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* * *

Aus Kerlchens Tagebuch:

 

Widmung:

Meiner Nichte Felicitas zur inneren
Einkehr. Jeder Tag aus diesen
Blättern trägt einen Spruch oder ein Gedicht
Du sollst Dir die Worte
Zum Vorbild nehmen für das, was
Du diesen Seiten anvertraust.

Emerenzia von Schliedem

 

 

Sonntag-Spruch:

Mit Gott fang an,
Mit Gott hör auf
Das ist der beste Lebenslauf.

 

Liber Gott, du weißt das ich nich schlecht bin liber Gott ich habe dich sehr lib liber Gott wenn du die Tante (du weißt schon welche) schtrafen könntest mit was dollen würde ich sehr dankbar sein behüte doch Papa und Mama und mich und Li und Hermann und Johann und Dorette und mein libes Schwarzhausen liber Gott.

 

Montag-Spruch:

Willst du lesen ein Gedicht,
Sammle dich wie zum Gebete,
Daß vor deine Seele licht
Das Gebild des Dichters trete,
Daß durch seine Form hinan
Du den Blick dir aufwärts bahnest
Und, wie's Dichteraugen sahn,
Selbst der Schönheit Urbild ahnest.

Stöber.

 

Ich hat fersucht zu dichten abers will nich! Ich weiß nich wie die Dichters daß machen. Oh es is so schön!

 

Dienstag-Spruch:

Was der Mensch vermag, kann er durch die Anstrengung seiner Kräfte erfahren; was die Menschheit vermag – wer hat dies Ziel ermessen?

Hippel.

 

Nischt!!!

Es hilft nix, es geht nich, es komt nikx raus!

 

Mittwoch-Spruch:

Welch' ein Meisterstück ist der Mensch!
Das Muster aller lebenden Geschöpfe!

Shakespeare.

 

Freulein von Bredo hat auch falsche Hare heute hab ichs gesehn. Im Morgenrock ist sie auch krum, aber wenn sie Ales aus der Komode genomen hat merkt man nichts.

 

Donnerstag-Spruch:

Ein Haus mit tausend Zimmern
Ist dieses Erdenhaus,
Kaum hat man's halb besehen,
So muß man schon hinaus,
Der Kastellan, er thut sich verneigen:
Er müsse die Räume noch andern zeigen.

Kohlhauer.

 

In diesen Buch stehn Lügen es sind nich 1000 Zimer im Schloß, man kan Ale gans besehn, ich hab dem Kastlan gefracht, er hat sie niemand gezeicht, weil der Fürst da is is es ferboten.

 

Freitag-Spruch:

Ich liebe mir den heitern Mann
Am meisten unter meinen Gästen,
Wer sich nicht selbst zum besten haben kann,
Der ist gewiß nicht von den Besten.

Goethe.

 

Ich sene mich o so schrecklich nach Papa niemand ist so heiter, ich habe nich mehr gelacht, wie ich wech bin von Papa. Gestern besan wir die ganze Ökonemi und die Ställe von den Kühn und Ferden und Schweinchens es roch stark und ich sagte immer noch besser wie Hofluft. Tante war außer sich, sie is es imer!

 

Sonnabend-Spruch:

Wirken, Schöpfer sein des Guten,
oder auch des Schönen, das o Mensch ist
»Gott gefallen«, ist Verdienst.

Gleim.

 

Ich habe es imerlos gelesen ich kan es nich begreifen es is als ob Erbsen im Kopf rumliefen ich kann nich nach dem Spruche hanteln es is unmöchlich.

 

Lieber Schlieden!

Ich schreibe Dir in sehr begreiflicher Aufregung. Als ich Felicitas zu mir nahm, ahnte ich auch nicht im Entferntesten, welch' eine Last ich mir damit aufbürdete, ich muß offen gestehen, ich bedaure Dich und Deine Gattin um dieses Sprößlings willen, der nur dazu auf der Welt zu sein scheint, allen Leuten Kummer, Not und unaussprechlichen Ärger zu bereiten. Nachdem Felicitas mich und sich bei Hofe unsterblich blamiert hatte durch Streiche, die jetzt die Runde durch ganz Neustadt machen, kaufte ich ihr ein wertvolles Tagebuch mit Sinngedichten und Sprüchen großer Männer und Frauen. Heute bin ich über dieses Buch geraten, das natürlich unter Felicitas' Händen sofort ein abscheuliches Aussehen genommen hat. Ich meine nicht das Äußere, denn Reinlichkeit scheint mir wirklich die einzige Tugend Deines Kindes zu sein, sondern die unglaublichen Sachen, welche Felicitas hinein geschrieben hat.

Ich hätte das Buch sofort den Flammen übergeben, wenn es erstens nicht schade um das Werk selbst wäre, zweitens, wenn ich es nicht brauchte, um Felicitas zahm zu machen, und drittens, wenn Du nicht selbst sehen solltest, auf welche Abwege Dein Kind geraten ist. Ich halte Felicitas nicht nur für durchaus beschränkt, denn sie versteht es absolut nicht, sich nützlich zu beschäftigen, sondern auch für unsagbar boshaft, und diese meine Meinung teilt das ganze Schloß mit Ausnahme Seiner Durchlaucht des Fürsten. Wie Seine Durchlaucht, unser allergnädigster Fürst, bei seinem scharfen, alles durchdringenden Geiste so verblendet sein können, ist mir und uns allen ganz unfaßlich; es ist wohl seine übermenschliche Herzensgüte daran schuld, die in jeden wie in einen goldenen Becher hineinschaut. Du wirst wohl damit einverstanden sein, lieber Vetter, daß ich Felicitas in strengem Arrest behalte, nur durch völliges Abschließen von der Außenwelt ist es möglich, sie zu bändigen. Ihre maßlosen Wutausbrüche, die recht plebejisch gefärbt sind, bringen meine Nerven sehr herunter, aber ich thue alles unserer Familie und dem fürstlichen Hause zuliebe, Seine Durchlaucht haben den ausdrücklichen Wunsch ausgesprochen, daß Felicitas für den Hof erzogen werden soll.

Deine Cousine Emerenzia.

 

Brief des Obersten Schlieden an Fräulein Emerenzia.

Liebe Cousine!

Ich finde Kerlchens Vergehen so himmelschreiend und mit mir der Erbprinz, daß es überhaupt in Amalienlust und Neustadt garnicht geahndet werden kann. Wir reisen morgen mit unserm alten Landrat, den ich hier im Ministerium aufgesucht habe, zu Senden's nach Zweibuchen, sie feiern die Taufe ihrer kleinen Rösi, und der Erbprinz hat die Patenstelle übernommen. Das Gut liegt bei Kösen, schicke mir übermorgen Kerlchen mit dem 10 Uhrzuge hin, aber erkundige Dich vorher in Amalienlust, Neustadt und Schwarzhausen, ob nicht jemand da ist, der das Kind fortbringen kann, allein möchte ich es ungern reisen lassen. Frau von Senden, welche die unbegreifliche Vorliebe des Fürsten für unser Kerlchen teilt, würde das Mädel zu gern bei sich behalten, bis meine Reisen mit dem Prinzen Li erledigt sind, oder bis Paula genesen ist, aber ich habe dankend abgelehnt. Frau Ellen ist sehr zart und ganz durch die Pflege des Kindes in Anspruch genommen, Senden beinahe den ganzen Tag unterwegs, er ist ein Prachtslandwirt geworden, der Zweibuchen zu einem Mustergut machen wird. Aber Kerlchen würde zu viel unbeaufsichtigt sein und das Herrenhaus auf den Kopf stellen; dem ist Frau Ellen nicht gewachsen. Ich würde sie am liebsten zu Tante Hermine schicken, aber der Fürst bittet mich, Kerlchen im Schlosse zu lassen. Mit schwerem Herzen willige ich ein. Für Deine durch Kerlchen heruntergekommene Nerven empfehle ich Dir eine der jetzt so in Aufnahme kommenden Wasserheilanstalten, das Geld dazu stelle ich Dir bereitwilligst zur Verfügung, wie auch zu jeder anderen Erholungsreise. Also schick mir mein Kerlchen, ich werde es in Kösen mit dem Senden'schen Fuhrwerk erwarten und brenne darauf, – es auszuschelten und tüchtig zu rüffeln.

Dein Vetter Schlieden.

Aus Kerlchens Tagebuch.

Zweibuchen, Juni.

Nun weiß ich was ich schreiben sol, so eine Masse es war eine himlische Fahrt mit Schlachter Krone zusammen von Schwarzhausen aus. Tante wolte es nich, aber ein andrer war nich da, er nahm gleich ein Biliett für mich. Tante wolte es nich, aber er thats doch, und sagte ich solte mir was für das Geld kaufen. Tante wolte es nich, aber ich kaufte mir zwei Duzent Apfelsienen. Tante wollte es nich, aber ich as sie. Tante wolte es nicht, und deshalb wurde mir sehr übel und ich mußte die schönen Apfelsinen gleich wieder hergeben, es ging dem guten Schaffner, der die Biliette knibsen wollte über den Rock, aber er sachte freundlich, daß wär ein Glück, wenn es aufs Tritbret gegangen wär, hät ich einen Thaler bezahlen müssen. Ich schlief dann ein bischen und Schlachter Krone schlief auch, dann nahm ich mein Messerchen un schnizte in die Holzteile fon den Kupee ein K und auch ein Li, und dann schnit ich so ein Bleiküchelchen an der Wand durch, da lies sich das Dings wegschieben und dann pfiff es furchtbar und der Zug schtand schtill. Es war auf freien Felde und sehr schöne Aussicht aber die Leute so wild auf mich der gute Schlachter Krone bezahlte in Kösen hundertdausend Dahler er hat es mir selbs erzält aber keinen Menschen sons auch nich Papa damit er sich nich aufregt ich muß ihm das Geld langsam abbezahlen hat er gesacht hunnerdausend Dahler is furrrrchbar fiel dann kam mein lieber Herzens-Papa und ich mußte so doll weinen wie ich an seinem Herzen war er sachte immer: »Kerlchen, mein Kerlchen, mein liebes einziges Kerlchen was bistu für ein Blässerchen geworden un ich weinte imerlos un imerlos Papas Uneform war gans naß ich drükte mein Gesicht so an ihn und es weinte alles meine Augen und meine Nase und mein Mund Papa schütelte Schlachter Krone doll die Hand das er mich so beschüzt hatte er hatte ja auch noch anderes Rindfieh bei sich zum ferkaufen. Die größte Überraschung war doch Hermann Berg den haten sie mitgebracht aber er gab mir kaum die Hand oh er sah so blaß aus wien Tischtuch und dann reiste er gleich weiter wollt mich nur mal sehen un hatt Thränen in den Augen Papa auch. ich sah es wol er sachte aber nein. bei Sendens ist es sehr schön wir haben getauft es heißt Rösi so ein wonniges Kind giept es nie wieder wie ein Engelchen ich hate es auf den Arm un habe es doll geküßt sie rißen es mir wech es war beina erstikt aber längs nich ganz. ich soll es nich wider haben sacht hier eine Frau die ales komandihrt ich hole es doch un schpiele mit ihm bis es schreit dann gefält es mir nich. Prinz Li is furrchbar gut mit mir ich habe ihm Ales von Hofe erzälen müssen er lacht sich von Sinn un Verschtand Papa geht imer raus wenn ich eine Weile erzält habe er schämt sich doll das mir immer was basiert Herr von Senden hat mir ein Körpchen Kartofeln geschenkt ich hab so drum gebeeten ich hab ihn dann ferkauft im Dorf Haus bei Haus ich hab ölf Fennige gekricht die hab ich gleich Schlachter Krone nach Schwarzhausen geschikt ich ging nach der Post sie woltens erst nich thun da wurde ich böse ich mußte zwanzig Fennige für eine Postanweisunk bezahlen dann fuhren die ölf Fennige ab nach Schwarzhausen ich frachte wann sie dort wären erst morchen daß ist spät sie sagten wenns früher sein solt müßt ichs telgrafsch machen ich hab heute meine Lokken gans razenkahl abgeschniten und auch den Zopf von der Kuhmacht ich hab dreisig Fennige vom Babier bekommen un außerdem noch zwei Orfeichen Papa war so böse er wußt ja nich den guten Zweck ich machte ein Packet für Schlachter Krone und kleterte an eine Telegrafenstange in die Höh und hink es an son weißes Dings un heute hinks imer noch es ist keine Ordnung bei der Post mit den telegrafschen Paketen ich habs wieder abgehenkt un die dreisig Fennige für zwanzig Fennige wieder richtig hingeschikt. Ich bin nengierich wann ich hunnertdausend Daler zusamm hab ich glaub ich hab denn auch hunnertdausend Orfeichen zusamm ich kann thun was ich will imer komt es zum bösen aus heute warn Ale eingeladen aufs Nachbargut ich habe mich so gefreut ich hate mein weises Kleid schon an da setzte ich mich aus Fersehn in einen großen Eierkorb und wülte nur so drin rum da wollten die schreklichen Mädchen mich in Mehl rumwälzen und dann backen ich lief fort un rief Hilfe da kam Tante Ellen im neuen seidenen Kleid un ich umarmte ihr un sie fiehl beina in Ohnmach dann kam Papa un ich umarmte ihn un er sah schrecklich aus seine beste Uneform un dann kam Prinz Li sie riefen alle rühr sie nich an aber er nahm mich an sein Herz und streichelte mich und wurde auch so gelb un glitschig dann badeten wir alle hinternander wech un Ale zogen schlechte Kleider an Papa un Prinz Li haben keine andere Unneform mit un mußten zu Haus bleiben ich auch. Tante Ellen und Onkel Senden blieben auch da und Ale bekamen Kaffee un Kuchen un ich bekam 'ne Orfeiche es is Ales so ungerech fertheilt das fersteh ich schon gut es wär richtcher wenn die Mächens die mich in Mehl umwälzen wollten die Orfeiche gekricht häten oder richtige Wixe morgen soll ich wieder zurück fahren ich weiß nich wohin. Papa sachte Kerlchen muß zurück zu der ferdrehten Schraube ich hörte es durchs ofne Fenster sie haben eine menge erzält ich soll in eine Panksion kommen und Räsong lernen das hab ich nie gehabt in Miß ihren Stunden und ich kann nix für wenn ich so schlecht ottografsch schreibe wenn Miß immer krank is un es mit die Leber hat.

Ohh ohh ohh ich bin wieder in der Hofluft sie riecht noch eben so ich hab so furrchbare Sehnsucht nach Papa un Li wie ich so weinte schluch mich Tante da sah ich den Fürsten komen und hab meine Arme um seinen Hals geschlungen und auch seinen Rock nasgeweint er küßte mich oh er ist so gut beinah wie Papa un noch beinaer wie Li ich sacht ihm daß die Hofluft schlecht wär da sacht er er wollt auch mal ordentlich durchlüften lassen durchs Schloß un donnerte das nur so raus Ale wurden blaß die drum rum standen und ich sagte Papa hätte gesacht ich sollte zur ferdrehten Schraube zurük un nu wär ich wieder bei Tante Emerenzia da lächelten Ale so sonnerbar aber Tante kriechte Migräne.

Ich hab die Rükreise wieder mit Schlachter Krone gemacht er war so gut ich soll forläufig ihn kein Geld schiken sondern bei mir sparen un keine Dummheiten machen es wird schwer sein ich meine aber das sparen ich frachte ihn auch ob ihn seine Lebern auch so weh thäten wie Miß ihre aber er sagte ne er hätt ne gesunde bei sich un die andern lechte er immer auf den Ladentisch un ferkaufte sie und das hab ich blos so früh in Amalienlust erzählt un Abens wars schon rum in Neustadt un Schwarzhausen Schlachter Krone ferkaufte immer kranke Lebern es hat sein Geschäft geschadet es that mir so leid.

 

Brief von Großtante Hermine an Kerlchen.

Schwarzhausen, Juli.

Liebes Kerlchen!

Durch Deinen lieben Papa höre ich, daß Du Dich garnicht recht glücklich in Amalienlust fühlst, ich bin darüber recht betrübt. Hoffentlich liegt die Schuld nicht allein an Dir, es wäre sehr unrecht, wenn Du Deinem Papa, der Dich so liebt, Kummer machtest, er hat schon genug Angst und Sorge um Deine liebe Mama, die er gestern in der Klinik in W. besucht hat. Ach könnte ich Dich doch zu mir nehmen, aber ich bin recht schwach und hinfällig und könnte garnicht auf Dich aufpassen. Es ist die höchste Zeit, daß Du ganz geregelten Unterricht bekommst, und ich hoffe, Du machst Deinem Papa nicht das Herz schwer mit Klagen, wenn er Dich in eine Pension giebt. Ich habe ihm eine solche in Erfurt empfohlen, die ganz ausgezeichnet ist, und wo Du Dich sehr wohl fühlen wirst. Dein Pferdchen sehe ich jeden Morgen in der Parkstraße vorbeikommen, es vertritt sich seine steifen Beinchen; warum hast Du es eigentlich nicht mitgenommen? Ist Tante Emerenzias Abneigung gegen das Reiten der einzige Grund?

Mein liebes, liebes Kerlchen, ich möchte Dich wohl schon unterbringen und bei mir haben, mein Liebling müßte nur versprechen, recht ruhig und lieb zu sein, ja mein Kerlchen? Viel tausend Grüße von Deiner treuen Großtante Hermine.

*

Brief des Hermann Berg an Kerlchen.

Schwarzhausen, Juli.

Mein liebes Kerlchen!

Du hast Dich gewiß gewundert, daß ich so wenig mit Dir gesprochen habe, damals auf dem Bahnhofe in Kösen. Du sahst mich so groß an mit Deinen lieben Augen und verstandest mich garnicht. Du liebes Kerlchen, die Ärzte haben mir gesagt, daß ich sehr, sehr krank bin, ich ahnte es schon seit einiger Zeit, weißt Du, damals, als unsere liebe Minna starb. Nun habe ich mein Studium aufgeben müssen, ich soll mich erst gesund pflegen bei meinem lieben Vater hier. Aber ich komme nicht recht zur Ruhe und somit auch nicht zur Gesundheit. Die Leute in Schwarzhausen meinen's ja wohl alle recht gut, aber ihre vielen Fragen quälen mich recht. Da waren die Menschen in der Großstadt besser, die kümmerten sich garnicht um mich und ich lag immer so ruhig hin in meinem Stübchen, bis Dein Vater mich aufsuchte und der prächtige Prinz Li, da mußte ich auch gleich nach Hause fahren und nun liege ich hier und faulenze. Spazierengehen kann ich auch wenig, aber ich sitze oft in Euerm Garten in der Klematislaube, die dichter als je mit blauen Blüten bedeckt ist.

Dann plaudere ich auch mit Johann und Dorette, die sich so sehr nach Dir bangen. Ich möchte auch so gern mit Dir sprechen von alter Zeit. Das stille, einsame Grab droben am Mäuerchen grünt und blüht, wenn sich auch niemand darum kümmert, als eben ich, und ich war ja so selten hier. Auch Minnas Mutter geht nie hin, nie – – – sie sind so hart und unversöhnlich in einer kleinen Stadt.

Ich bin recht müde, geliebtes, kleines Kerlchen! Gott behüte Dich! Vergiß mich nicht und auch nicht die, die uns vorangegangen ist zum lieben Gott.

Dein treuer Kamerad Hermann.

Nachschrift.
Heute ist mein lieber Sohn sanft entschlafen.

Schuhmacher Berg.

 

Brief vom Diener Johann an Kerlchen.

Liebes Kerlchen!

Es wäre schön, wenn Du ein paar Tag kommen könntest, ich hab das Fräulein Herminchen gesprochen, sie sehnt sich arg und wir Zwei auch, Dein Zimmerchen steht so, wie Du es eben verlassen hast. Der Hermann Berg hat einen sanften Tod gehabt, es würde ihn noch in die Ewigkeit freuen, wenn Du thätest ihm die letzte Ehr erweisen es sind ja nur anderthalb Stunden mit die Bahn und gnedig Fräulein Emerenzia werdens wohl erlauben. Am Mittwoch wollen wir den Hermann zur Ruhe bringen, er wollt neben der Minna liegen aber der alte Vater und die Bas' wollens nicht, es wär auch eine Schande für sie, denn er ist ja auf dem ehrlichen Bette gestorben und kein Selbstmörder. Was würden die Leute in Schwarzhausen sagen!

Dorette und ich grüßen Dich vielmals, komm doch liebes Kerlchen, ach komm doch!

Johann Gottgetreu.

 

Aus Kerlchens Tagebuch.

Ich will hin, ich will hin, ich will hin, ich habe sie so gebeten, lieber Gott hilf mir, sie thut es nich, sie läßt mich nich ich will hin ich will hin ich will ja auch dann in eine Pangsion nich muxen will ich, ich will imer richtig schreiben nie wil ich einen Feler machen aber ich wil jetzt nach Hause ich wil zu Hermann. Liber Gott wenn du mir doch dies eine einzige Mal helfen möchtest ich wil mir solche Mühe geben ich hab mir ja nie so rechte Mühe gegeben du solst sehn es wird. Hier ist es zum Fürchten schrecklich der Fürst ist ferreist ich hab niemand Tante Emerenzia spricht nur vom Schusterjungen was der mich anging lieber Gott du mußt so was nicht leiden ich will ja auch s o gut werden. Ich hab so Heimweh ich will hin ich wil hin ich wil Hermann die letzte Ehr weisen!!!

 

Brief des Schlachters Krone an Oberst Schlieden.

Hochverehrter Herr Oberst!

Sie wundern sich gewiß daß der Schlachtermeister Krone Ihnen so'n langen Brief schreibt! Möchten sich ja nicht erschrecken es is ja Gott Lob und Dank in Ewigkeit Amen und Alles in rechten Schick und das Kerlchen wohl noch recht schwach aber wie der Herr Doktor Karsten meint geht es der Besserung entgegen. Herr Oberst möchten gewiß nun gern wissen was passiert ist. Wie ich grad bei gewesen bin mein liebes Patenkind Hermann Berg Gott hab ihn selig das Sterbehemd anzuziehen wie das so Sitte ist bei uns hier da kommt gerade der Landbriefträger von draußen der Schossee rein und sagt mir was und ich denke ich schlage lang hin und hab nur noch dem lieben Todten den Liebesdienst erwiesen und hab mein Wägelchen angespannt wo ich sonst immer die kleinen Kälber drin fahre und Decken und Kissen hab ich neingelegt und bin hingeprescht die Schossee lang und bei Langsdorf in einem Graben Herr Oberst da hat's gelegen das Kerlchen wenn Herr Oberst freundlichst verzeihen wollen. Die Tochter von Weltzersch Heinrich in Langdorf hat bei ihm gesessen die hat der Briefträger geholt, sie hat auch dem Kerlchen Wasser gebracht und Himbeersaft und essen hat's nich wollen, war aber ganz verhungert, und keinen Appetit. Und die Schuhe hingen in Fetzen runter und die armen Füßchen waren ganz blutig und das Gesichtchen so weiß mit schwarzen Ringen um die Äugelchen. Himmeldonnerwetter sag ich wo ich sonst nie fluch, den solt doch dieser und jener holen, der das Kerlchen hier her gehetzt hat. Und mit Verlaub zu sagen. Herr Oberst wissen wohl, wer diejenigte welche ist. Sie hats eingesperrt bei Wasser und Brod da ist das Kerlchen durchgebrannt wie es ging und stand als grad die Kammer rein gemacht wurde und ist gelaufen und gelaufen bei die Hitze! Es konnte einen Schlag kriegen. Und immer hat's vor sich her gesagt: »Ich will dem Hermann die letzte Ehr weisen!«

Herr Oberst, das war eine respektable Leistung für das Mädel dieser Marsch und es hat einen Stein im Brett bei den Schwarzhausenern und sie bringen ihm Blumen und was Gutes zu knabbern und mein Haus wird nicht leer. Denn es liegt bei uns werther Herr Oberst denn der Doktor erlaubte nicht, daß wir's wegschafften, es hatte hohes Fieber aber jetzt darf's schon ein zartes Lendenbifstück von meinem besten Ochsen essen und es ist mir Alles eine Ehre werther Herr Oberst und die ganze Pflege und die Kosten is meine Sache, Gottlob wir habens ja. Aber der Herr Oberst möchten gewiß das Mädel sehen und sprechen und werde ich den Herrn Oberst die Ehre erweisen und ihn mein Haus vom Giebel bis zum Keller zur Verfügung stellen. Aber das Kerlchen darf nicht in die Hofluft zurück von der es immer fantasirt hat aber in die Pansion hat es sich drein gegeben aber ich sage es ist gut, daß es so ein Strick ist, so ein Unband, so ein Kerlchen, so ein Provinzmädel, denn wenn es nicht so ein Luderchen wär dann wär's ein leibhaftiges Engelchen und der liebe HErrgott hätt's zu sich genommen ohne Gnade und Barmherzigkeit. Was soll aber Schwarzhausen anfangen ohne sein Kerlchen?


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