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Der Pflug

Der Fürstin Tola Meschtscherski nacherzählt

Ist noch Winter? Oder ist schön Frühling? Seltsames Chaos im Raum; warme schwere Luftwellen schneiden den Frost. Die Natur liegt ohnmächtig, aufgetrieben vom Dunst vorjähriger Verwesung, und erbebt von neuem Leben, das sich keimend in ihrem Schoße rührt. Die Tiere schlafen noch; die Pflanzen öffnen die Augen.

Da bewegt sich wie ein chinesisches Schattenspiel auf weiter grauer Fläche eine Gruppe:

Ein ungleiches Paar, Pferd und Kuh, schleppen einen primitiven Pflug; die Schar steckt in einem hölzernen Gründel; auf die Sterzen gebückt, schreitet eine alte Frau. In ihren Fußstapfen höhlt sich trag und klebrig der Boden zu langen Furchen.

Das Pferd ist bucklig, sein Kreuz ragt im Bogen aus den Rippen, und der zausige Kopf hängt tief, als zöge ihn Ruhebedürfnis nach der Freundin Erde, die ihn erwartet. Ein kleines Pferd und überragt doch noch die Kuh, ihren ausgemergelten Leib, die abgebrochenen Hörner.

Auch die Frau ist klein von Wuchs, doch knochig. Sie geht in Lumpen. Ein Gürtel, der einst rot war, hält die Lumpen zusammen. Die Füße der Frau tragen ausgetretene Männerstiefel; die Sohlen lösen sich, sooft die Frau sie aus dem zähen Humus zieht.

Das Gesicht der Frau ist eingebrannt, ockerfarbig, von so grausamen Kerben gespalten, daß man über die Jugend im Blick erstaunt und über die Schönheit der Zähne. Die Augen klar, geschlitzt, liegen tief in den Höhlen; die Backen stehen in schmerzlichen Winkeln hervor, und aus dem verblichenen Kopftuch stehlen sich graue Büschel. Die Hände auf den Sterzen – was für Hände: Adern wie Stricke. Und der ungeheure Leib, schwer vorgeschoben, verrät die vorgeschrittene Schwangerschaft.

Das Pferd schnaubt, und seine Flanken schlagen – die kleine rote Kuh blökt malzumal. Sie ist so entkräftet, die Kuh, daß sie den Schritt versagt und dem Pferdchen in den Zug fällt. Schon hebt die Bäuerin den Stock, um die Kuh zu schlagen, doch die Hand sinkt ihr zurück: nein, an der Kuh darf man sich nicht versündigen, an der einzigen Ernährerin der Kinder, ihrer wahren Mutter.

Und die Stunden kriechen schwer, unendlich – wie die Wolken, die am grauen Himmel kriechen.

Eine Seite des Feldes ist eingefaßt von jungen Erlen – aus dem Dickicht leuchten schlanke Birken. Halb vergraben im Gesträuch liegt ein Mann auf dem Rücken; er hat das Gesicht gen Himmel gekehrt, die Arme gekreuzt; brutale Vernichtung der Trunkenheit. Die Augen weiß, starr und ohne Blick; sein struppiger Rotbart, da und dort von den Wangen gerissen; die Zähne graben sich spitz in die Lippen. Ein geflicktes Schaffell, halb verfault, läßt des Mannes zottige Brust sehen. Welch abscheulicher Schlaf! Wie schrecklich wird erst das Erwachen sein!

Sooft das elende Gespann den Busch erreicht, worin der Bauer liegt, sieht die Frau ihn mit den Augen eines geschlagenen Tieres an – zermalmt, von Schrecken und Ekel benommen und ohne Kraft, sich davon zu befreien. Dennoch – auf dem Grund des Hasses, der in ihren braunen Augen lodert – in diesen müden Augen, die von ungeweinten Tränen brennen – da ist ein ungewisses, duldsames Mitleid für den Gefährten ihrer Armut, ihren Tyrannen – für den schmutzigen Sklaven ihres noch bösartigem Herrn.

Der Tag geht zur Rüste, und das Gesicht der Bäuerin verfällt und verfärbt sich mit den bleich aufsteigenden Schatten. Der gequälte Mund, die Muskel an ihrem Hals schwellen an. Sie wischt mit der Hand den rinnenden Schweiß von der Stirn. Sie keucht, sie leidet Schmerzen. Das Kind, das sie trägt, pocht an das Tor des Lebens – sie aber hält die Krämpfe aus – sie schreitet weiter, trägt den Pflug mit ausgestreckten Armen – sie will keinen Augenblick die Zwangsarbeit aussetzen, deren Dienerin sie ist. Sie beißt die Zähne zusammen und schließt die Augen – sie schreitet, schrecklich in ihrer leidenschaftslosen Resignation – sie schafft, sie wartet, schafft und wartet immer noch; sie wünscht, ihre Kräfte möchten nachgeben – dann wird sie auch sich selbst nachgeben können.

Ein kalter Wind springt auf und schlägt ihr die Röcke um die zitternden Beine. Endlich hält sie an, ganz nahe am Gebüsch. Sie stützt sich auf die Sterze. Ihre kalten Augen heften sich auf den Trunkenen – und sie spricht. Ihre Stimme ist rauh, als ob eine schartige Säge ihr die Kehle zerrisse.

»Ilarion! Ilarion, höre …!«

Der Bauer schnarcht.

»Ilarion!« wimmert die Unglückliche.

Er rührt sich nicht.

Sie zögert, schüttelt den Kopf und nimmt ihre Arbeit wieder auf. Die Hufe der Tiere stampfen und werfen bei jedem Schritt einen Schmutzregen hinter sich.

Langsam, mühsam, Fuß vor Fuß, kommt sie wiederum an den Busch.

»Ilarion!« Sie zittert. »Ilarion!« Es klingt wie Gebell.

Sie bückt sich, hebt einen Erdkloß auf und wirft ihn ängstlich dem Mann mitten ins viehische Gesicht. Er erwacht mit einem Ruck, richtet sich stumpfsinnig auf und glotzt sie an, ohne sie zu sehen. Er weiß nicht, wer und was ihn da geweckt hat, doch das Tier in ihm grollt und grunzt.

»Ilarion!« murmelt flehend die Frau – sie hebt ihr gemartertes Gesicht, das so schön ist in der Verzweiflung und im stoischen Schmerz. – »Die Wehen sind da. Komm ein wenig, mein Wohltäter, und nimm meinen Platz am Pflug ein! Komm schnell, sei barmherzig – sieh, ich fürchte, das Kind zu ersticken. Erlaub mir, daß ich laufe und entbinde. Nur einen Augenblick, Ilarion … im Namen Gottes!«

Er antwortet nicht, hat sie auch garnicht verstanden. Sitzt nur und versucht das Gleichgewicht zu halten; in seine scheuen Augen steigt nach und nach eine bestürzte Beklommenheit. Er dehnt sich, kratzt sich das Kreuz – endlich fällt er mit einem langgezogenen Gähnen hintenüber und schläft weiter.

Stille rings. In der Ferne bimmelt eine Kirchenglocke kaum hörbar.

Die Bäuerin blickt hilflos. Dann stöhnt sie auf – sucht den Schwindel zu verscheuchen, der sie erfaßt hat – und mit eiserner Kraft kehrt sie an den Pflug zurück, um weiterzuackern. Doch die Tiere beeilen sich nicht; sie fressen knirschend, Kuh und Pferd, die gelben Stoppeln der vorigen Ernte. Mechanisch richtet die Bäuerin die Schar in die Furche; ist offenbar ohne Bewußtsein ihres Tuns und der Richtung, die sie nehmen soll.

Als sich aber der Pflug dem schnarchenden Uarion zum drittenmal nähert, da erhebt sie nicht mehr den Kopf, ihre wunden Hände ruhen auf den Sterzen, statt sie zu führen; sie schreitet aus, wird an dem Gebüsch vorbeigehen …

Plötzlich stößt sie den Pflug zur Seite – wirft die faltige Stirn zurück – und mit erhobenen Armen richtet sie sich drohend auf … zögert einen Augenblick – dann stürzt sie sich auf den Trunkenbold. Sie packt ihn an den Schultern, schüttelt ihn – packt ihn an den Kleidern, dem Haar und kreischt ihn an:

»Auf, auf, Mann ohne Gnade! Soll das Kind umkommen? Soll die Arbeit ruhen? Hundesohn auf – oder ich erwürge dich mit beiden Händen!«

Sie hackt ihm die Nägel ins Fleisch, mit übernatürlicher Kraft trägt sie ihn fast an den Pflug.

Und er – untätig, unterworfen und beschämt, ergreift die Handhaben, schnalzt mit der Zunge, um das Gefährt anzutreiben – und mit gesenktem Kopf, stolpernd und wankend zieht er davon, ohne sich umzusehen.

Ein Weilchen blickt sie ihm gespannt und mißtrauisch nach.

Dann scheint sie in sich zusammenzusinken. Schleicht in den Busch und versteckt sich wie ein gehetztes Tier – das Holz kracht unter der Last ihres Körpers.

… Nach einer Stunde rühren sich die Zweige unter vorsichtig tastenden Händen – die Bäuerin erscheint. Ihr bleiches Angesicht atmet Ruhe nach schmerzhaftem Erleben. Mit ihren gesenkten Augen ähnelt sie den verblichenen Bildnissen byzantinischer Madonnen. Das Tuch ist unter dem Kinn gebunden, ihre Gestalt erscheint größer. Die Schürze ist umgeschlagen, am Gürtel befestigt; ein Wesen regt sich in der improvisierten Wiege.

Die Bäuerin schirmt die Augen mit der Hand und schaut nach der Kimmung aus, wo sich mählich das Gespann mit dem Arbeiter nähert.

Sie wartet unbeweglich. Den Kopf trägt sie hoch – ein seltsamer Stolz umspielt ihre Lippen.

Der Pflug ist da. Wortlos hält der Bauer und tritt seinen Platz dem Weib ab.

Sie greift zu – und ohne Hast fährt sie fort, den harten Schoß der Erde aufzureißen.

Ein Schrei aus der Schürze.

Ein Mensch ist geboren – eine Seele erstanden – ein Körperchen hat zu sterben begonnen.


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