Felicitas Rose
Provinzmädel
Felicitas Rose

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Aus Kerlchens Tagebuch.

Erlangen, Oktober.

Da sitzen wir nun schon im lieben Bayernländchen und ich komme mir schon so blauweiß gestreift vor, als sei ich nie mit Leib und Seele »Preuß« gewesen.

Vor allen Dingen bin ich gut » deutsch« und ärgere mich namenlos über die fremden Marken, wenn mir auch die kleinen gelben Briefkasten sehr gut gefallen.

Die Krone von Erlangen sind aber der »Peter-Onkel« und die »Marie-Tante«, bei denen wir wohnen.

So was von Gastfreundschaft!

Jeden Abend, wenn wir uns in den hochaufgetürmten Betten zur Ruhe legen, nachdem wir die »Paradekissen« fürsorglich fortgelegt haben, sagen wir beide erst mal: »Gottes Segen über dieses gastliche Haus!«

Mir ist's wirklich wie ein böser Traum, daß häßliche Eindrücke hinter mir liegen, denn der Abschied von der Großmutter Tönningsen war so gut und herzlich, und ich wußte sie so wohl geborgen bei »Lieschen«, dem blonden, glattgescheitelten, ganz herzensguten Mädchen, das sofort auf Tantchens Ruf zu ihr übersiedelte. Wir verlebten noch einige schöne arbeitsreiche Tage zusammen, denn sie mußte ja tüchtig eingelernt werden.

Es machte mich ganz stolz, daß sie alle im Hof und Stall sagten, ich sei nicht leicht zu ersetzen.

Aber »Lieschen« wird sich viel leichter hier eingewöhnen, als ich; sie ist immer nur im Schatten gewesen ihr ganzes Leben lang, hat nie einen gütigen Vater, ein herzliebes Muusch gekannt, denn beide sind ganz jung gestorben. Sie fand es »herrlich« auf dem Marschhofe und war mit allen so lieb und gut, selbst mit Edmund, – sie ist viel besser, als ich.

Ich sprach Edmund auch noch vor meiner Abreise. Großmutter Tönningsen bat mich darum, – denn ich hätte es sonst wahrscheinlich unversehens – mit Willen – vergessen.

Ach, – es war nicht schön.

Er hat so schreckliche Augen, und sein Gesicht war ganz weiß, und sein Atem ging so rasch, als ich vor ihm stand.

»Leben Sie wohl,« sagte ich nur ganz rasch, aber da nahm er meine beiden Hände und fuhr mich doll an:

»Warum gehen Sie fort?«

Ich konnte vor Angst oder was es sonst sein mochte, gar nicht antworten, und er ließ meine Hände so plötzlich los, daß ich beinahe taumelte, und ging fort und ich ging auch, nein ich lief, denn ich fürchtete mich wirklich vor ihm.

Dann waren wir noch einen ganzen Abend zusammen, Großmutter Tönningsen fühlte sich wohler denn je, und Tante Hedwig war angekommen und so recht fidel, wie sie sein kann, wenn ihr die Umgebung gefällt, und Edmund war gar nicht schweigsam und erzählte sehr nette, interessante Sachen von »drüben«, so daß alle sehr eingenommen waren, und ich selbst ganz gespannt zuhörte, bis er mir seine Augen zuwendete und mich ansah.

Da war's vorbei, – ich wäre am liebsten gleich meilenweit fortgelaufen.

Aber ich blieb ganz still sitzen und faltete nur meine Hände fest ineinander und sagte immerfort leise vor mich hin, so mehr innerlich:

»Fritz Rumohr«, »Fritz Rumohr«, »Fritz Rumohr«, – das war denn wie ein Talisman, und ich wurde ganz, ganz ruhig. Andern Tags reisten wir ab.

Tante Laura von Hartwig macht ja solch ein Umweg gar nichts, und sie fand es auch ganz in der Ordnung, daß Onkel Rumohr uns noch wieder ein Stückchen begleitete, ehe er wieder gen Norden zog.

Tante Hartwig reist jetzt womöglich noch mehr, als früher, denn seitdem sie sich das Probereisen ein für allemal abgewöhnt hat, findet sie alles so furchtbar bequem und geht mit der ernstlichen Erwägung um, sich ein Zelt anzuschaffen und als besserer Nomade zu leben.

Das Eine hab ich der Großmutter versprechen müssen, – wiederzukommen.

»Und bleib' nicht zu lange,« rief sie mir noch nach mit einer ganz traurigen Stimme, da wurde mir ordentlich das Herz schwer, und ich wäre am liebsten wieder umgedreht.

Aber da stand Edmund Tönningsen wie aus der Erde gewachsen plötzlich da, – er kommt und geht immer so ganz leise auf hellgrauen, weichen, absatzlosen Schuhen – und sein rötliches Haar stand so borstig ab, und die Augen ruhten auf mir, als wollten sie mich durch und durch sehen, – o wenn ich ihm doch nie, nie wieder begegnete.

Nachdem wir einen Tag gefahren, kam noch der Abschied von Onkel Rumohr.

»Tapfer sein, Kerlchen, Kopf hoch,« schrie er mich an, – er selbst aber hatte das helle Wasser in den Augen. »Immer an Fritz denken, den vernagelten Buben,« schrie er mich weiter an, unbekümmert um die Vorübergehenden, die ob solcher Mahnung schmunzelnd lächelten.

Ob ich an ihn denke?!

Ach Fritz, mein Fritz, – es vergeht keine Stunde, – du bist immer bei mir, immer! Glaubst du mir's? Fühlst du's im tiefsten Herzensgrund?

*

Peter-Onkel und Marie-Tante nahmen mich gleich so auf, als sei ich die nächste Verwandte von Jahrzehnten an, und als habe ihr Staatsgemach, wie Tante Laura und ich das Fremdenzimmer wegen seiner unerhörten Pracht nannten, nur darauf gewartet, mich endlich einmal zu beherbergen.

Der ganze Haushalt geht nach der goldenen Lebensregel: Essen und Trinken hält Leib und Seele zusammen, und wenn ich nur Peter-Onkel sehe, fragt er besorgt: »Magst aan Fleisch, magst aan Fisch,« worauf die Marie-Tante ebenso sicher behauptet: »Dös Kind hat Hunger.«

Einzig lieb sind sie, und wenn ich früh das »Staatsgemach« verlasse und Peter-Onkels Zigarre von weitem angenehm rieche und sein flöhliches: »Sixt Kerlchen, da bist ja schon auf!« höre, dann ist mir der ganze Tag – o so gemütlich und nett verklärt.

Am liebsten behielten mich die beiden Alten, die trotz ihrer siebzig Jahre noch sehr rüstig sind, ganz bei sich, und ich blieb' auch gar zu gern in dem traulichen Häuschen mit dem kleinen, gemütlichen Garten davor, in dem ein paar späte Rosen wundervoll dufteten und blühten, die mir Peter-Onkel mit einer gar zierlichen Verbeugung überreichte.

»Die Rose der Rose,« sagte er und lachte so herzlich und »sein' Marie« lachte auch.

Aber heute heißt es, den Stab weiter setzen, wir sind noch rasch in dem lieben Studentenstädtchen umhergelaufen, haben uns die Häuser der »Uttenruthia«, »Bavaria« und »Bubenruthia« angesehen, das Letzte vor allen Dingen, denn da erzählte unser lieber Möllner Pfarrer so viel davon.

»Du hast schon viel hellere Augen,« sagte gestern Tante Laura befriedigt und klopfte mir die Backen. »Reisen ist ein Universalmittel und kommt gleich nach Kamillentee.«

Ach, sie weiß ja nicht, daß die Sehnsucht nach meinem Fritz überall mit hin wandert, und dagegen hilft auch kein Kamillentee.

Nürnberg, Oktober.

Drei Tage bin ich nicht zum Schreiben gekommen, obgleich ich recht genau Buch führen wollte, – aber der Schreck war mir in alle Glieder gefahren –

Wir, Tante Laura und ich, wohnen im Kaiserhof, und gegenüber von uns sind die Hotels »Zum weißen Hahn« und »Zum roten Hahn«.

Es regnete, als wir ankamen, deshalb stellte ich mich auf unsern hübschen, mit Herbstblumen bewachsenen Balkon und schaute mir das alte, liebe Nürnberg ein wenig an.

Dabei musterte ich auch die Häuser gegenüber und war sehr erschrocken, als mir aus dem zweiten Stockwerk des »weißen Hahns« jemand zunickte, der – ganz entschieden nicht fertig angezogen war.

Er winkte und winkte mit den hemdärmlichen Armen und zuletzt warf er sogar eine Kußhand hinüber.

Da drehte ich mich wütend herum und ließ den Vorhang mit Gepolter herunter.

»Du bist wohl von 'ner Kuh gebissen,« fragte Tante Laura in ihrer verblüffenden Ausdrucksweise, denn sie schrieb gerade an einem Brief, und die jäh hereinbrechende Dunkelheit hatte sie sehr erschreckt.

»Ach wo,« sagte ich, »eine Kuh ist nicht da, aber ein greulicher Mann, der mir halb angezogen zunickte.«

»O die elende Großstadt,« seufzte Tante Laura. »In Mölln könnte so was nie passieren, da wärs gleich rum, und der Reisende müßte sofort mit seinem Musterkoffer abziehen. Ich werde mir den Kunden mal ansehen.«

Damit zog sie den Vorhang wieder hoch und trat sehr energisch auf den Balkon.

»Wahrhaftig, er winkt immer noch,« rief sie empört.

Dann nahm sie zur besseren Orientierung ihr Opernglas vor die Augen, ließ es aber rasch wieder sinken und sagte: »Nein, er hat wirklich zu wenig an.«

Ich zog sie vom Altan fort, und wir machten uns rasch zurecht, nm nach der »Burg« zu gehen. Wie interessant waren die alten Straßen und Häuser, das Bratwurstglöckli, das Gänsemännchen und all die wunderschönen, alten Kirchen.

Wir waren schon viele Stunden herumgestreift, als wir endlich auf die Burg kamen.

Der fünfeckige Turm, »das älteste Baudenkmal der Stadt« zog uns zuerst an, und da Tante Laura etwas von »Museum« las, so gingen wir hinein.

Sehr dunkel wars drinnen, außerdem tönte ein heftiger Wortwechsel heraus, und wir unterschieden eine männliche und eine weibliche Stimme. Die männliche sprach im schönsten Thüringisch und schimpfte gewaltig, die weibliche sprach hoch und piepsig im bayrischen Dialekt.

»Enne Sinne un enne Schanne is es, sowas hier vorgezeigt zu bekommen, – si Deibel, da gann mer ja de Grepiepse kriejen. Un auserdem glaub echs Sie nich, – so'ne Scheisäler hats nich jegeben, Sie liejen sich un mich de Hucke voll.«

Und dagegen wetterte die hohe Frauenstimme:

»Dös, wann i jetzt a bissel Hülf hätt, – Sie sollten's a Watschen ham, Sie Spatzenschrecker, Laamsieder verdächtiger – – – «

»Komm', Tante Laura,« rief ich leise und zog sie am Kleide von der Schwelle zurück, »hier sieht's unheimlich aus.«

»Bangbüx,« entgegnete sie ärgerlich, »meinst du, in einem Museum zankt man sich nicht? Das kommt in den besten Familien vor, sogar in den Häusern des Reichs- und Landtags.«

Damit war sie hineingegangen, und ich folgte. Eben hatte sie die Karten erstanden, als plötzlich eine große rote Hand sich auf die meine legte und ich, erschrocken zusammenfahrend, einen Schrei ausstieß.

»Nä, das Kind derf nich nein, eche leid's nich,« schrie der dicke, große Mann, hinter dem noch immer zeternd die Museumsjungfrau stand, »unser Gerlichen derf so was nich sehen, Gott Lob und Dank, daß echs g'funden heb. Gommen Se Freilein Gerlichen, wir machen 'naus!«

»Herr Krone!«

»Nu freilich, Krone, mei liebes, einzches

Himmelhundchen Sie! Hab 'ch Sie denn endlich gefunde! Gsehn ham mer uns je schon heit Morjen, ech wohne ju schrä niber von Ihnen in »weißen Hahn« un konnte nur nich so nah ans Fenster träte wejen mei Neklischeh. Awwer wie ech sah, daß der andern Dame was an mir lag, weil se doch mit'n Opernkucker uff'n Aldan trat, da heb 'ch mer gesputt un bin gleich niber geprescht in'n Kaiserhof, aber da warsch's Essig un Sie waren schonne neingemacht nach Nirnberg.«

Tante Laura stand auf Kohlen, ich sah's ihr an, aber ich hatte meinen ältesten Freund fest an der Hand gefaßt und war ganz unsäglich glücklich.

»Dader drinnen ist's ferchterlich un der Mensch versuche de Getter nich,« rief Schlachter Krone in einer literarischen Anwandlung, »nischt wie Halseisen un Pechpfannen un Nägels un das Mächen behauptet, damit wär den Leiten ins Gesichte gerammelt worden, – su ä Quatsch. Das litte nich mal de Bollezei in Schwarzhausen un da liegt se noch gar sehr in den Windeln.«

Die Museumsjungfrau wollte wieder auf meinen Freund los, aber ich zog ihn energisch mit fort, wir hörten nur noch ein Kosewort hinter uns drein schallen: »Ungebildetes Pack!«

Ich stellte nun in aller Ruhe den guten Schlachter der Tante Hartwig vor, die gar nicht erbaut von ihm war, was er aber nicht merkte.

»Kommen Se Freilein,« sagte er jovial zu ihr und zog ihren Arm durch den seinen, »mir marschieren etze in de Stadt zurick un suchen uns ä Plätzchen im Bratwurschtgleckli, da essen mr ä Sauerkraut un e baar Werschtchen un trinken uns einen an. 's Leben is 'ne Hihnerleiter.«

Tante Laura reckte sich bolzengerade und versuchte, ihren Arm aus dem seinen zu lösen, aber es mißlang vollständig.

»I du grundgitige Neine,« meinte Schlächter Krone vorwurfsvoll. »Sein se doch nich so etepetetch, – ich schenier mich ja au nich.«

So zog er denn als »Henkelpöttchen« in die Stadt ein und führte uns ins Bratwurstglöckli.

Kaum aber hatte er einen festen Sitz unter sich, ein Bayrisches sowie Sauerkraut und Bratwürstchen vor sich, so zog er ein blaugewürfeltes Taschentuch hervor, schneuzte sich mit Nachdruck, und – fing bitterlich an zu weinen.

»Was missen Sie nur denken,« jammerte er, »daß ich noch mit keinen Wertchen an meine liebe Frau gerihrt habe?«

Wir versicherten ihm, daß wir das sehr natürlich fänden und daß wir auch das Bratwurstglöckli nicht für den geeigneten Ort hielten, unser Beileid auszusprechen, oder für ihn, seinen Schmerz auszutoben, aber er ließ sich nicht beirren, sondern hielt dem ganzen Tisch, an dem schmunzelnd eine Reihe Fremder saß, einen Vortrag über die Krankheit seiner Alten und ihr rasches Sterben.

Ach, gewiß, sie lächelten alle über ihn, und Tante Laura warf mir verzweifelte Blicke zu, aber ich hörte nur das bittre Leid aus seinen Worten und mußte immer wieder die alte, vertraute Gestalt ansehen, die tausend liebe Kindererinnerungen in mir weckte.

Schließlich wurde es mir auch ganz wehmütig zu Sinn (ich hatte nebenbei das große Litergefäß beinahe leer getrunken), und ich lehnte meinen Kopf an seinen dicken, grauen Friesrock, den er statt eines Überziehers trug.

Seine große, schwielige Hand streichelte mich zärtlich.

»Das weiß, wie mir zu Mute is,« wendete er sich an die Umsitzenden, »das hat's Leben schon elend gebackt und geschittelt, gelle Gerlichen? Erscht d'n Vater verlorn, un was forn Vater, un nunne au noch' Breitjam sozusagen hallewege.«

Nun stand aber Tante Laura auf und wollte gehen, vorher aber unser Mahl bezahlen.

»Is allens besorcht, Freilein,« rief Meister Krone ihr zu und klopfte klirrend an seine rechte Hosentasche, darinnen der lederne Geldbeutel steckte. »Sie sin meine Gäste, das is der erschte Verstehstemich. Nu lieber Gott, meine Alte trank drei solche Dinger uff einen Hieb. – Sie ham ja nur wie ä Sperlingche genippt. Un wo machen mer nu hin?«

Tante Laura versuchte ihm begreiflich zu machen, daß wir beide notwendig der Ruhe bedürften, das Reisen habe uns sehr angegriffen, aber Schlachter Krone ließ sich auf nichts ein.

»Etze ham mer uns gfunden, etze bleib'mer bisamm,« rief er. Schlafen genne Se noch immer, aber nach's Essen. Etze wird erscht mal gfuttert.«

Er bot wieder Tante galant den Arm, ich hatte den andern schon längst genommen, und wieder half ihr das Zögern nichts.

»Ich denke, mer geben unser gutes Geld Ihren Wirt zu verdienen,« sagte er, während wir durch Nürnbergs Straßen wanderten, »Der Kaiserhof hat ä gutes Restorang un ä weritabeln Tropfen. Allo marsch.«

So zogen wir denn in die seine Wirtschaft ein, und Schlachter Krone bestellte eine Menge guter Sachen, nachdem er den Kellner arg angefahren hatte, der uns fragte, ob wir ein » Diner« oder » à la carte« zu speisen wünschten: »Reden Sie gefälligst deitsch, engelsch kenne mer nich.«

Tante Laura trank nur ein Täßchen Bouillon, zog sich dann etwas Fisch zu Gemüte, schnitt sich ein Finzelchen Braten ab, und dankte sowohl für Pudding, als auch für Butter und Käse.

Schlachter Krone und ich dagegen aßen zwei Speisekarten herunter, die Kellner liefen wie die Wiesel, und alle Anwesenden freuten sich über unsern guten Appetit.

Zuletzt versicherten wir uns aber beide, daß wir nicht mehr »papp« sagen könnten. Und als Schlachter Krone sich noch zu Tantens Entsetzen einen »Ziehjarn« ansteckte (Schwarzhausener Ernte), welche auch sämtliche Kellner zu Nasenrümpfen reizte, während ein nahesitzender Reisender halblaut sang: »Rauch' sie in der Fischerhütte zwischen Wann- und Schlachtensee–« – raunte mir Tante Laura energisch zu:

»Wir gehen jetzt, und du suchst auf jede Weise diesen Kerl loszuwerden, der ist ja zum ohnmächtig werden.«

Ich nickte betrübt. Für mich war er nicht unerträglich, für mich stellte er »Schwarzhausen« dar, meine Kindheit, meine sorglose, erste Jugend, für mich war er Beschützer, mein ältester Freund und einer der Wenigen, die mein Väterchen so ganz nahe gekannt hatten.

Wie ich ihm gut war!

»Was hat sie?« fragte mich Meister Krone halblaut und zeigte mit dem Daumen nach Tante Laura. Ich antwortete nicht, ich schlich mich hinauf in unser Zimmer, wahrend Tante Laura den Streit mit dem Meister um das Bezahlen wieder aufnahm, der diesmal mit ihrem Siege endete.

Oben warf ich mich auf mein Bett und grübelte. So ein lieber, guter Meister Krone! So treu und bieder, so puddelnärrisch in seiner Sprache und seinem sonstigen Gebaren, so sauber und altväterisch gekleidet, – was wollte Tante nur?

Ihn vor den Kopf stoßen?

Sollte der gute alte Mann merken, daß wir uns seiner schämten?

Wir?

Ich tat es nicht, ich hatte ihn lieb und ehrte ihn.

Und so wie ich mich etwas zurecht gemacht hatte, wollte ich wieder hinunter zu ihm, meinetwegen auch in den »Weißen Hahn« hinüberlaufen und ihn wieder holen, ihn bitten, uns zu verzeihen. Guter Meister Krone! Nein, nein, du hattest es nicht um mich verdient, daß dein altes, kleines Kerlchen dich verleugnete.

Ich sprang vom Bett auf, wusch mich, striegelte meine widerspenstigen Locken mit Kamm und Bürste und zog mein hellgraues Tuchkleid an.

Das war mein liebstes, Schlachter Krone sollte merken, daß ich ihn ehren wollte, er wußte, daß schon früher auf meinen Geburtstags- und Weihnachtswunschzetteln immer gestanden hatte: »Ein Kleid (hellgrau).«

Jetzt noch den großen schwarzen Samthut aufgesetzt, der in tadelloser Neuheit in der Hutschachtel lag, den neuen Mufflonpelz umgelegt, den mir Tante Laura heute morgen erstanden, die grauen dänischen Handschuhe – – –

»Himmel, Kerlchen, wen willst du unglücklich machen?« rief Tante Laura, die in der Tür stand.

»Meister Krone,« rief ich lachend und auch halb trotzig. »Jetzt gleich gehe ich zu ihm – verzeih', Tante Laura, – er, – er darf nicht gekränkt werden – – – «

Tante Laura faßte mich an den Händen und schüttelte mich derb.

»Wer will ihn kränken, du Dummes?« fragte sie, und ich sah, daß sie sehr erregt war. »Aber du hast recht, Kerlchen, – sehr recht, – wie du überhaupt längst nicht so dumm bist, wie du aussiehst. – Miserabel hab' ich mich benommen, – und jetzt in dieser knappen Viertelstunde, als du hier oben bocktest mit mir, hab' ich den Alten allein auf dem Halse gehabt. – – Kerlchen, du hast keinen treueren Freund, als ihn.«

»Weiß ich!«

»Kerlchen, sei nicht trotzig. Bild' dir nicht Schwachheiten ein und sei kein Pharisäer, weil du diese Perle eher auf ihren Wert erkannt. Bei dir spricht auch die Dankbarkeit mit, und außerdem kennst du ihn von Urbeginn. Nein, dieser Krone! Ein Prachtmensch! Ein Edelmann!« –

Da lag ich auch schon in Tantchens Armen.

Und dann machte sich Tante Laura auch pikfein, und war mein Einband hellgrau, so war der ihre schwarz, und unter dem schwarzen Hut sah ihr weiches, graues Haar sehr vornehm aus.

»Wohin gehen wir, Tantchen?«

»Planlos spazieren,« entgegnete sie. »Herr Krone will uns abholen, und abends geht's ins Theater; er sagte, er hätte seiner Seligen fest in die Hand versprechen müssen, niemals an »Bildung« vorüberzugehen, und zur Bildung rechnet er das Apollotheater mit den »Schlierseeern«. O, Kerlchen, was ist das für ein Mann, was hab ich für einen Einblick in sein biederes Herz getan!«

Tantchen war ganz aufgeregt.

»Und wie ich gehen wollte,« erzählte sie, »da machte er mir eine wunderlich tiefe Verbeugung und sagte: ›Na, nu verstehn mer uns mit einmal – gelle? Un nu seien Se geine Tante un lassen Sie mich berappen, so gehert sich's.‹ Damit kriegte er den ahnungslosen Kellner an der Gurgel, jagte ihm das Geld, was ich ihm gegeben, wieder ab, um es ihm dann auf's neue aus seinem eigenen Portemonnaie zu überreichen, nebst einem Taler Trinkgeld, – der ›Ober‹ griente von einem Ohr zum andern. Und dann schlug er mich auf die Schulter, daß ich zusammenknickte und rief: ›So, und nun marsch nauf un unser Kind geholt.‹ So, als lebten wir seit zwanzig Jahren in glücklichster Ehe. Die Kellner prusteten hinter ihren Servietten, ich sah es wohl, aber mich kümmerte es nicht. ›Eine schöne Menschenseele finden, ist Gewinn,‹ dachte ich.« – – –

»Da kommt unsere schöne Menschenseele aus ihrem Hotel heraus,« rief ich, »o, Tante, er hat den Frack angezogen und was für einen, und all seine Orden hat er angelegt, und – o, Tante, der Zylinder!!«

Tante warf einen Blick hinaus und schauderte.

»Bei aller Hochachtung, Kerlchen, so können wir nicht mit ihm spazieren gehen, – der Oktober ist doch gar nicht so warm mehr und Fräcke pflegen dünn zu sein, die Orden wärmen auch nicht, – er wird doch nicht seinen entsetzlichen grauen kurzen Fries über den Schwalbenschwanz ziehen wollen?«

Schlachter Krone stand auf der Mittelstraße und winkte, er war so versunken in unsern Anblick, daß ihm ein vorüberfahrender Wagen beinahe die große Zehe entrissen hätte. Wir winkten ihn nun erst mal unsrerseits, und nach wenig Minuten stand er in unserm Zimmer.

»Donnerschtag und Freitag!« rief er bewundernd aus. »Da weiß mer nich, wäm mer de Balme reichen soll, där Jungen oder där Öllerhaften. Scheener firsch Auge is ja das Gerlichen, aber – à la boncoeur, de Vornehmigkeit ham Sie gepachtet, Freilein von »Hartewich.« Damit schlug er Tante auf die Schulter, daß sie das Gleichgewicht verlor.

Es verging eine geraume Zeit, ehe wir's ihm klar gemacht hatten, daß er nochmal zurück müsse, daß dieser Auf- und Anzug unmöglich für unsern Spaziergang passe.

»Abber wir wollen doch ins Thejater?!« rief er immer wieder kläglich. »Ich hab doch Losche genommen, fünf Mark pro Platz, es is so fein drin, daß es en Hund jammern kann und man derf nich mal sei Butterbrod mit nein nehmen, nur die Hite dirfen die Damens uffbehalten, und das dirfen die andern Damens uff den andern Plätzen nich.«

»Einerlei, lieber Meister! Den Frack zieht man nur zu großen Gesellschaften, Hochzeiten usw. an,« bemerkte Tante, »man würde uns fürchterlich ansehen.«

»Donnerkiel, das soll mer ja auch,« rief Herr Krone aufgeregt, – »so was sieht mer au nich alle Tage! Und wenn ich zehnmal mei Frack ausziehe un die Ordens weg tue, dann gucken de Leite ebend nach Ihnen und fragen: »Dunnerje, wär sin enn die hibschen Mächens?«

Tante Laura lachte Tränen.

»Tun Sie mir die Liebe, Meister,« sagte sie dann sanft und faßte seine Hand, »es ist besser so.«

Er sah sie mit merkwürdigem Gesicht an und richtete auch später immer verstohlen die Blicke auf sie.

Ich glaube, im Theater hat an dem Tage Tantchen öfters gewünscht, allein zu sein mit mir, denn das dröhnende Lachen des guten Meisters war mehr als einmal die Ursache, daß sämtliche Blicke auf uns ruhten.

Aber schlimmer war's noch, als er weinte, laut schluchzend und fassungslos: »Almenrausch und Edelweiß« war zu rührend.

Als wir das Theater verließen, war Tante Laura »schachmatt«.

»Na,« sagte sie, »ich habe den Nibelungenring in Bayreuth hintereinander gesehen, aber so griff es mich nicht an wie Almenrausch und Edelweiß mit Schlachter Krone dabei.

»Freilein,« rief dieser, noch mit Tränen in den Augen, »so was Scheenes hab' ich nie nich belebt, das geht noch über Hamletten.«

»Kennen Sie denn Hamlet?« fragte Tante erstaunt.

»Nu freilich, das wurde doch in Schwarzhausen gegeben, in der Scheune vom Wirt zur Dreck'gen Gabel. Un scheene wurd's gespielt, weils aber ursprünglich vom Schäksbier so graulich gemacht worden war, nahm der Direktor Ricksicht auf die Schwarzhausener un gab extra 'n Zettel raus, dadruff stand: ›Auf allgemeines Verlangen heiratet am Schlusse Hamlet die Ophelia.‹ »Ach und das war scheene!«

Inzwischen waren wir ans Hotel gekommen, und wir zogen uns gleich in unser Gemach zurück. Freilich, Meister Krone war noch sehr für's Beisammenbleiben und »Futtern«, aber Tante Laura blieb fest.

»Sie haben recht, Freilein,« meinte er endlich und drückte ihr krampfhaft die Hand. »Ein Wittmann in den besten Jahren is rasch in aller Leite Meiler.«

»Du liebe Zeit, nein, Meister, so meinte ich's nicht,« rief Tante, »ich komme doch wohl hier nicht in Betracht.«

»Sin Se stille! Alter schützt vor Torheit nich!«

»Ein bißchen unglaublich ist er doch,« seufzte Tante beim Auskleiden, »ich habe immer gezittert in dem Gedanken, was nun wohl kommen und den Kellnern Veranlassung zu Bemerkungen geben könnte!«

»Ach, Tantchen, darum brauchen wir uns doch gar nicht zu kümmern,« lachte ich sorglos.

»Kind, Kind! Auf Reisen doppelte Vorsicht!«

*

Am andern Morgen wollten wir eigentlich heimlich ausrücken, nach Regensburg fahren und dem guten Meister ein paar freundliche Abschiedsworte hinterlassen. Tante hatte den frühesten Zug, der um acht Uhr ging, ausgesucht.

Wir frühstückten, um ganz sicher vor Störung zu sein, auf unserm Zimmer, aber schon um sieben Uhr bullerte es energisch an unserer Tür, und Meister Krone stürmte nach einem aufgeregten Wortwechsel mit dem Zimmermädchen, herein.

»Entschuldigen Se, aber der Mensch hat au 'ne Galle,« rief er, »solche ›Quatschmeiler‹ wie Ihre Tauten hier sin mer au noch nich vorgekommen. Wollten mich nich 'neinlassen.«

»Ach, da hätte ich mich doch nicht gezankt, mein lieber Meister, sondern wäre hübsch draußen geblieben,« begütigte Tante mit einem kleinen Wink, den der gute Krone aber nicht verstand. »Übrigens ist's ganz schön, daß wir uns noch gesprochen haben, wir reisen um acht Uhr.«

»Wohin denn? Um Gotteswillen, un davon weiß ich nischt?«

»Wir wollten Sie nicht in Ihren eigenen Reisedispositionen hindern, wir, wir wollen, – nach Regensburg.« –

»Justement gerade un uff's Tittelchen der Punkt, den ich mer au ausgesucht hatte,« rief Schlachter Krone fröhlich. »Ich sagte mer noch gestern abend, nischt geht doch über's Zusammenreisen.«

Tante Laura schien anderer Meinung zu sein.

»Aber machen Sie sich doch ja keine Unbequemlichkeiten unsertwegen, Meister,« rief sie ängstlich.

»Nich rihr an! For Damens bin ich immer zu sprechen, und außer Ihnen hab ich noch 'ne Viehlieferung nach Regensburg.«

»Na, – dann ist wohl nichts zu ändern.«

Tante Laura seufzte schwer.

»Nur immer allerte, Fräulein,« ermunterte Herr Krone, »lange habe ich ja nicht zu tun, ich spute mir schon, un denn zeige ich Ihnen Regenschburg mit die Brücke und den interessanten Strudel, da gibt's ä feines Gedicht driber, wenn mer da mit ä paar Mächens driber fährt, de soll mr's gleich merken wie's in Punkto »Moral« steht.«

»Felicitas, wir müssen aufbrechen,« rief Tante.


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