor seinem ehrlichen, biederen Charakter, – Kerlchen, ich war doch etwas wütend.

Und nun hab' ich Angst, wir zwei könnten bei Dir zusammentreffen und Euch Euer Fest ansäuern.

Gott mit Dir, Kerlchen! Du hast doch recht behalten.

Ich werde am Heiligen Abend mit ol Marie vor meinem winzigen Bäumchen sitzen und – an Dich denken Liebling.

Glückauf, glückauf!
Deine alte Tante Hertwig,«

Brief von Schlachter Krone an Kerlchen.

»Mein geliebtes und sehr stark verehrtes Kerlchenfräulein und baldige Madame von Rumohr.

Eben ist das Hochzeitsgeschenk mit Wertangabe an Ihnen abgegangen, möchten Sie dieselbe gesund verbrauchen.

Kommen kann ich auf Ehre und Gewissen nicht.

Habe lange an den Knöpfen abgezählt, die alle mit 'ner gewissen Dreistigkeit »ja« sagten, aber ich haute den gordischen Knoten durch und sagte wie weiland Karl der Große: »Ne!«

Fräulein Kerlchen, ich will's kurz machen.

Ich könnte jetzt Ihr Onkel sein, aber sie hat nicht gewollt. Fräulein von Hartwig nämlich.

Und muß sie das mit sich selber ausmachen; es kann ihr Glück sein, oder 'ne ausgesuchte Dummheit.

Das Schönste ist, daß Sie nun auch ohne mir zu inkommodieren, eine dauernde Heimat finden, denn ich hoffe nicht, daß Ihr Baron wieder auskratzt.

Und seien Sie mir nicht böse, daß ich nun nicht in Ihre Familie komme, – es läßt sich nicht anders machen.

Verzeihen Sie mir auch, wenn ich nicht in Ihre Hochzeitstrompeten einstimme, – ich fürchte mich, daß ich mit meiner verflossenen Kronpretendentin zusammengeraten könnte und das wäre schanierlich für beide Teile, da es ja auf Hochzeiten nie an Anspielungen fehlt.

Ihnen aber möge der liebe Gott in seine ganz besonderen Arme nehmen, denn Sie haben's verdient.

Ich habe immer den Hut abgezogen vor dem Herrn Oberst seinem Kerlchen und schreibe auch jetzt diesen Brief ohne Käppchen, trotzdem es vom Laden her infam auf meinen kahlen Kopp zieht.

Möchte Herr von Rumohr immer dasselbe tun.

In Ergriffenheit und Liebe

Ihr treuer alter Freund Krone.«

Brief von Fritz von Rumohr an Kerlchen.

»Mein Lieb, mein Kerlelein!

Der letzte Brief an mein Bräutchen!

Einen Tag vor dem Heiligen Abend bin ich da...

Diesmal ist's kein Traum, wie vor Monaten, diesmal ist's wonnige Wirklichkeit.

Kerlchen, ich liebe Dich unsäglich!

Wie trunken gehe ich durch unser liebes Nest, das ich für Dich gebaut habe, und das uns beide aufnehmen soll am Weihnachtsheiligabend.

Wie gut und lieb von Dir, daß Du gleich so jubelnd einwilligtest, als ich Dir vorschlug, nach all unsern Irrfahrten keine Hochzeitsreise zu machen, sondern in unser liebes, eigenes Heim zu flüchten.

O Du Liebes, Liebes!

Wenn Du wüßtest, wie traut und heimlich ich alles eingerichtet habe, und wie die großen, stolzen Tannen draußen als treue Wächter vor unsern Fenstern stehen, – o Kerlchen, und wenn Du ahntest, wie ich mich nach Dir sehne!

Da würde gewiß aus meinem liebenden Mädchen gleich ein scheues Ausreißerchen, – still, still, ich will's nicht heraufbeschwören.

Gott grüß' Dich, mein Lieb, mein Kerlchen, mein süßes, süßes Weib!

Ich sitze in Deinem Zimmer, an Deinem kleinen, zierlichen Schreibtisch, über dem Deines Väterchens großes, herrliches Ölbild hängt – von Lenbachs Meisterhand gemalt. Es soll mein Hochzeitsgeschenk für Dich sein, und ich sage es Dir jetzt schon, damit mein scheues Reh sich nicht fürchtet mit mir, dem Sturmwind, hier einzuziehen in das alte Schloß, sondern weiß, daß »Väterchen« seiner wartet.

Und »Väterchen« gelobe ich, sein Kleinod zu lieben, es auf Händen zu tragen, zu ehren und hoch zu achten, so wahr mir Gott helfe.

Grüße unser treues Muttchen. Auch für sie ist schon alles bereit, aber es zeigt ihr einzigzartes Empfinden, daß sie uns erst lange, glückselige Wochen des vollständigen Alleinseins gönnen will.

Wie wollen wir sie dann pflegen, gelt', Kerlchen?!

So leb' wohl, mein Herz, mein Glück, mein besseres Ich!

Kerlchen, ich liebe Dich!

Bis in den Tod Dein
Fritz von Rumohr.«

Kerlchen schlich still zu den andern zurück.

Wenn es das doch nicht brauchte!

Wenn es sich ganz still zurückziehen könnte in sein Zimmerchen und dort weiter träumen dürfte bis zu der Stunde, da Fritz kam und es heimholte.

»In meiner Heimat, da wird es jetzt Frühling,« jubelte und sang es in Kerlchen.

Ei freilich, draußen lag tiefer, tiefer Schnee, aber drinnen im Tannenruhstübchen – o du lieber Gott, gibt es denn wirklich Raum auf Deiner Erde für so viel Glückseligkeit?

*

Alle Augen richteten sich forschend auf das Kindergesichtchen, das da so verträumt über den Familientisch schaute, bis die »Muusch« es an ihr Herz nahm.

»Ist mein Kerlchen glücklich?« fragte die blasse, zarte Frau. »Hast du gute Nachricht?«

Kerlchen lehnte sich an die Mutter und nickte froh.

»Morgen!« sagte es, – und in dem Wörtchen lag eine ganze Welt voll Glückseligkeit.

»Wenn du aufgewacht bist, Kerlchen, dann sagst du uns wohl mal, was du für Briefe bekommen hast,« rief Bümi.

»O, ich bin ganz wach,« entgegnete Kerlchen und strich sich wieder mit der Verlegenheitsbewegung durch das Haar. »Tante Laura kommt nicht und Schlachter Krone auch nicht – –«

»Na nu?«

»Aber Fritz – der kommt!«

»Ach, – wirklich! Ist's möglich?«

Schallendes Gelächter, und Kerlchen merkte jetzt erst, daß es doch noch etwas sehr zerstreut gewesen war.

»Na und sieh' hier!« Ohm Waldemar hob einen starken, weißen Briefumschlag mit großem Wappen in die Höhe.

»Von Tante Emerenzia. Aber nimm dich ich acht, der Brief ist mit tausend Nadeln gespickt, sie liebt es ja, unter der Maske der Aufrichtigkeit weh zu tun. Wie ich solche Menschen hasse! Und bedaure gleichzeitig! Andern weh tun! Donnerwetter, das Leben ist so kurz.«

»Reg' dich nicht auf, Alterchen,« begütigte Tante Hedwig. »Der liebe Gott hat verschiedene Kostgänger.«

Tante Emerenzie schrieb:

»Liebe Felicitas! Ich danke Dir bestens für die erneute Einladung zu Deiner Hochzeit mit Friedrich, Freiherr von Rumohr-Rotbach.

Ich muß meinem Verlangen, diesem Feste beizuwohnen, leider Einhalt gebieten, denn ich würde die weite Reise ungern umsonst machen und weiß doch, daß Du Deine Entschlüsse leicht änderst.

Daß Friedrich, Freiherr von Rumohr-Rotbach, glücklich von seiner Auslandsreise zurückgekehrt ist, freut mich. Ich nehme an, daß er wirklich fort war und nicht, wie die Leute hier tuscheln, in Rotbach gesessen hat, um Dich für irgend einen häßlichen, tollen Streich, wie Du ihn ja früher schon als Kind oft zu machen liebtest, zu strafen.

Hoffentlich verfügt Dein zukünftiger Gatte über recht viel Geduld, dann kann Eure Ehe doch noch eine glückliche werden, wenn der Herr es will. Ein silberner Schuhknöpfer geht gleichzeitig mit diesem Briefe ab.

Deine Tante
Emerenzia von Schlieden.«

Onkel Waldemar ballte die Faust.

»O, welch ein herrliches Gelüst, einem das Leben zu verbittern, wüßtet ihr, was eine Träne ist, ihr würdet zittern!« zitierte er.

»Na, unser Kerlchen wird doch um so was nicht weinen,« rief Bümi ungestüm. »O, wenn sie hergekommen wäre, ich hätte ihr die Meinung sagen wollen!«

»Das wäre ein nettes Fest geworden,« bemerkte Dr. Schirmer.

»Und das sag' ich dir, Kerlchen,« fuhr Bümi kriegerisch fort, »wenn du ihr einen Besuch machst, dieser – diesem Fliegenpilz – ich, ich – – « ich – – –«

»Sie kann mir gar nicht mehr weh' tun, – Fritz ist ja bei mir,« sagte Kerlchen einfach, und es lag eine köstliche Gewißheit in seinen Worten.

Ohm Waldemar ging zu Kerlchen hin, umfaßte es und sah ihm gütig in die Augen.

»Mein alter Kerl,« sagte er, – »wir werden dich furchtbar vermissen! – – –«

»Vom Himmel hoch, da komm' ich her,
Und bring' euch gute, neue Mär,
Der guten Mär bring' ich so viel,
Davon ich singen und sagen will.«

Hell klangen die frischen Kinderstimmen vom Chor der kleinen Buchwalder Kirche herab, und unter diesen frohen Klängen schritten Fritz von Rumohr und Kerlchen zum Altar.

»Wo du hingehest, da will ich auch hingehen, und wo du bleibst, da bleibe ich auch, dein Gott ist mein Gott!«

Pastor Richter sprach warm und eindringlich, manchmal war's, als versage ihm die Stimme, als träte die Vergangenheit mächtig an ihn heran, und er spräche von der Zeit, da diese kindliche Braut, die er heute einsegnete, als ein guter Engel zu ihm gekommen war, um seinem verödeten Hause Sonnenschein zu geben, ihn selbst aufzulichten und seine verwaisten Kinder zu trösten.

Gutes, liebes Kerlchen! Durch Kerlchen hatte er auch seine Emmy gefunden, die jetzt die Sonne seines Hauses war. Sie stand im schlichten, schwarzen Seidenkleide neben dem hochgewachsenen Offizier, ihrem Jugendfreunde.

Aber nicht ein Blick streifte diesen während der ganzen, heiligen Handlung.

Emmys Augen hingen selbstvergessen leuchtend an dem Antlitz des Gatten, der mit zündendem Feuer dem jungen Paare die Heiligkeit der Ehe pries.

»Wo du hingehst, da will ich auch hingehen, wo du bleibst, da bleibe ich auch, dein Gott ist mein Gott.«

Fritz von Rumohr sah voll tiefer Rührung auf das junge Geschöpf an seiner Seite.

Sein Weib, sein Kerlchen für Zeit und Ewigkeit.

Wie es andächtig war, wie tief es das seine Köpfchen senkte, daß es ganz umflossen war vom weißen Schleier!

Und das Myrtenkränzchen auf dem Lockenkopf, so kindlich mit einem Gummiband festgehalten!

Fritz von Rumohrs »Ja!« klang laut und hallend durch den Kirchenraum, und Kerlchen rief das ihre ebenso kräftig und sah seinen Fritz durch Tränen lächelnd an.

»Die Zwei wissen, was sie wollen,« murmelte der alte Küster, und dann ging er mit dem Klingelbeutel durch die Hochzeitsgesellschaft und nahm das Zwanzigmarkstück von Onkel Waldemar mit derselben Gelassenheit in Empfang, wie das Zehnpfennigstück der Frau Lehrer, die zum »Zusehn« gekommen war und ihren Etat um dieser Hochzeit willen nun unnütz belasten mußte.

Unter brausendem Orgelklang schritten Fritz und Kerlchen aus der Kirche und gingen den verschneiten Fußweg hinüber ins Herrenhaus.

Dort nahm Fritz Kerlchen an sein Herz und küßte es heiß und zärtlich.

»Mein Weib!«

»Mein Fritz! Du Lieber! O ich danke dir!«

» Mir Du Goldiges! Du Dankbares! Ich habe zu danken, daß du mich nimmst, – Kerlchen meins

Dann kamen die andern, – alle etwas blau gefroren und verweint.

Frau Oberst Schlieden küßte ihr Kind.

»Weißt du, wer heute bei uns war in der Kirche?« fragte sie leise voll tiefer Bewegung.

»O ich weiß es, Muusch: Väterchen! – ich hab' immer an ihn gedacht.«

»Gib mir auch einen Kuß, mein Muttchen,« bat Fritz von Rumohr, »ich will es hegen und pflegen, dein Kerlchen.«

»Wenn ihr einmal dabei seid, ich bin bereit,« rief Bümi, und Munke und Luttewete versteckten gleichfalls ihre Rührung unter übermütigen Scherzworten.

Kerlchen strahlte.

Es war, als sei es ganz und gar wieder in den alten, lieben Kobold verwandelt, das Glück hatte es getan, das reiche, wonnige Glück.

Beim Festmahl herrschte ungetrübter Frohsinn. Fritz konnte sich nicht satt sehen an dem süßen Etwas, das neben ihm saß und Felicitas von Rumohr hieß.

»Bist du mein – Kerlchen?« fragte er leise und zärtlich.

»Ich hab' Hunger,« sagte Kerlchen fröhlich, und es aß – tüchtig aß es an seiner eigenen Hochzeitstafel.

»Wie ein Scheunendrescher,« behauptete Bümi.

Nach aufgehobenem Mahle öffneten sich die Flügeltüren zum Weihnachtszimmer.

Wie die Tannen dufteten, wie hell die Lichtchen brannten.

»O du fröhliche, o du selige, gnadenbringende Weihnachtszeit«, sangen die Buben des Pfarrers, der hochaufgeschossene Christi immer voran mit seinem hellen Sopran, der für die Zukunft einen prächtigen Tenor versprach. In seinem Knabenherzen stritt sich die Freude, daß er seinem geliebten Kerlchen das Weihelied singen durfte, mit dem Leid, daß der schwarze Zigeuner Rumohr die süße Lichtgestalt heute mit sich fortnehmen wollte.

Und dann brannte ein Lichtchen nach dem andern herab, die Hochzeitsgäste gingen in die hellerleuchteten Räume nebenan und plauderten weiter. Kerlchen aber schlich sacht hinaus und die Treppe hinauf nach dem alten Parnaß. Noch einmal sah es sich in dem lieben, vertrauten Raume um, der ihm so viel gewesen war. Nie würde es ihn vergessen.

Bümi war Kerlchen nachgegangen.

»Du Liebes,« sagte sie zärtlich, »ich wollte dir doch die letzten Handreichungen tun vorm Abschied. Liebes, liebes Kerlchen, Gott behüt' dich! Verzeihe mir alles, was ich dir weh getan.«

»Still, Bümi! Gute Bümi! Du warst immer gut mit mir!«

Vor dem Herrenhause stampften ungeduldig die jungen Pferde an dem neuen Wagen, der das junge Paar nach dem Bahnhof bringen sollte.

Fritz saß schon darin und sah durch das Fenster auf das Kerlchen, das im schlichten Reisekleidchen Abschied von seiner zweiten Heimat nahm. Jeder wollte ihm noch ein gutes Wort sagen.

Wie es geliebt wurde von allen – sein Kerlchen.

Dann hob Ohm Waldemar es zu ihm herein, die Pferde zogen an, ade – ade!!

*

Einen guten, starken Weihnachtspunsch hatte der Gutsherr gebraut, der half am besten for über das närrische Gefühl unter der linken Westentasche.

Wie? Gar Tränen? Pfui, Schlieden, schäm dich!

Und Ohm Waldemar mischte energisch den Punsch und goß noch einen »Schuß« Kognak dazu.

Droben im verlassenen Parnaßstübchen stand eine stille Frauengestalt, – Kerlchens Mutter. Sie strich das seidene Brautkleid glatt, das noch warm war von dem jungen Körper, der eben darin gesteckt, und hing es sorgfältig in den Schrank. Und dann, als dieser letzte Liebesdienst getan, stand sie mit gefalteten Händen am Fenster, – – lange, lange, und ihr Herz sprach treue Worte, und ihr Auge schaute auf den stillen leuchtenden Vollmond, der heute auch auf »Tannenruh« schien, auf das weiße Haus, in das Fritz von Rumohr sein junges Weib heimführte.


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