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* * *

Die Schwarzhausener Kirche war gedrängt voll, und ich war auch mit unter den Versammelten, denn Hermann Berg und Minna Fehrs wurden konfirmiert. Minna hatte es durchgesetzt, erst mit sechzehn Jahren die Schule zu verlassen, »wie die Vornehmen«. Sie hatte noch an einem »Kursus« teilgenommen und hätte am liebsten ein Examen gemacht. Aber ihre Eltern verweigerten auf das Bestimmteste diesen Wunsch.

Minna sah wunderhübsch aus im schwarzen, ganz langen Kleide, sie überragte ihre Mitschülerinnen um Kopfeslänge, körperlich und geistig, und gab so wohlgesetzte und kluge Antworten bei der »Prüfung«, daß die übrigen Konfirmandenmütter ganz neidisch wurden und sich immer anstießen. Die Frau Rendant Mehlhorn, aus deren Tochter, die mit ihren Ohrringen, Broschen und Armbändern wie ein wandelnder Juwelierladen aussah, nichts herauszuquetschen war, sagte ein über das andere mal zornig: »Wo sie's nur her hat, ihre Eltern sin doch man beide dämlich.«

Ich freute mich unbändig über meine Spielgefährtin und auch über Hermann, der so hübsch aussah und so sicher antwortete. Aber dann gab es plötzlich einen furchtbaren Aufstand, Hermann war ohnmächtig geworden und wurde hinausgeführt. Ich fing an laut und bitterlich zu weinen, was die Feierlichkeit nicht erhöhte, und der Küster setzte mich ziemlich unsanft vor die Thür. Nach Schluß der Kirche lief ich zu Minna und brachte ihr ein prächtiges Medaillon an goldener Kette. »Glaube, Liebe, Hoffnung« waren darauf in erhabenen Zeichen abgebildet.

Minnas Augen glänzten beim Anblicke des Prachtstückes, sie legte sich gleich die Kette um, und prächtig hob sich das glänzende Gold von dem schwarzen Stoffe ihres Kleides ab. Ihre Mutter dankte mir still und gedrückt, und der gelähmte Vater hatte einen zornroten Kopf und verlangte, daß das Geschenk für »später« verwahrt würde; denn »die Minna plage der Hochmutsteufel schon ohnehin genug«. Minna schob die Unterlippe vor und zog die schwarzen Augenbrauen dicht zusammen, und als sie mich hinausbegleitete, sprach sie heftige, böse Worte gegen ihre Eltern. »Die da drinnen verstehn mich garnicht,« klagte sie voll Erbitterung, »keine Freude soll ich haben, nichts, und jetzt soll ich auch noch in den Dienst gehen zu Schlachter Krone, dem groben Kerl; und ich möchte doch so gern das Schneidern und Putzmachen lernen, wenn ich nun mal nicht Examen machen darf, um dann des Abends mein eigener Herr zu sein.«

Ich bedauerte Minna von ganzem Herzen und lief stürmisch zu meinen Eltern, um sie zu bitten, Minna doch zu uns zu nehmen, was ja schon früher einmal geplant war. Aber meine sonst so gütige Mama nahm die Sache sehr kühl auf, verweigerte ein für allemal, meine Bitte zu erfüllen und schloß recht energisch mit den Worten: »Das verstehst du nicht, Kerlchen.«

Nein, ich verstand es wirklich nicht, und rannte nun zu Hermann Berg, von dem ich wußte, daß er das Leid unserer Spielkameradin mitfühlen würde.

Hermann lag auf dem Ledersofa und sah blaß und hohläugig aus. Die Base hatte Kuchen gebacken und Kaffee gekocht; der Tisch, aus dem sonst alle Schusterhandwerkzeuge umher lagen, war sauber aufgeräumt; ein paar alte Frauen saßen daran, nebst Schlachtermeister Krone, einem guten Bekannten von mir, der wegen seiner Grobheit berühmt war. Gerade als ich hereintrat, sprachen sie von Minna, und Meister Krone rief drohend: »Na, ich werde sie schon klein kriegen!«

In meiner lebhaften Phantasie sah ich Minna bereits auf dem Hackbrett liegen, und das Handwerk des Meisters erschien mir mit einem Mal als etwas Fürchterliches.

»Das dürfen Sie nicht,« sagte ich erregt und faßte seinen Arm.

Er lachte gemütlich.

»Guten Tag, Kerlchen,« sagte er, »was darf ich nicht?«

»Die Minna klein kriegen.«

»Herrjeh, du meinst wohl gar, ich wollt' Würstchen aus ihr machen? Bist ein närrisches Ding! Nee, nee, ich will ihr man Moritzen lehren und den schwarzen Krauskopp zurechtsetzen, wo so viele Raupen drin sind.«

»Davon hab' ich nie was gemerkt,« verteidigte ich meine Freundin, und Herrman nickte mir mit leuchtenden Augen zu. Ich setzte mich zu ihm ans Sofa und erzählte ihm leise von Minnas Traurigkeit, und wie ihre Eltern böse mit ihr wären, und daß auch mein Muttchen sie nicht haben wolle. In Hermanns blasses Gesicht stieg eine dunkle Röte, er ballte die Faust und sah ganz verändert aus. Dann griff er zögernd in die Tasche und holte einen sorgsam eingewickelten Gegenstand heraus.

»Das mußt du der Minna heute noch bringen, Kerlchen, sie wird dann wieder froh werden.«

»Was ist drin?« fragte ich neugierig.

»Ein Ring,« sagte er leise. Ich hab' ihn von meinem Taschengeld gespart und auch Privatstunden gegeben.«

»Einen Ring giebt man seiner Braut,« bemerkte ich weise, »ist Minna deine Braut?«

»Nicht ganz,« entgegnete er. »Aber sie wird es sicher einmal später. Ich bin wieder Primus geworden,« fuhr er strahlend fort, »und habe eine Freistelle in Unterprima. Freilich – Arzt kann ich nicht werden, es wird zu teuer für den Vater, und ich komme zu spät ins Brot, ich werde Lehrer.«

»Das ist herrlich,« rief ich jubelnd, »dann hast du furchtbar viel Kinder, mit denen du herumtoben kannst, vierzig oder sechzig, – so viele kann einem ja sonst nie der Storch bringen. Denk' doch, meine Eltern haben bloß zwei im ganzen, deine hatten wenigstens noch ein paar gestorbene.«

Während wir so schwatzten, hörten wir doch noch mit einem Ohre nach den Erwachsenen hin, die immer noch über Minna verhandelten, und dann schlug ein Name an unser Ohr, den wir sofort begierig auffingen: »Leutnant von Ballian«. Ich kannte ihn ja so gut, wir führten seit Jahren einen erbitterten Krieg miteinander; er hatte mich für das ungezogenste Geschöpf in Schwarzhausen und Umgebung erklärt, und ich nähte ihm dafür die Paletotärmel zu, wenn er recht eilig in dienstlicher Angelegenheit zu meinem Vater kam. Erst in letzter Zeit hatten wir Waffenstillstand geschlossen, ich war ordentlich von Papa »gerüffelt« worden, und Leutnant von Ballian kam seitdem sehr viel mit kleinen Bestellungen von seiner Schwester zu uns, die es nun mal auf den Verkehr mit mir abgesehen hatte.

Ja, Leutnant von Ballian fand es nicht unter seiner Würde, mit uns Kindern im Garten Versteck zu spielen, und ich rechnete das dem sonst so Hochmütigen sehr hoch an, denn Hermann Berg und Minna Fehrs spielten ja mit. – – – –

»'s ist schade,« sagte Schlachter Krone, »daß der hübsche Mensch so 'n leichtsinniges Huhn ist, lange treibt er's nicht mehr, Landrats haben schon zu oft einspringen müssen. 's ist 'n Jammer um so 'n strammen, jungen Kerl. Da hat freilich auch immer die Manneshand gefehlt, die verwitwete Kriegsrätin und die Landrätin haben den Jungen großgepäppelt, der Alte hat sich nie drum gekümmert, – pah – Weibererziehung!«

Schlachter Krone spuckte verächtlich aus.

»Aber dem Fehrs hab' ich's neulich gesteckt,« fuhr er fort, – – »vor ein paar Tagen, als ich das junge Ding, die Minna, mit dem bunten Tuch scharmuzieren sah. Fehrs, hab ich gesagt, häng dem Mädel den Brotkorb höher, gieb sie zu mir in den Dienst, da hat sie tüchtig zu thun, und guten Lohn, und meine brave Alte wird ihr die Leviten schon lesen, wenn sie über den Strang schlagen will. Hurrjeh, da hat die Minna aufbegehrt, – nee, sie ginge nich – nee, sie wollt Schneidern und Putzmachen lernen und ihr eigener Herr sein. Da hab' ich aber so verschiedene Wörter fallen lassen von dem, was ich so abends gesehen – na kurzum, am Ersten zieht sie zu mir.«

Hermann stöhnte leise und drückte seinen Kopf in das Sofakissen. Ich streichelte liebkosend seine heißen Hände und machte dann hinter dem Rücken des braven Schlachtermeisters eine Faust.

»Sie sind alle so greulich mit Minna,« flüsterte ich Hermann zu, »aber nicht wahr, wir beide haben sie lieb?«

Er nickte.

»Kerlchen, möchtest du ihr nicht gleich meinen Ring geben?« fragte er erregt.

»Gern,« rief ich rasch, »gieb nur her, sie wird sich halbtot freuen.«

Aber sie freute sich weder halb, noch ganz tot. Erst fand ich sie überhaupt nicht, und dann kam sie atemlos aus unserm Garten gelaufen, so daß ich verwundert fragte, was sie da gewollt hätte.

»Hab' im Pavillon mein Taschentuch liegen lassen,« sagte sie hastig, »'s ist noch von neulich her, mußt aber der Mutter nichts sagen.«

Das versprach ich bereitwillig, denn ich wußte aus eigener Erfahrung, wie leicht man diese Dinger verlor, und wie ärgerlich Mama darüber sein konnte. Dann gab ich ihr Hermanns Geschenk und erwartete den Freudenausbruch.

»Ach Gott,« sagte sie, »wenn der dumme Junge sein Geld doch sparen möchte! Magst du das Ding tragen, Kerlchen?«

Sie hielt den silbernen Reif mit dem baumelnden Herzchen gegen das Licht und betrachtete ihn kritisch.

Ich riß ihr das Geschenk aus der Hand.

»Wunderschön ist er,« rief ich aufgebracht, »schöner, als irgend etwas sonst.«

»Ach nein,« sagte sie, »da schau her, Kerlchen, das ist doch was anderes.«

An ihrer linken Hand blitzte ein goldener Ring mit weißen Perlen und roten Steinchen; freilich, mit ihm konnte sich Hermanns Gabe nicht messen.

»Der gefällt mir garnicht,« sagte ich trotzdem ärgerlich.

»Aber mir, aber mir!« rief Minna jubelnd, und ihre schwarzen Augen leuchteten. »Ach Kerlchen, die Welt ist ganz wundervoll.«

Das fand ich nun garnicht, ich schlich still zu Hermann zurück, dem ich alles erzählte, und er tastete sich zur Thür hinaus, und draußen im kleinen Hintergärtchen ging er, auf meinen Arm gestützt, auf und ab und biß tapfer die Zähne zusammen, damit er nicht weinte.

»Behalte du den Ring, kleines, liebes Kerlchen,« sagte er dann, und ich versprach ihm, ihn sehr in Ehren zu halten.

Von diesem Tage an litt meine Freundschaft mit Minna Fehrs etwas. Ihre sechzehn Jahre wären wohl sonst kein Hinderungsgrund für meine achtjährige Weisheit gewesen, aber Minna kam nun in den Dienst. Sie konnte nicht mehr, wie sonst, nach der Schule zu uns herüberlaufen, sondern wartete die vielen kleinen Kinder des Schlachters,(???? nur in diesem Band gibt's welche) oder sie stand im Laden und wog Fleisch und Wurst. Und etwas in ihrem Wesen war jetzt da, das mich abstieß. Sie trug den Kopf noch höher als sonst, sie putzte sich und hatte niemals mehr für unsere kleinen Unternehmungen einen Groschen übrig, sie sprach nur herablassend mit Hermann und war oft so höhnisch und absprechend, daß ich meinem Freund mehr denn je abriet, dieses unartige Mädchen zu seiner »Frau Lehrer« zu machen. Dafür hatte er aber nur ein träumerisches Lächeln und er vertraute mir an, daß er zu einem neuen Ringe spare, zu einem kostbaren goldenen, der den weit übertreffen solle, mit dem Minna jetzt herumprunke. Da warf ich freilich in gekränktem Stolze das silberne Reifchen, das ich immer so treulich trug, weit fort, um es gleich, nachdem Hermann den Rücken gewendet, mir wieder zu suchen.

In dieser ganzen Zeit hatten die Eltern und meine »Miß« unendlich viele Beratungen. Jedesmal wenn ich rasch ins Zimmer kam, um irgend etwas zu holen oder zu besprechen, dann saßen Muttchen und Miß zusammen, und an ihren ernsten Gesichtern sah ich zu meinem Leidwesen, daß es sich nicht um eine fröhliche Überraschung für mich handelte. Der Name »Minna Fehrs« schlug oft an mein Ohr, ich durfte garnicht mehr so viel mit ihr zusammen sein, ohne daß es mir direkt verboten wurde, ich kam eben so selten in die »Nachbarschaft«, weil ich mit einem Male ganz furchtbar viel anderes zu thun bekam. Meine Unterrichtsstunden wurden so stramm genommen, daß ich beinahe den ganzen Dag »büffelte« und einmal in heller Verzweiflung sagte:

»O Gott, Miß, ich muß immer so stark dran denken, daß kluge Kinder früh sterben, wir wollen lieber mal wieder Ferien machen.«

Die böse Miß lachte und war unerbittlich. Dafür bekam ich etwas anderes: »Meinen Pony!«

Papa leitete selbst meinen Unterricht, und vom ersten Tage an sagte Franz, der Bursche: »Kerlchen, de bist der geborene Kavalleriste!«

Sobald mich Miß losließ, stürmte ich in den Stall, und dort empfing ich auch meine wenigen Besuche: Hermann, Minna, den Leutnant von Ballian, Onkel Gottliebs Erika, Amtsrichters Gretchen, und, wenn Ferienzeit war, Erich und den Prinzen Elimar, der dann auch immer bei uns wohnte. Prinz Li war Erichs liebster Freund, worüber Papa und der Fürst ganz glücklich waren, Prinz Li war aber auch mein Freund und nahm's garnicht übel, wenn ich ihn gehörig »anrasaunte«. Da ich es aber Mama versprochen hatte, gegen den »Prinzen« auch im höchsten Zorn höflich zu sein, was manchmal geradezu eine Tortur für mich war, so verschluckte ich immer die Kraftwörter und lief dabei »ganz blau an«, wie Prinz Li lachend bemerkte. Einmal konnte ich aber den »Schafskopp« nicht unterdrücken, und Prinz Li zuckte ganz leicht zusammen. Er that nachher gleich, als sei nichts geschehen, aber Erich nahm mich beiseite und bebte vor Entrüstung, als er mir die Leviten las.

»Siehst du, Kerlchen, ein wildes Mädel darfst du sein, aber niemals feig.«

»Oho – ich – feig?«

»Jawohl, das ist doch auch feig, wenn man jemand angreift, der sich nicht verteidigen kann. Prinz Li ist viel zu ritterlich, der wird doch niemals zu dir »Schafskopp« sagen.«

»Soll er doch thun!«

»Thut es aber nicht, und du sollst es auch nicht! Sonst bist du eben –«

»sprich das Wort nicht aus,« rief ich ganz wild, »ich kann's nicht hören, ich will, ich – will – – zu Prinz Li gehen.«

Der Prinz saß am Waldrand und steckte gerade eine Blume an seinen Hut. Unsere Pferde hatten wir angebunden, sie grasten friedlich, und weit und breit war kein Mensch zu sehen. Ich stand vor Prinz Li, in meiner Lieblingsstellung, die Hände auf dem Rücken verschlungen, so als wollte ich mir Halt geben für die schwere That, die ich vorhatte. Aber richtig um Entschuldigung bitten konnte ich nicht, er war ja vorher »zu dumm« gewesen, weshalb hätte ich sonst »Schafskopp« gesagt? Aber Erichs Blicke und Mienen hielten mich im Schach, und so stieß ich plötzlich hervor: »Ich hab' ja bloß »Schaf köppchen« gemeint.«

Der Prinz wollte sich totlachen über diese Ehrenerklärung, und wir ritten in fröhlichster Stimmung heim. Noch an demselben Abend wurde ich »Prinzessin«. Wir führten »Schneewittchen« im Garten auf, Erich war der Jäger, der mich mit seinem »Kadettenkäsemesser« erdolchen sollte, Erika und Amtsrichters Gretchen stellten die »sieben« Zwerge vor, als »gläsernen Sarg« hatten wir Schuster Bergs Schweinetrog, in dem ich fast erstickte; Hermann war der König und Minna die böse Königin, die sich schließlich in Dorettens Holzpantinen zu Tode tanzte. Ich hatte diese sogar »glühend« machen wollen, und zu diesem Zwecke auf unsern gerade recht angeheizten, eisernen Herd gesetzt, wie es ja auch im Märchen vorgeschrieben war, es kam aber nichts dabei heraus, als ein fürchterlicher Gestank und eine noch fürchterlichere Strafpredigt Dorettens, welche die Schuhe eben noch rettete, damit wir unsere Aufführung zu Ende bringen konnten. Papa, Mutti und Miß »sahen zu«. Mitten in unser schönes Spiel kam »zufällig« Leutnant von Ballian herein, und schien nicht übel Lust zu haben, mitzuspielen, aber Papa fand es plötzlich »kühl« im Garten, und wir mußten alle ins Haus. Minna, Hermann und die anderen Kinder verabschiedeten sich, und der Leutnant ging auch, es war ihm wohl auch zu kühl bei uns.

Drinnen fand Mama einen Brief von Großtante Hermine vor, den wir mit Jubel begrüßten. Sie wohnte auf ihrem Gute in der Nähe von Schwarzhausen, aber in unserm Städtchen selbst hatte sie noch eine Villa in der Parkstraße, diese gehörte nur dem »Stadtplane« nach zu Schwarzhausen, in Wirklichkeit lag sie eine halbe Stunde von der Stadt entfernt am Fuße des Berges, der das fürstliche Schloß trug, und führte direkt nach dem Schloßpark. Wir kamen fast nie dorthin, trotzdem der Gärtner der Villa ein guter Freund von mir war. Es war ein überaus biederer, riesenhafter Schleswig-Holsteiner und wurde von uns »der alte Germane« genannt. Papa hatte inzwischen angefangen, den dicken Brief des Großtantchens zu lesen, er lachte dabei immer laut auf und machte uns sehr neugierig.

»Sie müssen wissen, Prinz,« sagte er erklärend, »daß die Villa unseres Tantchens das reine Schauspielhaus ist. Sie hat das Haus von ihrem verstorbenen Vetter, dem ehemaligen Kammerherrn von Schlieden geerbt, der aber an seine Hinterlassenschaft die verrücktesten Bedingungen geknüpft hat. So soll das Tantchen erstens quasi Mutterstelle an jedem einzelnen Mieter vertreten, jede Klage mit Lammsgeduld anhören und, wenn's irgend geht, Abhilfe schaffen, zweitens darf sie niemals einem der Mieter kündigen. Namentlich dies letzte ist eine geradezu harte Bestimmung, denn die Leute in der Villa sind wahre Kabinettstücke an Verschrobenheit, und können unserm Tantchen wohl die Lust an dieser sonst ganz herrlichen Besitzung verderben.«

»Kann man sie nicht auf andere Weise hinausgraulen?« fragte Prinz Li belustigt.

»Nein, das geht nicht. Die Leute sind mit der Villa verheiratet, wie das in der Kleinstadt noch allgemein üblich ist, keiner würde weichen. Dabei liegt sich jede Partei mit der andern in den Haaren, und einig sind sie nur, wenn es gilt, auf den alten Gärtner Wilhelm zu schimpfen, der aber auch »erbberechtigter« Insasse der Gartenwohnung ist. Er steckt voll Redensarten und Sprichwörtern, die er an passender und unpassender Stelle anbringt, und wenn sie's ihm zu laut machen, dann nimmt er einen »Bommerlunder« und »snakt Platt«, dann versteht niemand seine Grobheiten. Wird es aber gar zu bunt, und kommt es in der Villa zum Krach, dann setzt sich jeder hin und schreibt an Tantchen ein geharnischtes Sonett, und dann hilft es nichts, dann muß sie nach Schwarzhausen kommen und Ruhe schaffen.«

»Kommt sie nun?« fragten wir alle, wie aus einem Munde.

»Natürlich, morgen will sie hier sein, wenn's irgend geht. Die Briefe der Krakehler schickt sie einstweilen mit, – hört mal zu, sie sind ja zum Radschlagen.«

Erster Brief von der Gräfin Kröchelnburg.

»Himmel, die?« lachte Prinz Li, »Die war ja Hofdame bei den Großeltern; man sagte von ihr, sie grüße die leere Hofequipage auch, nur eine Nüance weniger tief.«

»Ja, das sieht ihr ähnlich!«

»Gnädiges Fräulein! Ich schreibe Ihnen im Zustande vollständiger Verzweiflung. Das Dasein in Ihrer Villa ist kaum noch zu ertragen. Seit zwanzig Jahren dulde ich die Ungezogenheiten des Oberlandesgerichtsrats Martens. Seit zwanzig Jahren kämpfe ich mit der rohen Unbildung des Hauptmanns, seit zwanzig Jahren muß ich die albernen Sprichwörter und Reden Ihres Gärtners Wilhelm anhören. Doch Dulden ist das Los des Weibes. Aber mein schwacher Körper (»ich schätze sie auf 90 Kilo«, schaltete Vater ein), hält das nicht mehr lange aus. Nicht nur hat gestern der Rat Martens seine sämtlichen Pfeifenköpfe auf meinem Fenstersims ausgeklopft und mit dem ekelhaften Nikotin alles beschmutzt; – oh Ihr grausamer, abscheulicher Gärtner hat auch meine süße Desdemona erschossen, vergiftet, was weiß ich – aus dem unglaublichen Grunde, weil mein Kätzchen ihm drei von seinen schreiigen Kanarienvögeln verspeist hat. Und der Hauptmann? – Wertes Fräulein, er hat in ruchlosester Weise gestern eine Séance gestört, ich hörte Geister klopfen, der kritische Angenblick war da, der mir meinen heimgegangenen Gatten bringen sollte, –da – erlassen Sie mir weitere Schilderungen. Kommen Sie bald in Ihre Villa, um meine Klagen voller, lauter, intensiver zu vernehmen.

Ihre tiefgebeugte Adeline,
Gräfin Kröchelnburg-Tiefensee-
Ebenheim-Sturzbach aus dem
Hause Mangeln-Solmsdorf-Braunstein.«

Vater schüttelte sich. »Armes Tantchen!« sagte er. »Diese Gräfin ist ein Monstrum.

Aber nun hört weiter! Zweiter Brief vom Corpus juris. Vor dem fürchtet sich Tantchen. Wenn sie ihm widerspricht, möchte er ihr am liebsten »Stubenarrest« aufbrummen und sie womöglich wegen »Fluchtverdachts« sofort in Haft nehmen. Er ist die wandelnde Rechtspflege.«

»Verehrtes Fräulein! Sie werden gehört haben. – Wieder mal Gräfin Kröchelnburg contra Martens, –muß mich über besagte Dame beschweren. Gnädiges Fräulein haben wohl die Güte, bald herzukommen, um beide Parteien zu hören, da ich mit der Angeklagten nicht allein verhandeln kann. Vernunft gleich Null. Streitet alle vollendeten Thatsachen ab und will nicht mal den dolus eventualis anerkennen. Was den Flegel, Ihren Gärtner Wilhelm, betrifft, so werde ich ihm baldmöglichst den Prozeß machen, er steht obenan am schwarzen Brett. Indem ich dem Termin eines baldigen Wiedersehens entgegensehe, zeichne

Hochachtungsvoll
Martens
Oberlandesgerichtsrat a. D.«

»Das ist ja ein Hauptspaß!« rief Prinz Li.

»Für uns gewiß, aber nicht für das Tantchen.«

Nr. drei: Hauptmann a. D. von Herbig.

»Meine Gnädigste! Lege mich zu Füßen. Hoffe, Gnädigste werden Vernunftgründen zugänglich sein, was man weder von Gräfin, noch von Martens, vom Gärtnerlümmel ganz zu schweigen, behaupten kann. Habe drei Nächte nicht geschlafen. Gräfin hielten spiritistische Sitzungen ab. Nachdem ich sie drei Abende lang bis in die Nacht schreien hörte: »Adolar, gieb mir ein Zeichen,« klopfte ich um die Geisterstunde bei ihr an. Gebe zu, daß mein Kostüm nicht hoffähig war. Tableau! Ohnmacht! Hysterische Zufälle! – Ich retirierte, nachdem ich die Frau Ihres Gärtners als Avantgarde vorgeschickt. Gnädiges Fräulein, ich hoffe auf ein baldiges Rendezvous und auf Ihr bewährtes Talent, als Pionier die Brücken zwischen den Parteien zu schlagen.

Ergebenst
von Herbig, Hauptmanna. D.«

»Olle, ehrliche Haut,« sagte Vater. »Aber er macht Tantchen beinahe den meisten Kummer. Wie es in seinen Zimmern aussieht! Schauderhaft! Nie darf ein weibliches Wesen hinein, er ist Frauenfeind bis zum Tz. Da ist der alte Gottlieb Fangeisen nichts dagegen, na der hat ja auch alle seine »Antipazien« in »Sympazien« umgewandelt. Des Hauptmanns einzige Bedienung ist sein Bursche, und der ist Pole! – Und nun Nr. vier: Der alte Germane:

»Gnädiges Fräulein! Was wir so Palastrevolutschon nennen. Un is kein Auskommen nich. Wird gestern in stickendusterer Nacht meine Frau rausgeklingelt vom Herrn Hauptmann. Ik segg to min Fru: »Da habn wir dat Ei, seggt Butenschön.« Na – also die Frau Gräfin hätten 'ne Ohnmacht. Wir also beide hin, und weil ich 'ne mitleidige Natur bin, hab ich ihr gestrakt und geeit und davon ist sie wach geworden und hat nach mir geslagen. »Dat Di de Hahn hackt« segg ik, ahn dat ik mi dor wat Böses bi denk. Na, un nu is de Pott jo wull ganz intwei und wenn gnädig Frölen man kommen möchten. Un hab viel einstecken müssen vom Herrn Rat und vom Herrn Hauptmann, bin aber mit Gottes Hilfe dickfellig geblieben und hab mir was gefläut »vun Herrn Pastor sin Koh« und heww seggt: »Du kriegst mich nich.« Und sonsten hier alles in schönster Ordnung, meine Henne achtzehn Kücken gebrütet von die schwarz-weißen, wo ich denn immer bei sitze, wenn mien Olsch mal füünsch is un mir dabei beruhige. Es is so zu sagen mein Sanssouci. Herr Rat schimpfen eben in diesem Augenblicke schrecklich und seine Köchin und das Mädchen haben Stubenarrest und Herrn Hauptmanns Wohnung ist der richtige Swinstall womit ich verbleibe achtungsvoll

Hinrich Wilhelm Gripp.«

»Dieser Schleswig-Holsteiner ist prachtvoll!« sagte Prinz Li anerkennend, »den würde ich drin behalten, aber die andern – –«

»Müssen auch ertragen werden. Und morgen kommt Tantchen! Gute Nacht allerseits! – –«

 

Am andern Tage fuhr ich mit Großtante Hermine nach der Parkstraße. Es war herrlich, daß sie mich mitnahm, denn bei »Miß« war eine französische Arbeit »fällig«, um die kam ich nun »rum«. Hinrich Wilhelm Gripp empfing uns und öffnete den Schlag. Er strahlte vor Freude.

»Oha was'n Spaß! Ik höch mir orrrnlich! Und das Kerlchen, die lütje Fee ham Sie mich mitgebracht, gnädiges Fräulein? Junge, Junge! Na denn man zu, un waschen Sie man die Inwohners von de Villa orrrnlich den Kopp! Es is 'ne richtige Revolutschon.

Was die Herrens sünd, da will ik gornix seggen, äwer bi de Gräfin, da segg ick: »Man rut mit de Olsch an de Fröhjahrsluft.«

Oberlandesgerichtsrat Martens, welcher mit der langen Pfeife zum Fenster hinaussah, verschwand sofort in das Innere des Zimmers und empfing uns dann auf der Treppe. Es war ein splitterdürres, kleines, nervöses Männchen. In unglaublich kurzer Zeit hatte er dem Tantchen den ganzen »Prozeß« klargelegt, die Indizienbeweise für die Schuld der »Angeklagten« klipp und klar erbracht nach seiner Meinung, es fehlte nur noch die »Festnahme« der Gräfin.

Ich lachte hell auf.

»Lach' nicht!« brauste er mich an, »solche unnütze Geschöpfe unter 18 Jahren, die noch nicht straffällig sind, sind eine wahre Landplage.«

»Aber lieber Herr Rat – – –,« sagte Tantchen schüchtern, »ich weiß noch immer nicht – – –«

»Himmel!« Er fuhr aufgeregt mit den Händen in der Luft umher. »Ich habe Ihnen doch nun lang und breit erklärt – –«

»Gar nichts haben Sie erklärt,« sagte ich kampfesmutig und stellte mich schützend vor Tantchen, die ängstlich in ihrem Sessel saß. Aber da kam ich schön am »Rrraus!«, schrie er, seine Worte überstürzten sich beinahe, »Stubenarrest – Vater sagen – Prügelstrafe –«

Tantchen zog mich liebevoll an sich. »Kerlchen meint's nicht so bös«, sagte sie begütigend und stand auf. »Lieber Herr Gerichtsrat, ich werde jetzt zur Gräfin gehen.«

»Ja, gehen Sie,« rief er, »und sagen Sie ihr: In Ruhe lassen sollte sie mich mit ihrem albernen spiritistischen Kram, kein Wort glaube ich von der ganzen Sache. Geister – phhh – es ist ja lachhaft. Was glauben Sie wohl? Die Gräfin will sie alle beschwören, daß sie in meinem Zimmer hausen und mich vom Unglauben befreien. Verrückt ist sie, direkt verrückt. Aber nervös macht es mich – nervös. Hab ich mal was verlegt und suche, – sagt sie höhnisch: »Ah der Geist »Klibschi« zeigt sich, – er, nicht Sie, hat die Sache verlegt.« Oder, wenn ich nicht schlafen konnte, kommt sie bedauernd am andern Morgen: »Hat Sie »Mumscha« gequält? Oh Herr Rat – wenn Sie doch gläubig würden!« – Nervös macht's mich – und das ist doch auch kein Spiritismus mehr, das ist doch Verrücktheit.« Der Rat wurde braunrot im Gesicht. »Und sagen Sie ihr zweitens: »Fünfundzwanzig Jahre wohnte ich hier und die Gräfin erst zwanzig, fünfundzwanzig Jahr lang hätte ich meine Pfeifen auf diesem Fenstersims ausgeklopft; jetzt werde ich im sechsundzwauzigsten damit nicht wo anders hingehen. Gewohnheitsrecht, Paragraph – – –«

»Aber sehen Sie doch, Herr Rat, wie Ihr Fenster und die ganze Außenwand erbärmlich aussehen,« warf Tantchen schüchtern ein. »Wie oft habe ich schon kalken lassen müssen« – – –

»Ah, mein gnädiges Fräulein, also so kommen Sie mir? Sie drohen wohl gar? Wissen Sie auch, daß das Hausfriedensbruch ist und was für Strafe darauf steht?« Der Rat sah fürchterlich aus und ich ergriff Tantchen bei der Hand, die sich willenlos fortziehen ließ.

Draußen rannten wir die Gräfin beinahe um, die augenscheinlich Posto gefaßt hatte, um uns noch vor dem Hauptmann zu ergattern.

»Gott, hab' ich mich erschrocken«, klagte sie. »Felicitas, sei doch nicht so wild – oder – oder hat Sie der ominöse Mensch hinausge –?«

Tantchen lächelte schwach. »So ungefähr«, sagte sie. Die Gräfin ballte die Faust nach der Thür. »Barbar!« rief sie. »Kommen Sie, liebstes Fräulein von Schlieden, ich muß Ihnen mein übervolles Herz ausschütten, und meine Klagen werden Widerhall bei Ihnen finden.« Damit zog sie uns in ihr Zimmer.

Eine Flut von Beschwerden über die Hausbewohner überschüttete uns, besonders über den Hauptmann.

»Meine Séance hat er in geradezu abscheulicher Weise gestört«, schloß sie, »der Schreck hätte mir den Tod bringen können.«

»Dann wäre die Wohnung frei geworden«, bemerkte ich ruhig. Die Gräfin warf mir einen vernichtenden Blick zu; zu Tantchen dagegen sagte sie hoheitsvoll: »Ich will nicht hoffen, daß dies Kind nachspricht, was andere gedacht haben – auf meinen Tod braucht nicht gewartet zu werden. Sobald in einer der nächsten spiritistischen Séancen der Geist meines Adolar erscheint, so ist mir dies ein Zeichen, dieses Heim zu verlassen.«

»Oha noch mal zu!« rief ich begeistert, »..bitte, bitte, rufen Sie mich dann, ich hab noch nie einen Geist gesehen. Johann sagt, Geister wären »Knochens mit'n Bettlaken drumrum.«

Tantchen empfahl sich. Die Gräfin geleitete uns bis zur Thür, und wenige Minuten darauf waren wir in den Gemächern des Hauptmanns a. D. von Herbig.

Er war ein ungeheuer großer, martialisch aussehender Mann und saß in einem ebenso ungeheuren Sessel.

»Habe Hexenschuß, Gnädigste!« schrie er uns dröhnend an, als wir hineintraten. »Vermute, daß meine verehrte gräfliche Nachbarin den Schuß abgegeben hat. Platz nehmen? Wissen ja, daß Gnädigste das einzige Frauenzimmer – pardon – Dame sind, die hier herein kommt. Kerlchen kommt ja nicht in Betracht, ist noch zu junges Gemüse!«

Tantchen seufzte vernehmlich. O ja, man sah es, daß noch nie eine ordnende Frauenhand dieses Tohuwabohu berührt hatte, fingerdick lag der Staub auf den Möbeln, Spinnweben hingen überall herab, selbst das Bauer des Papageis, des Lieblings, war in eine Staubschicht gehüllt, und höchst sonderbar klang in dieser verwahrlosten Umgebung der Ruf, den »Lora« von Zeit zu Zeit krächzend hervorstieß: »Ordnung ist das halbe Leben!« Während der Hauptmann wutentbrannt eine Schilderung seiner schlaflosen Nächte zum besten gab, zog ich mit meinem Finger Linien in den tiefen Staub, der auf dem tafelförmigen Klavier lag. Bald hatte ich des Hauptmanns großen Kopf mit dem scharfen Scheitel mitten durch das Haar, sowie seinen Riesenschnurrbart schön deutlich hingezeichnet.

Erst seine zornige laute Stimme lenkte mich von meiner schönen Beschäftigung ab. »Sorgen Sie, daß die Gräfin aus dem Hause kommt, – oder – oder – ich könnte Ihnen anthun, – selbst auszuziehen.« Nach dieser schrecklichen Drohung humpelte er mit seinem Hexenschuß zu mir und besah sich meine Zeichnung. »Ist das nun Dummheit oder Bosheit?« fragte er wütend. »Das weiß ich nicht ganz genau,« sagte ich lebhaft, ich glaube, »dumm« war ich nie, aber »bosheitig« schon oft.« » Wer ist das, was ist das?« wiederholte er energisch und zeigte auf sein Bild. »Dreck!« sagte ich seelenruhig.

Tantchen stand schleunigst auf. »Ich werde versuchen, was ich thun kann, Herr Hauptmann,« sagte sie sanft, »doch hoffe ich, die Mieter werden mich alle etwas unterstützen; es sind im Grunde ja nur Kleinigkeiten, um die es sich handelt.« – »Was da Kleinigkeiten,« knurrte der Hauptmann, »viel Wenig machen ein Viel, bei diesem ununterbrochenen Ärger muß man ja krank werden, und ich hoffe doch noch meine zwanzig bis fünfundzwanzig Jahre hier in der Villa zu sein.«

Tantchen seufzte schmerzlich. »Dann gehe ich zu Grunde,« sagte sie leise für sich.

»O Tantchen, thu das nicht,« flehte ich, »geh nicht zu Grunde!«

Sie lächelte trübe. »Sieh, Liebling, dies alles macht mich ganz krank.«

Wir schritten während dieser Worte im Garten umher, nachdem der Hauptmann uns kurz entlassen hatte. Nun gesellte sich auch Hinrich Wilhelm, der Gärtner, zu uns.

»Gnädiges Fräulein sehen ganz blaß aus,« sagte er betrübt, »das kann ja gar nicht so fortgehen.«

»Hinrich, Sie müßten mich ein bißchen unterstützen,« bat Tantchen. »Sie reizen die Herrschaften mit ihren oft recht unangebrachten Sprichwörtern.«

»Gnädig Fräulein verzeihen, daß ich ins Wort falle,« sagte Hinrich, »ich kann da nix bei machen – die ärgern sich von alleine grün und blau, und da sag ich schon immer bei mir selber, wenn sie mir rufen: »Min lewer Kuhlmann, holl du dat Mul man,« nee, nee, gnädig Fräulein, det is man, daß sie en Ableiter brauchen, und der bin immer ich.« Hinrich sah ordentlich bekümmert aus. »Un denn keine Möglichkeit, sie los zu werden,« seufzte er.

»Keine Möglichkeit,« pflichtete Tantchen traurig bei.

»Und es wäre doch so schön, wenn Sie hier einziehen könnten.« – Hinrich griff treuherzig nach Tantchens Hand. »Wie wollten wir sie pflegen – min Fru un ik.«

Tantchen klopfte ihm auf die Schulter. »Es ist seit vielen Jahren mein Herzenswunsch,« sagte sie, »aber er ist unerfüllbar. Ach – was gäbe ich darum, wenn meine Mieter kündigen wollten!« –

»Gäbst du einen Ponywagen?« fragte ich. Sie lachte fröhlich. »Gern, Kerlchen, gern – aber das nützt nichts.« »Das nützt doch,« dachte ich still bei mir, und von diesem Augenblick an stand mein Entschluß bombenfest . . .

 

Zu Hause wurde noch einmal alles besprochen von den Eltern und dem Tantchen, sie lachten, sie ärgerten sich, aber alles blieb beim alten, – zu machen war nichts.

»Villa Tannenruh ist für mich verloren,« seufzte Tantchen, »diesen Herzenswunsch muß ich wohl begraben. Aber mein Gut verpachten will ich doch, damit ich euch näher habe, liebste Kinder.«

»Kammerherr von Straubingen zieht fort von hier,« sagte Prinz Li, »seine Villa wird frei, wäre das nichts für das gnädige Fräulein?«

Tantchen war sofort Feuer und Flamme, und noch an demselben Nachmittage war auch diese Angelegenheit erledigt. Und nun rückte ich mit meinem großen Wunsch heraus, ein paar Wochen zu dem Gärtnerpaar Gripp in die freundliche Verwalterswohnung ziehen zu dürfen, – ich hatte das heimlich mit Wilhelm Hinrich verabredet, – – – – – ich wollte mir ja meinen Ponywagen verdienen!

 

Der alte Germane und ich saßen eines Abends in Tannenruh im Garten unter der mächtigen Fichte, die ihre Zweige bis zur Erde streckte, und hier konnten wir prachtvoll hören, wie sich die drei Parteien aus Tantchens Villa »unterhielten«, die unweit der Tanne auf freiem Platz um den runden Tisch saßen.

»Wenn Sie das nicht einsehen wollen, Herr Oberlandesgerichtsrat,« eiferte die Gräfin mit ihrer hohen Stimme, – »wenn Sie die höhere Macht leugnen wollen« – –

»Die leugne ich ganz entschieden, Frau Gräfin!«, rief Herr Martens, »aber es macht mich nervös, ganz nervös, wenn ich beispielsweise meine Pfeifenköpfe jetzt stets ausgeklopft finde, und zwar nicht auf dem Fenstersims, wie ich das seit 25 Jahren thue, sondern in meinem Zimmer, auf der Erde, ich hasse diese Unordnung. Und dann finde ich die Pfeifen wieder regelrecht gestopft, wenn ich das Zimmer auf drei Minuten verlassen habe, dafür aber sonst alles in Unordnung – es macht mich nervös, es macht mich nervös!«

Die Gräfin lächelte verständnisvoll, »Geist Milu«, flüsterte sie, – »o, ich kenne ihn. Er bringt uns kleine Widerwärtigkeiten, damit wir ihn erkennen, – Geist Milu!«

Der Gerichtsrat fuhr sich aufgeregt durch die Haare. »Wenn mir dieser Geist mal sichtbar wird, werde ich ihm gehörig auf die Finger klopfen, – Ordnung will ich in meiner Wohnung haben, die Unordnung haben hier schon andere Leute in Pacht!«

»Meinen Sie mir, oder meinen Sie mich!« fuhr der Hauptmann auf. »Meine Zimmer gehen niemanden etwas an. Wilotschek besorgt mich tadellos.« –

Die Gräfin rümpfte die Nase. »Dieser Polacke!« sagte sie. »Sie sollten doch wirklich einmal eine ordnende Frauenhand –« –

»Niemals!« schrie der Hauptmanm

»Beruhigen Sie sich,« sagte die Gräfin spöttisch, »es wird kein weibliches Wesen auf Sie und Ihr Zimmer Absicht haben – und wäre der letzte Wille des Erblassers nicht –«

»Jawohl, dann sprächen wir nicht miteinander,« fiel grimmig der Hauptmann ein, »aber das Testament bestimmt nun mal, daß wir jede Woche einmal hier zusammenkommen. Das haben wir jetzt besorgt, und nun empfehle ich mich.«

Er erhob sich und stapfte mit großen Schritten nach der Villa, wo schon sein Bursche Wilotschek mit der Gießkanne wartete, die er ihm stets nach solchen Zusammenkünften über den Kopf goß, um einen Schlaganfall zu verhüten.

Auch Gerichtsrat Martens ging nach kurzer Zeit hinein, und bald darauf hörten wir sein Toben und Schimpfen: »Es macht mich nervös, es bringt mich noch um!« tönte es zu uns herunter. und Wilhelm meinte etwas besorgt: »Treibst du's auch nicht zu arg, Kerlchen?«

»Als ob man das jemals thun könnte!« rief ich aufgebracht. »Dem Gerichtsrat ist ja man bloß sein Kanarienvogel gestorben, den hab ich heimlich aus dem Bauer genommen und dafür eine weiße Maus hineingesetzt. Die Gräfin sagt, der Geist Milu führe manchmal in weiße Mäuse oder in Kanarienvögel. Nun soll er denken, er hätte ihn immer schon in seiner Wohnung gehabt! – Aber Wilhelm,« fuhr ich dann lebhaft fort, – »wirkst du auch für Tantens Villa? Vergißt du niemals deinen Schwur?«

»Wir halten fest und treu zusammen,« sagte Wilhelm feierlich und faßte meine Hand, dann lächelte er schlau. »Meinen Plan kann ich nicht das Kerlchen sagen, das Feechen is man 'ne lüttge Deern und versteht so'n Kram nich.« –

»Ich verstehe alles,« sagte ich überlegen. Er kratzte sich hinterm Ohr. »Nee – – nee – Kerlchen, das verstehst du nun wirklich nicht, und der Herr Oberst könnten schimpfen, – ich mach das schonst alleine.« »Schön!« sagte ich grimmig, »thu du das, 'rauskrieg' ich das doch!« Jetzt sah Wilhelm überlegen auf mich herab und ging ins Haus.

Ich schlich aus Umwegen hinter ihm her; ich war sehr ergrimmt. Von irgend welchen Geheimnissen stand nichts in dem Pakt, den Wilhelm und ich geschlossen hatten, und deshalb war ich sehr ärgerlich. Aus den Fenstern des Hauptmanns tönten gedämpfte Stimmen, aber ich unterschied noch deutlich die des alten Wilhelm. Rasch lief ich die Hintertreppe hinauf, des Hauptmanns Wohnung hatte noch eine kleine Garderobe, in die man durch einen zweiten Eingang gelangte, und diese Garderobe, eine Art Alkoven, war nur durch einen dichten Vorhang von seinem Wohnzimmer getrennt. So – drinnen war ich und schmiegte mich wie ein Kätzchen an diesen Vorhang.

»Es kann ja nicht möglich sein,« hörte ich drinnen des Hauptmanns Stimme, – »ich habe nie etwas Derartiges bemerkt, – es wäre ja schrecklich!«

»Ja, was glauben Sie woll, Herr Hauptmann,« antwortete Wilhelm – »die Frau Gräfin is doch 'ne Dame, un Damens tragen ihre Zuneigung doch nich uff'n Präsentierteller. Nee, ich bleib' dabei, sie hat 'ne stille Liebe vor'n Herrn Hauptmann.« –

»Ich sollte Sie eigentlich 'rausschmeißen, Wilhelm,« sagte der Hauptmann, »– aber, – aber – Sie können mir viel nützen – glauben Sie wirklich? – Es wäre ja schrecklich!« – Er lief aufgeregt im Zimmer umher. »Aber ich habe nie etwas davon bemerkt.« –

»Na, Herr Hauptmann, ich hab' das aber bemerkt, und warum schreit sie woll in die »Spiritus-Seanxen« immerlos: »Adolar, gieb mich ein Zeichen!!!«– Heiraten will sie wieder, das ist das ganze, und was die Frau Gräfin wollen, das setzen sie auch durch.«

Der Hauptmann warf seinen Stuhl so heftig zurück, daß er umflog. »Das ist, um verrückt zu werden!« schrie er – »aber, aber, – aber nein, – nie hat sie mein Zimmer betreten, nie hat sie meine Kriegssehenswürdigkeiten betrachten wollen, wie andere neugierige Frauenzimmer – ach was – dummes Zeug!«

»Na, Herr Hauptmann, dann verzeihen Herr Hauptmann, – ich wollte man bloß darauf aufmerksam machen.«

»Gewiß Wilhelm – und halten Sie Augen und Ohren offen – das wäre ja – – zum T..... auch!«

Ich schlüpfte schleunigst zur Thür hinaus und lief in den Korridor des Vorderhauses, hier traf ich mit Wilhelm zusammen. So recht klar war mir das Gespräch nicht, ich dachte aber nicht weiter darüber nach, sondern lief auf Wilhelm zu und fragte: »Wo willst du hin?«

»Zur Frau Gräfin,« war die Autwort, (Wilhelm war sehr verlegen) »aber du geh man spielen, ich kann dir nicht brauchen.« Wilhelm sah unbeweglich aus, aber ich hielt ihn fest an der Hand.

Auf sein Klopfen öffnete die Jungfer der Gräfin, und wir standen bald vor ihr selbst. »Nun?« fragte sie finster.

»Ach, Frau Gräfin – (Wilhelm drehte seine Mütze hin und her) – »ich hätte eine so große Bitte an die Frau Gräfin.« –

»Sooo? Sehen Sie endlich ein, daß Ihr dummer Widerspruch Ihnen seit 20 Jahren nichts nützt, und fangen Sie endlich an, zu bitten?«

»Ja, Frau Gräfin, – ich – ich sehe das ein, – man wird alt, und mit das Bitten kommt man weiter, als mit das Trotzen. Ich bitt' aber nich vor mir, ich bitt' vor die ganze Villa« (Wilhelm sah sehr scheinheilig aus) – »wir sehen alle, wie die Oberschte von die Villa doch die Frau Gräfin sind – so ordentlich – und vornehm – und denn 'ne Dame. Und es wär' doch das beste, die Frau Gräfin übernehmen das Oberkommando – ja – und – erbarmen Sie sich über den armen Herrn Hauptmann.«

»Über den Herrn Hauptmann???« –

»Ja, Frau Gräfin – das sieht in den Zimmern aus – schrecklich – da müßte mal Ordnung geschaffen werden – es wächst ihm schonst über den Kopp« –

»Es freut mich, daß Sie endlich mal vernünftig sprechen, Wilhelm, – aber Sie wissen ja, Herr von Herbig ist Damenfeind« –

»Längst nicht mehr so arg,« fiel Wilhelm hastig ein, »er zankt schon manchmal mit Wilotschek von wegen die Unordnung, und heute klagte er mich, wie einsam er sei und wie niemand nach seinen Verlebnissen fragte, oder mal seine Kriegsdenkmünzen oder seine sonstigen Sehenswürdigkeiten betrachten möchte. Der Mann wird alt, Frau Gräfin, – und er fühlt nun wohl auch die Macht, die so 'ne vornehme Dame haben, wie die Frau Gräfin sind.«

»Schon gut, schon gut, Wilhelm – ich werde mir die Sache mal überlegen.«

Wir waren entlassen. »Wilhelm,« sagte ich energisch – »ich glaub', du lügst, Wilhelm, und lügen ist gemein.«

»I wo werd' ich« beteuerte Wilhelm, »das is man so – und denn – siehst du, Kerlchen – – aber so was – lügen – wie das klingt, – siehst du – man kann nich immer so – man muß mal auf seinen Vorteil sehen, wie schon jener Bauer zum Pfarrer sagt: »Selig kannst warden, äwer öwer hest nix.« Un kurz und gut, die Villa muß rein werden!«

»Ja, die Villa muß rein werden,« sagte ich schnell getröstet, »und, Wilhelm, ich hab' noch viel zu thun.«

Durch die Fenster der Vorhalle sah ich den Rat Martens im Garten herumgehen. Er war allein, fuchtelte aber aufgeregt mit den Händen umher. »Jetzt kann ich in sein Zimmer,« sagte ich zu Wilhelm, »er ist im Garten.«

»Ja, Kerlchen, aber laß dich bloß nich erwischen.« In diesem Augenblick öffnete der Hauptmann seine Thür. »Ach, Wilhelm, besorgen Sie mir doch mal meine Lora,« rief er uns zu, »machen Sie das Bauer mal gründlich rein, das Tier scheint mir krank zu sein.« Wilhelm nahm das Bauer, und der Hauptmann wollte eben sein Zimmer wieder schließen, als die Gräfin aus dem ihren trat.

»Auf ein Wort, Herr Hauptmann,« rief sie mit lieblicher Stimme, während er scheuen Auges ihre Annäherung betrachtete. »Ihr Tierchen ist krank? Ich hatte früher auch einen Papagei, aber ein tückischer Geist fuhr in ihn, und er biß mich schrecklich in die Hand. Doch ich weiß mit Krankheiten Bescheid, darf ich ihn gesund pflegen?«

Sie lächelte lieblich, aber der Hauptmann sah aus, als erblickte er das Haupt der Medusa. »Nein!« sagte er grimmig und setzte dann etwas ruhiger hinzu: »Ich – ich danke!« Kaum war aber die Gräfin kopfschüttelnd gegangen, packte der Hauptmann Wilhelms Arm und stotterte: »Wilhelm – sollten Sie recht haben? Himmelmohrenelement! Wilhelm!«

Als der Hauptmann wieder in seinem Zimmer war, bat ich Wilhelm: »Gieb mir Lora so lange zum Spielen, bis das Bauer rein ist,« und ich setzte das Tier, das sehr matt zu sein schien, auf meinen Arm – und verfügte mich in das Zimmer des Gerichtsrates. Ich wußte, daß er vor einer halben Stunde nicht zurückkam, er turnte im Park, machte allerlei sonstige Übungen und lebte überhaupt streng naturgemäß, seit seine Nerven durch die verschiedensten Vorkommnisse etwas beunruhigt waren.

Im Zimmer vom Herrn Rat angekommen, stürzte ich mich erst schleunigst auf den Käfig der weißen Maus, öffnete ihn und ließ das erschreckte Tier entfliehen, dann setzte ich Lora auf das leere Gehäuse, wo der Papagei auch ruhig sitzen blieb und den Kopf unter den Flügel steckte. Im Nu war ich bei den Pfeifenköpfen, klopfte die vollen auf der Diele aus, stopfte die gereinigten, wie ich's so oft von meinem Vater gesehen – und dann war ich wie der Blitz beim Bücherschrank, zerrte alle Bücher und Schriften auf die Erde, bis es im Zimmer wie in Sodom und Gomorrha aussah. Es war die höchste Zeit – der Rat kam. Ich versteckte mich schleunigst hinter die Portière des Schlafzimmers; von dort hoffte ich durch die zweite Thür entschlüpfen zu können.

Der Rat sah starren Blickes auf die Verwüstung. »Was ist das?« hörte ich ihn dumpfen Tones fragen.

»Was ist das!« schrie er lauter und trat auf seine Bücher und auf die verstreute Asche seiner Pfeifen, »was ist das?!« brüllte er den armen Papagei an, der statt der weißen Maus das hölzerne Gehäuse bewachte. Und Lora zog schlaftrunken den Kopf unter dem Flügel hervor und krächzte dem Rat entgegen: »Ordnung ist das halbe Leben!«

Das war zu viel für Herrn Rat Martens. Mit Riesenschritten entfloh er dem Zimmer. Ich folgte ihm in wenigen Augenblicken und brachte Lora wieder in sein Bauer und in das Zimmer des Hauptmanns.

Dieser saß ebenso matt im Sessel wie sein Papagei auf der Stange und schien dem Wilhelm sein Leid zu klagen. »Die Fürsorge bringt mich um,« stöhnte er, – »nun hat sie sich schon wieder erkundigt, ob ich nicht Raritäten besäße, ein so altes Geschlecht wie wir – die sie für ihr Leben gern beaugenscheinigte! Nicht um die Welt darf sie über meine Schwelle!« –

»Nee, Herr Hauptmann, das brauchen Sie sich nicht gefallen zu gelassen,« sagte Wilhelm mit wehleidigem Gesicht, – »wenn ich an Ihrer Stelle wäre, – großer Gott, ich glaube, ich zög' aus.« Nach dieser diplomatischen Wendung nahm er mich bei der Hand und wir ließen den Hauptmann als völlig geknickte Lilie allein.

Am anderen Tage bekam ich einen Brief von unserer Dorette: »Liebhes Kerlchen! Und du fählst uns sähre. Herr Oberscht meinen selbst, es wär kei Mumm in die Sache, wenns Kerlchen fählen dhäte, ich weiß nich, was Mumm is, aber du fählst ebend sähre. Ibrigens kann ich dich was Glickliches melden, ebend hat Herr Rath Martens gekindigt wegen Nerven, weißt du da was von? Fräulein Hermine, sind sehr glicklich un Herr Oberscht un die gnädige Frau un ich. Nun sin mer den wehnigstens los. Un nu recht scheene ad jeh mei liehbes Kerlchen. Unser Garten is wundervoll und wartet uffs Kerlchen. Un Äpfel kriegen könnts vielleicht balde meglich sin, daß mer welche dhäten. Dorette.«

Ich küßte den Brief in überströmendem Glücksgefühl, erstens Dorettens wegen, zweitens der Äpfel wegen und drittens: Der Rat hatte gekündigt! Jubelnd brachte ich Wilhelm die Nachricht. Dieser rieb sich schmunzelnd die Hände. »Kerlchen, da kannste dir was einbilden,« sagte er, »aber ich bin auch nicht müßig gewesen, paß nur auf, heute kracht's noch!« Und es krachte wirklich. Als wir von einem langen Spaziergang abends heimkehrten, sahen wir vor uns den Hauptmann die Villa betreten, und gleich darauf hörten wir einen Wortwechsel, der an Heftigkeit nichts zu wünschen übrig ließ.

»Mein Haus ist meine Burg,« schrie der Hauptmann, »seit 25 Jahren hat sie kein weiblicher Fuß betreten –!«

»Das merkte man,« höhnte die Gräfin. Sie stand, in der hocherhobenen Hand einen Staubwedel, mit gerötetem Gesicht und spitzer Nase vor dem Ergrimmten, als Wilhelm und ich hinzukamen.

Das Zimmer des Hauptmanns bot einen Anblick dar, der ihn allerdings jeglicher Fassung berauben konnte. Es war halb unter Wasser gesetzt, eine Scheuerfrau bearbeitete den Fußboden, die Jungfer der Gräfin klopfte die staubigen Möbel, sie selbst wischte an Büchern und Sachen herum – Frauenzimmer, wohin der Hauptmann blickte.

»Rrrraus! rraus!« schrie er, blaurot im Gesicht, und als sein Bursche diese beängstigende Farbe bemerkte, goß er ihm die stets bereite Gießkanne vor unseren Augen über den Kopf, was mich zu jubelndem Lachen veranlaßte, die Gräfin aber zu krampfhaftem Weinen; schließlich flogen Scheuerfrau und Stubenjungfer, von des Hauptmanns Hand nicht allzu sanft befördert, auf den Korridor hinaus, und er selbft schloß sich wutschnanbend und wassertriefend in seiner nassen Burg ein.

Ich lief zu Wilhelms Frau, die über den Skandal in der vornehmen Villa sehr bekümmert war, und bald kam auch Wilhelm nach, der uns noch die wunderbarsten Dinge von des Hauptmanns grenzenloser Wut erzählte, wie er und die Gräfin sich jetzt durch die Wand die größten Grobheiten zuriefen u. s. w.

»Und heute Abend ist große Geistersitzung bei der Gräfin,« schloß Wilhelm seinen interessanten Bericht, »heute is Vollmond. – Aber nun marsch ins Bett, Kerlchen, Herrje, schon ½11 – wenn das die Frau Oberst wüßten!«

Ach ja, es war gut, daß meine stille, sanfte Mama von nichts wußte, auch nicht, daß ich mich jetzt zwar ruhig ins Bett bringen ließ, hier aber keineswegs einschlief, sondern mit starkem Herzklopfen auf die mitternächtige Stunde wartete. Ich war fest entschlossen, der Geistersitzung beizuwohnen.

Von meinem Zimmer ging ein langer, schmaler Gang nach der Villa; das Zimmer der Gräfin war das erste im Parterre. Ich nahm mir nicht Zeit, irgend etwas überzuwerfen, meine roten, gestrickten Pantoffelchen zog ich an, als mein kleines Taschenührchen 3/4 12 zeigte. Eigentliche Furcht kannte ich nicht. Ich überzeugte mich erst durch Horchen, daß Wilhelm und seine Frau ruhig schliefen und schnarchten, dann klinkte ich leise meine Thür auf und lief im hellen Mondschein den Gang entlang. Vor der Thür der Gräfin blieb ich lauschend stehen, ich hörte erst leises Murmeln, dann wieder etwas lauter ihre Worte: »Ich kann nicht hierbleiben, ich kann nicht,« und dazwischen viel Seufzen und Stöhnen. Es wurde mir doch etwas unheimlich, aber meine Neugierde war zu groß. In der Thür der Gräfin war oben ein Glasfenster, ich hätte für mein Leben gern hineingesehen, und so kletterte ich auf ein kleines Tischchen, das neben der Thür an der Wand stand.

In diesem Augenblick schlug die große Standuhr im Vorflur zwölf, und zu gleicher Zeit rief die klagende Stimme der Gräfin laut: »Adolar, Adolar, gieb mir ein Zeichen!«

Ich erschrak furchtbar, das Tischchen wackelte unter mir, und ich stieß einen Schreckensruf aus. Da, die Thür der Gräfin öffnete sich – sie starrte mich an, die ich im weißen Nachtgewand, vom hellen Mondlicht überflossen, auf dem Tisch stand – ein gellender Schrei, dann flog ihre Thür wieder zu, und ich sprang vom Tisch hinunter und rannte wie gejagt in mein Zimmer. Drinnen im Nebenzimmer hörte ich Wilhelm mit seiner Frau sprechen. Ich zog die Decke bis über die Ohren und hörte nichts als meinen eigenen wilden Herzschlag; und dann beruhigte ich mich allmählich und schlief bis in den hellen Morgen hinein.

Am anderen Tage fuhr ich nach Hause, und zwar als die Überbringerin wichtigster Nachrichten. Zwei mächtige Briefe durfte ich Tantchen reichen, die noch bei den Eltern weilte; der eine war wappengeschmückt, der andere schlicht, in beiden stand unbeschreiblich Schönes: Die Kündigung des Hauptmanns und der Gräfin! Die Eltern und Tantchen waren zuerst einfach starr, dann bestürmten sie mich mit Fragen, wurden aber durch meine Antworten nicht klüger, und schließlich gaben sich alle der ungetrübtesten Freude über das Ereignis hin.

Tantchens Villa war frei! Ein reizender, kleiner Ponywagen wurde beim Stellmacher in Arbeit gegeben und tausend Pläne geschmiedet, wie wir nun die Villa Tannenruh traut und behaglich für Tantchen einrichten wollten.

»Und die andere Villa, die ich gekauft, vermiete ich!« lachte Tantchen fröhlich, »ich schreibe gleich an meinen Sachwalter, der kann alles besorgen; ich selbst kümmere mich um nichts, ich lebe nur in dem Gedanken an mein trautes Tannenruh!«

Nun folgte eine köstliche Zeit. Herrliche Luftschlösser bauten wir, und ab und zu erstattete Wilhelm Bericht, wie die Parteien in Tantens Villa grollend in ihren Zimmern säßen, ohne Gruß an einander vorübergingen und die Zeit nicht erwarten könnten, aus dem entsetzlichen Aufenthalt auszuziehen.

Und dann saßen wir eines köstlichen Abends wieder alle in unserem Garten. Morgen wollte uns Tantchen verlassen, um ihren Umzug nach Tannenruh zu bewerkstelligen.

»Ach Kinder,« sagte Tantchen und lehnte sich behaglich zurück, »jetzt werde ich erst anfangen zu leben. Mein Tannenruh als Wohnsitz, die andere Villa hoffentlich gut vermietet, keine Scherereien, keine Briefe, keine Quälereien mehr!«

In diesem Augenblick brachte der Postbote ein großes Schreiben. Es war von Tantchens Sachwalter. »Alles vermietet!« rief sie fröhlich, nachdem sie die ersten Zeilen überflogen, aber dann – wurde sie plötzlich blaß, und schließlich sah sie uns mit ganz verstörten Blicken an. »Lies, lies, trautster Neffe,« bat sie endlich mit versagender Stimme.

Und da stand es schwarz auf weiß: »Verehrtes, gnädiges Fräulein! Die kleine Villa glänzend vermietet und zwar das Parterre an einen Herrn Oberlandesgerichtsrat Martens, die eine Hälfte des ersten Stockwerkes an eine Frau Gräfin Kröchelnburg-Tiefensee-Ebenheim-Sturtzbach, aus dem Hause Mangeln-Solmsdorf-Braunstein, die andere Hälfte an einen Hauptmann von Herbig. Die Herrschaften wollen so bald als möglich einziehen, sind etwas wunderlich, aber alle comme il faut U. s. w. u. s. w.«

Vater lachte, er lachte Thränen. »Es ist 'ne Komödie!« rief er, »'ne Komödie!« Muttchen sah bekümmert auf Tantchen, diese hielt die Hände im Schoß gefaltet und hatte wahrhaftig ein paar Thränen in ihren lieben Blauaugen. Ich schlang meine Arme um ihren Hals. »Tantchen – schenk mir noch 'ne rote Pferdeleine, dann graul' ich die Gesellschaft auch aus der andern Villa raus!«

»Ach Kerlchen, ich verzage!« sagte sie nur.

Aber sie bekam keine Ursache dazu. In »Tannenruh« hatte sie sich ein entzückendes Nest eingerichtet, und aus der »kleinen Villa« kamen die beruhigendsten Nachrichten. Die gegnerischen Parteien waren von abergläubischem Grausen erfaßt worden und fügten sich nun mit Anstand einer »höheren Macht«. Die Gräfin sagte schwärmerisch: »Geist Kritol will, daß wir zusammen bleiben,« und niemand widersprach ihr. Der Oberlandesgerichtsrat klopfte wieder seine Pfeifen am Fenstersims aus; in des Hauptmanns Zimmern lag handhoher Staub, und über alledem krächzte Lora: »Ordnung ist das halbe Leben!«


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