Felicitas Rose
Provinzmädel
Felicitas Rose

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Aus Kerlchens Tagebuch.

Da sitzen wir heute um den Kaffeetisch, – Großmutter, der Amerikaner und ich.

Ich hatte in wildem Zorn und heißen Tränen am andern Morgen der Großmutter erzählt, und ihr altes Gesicht war erst ganz blaß geworden und dann auch rot und zornig.

Aber es hat sich nichts ergeben. Der Amerikaner wußte von nichts, er sei gleich in seine Stube gegangen, behauptete er, die am andern Ende des Hofes liegt, und Knechte und Mägde hätten auch längst im Bett gelegen.

»Fräulein Felicitas sei wohl ein bißchen mondsüchtig,« hieß es, und »bei solchen Leuten arbeite immer die Phantasie stark.«

Ich schaute an ihm vorbei, nicht mit einem Blick habe ich ihn wieder gestreift, fest preßte ich meine Hände ineinander und sprach mechanisch mit Großmutter Tönningsen, mit dem Enkel aber kein Wort.

Er war vollständig Luft für mich, aber häßliche, erstickende Luft, ich war grenzenlos froh als er verduftete. Großmutter saß mit finster gefalteter Stirn da, und dann schaute sie mich bekümmert an.

»Du zerstörst mir einen Lieblingswunsch,« klagte sie, »aber wenn du den Edmund auch nicht lieben kannst, so sollst du ihn doch nicht verachten.«

Ich umklammerte Großmutters Schulter.

»Er ist schlecht,« sagte ich laut und fest.

Da sprang sie auf, elastisch und energisch wie in gesunden Tagen und tat ein paar Schritte, dann aber fiel sie plötzlich zusammen und weinte kläglich.

Ich half ihr auf und bettete sie wieder weich und warm und blieb bei ihr, und wir aßen allein, und ich sah nur auf dem Hof einmal flüchtig den entsetzlichen Menschen, – es war ein friedlicher Tag, nur in mir selbst sah es unfriedlich aus.

Da saßen wir heute am Kaffeetisch, und ich dachte, während der Amerikaner höchst unmanierlich seinen Trank schlürfte, ob nun das immer so fortgehen würde, und wie lange ich das wohl aushalten könnte, ohne verrückt zu werden. Da hörten wir Peitschenknallen und das bekannte Räderknarren eines Wagens, der sich durch die tiefen Furchen arbeitete.

Ich sah von meinem Platz aus durch das Fenster in die altmodische Kutsche hinein und erblickte einen grauen Haarschopf – und ich sprang auf mit einer Freude im Herzen, die unbeschreiblich war:

»Onkel Rumohr!!«

Edmund stand wie gewöhnlich in der Tür, ich nahm mir gar nicht die Zeit, ihn wegzustoßen; mit einem Satz saß ich auf der Fensterbrüstung und schwang mich hinaus, fiel hin, raffte mich blitzgeschwind auf, und ehe noch die schwerfällige Tür der Kutsche ihr verrostetes Schloß geöffnet hatte, stand ich am Wagen und jubelte und lachte: »Onkel Rumohr, Onkel Rumohr, Gott sei Dank!!«

Dann hielt mich der Riese in seinen Armen, und die Tränen liefen in seinen grauen Bart. »Herr des Himmels, Deern, was ist aus dir geworden! So wein' doch nicht! So lach' doch nicht! So beruhige dich doch! Mein Engelchen, mein Sonnenschein, mein Kerlchen! Mohrenelement, ich heul' wie ein Schuljunge! Komm', sei still! Ich bin ja da! Ich geh' nicht wieder fort, ich nehme dich mit – – –«

Er legte seinen großen, wehenden Mantel um mich und trug mich beinahe über die Fahrstraße in den Hof.

Onkel Rumohr mußte sich bücken, als er durch die Dielentür in die Wohnstube trat.

»Jesus – der Wolf,« schrie Großmutter Tönningsen auf.

»Ja, und hier ist das Rotkäppchen!«

Damit gab er mich frei, um mich, gleich darauf wieder fest in seine Arme zu schließen.

»Ich wollte mal nach meiner kleinen Nichte sehen,« rief Onkel Rumohr grimmig, »und ich muß sagen, sie gefällt mir gar nicht. Ist es nur die Sorge um die Frau Base, die unser Kerlchen so auf den Hund gebracht hat? – Wen haben wir denn da?« fuhr er gleich darauf fort und zeigte mit dem Stock nach Edmund, der eine »smarte« Verbeugung machte.

Nie war mir so stark aufgefallen, wie klein und erbärmlich, häßlich und windig der Amerikaner aussah, als jetzt, da er vor dem Hünen stand.

Onkel Rumohr ließ seine scharfen Augen unter den buschigen Brauen über den Fant hinweggleiten, dann suchte sein Blick mich, die ich rot und blaß mit finsterer Stirn da stand, und die erste Ahnung dämmerte meinem alten Freunde auf, was sein Kerlchen hier gelitten haben mußte. »Mein Enkel Edmund Tönningsen,« sagte die Großmutter mit seltsam belegter Stimme.

»Das beruhigt mich,« entgegnete Onkel Rumohr scharf, »hier auf dem einsamen Hofe ist ein Mann nötig, – ein Ritter zum Schutze der Frauen.«

Edmund Tönningsen schlich langsam hinaus.

Und dann saßen wir zusammen, »Base Tönningsen« und »Vetter Rumohr« verstanden sich ausgezeichnet, und ich lebte zum erstenmal wieder auf, lachte und gab schlagfertige Antworten, so daß die Großmutter mich ganz erstaunt ansah.

»Ist denn hier ein vernünftiger Gasthof in der Nähe, dem ich meine irdische Hülle anvertrauen kann?« fragte Onkel Rumohr. »Ich möchte gern tagsüber bei Kerlchen sein und, wenn es hier mal entbehrlich ist, auch ein paar Ausflüge mit ihm machen. Freilich, ein Springinsfeld wie Kerlchen bin ich nicht mit meiner Gicht in den Potentaten.«

Großmutter Tönningsen sah mich an, – sie hatte mich auch noch nicht als »Springinsfeld« kennen gelernt.

»Sie wohnen bei mir, Vetter Rumohr,« meinte sie in ihrer kurzen, geraden Art. »Ein Gasthof ist nur im Flecken unten, und das ist zu weit, aber Sie müssen vorlieb nehmen, seidene Steppdecken und dicke Teppiche habe ich nicht.«

So war die Sache abgemacht, und ich habe nun den Onkel Rumohr bei mir, ach, und das Leben ist ganz anders seitdem.

Edmund Tönningsen läßt sich nur selten blicken, und wenn er zu den Mahlzeiten erscheint, gibt er karge, kurze Antworten, – nur bei den Besprechungen über das Gut wird er lebhafter und scheint ganz Vernünftiges zu Tage zu fördern, denn Onkel Rumohr nickte öfters beifällig.

Gleich nach Tisch verschwindet Edmund wieder, Großmama ruht, und Onkel Rumohr und ich wandern über die Heide.

Gestern hatte uns Edmund ein Stück begleitet, weil er das Gespräch mit Onkel weiter spann, und als er sich am Hünengrab verabschiedete, sah ihm Onkel ein Weilchen nach und meinte dann: »Äußerlich gefällt mir der Kerl ja den ganzen Tag lang nicht, aber er weiß 'ne Menge und tut forsch seine Dinge – ganz manierlich ist er auch – ich glaube, ich glaube unser Sensitivchen hat wieder mal ein bißchen zu schwarz gesehen.«

Ich sah Onkel nur an, und da küßte er mich gleich auf die Stirn.

»Kerlchen, Kerlchen, – wer dich schief anguckt, den mache ich zu Mus.«

Brief von Fräulein Laura v. Hartwig an Kerlchen.

»Mein liebstes Kind!

Wahrhaftig, ich komme mir wie die bekannte Hühnermutter vor, die ein Entlein ausgebrütet hat, welches nun munter im See herumschwimmt, während sie selber ratlos und jammernd am Ufer hin und her läuft.

Bilde Dir aber ja nicht ein, daß Du das Kücken bist, – nein, mein alter Wolf Rumohr ist es, den ich mit Mühe gesund gepflegt, und der mir jetzt plötzlich ausgerissen ist bis in die Heide hinauf.

Er wird wohl laut und polternd lachen über den wundersamen Vergleich, der ihn, den Hünen, zum Kücken macht, – hilft ihm aber nichts.

Aber nun frag' ihn doch mal, wie lange er sich da oben einnisten will bei Base Tönningsen? Was ist eigentlich los da, und welche wundersamen Worte enthielt das Telegramm, das ihn aus Podagra und stillen holsteinischen Wäldern hinauslotste in die Marsch?

Er hat sich nicht darüber ausgequetscht. Frage ihn ferner, ob es ihn nicht lockt, mit mir und Dir eine nette, kleine Reise zu machen, ich habe mir Bayern vorgenommen, weil ich in Erlangen ein liebes, altes Freundespaar aufsuchen will, die zugleich Verwandte von uns sind, von Hartwig heißen, und die ich Dir gewiß öfters unter dem Namen »Peter-Onkel und Marie-Tante« genannt habe.

Dorthin will ich zuerst, dann weiter nach Nürnberg, Regensburg, München, habe dann in Straßburg zu tun und will von dort noch ein wenig in die Vogesen und dann an den Rhein.

Ein Plan, Kerlchen, wie?

Und Du sollst mit! Heisa juchhe! Wir wollen Dich loseisen vom Norden und Dir den sonnigen Süden zeigen.

Arme Deern! Daß Du schon so früh erkennen mußtest, daß die Männer alle nichts taugen, – sieh, mein Lütten, – solche Leute, wie Dein Vater Ernst Schlieden, die werden eben nur alle hundert Jahre einmal geboren, – glückselig, dreimal glückselig das Mädchen, das diesen Mann dann zufällig erwischt. Ich bin vorbei getappt, – Du glaubtest so 'nen Diamanten gefunden zu haben, und dann war's ein Blendkiesel.

Laß ihn laufen, Kerlchen! Du wärst ja doch todunglücklich geworden. Du mit Deiner unmodernen Treue im Kinderseelchen.

Laß ihn ruhig in Italien. Man sah es ja seinem Zigeunergesicht an, daß er für den Hörselberg besser paßt als für den schlichten Thüringer Wald.

Das ist so meine Meinung über diesen Fall. Gott befohlen! Schreibe mir sofort, nachdem Du mit Onkel Rumohr gesprochen, dann gebe ich Dir nähere Reisebestimmungen.

Deine alte Tante Hartwig.«

*

»Na, die hat ja eine nette Charakterisierung unseres Fritz zustande gebracht,« rief Onkel Rumohr grimmig, als er den Brief, den ihm Kerlchen reichte, gelesen hatte. »Und was sagt Kerlchen dazu?«

»Nichts.«

»Holla! Diese tiefe Falte zwischen den Brauen, dieser gepreßte Mund da, dem man die Schliedensche Quadratschnuut kaum ansieht, so fest ist er zugeschnappt, – ist das noch mein vertrauendes Kinder- und Sonnenkerlchen?«

Kerlchen sah ihn an –, er mußte den Blick wegwenden vor dem wehen Ausdruck dieser Augen.

»Kerlchen!!« »Sie sollen den Fritz nicht schmähen,« rief es leidenschaftlich, »ich kann es nicht vertragen! Und ich habe die Leute kein bißchen lieb, die das tun, und Tante Hartwig soll allein reisen, und ich will hier bleiben, ganz allein, und will arbeiten und Großmutter Tönningsen pflegen –«

»Braves! – Wie konnte ich auch denken, daß in deinem hellen Gemüt Mißtrauen haften könnte! Gelt Kerlchen, – wir kennen den Fritz? Der ist treu! Das klärt sich alles! Aber ein Sturmwind und Trotzkopf ist der Bengel, – möchtest du ihn anders haben?«

»Nein, Onkel Rumohr! Er mußte mich ordentlich durch sein Ausreißen strafen. Ich hatte es verdient. Aber Fritz ist treu, ich weiß es. Wo er auch sein mag! Und dann, – er wußte es ja nicht, wie furchtbar weh' seine Strafe tut.«

Onkel Rumohr sah sein Kerlchen forschend an, und wie er so das feine blasse Gesichtchen betrachtete, aus dessen tiefen, blauen Augen eine ganze Schmerzenswelt hervorschaute, da ballte er doch insgeheim die Faust und wetterte auf den Zigeuner, Herumtreiber, Ausreißer, Trotzkopf und Neffen Fritz von Rumohr.

»O du Himmel, die heutige Jugend,« murmelte er ingrimmig in sich hinein, – dieses Mädel, so 'n Kerlchen, so 'n ganz liebes nicht festzuhalten, – – – Schafskopp!« Und mit diesem unparlamentarischen Ausdruck schien er sich entlastet zu haben, denn er kniff Kerlchen ins Ohr und lachte vergnügt.

»Jetzt gilt's, dich hier loszumachen, kleines Wesen, du mußt erst mal wieder heraus, wenn du uns gesund bleiben willst.«

»Ich bleibe hier!«

»Oho, – auf die Hinterbeine wird sich nicht gestellt, wenn ein alter, verständiger und wohlmeinender Oheim was für dich ausdenkt. Vernageltes Erzgeneraldümmerchen! Meinst du, ich hätte keine Augen im Kopf und sähe nicht, daß du andere Luft schnappen mußt?!«

»Großmutter läßt mich nicht fort.«

»Das ist 'n anderes Kapitel. Wart's ab. Ich spreche heute noch mit Base Tönningsen, sie munkelte neulich was von einem jungen Mädchen, Tochter einer Jugendfreundin, die hier in der Nähe ganz verwaist haust, – und die sie zu sich holen wolle, damit du Gesellschaft habest, die kann also erst mal allein kommen, woll'n mal sehen, was sich machen läßt.«

Brief vom Schlachter Krone an Kerlchen.

»Ergebenstes Fräulein Kerlchen!

Heute komme ich mit einem Trauerflor um den linken Arm zu Ihnen, denn während ich so schreibe, haben wir meine liebe Frau, die jahrelang mir treu an der Seite und im Laden gestanden hat, schon begraben. Das menschliche Leben ist ein Rätsel, geliebtes Fräulein, und ich bin zu alt, um mich nun noch mit die Auflösung abzugeben, was mich immer schwer wurde schon bei die Scharadens in der Sonntagsbeilage vom Schwarzhausener Anzeiger.

Und war es eine durchaus schöne Leiche mit allen Kunden und Honoratioren, die drum und dran hingen und alle auf den Friedhof mitgingen. Wie's so in einer kleinen Stadt ist, ich brauchte keine Anzeigen zu schicken, trotzdem meine liebe Alte nicht lange krank war, sie wußten's alle gleich früh durch meinen Newö, der den Laden bediente.

Und wie sie alle ihr Fleisch im Suppentopf hatten, da hab ich das Geschäft für einen ganzen Tag geschlossen und saß ganz still bei meiner stillen Alten und überdachte unser arbeitsreiches Leben. Wollte dann andern Tags wieder an die Arbeit gehen, aber es ging nicht und hatte mir, was man so sagt, einen Knacks gegeben.

Meinen nun die Leute alle, ich solle reisen, weiß aber nicht, ob ich dazu passe, gehorche aber, wie ich's bei meiner hochseligen Frau immer gewohnt war.

Und fällt mir ein, schickte auch, die Fürstin-Mutter durch einen Diener einen Kranz, was sie »Palmenarrangschmang« nannten und war es viel zu pompös und statiös für uns, nahm es deshalb und legte es auf dero Vater, des Herrn Obersten selig Grab, wo es besser hinpaßte, denn meine Alte war für die gröbste Einfachheit.

Und werde nun nach Bayern gehen, wo ich so gute, liebe Freunde hab, den Vetter Hans und die Base Babette, die das Leben auch von die ernste Seite kennen und wissen, daß alles in diesem Erdendasein belämmert ist.

Bleibe deshalb in trauriger Verehrung für Sie und der Mitteilungsbitte an Ihre Herrn Verwandtschaft

Ihr Krone, Schlachter und Wittmann.«


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