Felicitas Rose
Provinzmädel
Felicitas Rose

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Brief von Fritz von Rumohr an Kerlchen.

»Mein Einziges!

Die Stunden schleichen, trotzdem sie voll frischer, fröhlicher Arbeit sind, Du fehlst mir überall, mein liebes Lieb!

Dazu dieses häßliche, naßkalte Wetter, das die Bestellung der Felder so erschwert und uns auch am Bauen sehr hinderlich ist.

Bis Mai werden wir natürlich nicht fertig, ich habe deshalb angeordnet, daß wir vorläufig in Rumohr wohnen, was bei den Walküren wohl etliche Freudensprünge zur Folge haben wird und sie gewiß vollständig versöhnt mit mir, wenn ich gegen ihren Willen mein geliebtes Kerlchen schon im Frühjahr zu mir hole.

Natürlich zeige ich Dir erst mal die schöne Welt, ehe wir uns seßhaft in Rumohr machen, ich will Dich außerdem für mich allein haben, ganz »leinileini«, wie ich als Kind immer sagte, woraus Du siehst, daß Du Dir einen schauerlichen Egoisten aufgehalst hast.

Kerlchen, wie hab' ich Dich lieb! Von Urbeginn an bist Du mein gewesen! Ich sehe Dich immer noch im schwarzen Kleidchen vor dem Altar der alten Schwarzhausener Kirche knieen am Tage Deiner Konfirmation, sehe die Sonne auf Deinem Lockenkopf spielen und ein Strahlenkränzchen um Dich weben.

Seitdem schrittest Du immer, immer an meiner Seite, nur mir sichtbar, als mein guter Engel, mein Heiliges!

Ich küsse Dich zärtlich, mein Herzensliebling, komm, lege Dein Köpfchen an meine Schulter, bist Du nun in Deiner treuen, starken, warmen Heimat, mein Kerlchen?

Schicke mir einen langen Schreibebrief. Du mußt bedenken, daß Deine große, energische Schrift gar zu rasch eine Seite ausfüllt und daß Dein einsamer Schatz immer mit tiefem, schmerzlichem Seufzer Dein Brieflein aus der Hand legt. Aber dieses Langen und Bangen hat nun, will's Gott, bald ein Ende, – im Mai, im schönen Maien hab' i viel noch im Sinn! Kerlchen – ich sehne mich nach Dir und küsse Dich im Geiste zärtlich – stürmisch, leb' wohl, leb' wohl Du mein Einziges!

Dein Rumohr.«

Antwortbrief von Kerlchen.

»Lieber Fritz!

Es geht wirklich nicht. Das mit dem Mai, meine ich. Es wäre furchtbar gut von Dir, wenn Du es endlich einsehen möchtest. Sieh' mal, ich bin auch noch so namenlos dumm in allem, Du weißt es nur nicht so.

Und keiner von Deinen Leuten würde Respekt vor mir haben und das willst Du doch, Du hast es mir selbst gesagt. Aber bis zum Oktober wird der Respekt schon kommen, bis dahin lerne ich noch einen Haufen.

Du fragst mich immer und immerlos, ob ich Dich lieb habe, aber ich glaube, ich hab' es Dir schon dreimal gesagt und auch einmal geschrieben.

So etwas Wichtiges mußt Du nicht so rasch vergessen.

Jetzt lerne ich das Kochen. Ich brauche es ja leider nicht, wenn ich Deine Frau bin, aber Tante Hedwig sagt: »Wer nie gehorchen lernte, der kann auch nicht befehlen,« und das bezieht sie auch aufs Kochen.

Ich muß Dich nun rasch fragen, ob wir später immer »fein« essen, wie es z. B. die Altenhofer taten, oder ob wir so gemütlich schmausen, wie Dr. Schirmers. Mir schmeckt dort immer alles so gut, aber Bümi meint, Du würdest Dich für »Leuteessen« bedanken.

Du liebe Zeit, wir sind doch auch »Leute«.

Ich frage nämlich deshalb, weil ich so ein einfaches Menü wie: »Kartoffelsuppe, grüne Bohnen und Schweinskoteletten« schon fein herrichten kann. Die Suppe neulich war eine Idee zu dünn und länglich, auch hatte ich das Salz vergessen, die Bohnen schmeckten köstlich, nur zogen sich die Leutchen immer die langen Fäden aus den Zähnen, und die Kotelettes waren ein bißchen zu schwarz gebrannt, aber sonst, wie gesagt – alles tadellos.

Bümi sagte, ich sollte Dir dieses Essen nicht eher bereiten, ehe nicht das Standesamt sein Wort gesprochen, aber sie hat immer solche Ideen.

Neulich war hier Besuch.

Graf Liburg hatte sich mit einigen Rittergutsbesitzern der Umgegend angemeldet, um Onkels neu eingerichtete Ställe zu besehen.

Es ist ja alles so hochfein jetzt bei uns; seit Ohmchen die Mittel hat, kann er seinen philanthropischen Gelüsten ordentlich frönen, die schöne Bletz, unsere beste Milchkuh, hat einen feineren Salon als Tante Hedwig, wenigstens nach meinen »Kerlchenbegriffen«, wie Bümi sagt.

Aber Du wirst mir sicher Recht geben, denn Tante Hedwig besprengt ihr Zimmer täglich mit dem gräßlichen »Esbouquet«, was die Bleß nicht tut.

Aber ich wollte Dir von unserm Besuch erzählen, er war wirklich sehr interessant.

Tante Hedwig war in ihrem ff, hatte ein Menü aufgestellt, an dem sich meiner Meinung nach bequem eine Kompagnie Soldaten satt essen konnte und ich, ich sollte kochen. Ich, Kerlchen!

Ich tat mir eine Riesenschürze um, denn das gibt schon von vornherein 'ne gewisse Würde, Mutund Beruhigung.

Ich sollte also kochen:

Legierte Suppe mit Grießschnitten,
Kaviar mit Blinis,
Filets von Zander mit Kräutersauce,
Roastbeaf,
Stangenspargel mit Croquettes von Kalbsmilch,
Farcierter Puter mit Champignons,
Mayonnaise von Lachs,
Rehbraten,
Rosenkohl mit Semmelcroutons,
Plumpudding,
Marasquinocreme,
Vanilleeis.

Ha, und dann noch die Saläter und Kompötter!

Aber ich wußte alles und lief in meiner großen Schürze seelenvergnügt unten in die Küche.

Die Obermamsell und die zweite Köchin hörten mich gar nicht, die saßen tief gebeugt über ein Buch, aus dem sie sich vorlasen. Erst als ich ganz nahe stand, fuhren sie erschrocken auf und klappten das Buch zu.

»Es ist 'ne Gemeinheit,« sagte die Obermamsell, aber sie meinte mich nicht, sondern die russische Gräfin in der Geschichte. Stina Hansohm ist gut Freund mit mir, überhaupt das ganze Küchenpersonal, und sie freuten sich diebisch, daß ich herunterkam.

Nur über das Kochen schüttelte die Obermamsell sehr den Kopf, weil es doch gerade so sehr darauf ankam.

»Gnädiges Fräulein sollten gewiß man en bißchen zugucken und sehen, wie's gemacht wird,« meinte sie zweifelnd.

»I wo,« beharrte ich. »Ich habe die ganze Speisenfolge gestern auswendig gelernt, und wie jedes einzelne Gericht zubereitet wird, ich kann es am Schnürchen.«

»Ach, Du liebe Zeit,« meinte Stina Hansohm, »das ist so Bücherweisheit, – gnädiges Fräulein müßten erst so'n Diner mindestens einmal allein gekocht haben, ehe Sie's verstehen.«

»Na, merken Sie auf, Stina,« sagte ich.

»Zuerst kommt Kaviar mit Blinis. Kaviar ist ja Gott sei Dank von Natur schon fertig, nun die Blinis': Also – – – Kalbsmilch, welche wie in Nr. 402 gereinigt, gar gekocht und abgekühlt ist, schneide man in kleine Würfel und verfahre weiter damit, wie mit dem Hühnerfleisch in Nr. 282 – – – «

»Ach, gnädiges Fräulein, das gibt ja Croquettes von Kalbsmilch, wenn's fertig ist,« jammerte Stina, »und die haben wir ja erst zum Spargel, o, o, o, wenn Se nur nich ›theorätsch‹ sein möchten, sondern ›praktsch‹«.

Ich war natürlich sehr betippert, denn wenn ich nun auch ebenso rasch die richtigen Blinis herunterrebbelte, so hatte ich mich doch sehr blamiert.

»Wissen Sie was, gnädiges Fräulein,« fing jetzt Stina wieder an, »Sie bleiben ruhig hier in der Küche, ich bin ja doch vors Kochen da und krieg meinen guten Lohn, ich glaube immer, die gnädige Frau hats nicht so bös gemeint, als sie sagte, Sie sollten kochen, und da hätten ich und die Nora und die Fite 'ne große Bitte: Wir sind an so'ner spannenden Stelle in unserer Geschichte, gerade eben hat die elende Gräfin die bildschöne Kuhmagd in ein Fallgatter geschmissen und der Graf kam dazu, aber da mußten wir 's Buch zuklappen. Wenn Sie uns nun vorlesen möchten – – –«

Na und siehst du, Friedel, das tat ich denn auch und las ihnen vor, es war aber Blödsinn.

Gegen Mittag kam Tante Hedwig plötzlich heruntergestürzt mit schreckenerfülltem Gesicht, ich wurde glühend rot und glaubte, sie würde arg schelten, aber sie schrie mit einem Erleichterungsseufzer: »Dem Himmel sei Dank, ich glaubte schon, du kochtest. Es war ja nur Scherz, aber Waldemar meinte, du seist imstande und führtest ihn aus. Das Fräulein hat doch nichts angerührt?« wendete sie sich noch ängstlich an Stina, und diese versicherte: »Bewahre, – ich weiß schon Bescheid.«

Beinahe wäre ich empfindlich geworden, aber Tante Hedwig merkte wohl, was in mir vorging, und sagte gütig: »Einziges Kerlchen, du mußt den Tisch schmücken und deine reizend gemalten Kärtchen auflegen, der Gärtner hat sich in den Finger geschnitten und ist vorläufig unbrauchbar. Auch den Wachsbohnen- und Gurkensalat kannst du bereiten, denn so wie Kerlchen versteht das niemand.«

Damit entschwand sie wieder aus der Küche, und ich las die Geschichte schnell fertig, denn es war ein graulicher Schluß, sie lagen schließlich alle tot im Fallgatter, nur der edle Graf und die Kuhmagd kriegten sich lebendig.

Als wir später bei Tisch saßen, wollte es ein merkwürdiges Geschick, daß gerade die Schmückung des Tisches, die ich mit Efeu und Vogelbeeren bewerkstelligt hatte, Aufsehen erregten, ebenso die Tischkarten, und als Graf Liburg von dem ganzen köstlichen Diner nur den Bohnen- und Gurkensalat rühmend erwähnte und gegen Tante das Glas hob, hieß es: »Das alles ist Felicitas' Werk.«

Na, da guckten sie nicht schlecht und Baron Biestorp, ein wirklich greulicher Mensch, der neben mir saß, verzog seinen ohnehin großen Mund zu breitem Grinsen und sagte flüsternd: »Gnädiges Fräulein können also alles, – ›bezaubern‹ und ›Hausfrau sein‹, welch' eine ›bezaubernde Hausfrau‹ werden Sie einmal abgeben.«

Ich glaubte doch natürlich, er spielte auf Dich an, denn ich ahnte ja nicht, daß das Greul nichts von unserer Verlobung wußte. (Der Diamantring sieht auch so gar nicht verlobt aus.) Deshalb schrie ich laut über die Tafelrunde weg, denn ich ärgerte mich, daß er geflüstert hatte:

»Ach ja, mein Mann wird hoffentlich sehr glücklich.«

Tante Hedwig plinkte mir mit verzweifeltem Gesichtsausdruck zu, Onkel Waldemar und Graf Liburg lachten schallend und der letztere stieß mit mir auf den »Glücklichen« an. Baron Biestorp machte ein Schafsgesicht. Los wurde ich ihn aber trotzdem nicht. Wie ein Schlehdornzweig, in den man sich im Walde verheddert, und den man dann hinter sich herschleift, so hakte er sich an mich fest. Du weißt es ja, Liebster, wenn wir in unserm Thüringen zusammen spazieren gingen und ein solcher Dorn schleifte hinter mir her, wie Du ihn dann schwungvoll befördertest und riefst: »Wieder einen Verehrer an die Luft gesetzt, Kerlchen!«

Baron Biestorp wich also nicht von meiner Seite, und als Onkel Waldemar einen Waldspaziergang vorschlug, nahm er gleich meinen Regenschirm, um mich beschützen zu können.

Höflich war ich nicht zu ihm, das kannst Du glauben, aber ich wollte furchtbar gern etwas von ihm heraushorchen, er ist nämlich Kammerherr am Schwarzhausener Hof, hat aber auch ein großes Gut in Schleswig-Holstein. Er erzählte denn auch eine Menge und freute sich augenscheinlich über die Maßen, daß ich solches Interesse an dem Hofleben entwickelte.

Mit einem Male blieb er stehen, holte einen Krimstecher hervor, guckte ringsum und fragte endlich ahnungslos: »Sagen Sie mal, liegt denn nicht das große Rittergut Rumohr hier herum.«

Glühend rot wurde ich, und um das zu verbergen, drehte ich ihn an den Armen nach der richtigen Stelle und sagte »da«.

Während er sich Dein liebes Haus besah (man konnte das herrliche Fleckchen Erde so ziemlich in den Umrissen erkennen), redete er weiter:

»Kennen Sie den Besitzer?«

Siehst Du, Fritz, – es war ja gewiß unrecht, aber er machte so ein urdummes Gesicht, ich konnte nicht anders, ich wollte hören, was er weiter sagen würde und da – sagte ich:

»Nein«.

Und es hat mich nicht gereut, Friedel, es war zum Radschlagen, was nun kam.

»Freiherr von Rumohr-Rotbach,« schnarrte Baron Biestorp. Kenne ihn auch nicht. Soll aber tadelloser Kavalier sein. Harte Schule durchgemacht, deshalb auch in ganz obskurem Rrrrment Reserveoffizier. Ist aber jetzt schwer reich oder wird es in Bälde, – alter Onkel – Millionär. Aber denken sich gnädiges Fräulein, verlobt sich dieser Mensch mit einem unmöglichen Geschöpf – Gouvernante, Stütze der Hausfrau, was weiß ich, gänzlich untergeordnetes Wesen, nicht mal hübsch, gewiß rote Hände und Küchen- oder Schulstubenmanieren, bettelarm, extravagant, soll merkwürdigerweise wie der Satan reiten. Begreife Fürstin Mutter nicht, erzählte ihr, was ich über die künftige Baronin Rumohr gehört, und sie lächelte, – konnte lächeln und mit undefinierbarem Gesichtsausdruck sagen:

»Sie sollen die Ehre haben, die junge Frau von Rumohr nächsten Winter kennen zu lernen, – sie wird meine protégée werden.«

Ich bitte Sie, gnädiges Fräulein, – solch ein Wesen – protégée – – warum lachen gnädiges Fräulein?«

So lange hatte ichs ausgehalten, aber nun gings nicht mehr, ich lachte schallend, laut, ich setzte mich auf einen moosigen Stein und trocknete mir mit meinem Taschentuch die Tränen, wahr und wahrhaftige Lachtränen.

Und immer wenn ich in des Barons dämliges Gesicht sah, fing ich von neuem an und rief zwischendurch: »Ach der arme Rumohr! O der Ärmste!«

Darauf setzte ich einen tiefen Knicks vor ihn hin und sagte: »Ja Sie sind nun mal reingefallen Herr Baron, ich bin das schauderhafte Wesen selbst – und die Fürstin Mutter hat mich schon lieb gehabt, als ich noch ein kleines Ding war.«

O Fritz, – sein Gesicht! Wenn er nicht zu scheußlich wäre, hätte er mir leid tun können. Er murmelte immer etwas vor sich hin, ob es aber: »Pardon«, oder »hol' Sie der Deubel!« hieß, weiß ich nicht, denn nun kamen die andern Herren und Munke dazu, die mit ihrem Mann inzwischen zu Pferde eingetroffen war.

In der allgemeinen Begrüßung verschwand Baron Biestorp, – er war heimgeritten.

Onkel Waldemar erzählte nachher, er hätte sich blaß und verstört verabschiedet, wahrscheinlich habe er mir zu Liebe zu viel Gurkensalat gegessen und sei mit dem nicht ins Klare gekommen.

Friedel, bist Du sehr bös, daß ich Dich zuerst verleugnete? Gelt, nein!

Ich bitte Dich recht herzlich um Verzeihung, aber versprechen, es nicht wieder zu tun, – das kann ich nicht.

Ist es eigentlich eine so große Schande, Gouvernante oder Stütze der Hausfrau zu sein?

'rumlungern ist doch eigentlich schandbarer? Ich zerbreche mir oft den Kopf darüber.

Wie seelengern spräche ich über diesen Punkt mit meinem Väterchen, ich weiß so genau, daß er jegliche Arbeit ehrte und jeden Steinklopfer grüßte, der ihm auf seinem Morgenritt begegnete, wie gering er von ererbtem Gelde dachte, wenn es nicht ein tüchtiger Mensch war, der es bekam.

Aber ich weiß doch auch, daß er es nie gelitten hätte, daß ich Gouvernante würde, – da liegt aber ein Widerspruch drin. –

Lieber Fritz, wenn ich erst Deine Frau bin, werde ich Dich immerzu fragen, alles Mögliche, bis ich beinahe so gescheit bin, wie Du.

Ganz so kann ich natürlich nie werden, denn denke Dir, es soll bestimmt feststehen, daß wir Frauenzimmer ein paar Gramm weniger Gehirn haben, als ihr.

Hast Du das gewußt, als Du Dich mit mir verlobtest? Ich möchte Dich nicht gern hintergehen. Aber wenn Du es schon gewußt hast, dann danke ich Dir vielmals, daß Du mich heiraten willst, ich will auch sehr gut werden.

Und nun leb' wohl, der Brief ist längst doppelt, aber mit Dir plaudere ich ja so schrecklich gern.

Gott behüt' Dich, mein lieber Fritz!

Dein Kerlchen.«


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