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* * *

Mit diesen aufregenden Sachen (ich bitte euch, macht nur einmal so etwas in einer Kleinstadt durch!) vergingen zwei Jahre.

Ich saß am blank gescheuerten Tisch bei Schuster Berg und trank den Kaffee der Base, die heute noch eine Bohne mehr genommen hatte, als damals zur Konfirmation, denn Hermann hatte sein »Abiturium« glänzend bestanden. Was das eigentlich war, wußte die Base nicht; sie erzählte aber jedem, das »Abstinentenexamen« sei sehr schwer, und der Hermann wäre nun so gut wie »Doktor^. Der angehende Doktor saß mit strahlendem Lächeln und sehr blassem Gesicht neben mir, er fühlte sich körperlich recht angegriffen, trotzdem war er übermütig lustig und neckte sich sogar mit der Base, die ihm zur Feier des »Abstinentenexamens« Grog brauen wollte.

Auf meiner anderen Seite saß Minna Fehrs in einem von uns sehr bewunderten kornblumenblauen Kleide. Ich durfte wieder öfters mit ihr zusammen sein, denn sie bekam von ihrem Herrn, dem angesehenen Schlachter Krone, das beste Zeugnis ausgestellt. Er war Pate von Hermann und heute Ehrengast an der Tafel. Sein wohlgefüllter Geldschrank war auch daran schuld, daß Hermann studieren durfte, der Vater allein hätte es nicht durchführen können. Auch ich wurde heute mit besonderer Höflichkeit behandelt, denn es war eine Art Abschiedsfest für mich. Papa sollte mit Prinz Li reisen, Mama reiste ins Bad, und ich sollte »Hofluft atmen«, – Tante Emerenzia hatte sich erboten, mich unter ihre Fittiche zu nehmen und »mir endlich den »timbre«, den »charme« zu geben der nur allein die Mädchen umschwebt, die bei Hofe erzogen sind.« So ihre eigenen Worte! Ich verstand ihren Sinn nicht, aber ich beschloß, mir den »Tängber« und den »Scharm« sofort wieder abzuwaschen, wenn ich nach Hause käme.

Vorläufig dachten Hermann, Minna und ich weder an Abschied, noch Wiederkommen, wir plauderten harmlos über die fröhliche Gegenwart.

Meister Krone hatte seine lange Pfeife frisch gestopft, und auch Vater Berg rauchte mit Andacht, denn der Pate seines Jungen hatte ihm zur Ehre des Tages ein Päckchen Barinas-Mischung No. 1 mitgebracht. »Na, nun ist ja auch der Leutnant wieder da,« sagte Meister Krone und klopfte seinen Fidibus aus, so daß die hellen Funken umherflogen.

»So?« fragte Meister Berg. »Ist denn noch jemand in Schwarzhausen, der ihm etwas borgt?«

»Glaub's nicht!« lachte Krone. »Auch bei mir ließ er sich melden »in vertraulicher Angelegenheit,« aber ich hab' ihm meine Meinung gesagt, ganz deutlich und ganz umsonst. Ich denk', man nützt unserm Landrat wenig, wenn man seinem Thunichtgut unter die Arme greift. Ich meine, beim Leutnant wär's das beste: »'runter mit der Uniform!« Donnerwetter, wenn ich so denk', wie sie unsereins in Ehren hält, – nicht mal meine Alte darf die Uniform anrühren, und nur an heiligen Feiertagen zeig' ich sie mal ihr und den Kindern, und die Ordens dazu: das eiserne Kreuz und die Denkmünzen. Pah – so einer, wie der Leutnant von Ballian weiß ja garnich, was es heißt, dem Kaiser zu » dienen«.

Meister Krone paffte grimmig große Rauchwolken vor sich hin, und vor all dem Dampf sah er nicht den zornigen Blick, den Minna Fehrs auf ihn richtete.

Sie hatte die Hände fest ineinander gefaltet und sah so blaß und verstört mit einem Mal aus, daß ich mitleidig ihr Gesicht streichelte.

»Ist denn der Leutnant wieder herversetzt?« fragte Meister Berg bedächtig.

»Das weiß ich nicht, glaub's aber nicht. Er hatte Zivil an, und das Mädchen von Landrats sprach ja was von »Erholungsurlaub«. Ja wohl – schön wär's, wenn er sich von seinen Schulden erholen könnte.«

»Er war ja beinahe jeden Sonntag hier in Schwarzhausen – das Greul« – sagte ich lebhaft, »weißt du noch, Minna – – – – –«

Sie warf mir einen Blick zu, vor dem ich verstummte. Große Thränen standen in ihren Augen, so daß ich betroffen zu Hermann hinüber schaute. Der war aber ganz in den Anblick seiner neuen, silbernen Uhr versunken, die ich ihm im Auftrage meines Vaters zum heutigen Tage verehrt hatte. Ich konnte Minna nicht weiter über ihr sonderbares Wesen ausfragen; die Base brachte einen großen Pudding herein, und der nahm bis auf weiteres mein Interesse in Anspruch. Gegen Abend begleiteten mich Hermann und Minna nach Hause, wir schwatzten noch gemütlich vor unserer Villa zusammen, dann gab ich ihnen lachend »den Letzten« und lief davon. Mir ist es so deutlich heute in Erinnerung, wie ich auf den Stufen unserer kleinen Terrasse stand und den beiden nachschaute: Minnas Gang schien mir nicht so rasch und elastisch wie sonst, sie winkte mir wehmütig lächelnd zurück, dann sah ich hinter der Hecke, wie Hermann seine rote Abiturientenmütze noch einmal schwenkte, ehe er in das Häuschen trat. Als ich am Arbeitszimmer meines Vaters vorbei ging, blieb ich erschrocken stehen. Seine Stimme klang scharf und laut heraus, nie hatte ich ihn so sprechen hören, selbst nicht, wenn er einmal sehr böse mit mir oder den Dienstboten gescholten hatte. Ganz verändert klang seine Stimme, mich überkam eine furchtbare Angst, und ich lief in Mamas Zimmer. Zuerst meinte ich, es sei leer, aber dann gewöhnten sich meine Augen an das Halbdunkel, und ich sah eine Frauengestalt vor dem einen Sessel knieen, die Arme um das Gestell geschlungen, als sei sie davor zusammengebrochen. Und jetzt kam mein Mütterchen von der anderen Seite mit einem Glas Wasser in der Hand, sie hob den Kopf der Frau hoch und sprach liebe, gute Worte mit ihr. Ich erkannte kaum in der zusammengesunkenen Gestalt die große, vornehme und schöne Frau Landrat von Ballian; sie selbst sah gar nicht nach mir hin, ihr Körper bebte in thränenlosem Schluchzen, und ihre Hände krallten sich in Muttchens Kleid. Dann ertönten starke Schritte, und Vater trat in das Zimmer, hochaufgerichtet, leichenblaß. Mit wenigen Schritten stand er vor den beiden Frauen und beugte sich tieferschüttert zu der Weinenden.

»Es ist unmöglich, verehrte, gnädige Frau,« sagte er mit bebender Stimme und löste sanft ihre Hände von seiner Uniform, – Frau Landrat von Ballian hatte sich ihm zu Füßen geworfen.

Ich stürmte hinaus und lief plan- und ziellos durch den Park. Herrgott, was war nur geschehen? Wie schrecklich und unfaßlich war das alles für meinen Kinderkopf! Die buntesten und tollsten Gedanken wirbelten darin durcheinander.

Da tönte ein Schrei an mein Ohr, so jammervoll, so gellend, daß ich ohne Besinnen zu dem kleinen Pavillon stürzte, der tief versteckt am Ende des Gartens lag.

Seine Thür wurde aufgestoßen, und an mir vorüber stürmte ein hochgewachsener Mann, ich erkannte Leutnant von Ballian sofort, trotzdem er den Mantelkragen hochgeschlagen und den Hut tief ins Gesicht geschoben hatte. Auf der Schwelle des Pavillons aber lag meine arme, liebe Minna, und ihre blassen Lippen stammelten ununterbrochen dieselben wehen Laute: »Du darfst mich nicht verlassen, du darfst mich nicht verlassen!«

Ich schlang meine Arme um sie und weinte laut, ich redete ihr zu mit eindringlichen Bitten, und endlich stand sie auf und schwankte an meiner Seite durch den Garten. Ich wollte Dorette rufen, aber sie litt es nicht. Der Abend war hereingebrochen und im Schein der hellen Laterne, die auf unserer Veranda brannte, sah ich noch einmal ihr geisterhaft blasses Gesicht.

»Leb wohl, liebes Kerlchen!« sagte sie leise, und dann stand ich allein. Oben im Hause empfing mich mein Muttchen sehr besorgt, und weil ich fror und fieberte, brachte sie mich selbst liebevoll zu Bett. Ich fragte und forschte nicht, trotzdem mir alles verworren und unklar war; ich sah, wie sehr Mama litt unter fremdem Leid, und begnügte mich schweren Herzens mit ihrem Trostwort: »Später, Kerlchen, erzähle ich dir einmal alles!«

Am andern Tag war meine Minna tot. Aus dem kleinen Flusse drunten hatten sie die Männer gezogen, die von der Arbeit aus der großen Fabrik kamen. Und wieder durfte ich nicht fragen, mein Mütterchen sah so tieftraurig aus, und Dorette verbot es mir mit harten Worten:

»Schlecht war die Minna, ganz ehrlos und schlecht,« sagte sie verächtlich. Aber ich glaubte ihr nicht. Hätte wohl sonst mein Mütterchen erlaubt, daß ich meiner Freundin einen großen, kostbaren Kranz bringen durfte? Aber nur bis an die Schwelle des Hauses kam ich, an der Thür nahm mir Frau Fehrs die Spende ab, ich sah sie erschrocken an, – wie versteint sah das alte gütige Gesicht ans, und die glänzend schwarzen Haare, die auch die Minna von ihr geerbt, waren schneeweiß geworden über Nacht.

Ungefähr drei Wochen nach all diesem Schrecklichen reisten wir fort von Schwarzhausen. Überall nahm ich Abschied und mit Hermann stand ich Hand in Hand vor dem Hügel auf dem Friedhof. Dicht an der Mauer hatten sie Minna gebettet, an der Mauer, auf der wir im Sommer so oft gesessen und auf das Städtchen zu unsern Füßen geschaut hatten.

Einen dicken Strauß Schneeglöckchen und Primeln hatte ich auf das Grab gelegt; tiefbekümmert sah ich meinen Freund Hermann an, der sich so sehr, ach so sehr verändert hatte. Blaß war er ja schon immer gewesen, aber jetzt lag ein Leidenszug um seinen Mund, der ihn um viele Jahre älter machte.

Ich wollte nun Abschied von ihm nehmen, wollte ihm danken für all seine Freundlichkeit; Mama hatte mir eingeprägt, recht freundlich und gut mit ihm zu sein zum letzten Mal, aber mir war's unmöglich zu sprechen; heiß und würgend stieg es mir im Halse auf. Ich schüttelte seine Hand wieder und wieder und drückte sie heftig, dann lief ich in tollen Sprüngen nach Hause.

 

Liber Li!

Ich wolte Dir. nur sagen das, es schrecklich auf! Deinem Somerschloß is; wo du gebohren bist? Ich werde nie. gern Hofluft atmen, Liber Li Papa! hat mir geschriben; das ich an dich schreiben? sol daß Du. Dich furchbar drüber, freust Tante Emerenzia! sagt ich schriebe viel? falsche Wörters ich. hätte keine fotografische Natur sacht sie! und die Punkte; und die Komas? und die andern. Dinger ließe ich, wech Du siehst! aber ich habe; sie immer gemacht? der Reihe nach. alle drei Wörter, son Ding daß! is doch genuch; Liber Li ich wolte Dir so furrchbar gern fertrauen wie schrecklich es hier is Gleich zum anfang haben mich alle Hofdamens und Herrens ferschpottet, nämlich ich solte Deinen Papa und Deiner Mama forgestellt werden oder sie mier, ich ferwexle daß imer und da wurde ich nich rasch genuch fertich sie puzten mich ja wien Affen raus die Kamerjunmfern un entlich haten wir noch fier Trepen runter zu gehn denn Tante Emerenzia wohnt gans ohben. Da setzte ich mich aufts ohbere Trepengelender und rutschte runter und fiehl Deinem Papa und Deiner Mama und den ganzen Hofstaht for die Füße. Dein Papa lachte aber sonst niehmand ich habe Stubenarest fon Tante. Ich wolte ich könte mit Papan und Dir herumreisen anstat Hofluft atmen daß kan kein Mensch aushalten. Atchö lieber Li und behalte lieb

Dein Kerlchen.

P. S.

Liber Li ich mus Dir noch furchbar schnel schreiben, die Tante hat meinen Brief gelesen und ich sol ihn nich abschiken, aber ich schik ihn doch sie hat mir einen andern digdiehrt der is so dumm überhaupt nich wie ich schreibe, er is so ferrükt wie mann an Prinzen schreibt. Bite thu doch nich als ob du meinen eigenen Brif gekricht hättst sondern thu nur so als ob du den ferrückten Prinzenbrief gekricht hättst.

K.

 

Amalienlust im Wonnemond 18...

Durchlauchtigster Prinz Elimar!

Mein Vater schreibt mir, daß Sie gern mit mir eine Korrespondenz anfangen wollten und es ist mir sehr erfreulich. Es ist hier herrlich auf dem Sommerschlosse Ihrer Ahnen, Durchlauchtigster Prinz, der Flieder duftet in lauer Sommernacht. Ich lebe mich mehr und mehr ein und kann nur immer sagen: »Glücklich der, dem es vergönnt ist in der Sonne der Durchlauchtigsten Gnade zu leben.« Ich weiß ja, daß es für mich ein unverdientes Glück ist, da ich aus der unadligen Seitenlinie der hochberühmten Freiherrn von Schlieden stamme, aber ferstehst du den Kwatsch lieber Li sie is eben mahl raus gegangen un ich schreibe den Brif fon aleine fertich. Küsse nur meinen Papa düchtig, ich grüß dich tausendmahl lieber Li fon

Deinem Kerlchen.

 

Berlin W.Hotel Bellevue.

Meine liebe Felicitas!

Dein wahrhaft formvollendeter Brief hat mir sehr viel Freude gemacht, auch Dein lieber Vater hat sich unendlich darüber gefreut. Wie glücklich bin ich, daß Du unter der Obhut des vortrefflichen Freifräuleins Emerenzia von Schlieden stehst, die gewiß alle die wilden Schößlinge an Deinem Charakter abschneiden wird, ebenso wie die an Deinem äußeren Betragen, so daß Du später genau so aussehen wirst wie die wundervollen Buchsbaumhecken im fürstlichen Park, die das Auge jedes Kenners entzücken. Fahre nur so fort, liebe Felicitas, und Du wirst dauernd Freude machen Deinem Gönner

Elimar
Erbprinz von .....

 

Kleines Kerlchen!

Meinen »ferrückten« Brief hast Du wohl durch die Hoftante bekommen, nun bekommst Du diesen durch unsern braven Kastellan Braune. Du armes süßes Kerlchen! Gewiß flatterst Du Dich wie ein Vögelchen im Käfig ab, aber sei nur ganz getrost, Dein lieber, herrlicher Papa und ich denken immer an Dich, und ich habe es meinem Vater schon geschrieben, daß er Dich nicht quälen lassen soll. Lernen müssen wir ja alle, liebes Kerlchen, ich auch, – trotzdem es sehr lustig klingt, wenn die Zeitungen schreiben, Prinz Elimar ist »auf Reisen«. Wir studieren jetzt Kunstgeschichte. Kerlchen, Dein Papa ist doch unheimlich klug! Und so seelengut dabei! Was mir sehr leid thut, das ist, daß ich meinen Erich nicht mitnehmen konnte, aber wir sehen uns oft, er kommt Sonntags immer von Lichterfelde nach Berlin und dann machen wir schöne Spaziergänge zusammen und essen gemütlich in unserm Hotel. Du fehlst uns natürlich auch sehr. Laß Dich nur nicht beirren, und bleib auch bei Hofe ganz wie Du sonst bist, ach – ich wollte, ein Wirbelwind führe mal in die ganze Hofschranzenwirtschaft. Wenn Du nicht weißt, was »Schranzenwirtschaft« ist, dann frag auch um Gotteswillen nicht Deine Tante Emerenzia, eher würde noch mein Vater verstehen, wie ich alles gemeint habe. Schreibe mir nur immer mal so'n fröhlichen Brief, wenn Du auch mitunter einen »ferrückten« verfassen mußt. Und – liebstes Kerlchen, Deine Orthographie ist thatsächlich schauerlich.

Dein Li.

 

Durchlauchtigster Herr Erbprinz!

Meinen verbindlichsten Dank für Ihren Brief, den ich wie ein Heiligtum in einer Schatulle aufhebe. Wenn ich einmal groß sein werde, sollen diese Zeilen von Ihrer Hand Reliquien für Kind und Kindeskinder sein. Meine Studien nehmen mich sehr in Anspruch, deshalb verzeihen Durchlauchtigster Erbprinz, wenn ich schließe. Mit herzlichen Empfehlnngen an meinen Vater.

Ihre ergebenste
Felicitas Schlieden.

 

Liber Li!

Es is jedes Wort erschtunken un erlogen Ich hab garnich Deinen Brif wien Heilichthum aufgehoben, ich hab gleich Finzel zu einem Drachenschwanz draus gemacht, wenn Papa wüßte wie Tante lücht, sie lügen hier alle ich lüch nich, es is hundsgemein das lügen und denn weiß ich nich was Relikwen sind, un die Kindeskinder daß sind doch Puppen un Puppen verschtehn doch sowas nich. Was is Kunstgeschichte? Ich höre so gern Geschichte von Kaiser Wilhelm un Bismark und Moltke, aber ich höre sie nie. Ich habe die Schlacht bei Maraton, sie is mir schnuppe, meine Miß is sehr krank, ich habe untericht beim Herrn Pastohr im Dorf, er is lieb un sanft, aber seine Frau is böse sie sacht ich wäre schreckliches Kind, ich habe sterbenssehnsucht nach meinem Papa un nach Mama un nach Johann un Dorette auch nach Hermann nie höre ich von ihm ich habe auch Sehnsuch nach Dir, lieber Li schreibe nur imer. Findest Du nich, das ich schon weniger Feler mach?

Dein Kerlchen.

 

Liebe Felicitas!

Deine Briefe werden immer schöner; man sieht, daß Fräulein Emerenzia ein pädagogisches Licht ist. Ich kann ihren tiefdurchdachten Entschließungen auf diesem Gebiete nicht folgen, ich kann sie nur durchaus billigen. Meiner Meinung nach müßte sie Dich n o c h mehr im Zimmer, vier Treppen hoch unter dem Dach zurückhalten, es muß jetzt recht warm da sein, Wärme ist so gesund und die Luft im Park schadet dem Teint. Wenn ich wiederkomme, wirst Du ein sehr verständiges Mädchen sein und gar kein abscheuliches Kerlchen mehr, das paßt sich ja auch nicht für Dich. Lebe wohl!

Dein wohlaffektionierter Gönner
Elimar
Erbprinz von ....

 

Mein Kerlchen!

Viele hundertmillionen Grüße schicke ich Dir aus dem großen, dumpfen, lauten Berlin in das stille Amalienlust. Wäre ich doch dort! Dann sollte Dir unser schönes Schloß und der tiefe, dunkle Park schon gefallen! Du siehst ja nichts von all der Frühlingspracht! Ich habe mich hinter meinen Papa gesteckt und er wird jetzt einen täglichen Spaziergang von mindestens drei Stunden befehlen. Dein Papa wurde ganz blaß, als wir durch Erich erfuhren, daß Du gar nicht herauskommst. So etwas mußt Du uns immer schreiben, warum klagst Du es n u r dem Erich? Er ängstigt sich um Dich und kann Dir weniger helfen als wir. Deine Mama hat Dir wohl selbst geschrieben, daß sie sehr krank ist und Dich weder zu sich holen, noch jetzt selbst nach Schwarzhausen zurück kommen kann. Ich habe bei Papa auch durchgesetzt, daß Du übermorgen bei dem Gartenfest im fürstlichen Park dabei sein darfst, ein weißes, ganz neues Kleidchen schickt Dir Dein Papa von hier aus, mit mattblauem Unterkleid, es sind genau unsere lieben Landesfarben, ich habe es selbst ausgesucht. Kerlchen soll fröhlich sein und tanzen. Übrigens kann ich Dir noch etwas sehr Schönes erzählen, ich habe Deinen Hermann Berg getroffen, es war vor der Universität und er stand da mit mehreren Studenten. Er war ganz glücklich und sehr verlegen, als wir plötzlich vor ihm standen und ihn dann nach Bellevue einluden; er fragte immer nur nach Dir und sagte, er hätte Dir schon drei Briefe geschrieben, aber nie eine Antwort bekommen. Schreibe ihm nur mal, auch wenn es Dir schwer wird, Du hast ja so viel Zeit. Gott befohlen, mein Kerlchen!

Dein Li.

 

Liber Li wenn ein Brif fon Dir komt durch die Schloßpost dann lese ich ihn garnich erst und gebe ihn gleich Tante Emerenzia, nur die Überschrift las ich. Liebe Felicitas daß klingt zu ferrückt und drunter Dein affektirter Prinz Elimar, daß bist Du auch, wenn Du so schreibst, aber wenn ein Brif durch den Kastellan kommt, freue ich mich tod, ich habe schon manchmal geweint, es sind wuthsthränen, weil ich so einsahm bei Tante bin. Du mußt diesen Brif, der in diesen liegt, an Hermann geben. Ich habe nie einen Brif bekomen von ihm, er mus ihn fergessen haben in den Kasten zu stecken, ich habe nichts bekomen. Lieber Li ich gehe jetz spazieren, aber immer mit Tante. Es is kein Jux dabei, ich bin gar kein lustiges Kerlchen mehr, ich bin wie eine Hoffdame. Gestern zu dem fest war es auch nich schön, blos das Kleid war schön von Papa, ich hab ihm schon gedankt. Tante wolte mich erst nich mitlasen, aber dein Papa hats befolen, ich war auch fiehl bei ihm in der Nähe, er ist imer gühtig mit mir. Sie sprachen Alle von einer Wirthschaft, die in Amalienlust im Dorf gebaut werden sol und da fragte ich, ob daß eine Hofschranzenwirthschaft würde und Tante Emerentia führte mich gleich abseits und schimpte doll. Und dann saß ich neben Freulein von Bredow un sachte ihr, sie hätte sich so schön getuscht im Gesicht, ich hätt es durchs Fenster gesehen und Warum sie das thäte. Ich tuschte nur Bilderbogen an, und da ging sie gleich wech un kam nich wieder un dann fand ich eine Brosche auf dem Wech und steckte sie dem Kammerherrn von Lißlingen auf die seidenen Strümpfe unter die Kniehosen, aber er merkte es nich, sie warn von Watte aber Alle lachten un da kam er auch uich wieder un dann schprengte ich den Rasen und sie ferboten es. Es wird hier alles ferboten und ich machte den Fentil zu, und da kam der Hofmarschall un frachte was ich mache und da ging das Fentil ganz aus Fersehn mit Willen wieder auf und er hatte den Schtrahl im Gesicht. Er mußte sich umziehn und alle die Damens und Herrens fon das Fest schimften. Nachher steckten sie sich Komfekt un Kuchen un Krachmandeln un Rosin ein, daß die Palitotaschen un die Pompadüre, die in der Gardrobe hingen gans dick waren, da that ich jeden noch Fannillieeis un Fruchteis nein, bis sie foll waren, aber daß lekte unten naus, ohhh wie sie schimpften! So gewöhnliche Wörters die nehm ich nich in den Mund wie die Hoffdamen. Da war ich nun auch böse geworden, forher war ichs nich, un hab die Hausschlüssel ferwexelt, sie stekten in den Palitos un die mußten doch reingemacht werden fon das Eis. Da sind die Geste nachts rumgelaufen und keiner hat neingekönnt in sein Haus un der Nachtwechter schlief, da ham sie ihm gewekt, aber da wars bald Morgens, i c h hab aber sehr schön geschlafen.

 

Durchlauchtigster Herr Erbprinz!

So große Freude mir auch der Briefwechsel mit Ihnen bereitet und so sehr ich die Ehre zu schätzen weiß, Ihnen Nachricht von meinem Leben und Treiben geben zu dürfen, so muß ich Ihnen doch, so leid es mir auch thut, gestehen, daß mein Leben hier im Fürstlichen Schlosse nicht so verlaufen ist, wie es die Gnade der allerdurchlauchtigsten Herrschaften hätte voraussetzen können. Indem ich mich zu vielen Thorheiten hinreißen ließ, die der Würde des Ortes nicht angemessen waren, verletzte ich Sitte und Anstand in hohem Maße und verscherzte mir das Vertrauen und die Liebe meiner vielfachen Gönner und Freunde. Damit nun mein lebhaftes Temperament mich nicht zu weiteren schrecklichen Dingen verleitet, die mich natürlich hinterher selbst am tiefsten schmerzen, so soll ich vorläufig jeden Verkehr mit der Außenwelt abbrechen und ganz meinen Studien leben. besonders soll sich mein Augenmerk auf orthographische Übungen richten, es ist ja für ein zehnjähriges Mädchen ganz unerhört, wie viele Fehler ich noch mache. So rufe ich dann Ihnen, durchlauchtigster Prinz, einstweilen mein »Lebewohl« zu. Ich bin zerknirscht, das will ich ehrlich gestehen, und sehe ein, daß ich ein häßliches, boshaftes Geschöpf war.

Ihre Emerenzia.

 

Ich hab den Namen hingeschrieben un nich meinen, denn so paßt es besser. O Li, es ist Ales so schrecklich, ich sene mich so nach Papa. O Li wenn ich doch wech könte, sie is so falsch und ich könnt' die größten Gutenwerke thun sie würds nich Worthaben. Sie hate mich gestern eingespert fier Trepen hoch und wahr zum Wist spielen gegangen ins Dorf, oder nach Neustadt runter, ich wußt von nichts. Da bin ich aus dem Feuster geklettert, wie 'ne Katz' un hab aufn Dach gesesen. Un ich war nich die Bohne schwintlich, die Leute warn unten wie Stecknadln groß un ich hab' gesungen wenn der Hund mit der Wurscht ibern Ekstein springt un den zweiten Fers wenn der Pudel in der Wuth sich'n Been ausreißt un solche Lieder darf man sonst nie singen Tante sagt es wärn aufrührerische un da hab ich anstatt Pudel imer Tante gesungen un da holten mich entlich Menschen runter, aber Tante kam nicht und kam nicht, ich kriechte Angst, sie wäre untern Leierkasten gekommen, da hab ich Abens wies ganz dunkel war einen großen Kuh-Jungen Geld gegeben, da hat er sein Horn mit genomen, wo er die Kühe mit tutet und hat immer gerufen eine Tante is ferlohrn gegangen tuht! Eine Tante is ferlorn gegangen tuht!!! ich wolte ihm noch sagen das sie falsche Hare un falsche Zene un sonst noch viel falsches häte zum austuten aber da kam sie schon angelaufen un hat mir 'ne Ohrfeiche gegeben eine furchtbare ich habe ihr die Zunge eine Stunde lang rausgestreckt bis mir ganz schlecht wurde. Sie ist eben wieder runter bei die eine Hofdame gegangen der erzählt sie imer ales von mir, und ich sol meinen Brif an dich nachsen, ob feler drin sind aber dan mach ich ihn imer gleich fix zu und trag ihn fort. Liber Li sie hat mir ein Tagbuch gegeben da sol ich jeden Tag reinschreiben ich weiß nich was, aber Brife solt ich nie an keinen Menschen schreiben zur Schtrafe für mich. Sag es doch meinem lieben Hermann bite und meinen Papa. Das Leben is schwer, oder schwehr, ich weiß es nich genau wies geschrieben wird, o Li es is zum ferzweiveln.

Dein Kerlchen.


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