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Die Hochzeitsgabe

B. G. Nuschitsch nacherzählt

Man muß Imer-Bejs Garten gesehen haben – dann weiß man erst, was ein Garten ist, was Schatten und Kühle. Meiner Treu, Imer-Bej hat ein kleines Paradies um sich gestaltet: wie schön da die Ranken geschoren sind, die Rabatten gesetzt in schmuckem Allerlei. Jedes Beet prangt in besonderer Farbe. Inmitten des Gartens aber rauscht ein kleiner Springbrunn; da steigt das Wasser nicht etwa in einem Strahl, sondern der Klempner hat Sternchen und blanke Bällchen zugeschnitten: wenn man sie losläßt, hebt der Strahl sie mit sich empor und spielt mit ihnen, und das Wasser zerstiebt daran und zerstäubt zu feinem, feuchtem Nebel, den weht der Wind durch den Garten – und der Nebel erfrischt und zärtelt einem das Gesicht, daß man meint, es strichen Engelshände über Stirn und Wangen.

Hinter dem Springbrunn eine mächtige Platane, ihr Schatten mißt acht Ellen im Kreis. Der selige Sadi-Bej, Imers Vater, erzählte: die Platane sei schon so groß gewesen, als er noch ein Kind war; und er ist wunder wie alt gestorben – und seitdem sind schon viel, viel Sommer vergangen – da wird die Platane wohl an die hundertfünfzig Jahre alt sein.

Unter der Platane breitet das Gesinde jeden Morgen Kissen und Pfühle aus, Imer-Bej lehnt sich hin; zu seinen Füßen murmelt und brodelt die Wasserpfeife – er raucht still für sich und denkt. Im Wipfel der Platane ist der Stamm abgebrochen; da haben zwei Störche ihren Horst gebaut und klappern spät und früh. Unter dem Hausdach wieder, wo es vorspringt, nisten Tauben – der ganze Sims ist voll von ihnen, und den lieben langen Tag sonnen sie sich und schnäbeln und gurren. Und während Imer-Bej so auf dem Pfühl sitzt, schafft Mejrem-Hanüm an einem großen Webstuhl unter dem Söller, und langsam, halblaut, mit einer Stimme, die einst sehr schön gewesen sein muß, summt sie das liebe, schöne Lied:

Djan'm gibi sewdiktsche seni
Djojnum, ej afet –
Djostermenin aßla bada
Hitsch ruji muhabet …

»Ach, ich liebe dich, mein Seelchen,
Hold und jung.
Doch auf deinem Antlitz las ich nie
Erwiderung …«

Das Lied klingt so schön mit dem Schlag des Kammbaums, dem Rieseln des Brunnens, dem Gurren der Tauben.

Hinten in der Gartenecke spielen Nuri und Hairije, Imer-Bejs ganze Freude. Nuri hat Weidenruten abgeschnitten und quält sich nun schon eine volle Stunde, ein Körbchen daraus zu flechten; Hairije hilft ihm; wenn sie zwei, drei Reihen glücklich fertig haben, da löst sich ihnen das Geflecht vom Anfang auf, wo die Ruten in der Erde stecken – und der Streit ist da. Hairije kreischt: Nuri habe losgelassen – er wieder schmält: Hairije hätte zu fest gezogen. Und sie beginnen von neuem. – Oder sie haben einen weißen Kürbis gepflückt, spalten ihn – und Nuri weidet eine Hälfte aus, Hairije die andre. Sie wollen eine Falle bauen zum Vogelfang. Den Eifer muß man sehen, wenn die Falle fertig ist: da tanzen sie rund und schlagen in die Hände. Hairije bückt sich – Nuri klettert über sie auf den Birnbaum – Hairije stützt unten und hält oben fest und stemmt und hebt, bis Nuri die Falle richtig angebunden hat und Samen aufstreut. Sie öffnen und schließen die Falle zur Probe. Dann laufen sie nach dem Söller, verbergen sich hinter dem Geländer und passen und spähen ungeduldig durch die Fugen, daß die Stare in den Birnbaum einfallen möchten. Sind die Stare wirklich da: so versteinen die Kinder bei lebendigem Leib, und ihre Spannung und Furcht wächst, je näher die Vögelchen der Falle kommen, hüpfend von Ast zu Ast. Und schwirren die Stare davon, da blicken zwei tiefenttäuschte, langgezogene Gesichtchen nach – aller Mut ist von den Kindern gewichen.

Nuri und Hairije sind Mann und Frau, ganz richtig verheiratet; er elf Jahre alt und sie zwölfeinhalb.

Imer, der Bej unter den Bejs, ist ein reicher Mann, ein vornehmer, ein Ehrenmann. Er hat von seinem Vater Boden und Wohlstand geerbt; zwei Landgüter tragen ihm Pacht – die Häuser in der Stadt, die Mühle im Weichbild zinsen und zahlen. Imer-Bej hat in guten Jahren dem einen und andern Kaufmann Geld geborgt – so häuft sich sein Vermögen für den einzigen Sohn Nuri. In solchem Überfluß – mußte Imer-Bej da nicht wünschen, die Liebe um sich zu mehren? – sein Haus hienieden zu bestellen – um dereinst, wenn die Stunde eintrifft, die geschrieben steht, die keinem Menschen erspart bleibt – in Ruhe zum Propheten einzugehen?

Nuri war damals allerdings erst zehn. Doch das mache nichts aus, sagte Imer-Bej; es ist doch der einzige Sohn – und um Freude an ihm zu erleben, kann Imer nicht fünf, sechs Jahre warten … Mögen die Kinder miteinander aufwachsen und spielen – so wird sich eins ans andre gewöhnen, ganz des Gefährten Art kennen lernen – und wenn sie erst die Ehe recht beginnen, sind sie einander wert und lieb und werden ihr Zeitalter in Eintracht vollstrecken. Indes wollen Imer-Bej und Mejrem-Hanüm die Kinder hegen, ihre Neigung pflegen. Da ist der Harem, da ist der Söller, der Garten, das ganze Haus: die Kleinen mögen sich tummeln nach Herzenslust, damit Allahs Sonne gnädig sie erwärme – die Sonne, unter der die Blumen blühen, der Storch sein Nest mit Frau Störchin baut, die Tauben gurren und kosen.

Wenn Imer-Bej sich schon so entschloß und Mejrem-Hanüm ihm aus voller Brust beistimmte: wer hätte vor Imers Freien das Tor verschlossen? Die Tore öffneten sich – man mußte nicht einmal mit dem Klopfer pochen – öffneten sich für Imer-Bej in der ganzen Stadt, wo immer es Mädchen gibt und Mitgift dazu. Doch Imer-Bej fragt gar nicht nach Mitgift; Allah hat ihn so reich gesegnet, daß die Gefäße überfließen; Imer-Bej braucht nur Frommen und Willkommen.

Wenn er aber einen echten Freund sucht – bei wem sollt Imer anpochen, wenn nicht bei Schukri-Bej, der einzig ist in so viel Vierteln und Bezirken? Sein Name genügt; du bringst nur einen Gruß von ihm, und als Wandrer brauchst du keinen bessern Paß. Schukri-Bej hat junge Töchter; so fand sich Hairije zu Nuri.

Herr des Himmels, war's eine Lustbarkeit damals auf der Hochzeit! Noch heute klingen einem die Ohren von der Musik und sind taub vom vielen Schießen. Man mußte nur den stattlichen Zug der Reiter sehen: wie die Pferde schäumten und sich bäumten, und die Kinnketten troffen von Blut. Allen voran Al'-Agas berühmter Hengst, bei dem die Roßtäuscher schwören; Mustafas Schimmel und Hadji Ejlas' Schimmel; dann Schefket-Effendis Braun – aber ein Braun, den der Sultan reiten könnte, wenn er Freitags zum Selamlik in die Moschee stolziert; und noch so viele, viele – Adel ohne Tadel, geschmückt und toll vor Feuer. Schon als sie durch Stadt und Gäßchen trappeln, schwitzen sie und tanzen, als sie auf die freie Straße kommen und die Reiter ihre Pistolen ziehen und die Zügel nachgeben und sich vornüberbeugen – im Hui erhebt sich ein Staub – man sieht bis an die Kimmung nichts als Staub – bis endlich Schefket-Effendis Braun aus der Wolke hervorflitzt und Hadji Ejlas' Schimmel.

Wer könnt all die Festlichkeiten beschreiben und der Reih nach schildern? Ist dir daran gelegen, ohne Lücke alles zu wissen, mußt du morgen ins Café zu Hussejin: dort sitzt Salih, der bartlose, als hättest du dir ihn bestellt. Jeden Morgen sitzt er da – man kennt schon seinen Platz, seine Wasserpfeife, seine Tasse. Während er die Pfeife raucht, schlürft er sieben Kaffees und erzählt dir sieben Mären. Er wie niemand weiß ganz genau Bescheid um Glanz und Mummenschanz, – wie es zuging, als Imer-Bej seinen Nuri verheiratete und Schukri die Hairije. Allerdings pflegt Salih mal ein wenig aufzuschneiden, damit das Sprichwort nicht Lügen gestraft sei: daß einen Bartlosen die Stoppeln nicht beim Schwatzen hindern. Ziehst du von Salihs Darstellung sein Standgeld ab, hast du die reine Wahrheit und angenehmste Unterhaltung; hörst seine Possen und schlürfst Kaffee dazu.

Dennoch, eins bekommst du auch von Salih nicht zu hören, denn er weiß es nicht: welche Wonnen Imer-Bejs Seele erfüllten; nur Mejrem-Hanüm verstand und teilte sie. Soweit hat noch nie ein Mensch die Tasche geöffnet, wie Imer-Bej an jenem Jubeltag. Denk nicht an die Gastmähler und Freitische – laß die Wohltaten beiseite, die Stiftungen und Weihgaben! Sieh allein die Geschenke für Nuri und Hairije – und du wirst gestehen, daß du so viel Lohn noch nie beisammen schautest. Bei Gott – um ein Haar wären die Eltern, Imer-Bej und Mejrem-Hanüm, darüber wie Kinder in Streit geraten. Imer-Bej kaufte: für Nuri ein Pferd mit vollständigem Sattelzeug, vier vollständige Gewänder, außerdem vier Mäntel, alles breit mit Marderfell besetzt – als sollte Nuri morgen in den Provinzrat zu den Großwürdenträgern; für die Schwiegertochter: Pantoffeln, dick mit Gold bestickt; einen Spiegel von echtem Kristall, der Rahmen von Elfenbein; überhaupt: das Erdenkbare und Schenkbare.

Und Mejrem-Hanüm? Auch sie wollte doch etwas nach Freud und Liebe beitragen für die Braut und den kleinen Nuri. Was aber, was in aller Welt? Wieviel ihr auch einfiel, hatte Imer-Bej vorweggenommen und beschert. Da ging Mejrem-Hanüm nach dem Basar – mit dem festen Vorsatz: um jeden Preis schöne Dinge aufzuspüren, die Imer-Bej doch noch entgangen waren. Sie entdeckte beim Goldschmied Marko eine Zigarettenspitze von reinem Silber, mit fünf Edelsteinen geziert: zwei Rubinen, in der Mitte einem Smaragd und wiederum zwei Rubinen, ohne das Mundstück wog die Zigarettenspitze vierzig Drama. Das war das Geschenk für den Bräutigam. Der Braut aber, Hairije? Was sollte sie ihr bringen? Sie ging von Laden zu Laden, von Gewölbe zu Gewölbe – zu Juwelieren, Galanteriehändlern, Tuchwebern – und fand nichts, was ihr gefallen wollte. Endlich bei Sajid-Aga sah sie einen Gegenstand, grade wie sie ihn brauchte: eine Wiege von unerschauter Pracht – geschnitztes Nußholz, und mit Seide gefüttert; man konnte kaum die Augen davon wenden. Gibt es eine schicklichere Hochzeitsgabe? Als aber Mejrem-Hanüm überglücklich nach Haus gelaufen kam, um sich vor Imer-Bej zu rühmen, was Feines sie ergattert – da schmunzelte Imer-Bej und rief:

»Die Wiege hat man auch mir gezeigt, und ich dachte einen Augenblick daran, sie zu nehmen; aber nein: was soll Nuri mit einer Zigarettenspitze, was Hairije mit einer Wiege – wenn er erst so und so alt ist und sie noch so jung? Hanüm, gib den Kindern dein Angebinde gar nicht ab; sperr die Zigarettenspitze in den Wandschrank, und die Wiege laß auf den Speicher bringen!«

»Ja, soll ich denn nichts spenden dürfen – ich, die Mutter?«

»Inschallah, auch deine Zeit wird kommen.«

Dabei blieb es wirklich: heut noch liegt im Wandschrank die silberne, rubinbesetzte Zigarettenspitze, und auf dem Speicher ruht die Wiege von Nußholz mit dem Seidenfutter. Nuri und Hairije spielen im Garten. Sie schlagen einander mit dem Fes; sie nähen Bälle aus Filz und stopfen sie mit Werg. Sie schleppen Ziegel herbei, und Nuri erbaut davon einen Laden auf dem Balken unterm Zaun. Nuri macht aus zwei Streichholzschachteln mit Fäden eine Wage. Er sammelt kleine Kiesel: das sind seine Gewichte, Pfeffer von gestoßenen Ziegeln, Rosenblätter und Nußkerne – sind die Waren. Hairije spielt, sie ist eine Hanüm. Sie zieht ein Mäntelchen an, wie es die Frauen tragen, spannt den Sonnenschirm auf, und aus hartem Papier schneidet sie sich Münzen, große und kleine, geht nach dem Basar, bald in den einen, bald in den andern Laden, bis sie zuletzt zu Nuri-Effendi kommt – denn er hat die billigsten Preise. Und eine heiße Sonne strahlt, der Storch auf der Platane breitet die Schwingen und hebt den Schnabel wie ein Fernrohr gen Himmel, die Turteltauben auf dem Dach gurren … gurren immer leiser … verstummen und schnäbeln. Auf dem Pfühl rükelt sich Imer-Bej, zu seinen Füßen brodelt weißer Dampf aus der Wasserpfeife, unter dem Söller sitzt am Webstuhl Mejrem-Hanüm – der Kamm schlägt gleichmäßig – der Schütze surrt durch die Fäden – der Zeugbaum schwillt. So vergeht Tag um Tag, Jahr um Jahr. Das fünfte Jahr der jungen Ehe.

Eines Morgens ist Imer-Bej eben in der Moschee gewesen und schreitet den Basar ab. Mejrem-Hanüm treibt sich in Küche und Kammer um, die Kinder spielen im Garten. Da kommt Hairije ganz aufgelöst von Zorn daher mit brennendem Gesichtchen, und die Augen zittern von Tränen.

»Was hast du, Liebling?« fragt Mejrem-Hanüm.

»Ich will nicht mehr mit Nuri spielen.«

»Hat er dir was getan, Liebling?« fragt Mejrem-Hanüm sanft.

»Der garstige Nichtsnutz! Mein Mäntelchen hat er mir zerrissen.«

»Aber wie ist das nur geschehen?«

»Ich kann's ja gar nicht sagen – ich schäme mich.«

»Sag mir's nur, Liebling, sag mir's!«

»Ich kaufe bei ihm ein – für drei Groschen Rosenseife habe ich gekauft und einen Groschen Pfeffer … ich gebe ihm ein Geldstück, eine Medjidije – er soll mir wechseln und den Rest herausgeben … Als er mir wechseln soll …«

»Nun?« fragt Mejrem-Hanüm.

»Da sagt er: er könne nicht wechseln.«

»Und du?«

»Ich, ich will nicht aus dem Laden. Ich verlange mein Geld zurück – und er sagt … er sagt: … Ich werde dir herausgeben … wart nur!«

»Und was tat er?«

»Das Mäntelchen hat er mir weggerissen … da … es ist ganz entzwei.«

»Wie durfte er, der Unartige?«

»Er sagte: Da hast du dein Wechselgeld.«

Mejrem-Hanüm lacht – lacht süß und zufrieden; packt die Schwiegertochter und küßt sie – küßt ihre beiden Augen und ruft: »Wenn du als Klägerin gekommen bist, dann höre auch das Urteil: Geh in den Garten, zerreiß Nuri den Gürtel und küß deinen kleinen Mann!«

– – – Und als Imer-Bej aus dem Basar heimkehrte, da hatte er was zu staunen: unter der Platane auf seinem Pfühl saß Nuri und rauchte behaglich aus der großen silbernen Zigarettenspitze; auf dem Söller stand Mejrem-Hanüm, hatte die Wiege vom Speicher geholt und wischte mit dem Wedel den Staub davon, der in fünf Jahren daraufgefallen war. Und der Storch auf der Platane klapperte lustig – die Tauben auf dem Dach gurrten mutwillig und schalkhaft, und die Sonne strahlte in den Lenz, als wollte Allah mit seiner Liebe alle Welt erwärmen.

»Was bedeutet das?« fragte Imer-Bej die Hanüm; seine Augen glänzten.

»Auch für mein Geschenk ist die Zeit gekommen,« sprach Mejrem-Hanüm stolz.


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