Felicitas Rose
Provinzmädel
Felicitas Rose

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Auf dem Marschhofe ist es totenstill.

Der Doktor Lorentzen ist dagewesen und hat befohlen, daß große Fuder Stroh ausgebreitet werden sollen auf Hof und Straße, damit nicht das Geräusch der vorüberfahrenden Wagen die Kranke erschrecke. Großmutter Tönningsen ist's.

Aber es war kein Stroh in den Speichern und Scheunen gewesen, und Stina hatte Flüche gemurmelt und dann doch wieder die hageren Hände zum Beten gefaltet.

Nun liegt dafür dichter weißer Schnee draußen auf dem Hof und auf der Straße, und nichts stört die Ruhe der Sterbenden.

Es war so plötzlich gekommen, so wie ein Blitzstrahl.

Kerlchen saß noch ganz betäubt da, und das blühende Kindergesicht sah beinahe grau und hager aus. So recht klug war Kerlchen ja auch jetzt noch nicht geworden aus all den Reden; dem Geschrei, dem Jammern und auch der furchtbar deutlichen Sprache, die das verfallene Gesicht in den Kissen dort redete, stand es noch verständnislos gegenüber.

Gestern war es gewesen. –

Kerlchen war zum Flecken hinabgegangen, um eine Schwerkranke im Auftrage von Großmutter Tönningsen zu besuchen. Es hatte vor Anbruch der Dunkelheit zurück sein wollen, aber die Kranke hatte sie nicht fortgelassen, und so war denn noch der Abend hereingebrochen, und Kerlchen hatte den Heimweg antreten müssen ohne Mondschein und nur mit der kleinen Handlaterne bewaffnet, die es vorsorglich mitgenommen.

Aber Kerlchen kannte keine Furcht.

Es begegnete ihm auch kaum jemand, und die wenigen riefen durch die Dunkelheit ihm »Gutenacht« zu, auch ein Lastwagen, ein einziger zog in entgegengesetzter Richtung an ihr vorüber.

Kerlchen sah schon die Lichter des Marschhofes blinken, da keuchte etwas hinter ihm her.

Laute Reden in eigentümlichem Tone drangen an sein Ohr, – es mußten betrunkene Männer sein, die sich unterhielten, Leute, die nicht mehr ihrer Sinne mächtig waren.

Kerlchen hatte seine Schritte beschleunigt, aber es war müde vom weiten Weg gewesen, und plötzlich hatte ein Arm es umfaßt und ein Stück seitwärts gerissen.

»Edmund Tönningsen!!«

»Jawohl, Edmund Tönningsen,« hatte er gelallt, und Kerlchen sah, daß er allein war und es roch den widerlichen Weindunst, der von ihm ausging.

Dann waren heiße, wirre Worte an Kerlchens Ohr gedrungen, daß es vor Scham und Verzweiflung laut aufgeweint hatte.

Und immer war er neben ihm geblieben im rasenden Lauf und es hatte die keuchend hervorgestoßenen Worte hören müssen:

»Komm'! Sperr' dich nicht! Ich halt's hier nicht aus auf dem Hof, ich geh' fort, komm', geh' mit!«

Und plötzlich war eine Gestalt aus dem Dunkel aufgetaucht, hatte eine Laterne hoch gehoben und ihnen ins Gesicht geleuchtet, um dann mit gellendem Lachen wieder zu verschwinden.

Lieschen! Das zarte, blasse Lieschen, das so wenig lachte.

Endlich war das Haus erreicht, Edmund Tönningsen war mit einem häßlichen Fluch zurückgeblieben, und Kerlchen war zur Großmutter getaumelt.

Dort hatte es mit tonloser Stimme und voll heißen, ehrlichen Zornes erzählt, was ihm eben widerfahren.

Und dann war es erschrocken verstummt, denn die Großmutter sah so verfallen aus mit einemmal und hatte kein Wort entgegnet, sondern nur mit der eiskalten Hand Kerlchens Haar wieder und wieder gestreichelt.

Und heute Nacht, da war Kerlchen plötzlich aus tiefem, bleiernem Schlaf aufgeschreckt und hatte erst in die Dunkelheit hinausgehorcht, bis es summendes Sprechen vernahm, das aus Großmutters Stube drang.

Türen wurden auf- und zugeschlagen, über den Hof schlürften die Holzschuhe des Knechtes, aus der Remise wurde der Halbwagen geschoben und angeschirrt, und bald jagten die behäbigen Marschpferde den nächsten Feldweg hin nach der Stadt.

Kerlchen hatte zitternd die Tür zu Großmutters Stube geöffnet, – Großmutter Tönningsen saß im Nachtkleid auf dem Sofa, die Hände gefaltet und starrte auf die Verwüstung ringsum. Auf der Erde lagen zerstreute Papiere, ein Hammer, eine Zange, Brechwerkzeuge, der eichene Sekretär war erbrochen, seine Türen und Türchen hingen lose in den Angeln.

Vor Großmutter Tönningsen kniete und wand sich eine Gestalt, Lieschen.

Ununterbrochen sprach sie flehend, anklagend, bittend, verzweifelnd auf die alte Frau ein und bekam doch keine Antwort.

Da erhob sich Lieschen und wankte nach der Tür, Kerlchen sprang hinzu und legte liebevoll den Arm um das Mädchen.

Aber da richtete sich die Großmutter hoch auf:

»Rühr' sie nicht an, Kerlchen,« – rief sie heiser – »fort – Dirne!«

Kerlchen schüttelte traurig den Kopf, noch etwas fester drückte es die schwankende Gestalt an sein Herz und führte sie liebreich hinaus.

»Schlaf', Lieschen,« klang Kerlchens kindliche Stimme an ihr Ohr, »soll ich dich in dein Stübchen bringen? Was ist denn nur geschehen?«

Ein paar heiße Lippen fühlte Kerlchen auf seiner Wange, dann lief Lieschen hinaus in Nacht und Dunkelheit und warf die schwere Dielentür schmetternd hinter sich ins Schloß.

Und jetzt war es Morgen. Ein stürmischer, regensatter Novembermorgen.

»Zum Abschiednehmen just das rechte Wetter«.

Großmutter Tönningsen wollte Abschied nehmen. Nicht mit Worten, mit Liebkosungen oder Weinen und Stöhnen, – ganz still schickte sich die harte Marschbäuerin zum Sterben an.

Als man ihr gestern abend gesagt hatte, daß der schöne, stolze Hof verspielt, vertrunken, verlottert sei bis auf den letzten Strohhalm, als sie heute Nacht von der eiskalten Zugluft erwachte, die durch die weitoffene Tür wehte, durch welche der Enkel entflohen war, als sie den widerlich zugerichteten Schreibsekretär erblickte, das sorgsam gehütete Erbstück ihres eigenen alten Vaters, als sie beim hastigen Durchsuchen merkte, daß ihr auch kein Pfennig ihres Barvermögens geblieben war, da brach sie zusammen.

Dann kam noch die Beichte des Mädchens, der kleinen Lieschen, die sie so lieb hatte, der Tochter ihrer toten Jugendfreundin, die sie nun gewiß anklagend droben erwartete:

»Was ist aus meinem Kinde geworden?« – – Unaufhörlich flüsterte der welke Mund vor sich hin, aber Kerlchen verstand keines der Worte. – –

»Ein schwerer Schlaganfall,« sagte Dr. Lorentzen, »es wird bald vorbei sein. Auf Ihnen ruht jetzt vorläufig alles, Fräulein Felicitas, da heißt's tapfer sein!«

Und Kerlchen raffte sich auf, nahm dankbaren Blicks das Glas mit dem heißen Rotwein, das ihr Stina reichte, und saß dann mit Dr. Lorentzen zusammen, setzte Telegramme auf, füllte Formulare, schrieb Zeugnisse für Dienstboten und zahlte Löhne aus.

Stina hatte ihr geheimnisvoll einen dickgefüllten Strumpf gebracht, – ihr Erspartes.

»Kein Schatten schall up de Nomen von mien Madam fall'n,« sagte zitternd der alte, auf dem Hofe ergraute Dienstbote. »Ik heww nuch, dat wi all ers mol vun leben könnt.«

Am Nachmittag schlief Großmutter Tönningsen ein, – für immer.

Kerlchen war ganz allein bei ihr, – armes, kleines Kerlchen.

So nah' hatte es noch nie den Tod gesehen und es kauerte sich in die Ecke des altmodischen Sofas und flüsterte fieberig vor sich hin: »Fritz, lieber Fritz, komm! Ich fürchte mich unsäglich,«

Aber dann galt es, die Leute herbei zu rufen, den Sarg zu bestellen, den Doktor und den Herrn Pfarrer zu holen, – Kerlchen besorgte alles, und es war, als sei das schlanke Kind noch gewachsen unter den schweren Pflichten, die ihm plötzlich auferlegt waren.

Am Beerdigungstage arbeitete sich wieder eine schwere Kutsche durch die tiefen Furchen des aufgeweichten Weges, und der alte Herr Wolf von Rumohr wickelte sich aus Pelzen und Decken heraus.

Über Kerlchens Gesicht flog ein leichter Freudenschimmel. Nun war es nicht mehr so grauenhaft allein, nun konnte es doch auch einmal ausruhen und den müden Kopf an eine starke Schulter lehnen.

»Onkel Rumohr, mein guter Onkel Rumohr!«

»Ja, mein Herzenskind, wer hätte das gedacht, daß wir uns so bald wiedersehen würden, – aber holla, du siehst bös aus, – die tiefen Schatten um die lieben Augen gefallen mir gar nicht – – armes Kerlchen, da ist wohl nicht alles im Lot.«

Als er aber erfuhr, was hier vorgegangen, – da bebte selbst die harte Stina vor dem Hünen zurück, dessen gewaltige Stimme wie ein Sturm durch das Haus tobte, trotzdem er sie noch zu mildern glaubte, weil er an die Tote dachte, die auf der großen Diele aufgebahrt lag.

Mit kraftvoller Hand nahm er nun die Zügel des Haushaltes an sich: er griff tief in seinen Säckel, erstattete erst mal der alten Stina ihre Auslagen zurück und fuhr sie derb an, als sie laut weinend protestierte.

Dann gab er Kerlchen Wirtschaftsgeld und bestellte aus Hamburg ein Trauerkleid.

Wie eine Mutter, so besorgt war er um sein kleines Mädchen, dessen blasses Gesicht und todtraurige Augen, aus denen die furchtbaren Eindrücke der letzten Tage und Nächte sprachen, er nicht ohne heißen Zorn und tiefes Mitleid ansehen konnte.

»Sobald wir hier fertig sind, gehen wir fort,« sagte er, »und fertig sind wir, sobald wir die arme Tönningsen in die Erde gebettet haben. Die Dienstboten gehen fort, Stina zieht zu ihrer verheirateten Tochter und morgen Abend kommt der neue Besitzer des Hofes, ein alter Marschbauer, der schon lange ein Auge auf dieses Gut hat.

Für Fritz bleibt natürlich kein Pfennig übrig, dafür hat der durchgegangene Lump gesorgt. Aber wo steckt denn überhaupt Fritz, – Kind, das Leben hat nichts Erfreuliches mehr für mich, – es wird gut sein, wenn ich auch bald in die ewigen Jagdgründe komme.«

Kerlchen schlang die Arme um seinen Hals.

»Nimm mich dann mit,« sagte es tonlos.

Der Alte erschrak. So verzagt war sein Tapferes? – –

Die Beerdigung war vorbei. Alle männlichen Insassen des Hofes hatten sich mit dem großen Gefolge auf den Friedhof begeben, von wo sie vor zwei Stunden nicht zurück sein konnten. Kerlchen hatte sich nach der Trauerfeier still in den riesengroßen Lehnstuhl der Großmutter Tönningsen gesetzt. Die Sonne hatte sich heute einmal ausnahmsweise hervorgewagt und schien in die kleinen, von weißen Vorhängen umrahmten Fensterchen, Hyazinthen dufteten, und eine großblättrige Zimmerlinde machte sich behaglich breit. Stina hatte vorhin eine große, braune Kanne voll Kaffee in die Ofenröhre gestellt, nun mischte sich der Duft mit denen der Blumen, – es war so schön und friedlich in dem mit altväterischem Hausrat gefüllten Zimmer. Eine Winterfliege surrte durch den Raum, die Hauskatze schnurrte am Ofen, Kerlchen schlief ein.

*

Den Weg herauf von der Station her kam ein Mann geschritten. Er schien etwas erschöpft zu sein von dem beschwerlichen Wege, sein blasses Gesicht sprach von überstandener Krankheit; auch schien er mißgestimmt, daß auf dem Bahnhof nicht ein einziges Gefährt zu haben war, die Beerdigung der Marschbäuerin hatte alle Fuhrwerke beansprucht.

Der Fremde sah in den menschenleeren Hof, begütigte »Sultan«, welcher an der Kette riß und leise winselte, dann klinkte er die Tür zur Diele auf und atmete erschauernd den Duft der Cypressen und Lorbeeren, die noch zerstreut umherlagen. Er nahm die Reisemütze ab und blieb einen Augenblick still versunken auf dem Platze stehen, wo der Sarg gestanden.

Dann öffnete er sacht das Wohnzimmer.

Wie süß das Bild war, das sich ihm bot, wie betäubend die Hyazinthen dufteten, und wie einzig lieb das Mädchen aussah mit den vom Schlaf warm geröteten Wangen, dem roten Kindermund und den dunkelblonden Locken, die ihm alle auf die weiße Stirn gefallen waren.

»Kerlchen!« rief der Mann bestürzt und tief erschrocken und griff nach einem Halt hinter sich, die ganze Stube schien sich um ihn zu drehen. Kerlchen schlug blinzelnd die Blauaugen auf, es war im Traume weit weg gewesen von diesem düsteren Hof. Tief drinnen im Thüringer Wald hatte es geweilt, darin standen dunkle Tannen, und ein weißes Haus lugte dazwischen hervor, und als es die Tannenzweige zurückbog und lachend und jodelnd »hu – hu« rief, da hatten es zwei Arme umfangen und jubelnd war es gerufen worden: »Kerlchen!«

Kerlchen sprang auf.

Es strich sich die Haare aus der Stirn und fuhr sich mit der bekannten Handbewegung durch das dichte Gelock.

Was es jetzt sah, war doch sicher nur ein Traum, aber ein gar lieber, wonniger. Es wollte sich nur einmal richtig überzeugen und so schritt es vorwärts und legte tastend die Hand auf den Arm des Mannes:

»Fritz, bist du bei mir?« Ein schweres Aufatmen, einem Schluchzen gleich, antwortete ihm.

Da faltete Kerlchen die Hände.

»Lieber, lieber Fritz, ach, verzeih' mir doch endlich!«

Fritz riß Kerlchen an sich, er bedeckte seinen Mund, sein Haar mit Küssen, dazwischen sah er es an, und das tiefste Weh überkam ihn, als er sah, wie blaß und hohläugig sein Lieb geworden war.

»O, du mein! Mein Einziges, ich hab' dich wieder!«

Stina blieb mit offenem Mund und wenig geistreichem Gesicht in der Tür stehen, sie hatte auf der großen Diele für das Trauergefolge gedeckt und nun den Kaffee herausholen wollen.

»Jesus, der Enkel Rumohr,« rief sie kreischend und mußte sich gleich darauf setzen, so sehr verblüffte sie die Tatsache, daß Fräulein Felicitas, das scheue Ding, von dem Rumohr-Enkel so heiß geküßt wurde.

»Er ist mein Bräutigam, Stina, – schon lange,« raunte Kerlchen ihr zu und verbarg sein glückliches Gesichtchen an dem schwarzen, groben Trauerkleid der Alten.

»Junger Herr, Sie kommen zu spät,« murmelte Stina finster und entfernte sich schlurrend.

»Nicht zu spät, – gelt, mein Kerlchen – nicht zu spät,« flüsterte Fritz von Rumohr und sah in die strahlenden Augen seines Lieblings. »Nun kommt das Glück wieder, und nun halten wir's fest.«

»Aber du warst krank, Fritz, – ich seh's dir an, – o, wie mager bist du geworden.«

»Das weiß Gott,« seufzte Rumohr. »Du übernimmst eine schwere Aufgabe, Geliebtes, einen kaum Genesenen sollst du wieder zurechtpflegen, – der Typhus hatte mich hart gepackt.«

»Der Typhus?« fragte Kerlchen entsetzt.

»Jawohl, drunten in der bella Italia, – ich hab' meinem Hans von Hartwig die Augen zugedrückt und mich dann selbst gelegt.«

»Hans von Hartwig?«

»O, Kerlchen, was liegt hinter uns beiden, – was waren das für Wochen! Mußte das sein, Kerlchen? Mußte es sein?«

Kerlchen schüttelte den Kopf. Die heißen Tränen liefen ihm über das Kindergesicht, und Fritz von Rumohr trank sie mit seinen Lippen auf und gelobte sich, daß es die letzten sein sollten, die dieses liebe Geschöpf durch seine Schuld mit weinte. – – –

*

»An Hochzeit denken wir aber jetzt nicht,« sagte am andern Tage Herr Wolf von Rumohr und betrachtete seinen Neffen von oben bis unten mit gar nicht sehr freundlichen Blicken. »Hat uns der Ausreißer bis heute zappeln lassen, lassen wir ihn jetzt auch zappeln, bis erstens hier alles in Ordnung ist, bis zweitens mein Zipperlein sich gänzlich empfohlen hat, was immerhin ein halbes Jahr dauern kann – bis drittens dieses süße, kleine Kerlelein ein anderes, runderes Gesichtchen bekommen hat, – gelt Kerlchen, eher ergeben wir uns nicht diesem Zigeuner auf Gnade und Ungnade?«

Kerlchen sah seinen »Zigeuner« an.

O, die tiefe Falte zwischen den Augen!

Es strich rasch mit seiner kleinen Hand darüber hin und wirklich, ein klein wenig glättete sich die Furche dadurch.

»Weihnachten,« sagte Fritz von Rumohr nur, aber dieses Wort, so fest und ruhig gesprochen, ließ gar keine Widerrede zu.

»Könntest du's übers Herz bringen, mich langer warten zu lassen?« fragte er leise und eindringlich sein Kerlchen.

Dieses schlang stürmisch die Arme um seinen Hals.

»Nein!« rief es hell und laut.

»Lieber, lieber Onkel Rumohr, warum soll ich Fritz quälen?«

»Quälen, wer spricht von quälen? Gesund sollst du werden und ich auch.«

Fritz sah voll heißer Sorge in das schmale Gesichtchen seines Lieblings.

Kerlchen nickte ihm lächelnd und beruhigend zu.

»Richtig gesund und rotbackig werd' ich erst, wenn ich bei meinem Fritz bin,« sagte es voll Zuversicht und mußte es sich nach diesen lieben Worten gefallen lassen, daß sein »Sturmwind« es mit Küssen und Liebkosungen überschüttete. Onkel Rumohr sah unbehaglich zu.

»Dabei wird's sein Lebtag nicht gesund,« bemerkte er weise. »Ruhe braucht das Mädel, und die findet es in meinem stillen Mölln.«

»Nein, – bei mir,« entschied Fritz von Rumohr, und da sich Kerlchen nach diesen Worten noch etwas fester an ihn schmiegte, schien die Sache abgemacht zu sein.

»Na, da kann ich mich ja mit meinem Rheumatismus hübsch still allein zurückziehen,« brummte Onkel Rumohr und ließ sich schwer in Großmutter Tönningsens verlassenen Sessel fallen, der am Fenster stand, durch dessen niedere Fenster man über die weite, jetzt so öde Heide sah.

Mit einem Satz war Kerlchen bei ihm.

»Onkel Rumohr, mein alter, lieber Onkel Rumohr! Nicht so sprechen, ach – nicht so! Bin ich undankbar, wenn ich jetzt zu Fritz will, – undankbar gegen dich? Ach, nur das nicht, nur das nicht! Aber Friede! ist ja auch noch krank, sieh' ihn nur an, er braucht mich sicher auch – o – o – wenn ich mich doch nur teilen könnte!«

Onkel Rumohr sah gerührt auf das Kerlchen, das da vor ihm kniete und mit so ratlosem Gesichtchen zu ihm aufsah.

»Nein,« meinte er sarkastisch, »diese geteilte Freude wäre für Fritz und mich nur doppelter Schmerz.«

Fritz streckte ihm die Hand hin.

»Wir bleiben alle zusammen,« sagte er ernst.

»Wir gehen nach dem sonnigen Süden, du und Muttchen, Kerlelein und ich, und dort kurieren wir vier uns aus, – sag' ja, Ohm Rumohr!«

»Das wär'n Gedanke – hm! Was meint die Hauptperson?«

»Bin ich das?« Kerlchen war aufgesprungen, es sah etwas hilflos von einem zum andern.

»Freilich, – wer sonst?«

»O – dann möcht' ich – zu Hause bleiben,« rief Kerlchen bittend. »Ich mag Hochzeitsreisen gar nicht, – es ist so, als hätte man die Aussteuer gestohlen und risse aus.«

»Auch 'ne Auffassung,« brummte Ohm Rumohr, während Fritz in dem kindlichen Ausspruch schon wieder einen Grund sah, sein Kerlchen zu küssen.

Wie herzig es war, wie lieb es aussah, wie rein und gut es dachte, – sein Kleinod.

»Wir können ja doll heizen, bis die Temperatur italienisch wird, dann werden wir auch in Rotbach gesund,« meinte Kerlchen.

Onkel Rumohr lachte dröhnend, und Fritz sah in die tiefen blauen Augen, aus denen ihm ein ganzer Himmel entgegenleuchtete.

Stina klopfte hart an die Wohnstubentür und trat, ohne das Herein abzuwarten, über die Schwelle.

Es zuckte und wetterleuchtete seltsam in ihrem Gesicht.

»Man soll nicht laut lachen, nicht vor achtundvierzig Stunden, wo ein Totes gelegen hat,« sagte sie grämlich zurechtweisend.

Herr von Rumohr streckte ihr die Hand hin.

»Sie haben Recht, Stina, – aber – Base Tönningsen würde mit in mein Lachen einstimmen, wenn sie dieses Bündel Glück sähe, – meint Ihr nicht auch, Stina?«

Stina wischte mit der Hand über die Augen.

»Glaub's selber,« meinte sie aufseufzend. »Und nun steht draußen ein Bote und sagt, der neue Herr käm' heute Nachmittag schon von der Station herauf, der Marschbauer Detleffsen – –«

»Ein alter Mann schon, wie?«

»Freilich, – älter als ich muß er sein, ein harter, eigenwilliger Mensch, man hört's allenthalben. Nun, – was geht's mich an, ich schnür' mein Bündel.«

»Du gehst zu deiner Tochter, gelt Stina,« fragte Kerlchen und umfaßte liebreich die Alte.

»So lang', wie's möglich ist,« entgegnete Stina mißmutig. »Der Schwiegersohn ist kein Guter, werd's nicht lange aushalten bei ihnen, und der Brief vom Herrn Sohn ist schon so abgefaßt, daß man die Frage heraus liest, ob die Schwieger denn gar keinen andern Platz wüßt' zum Bleiben.«

Ein schweres Weh zitterte durch Stinas Worte.

»Komme zu uns,« bat Kerlchen, und seine Augen richteten sich gleich darauf vertrauensvoll auf Fritz von Rumohr, der ihm zärtlich zunickte.

Stina schüttelte den grauen Kopf.

»Einen alten Baum soll man nicht umpflanzen,« sagte sie rauh. »Ich paß nicht da unten hin ins Thüringsche. Hatt' auch gemeint, die Frau Tönningsen hätte im Testament was Schriftliches hinterlassen, daß ich auf dem Hof bleiben könnt', bis man mich wegträgt. Es ist kein Verlaß mehr.«

»Stina, Ihr wißt, wie alles so plötzlich kam,« entschuldigte Wolf von Rumohr –, und die Alte winkte abwehrend mit der Hand.

»Ich weiß, ich weiß! – Und nun will ich für heute Nachmittag einen guten Kaffee rüsten, der neue Herr soll mich bis zuletzt auf dem Posten finden.« Sie ging rasch hinaus.

»Die würde in Thüringen einfach sterben,« sagte Fritz kopfschüttelnd und zog Kerlchen, das der Alten traurig nachschaute, an sich, »die Heide läßt ihre Kinder nicht los, – sie bekommen in der Fremde das ›Schweizer‹-Heimweh, glaub' mir, Kleines, wir können da nichts tun bei der Stina.«

Kerlchen nickte wehmütig.

»Und du gehst auch heute fort?« fragte es und faßte Fritz von Rumohrs Hand ganz fest.

»Ja Liebling! Das muß sein! Rotbach verlangt dringend nach seinem Herrn. Aber Weihnachten! Weihnachten hol' ich dich – Kerlchen – könnt' ich dich gleich mitnehmen! Jetzt, – sofort, – so in meinem großen Mantel, das süßeste Weihnachtspaket von der ganzen Welt.«

Kerlchen lehnte sein Köpfchen an die Schulter ihres Fritz.

Das war solch ein liebes Stellchen, – seine Heimat.

Da ruhte es sich süß und geborgen, und wenn es die Augen schloß, dann sah es »Tannenruh« vor sich, greifbar nahe, und den Text zu dem lieben Bilde flüsterte Fritz ihm zu, – eine ganze, lange, köstliche Geschichte.

Herr Wolf von Rumohr hatte schon ein paarmal gehustet, sich auffällig geräuspert, hatte das Fenster geöffnet, hinausgesehen und es mit einem hörbaren Krach wieder zugeschlagen, aber die beiden hörten und sahen nicht, was um sie vorging.

Darauf hatte er eine Weile auf dem Fensterglas getrommelt, war vom schlichten Dessauermarsch zur rauschenden Scharwache übergegangen, aber in den Herzen von Kerlchen und Fritz war ein Singen und Klingen, das alle Türkenmelodien übertönte.

Schließlich stellte sich Onkel Rumohr mit gefalteten Händen vor die beiden hin, und da nach bekanntem Sprichwort der Müller aufwacht, wenn die Mühle still steht, so erwachte zuerst Kerlchen aus seiner tiefen Versunkenheit und riß auch Fritz heraus, als es tief aufatmend sagte:

»Ich glaube, Ohmchen will 'was.«

»Wirklich? Dämmert's auch allmählich?« fragte Herr von Rumohr halb ärgerlich, halb lachend. »Aber nun ist mir Zeit und Weile lang geworden, und ich hab's vergessen, was ich euch fragen wollte.«

Damit ging er zur Tür hinaus.

»Ist Ohmchen bös?« fragte Kerlchen besorgt seinen Fritz.

»Ich glaub's nicht. Aber wenn er's auch wäre, Kerlelein,« rief er übermütig, »mir wär's einerlei. Grenzenlos einerlei ist mir die Welt, du mein Süßes, nur deine Augen sollen lachen, nur dein Mund soll liebe, gute Herzensworte sprechen und auch nur zu mir, hörst du, Kerlelein, nur zu mir. Ich bin ein elender Egoist geworden.«

»Aber Fritz!« Kerlchen hob warnend den Zeigefinger, und – Fritz küßte erst den Finger und dann wieder das Schelmengesichtchen, das so köstlich-ernsthaft dreinschauen konnte.

Onkel Rumohr steckte den Kopf zur Tür hinein und zog ihn ebenso schnell wieder zurück.

»Nee, nun soll mal einmal einer sagen, was 'ne Sache ist,« murmelte er und ging mit Riesenschritten auf der Diele auf und ab.

Der gute Ohm Rumohr.

Diesmal vergaß er mit Willen die wichtige Angelegenheit, um welche er Fritz und Kerlchen hatte fragen wollen.

Aus Kerlchens Tagebuch.

Buchenwalde, im Dezember.

Ob ich wohl später mein Tagebuch weiterführen kann? Oder ob ich dann so rasend viel zu tun haben werde, daß ich zu keiner anderen Arbeit komme?

So ein großes Gut, und so ein kleines Kerlchen!

Freilich hab' ich entsetzlich viel dienstbare Geister –, aber ob sie alle auch zuverlässig und treu sind? Manchmal hab' ich solche Angst, es könnte schief gehen, daß ich am liebsten um Aufschub bitten möchte, – aber erstens, was würde er denn sagen, und zweitens, würde es mir doch nichts nützen, und drittens, – nein, will ich doch nun endlich zu meinem Fritz.

Es war noch ein ganz bunt bewegtes Durcheinander, bis ich hier in Buchenwalde landete.

Als Fritz vom Marschhof abreiste, meinte ich, der Himmel sei auf einmal ein anderer, die ganze Welt sei grau in grau, trotzdem die Wintersonne warm und freundlich schien. Ich hab's gemerkt an dem Tage, – tief im Herzensgrund, wie ganz eins ich jetzt mit meinem Fritz bin, und daß mich nichts, – nichts mehr von ihm trennen kann.

Wie furchtbar ihm der Abschied war.

Er sagte gar nichts, er gab mir auch keinen Kuß, er sah mich nur an und meine Hand drückte er so fest, daß sie schmerzte.

»Leb' wohl, Kerlelein, Gott behüt' dich!«

»Leb' wohl, Fritz.«

O der dunkle, dunkle Weg vom Bahnhof zurück!

Und dann saß ich in dem großen Wohnzimmer so mutterseelenallein und hörte nur, wie der Onkel draußen Befehle gab, er hatte alle die alten Dienstboten, die vorher auf dem Hofe gewesen waren und deren er habhaft werden konnte, wieder hinbestellt, denn uns liegt doch der liebe Marschhof, auf dem so lange die Großeltern von Fritz ansässig waren, am Herzen.

Dann kam Stina zu mir herein, und ich hielt sie gleich fest.

Alles Andere versank vor der einen brennenden Frage, die mir seit Großmutters Tode auf dem Herzen lag:

»Wo ist Lieschen?«

Zuerst wich mir Stina aus, aber ich wurde bös und zornig, daß sie mirs nicht sagen wollte; ich hatte Lieschen lieb gewonnen und wollte nicht glücklich sein, wenn Lieschen unglücklich war.

Konnte es aber nicht möglich sein, daß sie sich um den schrecklichen Edmund grämte?

O, mein Gott, – was mir da die alte Stina erzählt hat! Nie, nie wieder möcht' ich jene Stunde durchleben!

Wie häßlich ist das alles, o und wie todtraurig!

Ich hatte das Gefühl, als könnt' ich Lieschen nie wieder ansehen, nie wieder ein gutes Wort mit ihr sprechen, und dann wäre ich doch in derselben Minute am liebsten zu ihr gelaufen und hätte ihr Gutes getan und tausend tröstende Worte zu ihr gesagt.

»Eine andere wär' ins Wasser gegangen,« sagte Stina, »aber das tut Lieschen nicht, dazu ist sie zu brav.«

*

An demselben Nachmittag kam der alte Marschbauer an, und derselben Kutsche, in der er saß, entstieg eine wohlvermummte Frauengestalt und ja – als wir näher zuguckten, da war's mein Muttchen, meine goldige, liebe Muusch.

In all der Kälte, in dem greulichen Novemberwetter hatte sie sich aufgemacht, den Beschwörungen der Buchenwalder zum Trotz.

»Kerlchen braucht mich, das fühle ich,« hatte sie gesagt, und war einfach ausgerissen. Das hat sie von mir geerbt.

Ob ich sie brauchte?

So eine Muusch weiß doch immer, wann sie dem Kind – ach so nötig ist.

Aber freilich, gesagt hätt' ich es niemals, Mutti ist ja so zart, sie soll sich pflegen und nicht an das Kerlchen denken, das schlägt sich schon durch.

Aber gut war's doch, – daß sie dran gedacht hatte.

Und wie wir endlich lachend und weinend vor Glück uns genugsam bestaunt hatten, sahen wir uns auch nach dem alten Marschbauern um, der – gar kein alter, sondern ein junger war.

So in den Dreißigern ist er, stämmig und untersetzt, er lachte unbändig über das Mißverständnis und erzählte, daß der »alte« Marschbauer seine Pate sei und dieses Anwesen für ihn erstanden habe.

Mutti berichtete dagegen uns, der Herr Detleffsen habe auf der ganzen Reise rührend für sie gesorgt, sie waren schon von S. aus miteinander gefahren.

»Und da wußt' ich noch nich' mal, daß Sie so 'ne schöne Tochter hatten,« schaltete hier Herr Detleffsen ein und lachte dazu in seiner behaglichen Weise.

Onkel Rumohr stimmte mit ein, ihm gefiel der ehrliche Kerl, das sah ich; er gefiel uns allen. Nun hätten ja Mutti und ich abreisen können, aber – mein kleines, zartes Muuschlein hatte sich arg auf der Reise erkältet, und da bot uns Herr Detleffsen so freundlich an, in Großmutter Tönningsens Stübchen noch so lange zu hausen, bis Mama wieder reisefähig sei, daß wir's ihm nicht abschlagen konnten.

Dann kam der eine Abend, den ich auch nie vergessen werde, – er tat mir furchtbar weh, der Abend.

Ich packte an meinem Koffer, als Herr Detleffsen eintrat.

»Wollen Sie wirklich fort,« fragte er, und sein breites, gutes Gesicht sah ganz traurig aus.

»Es wird Zeit,« lachte ich, »und Muttchen ist wieder gesund.«

»Wird Ihnen der Abschied gar nicht schwer?« fragte er eindringlich weiter.

»Nein,« sagte ich ehrlich. »Für mich knüpfen sich wenig schöne Erinnerungen an den Marschhof, und – Großmutter ist tot.«

»Ich habe nie danach gefragt,« sagte da Herr Detleffsen, »aber – da wir gerade bei der Sache sind – war die alte Frau Tönningsen die Mutter Ihrer Mutter?«

Ich sah ihn verblüfft an.

»Aber nein doch,« sagte ich dann erstaunt, »sie war die Großmutter meines Bräutigams, wußten Sie das nicht?«

»Nein.« Sein Ton klang seltsam, und wie ich ihn nun ansah, da war's mir, als nähme man mir mit einmal eine Binde von den Augen, und es tat mir weh, was ich sah.

Diesem einfachen, guten Menschen mußte ich einen großen Schmerz zufügen.

Und nur sein »Nein« hörte ich, weiter nichts.

Er ging mit schweren Schritten hinaus und ich sah ihm nach: – das, das hatte ich nicht geahnt und nicht gewollt.

Wie ein schweres Unrecht drückte es mich den ganzen Abend. Ich wollte mit Muusch darüber sprechen, mit Ohm Rumohr, aber die beiden waren so unbefangen, sie schienen nicht das Geringste zu ahnen und auch das Nichterscheinen des Maischbauers zum Abendbrot fanden sie ganz in der Ordnung.

»Der geht mit ganzer Kraft ins Zeug,« meinte Onkel Rumohr »und eine ganze, volle Kraft ist auch hier nötig.«

Erst am andern Nachmittag sah ich Herrn Detleffsen wieder.

Wir wollten in einer Stunde reisen, und ich räumte noch Porzellan und Silber fort, das Ohm Rumohr auf der Auktion für Fritz zurückgekauft hatte. Da kam der Marschbauer mit seinen schweren, wuchtigen Schritten herein.

»Wir wollen doch nicht so auseinander gehen Fräulein Felicitas,« sagte er und hielt mir seine schwielige Hand hin, in welche ich rasch meine hineinlegte. »Da kann ja nun kein Mensch was für, und am allerwenigsten Sie. Ich dummer Mensch hatte Sie ja vom ersten Sehen an lieb, weil Sie so was ganz Anderes sind, und mein Herz war ganz närrisch vor Freude, daß sich alles so gut traf, weil ich doch meinte, Sie wären durch den Schuft Tönningsen heimatlos geworden, und ich könnt' Ihnen so einfach die Heimat wieder geben.

Und keiner hat ein einziges Wort von Ihrem Bräutigam gesprochen, – ans dem einfachen Grund, weil keiner dran dachte, so'n Bauer wie ich könnt' sein Auge zu so'n Prinzeßchen erheben, und wenn Sie von Fritz und Erich sprachen, da meint' ich, es wären die Herren Brüder. Nun – es ist ja keine Schande für Sie, liebes Fräulein, daß Sie ein ehrlicher Mensch hat haben wollen, ich – ich – werde schwer dran tragen – aber ich hab' Arbeit, genug Arbeit – und – ja – was ich sagen wollt: Alles Glück der Welt – für Sie, liebes Fräulein!«

Ich hatte die ganze Zeit stumm dagestanden, nur die Tränen liefen unaufhaltsam über mein Gesicht.

Aber dann raffte ich mich auf und wischte energisch die heißen Tropfen ab und nahm Herrn Detleffsens große Hände alle beide und schüttelte sie und sagte ihm, wie ich ihm dankbar sei, und wie leid es mir täte, daß er so ein dummes Mädel lieb hätte, und wie ich ihm so von ganzem Herzen eine schöne, gute, treue, liebe, brave Frau wünschte.

Und daß ich glaubte, er sei der beste Mensch auf Gottes Erdboden, – gleich nach Fritz – und daß ich so riesengroßes Vertrauen zu ihm hätte und ihm deshalb auch eine Riesenbitte, nein, eigentlich zwei – vortrüge, deren Erfüllung nur von ihm kommen könne.

Und da war er gleich ganz Ohr und versprach mir alles, was in seiner Macht stände.

O, solch' ein lieber, guter Mensch!

Von Stina hab' ich ihm erzählt und – Lieschen. Ja, von Lieschen.

Ich dachte nur an ihr grenzenloses Leid, und daß ihr geholfen werden müsse.

Und als ich fertig war, da reichte mir Herr Detleffsen nur einfach die Hand, da wußte ich, daß es »ja« hieß.

Stina bleibt auf dem Hof und behält ihren alten Wirkungskreis, und Lieschen soll später auch nach dem Marschhof übersiedeln und dort ihre Heimat haben.

So war's doch noch ein schöner Abschied von meiner lieben Heide da oben, und mir blieb kein bitterer Nachgeschmack, sondern nur solch ein herzliches Dankgefühl gegen den lieben Gott, daß das kleine Kerlchen so viel Liebe fand – so unverdient.

*

In Buchenwalde roch es sehr weihnachtlich nach Tannenbäumen, Wachslichtern und frischgebackenem Kuchen.

Die Familie saß beim Kaffeetisch.

»Wenn nicht mein neues Hochzeitskleid droben in strahlender Bläue hinge, und Munke ihrs rötlich daneben, und Luttewete nicht seit gestern mit der Benzinflasche zu Gange wäre, um die Kaffeeflecke aus ihrem weißen Gewande rauszukriegen, die ihr der Herr Pfarrer höchst eigenhändig draufgegossen – ich dächte, es wäre gewöhnliches Weihnachten.« Also zürnte Bümi.

»Gewöhnliches Weihnachten ist gut,« lachte Kerlchen.

»Ach, du hast gut lachen! Sag' selbst, kommt man deshalb von außerhalb meilenweit her –«

»Eine halbe Stunde mit der Bahn, Bümi.«

»Einerlei, – also kommt man deshalb so weit her, um eine Hochzeit, die Hochzeit der liebsten Cousine und Freundin so sang- und klanglos zu feiern?«

»Sang- und klanglos?«

»Doch, Kerlchen, so ist's! Überschlag' mal die Einladungen: Herr von Rumohr senior, dein Erich-Bruder, Tante Laura von Hartwig, der Schlachter Krone, – ist es nicht zum Radschlagen?«

»Tu's nicht, Bümi, du könntest dir was verknacksen,« riet Munke seelenruhig. »Weshalb ereiferst du dich? Ist es nicht selbstverständlich, daß Fritz und Kerlchen ohne Trara in ihr schwer erkämpftes Nestchen wollen? Ich finde die stille Weihnachtshochzeit unter dem Tannenbaum sehr poetisch.«

»Doch nur, weil dir dein zartes, lilafarbenes Damastkleid zu eng geworden ist und du bei einer Riesenfeier Marterqualen ausstehen würdest, während du so bei einer kleinen Familientafel bequem in dein aufgemuntertes ›Rotes‹ schlüpfen darfst.«

»Nicht mit 'ner Silbe habe ich an meine engen Seitenteile gedacht,« verteidigte sich Munke, – aber das ist alles Gefühlssache.«

»Gewiß,« warf Luttewete seelenruhig ein. »Und Gefühlssache ist es auch, wenn Kerlchen mich eben jetzt ununterbrochen auf mein bestes und einziges Hühnerauge tritt, zum Zeichen, daß über ihre Hochzeit nicht losgezogen werden soll.«

Kerlchen war sehr rot.

»Verzeih',« sagte es verlegen, »ich glaubte, es wär' das Tischbein.«

»Zankt euch nicht!« riet Onkel Waldemar. »Ich bin auf Kerlchens Seite. – Wer einen frohen, ungetrübten Brautstand hinter sich hat, der kann auch meinetwegen mit Pauken und Trompeten das Hochzeitsfest begehen, – aber unsere lieben Beiden – –«

Kerlchen sah ihn dankbar an. »Fritz meinte – –«

»So, meint er schon wieder was, Kerlchen?« fragte Bümi, »da müssen wir andern natürlich still sein.«

»Ach, Bümi,« rief Kerlchen ziemlich kriegerisch, »ich, wollte, ich hätte immer das getan, was Fritz ›meinte‹, da hätt' ich mir viel trübe Stunden erspart.«

»So, jetzt kommt mein Hühnerauge dran,« rief Bümi, der von Dr. Schirmer ein kleiner, freundschaftlicher Tritt versetzt wurde. »Beruhige dich, Franz, ich bin schon still.«

»Wann kommt dein lieber Fritz,« fragte Tante Hedwig und strich zärtlich über Kerlchens Wange. Sie war jetzt immer gut und mild, wie Kerlchen dankbar anerkannte; als schäme sie sich der einstigen Schroffheit und könnte es sich nicht verzeihen, daß sie Kerlchen damals so ohne ein gutes Wort hatte ziehen lassen in die rauhe Fremde.

»Morgen,« rief Keilchen glückselig, – »morgen!« Und es preßte die Hände ineinander, wie in überströmender Glückesfülle und sah strahlend von einem zum andern.

»Dieser Rumohr is 'n, is 'n – –«

Doktor Schirmer suchte krampfhaft nach einem Wort, das die Größe des Glückes ausdrücken sollte, das dieser Mensch jetzt in sein Haus bekam, aber Kerlchen rief so ängstlich:

»Bitte, bitte, reden Sie nicht solch dummes Zeug,« daß er seine Weisheit für sich behielt, während die andern ihn auslachten.

Draußen wurde der Schnee stampfend von ein paar derben Stiefeln abgeschüttelt.

»Hermes, der Götterbote,« lachte Bümi, sprang schnell auf und holte den dickbeschneiten Briefträger ins Zimmer.

»Laden Sie ab, Hansohm, und inzwischen braue ich Ihnen noch 'ne heiße Tasse zurecht, so mit 'n Schuß Rum, ni wohr?«

»Gnä Frau ham immer recht,« schmunzelte der alte Bote, und dann händigte er Kerlchen eine ganze Warenladung Briefe ein.

»Mehr nicht?« fragte Luttewete. »Na, schieß' mal los!«

Aber Kerlchen hatte mit einem glücklichen Ahnungsvermögen die wichtigsten Briefe sofort herausgefunden und war mit einem Sprunge zur Tür hinaus.

Droben im Parnaß ordnete sie ihre Schätze: ein Brief von Erich, einer von Fritz, einer von Tante Laura, einer vom Schlachter Krone.

Erich schrieb nur kurz:

»Ich komme, geliebtes Terle-Terle, ich komme! In welcher Stimmung ich bin, kann ich Dir ja gar nicht sagen! Ich habe Fritz selbst gesprochen, jawohl, ich war bei ihm, und Zeuge seiner tiefinneren Glückseligkeit. Gott segne Euch beide! Fritz sieht ganz prächtig aus, Du hast gar nicht viel zu pflegen an ihm. Auf frohes Wiedersehn am Heiligen Abend.

Dein treuer Erich.«


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