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* * *

In einer Kleinstadt trauert man und freut man sich gemeinsam. – Als dem Weber Kohlstock seine Frau so krank war und schließlich starb, da hatten meine Eltern vier Kinder von ihnen tagtäglich als Tischgäste, und Onkel Doktor hatte auch eins, und Senden's das sechste. Und am Beerdigungstage bekamen wir Kinder von Schwarzhausen Schokolade und Kräpfel, und prügelten uns abends genau so einträchtig, wie die Großen, denen der vorzügliche Nordhäuser Korn »ins Gemüt« gegangen war.

Ebenso groß und gemeinsam war auch die Freude, als Papa »Oberst« wurde, der Wagen des Fürsten vor der Thür hielt, und alle Honoratioren angefahren kamen, um zu gratulieren. Ich stand auf dem Balkon, unter welchem die Schuljugend Schwarzhausens sich versammelt hatte, und warf Pralinees hinunter aus des Fürsten Bonbonnière, und als nichts mehr darin war, kamen Knöpfe an die Reihe, die so schön geordnet in Mamas Nähtisch lagen, auch Erichs Bleisoldaten und die Steine von seinem großen Baukasten verfielen demselben Schicksal, bis mein Bruder, der auf Ferien aus dem Korps da war, mich hereinzog und mir nicht gerade allzu harmonisch den Marsch blies. Schon zwei Tage vor dem großen Ereignis nahm ganz Schwarzhausen Gelegenheit, vor unserer Gartenpforte stehen zu bleiben und auf unser Schild zu gucken; ich begriff nicht, wie man um eine einfache Stilübung des kleinen Kerlchens solch ein Aufhebens machen und so furchtbar darüber lachen konnte. Es stand da an der weißen Thorfahrt unter dem blitzblanken Messingschild »Schlieden« mit ungefüger Kinderhandschrift geschrieben: »Oberstleutnant, früher Major, früher Hauptmann, früher Premierleutnant, früher Secondeleutnant, hoffentlich bald Oberst!!«

Erst die gepfefferte Ohrfeige, die ich von Papa erhielt, als er aus dem Dienste kam, belehrte mich, daß man seine Visitenkarten nicht so vielseitig verfassen und besonders seine Zukunftshoffnungen nicht so offenkundig preisgeben soll. Papa sprach ein paar Tage lang nicht mit mir, was mich sehr duckte, es war aber auch unheimlich, mit welcher Geschwindigkeit sich meine Kritzelei herumgesprochen hatte.

»Wenn nur der Fürst nichts erfährt,« seufzte Tante Emerenzia, die wieder einmal herübergekommen war, »Felicitas macht euch noch bei Hofe unmöglich«. Als der Fürst aus dem Wagen stieg, klopfte er mich auf den Kopf und sagte: »Na, alter Thorschreiber?« Und den Papa begrüßte er lachend:

»Guten Tag, Herr Oberst, früher Oberstleutnant, hoffentlich bald General!«

Tante Emerenzia zeigte ein sauersüßes, recht gequältes Hoflächeln und Mutti ein ergebungsvolles, nur Papa lachte schon wieder ganz vergnügt und sagte: »Durchlaucht kennen ja mein Kerlchen.« So war denn diese dumme Geschichte auch abgethan, und wir kamen auf solche Weise zu einem frisch angestrichenen Gartenthor. Ich sollte es bezahlen, jawohl, das hatte Papa streng befohlen, und ich stand ganz traurig vor meiner Sparbüchse aus Thon, die ich dieses »elenden Thores« wegen zerschlagen sollte, um für den Malermeister Brecht zwei Mark heraus zu holen. Aber Hermann Berg half mir, mein treuer Freund! Er stellte sich selbst in aller Herrgottsfrühe hin, und malte den Zaun an, die weiße Farbe hatte er selbst noch von seinem eigenen Hause, und als sie nicht reichte, mauste der Lehrling vom Malermeister Brecht noch etwas blaue dazu für mich und bekam dafür zwölf Cigarrenstummel, die ich von dem Festfrühstück für ihn aufgehoben hatte, einer war sogar vom Fürsten.

Hermann war uneigennütziger, der verlangte nichts für seine Arbeit, als »mein Bild«. Ich lief auch sogleich in Mamas Zimmer und nahm mein Bild von ihrer Staffelei, es war groß und schwer in wunderhübschem Goldrahmen, und der Maler war ein sehr berühmter Mann in Berlin, aber für mich in der Erinnerung nur als »Greul« lebend, weil er mich seinerzeit zum Stillsitzen verdammt hatte. Das Bild schien mir eine sehr nette und durchaus angemessene Belohnung für Hermann zu sein und ich fand es ziemlich »schofel« von Mama, daß sie es mir noch auf der Treppe wieder abjagte, noch dazu mit allen Zeichens des Entsetzens, als hätte ich ein Kapitalverbrechen begangen. So'n dummes Bild, – ja wenn es noch mein weißes Kaninchen gewesen wäre, das mit dem schwarzen Fleckchen über dem rechten Auge! Ich mußte dem Hermann nun ein ganz gewöhnliches, schwarzes Bildchen von mir bringen und konnte es einfach nicht begreifen, daß er sich so närrisch freute. So wäre ich also gut und billig fortgekommen, wenn nicht Tante Emerenzia ein Geschrei über den blauweißen Zaun erhoben hätte, der doch so echt thüringisch war. Eine Mark ging überdies doch flöten, auch für die gemauste Farbe (Tante sagte: »gestohlenes Gut«), denn nun mußte der Meister nochmal übertünchen. Das Schrecklichste aber waren die Beratungen der Eltern über mich, – es sollte eine Gouvernante ins Haus, meine gute, sanfte Mama fühlte sich nicht mehr gewachsen »meinen ferneren Unterricht zu leiten«, wie sie selbst sagte, »ein Mädchen aus mir zu modeln, das auch bei Hofe wohlgelitten sei«, wie Tante Emerenzia sagte, und »den Kerl zu drillen,« wie Papa sagte. Viel Freude erlebte ich nicht an meinen Erzieherinnen, die jetzt in, wie es mir schien, unabsehbarer Reihe in unser Haus einzogen, um mir nach Dorettens Ausspruch »Benehmigung beizubringen« Und die armen Menschenkinder litten auch unter mir, begriffen meine Tollheiten einfach nicht, kargten mit freundlichen Worten und Blicken und verschwendeten dafür »Ermahnungen«. In einem waren sie alle einig, sie fanden Schwarzhausen »fürchterlich«, aber das lag Gottlob nicht an mir, ich hatte die Stadt nicht gebaut. Schließlich konnte ich den Jammer von Mama über ihr verwilderndes Kerlchen nicht mehr mit ansehen, und da beging ich ausnahmsweise einen klugen Streich, indem ich mir selbst eine Gouvernante besorgte. Freilich kostete die Anzeige im Wochenblättchen sieben Mark und achtzig Pfennige, denn ich hatte in völliger Unkenntnis der Verhältnisse eine längere Epistel losgelassen, noch dazu fettgedruckt, aber dafür »fiel auch jemand darauf »rein« und ich bekam meine einzige, gute, liebe »Miß«.

Nicht daß sie eine hagere, lange blonde Engländerin gewesen wäre, – das hätte ich meinem Papa gar nicht anthun dürfen, der außer Beefsteak, Steeple chase, und noch einem komischen Wort kein Englisch sprach, – nein, sie hieß Maria Krauß und war die siebente Tochter eines alten, verdienten Offiziers.

»Miß« nannte ich sie aus dem einfachen Grunde, weil Hertha von Ballian, unsere Landratstochter, eine »wirkliche lebende Engländerin« besaß und sich über alle Maßen mit dieser brüstete. Nun hatte ich auch eine »Miß«, und noch dazu eine kleine, rundliche, dunkelblonde, vergnügte Miß mit dunklen, großen Augen.

Unsere alten Landrats waren fort, versetzt ins »Ministerium«, so sagte man mir, aber wo das war, wußte ich nicht, trotzdem ich im Atlas nachschlug. Herr und Frau Landrat hatten mich zuletzt noch tüchtig verwöhnt und verhätschelt, und das nur, weil ich Herrn von Senden so schön im Graben gepflegt hatte. Der Ärmste, – er war ein Krüppel geworden, der Knochen war ganz zersplittert gewesen, und die Wunde auf der Stirn war zu einer sehr entstellenden Narbe geworden. Aber trotzdem gefiel er uns allen jetzt tausendmal besser, und Frau Ellen ging mit einem Glücksgesicht herum. Ein wunderschönes Gut hatte sie ihrem Gatten geschenkt, und dahin sollte nächstens übergesiedelt werden.

Die neuen Landrats waren »sehr vornehm«, »noch vornehmer als der Fürst selbst,« meinte Papa, was ihm einen strafenden Blick von Tante Emerenzia eintrug.

»Wenn du, lieber Vetter, dir ein Beispiel an dem streng korrekten Landrat von Ballian – – –«

»Liebe Kousine, ich bin Soldat und kein Höfling.«

»Das weiß Gott. Aber wenn deine liebe Gattin so wie die Landrätin – – –«

»Liebe Kousine, meine Paula ist mir so recht, wie sie ist, ich möchte sie auch nicht um ein Atom anders haben!«

»Hm! Ereif're dich nicht. Aber Felicitas müßte unbedingt Fühlung mit Hertha von Ballian haben – –«

» Nein! Unser Kerlchen soll kein Durchschnittsmädel werden, wie Hertha, keine Treibhauspflanze, die dann in der Großstadt ausgestellt wird, damit nur ja die Residenz das Allerneuste, Allerfeinste, Allerbeste bekommt; solch ein Blümchen wird dann von irgend einem Plastertreter gekauft, ins Knopfloch gesteckt, oder ans »Berliner Zimmerfenster« gestellt mit Aussicht nach dem Hof, und wenn es verwelkt ist, – fortgeworfen.«

»Du wirst doch nicht umhin können, Felicitas mal nach Berlin zu schicken, was würden unsere Verwandten sagen! –«

»Gewiß, mit uns kann sie gern auf ein paar Wochen hin, aber mein Zelt dauernd dort aufschlagen will ich auf keinen Fall.«

»Aber der Fürst – –«

»Hat es mir in gütigster Weise angeboten, – gewiß! Doch da Erich mit dem jüngsten Prinzen gemeinsam im Korps erzogen wird, habe ich keinen Grund, die Großstadt aufzusuchen der besseren Schulen wegen. Kerlchen aber soll ein Provinzmädel sein, wie ihre Mutter es war, ein frisches, fröhliches, rotwangiges, helläugiges und warmherziges Provinzmädel.«

»Beschränkt, kleinstädtisch – –«

»Sieh nach deinen Worten, Kousine! Es hat wohl nie eine geistig frischere und dabei vornehmere Frau gegeben, als meine Mutter es war, ebenso war Paula's Mutter und ist Paula selbst! Alle drei waren Provinzmädels, Kleinstadtkinder – herzerquickend durch und durch.«

»Du wirst ja poetisch!«

»Dazu bin ich nicht veranlagt. Aber aufgeregt werde ich allemal, wenn ich gegen die Großstadt opponiere, und selten habe ich mich so gefreut, als neulich über das Lob, das jemand dem reizenden Fräulein Katharina von Grüßheim spendete, die doch mit echtem Spreewasser getauft ist: – »Sie könnte nicht lieblicher, nicht frischer, nicht anmutiger sein, wenn sie ein Provinzmädel wäre.« Das war eine feinsinnige Schmeichelei für unsere Kleinstadtkinder, und der sie aussprach, war ein Mann, der die halbe Welt bereist hatte – – nebenbei persona gratissima bei Hofe; das letzte Argument ist wohl bei dir ausschlaggebend.«

»Und Erich? Siehst du auch in ihn, wie in einen goldenen Kelch hinein?«

»Selbst auf die Gefahr hin, daß du mich für einen durchaus eingebildeten Vater hältst, muß ich dir gestehen, daß ich auch meinen Jungen nicht anders haben möchte, als er jetzt ist. Ich hätte ihn allerdings am liebsten selbst erzogen, da mir die Kadettenhauserziehung etwas zu einseitig ist, aber mein ganz besonderer Dienst nimmt mich zu sehr in Anspruch, und Paula ist viel leidend.«

»Nun, es war doch selbstverständlich, daß Erich ins Korps trat, da er doch mit dem Prinzen zusammen bleiben sollte. Der Wunsch Seiner Durchlaucht« – –

»War in keinem Falle für mich Befehl, dazu ist der Fürst zu weitsehend, und großdenkend, aber Prinz Elimar ist ein prächtiger Junge, ein ganz famoser Schlingel!«

»Schlieden!«

»Kousine, du bist großartig! Ist denn ein vierzehnjähriger Prinz kein Junge? Und ein Schlingel ist er auch, unser Prinz Li, niemand weiß das besser, als der Fürst selbst. Aber »ruge Fahlen geben de glattsten Pird«, damit tröste ich mich.«

»Deine Explikationen sind furchtbar für das Ohr einer Frau, die fünfunddreißig Jahre lang Hofluft geatmet hat, brechen wir das Thema ab. Aber ich bleibe dabei, Landrats sind eine exquisite Acquisition für euch, der Leutnant ein ganz charmanter Kavalier – –«

»Läuft's darauf hinaus? Aber ich will diesen »charmanten Cavalier« weder zum Schwiegersohn, noch zum Vorbild für meinen Erich, – na, solltest du keinen Vogel haben singen hören über diesen Herrn?«

»Die Welt urteilt so oft falsch, ich habe erst neulich mit der Landrätin darüber gesprochen – –«

»So hast du? Nun welche Mutter würde wohl ihren Sohn anklagen? Und vollends Frau von Ballian! Armes Weib, – die Augen werden ihr bald genug aufgehen!«

»Du bist von Anfang an hart mit dem jungen Ballian gewesen – –«

»Ist es nicht lachhaft, Emerenzia? Ich, der Mann, verdamme den Leichtsinn und die Lüderlichkeit, und du, die »zarte Frau«, nimmst sie in Schutz?«

»Oh da muß ich doch sehr bitten – –«

»Genug, Kousine! Ich werde scharfe Augen auf den Leutnant haben und bin außerdem mit seinem Regimentskommandeur befreundet; – der Ballian soll mir nicht während seiner Urlaubszeit mein altes Schwarzhausen als ergiebiges Jagdterrain ansehen, sonst könnte ich ihm seine Ferien elend versalzen.«

»Schon gut! Zuerst versalze sie einmal dem Sprößling des ehrenwerten Herrn Schusters Berg, über den ich die bittersten Klagen gehört habe. Wie du Felicitas diesen obscuren Jungen als Spielgefährten erlauben kannst –«

»Obscur? Ich denke darüber anders. Du hast wohl vergessen, liebe Kousine, daß unser Ahn ehrsamer Schuhmacher in der alten Hansestadt Lübeck war. – Eigentlich verwunderlich bei deiner genauen Kenntnis unseres Stammbaumes.«

»Gott – jede Seitenlinie kenne ich doch nicht – – –«

»Oho, Seitenlinie! Sperr dich doch nicht, Kousine! In der Seitenlinie befinden sich Töpfer, wenn ich nicht irre, aber der ganz direkte Ur – ur – urgroßvater war Schuster, den geb' ich nicht her, Emerenzchen, das soll ein Prachtmensch gewesen sein!«

»Sprich nicht so laut – Schlieden.«

»Na hör mal, Kousine, du bist wohl – – verzeih, wenn ich heftig werde. Aber engherzige Verbohrtheit macht mich wild. Das sollen meine vier Wände nicht hören, daß mein Ahn ein Handwerker war? Stolz bin ich auf diese Verschwägerung mit Hans Sachs, und wenn das Handwerk noch so blühte, wie damals, dann ließ ich meinen Jungen das werden, was sein Ahn war, – solltest deine Lackstiebeln alle umsonst bekommen, Kousine.«

»Wie kannst du nur spotten.«

»Ich spotte garnicht. Aber mit dir läßt sich nicht über dieses Thema reden, du liegst zu sehr im Banne der Hofluft. Du bist katholischer, als der Papst, denn das zieht mich ja so zu unserm Fürsten, deshalb sind wir ja »Freunde« geworden, weil er das gut bürgerliche Element in mir achtet und mich den blaublütigsten Männern vorgezogen hat. Das Thema »Ausgleich der sozialen Unterschiede« hat uns einst zusammengeführt, der Fürst denkt wie ich.«

»Und doch ist Gottlob sein Stammbaum rein, – rein wie –«

»Deine Seele, Emerenzia, das weiß ich ja; aber das ist Zufall. Prinzessin Amalie war ein Edelgeschöpf, doch ich glaube, Durchlaucht hätte sie auch in sein Schloß geführt, wenn sie ein Mädel ans dem Volke war, er hat entschieden eine »Alte-Dessauernatur«.«

»Und du selbst hast dir ein hochadliges Fräulein genommen, wie paßt das zu deinen volkbeglückenden Ideen?«

»Ausgezeichnet! Ich suchte vor allen Dingen nicht in blinder Verliebtheit für mich eine Frau, sondern ich suchte die Mutter meiner zukünftigen Kinder, und hab' sie gefunden, Gott Lob und Dank! Daß sie zufällig eine von Mühlenweg aus dem Hause Cronshagen war, kommt nur insofern in Betracht, als ich nun den bunten Rock nicht auszuziehen brauchte, der mir so ganz ans Herz gewachsen ist, und daß mich meine Braut näher an den Hof brachte, der mir meinen Freund gab, den Fürsten. Aber der Liebste aus der ganz prächtigen Sippe meiner Frau war mir doch immer der alte Urgroßonkel Cronshagen aus der unadligen, aber untadeligen Seitenlinie. Es war köstlich, wenn der geheime Kommerzienrat in seinem Lehnstuhl aus geblümtem »Zitz« saß und mit zitternder Stimme erzählte, wie er vor Jahren als armer Bandkrämer in die große Stadt gekommen sei und sein Zelt auf dem Wilhelmsplatz aufgeschlagen habe. »Aber das Zelt brannte ab und alle Bänder und Seiden- und Zwirnröllchen dazu. Erst heulte ich, wie ein geschlagener Bub,« erzählte der Alte, »aber dann baute ich mir aus den halbverkohlten und den noch nicht versehrten Brettern noch am selben Tag ein anderes Zelt, denn ich wollt' wenigstens mein Quartier verdienen, nur wurde es viel kleiner, und ein paar Bänder hatte ich auch noch, und die angesengten Sachen verkaufte ich billiger. Das alles hatte ein reicher Kaufherr am Platz mit angesehen, ich gefiel ihm, und er schenkte mir hundert Gulden. Und mit diesen hundert Gulden ist es mir geglückt.« Unter »geglückt« verstand der alte Cronshagen, Gott hab ihn selig, die meilenweiten Besitzungen, die weltberühmten Fabriken, die »Cronshagen Kolonie«, zu der aus dem Aus- und Inlande die Leute pilgern, um vor diesem Bienenfleiß, vor diesem Dokument fabelhafter menschlicher Ausdauer staunend Halt zu machen. Und jetzt? Wie wüsten die hochadligen Schwiegersöhne und Töchter, Enkel und Enkelinnen in dem Vermögen und der großartigen Schöpfung des Alten herum! Der Fürst erzählte es mir neulich mit tiefem Grimm, als er zu einer Festlichkeit Gast des derzeitigen Chefs des Hauses gewesen war. »Es ist die höchste Zeit,« sagte der Fürst, »daß wieder mal ein rechter, echter »Bandkrämer« in die Familie heiratet, sonst gebe ich der Firma nicht mehr fünfzehn Jahre. Und nun verleugne mir nicht mehr unsern prächtigen Ahnherrn. – Unser Kerlchen schlägt nach ihm, und deshalb ist mir auch die Wahl ihres Spielkameraden und Freundes nicht befremdlich, – na, was hat er denn mit einem Male ausgefressen, der Hermann Berg?«

»Er soll sich in jeder Weise flegelhaft gegen den Leutnant von Ballian benehmen, ihn nicht grüßen, seine Befehle ignorieren –«

»Der Leutnant von Ballian hat dem Hermann garnichts zu befehlen, im Übrigen ist mir die Sache reichlich schleierhaft, wird wohl was dahinterstecken – vielleicht Kerlchen – wer weiß!«

»Hermann, warum kannst du den Leutnant von Ballian nicht leiden,« fragte ich meinen Freund.

»Ich – ich – na – sieh, wie das so geht, Kerlchen.«

»Willst du mir's nicht sagen?«

»Nein! Bist du mir böse deshalb?«

»I wo, is mir ja schnuppe. Ich kann ihn selbst nicht leiden, aber Minna, die thut's!«

»Kerlchen!«

»Ja, sie spricht oft mit ihm, sagt Dorette, und sie hat mir beide auch mal abends gezeigt, aber das war gewiß nicht wahr, der Mann hatte ja einen grauen Rock an, war garnicht in Uniform. Warum bist du so traurig, Hermann?«

»Ach – es ist nichts – oder doch – sieh Kerlchen, ich hab's immer mit der Base zu thun. Sie ist ärgerlich, daß ich studieren will, weil das Geschäft ja ganz gut geht, aber ich kann die dumpfe Luft in der Werkstatt nicht aushalten, mir ist immer, als müßt ich ersticken. Des Nachts, da ist mein Husten oft so schlimm, – Gottlob es merkt's niemand, sie schlafen alle beide wie die Murmeltiere, mein Alter und die Base. Aber nun quält mich die Base auf jede Art – es ist kaum zum Aushalten. Nun hat sie den Vater wieder aufgestachelt, daß ich Stiefel austragen soll, weil der Lehrling krank ist, – ach das wär' ja auch garnicht so schlimm, aber sie hat meinen Hut versteckt und auch die alte Kappe, nun soll ich in der Schülermütze gehen, und die leuchtet so, und wenn mich die Jungens mit den geflickten Stiefeln gehen sehen, dann schneiden sie mich.«

»Mit 'n Messer? Oh, das sollen sie nich! Gieb her, ich bring die Stiefeln hin, ich hab' keine Schülermütze, da werden mich die Jungens auch nicht schneiden.«

»Oh, wolltest du das thun? Das werden deine Eltern nicht erlauben!«

»Meine Eltern sind beim Fürsten zum Frühstück, und außerdem freuen sie sich mächtig, wenn ich mal was Gutes thue. Gieb her, Hermann.«

»Da ist der Zettel! Merk' gut auf und versäum ja keinen Kunden. Sieh, da steht's drauf.«

Ich nahm Stiefel und Zettel, und las: »Herrn Rennthier Gottlieb Fangeisen einen Flicken aufgesetzt. = 35 Pfg.«

»Herrn Landrat von Ballian neu vorgeschuht. = 4 Mk. 50 Pfg. Desgleichen die Frau Gemahlin versohlt. = 2 Mk. 50 Pfg.«

»Fräulein Georgine von Hippel ganz und gar durchgeflickt. = 80 Pfg.«

»Wo der Herr Fangeisen wohnt, weißt du doch, Kerlchen?«

»Ich werde doch Onkel Gottlieb kennen?«

»Dann gehst du zu Landrats, überall kriegst du Geld; Vater schreibt keine Rechnungen über Flickereien. Dann kommst zu Fräulein von Hippel.«

»Die kenne ich nicht.«

»Das glaub ich, sie läßt sich auch vor niemand sehen, sie ist ganz menschenscheu und furchtbar häßlich, aber das schadet nichts. Du mußt ihr auch noch bestellen, diesmal hätte der Vater die Schuhe noch mal geflickt, aber es wäre kaum gegangen, das nächste Mal müsse er sie ganz neu beledern, es thäte groß Not.«

»Ist schon gut, das werd' ich alles besorgen,« sagte ich wichtig, – »atchö!«

»Du bist ein sehr gutes Kind,« rief er mir noch nach, »ich setz' mich mit meinem Ploetz derweil unter die große Linde, da sieht mich niemand, halt' dich nur nicht auf und bring' das Geld!«

Ich ging davon und wunderte mich, daß die Leute mir nachschauten. Es war wohl ein komischer Anblick, das kleine Mädel im weißgestickten Kleidchen, und der roten Schärpe, auf dem wilden Lockenkopf einen großen weißen Florentinerhut, an den Füßen die kurzen Wadenstrümpfchen und die zierlichen Lackschuhe, über den Arm gehängt drei Paar große Lederstiefel, deren Zeugstrippen mit dicken Bindfaden zusammengeknotet waren. Bei Landrats machte mir der Livreediener auf.

»Die Herrschaften sind zum Frühstück,« sagte er, als ich nach Herrn und Frau vou Ballian fragte.

»So? Wohl zum Fürsten? Da sind meine Eltern auch.«

Der Diener sah mich sehr erstaunt an, und wußte augenscheinlich nicht, was er aus mir machen sollte.

»Na, es ist einerlei, – hier sind die Schuhe. Ich krieg 7 Mk., der Herr Landrat is vorgeschuht, aber die Frau Landrat hat er nur versohlt.«

Der Diener schlug sich vor Vergnügen auf das Knie, so sehr freute er sich über die hübschen Schuhe, und dann bekam ich auch das Geld. Auch den »Sechser extra« nahm ich, trotzdem er ihn mir erst gar nicht geben wollte, aber Schuster Bergs Lehrling bekam immer einen Sechser fürs Austragen, deshalb bat ich auch darum.

Und nun zu Fräulein von Hippel.

Eine ältere Magd öffnete mir, besah mich kopfschüttelnd von oben bis unten und sagte: »Nee, wenn schon die Handwerker ihre Gören wie die Affen 'rausputzen, wo soll denn das 'naus?«

Sie wollte mir die Schuhe abnehmen, aber ich bestand darauf, sie Fräulein von Hippel selbst zu bringen.

Ja, Fräulein von Hippel war sehr häßlich, entsetzlich häßlich! Lang und dünn, mit scharfen Augen, einer großen Hakennase und gelben Zähnen in dem großen Munde. Ich war ordentlich erschrocken als ich sie näher ansah, und dachte bei mir, daß Schuster Berg mit seinem Auftrage sehr Recht habe.

»Schuster Berg läßt sagen, das nächste Mal wollte er Sie frisch beledern, so ginge es nich mehr; es thäte groß Not,« bestellte ich.

»Unverschämter Mensch!« rief das Fräulein mit schriller Stimme, »nein so eine Frechheit!«

Sie rang die Hände, lief, ohne auf mich zu achten, im Zimmer umher und fing schließlich an zu weinen. Das that mir nun wieder sehr leid. »Bitte weinen Sie doch nicht, bat ich, ich bin ja auch häßlich, aber es thut nichts, ich mache mir garnichts draus; Papa sagt immer: Schönheit vergeht, aber Schweinsleder besteht.«

»Dein Vater ist ein, ein, ein – – –«

»Oberst und Regimentskommandeur,« ergänzte ich. »Und bitte geben sie mir jetzt achtzig Pfennige für Schuster Berg.«

»Du, du – bist die Tochter – –«

»Nein – eigentlich nicht – bloß heute – aber das kann ich nicht so geschwind erklären, – fix, fix das Geld, ich muß fort.«

»Du bekommst kein Geld von mir,« schrie Fräulein von Hippel. »Das fehlte noch! Das ist ja die reine Schwindelei! Ich werde mit dem frechen Patron selbst sprechen und du scher dich jetzt hinaus.«

Sie schob mich unsanft fort, und die Magd half mit, ich war ihr gleich »verdächtig« vorgekommen. Zornrot lief ich nach der Linde, wo Hermann auf mich wartete. Er war sehr bestürzt, als ich das Geld nicht brachte.

»Großer Gott, was wird die Base sagen!« rief er. »Jeden Pfennig rechnet sie nach, es giebt einen Mordskrach, wenn die 80 Pf. fehlen.«

»Da, Hermann, nimm einstweilen mein Trinkgeld, vielleicht krieg' ich von Onkel Gottlieb noch was dazu, wenn ich ihn bitte, oder von Tante Erdmute.«

Hermann nahm den Sechser, nickte mir zu, und ging langsam seiner Behausung zu. Er that mir sehr leid. Ich aber lief zu Onkel Gottlieb!

Onkel Gottlieb!!! Den hättet ihr kennen müssen! So was wächst auch nur in einer Kleinstadt! Den muß ich euch zeigen! Onkel Gottlieb, du hast das Kerlchen immer lieb gehabt, erlaub mir's nun auch, daß ich dich schildere mit all deinen »Antipazien!«

*

Onkel Gottlieb war eingefleischter Junggeselle. Er hätte gut und gern heiraten können, denn er war Rentier, aber er wollte nicht. »Der liebe Gott hat mir als Junggeselle auf die Welt kommen lassen, – bleib ' ich halt einer.«

Oder: »Es ist mich zu schanierlich, ewig so 'n Frauensgeziefer um mir zu haben.«

Höflich war Onkel Gottlieb nicht.

Er war auch kein Onkel von Geburt, sondern »Wahlverwandtschaft« von mir.

Seine Wohnung war voll von seltsamen, ausgestopften Tieren, die alle ein mehr oder weniger schreckhaftes Aussehen hatten, am schreckhaftesten sah freilich seine lebendige Wirtschafterin aus, und ich wunderte mich, warum er sie nicht auch ausstopfte. Eine darauf bezügliche Frage zog mir aber ihre bitterste Feindschaft zu. Onkel Gottlieb hatte viele »Antipazien«, wie er sagte. Erstens, die Fremdwörter, weshalb er immer meinte: »Nennt mich doch bloß nich »Rentier«, sagt doch schlicht und deutsch: »Proprietär.« Seine zweite Abneigung waren »Katzen«.

In seinem alten Hause knabberten die Mäuse schon ihn selbst an (die Wirtschafterin war ihnen zu unappetitlich), aber ehe er einer Katze das Dasein erlaubte, eher kaufte er die neusten und teuersten Fallen D. R. P. No. 27 634, die aber keinen weiteren Erfolg erzielten, als daß ihm eines Morgens eine ganze Familie in der Mausefalle fröhlich entgegenpiepste und bei seinem Näherkommen samt dem angebratenen Speck entfloh. Die dritte und größte »Antipazie« aber galt den »Frauenzimmern«. Er hielt sich einen Stiefelburschen und einen Gärtner und hätte sich wohl auch einen Koch gehalten, wenn das in Schwarzhausen nicht zu sehr aufgefallen wäre. So nannte er denn seinen Hausdrachen wenigstens »Emil«, obwohl er »Emilie« hieß. Onkels Vorschlag, daß sie Männerkleidung anlegen möchte, wies sie mit solch schreiender Entrüstung zurück, daß die ganze Nachbarschaft aufmerksam wurde, den Sachverhalt erfuhr, und Onkel Gottlieb bei den strengen Damen von Schwarzhausen in den Geruch der Sittenverderbnis kam, eine Ansicht die er durch seine solide Lebensführung widerlegte. »Emil« wandelte also weiter in ihrem unsauberen, häßlichen Rock einher, bewies aber bei jeder Gelegenheit, daß sie die »Hosen« anhatte. Sie knechtete Onkel Gottlieb buchstäblich und verstärkte dadurch seinen Haß gegen die »Frauenzimmer«. Noch ein weibliches Wesen war in seinem Hause, ein zartes Mädchen, das Kind seiner einzigen Schwester. Er hatte die Witwe und ihr Töchterchen in sein Heim aufgenommen und in rührender Weise für sie gesorgt, aber die junge Frau folgte dem Gatten bald nach, und ihr Tod war für Onkel Gottlieb ein neuer Beweis für die »Undankbarkeit« der Frauenzimmer. Mit dem Dasein der zarten, kleinen Erika konnte er sich erst gar nicht befreunden, er steckte sie, um einen besseren Anblick von ihr zu haben, in einen Knabenanzug und war erbittert, daß sie so »unmännlich« darin aussah und ewig ihre häßliche Puppe auf dem Schoß hatte, anstatt die Bleisoldaten, die er ihr geschenkt. Wir fürchteten schon, klein Erika würde sich zu einer regelrechten »Antipazie« für ihn auswachsen, aber das geschah nicht. Seine Haushälterin war zu drachenähnlich, und er wünschte sie nur so lange zu behalten, bis Erika groß sein würde.

»Sobald du konfirmiert bist, Erich, führst du mich die Wirtschaft, und Emil fliegt,« sagte er zu Erika. »Laß dich man bloß nich einfallen, nach die Mannsleute zu gucken, heiraten ist meine größte »Antipazie«, die's nur giebt, und stürzt jeden ins Unglück.«

Onkel Gottlieb vereinigte nun seine sämtlichen »Antipazien« in eine einzige riesenhafte, und widmete diese seinem »Gegenüber«, von ihm »Fissafiß« genannt: »Fräulein Erdmute Frisch.«

Die etwa vierzig Jahre alte Dame trug ihren Namen mit Recht. Sie hatte rote Backen, helle Augen, kaum ein vereinzeltes, graues Haar in ihren blonden Flechten und schaute so fröhlich in die Welt, wie ein ganz junges Mädchen. Das Putzgeschäft, welches sie trieb, ernährte sie gut, denn sämtliche Honoratiorenfrauen der Stadt waren ihre Kundinnen, und um pünktlich sein zu können, Zeit zu sparen, und immer das neueste auf Lager zu haben, fuhr sie öfters auf dem Rad nach der nicht allzu weit entfernten Kreisstadt. Es war das erste und einzige Damenrad in Schwarzhausen, sehr schwer und primitiv gebaut, und wir Kinder liefen hinterher und riefen:

.. »Ham Se nix zu schlei–i–fen?«

Bei uns war man sehr vornehm und sagte nicht »Rad«, sondern »Bicycle«, und da Onkel Gottlieb bekanntlich nur deutsch sprach, sagte er nicht »Bicycle«, sondern »Felozepett«.

Mit diesem »Felozepett« war Fräulein Frisch nun in flottestem Tempo dem ahnungslosen Onkel Gottlieb über die große Zehe gefahren, wodurch das »Rad« im allgemeinen und Fräulein Frischs Rad im besonderen sofort in die Reihe der »Antipazien« eingereiht wurde; aber damit nicht genug, Fräulein Frisch war sofort abgesprungen und hatte gerufen: »O weh, alter Herr!« In diesem Punkte war aber Onkel Gottlieb noch empfindlicher als seine große Zehe, er hatte Fräulein Frisch angeschrieen: »Der Deubel is alt,« und war zornrot seinem Hause zugehinkt.

Erika und ich hatten uns auf eigene Art kennen gelernt. Die Eltern suchten nach einem ordentlichen Umgang für mich, und Onkel Gottlieb suchte nach einer Spielgefährtin für Erika, und zwar sollte diese Gefährtin nur wenig Eigenschaften von einem »Frauenzimmer« besitzen. Das wurde nun bestimmt von mir behauptet. Er glaubte in Papa einen Gleichdenkenden gefunden zu haben und machte ihm an einem Sonntage feierlich seinen Besuch. Papa fand ihn amüsanter, als sämtliche Bewohner Schwarzhausens zusammengenommen, und so trennten sich die beiden Herren mit dem herzlichsten Händedruck. Von diesem Tage an war Erika meine »beste Freundin«, zwar älter als ich, aber sehr gut zu mir passend. Über unsere Gefühle zu Fräulein Erdmute Frisch waren wir uns nicht recht klar. Sie hatte uns einmal Bonbons knabbern sehen und von ihrem niedrigen Fenster aus eindringliche Worte gesprochen, wie schädlich dies für unsere weißen, festen Zähnchen sei. Ihre Mahnung hatten wir schnurstracks dem Onkel hinterbracht, der uns sofort als Antwort zwei Düten mit Stückenzucker kaufte, mit denen wir triumphierend an Fräulein Frischs Hause vorbeizogen. Sie sagte nichts, aber ein so trauriger Blick, verbunden mit ungläubigem Kopfschütteln, traf uns, daß ich meinen Reichtum auf die Erde warf und spornstreichs nach Hause rannte. Meine weiche Regung schwand allerdings bald, und schon am selben Abend wollte ich mir die Düte wieder suchen, aber ein tüchtiger Gewitterregen hatte den Zucker fortgeschwemmt und mir nur das leere, schmutzige Papier übrig gelassen. Ich machte eine Faust nach Fräuleins Hause hin und hatte das Gefühl, als ob sie nun auch meine »Antipazie« sei.

Eines Tages kam Onkel Gottlieb sehr aufgeregt vou seinem Spaziergang zurück.

»Na nu is der Kram fertig, nu hat se sogar 'ne Katze,« sagte er voller Verachtung.

Wir wußten sofort, wer »se« war.

»Die Katze hat Fräulein Frisch schon lange,« berichtete ich, »sie hat sie von ihrer verstorbenen Mutter geerbt, es ist eine wertvolle Angorakatze, und sie hält sie immer im Hause, weil ich ihr sagte, du schießt alle Katzen tot.«

»Das war sehr naseweis von dich,« erwiderte Onkel Gottlieb, »und du kannst mir dadurch in Deubels Küche bringen. Aber die Polezei soll Unfug nich dulden, un en Frauenzimmer mit'n Felozepett un mit 'ner Katze, das is en Unfug.«

»Sieh, da kommt sie,« rief ich und zeigte mit dem Finger auf Onkels »Antipazie«, die im schlichten grauen Lodenkleid, einen Strohhut auf den blonden Flechten, aus dem Hause trat. Sie führte ihr Rad an der Hand, sprang dann schnell und sicher auf, und war bald um die Straßenecke verschwunden.

»Sie kann es famos,« sagten Erika und ich bewundernd.

Onkel Gottlieb lachte verächtlich.

»Dafür wird se auch sonst nicht viel können,« sagte er, »se kocht sich auch nie selber, sondern ißt im Speisehause, das thut auch kein »honores« Frauenzimmer, sondern nur die »Emanzierten.« (Onkel Gottlieb war felsenfest davon überzeugt, mit seinen selbst erfundenen Wörtern ein klares, reines Deutsch zu sprechen.)

»Sie kocht sehr gut, sagt meine Mama,« rief ich, »sie hat uns neulich das Rezept zu Thüringer Speckkuchen gegeben, aber Mama sagt, wie Fräulein Frisch ihn backt, so bringt ihn niemand zu Wege.«

»Speckkuchen?« fragte Onkel Gottlieb, und seine kleinen Äugelchen wurden ganz blank vor Wonne. »Speckkuchen? den hab' ich seit dreißig Jahren nicht mehr gegessen, den hat auch meine Mutter gebacken – oh – oh – ich glaub' das nicht von die Person da drüben, daß die 'n Speckkuchen machen kann – ne –, en Felozepett un 'ne Katze, un denn Speckkuchen – – –«

So spielten denn Onkel Gottlieb und Fräulein Erdmute Frisch weiter Montecchi und Capuletti, und nicht mehr ganz heimlich und aus der Ferne, sondern es war schon zum öffentlichen Zank gekommen. Fräulein Frisch hatte Onkel eines schönen Tages »gestellt«. Es handelte sich um Erika. Sie war solch zartes blasses Persönchen, wurde nun von Emil angelernt und zu Gunsten der faulen Person in jeder Weise überanstrengt. Onkel Gottlieb merkte davon nichts, für ihn war es selbstverständlich, daß »Frauenzimmer« tüchtig arbeiten mußten, um der Welt nach seiner Meinung wenigstens etwas zu nützen. Und an dieser doch gewiß sehr richtigen Meinung erdreistete sich Fräulein Frisch ihn irre zu machen. Sie hatte von »Verantwortung« gesprochen, von bemitleidenswerten Geschöpfen, von »Junggesellenwirtschaft«, und als Onkel ihr wütend zugerufen, sie solle sich um sich und ihr Katervieh und das Felozepett bekümmern, hatte sie »alter Herr« gesagt und war ins Haus zurückgegangen. Nun war Onkel gänzlich fertig mit »der da drüben«.

Ein goldenes Kreuzchen, das Fräulein Frisch zu Erikas Konfirmation herübergeschickt hatte, wurde wieder zurückgebracht, und Erika und ich erhielten strengen Befehl, mit »keinem Auge« mehr hinüber zu schielen. –

 

Eines Tages holte mich Erika ganz verstört zu sich. Onkel Gottlieb war bös gefallen und hatte den Arm gebrochen. Er lag geschient und verbunden in seinem ungemütlichen, finsteren Schlafzimmer, denn unter »Emils« Leitung kamen nur dunkle Vorhänge an die Fenster, und Erika wußte nicht aus noch ein mit ihrer schwachen Kraft, denn »Emil« hatte sich gleichfalls in ihre Kemenate zurückgezogen, lag zu Bett, fieberte und phantasierte in der schönsten Influenza herum. Onkel Gottlieb ahnte davon nichts, der Arzt hatte jede Aufregung für ihn verboten, und so quälte sich Klein-Erika mit der Hausarbeit und dem Kochen ab, wobei ich ihr nicht einmal helfen durfte, denn Onkel Gottlieb erklärte einfach: »Du liest mich vor, Felix; zwei Frauenzimmer sind genug in der Küche.« Ich las so leierig und langsam wie nur möglich, und aus diesem Grunde schlief Onkel Gottlieb bald ein.

Als ich leise sein Zimmer verlies und ins Wohnstübchen kam, bot sich mir ein eigener Anblick.

Erika saß auf dem Sofa und hatte ihr zartes Köpfchen an Fräulein Frischs Schulter geschmiegt, und als ich herein kam, rief sie fröhlich: »O Fräulein Erdmute ist so gut!«

Dann erfolgte eine lange Beratung zwischen uns dreien, tiefes Stillschweigen wurde gelobt, und nun begann eine köstliche Zeit für Erika, für »Emil« und für Onkel Gottlieb.

»Hätt nich gedacht, was in dem Emil steckt,« sagte Gottlieb jeden Tag, »so wunderschön hat se nie gekocht und immer meine Leibessen. Ich werd' mir sehr bedenken, ob ich se gehen lasse.« Daß sie sich niemals blicken ließ, rechnete er ihr besonders hoch an, denn ihre äußere Erscheinung mutete ihn weniger an, als ihr plötzlich erwachtes riesiges Kochkunsttalent. Als aber eines Tages gar ein duftender Speckkuchen zu ihm herausgetragen wurde, genau wie »Muttern ihrer«, da liefen Onkel Gottlieb die hellen Thränen über die Backen und er schickte »Emil« einen Thaler. »Emil« war immer noch sehr krank, und als noch eine Lungenentzündung hinzukam, schafften wir sie trotz ihres Sträubens ins Krankenhaus und entlasteten Fräulein Frisch und Erika von der Riesenarbeit, welche die Pflege der beiden Kranken beanspruchte. Erika gedieh sichtlich unter dem nenen Regiment. Ihre Bäckchen rundeten sich, die ganze Gestalt straffte sich. Mit inniger Dankbarkeit nahm sie Fräulein Frisch's liebevolle Fürsorge entgegen und dachte mit Schrecken an den Tag, der »Emil« wiederbringen sollte. Und der Tag kam, an dem Onkel und »Emil« wieder gesund auf der Bildfläche erschienen. »Emil« hatte sich gern zum Schweigen verpflichten lassen und ruhte sich nun auf Fräulein Frischs Lorbeeren aus. Als Onkel Gottlieb zum erstenmal wieder seine »Antipazie« am Fenster sah, sagte er ingrimmig: »Das war mal 'ne rechte Erholung, dies Frauenzimmer fünf Wochen lang nicht zu sehen, nee ich sag' schon, zehnmal mehr wert is mich Emil, hätt's nich gedacht, daß se mich so pflegen würde.«

Um zu sehen, ob sein Arm ganz die alte Kraft wiederbekommen hätte, nahm Onkel Gottlieb nach ein paar Tagen die Flinte zur Hand, stellte sich an sein Schlafstubenfenster, um von dort aus den überhand nehmenden Spatzen in seinem Obstgarten den Garaus zu machen. Hei, wie sich's die kecken Diebe in dem Kirschbaum bequem machten! Onkel geriet in helle Wut und schoß blindlings in den Schwarm hinein. Da – ein Klagelaut, fast wie das Wimmern eines kleinen Kindes klang es, die Spatzen flogen mit Geschwirr auf, und ein weißes Körperchen lag tot auf dem grünen Rasen, – – Fräulein Erdmutes Angorakatze. Erika fing laut an zu weinen, als sie das Unglück sah, ich selbst war ganz furchtbar empört über Onkel Gottlieb, denn ich konnte mir's nicht denken, daß es unabsichtlich geschehen sein sollte. Als ich aber sein blasses Gesicht sah, in dem die kleinen, gutmütigen Augen bald die tote Katze, bald uns furchtsam anstarrten, und er immer wieder rief: »Das wollte ich wirklich nicht, das nicht,« da wurde ich von Mitleid erfüllt und versprach ihm, das Tier zu Fräulein Frisch zu bringen und ihr die Wahrheit zu sagen.

Aber das Fräulein glaubte mir nicht. Mit einem Weheruf warf sie sich über den toten Liebling und erging sich in bitteren Anklagen gegen den harten, bösen Mann, der ihr das letzte geraubt, was sie auf der Welt Liebes besaß. Auf meine wiederholten Versicherungen, daß Onkel schuldlos sei, hatte sie nur ein Achselzucken und sagte: »Ach Kind, du kennst die Welt noch nicht und die Schlechtigkeit und Undankbarkeit der Menschen.«

Als ich zu Onkel zurückkam, fand ich ihn in schrecklichster Versassung. Er hatte durch Erika erfahren, was Fräulein Frisch an ihm und ihr in den Tagen der Krankheit gethan hatte, und war nun wirklich unglücklich in dem Gedanken, so undankbar und abscheulich gewesen zu sein, wenn auch ohne Absicht. Von nun ab war Onkel wie verwandelt. Er suchte, wo es nur ging, Fränlein Frisch zu begegnen, er grüßte sie schon von weitem ganz tief, aber sie sah an ihm vorbei, als ob er Luft wäre. Sein wiederholtes Klingeln an ihrer Hausthür blieb unbeachtet, und doch wußte er ganz genau, daß sie zu Hause sei. Er stellte sich auf die Lauer, wenn sie ihre Radfahrt unternahm, aber sie sauste so schnell an ihm vorbei, daß er kein Wort der Entschuldigung stammeln konnte. Onkel Gottlieb wurde bei diesen vergeblichen Anstrengungen ganz krank und verlor allen Appetit. Im Hause zeigte er sich auch verwandelt, war voll rührender Fürsorge für Erika, die keine schwere Arbeit mehr thun durfte, und unnachsichtlich streng mit »Emil«, so daß diese schon mit Kündigung gedroht hatte. Als wir ihn in seiner Traurigkeit trösten wollten und sagten, daß Fräulein Frisch die Katze schon verschmerzen würde, sagte Onkel:

»Nee, die Sache hat mir aus die »Konstanze« gerissen. Ich kann woll ein Frauenzimmer ärgern, wenn se mir ärgert, aber Gutheiten annehmen un se denn schlecht behandeln, das is en Makel vor mich.«

Onkel Gottlieb fing an, beängstigende Zeichen von Selbstüberwindung zu äußern, er streichelte jede Katze, die ihm in die Quere kam, und dabei zog sich seine Gestalt förmlich zusammen vor Grauen und Abneigung. Er erstand für teures Geld eine weiße Angorakatze, die er Fräulein Frisch bei dem ersten versöhnlichen Augenblick ihrerseits spenden wollte, wozu freilich keine Aussicht vorhanden war. Tagtäglich mußte er nun das »antipazische« Tier um sich dulden und schlief keine Nacht mehr, aus Angst, die Katze könne in sein Bett kommen.

Eines Tages paßte er mir in der Nähe unseres Hauses auf und winkte mir geheimnisvoll zu.

»Felix,« sagte er, »du bist von allen Frauenzimmern noch der vernünftigste Kerl, ich muß dich was anvertrauen. Zu Hause darf das kein Mensch nich wissen, der Erich würde denken, ich wäre verrückt geworden, und der Emil würde Kopf stehen, was kein hübscher Anblick sein kann. Felix, es wurmt mich, daß ich der Anti – –, ich meine Fräulein Frisch, nich danken kann for allens, und mir nich »trankschieren« kann mit die Katze, aber das Fräulein hält nich Stand. Und deshalb mußt du mich helfen, daß ich »felozipetten« lerne.«

»Onkel Gottlieb – Du???« Ich fiel beinahe um vor Berwunderung.

»Verstaune dir ein anner Mal,« sagte er hastig, »jetzt mußt' de mich helfen. Du mußt mich Euren »langen Tenneplatz« borgen zum Lernen oder mit mich auf die Pappelallee kommen.«

Onkel Gottliebs Entschluß stand eisern fest; er griff tief in seinen Säckel und ließ sich ein Rad kommen, Papas Bursche unterwies ihn auf der Pappelallee in der edlen Radfahrkunst, und ich war immer dabei, munterte ihn auf und verband seine Wunden, wenn er versucht hatte, die Pappeln umzurennen.

Und siehe da, es wurde! Langsam, aber sicher! Als Fräulein Frisch das nächste Mal zur Försterei fuhr, wo eine Freundin von ihr verheiratet war, sattelte Onkel Gottlieb sein Rößlein und folgte ihr in einiger Entfernung. Freilich kam er hinkend wieder heim, sein Rad hatte ein paar Speichen verbogen, während die Laufdecke einen klaffenden Riß aufwies, und der Schlauch vor Luftmangel quietschte, aber nach wenigen Tagen folgte Onkel unterwegs wieder dem grauen Lodenkleid, und diesmal zeigte er bei der Rückkehr fast triumphierend seinen verbundenen Kopf und sagte: »Das hat Fräulein Frisch gethan, se is sehr nett und vernünftig, es is mich unbegreiflich, wie se dabei 'n Frauenzimmer sein kann.«

In den Kaffeeschlachten unseres Städtchens wurde viel über die gemeinsamen Radfahrten der beiden Todfeinde verhandelt; Onkel Gottlieb kam dabei am schlechtesten weg, aber auch Fräulein Frisch verlor viel von ihren Sympathien. Man konnte es ihr nicht verzeihen, daß sie immer jünger wurde und so »unverschämt« glücklich aussah. Aber auf Erikas zartem Gesichtchen lag immer ein strahlendes Lächeln; »Emil« hatte die Kündigung in der Tasche, und ich hatte angesichts Emils Stimmung mehr als je begründete Hoffnung, ihr doch noch mal als »ausgestopftem Drachen« im Museum zu begegnen.

Nun wollte ich auch einmal wieder Fräulein Frisch »guten Tag« sagen, von der man munkelte, sie wolle das Putzgeschäft verkaufen, um sich zu »verändern«. Leise klinkte ich die Thür zu ihrem Zimmer auf, vor mir sprang noch die Angorakatze hinein, und mit einem mächtigen Satz auf das Sofa. Mit einem Schrei fuhr ich zurück und schlug die Thür wieder zu.

»Was hast du?« fragte Erika, die mir nachgekommen war.

»Au du liebe Zeit – da drinnen ist Onkel Gottlieb, und sitzt mit seinen sämtlichen »Antipazien« auf einem Hümpel zusammen, und ich glaub' – – er küßt sie.«

 

Nicht lange darauf war die Hochzeit, und wenn das Sprichwort wahr ist, daß die Frau die beste ist, von der man am wenigsten spricht, dann mußte Frau Erdmute ein »Satan« sein, denn man sprach vom frühen Morgen bis zum späten Abend über sie und ihr »unverschämtes Glück«. Aber das kümmerte die beiden nicht, denn da Frau Erdmute keine »Kaffees« besuchte und keine »beste Freundin« hatte, so erfuhr sie auch nicht, wieviel, und in welcher Weise man sich mit ihr beschäftigte. Jedenfalls machte sie das Sprichwort vollständig zu Schanden und war und blieb Onkel Gottliebs guter »Engel«.

Auch mir erschien sie als ein solcher, als ich mit den Stiefeln zu ihr kam und bestellte, daß Schuster Berg einen Flicken auf ihren Gottlieb gesetzt hätte und dafür fünfunddreißig Pfennige verlangte.

»Du kannst mir aber gern ein Trinkgeld geben, Fräulein Frisch,« sagte ich zu ihr. (Es war mir nicht einleuchtend, weshalb ich das bekannte liebe Fräulein Erdmute durchaus »Frau Fangeisen« nennen sollte.)

Sie lachte herzlich, teils über meine Bitte, und teils über ihren Mädchennamen, den sie sehr lieb hatte, zog ihre grünseidene Börse mit den Stahlringen, und gab mir eine blanke Mark.

»Für meinen Gottlieb ist mir nichts zu viel,« sagte sie, und Onkel strahlte über das ganze Gesicht und raunte mir zu: »Felix, ich kann's noch immer nich glauben, was aus meiner Antipazie geworden is.«

Nun rannte ich glückselig nach Hause. Zu Schuster Berg konnte ich nicht mehr, denn die Zeit war nahe, da die Eltern vom Herzog zurückkommen mußten. Dorette empfing mich händeringend.

»Es ist, um aus der Haut zu fahren un sich daneben zu setzen,« rief sie, ohne aber diesen gewiß höchst interessanten Vorgang ins Praktische zu übersetzen. »Kerlchen, man kann graue Haare bei dich kriegen. Wo steckst du denn? Ich hab dein Zimmerchen so fein gemacht, und Puppe Emmy wartet so auf dir und schreit und jammert nach Klein-Mutterchen.«

Puppe Emmy! – Sie war mir, nächst den Eltern und Johann, das liebste auf der Welt. Puppe Emmy war nicht alt und nicht neu, nicht schön und nicht häßlich, Puppe Emmy hatte nämlich keinen Kopf. Und gerade deshalb liebte ich sie. Alle meine anderen Babys, es waren dreiundzwanzig, betrachtete ich mit kritischen Blicken; immer störte mich etwas in ihren ausdruckslosen Gesichtern. Auch bei meiner lieben, alten Dorette störten mich die vielen Runzeln, die etwas geröteten Augen und der einzige Zahn, und ich sagte zu ihr:

»Oh, wenn du doch auch keinen Kopf hättest!«

Ich lief nach meinem Zimmerchen, das mit seinen hellgeblümten Cretonnemöbeln einen reizenden Eindruck machte, überschaute mit raschem Blick meine stumm und steif dasitzenden Kinder und riß Puppe Emmy, die ich vermöge meiner lebhaften Phantasie deutlich schreien und jammern hörte, an mein Herz.

»Mein Emmylein, mein Süßes, ist die böse Kerlchenmama so lange fortgeblieben? Nicht böse sein, Püppchen goldiges, und artig und leise sein, die arme »Miß« liegt zu Bett, sie hat noch dölleres wie einfache Kopfschmerzen, sie hat »Margarine«.

So sprach ich mit dem kopflosen Kleiderbündel, und die übrigen dreinndzwanzig Wickelkinder, Bäuerinnen und Staatsdamen, schauten mit großen, starren Augen zu. Horch, da rollte schon der Wagen vor, der die Eltern zurückbrachte, ich fuhr mit allen zehn Fingern durch mein wirres Haar, spuckte dann in die Hände, die ich an meinem Kleide abwischte, ein wenig lohnendes und gar nicht zu empfehlendes Verfahren, und stürzte den Ankommenden entgegen. Vater hob mich hoch empor und preßte mich stürmisch ans eiserne Kreuz, Muttchen hielt mich weit von sich ab, denn sie war in »großer Uniform«, und meine Hände sahen ihr zu frag würdig aus. – Abends bei Tisch war es sehr gemütlich, Vater hatte sein »Räuberzivil« an, eine graue Joppe, und Muttchen ihr schlichtes Hauskleid, in dem ich sie nach Herzenslust küssen konnte, ohne irgend einen »Staat« zu gefährden. Außerdem brachten mir die Eltern eine Tüte voll Orangen, Krachmandeln und Traubrosinen mit; die gütige Fürstin schickte sie mir. Mitten in unser Stillleben platzte ein Brief hinein, den Johann mit den Worten abgab: »Von Schuster Berg nebenan, – wahrscheinlich 'ne Offerte.« Es war aber keine »Offerte«. Auf grobem, billigem Papier hatte die »Base« ihrem Zorn gegen mich Luft gemacht:

Werter Herr Oberscht!

Und Ihre Kleine sehr ungezogen wo man das Geld nich so auf die Strase fintet und achzig Fenige durch Gropheit einbiesen muhß von son Kind was nich weis was thut un das gnedige Hippelfrölein die Kundschaft kindigt wo so' schonst schwere Zeiden sinn un wenn Eltern man beser aufbassen mechten oder Dienstbotten wo doch so fiehle davon do sinn das einer ibern andern stolbert. Un mechtn Herr Oberscht oder gnedig Frau das dem Kinde Feliztas sagen was auch sonst uhnmannirlich mit Zunge naus blöken sich benimmt un mechten gitigst for achzig Fenige aufkomen und emfehle geehrter Kundschafft prima Kwallitee Reitstivletten un feine Damenschewro-Schuhe und Kinderstivletten mit ekstra dicke Solen und winsch das das Kind Wichse kricht mit Achtung

Susanne Berg.

»Kerlchen!« donnerte Vater über den Tisch herüber. – »Da wendet man kaum ein paar Stunden den Rücken, und du stellst das tollste Zeug an, was soll das mit den »achzig Fenigen«?«

Das war eine lange Geschichte, ehe ich alles haarklein erzählt hatte, und die Schilderung meiner Odysseussahrt entlockte Mama manches »Ach« und »Oh«.

»Und gerade Landrats,« klagte sie, »Landrats, die mir heute beim Nachtisch nicht genug von ihrer wohlerzogenen Tochter erzählen konnten.«

»Sei nur nicht traurig, Mutti,« tröstete ich, »ich erzähle überall, daß ihr nichts für meine Erziehung könnt und euch alle Mühe gebt, – ach, es ist zu schwer, ein guter Mensch zu sein!«

»Schon gut, alter Philosoph,« sagte Vater ernst, jetzt wirst du schnell hinüberlaufen zu Bergs und den Obolus in Gestalt von »achzig Fenigen« hintragen. Entschuldige dich vielmals, und sag, es thäte mir leid, daß du so'n Rüpel wärst.«

Ich lief schnell in die Nachbarschaft, die Familie saß beim Abendbrot, und stracks ging ich auf die Base zu, denn ihr Zorn erschien mir am gewichtigsten.

»Herzlichen Gruß von meinem Vater, es thut ihm leid, daß ich so'n Rüpel bin, er kann nichts dazu, und giebt sich alle Mühe, ich entschuldige mich vielmals, und hier ist der »Opernlus«.«

Damit legte ich rasch die »achzig Fenige« hin und war wie der Wind wieder hinaus.

»Du bist ja höllisch fix wieder da, Kerlchen,« rief Papa mir entgegen, »die Base« scheint das einzige Wesen zu sein, vor der du noch Manschetten hast.«

»Nee, hab keine,« sagte ich und zeigte auf meinen nackten Arm.

Mein Vater zog mich am Ohr. »Strolch!« sagte er. »Es ist ein Jammer, daß sich die »Miß« auch auf Migräne auswächst, was fängt man blos mit dir an! Wenn die Zeiten nicht so schlecht wären, würde ich dich in eine Pension geben, alias Besserungsanstalt, aber – – –«

» Geld hab' ich,« rief ich vergnügt, »da –!« Ich warf »die blanke Mark« auf den Tisch, daß sie sich rollend überschlug.

»Trinkgeld! Von Onkel Gottlieb! Und 'n Sechser krieg' ich noch von Hermann, ich hab ihm einstweilen gepumpt. Siehste Papa, den Sechser hab ich von Landrats Diener bekommen, für's Stiefelaustragen, – och ne, ich bin ja so froh, wenn ich dir helfen kann.«

»Wenn ich nur vernünftigen Umgang für dich wüßte, Kerlchen,« sagte Papa, »die kleine Erika wohnt mir zu weit, die Hertha gefällt mir nicht – –«

»Ich brauch' niemand, als den Hermann,« rief ich bestimmt, »und wenn du erlaubst, lade ich Minna Fehrs öfters ein, Hermann möchte es so gern, daß sie mit mir verkehrt, er will sie später heiraten.«

Papa lachte. »Armer Junge! Wenn er sich nur nicht zu viel von deinem Umgang für seine Zukünftige verspricht! Aber immerzu! Der Regimentsschneider Fehrs war immer ein braver Mann, und seit er gelähmt ist, hilft ihm die Frau wacker. Was ist die Minna für ein Mädel?«

»Ich glaube, sie paßt nicht für Kerlchen,« warf Mama ein. »Sie ist schon 16 Jahre alt und soll viel krauses Zeug im Kopfe haben.«

»Nun, das hat Fee ja auch. Lade sie nur mal ein, die Miß kann auf den Verkehr mit aufpassen.«


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